Giovanni Boccaccio
Das Dekameron
(Il Decamerone)

Erster Tag

[Einleitung]
[13]

Sooft ich, holde Damen, in meinen Gedanken erwäge, wie mitleidig ihr alle von Natur aus seid, erkenne ich auch, daß eurer Meinung nach dies Werk einen betrübten und bitteren Anfang haben wird, da es an seiner Stirn die schmerzliche Erwähnung jener verderblichen Pestseuche trägt, die vor kurzem jeden, der sie sah oder sonst kennenlernte, in Trauer versetzte.

Doch wünsche ich, daß ihr euch nicht vom Weiterlesen in dem Glauben abschrecken lasset, ihr müßtet immer zwischen Seufzern und Tränen lesend weiterwandeln. Dieser schreckensreiche Anfang soll euch nicht anders sein wie den Wanderern ein steiler und rauher Berg, jenseits dessen eine schöne und anmutige Ebene liegt, die ihnen um so wohlgefälliger scheint, je größer die Anstrengung des Hinauf- und Hinabsteigens war. Und wie der Schmerz sich an das Übermaß der Lust anreiht, so wird auch das Elend von der hinzutretenden Freude beschlossen. Dieser kurzen Trauer – kurz nenne ich sie, weil sie in wenigen Zeilen enthalten ist – folgen alsbald die Lust und die Süßigkeit, die ich euch oben versprochen habe und die man nach einem solchen Anfang ohne ausdrückliche Versicherung vielleicht nicht erwartete. In der Tat, hätte ich füglich vermocht, euch auf einem anderen und minder rauhen Pfade als diesem dahin zu führen, wohin ich es wünsche, so hätte ich es gern getan. Weil aber ohne diese Erwähnung nicht berichtet werden konnte, warum das geschah, was weiterhin zu lesen ist, entschließe ich mich gewissermaßen notgedrungen zu dieser Beschreibung.

Ich sage also, daß seit der heilbringenden Menschwerdung des Gottessohnes eintausenddreihundertachtundvierzig Jahre vergangen waren, als in die herrliche Stadt Florenz, die vor allen andern in Italien schön ist, das tödliche Pestübel gelangte, [13] welches – entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder im gerechten Zorn über unseren sündlichen Wandel von Gott als Strafe über den Menschen verhängt – einige Jahre früher in den Morgenlanden begonnen, dort eine unzählbare Menge von Menschen getötet hatte und dann, ohne anzuhalten, von Ort zu Ort sich verbreitend, jammerbringend nach dem Abendlande vorgedrungen war.

Gegen dieses Übel half keine Klugheit oder Vorkehrung, obgleich man es daran nicht fehlen und die Stadt durch eigens dazu ernannte Beamte von allem Unrat reinigen ließ, auch jedem Kranken den Eintritt verwehrte und manchen Ratschlag über die Bewahrung der Gesundheit erteilte. Ebensowenig nützten die demütigen Gebete, die von den Frommen nicht ein, sondern viele Male in feierlichen Bittgängen und auf andere Weise Gott vorgetragen wurden.

Etwa zu Frühlingsanfang des genannten Jahres begann die Krankheit schrecklich und erstaunlich ihre verheerenden Wirkungen zu zeigen. Dabei war aber nicht, wie im Orient, das Nasenbluten ein offenbares Zeichen unvermeidlichen Todes, sondern es kamen zu Anfang der Krankheit gleichermaßen bei Mann und Weib an den Leisten oder in den Achselhöhlen gewisse Geschwulste zum Vorschein, die manchmal so groß wie ein gewöhnlicher Apfel, manchmal wie ein Ei wurden, bei den einen sich in größerer, bei den andern in geringerer Anzahl zeigten und schlechtweg Pestbeulen genannt wurden. Später aber gewann die Krankheit eine neue Gestalt, und viele bekamen auf den Armen, den Lenden und allen übrigen Teilen des Körpers schwarze und bräunliche Flecke, die bei einigen groß und gering an Zahl, bei andern aber klein und dicht waren. Und so wie früher die Pestbeule ein sicheres Zeichen unvermeidlichen Todes gewesen und bei manchen noch war, so waren es nun diese Flecke für alle, bei denen sie sich zeigten.

Dabei schien es, als ob zur Heilung dieses Übels kein ärztlicher Rat und die Kraft keiner Arznei wirksam oder förderlich wäre. Sei es, daß die Art dieser Seuche es nicht zuließ oder daß die Unwissenheit der Ärzte (deren Zahl in dieser Zeit, außer den wissenschaftlich gebildeten, an Männern und Frauen, die nie die geringste ärztliche Unterweisung genossen hatten,[14] übermäßig groß geworden war) den rechten Grund der Krankheit nicht zu erkennen und daher ihr auch kein wirksames Heilmittel entgegenzusetzen vermochte, genug, die wenigsten genasen, und fast alle starben innerhalb dreier Tage nach dem Erscheinen der beschriebenen Zeichen; der eine ein wenig früher, der andere etwas später, die meisten aber ohne alles Fieber oder sonstige Zufälle.

Die Seuche gewann um so größere Kraft, da sie durch den Verkehr von den Kranken auf die Gesunden überging, wie das Feuer trockene oder brennbare Stoffe ergreift, wenn sie ihm nahe gebracht werden. Ja, so weit erstreckte sich dies Übel, daß nicht allein der Umgang die Gesunden ansteckte und den Keim des gemeinsamen Todes in sie legte; schon die Berührung der Kleider oder anderer Dinge, die ein Kranker gebraucht oder angefaßt hatte, schien die Krankheit dem Berührenden mitzuteilen.

Unglaublich scheint, was ich jetzt zu sagen habe, und wenn es nicht die Augen vieler sowie die meinigen gesehen hätten, so würde ich mich nicht getrauen, es zu glauben, hätte ich es auch von glaubwürdigen Leuten gehört. Ich sage nämlich, daß die ansteckende Kraft dieser Seuche mit solcher Gewalt von einem auf den anderen übersprang, daß sie nicht allein vom Menschen dem Menschen mitgeteilt ward, sondern daß auch, was viel mehr sagen will, häufig und unverkennbar andere Geschöpfe außer dem Menschengeschlecht, wenn sie Dinge berührten, die einem an der Pest Leidenden oder an ihr Gestorbenen gehört hatten, von der Krankheit befallen wurden und an diesem Übel starben. Davon habe ich unter anderm eines Tages mit eigenen Augen, wie ich vorhin gesagt habe, folgendes Beispiel gesehen: man hatte die Lumpen eines armen Mannes, der an dieser Seuche gestorben war, auf die offene Straße geworfen, und dort fanden sie zwei Schweine, welche sie nach der Art dieser Tiere anfangs lange mit dem Rüssel durchwühlten, dann aber mit den Zähnen ergriffen und hin und her schüttelten; nach kurzer Zeit aber fielen sie beide, als hätten sie Gift gefressen, unter einigen Zuckungen tot auf die Lumpen hin, die sie zu ihrem Unheil erwischt hatten.

Aus diesen und vielen anderen ähnlichen und schlimmeren [15] Ereignissen entstand ein allgemeiner Schrecken, und mancherlei Vorkehrungen wurden von denen getroffen, die noch am Leben waren. Fast alle strebten zu ein und demselben grausamen Ziele hin, die Kranken nämlich und was zu ihnen gehörte, zu vermeiden und zu fliehen, in der Hoffnung, sich auf solche Weise selbst zu retten. Einige waren der Meinung, ein mäßiges Leben, frei von jeder Üppigkeit, vermöge die Widerstandskraft besonders zu stärken. Diese taten sich in kleineren Kreisen zusammen und lebten, getrennt von den übrigen, abgesondert in ihren Häusern, wo sich kein Kranker befand, beieinander. Hier genossen sie die feinsten Speisen und die ausgewähltesten Weine mit großer Mäßigkeit und ergötzten sich, jede Ausschweifung vermeidend, mit Musik und anderen Vergnügungen, die ihnen zu Gebote standen, ohne sich dabei von jemand sprechen zu lassen oder sich um etwas, das außerhalb ihrer Wohnung vorging, um Krankheit oder Tod zu kümmern.

Andere aber waren der entgegengesetzten Meinung zugetan und versicherten, viel zu trinken, gut zu leben, mit Gesang und Scherz umherzugehen, in allen Dingen, soweit es sich tun ließe, seine Lust zu befriedigen und über jedes Ereignis zu lachen und zu spaßen, sei das sicherste Heilmittel für ein solches Übel. Diese verwirklichten denn auch ihre Reden nach Kräften. Bei Nacht wie bei Tag zogen sie bald in diese, bald in jene Schenke, tranken ohne Maß und Ziel und taten dies alles in fremden Häusern noch weit ärger, ohne dabei nach etwas anderem zu fragen als, ob dort zu finden sei, was ihnen zu Lust und Genuß dienen konnte. Dies wurde ihnen auch leicht gemacht, denn als wäre sein Tod gewiß, so hatte jeder sich und alles, was ihm gehörte, aufgegeben. Dadurch waren die meisten Häuser herrenlos geworden, und der Fremde bediente sich ihrer, wenn er sie zufällig betrat, ganz wie es der Eigentümer selbst getan hätte.

Wie sehr aber auch die, welche so dachten, ihrem viehischen Vorhaben nachgingen, so vermieden sie doch auf das sorgfältigste, den Kranken zu begegnen. In solchem Jammer und in solcher Betrübnis der Stadt war auch das ehrwürdige Ansehen der göttlichen und menschlichen Gesetze fast ganz gesunken und zerstört; denn ihre Diener und Vollstrecker waren gleich[16] den übrigen Einwohnern alle krank oder tot oder hatten so wenig Gehilfen behalten, daß sie keine Amtshandlungen mehr vornehmen konnten. Darum konnte sich jeder erlauben, was er immer wollte.

Viele andere indes schlugen einen Mittelweg zwischen den beiden obengenannten ein und beschränkten sich weder im Gebrauch der Speisen so sehr wie die ersten, noch hielten sie im Trinken und in anderen Ausschweifungen so wenig Maß wie die zweiten. Vielmehr bedienten sie sich der Speise und des Tranks nach Lust und schlossen sich auch nicht ein, sondern gingen umher und hielten Blumen, duftende Kräuter oder sonstige Spezereien in den Händen und rochen häufig daran, überzeugt, es sei besonders heilsam, durch solchen Duft das Gehirn zu erquicken; denn die ganze Luft schien von den Ausdünstungen der toten Körper, von den Krankheiten und Arzneien stinkend und beklemmend.

Andere aber waren grausameren Sinnes – obgleich sie vermutlich sicherer gingen – und erklärten, kein Mittel gegen die Seuche sei so wirksam und zuverlässig wie die Flucht. In dieser Überzeugung verließen viele, Männer wie Frauen, ohne sich durch irgendeine Rücksicht halten zu lassen, allein auf die eigene Rettung bedacht, ihre Vaterstadt, ihre Wohnungen, ihre Verwandten und ihr Vermögen und flüchteten auf ihren eigenen oder gar einen fremden Landsitz; als ob der Zorn Gottes, der durch diese Seuche die Ruchlosigkeit der Menschen bestrafen wollte, sie nicht überall gleichmäßig erreichte, sondern nur diejenigen vernichtete, die sich innerhalb der Stadtmauern antreffen ließen, oder als ob niemand mehr in der Stadt verweilen solle und deren letzte Stunde gekommen sei.

Obgleich diese Leute mit den also verschiedenen Meinungen nicht alle starben, so kamen sie doch auch nicht alle davon, sondern viele von den Anhängern jeder Meinung erkrankten, wo immer sie sich befanden, und verschmachteten fast ganz verlassen, wie sie das Beispiel dazu, solange sie gesund gewesen waren, denen gegeben hatten, die gesund blieben. Wir wollen davon schweigen, daß ein Mitbürger den andern mied, daß der Nachbar fast nie den Nachbarn pflegte und die Verwandten einander selten oder nie besuchten; aber mit solchem Schrecken [17] hatte dieses Elend die Brust der Männer wie der Frauen erfüllt, daß ein Bruder den andern im Stich ließ, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann, ja, was das schrecklichste ist und kaum glaublich scheint: Vater und Mutter weigerten sich, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen, als wären es nicht die ihrigen.

In dieser allgemeinen Entfremdung blieb den Männern und Frauen, die erkrankten – und ihre Zahl war unermeßlich –, keine Hilfe außer dem Mitleid der wenigen Freunde, die sie nicht verließen, oder dem Geiz der Wärter, die sich durch einen unverhältnismäßig hohen Lohn zu Dienstleistungen bewegen ließen. Aber auch der letzteren waren nicht viele zu finden, und die sich dazu hergaben, waren Männer oder Weiber von geringer Einsicht, die meist auch zu solchen Dienstleistungen gar kein Geschick hatten und kaum etwas anderes taten, als daß sie den Kranken dies oder jenes reichten, was sie gerade verlangten, oder zusahen, wenn sie starben. Dennoch gereichte ihnen oft ihr Gewinn bei solchem Dienste zum Verderben.

Weil die Kranken von ihren Nachbarn, Verwandten und Freunden verlassen wurden und nicht leicht Diener finden konnten, bürgerte sich ein Brauch ein, von dem man nie zuvor gehört hatte: daß nämlich Damen, wie vornehm, sittsam und schön sie auch waren, sich, wenn sie erkrankten, durchaus nicht scheuten, von Männern, mochten diese jung oder alt sein, bedient zu werden und vor ihnen, ganz als ob es Frauenzimmer wären, ohne alle Scham jeden Teil ihres Körpers zu entblößen, sobald die Bedürfnisse der Krankheit es erforderten. Vielleicht hat dieser Brauch bei manchen, die wieder genasen, in späterer Zeit einigen Mangel an Keuschheit veranlaßt. Überdies starben aber auch viele, die vermutlich am Leben geblieben wären, hätte man ihnen Hilfe gebracht.

So war denn, teils wegen des Mangels gehöriger Pflege, teils wegen der Heftigkeit der Seuche, die Zahl der bei Tag und Nacht in der Stadt Gestorbenen so groß, daß man sich entsetzte, wenn man sie erfuhr, geschweige denn, wenn man das Elend selbst mit ansah. Daraus entstand fast unvermeidlich unter denen, die am Leben blieben, manche Unregelmäßigkeit, die den früheren bürgerlichen Sitten widersprach. So war es früher üblich [18] gewesen – wie wir es auch heute noch sehen –, daß die Nachbarinnen und die weiblichen Verwandten mit den nächsten Angehörigen eines Verstorbenen in dessen Hause zusammenkamen und klagten, während sich die männlichen Mitglieder der Familie sowie Nachbarn und andere Bürger vor seiner Tür in Menge versammelten. Auch kam die Geistlichkeit dazu, je nach dem Stande des Verstorbenen, und dann wurde die Leiche auf den Schultern seiner Genossen bei angezündeten Wachskerzen mit Gesang und anderen Begräbniszeremonien zu der Kirche getragen, die jener noch vor seinem Tode bestimmt hatte. Als indessen die Heftigkeit der Seuche zunahm, hörten alle diese Bräuche ganz oder teilweise auf, und neue traten an ihre Stelle. Denn nicht allein starben die meisten, ohne daß viele Frauen zusammengekommen wären, sondern gar manche verließen dieses Leben ohne die Gegenwart eines einzigen Zeugen, und nur wenigen wurden die mitleidigen Klagen und die bitteren Tränen ihrer Angehörigen vergönnt. Statt dieser hörte man nun meist geselliges Lachen, Scherze und Gespött, eine Weise, welche die Frauen, ihr weibliches Mitleid großenteils verleugnend, um sich gegen die Krankheit zu wahren, meisterlich gelernt hatten. Es kam selten vor, daß eine Leiche von mehr als zehn oder zwölf Nachbarn zur Kirche geleitet wurde. Dabei trugen nicht achtbare und befreundete Bürger die Bahre, sondern eine Art Totengräber, die sich aus dem niederen Volk zusammengefunden hatten und Pestknechte genannt wurden, gingen eilfertig mit dem Sarge und vier oder sechs Geistlichen nicht in die vom Verstorbenen vorher bestimmte Kirche, sondern in die nächste beste, manchmal mit wenigen Lichtern, zuweilen aber auch mit keinem. Hier ließen die Geistlichen mit Hilfe der Pestknechte den Toten in die erste beste Gruft legen, die sie offen fanden, ohne sich zu langen Feierlichkeiten Zeit zu nehmen.

Die Lage der kleinen Leute und wohl auch der meisten aus dem Mittelstand war noch viel elender, da sie entweder von der Hoffnung oder von der Armut in ihren Häusern zurückgehalten wurden, mit den Nachbarn verkehrten und daher täglich zu Tausenden erkrankten und bei dem vollständigen Mangel an Pflege und Hilfe rettungslos starben. Es gab viele, die bei Tag oder Nacht auf offener Straße verschieden, viele, die ihren Geist [19] in den Häusern aufgaben und ihren Nachbarn erst durch den Gestank, der aus ihren faulenden Leichen aufstieg, Kunde von ihrem Tode brachten. So war von den einen wie von den andern alles voll; denn überall starben Menschen. Dann verfuhren die Nachbarn meist auf die gleiche Art, zu welcher sie ebensosehr aus Furcht, daß die Fäulnis der Leichname ihnen schaden werde, als aus Mitleid für die Verstorbenen bewogen wurden. Sie schleppten nämlich entweder selbst oder mit Hilfe einiger Träger, wenn sie solche bekommen konnten, die Körper der Toten aus ihren Wohnungen und legten sie vor den Türen nieder. So hätte, wer – zumal am Morgen – durch die Stadt gegangen wäre, der Leichen unzählige liegen sehen. Dann ließen sie Bahren kommen oder legten, wenn es an diesen gebrach, ihre Toten auf ein bloßes Brett. Auch geschah es, daß auf einer Bahre zwei oder drei davongetragen wurden, und nicht einmal, sondern viele Male hätte man zählen können, wo dieselbe Bahre die Leichen des Mannes und der Frau oder zweier und dreier Brüder oder des Vaters und seines Kindes trug.

Oft ereignete es sich auch, daß, wenn ein paar Geistliche vor einer mit dem Kreuz hergingen, sich gleich drei oder vier Bahren mit anschlossen und die Priester, die einen Toten begraben zu sollen glaubten, nun deren sechs, acht und zuweilen noch mehr hatten. Dabei wurden dann die Verstorbenen mit keiner Kerze, Träne oder Begleitung geehrt, vielmehr war es so weit gekommen, daß man sich nicht mehr darum kümmerte, wenn Menschen starben, als man es jetzt um den Tod einer Geiß täte. Woraus denn gar deutlich wird, daß ein geduldiges Hinnehmen der Ereignisse, welches der gewöhnliche Lauf der Welt durch kleines und seltenes Unglück auch den Weisen nicht zu lehren vermag, durch die Größe des Elends auch den Einfältigen mitgeteilt werden kann.

Da für die große Menge Leichen, die, wie gesagt, in jeder Kirche täglich und fast stündlich zusammengetragen wurden, der geweihte Boden nicht langte, besonders wenn man nach alter Sitte jedem Toten eine besondere Grabstätte hätte einräumen wollen, so machte man, statt der kirchlichen Gottesäcker, weil diese bereits überfüllt waren, sehr tiefe Gruben und warf die neu Hinzukommenden in diese zu Hunderten. Hier [20] wurden die Leichen aufgehäuft wie die Waren in einem Schiff und von Schicht zu Schicht mit ein wenig Erde bedeckt, bis die Grube bis zum Rand voll war.

Um aber alles Elend, das unsere Stadt betroffen hat, nicht weiter in seinen Einzelheiten auszuspinnen, sage ich, daß, während ein so feindliches Geschick in ihr hauste, die umliegende Landschaft deshalb nicht um das mindeste mehr verschont blieb. Ich schweige von den Burgflecken, die in kleinerem Maßstab den gleichen Anblick boten wie die Stadt. Auf den zerstreuten Landgütern und Meierhöfen jedoch starben die armen unglücklichen Landleute mit den Ihrigen ohne allen ärztlichen Beistand und ohne Pflege eines Dieners auf Straßen und Feldern wie in ihren Häusern, ohne Unterschied bei Tag und Nacht, nicht wie Menschen, sondern fast wie das Vieh. Darum wurden sie ebenso wie die Städter ausschweifend in ihren Sitten und kümmerten sich nicht mehr um ihren Besitz oder ihre Arbeit. Sie dachten nicht daran, die Früchte ihres früheren Schweißes, ihrer Ländereien und ihres Viehstandes für die Zukunft zu pflegen und zu vermehren, sondern bemühten sich mit allem Scharfsinn einzig und allein darum, die vorhandenen zu verzehren, als erwarteten sie den Tod an demselben Tage, den sie hatten anbrechen sehen. Daher geschah es denn, daß Ochsen, Esel, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner, ja selbst Hunde, die dem Menschen doch am treuesten sind, von den Häusern, denen sie zugehört, verjagt, nach Gefallen auf den Feldern umherliefen, wo das Getreide verlassen stand und weder geerntet noch geschnitten wurde. Manche unter diesen kehrten, ohne von einem Hirten angetrieben zu werden, als ob sie mit Vernunft begabt gewesen wären, am Abend gesättigt zu ihren Häusern zurück, nachdem sie den Tag über Nahrung gesucht hatten.

Was kann ich Stärkeres sagen, wenn ich mich nun wieder vom Lande zur Stadt zurückwende, als daß die Härte des Himmels und vielleicht auch die der Menschen so groß war, daß man mit Gewißheit glaubt, vom März bis zum nächsten Juli seien, teils von der Gewalt dieser bösartigen Krankheit, teils wegen des Mangels an Hilfe, den manche der Kranken leiden mußten, weil die Gesunden sie aus Furcht vor der Ansteckung in ihrer Not verließen, über hunderttausend Menschen innerhalb der [21] Mauern von Florenz dem Leben entrissen worden, während man vor diesem verheerenden Ereignis der Stadt vielleicht kaum so viele Einwohner zugeschrieben hätte. Ach, wie viele große Paläste, wie viele schöne Häuser und vornehme Wohnungen, die einst voll glänzender Dienerschaft, voll edler Herren und Damen gewesen waren, standen jetzt bis auf den geringsten Stallknecht leer! Wieviel denkwürdige Geschlechter blieben ohne Stammhalter, wie viele umfassende Verlassenschaften und berühmte Reichtümer ohne Erben! Wieviel rüstige Männer, schöne Frauen und blühende Jünglinge, denen, von andern zu schweigen, selbst Galen, Hippokrates und Äskulap das Zeugnis blühender Gesundheit ausgestellt hätten, aßen noch am Morgen mit ihren Verwandten, Gespielen und Freunden, um am Abend des gleichen Tages in einer andern Welt mit ihren Vorfahren das Nachtmahl zu halten!

Es schmerzt mich, so lange bei solch großem Elend zu verweilen. Deshalb will ich nun die Erzählung aller jener Ereignisse auslassen, die ich schicklich übergehen zu können glaube, und sage statt dessen, daß es sich, während unsere Stadt von Bewohnern fast verlassen stand, zutrug (wie ich später von jemand Glaubwürdigem gehört habe), daß sieben junge Damen, die einander sämtlich als Freundinnen, Verwandte oder Nachbarinnen nahestanden, sich an einem Dienstagmorgen in der ehrwürdigen Kirche Santa Maria Novella, die nahezu von niemand besucht war, trafen, nachdem sie in Trauerkleidern, wie sie für eine solche Zeit sich schickten, dem Gottesdienst beigewohnt hatten. Keine von ihnen hatte das achtundzwanzigste Jahr überschritten, keine zählte weniger als achtzehn Lenze. Jede war verständig, jede schön von Gestalt, von reinen Sitten und von anständiger Munterkeit. Ich würde ihre wahren Namen nennen, hielte nicht ein guter Grund mich davon ab. Ich wünsche nämlich nicht, daß eine von ihnen um der Geschichte willen, die sie damals erzählt und angehört und die ich in der Folge mitteilen werde, sich in Zukunft zu schämen habe, was doch geschehen könnte, da heute den Sitten viel engere Grenzen gesetzt sind als damals, wo sie aus den oben erwähnten Gründen nicht nur ihrem, sondern auch viel reiferem Alter zu Belustigungen die größte Freiheit ließen. Ebensowenig möchte ich den [22] Neidischen, die immer bereit sind, löblichen Lebenswandel zu verleumden, Gelegenheit geben, durch üble Nachrede in irgendeiner Hinsicht den guten Ruf dieser ehrenwerten Damen zu schmälern. Um indes ohne Verwirrung unterscheiden zu können, was eine jede von ihnen sprach, gedenke ich ihnen fernerhin Namen beizulegen, die den Eigenschaften einer jeden vollständig oder teilweise entsprechen. Und so wollen wir denn die erste und im Alter am meisten vorgerückte Pampinea nennen, die zweite Fiammetta, Filomena die dritte, die vierte Emilia, Lauretta soll die fünfte heißen, die sechste Neifile, und die letzte mag, nicht ohne Grund, Elisa genannt werden.

Diese sieben waren nun in einer Ecke der Kirche zusammengekommen, wo sie bald das Vaterunserbeten aufgaben, sich fast im Kreis niedersetzten und nach einigen Seufzern untereinander von den schlimmen Zeiten viel und mancherlei zu reden begannen. Nach einer Weile begann Pampinea, als die andern alle schwiegen, also zu reden:

»Liebe Mädchen, ihr werdet so gut wie ich gehört haben, daß es niemand Schande bringt, sich in geziemender Weise seines Rechts zu bedienen. Das natürliche Recht eines jeden, der auf Erden geboren ward, ist es aber, sein Leben, soviel er vermag, zu pflegen, zu erhalten und zu verteidigen. Dies ist auch so anerkannt wahr, daß schon manch einer um des lieben Lebens willen einen anderen ungestraft getötet hat. Erlauben nun die Gesetze, denen es obliegt, darüber zu wachen, daß jeder recht und schlecht leben kann, solche Handlungen, wieviel mehr muß es uns und jedem andern freistehen, alle Mittel, die wir kennen, zur Erhaltung unseres Lebens anzuwenden, ohne daß wir dadurch irgend jemand zu nahe träten. Indem ich unser Betragen an diesem Morgen und an vielen andern vergangenen Tagen aufmerksam betrachte und bedenke, worüber und wie wir uns miteinander zu besprechen pflegen, so fühle ich und bin gewiß, daß ihr es ebenso werdet fühlen können, daß eine jede unter uns für sich selbst bangt.

Auch wundere ich mich darüber keineswegs, wohl aber erstaunt mich, daß wir, die wir alle weiblicher Ängstlichkeit teilhaftig sind, dennoch für unsere wohlbegründete gemeinsame Furcht den Schutz nicht suchen, der uns zu Gebote stände. Wir [23] verweilen meiner Meinung nach hier nicht anders, als wollten oder müßten wir Zeugnis darüber ablegen, wie viele Leichen hier zu Grabe getragen werden, oder ob die, wel che hier im Kloster wohnen und deren Zahl auf nichts zusammengeschmolzen ist, ihre Horen zur gehörigen Zeit singen, oder als dächten wir, durch unsere Trauerkleider jedem, der uns antrifft, anzuzeigen, wie groß und vielfach unser Elend sei.

Verlassen wir aber diesen Ort, so sehen wir entweder Leichen- und Krankenüberführungen, oder wir begegnen denen, die einst um ihrer Verbrechen willen von den Rechtsbehörden aus der Stadt verbannt wurden und nun, gleichsam zum Spott, weil sie die Vollstrecker der Gesetze tot oder krank wissen, mit lästigem Ungestüm durch die Straßen ziehen; oder wir sehen endlich den Abschaum unserer Stadt, von unserem Blute erhitzt, unter dem Namen Pestknechte zu unserm Unglück überall reiten und streifen, wobei sie uns unser Unglück mit schändlichen Liedern vorhalten. Auch hören wir nie etwas anderes als ›die und die sind tot und die und die liegen im Sterben‹, und außerdem würden wir, wenn es noch Leute gäbe, die es täten, nichts als schmerzliches Weinen vernehmen.

Kehren wir endlich in unsere Wohnungen zurück – ich weiß nicht, ob es euch ebenso geht wie mir, aber ich fürchte mich, wenn ich von einer zahlreichen Familie niemand mehr als eine Magd antreffe. Alle Haare sträuben sich mir, und wo ich gehe und stehe, glaube ich die Schatten meiner Verstorbenen zu sehen, und nicht mit den gewohnten Gesichtern, sondern ich erschrecke vor ihrem fürchterlichen, ich weiß nicht wodurch, so sehr entstellten Aussehen. Aus allen diesen Gründen fühle ich mich hier und anderwärts und zu Hause unglücklich, und das um so mehr, als es mir unmöglich scheint, daß jemand, der noch Blut in seinen Adern hat und anderswohin zu gehen imstande ist, außer uns hiergeblieben sei. Und sind wirklich noch einige hier, so habe ich mehrmals vernommen, daß diese, allein und in Gesellschaft, ohne zwischen anständigen und unanständigen Frauen einigen Unterschied zu machen, sobald die Lust sie dazu antreibt, mit einer jeden bei Tage und bei Nacht vornehmen, was ihnen am meisten Vergnügen macht. Und nicht allein die freien Leute, sondern auch die in den Klöstern eingeschlossenen haben unter [24] dem Vorwand, was den andern nicht verwehrt werden könne, müsse auch ihnen freistehen, die Gesetze des Gehorsams über den Haufen geworfen, sich der Fleischeslust ergeben und sind in der Hoffnung, so dem Tode zu entgehen, ausschweifend und schamlos geworden.

Verhält es sich aber so, und daß es sich so verhält, ist offenbar, was tun wir dann hier? Worauf warten, wovon träumen wir? Warum sind wir saumseliger und träger, unsere Gesundheit zu schützen, als alle unsere übrigen Mitbürger? Halten wir uns für geringer als die anderen Frauen oder denken wir, unsere Seele sei mit stärkeren Banden an den Körper geknüpft, als die der übrigen ist, so daß wir uns um nichts zu kümmern brauchten, das unsere Gesundheit zu erschüttern vermöchte? Wir irren, wir betrügen uns; wie töricht sind wir, wenn wir solches wähnen! Sooft wir uns daran erinnern, wie viele und wie kräftige Jünglinge und Mädchen von dieser grausamen Seuche dahingerafft sind, sehen wir den offenbarsten Beweis dafür.

Damit wir nun nicht aus Trägheit oder Sorglosigkeit einem Unglück erliegen, dem wir, wenn wir wollten, auf irgendeine Weise entgehen könnten, dächte ich, wiewohl ich nicht weiß, ob ihr die gleiche Meinung habt, es wäre am besten, wir verließen, so wie wir sind, diese Stadt, wie es viele vor uns getan haben und noch tun. Die bösen Beispiele anderer wie den Tod verabscheuend, könnten wir mit Anstand auf unseren ländlichen Besitzungen verweilen, deren jede von uns eine Menge hat, wo wir uns dann Freude, Lust und Vergnügen verschafften, soviel wir könnten, ohne die Grenzen des Erlaubten irgendwie zu überschreiten. Dort hört man die Vöglein singen, dort sieht man Hügel und Ebenen grünen, dort wogen die Kornfelder nicht anders als das Meer, dort erblickt man wohl tausenderlei Bäume und sieht den Himmel offener, der, wie erzürnt er auch gegen uns ist, seine ewige Schönheit nicht verleugnet, was alles zusammen viel erfreulicher ist als der Anblick der kahlen Mauern unserer Stadt.

Außerdem ist die Luft dort frischer, und der Vorrat von Dingen, die man zum Leben braucht, ist dort größer, und geringer die Zahl der Unannehmlichkeiten. Denn obgleich die [25] Landleute dort sterben wie hier die Städter, so ist doch der üble Eindruck, der dadurch entsteht, um so geringer, als dort die Häuser und die Bewohner sparsamer verstreut sind wie hier in der Stadt. Hier verlassen wir auf der andern Seite, wie mich dünkt, niemand, vielmehr können wir umgekehrt uns verlassen nennen, da die Unsrigen, entweder sterbend oder dem Tode entfliehend, uns, als ob wir ihnen nicht zugehörten, in so großem Elend alleingelassen haben. Kein Tadel kann also auf uns fallen, wenn wir diesen Vorschlag annehmen, wohl aber können uns Schmerz, Leid und vielleicht der Tod treffen, wenn wir ihn verwerfen.

Beliebt es euch nun, so denke ich, es sei wohlgetan, wenn wir unsere Dienerinnen abrufen und uns die nötigen Sachen nachbringen lassen. Dann aber wollen wir, heute hier, morgen dort verweilend, unter den Ergötzungen und Lustbarkeiten, welche die Gegenwart uns bieten kann, so lange in diesem Leben fortfahren, bis wir – wenn der Tod uns nicht zuvor erreicht – gewahr werden, daß der Himmel diese Leiden zu enden beschlossen hat. Dabei will ich euch noch daran erinnern, daß ein ehrbares Entfernen uns nicht minder an stehen kann als vielen der anderen Frauen ein ehrloses Verweilen.«

Die übrigen Damen lobten nicht allein Pampineas Vorschlag, sondern hatten auch schon, voll Verlangen, ihn zu befolgen, mehrfach einzeln unter sich über die Art der Ausführung zu sprechen begonnen, als sollten sie, sobald sie sich von ihren Sitzen erhöben, sich gleich auf den Weg machen. Filomena indes, die sehr verständig war, sagte: »Mädchen, obgleich sehr wohl gesprochen ist, was Pampinea sagt, so müssen wir doch die Sache nicht so übereilen, wie ihr zu tun willens zu sein scheint. Bedenkt, daß wir allesamt Frauen sind, und keine unter uns ist noch so kindisch, daß sie nicht wüßte, wie übel Frauen allein beraten sind und wie schlecht wir ohne die Fürsorge eines Mannes uns anzustellen wissen. Wir sind unbeständig, eigensinnig, argwöhnisch, kleinmütig und furchtsam, und aus allen diesen Gründen fürchte ich gar sehr, daß diese Gesellschaft sich früher und zu größerer Unehre für uns auflösen wird, als sie es tun sollte, wenn wir niemand anders als uns selbst zum Führer nehmen. Darum ist es gut, Vorsorge zu treffen, ehe wir beginnen.« [26] Darauf sagte Elisa: »Wahrlich, die Männer sind das Haupt der Frauen, und ohne ihre Anordnungen gedeiht selten eine unserer Unternehmungen zu einem löblichen Ende. Aber wo sollten wir diese Männer finden? Jede von uns weiß, daß die meisten ihrer Angehörigen tot sind, und die andern, die noch Lebenden, fliehen, ohne daß wir wüßten, wo sie sich befinden, der eine hierhin, der andre dorthin, in verschiedener Gesellschaft das gleiche Übel, dem auch wir zu entgehen suchen. Fremde aufzufordern ziemte sich nicht; denn wenn wir unserem Heile nachgehen wollen, müssen wir uns so einzurichten wissen, daß wir nicht Verdruß und Schande ernten, wo wir Freude und Ruhe zu gewinnen suchen.«

Während dieses Gespräch noch unter den Damen im Gange war, traten unvermutet drei junge Männer in die Kirche, unter denen indes der jüngste kein geringeres Alter als fünfundzwanzig Jahre hatte und in deren Herzen weder die Widerwärtigkeiten jener Zeit noch der Verlust der Freunde und Verwandten, noch endlich die Furcht für ihr eigenes Leben die Liebe zu vertilgen oder abzukühlen vermocht hatte. Der erste unter ihnen hieß Panfilo, Filostrato der zweite und Dioneo der dritte, von denen ein jeder gar artig und gebildet war. Sie waren eben unterwegs, um als höchsten Trost in dieser gewaltigen Erschütterung aller Dinge den Anblick ihrer Damen zu suchen, die sich zufällig alle drei unter den genannten sieben befanden, wie denn auch der eine und der andere unter ihnen mit einigen der übrigen Mädchen durch Verwandtschaft verbunden war.

Die Damen wurden ihrer früher ansichtig, als sie von ihnen gewahrt wurden, weshalb Pampinea lächelnd anhub: »Seht, das Glück ist unserem Beginnen günstig und führt uns verständige und wackere Jünglinge zu, die gern unsere Führer und Diener sein werden, wenn wir nicht verschmähen wollen, sie zu diesem Amte anzunehmen.« Neifile aber wurde bei dieser Rede im ganzen Gesicht purpurrot vor Scham, denn sie wußte, daß einer der jungen Männer sie liebte, und sagte: »Pampinea, bei Gott, bedenke, was du sprichst! Ich weiß gewiß von keinem unter jenen, welcher es auch sei, irgend etwas anderes als lauter Gutes zu sagen; auch halte ich sie zu weit größeren Dingen, als dieses [27] ist, geschickt und glaube, sie leisteten nicht allein uns, sondern auch viel schöneren und würdigeren Damen gute und ehrbare Gesellschaft. Weil es aber offenkundig ist, daß sie in einige, die sich unter uns befinden, verliebt sind, so fürchte ich, daß uns ohne ihre und unsere Schuld Tadel und Schande daraus erwachsen könnten, wenn wir sie mitnähmen.«

Filomena antwortete darauf: »Das hat nichts zu bedeuten; solange ich sittsam lebe und mein Gewissen mir keine Vorwürfe macht, gilt es mir gleich, was man von mir redet, denn Gott und die Wahrheit werden zu meinem Schutze die Waffen ergreifen. Wären sie nur schon bereit, mit uns zu gehen, so könnten wir wahrlich, wie Pampinea sagte, uns rühmen, das Glück begünstige unsere Unternehmung.«

Als die übrigen Mädchen Filomenas Worte vernommen hatten, beruhigten sie sich nicht allein, sondern verlangten in allgemeiner Übereinstimmung, daß jene gerufen, mit ihren Plänen bekannt gemacht und gebeten würden, ihnen Gesellschaft zu leisten. Zu diesem Zweck erhob sich Pampinea ohne weitere Worte und ging auf die Jünglinge zu, mit deren einem sie verwandt war, grüßte die ins Anschauen der Mädchen Versunkenen mit heiterem Antlitz und bat sie im Namen aller, nachdem sie ihren Plan zuvor auseinandergesetzt, daß sie sich entschließen möchten, ihnen mit reinen und brüderlichen Gesinnungen Gesellschaft zu leisten. Die Jünglinge glaubten anfangs, man wolle sie zum besten haben; als sie aber sahen, daß es der Dame Ernst war, antworteten sie freudig, sie seien bereit. Dann verabredeten sie, ohne die Ausführung ferner aufzuschieben, noch ehe sie die Kirche verließen, was bis zu ihrer Abreise noch besorgt werden müsse.

Nachdem sie alles in gehöriger Ordnung bereiten und an den Ort hatten senden lassen, wohin zu gehen sie zunächst beabsichtigten, machten sich am andern Morgen, das heißt am Mittwoch, die Damen mit einigen ihrer Dienerinnen und die drei Jünglinge mit dreien ihrer Leute bei Tagesanbruch auf den Weg. Sie verließen die Stadt, waren aber noch nicht mehr als zwei kleine Meilen weit von ihr entfernt, als sie schon an dem Orte anlangten, den sie fürs erste verabredet hatten.

Dieser Landsitz lag auf einem kleinen Hügel, nach allen Richtungen [28] ein wenig von unseren Landstraßen entfernt, und war mit mancherlei Bäumen und Sträuchern bewachsen, alle grünbelaubt und lieblich anzusehen. Auf dem Gipfel dieser Anhöhe stand ein Palast mit einem schönen und großen Hofraum in der Mitte, reich an offenen Gängen, Sälen und Zimmern, die, sowohl insgesamt als jedes für sich betrachtet, ausnehmend schön und durch den Schmuck heiterer Malereien ansehnlich waren. Rings umher lagen Wiesen und reizende Gärten mit Brunnen voll kühlem Wasser und Gewölben, die reich an köstlichen Weinen waren, so daß sie eher für erfahrene Trinker als für mäßige, sittsame Mädchen geeignet schienen.

Das Innere des Palastes fand die eintretende Gesellschaft zu ihrem nicht geringen Vergnügen reinlich ausgekehrt. Alles war voll von Blumen, wie die Jahreszeit sie mit sich brachte, und der Fußboden war mit Binsen belegt. Als sie, kaum angekommen, sich niedergelassen hatten, sagte Dioneo, der alle andern an Frohsinn und Witz übertraf: »Meine Damen, mehr euer Verstand als unser Entschluß hat uns hierher geführt. Was ihr mit euren Kümmernissen anzufangen meint, weiß ich nicht; die meinigen habe ich hinter dem Stadttor zurückgelassen, als ich vor kurzem mit euch hindurchgegangen bin. Deshalb entschließt euch denn insgesamt, entweder mit mir zu scherzen, zu lachen und zu singen, soviel sich mit eurer Ehrbarkeit verträgt, oder verabschiedet mich, daß ich wieder meinen Sorgen nachgehe und in die geplagte Stadt zurückkehre.«

Ihm antwortete Pampinea, nicht minder fröhlich, als hätte auch sie bereits alle ihre Sorgen verscheucht: »Dioneo, sehr wohl hast du gesprochen. In Lust und Freuden müssen wir leben, denn aus keinem andern Grund sind wir dem Jammer entflohen. Weil aber alles, was kein Maß und Ziel kennt, nicht lange währt, so meine ich als die Urheberin jener Gespräche, aus denen eine so schöne Gesellschaft hervorgegangen ist, es sei notwendig, daß wir übereinkommen, einen Oberherren zu wählen, dem wir dann als unserem Gebieter gehorchen und Ehre erweisen und dem die Sorge, unser heiteres Leben zu gestalten, allein überlassen bleibt. Damit indes ein jeder von uns zugleich die Last dieser Pflichten und das Vergnügen des Vorrangs empfinde und damit keiner, leer ausgehend, einen andern in dieser [29] oder jener Hinsicht beneiden könne, sage ich, daß Ehre und Beschwerde jedem für einen Tag zugeteilt werden solle. Wer unter uns der erste sein soll, werde durch gemeinsame Wahl entschieden. In Zukunft aber möge um die Abendstunde der jeweilige Herr oder die jeweilige Herrin den Nachfolger oder die Nachfolgerin bestimmen. Wer nun auf solche Weise regiert, der mag während der Dauer seiner Herrschaft nach Willkür über Zeit, Ort und Einrichtung unseres Lebens verfügen und bestimmen.«

Diese Worte wurden von der Gesellschaft mit lebhaftem Beifall aufgenommen, und Pampinea wurde einstimmig zur Königin des ersten Tages erwählt. Filomena aber lief eilig nach einem Lorbeerstrauch; denn oft genug hatte sie sagen hören, welcher Ehre das Laub des Lorbeers würdig ist und wie ehrwürdig es den macht, der mit ihm bekränzt zu werden verdiene. So brach sie denn einige Reiser von ihm ab und krönte Pampinea mit dem daraus geflochtenen stattlichen Kranze, der von diesem Tage an, solange die Gesellschaft beisammenblieb, für jeden als sichtbares Zeichen der königlichen Macht und Herrlichkeit diente.

Pampinea, die nun Königin war, gebot jedermann Stillschweigen und sagte, als alle aufmerkten und die Diener der drei jungen Männer nebst den vier Dienerinnen der Mädchen auf ihren Befehl erschienen waren: »Um euch allen zum Anfang eine Probe zu geben, auf welchem Wege wir, vom Guten zum Besseren fortschreitend, unsere Gesellschaft in Anstand und Vergnügen, und ohne daß unser guter Ruf darunter leidet, so lange aufrechterhalten können, wie es uns gefallen wird, ernenne ich zuerst Parmeno, den Diener des Dioneo, zu meinem Seneschall; ihm übertrage ich Sorge und Aufsicht über die ganze Dienerschaft, über Küche und Keller. Sirisco, des Panfilo Diener, sei unter des Parmeno Oberbefehl unser Rechnungsführer und Schatzmeister. Tindaro mag Filostrato, seinem Herrn, und den beiden anderen Männern in ihren Gemächern aufwarten, wenn deren Diener durch ihre neuen Pflichten daran gehindert sind. Meine Misia und Filomenas Licisca können ausschließlich den Küchendienst besorgen und die Speisen sorgfältig bereiten, wie Parmeno es ihnen auftragen wird. Laurettas Chimera und Fiammettas [30] Stratilia bleibe es überlassen, die Zimmer von uns Mädchen in Ordnung zu halten und für die Sauberkeit der Gesellschaftszimmer Sorge zu tragen. Alle insgemein aber sollen sich auf unseren ausdrücklichen Befehl, wenn ihnen unsere Gnade lieb ist, wohl in acht nehmen, uns andere als gute Nachrichten von draußen zu bringen.«

Kaum hatte Pampinea diese Befehle, die allgemeinen Beifall fanden, kurz und bündig erteilt, als sie munter aufstand und sagte: »Hier gibt es Gärten und frische Wiesen, hier sind anmutige Plätze in Menge. So möge denn ein jeder nach Gefallen lustwandeln gehen, sich aber wieder hier einfinden, wenn die dritte Morgenstunde schlägt, damit wir noch im Kühlen speisen können.«

So gingen denn die jungen Männer, nachdem die neue Königin solcherart die muntere Gesellschaft beurlaubt hatte, in ergötzlichen Gesprächen mit den schönen Mädchen langsamen Schrittes im Garten einher, wanden sich bunte Kränze aus mancherlei Blumen und sangen Liebeslieder. Als die Zeit verstrichen war, welche die Königin ihnen gewährt hatte, kehrten sie zum Hause zurück und fanden, daß Parmeno sein Amt voll Eifer angetreten hatte. In einem Saal des Erdgeschosses waren die Tafeln mit schneeweißem Linnen gedeckt, Trinkgläser, die wie Silber blinkten, standen umher, und alles war mit Ginsterblüten zierlich geschmückt. Das Wasser zum Händewaschen ward auf Befehl der Königin herumgereicht, und dann setzten sich alle in der von Parmeno bestimmten Ordnung. Leckere Speisen wurden aufgetragen und der Tisch mit köstlichen Weinen besetzt, worauf die drei Diener, ohne viel Worte zu verlieren, den Tafeldienst versahen. Die gute Zubereitung und Anordnung der Mahlzeit erheiterte jeden, gefällige Scherze und gemeinsame Heiterkeit würzten die Gerichte.

Die Mädchen und nicht minder die jungen Männer verstanden sich sämtlich auf den Reigentanz. Einige unter ihnen aber besaßen besondere Geschicklichkeit in Spiel und Gesang. Darum ließ die Königin, als die Tische abgeräumt waren, Musikinstrumente herbeibringen, und Dioneo nahm auf ihren Befehl die Laute, Fiammetta eine Geige, und sie begannen, anmutig miteinander einen Tanz zu spielen. Die Königin schickte die Diener zum [31] Essen und tanzte dann mit den anderen Damen und den zwei jungen Männern nach dieser Musik langsamen Schrittes einen Reigen. Dem Tanz folgten anmutige, muntere Lieder. In dieser Art abwechselnd, vergnügte sich die Gesellschaft so lange, bis die Königin glaubte, es sei Zeit zur Mittagsruhe. Darauf entließ sie alle. Die Jünglinge fanden ihre Zimmer von denen der Mädchen getrennt. Dort standen feingedeckte Betten, und alles war mit Blumen bestreut, wie im Speisesaal, und ebenso war es in den Gemächern der Damen. So entkleideten sich denn alle und legten sich schlafen.

Die dritte Nachmittagsstunde hatte noch nicht lange geschlagen, als die Königin aufstand und die anderen Damen, desgleichen die jungen Männer wecken ließ, weil das lange Schlafen bei Tage, wie sie versicherte, der Gesundheit nachteilig wäre. Als alle beieinander waren, suchten sie sich einen Rasenplatz aus, der gar hohes und frisches Gras hatte, der Sonne unzugänglich war und von einer sanften Brise gekühlt wurde. Hier setzten sie sich nach der Königin Geheiß auf dem Rasen in die Runde, und sie begann zu sprechen: »Ihr seht, die Sonne steht noch hoch, die Hitze ist drückend, und nur das Zirpen der Grillen von den Olivenbäumen her unterbricht die schwüle Stille. So wäre es denn offenbare Torheit, jetzt ausgehen zu wollen. Hier ist es, wie ihr seht, kühl und angenehm zu weilen, auch sind Brett- und Schachspiele zur Hand, und jeder kann hier seinem Vergnügen, wie es ihm am besten dünkt, nachgehen. Wolltet ihr jedoch in diesem Punkte meinem Rate folgen, so vertrieben wir uns diese heißen Tagesstunden nicht mit Spielen, wobei der eine Teil verdrießlich wird, ohne dem anderen oder dem Zuschauer besonderes Vergnügen zu gewähren, sondern mit Geschichtenerzählen, da, wenn deren einer erzählt, die ganze Gesellschaft, die ihm zuhört, sich daran ergötzen kann. Noch ehe wir alle an die Reihe gekommen sein werden, eine Geschichte zu erzählen, wird die Sonne sich geneigt und die Hitze nachgelassen haben, und dann können wir lustwandeln gehen, wohin es uns gefällt. Seid ihr nun mit dem zufrieden, was ich euch vorgeschlagen habe, so wollen wir danach tun; doch will ich hierin ganz eurer Meinung folgen. Gefällt euch also mein Vorschlag nicht, so mag jeder bis zum Abend tun, was ihm gefällt.« [32] Mädchen und Männer erklärten sich einstimmig für das Erzählen. »Nun wohl«, sagte die Königin, »da ihr denn wollt, möge für diesen ersten Tag jeder eine Geschichte von beliebigem Inhalt erzählen.« Darauf wandte sie sich zu Panfilo, der zu ihrer Rechten saß, und forderte ihn freundlich auf, mit einer Geschichte aus seinem Vorrat den Anfang zu machen. Kaum hatte er den Befehl vernommen, so hob Panfilo, während alle aufmerkten, also zu reden an:

Erste Geschichte

Herr Chapelet täuscht einen frommen Pater durch eine falsche Beichte und stirbt. Trotz des schlechten Lebenswandels, den er geführt, kommt er nach seinem Tode in den Ruf der Heiligkeit und wird Sankt Chapelet genannt.


Es ziemt sich, ihr liebwerten Damen, ein jedes Ding, das der Mensch unternimmt, mit dem heiligen und wunderbaren Namen dessen zu beginnen, der alle Dinge geschaffen hat. Darum denke ich denn, der ich als erster bei unseren Erzählungen den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren Fügungen zu beginnen, deren Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren bestärken und uns lehren wird, seinen Namen immerdar zu preisen. Es ist offenbar, daß die weltlichen Dinge insgesamt vergänglich und sterblich sowie nach innen und nach außen reich an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren unterliegen, welchen wir, die wir mitten unter ihnen leben und selbst ein Teil von ihnen sind, weder widerstehen noch uns ihrer erwehren könnten, wenn uns Gottes besondere Gnade nicht die nötige Kraft und Fürsorge verliehe. Was diese Gnade anbetrifft, so haben wir uns keineswegs einzubilden, daß sie um irgendeines Verdienstes willen, das wir hätten, über uns komme, vielmehr geht sie nur von seiner eigenen Huld aus und wird den Bitten derer gewährt, die einst wie wir sterblich waren, jetzt aber, weil sie während ihres Erdenwallens seinem Willen folgten, mit ihm im Himmel der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. An sie, als an Fürsprecher, die unsere Schwäche und [33] Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung kennen, richten wir vor allem jene Bitten, die wir vielleicht nicht wagten, unserem höchsten Richter gegenüber laut werden zu lassen. Um so überschwenglichere Gnade haben wir aber in ihm zu erkennen, wenn wir, deren sterbliches Auge auf keine Weise in das Geheimnis des göttlichen Willens eindringen kann, durch falschen Wahn betrogen, einen zu unserem Fürsprecher vor der Majestät Gottes erwählen, den er von seinem Angesicht verbannt hat, und wenn er, vor dem nichts verborgen ist, dessen ungeachtet mehr auf die reine Gesinnung des Bittenden als auf dessen Unwissenheit oder auf des Angerufenen Verdammung sieht und das Gebet ebenso erhört, als ob der vermeintliche Fürsprecher die Seligkeit, ihn zu schauen, genösse. Daß es sich so verhält, wird aus der Geschichte offenbar werden, die ich euch erzählen will. Offenbar nach menschlichem Dafürhalten, sage ich, da Gottes Ratschlüsse uns verborgen bleiben.

Es wird nämlich berichtet, daß Musciatto Franzesi, als er von einem reichen und angesehenen Kaufherrn zum Edelmanne geworden war und nun mit dem Bruder des Königs von Frankreich, dem vom Papst Bonifaz herbeigerufenen und unterstützten Karl ohne Land, nach Toskana ziehen sollte, sich entschloß, seine Geschäfte, welche, wie es bei Kaufleuten der Fall zu sein pflegt, äußerst verwickelt waren, mehreren Bevollmächtigten zu übertragen. Für alles fand er Rat, nur blieb ungewiß, wo er jemanden auftreiben wollte, der geschickt wäre, jene Schulden einzutreiben, die er bei einigen Burgundern ausstehen hatte. Der Grund seines Bedenkens lag darin, daß ihm wohlbekannt war, was für ein wortbrüchiges, händelsüchtiges und abscheuliches Volk die Burgunder sind und daß er sich auf niemand besinnen konnte, der abgefeimt genug gewesen wäre, um ihrer Bösartigkeit mit Erfolg Widerpart zu leisten. Als er in solchem Zweifel lange hin und her überlegt hatte, fiel ihm ein gewisser Ciapperello von Prato ein, der sein Haus in Paris oft zu besuchen pflegte. Die Franzosen, die den Namen Ciapperello nicht verstanden und der Meinung waren, er wolle so viel sagen wie chapeau, was in ihrer Landessprache Kranz bedeutet, nannten diesen Mann, der klein von Gestalt und sehr geschniegelt war, seiner Kleinheit halber nicht Chapeau, sondern Chapelet, [34] unter welchem Namen er denn überall bekannt war, während nur wenige wußten, daß er Ciapperello hieß.

Das Leben, das dieser Chapelet führte, war folgen dermaßen beschaffen: In seinem Beruf als Notar hätte er es für eine große Schande gehalten, wenn eine der von ihm ausgestellten Urkunden, obgleich er deren wenige ausstellte, anders als gefälscht befunden worden wäre. Solcher falschen Urkunden aber machte er, soviel man nur wollte, und dergleichen lieber umsonst als rechtmäßige für schwere Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er auf Verlangen und aus freien Stücken besonders gern ab, und da in Frankreich Eidschwüre um jene Zeit in höchstem Ansehen standen, gewann er, da er sich nicht um einen Meineid scherte, auf unrechtmäßige Weise alle Prozesse, in denen er die Wahrheit nach seinem Gewissen zu beschwören berufen ward. Ausnehmendes Wohlgefallen fand er daran, und großen Fleiß verwandte er darauf, unter Freunden, Verwandten und was sonst immer für Leuten Unfrieden und Feindschaft anzuzetteln, und je größeres Unglück daraus entstand, desto mehr freute er sich. Wurde er aufgefordert, jemand umbringen zu helfen oder an einer anderen Schandtat teilzunehmen, so weigerte er sich niemals und war der erste auf dem Platz. Oft war er auch bereit, mit eigenen Händen zu ermorden und zu verwunden. In seiner beispiellosen Jähheit lästerte er Gott und alle Heiligen um jeder Kleinigkeit willen auf das gräßlichste. In der Kirche ließ er sich niemals antreffen und verspottete alle christlichen Sakramente mit den verruchtesten Worten. Um so mehr war er dafür in den Schenken und anderen Sündenhäusern. Aus Rauben und Stehlen hätte er sich ebensowenig ein Gewissen gemacht, als ein Heiliger daraus, Almosen zu geben. Er fraß und soff in solchem Übermaß, daß er mehrmals knapp mit dem Leben davonkam. Spielen und im Spiel betrügen betrieb er wie ein Handwerk. Doch wozu so viele Worte! Genug, er war der schändlichste Mensch, der vielleicht je geboren ward, und schon seit langer Zeit konnten nur die Macht und das Ansehen des Herrn Musciatto ihm bei seinen Verbrechen durchhelfen, so daß weder Einzelpersonen, die er häufig, noch die Gerichte, die er fortwährend beleidigte, Hand an ihn legten.

Dieser Ciapperello war es, den Herr Musciatto, welcher [35] seinen Lebenswandel sehr genau kannte, jetzt als den rechten Mann auserkor, um der burgundischen Bosheit die Spitze zu bieten. So ließ er ihn denn rufen und sprach zu ihm: »Chapelet, ich stehe, wie du weißt, im Begriff, ganz von hier wegzuziehen, und da ich unter anderm noch mit einer Anzahl von Burgundern zu tun habe, so kenne ich niemand, dem ich mich besser als dir anvertrauen könnte, um von so betrügerischem Volk mein Geld einzutreiben. Du hast jetzt nichts zu tun, und wenn du diese Angelegenheit übernehmen willst, so verspreche ich dir, dich mit den Gerichten auszusöhnen und dir an dem, was du für mich eintreibst, einen Anteil zu lassen, daß du zufrieden sein kannst.« Herr Chapelet, der müßig ging, auch an irdischen Gütern keinen Überfluß hatte und nun den verlieren sollte, der lange Zeit sein Stecken und Stab gewesen war, sagte ohne langes Besinnen und gewissermaßen notgedrungen, ja, er sei gern bereit.

Nach gehöriger Verabredung und nach Empfang der Vollmacht des Herrn Musciatto und der Gnadenbriefe des Königs reiste Chapelet, als Herr Musciatto Paris verlassen, nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte. Hier fing er, wider seine Natur, ganz freundlich und sanftmütig an, seinen Auftrag auszuführen und die Schulden einzufordern, gleichsam als wollte er sich die Bosheit bis zuletzt aufsparen.

Inzwischen war Chapelet ins Haus zweier Brüder aus Florenz gezogen, die Geld auf Wucherzinsen liehen und ihm, Herrn Musciatto zuliebe, viel Ehre erwiesen. In deren Hause erkrankte er jetzt, und obgleich die beiden Brüder ihm sogleich geschickte Ärzte rufen, ihn durch ihre Diener pflegen ließen und überhaupt alles taten, was zu seiner Heilung förderlich sein konnte, so war doch jede Hilfe vergeblich. Dem guten Mann, der nachgerade alt geworden war und liederlich gelebt hatte, ging es nach der Aussage der Ärzte täglich schlechter und schlechter, und es zeigte sich zum großen Leidwesen der Brüder gar bald, daß Chapelet an keiner anderen Krankheit als der des nahen Todes leide.

Diese beiden Brüder nun fingen eines Tages nicht weit von dem Zimmer, wo Chapelet krank lag, folgendermaßen zu reden an: »Was sollen wir mit dem Menschen anfangen«, sagte [36] der eine zum andern. »Wir sind auf jeden Fall seinetwegen in einer sehr verdrießlichen Lage. Ihn jetzt, krank wie er ist, aus dem Hause zu weisen, wäre gewiß unserem Ruf ebenso nachteilig wie unüberlegt von unserer Seite; denn die Leute, die gesehen haben, wie wir ihn erst aufgenommen und für seine Pflege und Heilung gesorgt, wären überzeugt, daß er uns keinen Grund gegeben haben könne, ihn nun als einen Todkranken aus dem Hause zu tun. Auf der anderen Seite aber ist er ein so gottloser Mensch gewesen, daß er weder wird beichten, noch das Abendmahl oder die letzte Ölung wird annehmen wollen, und stirbt er, ohne gebeichtet zu haben, so nimmt keine Kirche den Leichnam auf, und er wird wie ein toter Hund in die Grube geworfen. Sollte er aber auch beichten, so sind seine Sünden so zahlreich und so verrucht, daß nichts dadurch gebessert wird; denn es wird sich weder Mönch noch Pfaffe finden, der ihn lossprechen könnte oder wollte, und stirbt er ohne Absolution, so schmeißen sie ihn auch in die Grube. Kommt es aber so oder so, immer wird das ganze Volk, das ohnehin wegen unseres von ihm verabscheuten Gewerbes äußerst schlecht auf uns zu sprechen ist und Lust genug haben mag, uns auszuplündern, offen gegen uns aufstehen und sagen: ›Diese Hunde von Italienern, die man in der Kirche abweist, wollen wir nicht mehr unter uns dulden.‹ Sie werden unser Haus stürmen und sich kein Gewissen daraus machen, uns nicht nur Hab und Gut zu nehmen, sondern gar leicht sich an unserem Leib und Leben vergreifen. So sind wir denn auf alle Fälle bei Chapelets Tod übel daran.«

Herr Chapelet, der, wie gesagt, ganz nahe bei dem Orte lag, wo die beiden redeten, und wie man es oft bei Kranken findet, ein feines Gehör hatte, verstand alles, was sie über ihn sagten. Er ließ sie zu sich rufen und sprach: »Ich wünsche nicht, daß ihr euch meinetwegen Gedanken macht oder in Furcht seid, daß euch jemand um meinetwillen kränken möchte. Ich habe gehört, was ihr über mich gesprochen habt, und ich bin wohl überzeugt, daß es so käme, wir ihr sagt, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; aber es soll schon anders gehen. Ich habe zu meinen Lebzeiten unserem Herrgott so viel zuleide getan, daß jetzt, wo ich sterbe, ein Streich mehr auch keinen Unterschied[37] machen wird. Darum schafft mir nur den erfahrensten und frömmsten Mönch herbei, den ihr zu finden wißt, und habt ihr den, so laßt mich nur machen. Ich werde eure und meine Angelegenheit schon so besorgen, daß alles gut sein wird und ihr Ursache habt, zufrieden zu sein.«

Obgleich die beiden Brüder daraus noch keine besondere Hoffnung schöpften, gingen sie doch in ein Mönchskloster und verlangten nach einem frommen und verständigen Manne, der einem Italiener, welcher bei ihnen krank liege, die Beichte hören könnte. Man gab ihnen einen bejahrten Mönch mit, der ein heiliges, makelloses Leben führte, ein großer Schriftgelehrter und gar ehrwürdiger Mann war und bei allen Bürgern im besonderen und hohen Ansehen der Heiligkeit stand. Diesen brachten sie zu dem Kranken.

Als er in die Kammer eingetreten war, wo Chapelet lag, und sich an sein Bett gesetzt hatte, hub er freundlich an, ihm Mut zuzusprechen, und dann erst fragte er ihn, wie lange es her sei, daß er zum letzten Male gebeichtet habe. Chapelet, der sein Leben lang nicht gebeichtet hatte, antwortete ihm: »Ehrwürdiger Vater, sonst ist es meine Gewohnheit, alle Woche wenigstens einmal zur Beichte zu gehen, die vielen Male ungerechnet, wo ich öfter gehe; aber ich muß gestehen, jetzt, wo ich krank geworden bin, sind schon acht Tage vergangen, ohne daß ich gebeichtet hätte, soviel Schmerzen hat die Krankheit mir bereitet.«

»Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »daran hast du wohlgetan, und also magst du auch in Zukunft tun. Doch da du so oft beichtest, so sehe ich wohl, ich werde wenig Mühe haben, dich zu fragen und deine Antworten anzuhören.« Chapelet sprach: »Herr Pater, sagt das nicht; wie oft und wie vielmals ich auch zur Beichte gegangen bin, so habe ich mich doch nie entschließen können, anders zu verfahren, als eine Generalbeichte aller meiner Sünden vom Tage meiner Geburt an bis zum Beichttag abzulegen. Darum bitte ich Euch, bester Vater, daß Ihr mich ebenso genau über alles ausfragt, als ob ich nie gebeichtet hätte. Und schont mich nur ja nicht etwa, weil ich krank bin; denn ich will viel lieber dieses mein Fleisch plagen, als aus Schonung dafür irgend etwas tun, was meiner unsterblichen [38] Seele, die mein Heiland mit seinem kostbaren Blute losgekauft hat, zum Verderben gereichen könnte.« Diese Worte hatten den ganzen Beifall des heiligen Mannes und schienen ihm von einem gesammelten Gemüt Zeugnis zu geben.

Nachdem er also diese Gewohnheit Chapelet gegenüber sehr gelobt hatte, fing er an, ihn zu befragen, ob er sich je mit Weibern in Wollust versündigt habe. Chapelet antwortete ihm mit einem Seufzer: »Mein Vater, was das anbetrifft, so schäme ich mich, Euch die Wahrheit zu sagen, denn ich fürchte, sie könnte als eitles Selbstlob ausgelegt werden.« Der heilige Pater entgegnete: »Rede nur ruhig; denn wer die Wahrheit spricht, sei es in der Beichte oder bei anderer Gelegenheit, der sündigt niemals.« »Nun denn«, erwiderte Chapelet, »weil Ihr mich darüber beruhigt, so will ich Euch nur sagen, ich bin noch ebenso rein und unbefleckt, wie ich aus dem Schoße meiner Mutter hervorkam.« »Des möge Gott dich segnen«, sagte der Mönch, »wie wohl hast du daran getan! Und um so verdienstlicher ist deine Keuschheit, da du, wenn du gewollt hättest, weit eher das Gegenteil tun konntest als wir und alle andern, die durch eine Ordensregel gebunden sind.«

Hierauf fragte er ihn, ob er sich je durch Völlerei Gottes Mißfallen zugezogen habe. Mit einem lauten Seufzer antwortete Chapelet: »Allerdings und oftmals.« Denn weil er sich daran gewöhnt habe, außer den vierzigtägigen Fasten, welche fromme Leute jährlich halten, auch allwöchentlich wenigstens drei Tage lang mit Wasser und Brot zu fasten, so habe er das Wasser, vor allem wenn er von Gebeten oder Wallfahrten besonders angestrengt gewesen sei, mit derselben Lust und demselben Wohlgefallen getrunken wie der größte Säufer den Wein. Manchmal habe es ihn auch nach Kräutersalat gelüstet, wie ihn die Bäuerinnen machen, wenn sie aufs Feld gehen, und das Essen habe ihm besser geschmeckt, als es seiner Ansicht nach einem schmecken dürfe, der aus Gottesfurcht faste, wie er es doch getan habe. »Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »das sind Sünden, welche die Natur mit sich bringt; die haben wenig zu bedeuten, und um ihretwillen möchte ich nicht, daß du dein Gewissen mehr als not tut beschwertest. Es geschieht jedem Menschen, wenn er auch noch so heilig ist, daß ihm nach langem Fasten [39] das Essen gut schmeckt und nach großer Anstrengung das Trinken.« »Ach, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »Ihr sprecht so, um mich zu beruhigen. Das solltet Ihr nicht tun. Euch ist ja bekannt, daß ich wohl weiß, wie alles, was man tut, um Gott zu dienen, in ganz reiner Gesinnung, frei von jeder befleckenden Lust getan werden muß und daß, wer dem zuwiderhandelt, sündigt.«

Höchlich zufrieden sagte der Mönch: »Nun, so freut es mich, daß du es so ansiehst, und ich lobe in diesem Stück dein ängstliches und sorgsames Gewissen. Aber sage mir: Hast du dich durch Geiz vergangen und mehr verlangt, als du verlangen solltest, oder behalten, was du nicht behalten durftest?« »Ehrwürdiger Vater«, erwiderte ihm Chapelet, »es sollte mir leid tun, wenn Ihr eine falsche Meinung von mir hättet, weil ich bei den Wucherern hier wohne. Ich habe keinen Teil an ihrem Handwerk; vielmehr bin ich zu ihnen gekommen, um ihnen ins Gewissen zu reden und sie von diesem abscheulichen Erwerbe abzubringen. Auch wäre mir das, wie ich glaube, gelungen, hätte mich Gott nicht so heimgesucht. Ich kann Euch aber sagen, daß mein Vater mir ein schönes Vermögen hinterließ, von dem ich nach seinem Tode den größeren Teil als Almosen weggab. Dann habe ich, um mich zu ernähren und den Armen Gottes beistehen zu können, meinen kleinen Handel getrieben und dabei allerdings den Erwerb im Auge gehabt; was ich aber erworben habe, das habe ich immer mit den Armen gleichmäßig geteilt und meine Hälfte zu meiner Notdurft verbraucht, die andere aber jenen geschenkt. Dafür hat mir aber auch mein Schöpfer beigestanden, so daß meine Geschäfte täglich besser und besser gegangen sind.«

»Daran hast du wohlgetan«, sagte der Mönch. »Aber hast du dich etwa häufig erzürnt?« »Ja«, sagte Herr Chapelet, »das habe ich freilich gar oft getan. Und wer könnte sich wohl dessen enthalten, wenn er die Menschen alle Tage die abscheulichsten Dinge treiben sieht, wenn er beobachtet, wie sie Gottes Gebote nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wohl zehnmal des Tages habe ich lieber tot als lebendig sein wollen, wenn ich sah, wie die jungen Leute den Eitelkeiten der Welt nachliefen, schworen und sich verschworen, in die Schenken, aber um die [40] Kirche herumgingen und weit mehr auf den Wegen der Welt als auf dem Pfade Gottes wandelten.« Darauf erwiderte der Mönch: »Mein Sohn, das ist ein edler Zorn, um dessentwillen ich für mein Teil dir keine Buße aufzuerlegen wüßte. Sage mir aber, wäre es vielleicht möglich, daß du dich irgendeinmal vom Zorn zu einem Mord, zu Schlägereien oder zu Schimpfworten hättest verleiten lassen?« »Ach du meine Güte, Herr Pater«, sagte Chapelet, »ich halte Euch für einen Mann Gottes; wie könnt Ihr doch solche Reden führen. Glaubt Ihr denn, ich bildete mir ein, daß Gott mich so lange am Leben erhalten hätte, wenn mir nur der entfernteste Gedanke gekommen wäre, etwas von dem zu tun, was Ihr da genannt habt? Dergleichen können ja nur Mörder und Straßenräuber tun; sooft ich dergleichen gesehen, habe ich immer gesagt: Geh, und Gott bessere dich.«

»Gott segne dich, mein Sohn«, sprach der Pater. »So sage mir denn, ob du jemals gegen irgendwen falsches Zeugnis abgelegt oder von andern schlecht gesprochen oder wider Willen des Eigentümers dich an fremdem Gute bereichert hast.« »Ach ja, Herr Pater«, sagte Chapelet, »was die üble Nachrede betrifft, freilich ja. Denn einmal hatte ich einen Nachbarn, der seine Frau in einem fort prügelte, ohne den geringsten Anlaß zu haben. Da hat mich denn das Mitleid mit dem armen Weibe, das er, sooft er sich betrunken hatte, jämmerlich zurichtete, einmal so gepackt, daß ich gegen ihre Verwandten recht auf ihn gescholten habe.« »Wohl denn«, antwortete der Mönch, »nun sage mir aber, wie ich höre, so bist du ein Kaufmann gewesen; hast du niemals jemand nach Art der Kaufleute betrogen?« »Ja, wahrhaftig, Herr Pater«, sagte Herr Chapelet, »wie er hieß, das weiß ich aber nicht. Es war einer, der mir Geld brachte, was er für ein Stück Tuch schuldig war, das ich ihm verkauft hatte. Nun tat ich das Geld, ohne es zu zählen, in einen Kasten, und reichlich einen Monat später fand ich, daß es vier Heller mehr waren, als mir zukamen. Wohl ein ganzes Jahr lang habe ich sie aufgehoben; weil ich aber den, dem sie gehörten, in der ganzen Zeit nicht mehr wiedersah, habe ich sie am Ende als Almosen verschenkt.« »Das war eine Kleinigkeit«, sagte der Mönch, »und du hast recht daran getan, so damit zu verfahren.«

[41] Der fromme Mönch fragte ihn noch mancherlei, worauf er immer in dieser Weise antwortete. So wollte denn jener schon zur Absolution schreiten, als Chapelet sprach: »Herr Pater, noch eine Sünde habe ich auf dem Gewissen, die ich Euch nicht gebeichtet.« »Und die wäre?« sagte der Mönch. »Ich entsinne mich«, antwortete jener, »daß ich an einem Samstag gegen Abend von meinem Diener das Haus kehren ließ und also die schuldige Ehrfurcht vor dem Tage des Herrn vergessen habe.« »Mein Sohn«, erwiderte der Geistliche, »das hat weiter nichts zu bedeuten.« »Sagt nicht, das habe nichts zu bedeuten«, entgegnete Chapelet. »Den Sonntag soll man ehren; denn an diesem Tag war es, daß unser Heiland von den Toten auferstand.« Darauf sagte der Mönch: »Und hast du sonst noch etwas zu beichten?« »Ja, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »einmal habe ich in Gedanken in der Kirche ausgespuckt.« Der Mönch fing an zu lächeln und sagte: »Mein Sohn, das sind Dinge, die man sich nicht zu Herzen nehmen soll; wir sind Geistliche und spucken alle Tage in der Kirche aus.« »Und tut daran sehr übel«, sprach Herr Chapelet; »denn nichts auf der Welt soll man so rein halten wie den Tempel des Herrn, in dem man dem Höchsten opfert.«

Um es kurz zu machen, Sünden von dieser Art beichtete er ihm noch eine Menge. Dann fing er an zu seufzen und brach in einen Strom von Tränen aus, deren ihm, wenn er wollte, immer reichlich zu Gebote standen. »Was ist dir, mein Sohn?« sagte der Geistliche. »Ach, Herr Pater«, erwiderte Chapelet, »eine Sünde habe ich noch auf dem Herzen, die habe ich nie gebeichtet, so schäme ich mich, sie zu bekennen; wenn ich nur daran denke, so weine ich, wie Ihr mich jetzt weinen seht, und um dieser Sünde willen kann ich mir auch nicht denken, daß Gott Erbarmen mit mir haben wird.« »Schäme dich, mein Sohn«, entgegnete der Mönch, »was redest du da? Wären alle Sünden, die von allen Menschen jemals zusammen begangen worden sind oder, solange die Welt stehen wird, noch von den Menschen begangen werden, in einem einzigen Menschen vereinigt, und der wäre reuig und zerknirscht, wie ich sehe, daß du es bist, so ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit so groß, daß er sie alle, sobald sie gebeichtet wären, ihm freudig vergeben[42] würde; und so sage denn zuversichtlich, was du getan hast.« Darauf sprach Herr Chapelet, ohne vom Weinen abzulassen: »Ach, ehrwürdiger Vater, es ist eine gar zu schwere Sünde, und wenn es nicht auf Eure Fürbitte hin geschieht, so kann ich kaum glauben, daß Gott sie mir jemals vergeben sollte.« Der Mönch antwortete ihm: »Sage sie nur ruhig, denn ich verspreche dir, daß ich für dich zu Gott beten werde.« Herr Chapelet weinte noch in einem fort und schwieg; der Mönch aber ermunterte ihn erneut, zu reden. Als nun Chapelet den Geistlichen so mit Weinen eine lange Weile hingehalten hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ehrwürdiger Vater, weil Ihr mir denn versprochen habt, Gott für mich zu bitten, so will ich's Euch sagen. Wißt denn, wie ich noch klein war, habe ich einmal meine Mutter geschmäht.« Und kaum hatte er so gesprochen, so hub er von neuem bitterlich zu weinen an. »Mein Sohn«, antwortete der Mönch, »dünkt dich denn das wirklich solch eine schwere Sünde? Lästern die Leute nicht etwa täglich ihren Herrgott? Und doch vergibt er gern einem jeden, der bereut, ihn gelästert zu haben. Und du verzweifelst, für diesen Fehltritt Vergebung zu finden? Fasse Mut und weine nicht; denn wahrlich, wärest du einer von denen gewesen, die unsern Herrn ans Kreuz geschlagen haben, und wärest du so zerknirscht, wie ich es jetzt an dir sehe, so vergäbe er dir.« Darauf sagte Chapelet: »Um Himmels willen, Herr Pater, was sprecht Ihr da? Allzusehr habe ich mich vergangen, und allzu große Sünde war es, daß ich meine Herzensmutter schmähte, die mich neun Monate lang Tag und Nacht im Leibe getragen hat und mich mehr als hundertmal auf den Armen hielt; und wenn Ihr nicht für mich betet, so wird mir's auch nicht verziehen werden.«

Als der Mönch inneward, daß Chapelet weiter nichts zu sagen hatte, sprach er ihn los und gab ihm in der festen Überzeugung, Chapelet, dessen Reden er für lautere Wahrheit nahm, sei ein frommer, gottseliger Mensch, den Segen. Und wer möchte wohl zweifeln, wenn er jemand auf dem Totenbette also reden hörte? Nach dem allen sagte er: »Herr Chapelet, Ihr werdet mit Gottes Hilfe bald wieder gesund sein; sollte es aber dennoch geschehen, daß Gott Eure gesegnete und zum [43] Abschied von dieser Welt bereite Seele zu sich riefe, hättet Ihr alsdann etwas dawider, daß Euer Körper in unserem Kloster beerdigt würde?« »Durchaus nicht«, entgegnete Chapelet; »vielmehr möchte ich sonst nirgends liegen als eben bei Euch. Ihr habt mir ja versprochen, für mich zu beten, und auch ohne das habe ich von jeher besondere Ehrfurcht für Euren Orden gehabt. Und so bitte ich Euch, daß Ihr Christi wahrhaftigen Leib, den Ihr diesen Morgen auf dem Altare eingesegnet habt, mir zusendet, sobald Ihr in Euer Kloster zurückgekommen seid. Denn ich denke ihn, wenn Ihr es gestattet, obgleich unwürdig, zu genießen und dann die letzte heilige Ölung zu empfangen, damit ich, wenn ich als Sünder gelebt habe, wenigstens als Christ sterben möge.« Der heilige Mann sagte, das sei wohl gesprochen und er sei alles zufrieden. Das Sakrament solle dem Kranken sogleich gebracht werden. Und so geschah es.

Die beiden Brüder hatten sehr gefürchtet, Chapelet werde sie täuschen, und sich deshalb der Bretterwand nahe gesetzt, welche die Kammer, in welcher der Kranke lag, von der anstoßenden trennte. Hier hatten sie die ganze Beichte belauscht und bequem verstanden, was Chapelet dem Mönche gesagt. Mehr als einmal reizten die Geschichten, die sie ihn beichten hörten, sie so sehr zum Lachen, daß wenig daran fehlte, so wären sie damit herausgeplatzt. Dann aber sagten sie wieder zueinander: »Himmel, welch ein Mensch ist das, den weder Alter noch Krankheit, noch Furcht vor dem Tode, dem er sich nahe sieht, oder vor Gott, vor dessen Richterstuhl er in wenigen Stunden zu stehen vermuten muß, von seiner Verruchtheit haben abbringen und zu dem Entschluß führen können, anders zu sterben, als er gelebt hat.« Indes, sie hatten gehört, seine Leiche solle in der Kirche aufgenommen werden, und um das Übrige kümmerten sie sich nicht. – Herr Chapelet empfing bald darauf das Abendmahl, dann, als sein Befinden sich über die Maßen verschlechterte, die letzte Ölung und starb noch am Tage seiner musterhaften Beichte, bald nach der Vesper.

Die beiden Brüder besorgten aus dem Nachlaß des Verstorbenen ein anständiges Begräbnis und meldeten den Todesfall im Kloster, damit die Mönche, wie es der Brauch ist, die Nachtwache bei der Leiche halten und sie am andern Morgen abholen sollten.

[44] Der fromme Mönch, der sein Beichtiger gewesen war, besprach sich, als er seinen Tod vernahm, mit dem Prior des Klosters. Er ließ zum Kapitel läuten und schilderte den versammelten Mönchen, welch ein frommer Mann Chapelet, seiner Beichte zufolge, gewesen war. In der Hoffnung, daß Gott durch ihn noch große Wunder verrichten werde, überredete er sie, man müsse diese Leiche notwendig mit besonderer Auszeichnung und Ehrfurcht empfangen. Der Prior und die übrigen Mönche pflichteten in ihrer Leichtgläubigkeit dieser Meinung bei, und so gingen sie denn sämtlich noch spät am Abend in das Haus, wo Chapelets Leichnam lag, und hielten über diesem eine große und feierliche Vigilie.

Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und Mäntelchen angetan, die Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den Leichnam mit Gesang zu holen. Dann trugen sie ihn unter Gepränge und großer Feierlichkeit in ihre Kirche, und fast die ganze Einwohnerschaft des Städtchens, Männer und Frauen, schloß sich dem Zuge an. Als die Leiche in der Kirche niedergesetzt worden war, stieg der Geistliche, dem Chapelet gebeichtet hatte, auf die Kanzel und berichtete von des Verstorbenen frommem Leben, von seinem Fasten, seiner Keuschheit, seiner Einfalt, Unschuld und Heiligkeit die wunderbarsten Dinge. Unter anderm erzählte er, was Herr Chapelet ihm unter Tränen als seine größte Sünde gebeichtet und wie er ihn kaum zu überzeugen vermocht habe, daß Gott ihm auch diese vergeben werde. Dann begann er die Zuhörer zu schelten und sagte: »Ihr aber, ihr von Gott Verdammten, ihr lästert um jedes Strohhalmes willen, der euch zwischen die Füße kommt, Gott, seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese.« Außerdem sagte er noch viel von seiner Herzensgüte und Lauterkeit.

Mit einem Wort, seine Reden, denen die Gemeinde vollkommenen Glauben schenkte, bemächtigten sich in solchem Maße der frommen Herzen der Versammlung, daß alle, sobald der Gottesdienst zu Ende war, sich untereinander stießen und drängten, um dem Toten Hände und Füße zu küssen. Die Kleider wurden ihm auf dem Leibe zerrissen; denn jeder hielt sich für glücklich, wenn er einen Fetzen davon haben konnte. [45] In der Tat mußten die Mönche den Körper den ganzen Tag über ausstellen, daß ihn jedweder nach Gefallen beschauen konnte. In der folgenden Nacht wurde er in einer Kapelle ehrenvoll in einem Marmorsarge bestattet, und schon am Tage darauf fingen die Leute an, den Toten zu besuchen, zu verehren und Lichter anzuzünden. Mit der Zeit gelobten sie ihm Opfergaben und begannen dann, ihrem Versprechen gemäß, Wachsbilder aufzuhängen. Der Ruf seiner Heiligkeit und seine Verehrung wuchsen so sehr, daß nicht leicht jemand in irgendeiner Gefahr einen anderen Heiligen anrief als Sankt Chapelet, wie sie ihn nannten und noch heute nennen, und allgemein wird versichert, daß Gott durch ihn gar viele Wunder getan habe und deren noch täglich an jedem tue, der die Fürsprache dieses Heiligen andächtig erbitte.

So lebte und starb Herr Ciapperello von Prato und wurde ein Heiliger, wie ihr gehört habt. Daß es möglich ist, dieser Mensch sei wirklich im Anschauen Gottes selig, will ich allerdings nicht leugnen, denn so ruchlos und abscheulich sein Leben war, so kann er doch in den letzten Augenblicken seines Lebens so viel Reue empfunden haben, daß Gott sich vielleicht seiner erbarmt und ihn in sein Reich aufgenommen hat. Weil uns dies aber verborgen bleibt, so spreche ich nach dem, was uns offenbar ist, und sage, daß er vielmehr in den Krallen des Teufels verdammt als im Paradiese zu sein verdient. Verhält es sich aber so, dann können wir deutlich erkennen, wie unermeßlich Gottes Gnade gegen uns ist, die nicht unseren Irrtum, sondern die Lauterkeit unseres Glaubens betrachtet, wenn wir einen seiner Feinde in der Meinung, er sei sein Freund, zum Mittler zwischen ihm und uns machen und er uns erhört, als hätten wir uns einen wahren Heiligen zu unserem Fürsprecher bei seiner Gnade erwählt. Und so empfehlen wir uns ihm denn mit allem, was uns not ist, in der festen Überzeugung, erhört zu werden, damit er uns in diesem allgemeinen Elend und in dieser so heiteren Gesellschaft im Lobe seines Namens, in dem wir sie begonnen, gesund und unversehrt erhalten möge. Und damit schwieg Panfilo.

[46] Zweite Geschichte

Der Jude Abraham geht auf Antrieb des Jeannot von Sevigné nach Rom und kehrt, als er die Schlechtigkeit der Geistlichen dort kennengelernt hat, nach Paris zurück, um Christ zu werden.


Die Geschichte des Panfilo ward von den Damen im ganzen gelobt, wie sie im einzelnen belacht worden war. Nun aber, als sie unter steter Aufmerksamkeit der Zuhörer ihr Ende erreicht hatte, gebot die Königin der Neifile, die ihr zunächst saß, mit einer neuen Geschichte in der angefangenen Art die Unterhaltung fortzusetzen. Neifile, durch Anmut des Betragens nicht minder reizend als durch Schönheit der Gestalt, antwortete, dazu sei sie gerne bereit, und begann folgendermaßen:

Panfilo hat in seiner Geschichte gezeigt, wie Gott in seiner Huld unsere Irrtümer, an denen wir keine Schuld haben, uns nicht anrechnet, und ich gedenke, in der meinigen ein Beispiel davon zu geben, wie eben diese göttliche Huld sich uns untrüglich durch die Langmut offenbart, mit welcher sie die Fehler derjenigen erträgt, die vielmehr berufen wären, durch Wort und Tat von Gott zu zeugen. Solche Einsicht möge uns alsdann mit um so größerer Festigkeit unserem Glauben nachleben lassen.

In Paris lebte, wie mir erzählt worden ist, vor Zeiten ein reicher Kaufherr und wackerer Mann, Jeannot von Sevigné genannt, der, seiner Redlichkeit unbeschadet, einen großen Tuchhandel trieb. Dieser war eng mit einem steinreichen Juden namens Abraham befreundet, der gleichfalls Kaufmann und dabei ehrlich und unbescholten war. Wenn Jeannot nun den tadellosen Lebenswandel seines Freundes betrachtete, so ging es ihm sehr zu Herzen, daß ein so wackerer, verständiger und guter Mann verdammt sein sollte, weil der wahre Glaube ihm fehlte. So bat er ihn denn als Freund, er möge den Irrtümern des jüdischen Glaubens entsagen und zu dem allein wahren christlichen übertreten, dessen Heiligkeit und Güte sich schon durch sein fortwährendes Wachsen und Gedeihen kundgäben, während das Judentum immer mehr verfalle und seinem nahen Ende zueile.

[47] Der Jude erwiderte, daß er keinen Glauben als allein den jüdischen für gut und heilig halte: in dem sei er geboren, in dem gedenke er zu sterben und davon werde ihn nichts jemals abbringen können. Jeannot ließ sich dadurch nicht abhalten, nach Verlauf einiger Tage auf denselben Gegenstand zurückzukommen und ihm, so gut oder auch so schlecht, wie es die Mehrzahl der Kaufleute versteht, auseinanderzusetzen, daß und warum der christliche Glaube besser ist als der jüdische. Sei es nun, daß die große Freundschaft für Jeannot ihn bewog oder daß vielleicht Worte, die der Heilige Geist dem unwissenden Manne in den Mund gelegt, ihn überzeugten, genug, obwohl Abraham ein großer jüdischer Schriftgelehrter war, fing er dennoch an, einigen Gefallen an Jeannots Reden zu finden; indes ließ seine Hartnäckigkeit ihn seinen Glauben immer noch nicht aufgeben.

Wie er nun in seiner Verstocktheit beharrte, Jeannot aber nie abließ, ihm zuzureden, sagte der Jude endlich, von den dringenden Bitten des anderen bewogen: »Jeannot, du wünschst, daß ich Christ werden soll, und ich bin gesonnen, es zu werden, doch unter der Bedingung, daß ich zuvor nach Rom gehe, um den zu sehen, der, wie du versicherst, der Statthalter Gottes auf Erden ist, und um sein und seiner Brüder, der Kardinäle, Leben und Betragen kennenzulernen. Ist es dann so beschaffen, daß ich teils daraus, teils aus deinen Worten mich überzeugen kann, euer Glaube sei wirklich besser als der meinige, wie du dich mir zu beweisen bemüht hast, dann werde ich tun, wie ich dir gesagt habe. Trifft dies aber nicht zu, dann will ich bleiben, wie ich bin.«

Als Jeannot diesen Entschluß vernahm, ward er über die Maßen betrübt und sprach bei sich selbst: »Nun ist alle Mühe umsonst, die ich für trefflich angewandt hielt, wenn ich meinen Freund bekehrte; denn geht er nach Rom an den Hof und sieht dort das ruchlose Leben der Geistlichen, so wird er niemals vom Juden zum Christen werden, ja, wenn er sich schon hätte taufen lassen, kehrte er gewiß zum Judentum zurück.« Zu Abraham aber sagte er: »Ach, lieber Freund, wozu willst du dir so viele und so große Kosten machen, wie die Reise nach Rom sie erforderte? Abgesehen davon, daß ein reicher Mann, [48] wie du es bist, mag er zu Wasser oder zu Lande reisen, immer in Gefahr ist. Denkst du denn, dich kann hier niemand taufen? Und wenn du ja noch Bedenken über den Glauben hast, den ich dir verkündige, so gibt es ja nirgends größere Gelehrte, verständigere Männer als eben hier, um dich über alles, was du willst oder verlangst, genügend aufzuklären. Darum ist diese ganze Reise meiner Meinung nach vollkommen überflüssig. Denke dir, daß die hohe Geistlichkeit ebenso ist, wie du sie hier gesehen hast, und nur noch um soviel besser, als sie dem obersten Hirten näher steht. Willst du also meinem Rate folgen, so versparst du dir diese Mühe auf ein andermal zu einer Wallfahrt, und alsdann ist es leicht möglich, daß ich selbst dich begleite.«

Der Jude antwortete ihm: »Jeannot, ich bin überzeugt, daß es sich verhält, wie du sagst. Ich bin aber, um es mit einem Worte zu sagen, völlig entschlossen zu reisen, wenn anders du noch wünschst, daß ich deinen vielen Bitten nachgebe. Ohne das werde ich mich niemals taufen lassen.« Als Jeannot sah, daß er auf seinem Willen beharrte, sagte er: »Nun, so reise mit Gott.« Bei sich aber dachte er, Abraham werde, wenn er erst den römischen Hof gesehen habe, nie und nimmer ein Christ werden. Da es ihn aber weiter nichts anging, so ließ er ihn gewähren.

Der Jude stieg zu Pferde und eilte nach Rom, so rasch er konnte. Am Ziel angelangt, ward er von seinen Glaubensgenossen auf das ehrenvollste empfangen. Er aber begann, ohne über den Zweck seiner Reise jemandem etwas zu sagen, mit aller Vorsicht das Leben des Papstes, der Kardinäle und der übrigen Prälaten und Hofleute zu beobachten. Was er, von einem nicht gewöhnlichen Scharfblick unterstützt, selbst wahrnahm, und was er hier und da von andern erfuhr, überzeugte ihn nun bald, daß sie allesamt der Wollust, und zwar nicht nur der natürlichen, sondern auch der sodomitischen, frönten, ohne sich irgend Zaum und Zügel von Scham oder Schande anlegen zu lassen, so daß in den wichtigsten Angelegenheiten der Einfluß der feilen Dirnen und der Knaben von nicht geringer Wichtigkeit war. Außerdem fand er in ihnen insgeheim Schlemmer, Säufer, Trunkenbolde und Geschöpfe, die nach Art der [49] unvernünftigen Tiere nächst der Wollust mehr dem Bauche als irgend etwas anderem gehorchten. Bei genauerer Betrachtung lernte er sie noch außerdem als so geizig und geldgierig kennen, daß sie mit Menschen-, ja mit Christenblut und mit den heiligsten Dingen, Opfern, geistlichen Pfründen oder welcher Art sie immer sein mochten, um Geld einen abscheulichen Handel trieben. Ärger sah er sie dabei markten und mehr Makler beschäftigen als jemals in Paris beim Verkauf der Tücher oder irgendeiner andern Ware. Offenbare Bestechung hörte er Fürsprache und unverschämte Gierigkeit Diäten nennen, als ob Gott nicht den bösen Willen im verworfenen Herzen, geschweige denn den wahren Sinn der Worte erkennte und nach Art der Menschen sich durch den Namen der Dinge täuschen ließe. Alles dies und noch manches andere, das ich besser verschweige, mißfiel unserem Juden, der ein sittenreiner und gesetzter Mann war, auf das äußerste, und da er genug gesehen zu haben glaubte, beschloß er, nach Paris zurückzukehren, und tat also.

Sobald Jeannot seine Rückkehr erfahren hatte, besuchte er ihn, ohne einige Hoffnung, daß Abraham Christ würde, und beide freuten sich herzlich des Wiedersehens. Als er indes sich einige Tage ausgeruht hatte, fragte ihn Jeannot, was er nun von dem Heiligen Vater, von den Kardinälen und anderen Hofleuten denke. Schnell antwortete der Jude: »Nichts Gutes denke ich von ihnen, und nichts Gutes haben sie von Gott zu erhoffen. Und ich sage dir, ich müßte mich sehr getäuscht haben, aber ich habe dort an keinem Geistlichen eine Spur von Frömmigkeit, Andacht, guten Werken, musterhaftem Wandel oder dergleichen mehr bemerkt. Wohl aber sah ich, wie Wollust, Geiz, Völlerei und andere und schlimmere Laster, wenn es schlimmere gibt, bei ihnen so beliebt waren, daß ich jene Stadt eher für eine Werkstätte des Teufels als Gottes halte. Auch scheint es mir, nach meinem Dafürhalten, daß sowohl euer Oberhirt als auch die übrigen insgesamt nach seinem Beispiele mit allem Eifer, allem Scharfsinn und aller Mühe bestrebt sind, die christliche Religion, deren Grundpfeiler und Stützen sie zu sein berufen wären, ganz zu zerstören und aus der Welt zu vertreiben.

[50] Da ich nun aber sehe, daß nicht geschieht, worauf jene hinarbeiten, sondern daß eure Religion sich vielmehr täglich weiter ausbreitet, glänzender und herrlicher erscheint, so muß ich wohl zu erkennen glauben, daß der Heilige Geist sie als heilig und wahrhaftig vor allen andern stützt und aufrecht erhält. Aus diesem Grunde sage ich dir jetzt klar und offen: so wenig ich früher deinen Aufforderungen, Christ zu werden, Gehör schenkte, so wenig kann mich jetzt etwas auf der Welt von meinem Vorsatz abhalten, den christlichen Glauben anzunehmen. Laß uns also schnell in die Kirche gehen und mache, daß ich dort nach dem Gebrauche eures heiligen Glaubens die Taufe empfange.«

Jeannot, der das genaue Gegenteil dieses Schlusses erwartet hatte, war nun der froheste Mensch von der Welt. Sogleich ging er mit Abraham nach der Kirche Unserer lieben Frauen in Paris und bat dort die Geistlichkeit, daß sie seinen Freund taufen möchten. Kaum hatten sie seine Bitte vernommen, so waren sie schnell bereit, sie zu erfüllen, und Jeannot vertrat bei ihm Patenstelle und nannte ihn Johannes. Dann ließ er ihn von tüchtigen Meistern in unserem Glauben unterrichten. Abraham aber lernte schnell und war ein wackerer, tüchtiger Mann von frommem Wandel.

Dritte Geschichte

Der Jude Melchisedech entgeht durch eine Geschichte von drei Ringen einer großen Gefahr, die ihm Saladin bereitet hat.


Als Neifile schwieg und ihre Geschichte von allen gelobt worden war, fing Filomena nach dem Wunsche der Königin also zu sprechen an:

Die Erzählung Neifiles erinnert mich an die gefährliche Lage, in der sich einst ein Jude befand, und da von Gott und der Wahrheit unseres Glaubens bereits in angemessener Weise gesprochen worden ist, es mithin nicht unziemlich erscheinen kann, zu den Schicksalen und Handlungen der Menschen [51] herniederzusteigen, so will ich euch diese Geschichte erzählen, die euch vielleicht lehren wird, vorsichtiger zu sein, wenn ihr auf vorgelegte Fragen zu antworten habt. Ihr müßt nämlich wissen, daß, wie die Torheit gar manchen aus seiner glücklichen Lage reißt und in tiefes Elend stürzt, so den Weisen seine Klugheit aus großer Gefahr errettet und ihm vollkommene Ruhe und Sicherheit gewährt. Wie der Unverstand oft vom Glück zum Elend führt, zeigen viele Beispiele, die wir gegenwärtig nicht zu erzählen gesonnen sind, weil deren täglich sich unter unseren Augen zutragen. Wie aber die Klugheit helfen kann, werde ich euch, mei nem Versprechen gemäß, in dem folgenden kurzen Geschichtlein zeigen.

Saladin, dessen Trefflichkeit so groß war, daß sie ihn nicht nur von einem geringen Manne zum Sultan von Babylon erhob, sondern ihm auch vielfach Siege über sarazenische und christliche Fürsten gewährte, hatte in zahlreichen Kriegen und in großartigem Aufwand seinen ganzen Schatz geleert und wußte nun, da neue und unerwartete Bedürfnisse wieder eine große Geldsumme erheischten, nicht, wo er sie so schnell, wie er ihrer bedurfte, auftreiben sollte. Da erinnerte er sich eines reichen Juden namens Melchisedech, der in Alexandrien auf Wucher lieh und nach Saladins Dafürhalten wohl imstande gewesen wäre, ihm zu helfen, aber so geizig war, daß er es aus freien Stücken nie getan hätte. Gewalt wollte Saladin nicht gebrauchen; aber das Bedürfnis war dringend, und es stand bei ihm fest, auf die eine oder andere Art sollte der Jude ihm helfen. So sann er denn nur auf einen Vorwand, ihn unter einigem Scheine von Recht zwingen zu können.

Endlich ließ er ihn rufen, empfing ihn auf das freundlichste, hieß ihn neben sich sitzen und sprach alsdann: »Mein Freund, ich habe schon von vielen gehört, du seiest weise und habest besonders in göttlichen Dingen tiefe Einsicht. Darum wüßte ich gern von dir, welches unter den drei Gesetzen du für das wahre hältst, das jüdische, das sarazenische oder das christliche.« Der Jude war in der Tat ein weiser Mann und erkannte wohl, daß Saladin ihm solcherlei Fragen nur vorlegte, um ihn in seinen eigenen Worten zu fangen. Auch sah er, daß, welches von diesen Gesetzen er auch vor den andern loben möchte, [52] Saladin immer seinen Zweck erreichte. So bot er denn schnell seinen ganzen Scharfsinn auf, um eine unverfängliche Antwort, wie sie ihm not tat, zu finden. Schon fiel ihm auch ein, wie er sprechen mußte, und er sagte:

»Mein Gebieter, die Frage, die Ihr mir vorlegt, ist schön und tiefsinnig. Soll ich aber meine Meinung darüber sagen, so muß ich Euch eine kleine Geschichte erzählen, die Ihr sogleich vernehmen sollt. Ich erinnere mich, oftmals gehört zu haben, daß vor Zeiten ein reicher und vornehmer Mann lebte, der vor allen anderen auserlesenen Juwelen, die er in seinem Schatz verwahrte, einen wunderschönen und kostbaren Ring wert hielt. Um diesen seinem Werte und seiner Schönheit nach zu ehren und ihn auf immer im Besitz seiner Nachkommen zu erhalten, ordnete er an, daß derjenige unter seinen Söhnen, der den Ring, als ihm vom Vater übergeben, vorzeigen könnte, für seinen Erben gelten und vor allen anderen als der vornehmste geehrt werden sollte. Der erste Empfänger des Ringes traf unter seinen Kindern eine ähnliche Verfügung und verfuhr dabei wie sein Vorfahre. Kurz, der Ring ging von Hand zu Hand auf viele Nachkommen über. Endlich aber kam er in den Besitz eines Mannes, der drei Söhne hatte, die sämtlich schön, tugendhaft und ihrem Vater unbedingt gehorsam waren, daher auch gleich zärtlich von ihm geliebt wurden. Die Jünglinge wußten, welche Bewandtnis es mit dem Ringe hatte, und da ein jeder der Geehrteste unter den Seinigen zu werden wünschte, baten alle drei einzeln den Vater, der schon alt war, inständig um das Geschenk des Ringes. Der gute Mann liebte sie alle gleichmäßig und wußte selber keine Wahl unter ihnen zu treffen. So versprach er denn den Ring einem jeden und sann über ein Mittel nach, um alle zu befriedigen. Zu diesem Ende ließ er heimlich von einem geschickten Meister zwei andere Ringe fertigen, die dem ersten so ähnlich waren, daß er selbst, der doch den Auftrag gegeben hatte, den rechten kaum zu erkennen wußte. Als er auf dem Totenbette lag, gab er heimlich jedem der Söhne einen von den Ringen. Nach des Vaters Tod nahm ein jeder Erbschaft und Vorrang für sich in Anspruch, und da einer dem andern das Recht dazu bestritt, zeigte jeder, um seine Forderung zu begründen, den Ring vor, [53] den er erhalten hatte. Da sich nun ergab, daß die Ringe einander so ähnlich waren, daß niemand erkennen konnte, welcher der echte sei, blieb die Frage, welcher von ihnen des Vaters echter Erbe sei, unentschieden, und bleibt es noch heute.

So sage ich Euch denn, mein Gebieter, auch von den drei Gesetzen, die Gottvater den drei Völkern gegeben und über die Ihr mich befraget. Jedes der Völker glaubt seine Erbschaft, sein wahres Gesetz und seine Gebote zu haben, damit es sie befolge. Wer es aber wirklich hat, darüber ist, wie über die Ringe, die Frage noch unentschieden.«

Als Saladin erkannte, wie geschickt der Jude den Schlingen entgangen war, die er ihm in den Weg gelegt hatte, beschloß er, ihm seine Not geradewegs zu entdecken. Dabei verschwieg er ihm nicht, was er im Sinne getragen, wenn jener ihm nicht mit soviel Geistesgegenwart geantwortet hätte. Der Jude diente ihm nun bereitwillig mit jeder Summe, die er verlangte, und Saladin erstattete ihm nicht nur das Darlehen vollständig zurück, sondern überhäufte ihn auch mit Geschenken und behielt ihn immerdar als Freund unter denen, die ihm am nächsten standen.

Vierte Geschichte

Ein Mönch befreit sich von einer schweren Strafe, die er verwirkt hat, indem er seinem Abte dasselbe Vergehen auf geschickte Weise vorhält.


Kaum war Filomena am Ende ihrer Geschichte angelangt und schwieg, als Dioneo, der neben ihr saß, erkannte, daß die Reihe, der begonnenen Ordnung gemäß, jetzt an ihm sei. Darum begann er, ohne einen besonderen Befehl der Königin abzuwarten, also:

Holdselige Damen! Habe ich eure gemeinsame Absicht richtig verstanden, so sind wir hier, um einander wechselseitig durch Erzählungen zu ergötzen. Darum denke ich, solange jenem Zwecke nicht zuwidergehandelt wird, wie auch unsere Königin zuvor ausdrücklich betont hat, muß es einem jeden erlaubt [54] sein, zu erzählen, was seiner Meinung nach am meisten Vergnügen machen wird. Wir haben schon gehört, wie die guten Ermahnungen des Jeannot von Sevigné dem Abraham zur Seligkeit verhalfen und wie Melchisedech durch Geistesgegenwart seine Reichtümer vor den Nachstellungen Saladins rettete, und so hoffe ich, ihr werdet mich nicht tadeln, wenn ich euch mit wenigen Worten erzähle, auf wie schlaue Weise ein Mönch sich von schwerer Strafe befreite.

In der Lunigiana, einer nicht weit von hier gelegenen Landschaft, besaß ein Kloster vorzeiten größere Heiligkeit und mehr Mönche, als dies heute der Fall ist. Hier lebte unter anderm ein junger Mönch, dessen Männlichkeit und Jugendfrische weder Nachtwachen noch Fasten zu bändigen vermochten. Als dieser eines Tages um die Mittagszeit, wo alle andern Mönche schliefen, bei der Kirche, die gar einsam gelegen war, umherging, trafen seine Augen auf eine ganz hübsche Bauerndirne, die einem der Landarbeiter zugehören mochte und jetzt auf den Feldern Kräuter sammeln ging. Kaum hatte er sie gesehen, als die Lüsternheit ihm gewaltig zusetzte. Er machte sich an sie heran, begann mit ihr zu plaudern, ein Wort gab das andere, bis sie endlich einig wurden und er sie, ohne von jemand bemerkt zu werden, auf seine Zelle führte. Während er nun, von allzu großer Lust hingerissen, etwas unvorsichtig mit ihr scherzte, geschah es, daß der Abt, der inzwischen aufgestanden war und leise an der Zelle unseres Mönchs vorüberging, das Geflüster dieser beiden vernahm. Um die Stimmen besser zu unterscheiden, näherte er sich behutsam der Zellentür, und als er nun deutlich erkannte, daß ein Weib drinnen sei, war er im Begriff, Einlaß zu fordern. Dann beschloß er aber, es anders damit zu halten, und kehrte in sein Gemach zurück, um dort zu warten, bis der Mönch herauskäme.

Obgleich dieser inzwischen in dem Genusse des Mädchens das höchste Behagen gefunden, hatte ihn doch die Angst niemals verlassen, und da es ihm so vorgekommen war, als hörte er vom Schlafsaal her Tritte, so legte er das Auge an eine kleine Öffnung in der Tür und sah deutlich den Abt dastehen und ihn belauschen. Er begriff nun leicht, der Abt werde innegeworden sein, daß er das Mädchen bei sich habe, und da die [55] schwere Strafe, die darauf stand, ihm nicht unbekannt war, wurde er sehr betrübt. Ohne indes dem Mädchen seine Besorgnisse zu zeigen, dachte er schnell hin und wider, ob sich nicht irgendein Rettungsmittel finden ließe, und in der Tat fiel ihm eine wohlersonnene List ein, die sicher zum gewünschten Ziel zu führen versprach. Er tat nämlich, als habe er sich zur Genüge an dem Mädchen ergötzt, und sagte zu ihm: »Ich gehe, um auszukundschaften, wie ich dich ungesehen herausschaffen kann. Halte dich also ruhig, bis ich wiederkomme.« Dann schloß er seine Zelle zu, ging geradewegs in das Zimmer des Abtes und sagte diesem, indem er wie jeder Mönch, der ausging, seinen Schlüssel übergab, mit unbefangener Miene: »Hochwürden, heute morgen konnte ich nicht alles Holz hereinschaffen, das ich hatte schlagen lassen, und möchte nun mit Eurer Erlaubnis in den Wald gehen, um das übrige zu holen.« In der Meinung, der Mönch wisse nicht, daß er von ihm belauscht worden sei, war der Abt zufrieden, daß es so kam, beurlaubte jenen willig und nahm den Schlüssel, um den Fehltritt, den der Mönch begangen hatte, genau zu erforschen.

Sobald er sich allein sah, fing er zu überlegen an, ob er in Gegenwart aller Mönche die Zelle des Gefallenen öffnen und ihnen so das Verbrechen kundtun sollte, damit sie nicht etwa nachher, wenn er den Mönch bestrafte, sich über ihn beschweren könnten, oder ob er sich lieber vorher von dem Frauenzimmer den Hergang des Handels erzählen lassen sollte. Und weil er bedachte, es könnte am Ende die Frau oder die Tochter eines Mannes sein, dem er die Schande, sie vor allen Mönchen bloßzustellen, nicht gern angetan haben möchte, entschloß er sich, erst zu sehen, wer es sei, und dann das Weitere zu überlegen. So ging er denn in aller Stille nach der Zelle, öffnete die Tür, trat ein und schloß hinter sich wieder zu. Als das Mädchen den Abt eintreten sah, wurde es fast ohnmächtig und fing vor Scham und Furcht zu weinen an. Der hochwürdige Herr aber fühlte beim Anblick des Mädchens, das er hübsch und jung fand, so alt er auch war, die fleischlichen Gelüste nicht minder lebhaft, als sein junger Mönch sie empfunden hatte. »Wahrhaftig«, sprach er zu sich selbst, »warum sollte ich mir nicht ein Vergnügen gönnen, wenn ich es haben kann? Ärger und Verdruß [56] sind, wie ich meine, immer vorrätig, wenn man danach verlangt. Die hübsche Dirne hier ist im Kloster, ohne daß ein Mensch es weiß. Kann ich's dahin bringen, daß sie mir zu Willen ist, so weiß ich nicht, warum ich's lassen sollte. Wer wird es denn erfahren? Gewiß niemand. Und – heimliche Sünde büßt man geschwinde. Solche Gelegenheit gibt es nicht leicht wieder, und ich denke, es ist weise, das Glück wahrzunehmen, das unser Herrgott einem zuschickt.«

Unter diesen Gedanken hatte er den Entschluß, mit dem er gekommen war, völlig umgestoßen, machte sich nun an das Mädchen heran, begann ihm freundlich zuzureden und bat es, nicht mehr zu weinen. So gab ein Wort das andere, und endlich kam es dazu, daß er sein Verlangen geradezu gestand. Das Mädchen war weder von Diamant noch von Stahl und gab den Wünschen des Abtes schnell genug nach. Dieser umarmte und küßte es einige Male und legte sich dann auf das Bett unseres Mönchs. War es mit Rücksicht auf die hohe Würde, die schwer auf ihm lastete, und auf das zarte Alter des Mädchens, oder fürchtete er vielleicht, ihm durch das Gewicht seines Körpers beschwerlich zu fallen, genug, er legte sich nicht auf die Dirne, sondern ließ sie auf sich liegen und ergötzte sich solchergestalt mit ihr eine lange Weile.

Der Mönch, der sich so gestellt hatte, als ob er in den Wald ginge, hatte sich inzwischen im Schlafsaal versteckt und schöpfte im festen Vertrauen auf das Gelingen seines Anschlags neuen Mut, sobald er den Abt ohne Begleitung seine Zelle betreten sah. Als dieser gar die Tür hinter sich abschloß, zweifelte er nicht mehr und schlich sich still aus seinem Versteck zu einer Ritze, durch die er alles sah und hörte, was der Abt sagte und tat. Nachdem nun der Abt sich seiner Meinung nach genug mit der Dirne unterhalten hatte, schloß er sie wieder ein und kehrte in sein Gemach zurück.

Nach einiger Zeit hörte er den jungen Mönch, und in der Meinung, dieser sei inzwischen aus dem Walde zurückgekommen, war er willens, ihn aufs nachdrücklichste zur Rede zu stellen und ins Gefängnis zu sperren, um alsdann die gewonnene Beute allein zu besitzen. So ließ er ihn denn rufen, schalt ihn mit strengen Worten und erzürntem Gesicht und kündigte [57] ihm seine Einkerkerung an. Der Mönch indes antwortete ihm auf der Stelle: »Hochwürdiger Herr, ich bin noch nicht lange genug im Orden des heiligen Benedikt, um dessen Eigentümlichkeiten alle zu kennen. In der Tat habt Ihr mich darin noch nicht unterwiesen, daß die Mönche sich ebenso wie Fasten und Nachtwachen auch die Weiber aufbürden müssen. Da Ihr es mir aber nun gezeigt habt, verspreche ich Euch, wenn Ihr mir diesmal vergebt, nie wieder zu fehlen, sondern immer zu tun, wie ich Euch habe tun sehen.«

Der Abt, der ein verständiger Mann war, erkannte schnell, daß jener sich nicht nur besser als er auf die Sache verstanden, sondern auch alles, was er getan, beobachtet habe. Darum scheute er sich, im Bewußtsein des gleichen Vergehens, dem Mönche etwas anzutun, das doch der eine wie der andere verdient hatte. Er vergab ihm also und befahl ihm Stillschweigen über alles, was er gesehen. Dann aber schafften sie die Dirne vorsichtig aus dem Kloster, in welches die beiden sie vermutlich oft zurückgeholt haben.

Fünfte Geschichte

Die Markgräfin von Montferrat weist die törichte Liebe des Königs von Frankreich durch ein Hühnergericht und ein paar hübsche Worte zurück.


Die Mädchen, die dem Dioneo zuhörten, schämten sich anfangs ein wenig ob seiner Erzählung, wie die sittsame Röte bekundete, die ihre Wangen überflog. Allmählich indes blickten sie bei steigender Aufmerksamkeit einander mit heimlichem Lächeln verstohlen an und unterdrückten kaum ein lautes Gelächter. Als die Geschichte zu Ende war, ließen sie ihn durch neckenden Tadel und Spott empfinden, daß solche Geschichten vor Damen zu erzählen ungeziemend sei. Dann aber gebot die Königin, zu Fiammetta gewandt, die neben Dioneo im Grase saß, dieser, in der Reihe fortzufahren. Fiammetta begann lächelnd und anmutig:

Nicht allein weil Geschichten mich ergötzen, welche, wie die zuletzt erzählten, die Wirkung schneller und treffender Antworten [58] schildern, sondern auch in der Überzeugung, daß es für Männer ebenso löblich ist, nur Frauen zu minnen, die höheren Standes sind als sie selbst, wie für Frauen verständig, die Liebe zu einem höherstehenden Mann von ihrem Herzen fernzuhalten, kommt es mir, da mich die Reihe des Erzählens trifft, in den Sinn, euch durch ein Beispiel zu zeigen, wie eine adelige Dame durch Wort und Tat sich vor solcher Gefahr zu schützen und den Mann, der sie gefährdete, umzustimmen wußte.

Der Markgraf von Montferrat, ein kühner und ritterlicher Mann und Bannerherr der Kirche, war mit einem der Kreuzzüge übers Meer ins Morgenland gefahren. Als nun am Hofe König Philipps des Einäugigen, der eben damals im Begriff stand, Frankreich zu verlassen, um sich jenem Kreuzzuge anzuschließen, von seiner Tapferkeit die Rede war, äußerte ein Ritter, es sei doch unter der Sonne kein schöneres Paar zu finden als der Markgraf und seine Dame. Denn wie er unter allen Rittern seiner adeligen Tugenden halber gerühmt werde, so sei die Dame vor allen Frauen schön und sittsam. Auf den König machten diese Worte solchen Eindruck, daß er, ohne je die Dame gesehen zu haben, sie sogleich inbrünstig zu lieben begann und beschloß, sich nirgendwo anders als in Genua zu der erwähnten Überfahrt einzuschiffen, um auf der Landreise nach jenem Hafen schicklichen Vorwand zu einem Besuch bei der Markgräfin zu haben, wobei er hoffte, daß es ihm vielleicht in Abwesenheit ihres Gemahls gelingen werde, zum Ziel seiner Wünsche zu kommen.

Wie er sich's vorgenommen, setzte er's auch ins Werk. Er schickte sein ganzes Gefolge voraus und machte sich im Geleit einiger Edelleute allein auf den Weg. Als er sich dem Gebiet des Markgrafen näherte, ließ er der Dame einen Tag zuvor ansagen, daß sie ihn am andern Mittag zum Essen erwarten möge. Die Dame, die klug war und einen schärferen Blick besaß als die meisten andern, erwiderte, daß es ihr eine besonders hohe Gnade sein werde und sie ihn im voraus willkommen heiße. Dann aber sann sie nach, was es bedeuten solle, daß ein so mächtiger König sie in der Abwesenheit ihres Mannes besuchen käme, und sie irrte sich nicht, indem sie den Grund eines solchen Besuchs in dem Ruf erkannte, den ihre Schönheit genoß. [59] Nichtsdestoweniger war sie, ihren feinen Sitten gemäß, entschlossen, ihn ehrenvoll aufzunehmen. Sie ließ diejenigen unter ihren Edelleuten rufen, die nicht mit ihrem Gemahl gezogen waren, und hieß sie, nachdem sie mit ihnen Rat gepflogen hatte, alle notwendigen Anordnungen treffen. Nur die Besorgung des Mahls und der Gerichte behielt sie sich vor. Zu diesem Ende ließ sie in der Eile alle Hennen zusammenbringen, die in der Umgebung zu finden waren, und wies ihre Köche an, nur aus diesen verschiedene Gerichte für die königliche Tafel vorzubereiten.

Am bestimmten Tage kam der König, und die Dame empfing ihn auf das festlichste und ehrenvollste. So hoch die Meinung war, die er nach den Worten des Ritters von ihr gefaßt hatte, in Wirklichkeit schien ihm die Dame noch um vieles schöner, anmutiger und sittsamer, und in Wohlgefallen und Bewunderung wuchs seine Leidenschaft für sie im selben Maße, in dem er die gehegten Erwartungen übertroffen sah. Nachdem er einige Zeit in reichgeschmückten Gemächern, wie sie zum Empfang eines so mächtigen Königs sich ziemen, geruht, setzten sich, als die Essensstunde gekommen war, König und Gräfin an eine Tafel, und die übrigen wurden nach ihrem Range an anderen Tischen bewirtet. Die zahlreichen Schüsseln, die einander folgten, die leckeren und erlesenen Weine, vor allem aber der entzückende Anblick der schönen Dame gewährten dem König großes Behagen.

Als jedoch ein Gang nach dem andern aufgetragen wurde, fing der König an, sich einigermaßen zu wundern, denn er bemerkte, daß alle Gerichte, ihrer Mannigfaltigkeit unerachtet, aus nichts als Hühnerfleisch bereitet waren. Obgleich er nun wohl wußte, die Gegend, in der er sich befand, müsse reich an allerlei Wild sein, und obgleich seine vorhergegangene Anmeldung der Dame volle Zeit gewährt haben mußte, um jagen zu lassen, unterdrückte er doch seine lebhafte Verwunderung und wollte sie nur veranlassen, sich über die Hühner zu äußern. »Schöne Dame«, sagte er, mit heiterem Antlitz ihr zugewandt, »werden hierzulande denn nur Hennen gebrütet, ohne einen Hahn?« Die Dame, die den Sinn der Frage wohl verstand und der Meinung war, daß Gott ihr nun nach ihrem Wunsche Anlaß geboten habe, ihre Gesinnung kundzutun, antwortete, den fragenden König [60] unbefangen anblickend: »Nein, Sire, doch sind die Frauen, wenngleich sie sich in Sitten und Kleidung ein wenig unterscheiden, hier aus dem gleichen Stoffe geschaffen wie anderswo.«

Als der König diese Worte vernahm, begriff er wohl die Absicht der Hennenmahlzeit und der Rede verborgenen Sinn. Er sah ein, daß Worte nichts fruchteten, und da Gewalt hier nicht am Platze war, löschte er denn dies übel angefachte Feuer um seiner Ehre willen mit ebensoviel Weisheit wieder aus, als er es mit Übereilung angezündet hatte. Aus Furcht vor ihren Antworten enthielt er sich aller weiteren Anspielungen und endigte die Mahlzeit, ohne weitere Hoffnung zu nähren. Dann begab er sich, um durch schnelle Abreise den unreinen Grund seines Besuchs zu verhüllen, nachdem er ihr für die genossene Ehre gedankt und sie dem göttlichen Schutze empfohlen hatte, alsbald auf den Weg nach Genua.

Sechste Geschichte

Ein wackerer Mann beschämt durch einen guten Einfall die Heuchelei der Mönche.


Nachdem von allen die Sittsamkeit der Markgräfin und die scherzhafte Weise gelobt worden waren, wie sie den König von Frankreich gezüchtigt, fing Emilia, die neben Fiammetta saß, dem Wunsche der Königin gemäß, kecklich also zu reden an:

So will ich euch denn auch den spaßhaften und treffenden Einfall nicht verschweigen, mit dem ein wackerer Mann sich einmal über einen geizigen Mönch lustig gemacht hat. Vor nicht langer Zeit nämlich war in unserer Stadt ein Minoritenmönch Inquisitor der ketzerischen Greuel, der, wie sehr er auch für heilig und dem christlichen Glauben inbrünstig ergeben zu gelten sich bestrebte, dennoch gleich der Mehrzahl seiner Genossen die Fülle der Geldbeutel mit nicht minderer Sorgfalt als den Mangel an Glauben aufspürte.

In diesem seinem Eifer traf er einmal von ungefähr auf einen Biedermann, der mehr Geld als Vorsicht hatte und dem – nicht etwa aus Gottlosigkeit, sondern in aller Einfalt, vielleicht im [61] Rausch oder in übertriebener Lustigkeit – einmal unter Freunden die Äußerung entschlüpft war, er habe einen Wein von solcher Güte, daß Christus selber davon tränke. Kaum war dem Inquisitor dieses hinterbracht, so hing er dem ehrlichen Manne in Erwägung seiner ansehnlichen Besitzungen und seines fetten Geldbeutels auch schon cum gladiis et fustibus und mit dem größten Ungestüm einen bedenklichen Prozeß an den Hals, der nicht sowohl dem Übeltäter seinen Unglauben benehmen, als des Richters Hände mit Gold füllen sollte und füllte.

Er ließ ihn vor sich rufen und fragte ihn, ob es wahr sei, was er über ihn gehört habe. Der gute Mann bejahte und erzählte den ganzen Hergang der Sache. Der fromme Inquisitor, der vor allem den heiligen Ludwig Goldbart verehrte, entgegnete: »Also zu einem Säufer, zu einem Auskundschafter guter Weine machst du den Herrn Christus, als wäre er ein Trunkenbold oder einer von euch versoffenen Wirtshausbrüdern. Und nun möchtest du mit demütigen Redensarten die Sache gern als unbedeutend darstellen. Das geht aber nicht so, wie du dir einbildest. Wollen wir nach Pflicht und Gewissen mit dir verfahren, so bist du dem Scheiterhaufen verfallen.«

Mit solchen und vielen ähnlichen Worten und mit erzürnter Miene setzte er dem armen Manne zu, als wäre dieser Epikur, der die Unsterblichkeit der Seele leugnete, selber gewesen. Auch gelang es ihm in kurzem, den Beschuldigten so in Angst zu versetzen, daß dieser, um Barmherzigkeit von ihm zu erlangen, ihm durch Vermittlung dienstfertiger Leute die Hände ansehnlich mit dem Fett des heiligen Ludovicus Goldmund salben ließ, welches in pestilenzialischen Geistesübeln, besonders bei Bettelmönchen, die kein Geld anrühren dürfen, Wunder tut. Obgleich Galen in seiner ganzen medizinischen Wissenschaft nirgends von dieser Salbe redet, so ist sie doch von ungemeiner Wirkung. Sie bekundete diese auch hier in solchem Maße, daß sie den angedrohten Scheiterhaufen mit einem Bußkreuz vertauschen half, das der fromme Inquisitor, als gelte es eine Kreuzfahrt übers Meer, ihm zu größerer Schönheit der Flagge gelb im schwarzen Felde gab. Überdies behielt er ihn, nach richtigem Empfang des Geldes, noch einige Tage bei sich und legte ihm während dieser Zeit als Buße auf, alle Morgen die Kreuzmesse zu hören und [62] sich um Mittag ihm vorzustellen, worauf er dann den Rest des Tages frei sein sollte, um zu tun, was ihm beliebe.

Unser Büßender tat gewissenhaft, wie ihm geheißen war, und so geschah es denn, daß er eines Morgens in der Messe ein Evangelium hörte, in welchem folgende Worte gesungen wurden: »Ihr werdet es hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.« Der Biedermann merkte sich diese Worte genau, und als er, dem Befehle gemäß, am Mittag vor den Inquisitor kam, fand er diesen gerade bei Tische sitzen. Der Inquisitor fragte ihn, ob er am Morgen die Messe gehört habe. »Ja, Herr«, erwiderte jener sogleich. »Hast du dort«, fragte der Inquisitor, »nichts gehört, das dir Zweifel erregt, oder worüber du Auskunft wünschtest?« »Wahrlich«, entgegnete der gute Mann, »ich bezweifle nichts von dem, was ich gehört habe, sondern glaube an alles als vollkommene Wahrheit. Wohl aber habe ich etwas gehört, um dessentwillen ich Euch und andere Mönche von Herzen bedauert habe und noch bedaure, wenn ich bedenke, in welch traurigen Zustand Ihr in jener Welt kommen werdet.«

Darauf sagte der Inquisitor: »Und was für eine Stelle war es denn, die solches Mitleid mit uns in dir erweckt hat?« »Ach, Herr«, sagte jener, »die Worte des Evangeliums waren es, worin es heißt: Ihr werdet es hunderfältig nehmen.« »So steht es allerdings geschrieben«, erwiderte der Inquisitor, »was veranlaßt dich aber, uns deshalb zu bedauern?« »Das will ich Euch sagen«, antwortete der Büßende. »Seit ich hier ins Kloster gekommen bin, habe ich gesehen, daß alle Tage den vielen Armen ein, manchmal zwei große Kessel Suppe hinausgegeben werden, die Ihr Euch entzieht, weil Ihr sie übrig habt. Sollt Ihr die nun alle dort im Jenseits hundertfältig wiederkriegen, so müßt Ihr ja notwendig in all der Suppe ersaufen.«

Die ganze Tischgesellschaft des Inquisitors lachte laut auf. Er aber fühlte wohl den beißenden Tadel der mönchischen Suppenheuchelei und wurde ganz betroffen. Hätte nicht schon der erste Prozeß ihm Schande genug gebracht, so hätte er dem ehrlichen Mann gern noch einen zweiten angehängt, daß er ihn und seine Gesellen in der Faulheit so zum besten gehabt. So aber befahl er ihm ärgerlich, zu tun, was er wolle, und sich nicht mehr vor ihm blicken zu lassen.

[63] Siebente Geschichte

Bergamino beschämt auf feine Weise Herrn Cane della Scala wegen einer plötzlichen Anwandlung von Geiz, indem er ihm eine Geschichte von Primasseau und dem Abt von Clugny erzählt.


Die Königin und alle andern mußten über Emilias spaßhafte Geschichte lachen und den lustigen Einfall des Kreuzträgers loben. Als aber das Gelächter vorüber war und ein jeder sich beruhigt hatte, fing Filostrato, an dem die Reihe war, wie folgt zu reden an:

Lobenswert ist es, ihr schönen Damen, wenn jemand ein festes und unveränderliches Ziel zu erreichen weiß. Fast einem Wunder gleich ist aber die Geschicklichkeit des Schützen zu achten, der einen unerwarteten und plötzlich erscheinenden Gegenstand sogleich zu treffen vermag. Das lasterhafte und schmutzige Leben der Geistlichen ist in vielen Dingen ein so bestimmtes Anzeichen ihrer inneren Schlechtigkeit, daß es zu Spott und Tadel einem jeden, der ihn nur immer suchen mag, leicht genug Anlaß gibt. Obgleich also jener Biedermann recht daran tat, daß er dem Inquisitor die heuchlerische Wohltätigkeit der Mönche vorhielt, die als Almosen verteilen, was sie den Säuen geben oder auf die Straße werfen sollten, so scheint mir doch ein anderer, von dem ich euch, durch die vo rige Geschichte veranlaßt, erzählen will, noch viel größeres Lob zu verdienen. Dieser nämlich beschämte Herrn Cane della Scala, der sonst ein freigebiger Herr war, wegen einer völlig ungewohnten und plötzlichen Anwandlung von Geiz dadurch, daß er ihm eine scherzhafte Geschichte erzählte, in welcher er von fremden Personen berichtete, was er von sich und jenem Fürsten verstanden wissen wollte. Damit verhielt es sich nun also:

Herr Cane della Scala, in vielen Dingen ein Liebling des Glücks, war, wie der glänzendste Ruhm fast durch die ganze Welt von ihm berichtet, einer der angesehensten und freigebigsten Fürsten, welche seit Kaiser Friedrich II. in Italien gesehen worden waren. Dieser hatte einmal beschlossen, in Verona ein Fest von wunderbarer Pracht zu geben. Schon waren dazu aus allen Himmelsrichtungen Menschen herbeigeströmt, vor allem [64] solche, die durch allerhand Geschicklichkeiten Höfe zu unterhalten imstande sind, als er plötzlich aus irgendeinem Grunde seinen Willen änderte und die meisten der Gekommenen mit Geschenken verabschiedete.

Nur einer unter ihnen namens Bergamino, der im Reden soviel Gewandtheit und Anmut besaß, wie niemand, der ihn nicht kannte, sich einzubilden vermag, blieb in der Hoffnung, daß es ihm mit der Zeit noch zum Vorteil gereichen werde, in Verona zurück, ohne Geschenke oder Urlaub erhalten zu haben. Herrn Cane aber war es in den Sinn gekommen, daß jedes Geschenk an Bergamino schlechter angewendet wäre, als was man ins Feuer wirft, und so achtete er ihn denn keines Wortes und keiner Botschaft wert. Als Bergamino nach einigen Tagen noch immer nicht an den Hof gerufen und keine Probe seiner Kunst von ihm begehrt worden war, zugleich aber die Zeche für ihn selbst, für Diener und Pferde beim Gastwirt immer mehr anwuchs, fing er an, mißmutig zu werden. Dennoch verweilte er, in der Meinung, daß jetzt zu reisen nicht geraten sei.

Um bei dem Feste ehrenvoll erscheinen zu können, hatte er drei kostbare und schöne Anzüge mitgebracht, die ihm von anderen Fürsten geschenkt worden waren. Von diesen hatte er dem Wirt, der bezahlt sein wollte, zuerst einen gegeben, dann nach längerer Zeit den zweiten hinzufügen müssen, und nun war er entschlossen, sich die Sache noch so lange mit anzusehen, wie der dritte vorhielte, von dem er bereits zu zehren begonnen hatte, und dann abzureisen. Nun geschah es, daß er eines Tages, noch ehe das dritte Kleid aufgegessen war, mit betrübtem Gesicht Herrn Cane gegenüberstand, der gerade bei Tische saß. Als Herr Cane es bemerkte, sagte er, mehr um Bergamino zu kränken, als um etwa einen guten Einfall von ihm zu hören: »Bergamino, was fehlt dir, du siehst so verdrießlich aus? Erzähle uns doch etwas.« Bergamino begann darauf, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, folgende Geschichte, die für seine Lage so berechnet war, als hätte er lange Zeit darüber nachgedacht:

»Mein Gebieter, Ihr müßt wissen, daß Primasseau des Lateinischen besonders kundig war und größere Fertigkeit im Dichten [65] besaß als irgendeiner. Diese Fähigkeiten machten ihn so berühmt, daß, wenn man ihn gleich nicht überall von Person kannte, doch schwerlich jemand zu finden war, der nicht dem Namen und dem Rufe nach gewußt hätte, wer Primasseau war. Als er sich nun einst zu Paris in dürftigen Umständen befand, wie es ihm meist zu geschehen pflegte, weil die Vermögenden seine Vorzüge selten zu würdigen wußten, geschah es, daß er von dem Abte von Clugny reden hörte, von dem man behauptet, daß er nächst dem Papst von allen Prälaten der Kirche Gottes das höchste Einkommen habe. Von diesem erzählte man ihm Wunder an Freigebigkeit, wie er immer Hof halte und wie niemand, der dorthin käme, wo er eben verweilte, Essen und Trinken je verweigert worden sei, nur vorausgesetzt, daß er den Abt darum angesprochen habe, während dieser speiste. Als Primasseau, der an der Bekanntschaft ausgezeichneter Männer und hoher Herren besonderes Wohlgefallen fand, diese Nachrichten vernahm, beschloß er, hinzugehen, um die Freigebigkeit des Abtes mit eigenen Augen zu schauen, und fragte daher, wie weit sein jetziger Aufenthaltsort von Paris entfernt sei. Man erwiderte ihm, er wohne jetzt auf einem seiner Güter, etwa sechs Meilen vor der Stadt, und Primasseau dachte, wenn er des Morgens beizeiten aufbräche, könne er bis zur Tafelzeit dort sein.

Da er keinen Begleiter finden konnte, ließ er sich den Weg beschreiben; doch fürchtete er, diesen unglücklicherweise verfehlen und an einen Ort geraten zu können, wo er nicht so bald etwas zu essen bekäme. Um in einem solchen Falle nicht Hunger leiden zu müssen, beschloß er, drei Brote mit auf den Weg zu nehmen, denn Wasser, das er freilich nicht besonders gern trank, dachte er wohl überall zu finden. So steckte er die Brote zu sich, machte sich auf den Weg und traf diesen so gut, daß er noch vor der Essenszeit dort ankam, wo der Abt wohnte. Wie er nun eintrat, sich überall umsah und die große Menge gedeckter Tische wahrnahm und die gewaltigen Zurüstungen in der Küche und was sonst alles zu dem Mittagsmahle bereitet wurde, da sagte er zu sich selbst: ›Wahrlich, dieser Abt ist wirklich so freigebig, wie man mir erzählt hat.‹ Eine Weile war seine Aufmerksamkeit so beschäftigt, als des Abtes Seneschall, [66] weil die Essensstunde gekommen war, das Wasser zum Händewaschen herumreichen ließ. Nachdem dies geschehen war, setzten sich alle zu Tische, und dabei traf es sich von ungefähr, daß Primasseau den Platz genau gegenüber der Tür bekam, wo der Abt heraustreten mußte, um in den Speisesaal zu gelangen.

Am Hofe des Abtes war es Sitte, weder Brot noch Wein noch sonst etwas Eßbares auf den Tisch zu bringen, ehe der Abt sich an der Tafel niedergelassen hatte. Darum ließ der Seneschall, als die Tische gedeckt waren, dem Abt sagen, das Essen sei bereit, sobald er befehlen werde. Der Abt ließ die Tür des Speisesaals öffnen, und weil er beim Gehen geradeaus sah, war von ungefähr der erste Mensch, der ihm in die Augen fiel, Primasseau, den er nicht von Angesicht kannte und dessen Kleidung armselig genug war. Kaum hatte er ihn erblickt, so fuhr ihm plötzlich ein unwürdiger und sonst ganz fremder Gedanke durch den Sinn, und er sagte bei sich: ›Solchem Volke soll ich zu essen geben!‹ Und damit kehrte er um, ließ die Saaltür hinter sich schließen und fragte seine Begleiter, ob keiner von ihnen den Unverschämten kenne, der gegenüber der Tür des Gemaches an einem Tische sitze. Alle antworteten mit Nein.

Primasseau, der schon eine gute Strecke Wegs zurückgelegt hatte und ans Fasten nicht gewöhnt war, bekam solche Lust zu essen, daß er, als der Abt noch immer nicht wiederkommen wollte, eines der drei mitgebrachten Brote hervorholte und es zu verzehren an fing. Der Abt befahl nach einer Weile einem seiner Diener nachzusehen, ob unser Primasseau weggegangen sei. ›Nein, Herr‹, antwortete der zurückkehrende Diener, ›vielmehr verzehrt er ein Stück Brot, das er sich mitgebracht haben muß.‹ ›So mag er denn sein Brot essen, wenn er welches hat‹, sprach darauf der Abt, ›denn das unsrige wird er heute nicht kosten.‹ Der Abt hätte es gern gesehen, wenn Primasseau von selbst gegangen wäre, denn ihn ausdrücklich gehen zu heißen, ziemte sich seiner Meinung nach doch nicht. Als Primasseau indessen das erste Brot verzehrt hatte und der Abt noch ausblieb, begann er vom zweiten zu essen. So ward dem Abte berichtet, der wieder hatte nachsehen lassen, ob er nicht fortgegangen sei.

Endlich fing Primasseau, als der Abt noch immer nicht kam, [67] das dritte Brot zu essen an, und als auch das dem Abt gemeldet wurde, fing dieser an, nachdenklich zu werden, und sprach bei sich selbst: ›Was ist mir denn heute Neues in den Sinn gekommen? Woher dieser Geiz, woher der Ärger? Und wer hat ihn erregt? Schon seit Jahren speise ich von meinem Tische jeden, der gespeist werden will, ohne zwischen vornehm und gering, arm oder reich, Kaufmann und Betrüger zu unterscheiden. Oftmals habe ich ausgemachte Taugenichtse mein Essen verschlucken sehen, und niemals ist mir ein Gedanke wie der heutige in den Sinn gekommen. Wahrlich, das kann kein gewöhnlicher Mensch sein, um dessentwillen der Geiz sich meiner bemächtigt hat. Und sieht er gleich einem Taugenichts ähnlich, so muß doch etwas Besonderes an ihm sein, daß er mich so gegen die Höflichkeit zu verhärten imstande war.‹

Nach diesem Selbstgespräch verlangte er zu wissen, wer es sei, und er schämte sich sehr, als er vernahm, es sei Primasseau, der ihm schon seit langem rühmlich Bekannte, der gekommen sei, um selbst zu sehen, was er von des Abtes Freigebigkeit vernommen hatte. Um das Versehen wiedergutzumachen, erwies er ihm nun desto größere Ehre. Nach dem Essen ließ er ihn mit edlen Stoffen reichlich bekleiden, wie es dem berühmten Primasseau zukam. Dann schenkte er ihm Geld und ein Reitpferd und überließ es ihm, nach seinem Belieben zu gehen oder zu bleiben. Nachdem Primasseau dem Abte auf das herzlichste gedankt hatte, kehrte er endlich, erfreut über solche Gunst, zu Pferde nach Paris zurück, von wo er zu Fuß ausgegangen war.«

Herr Cane, der ein kluger Herr war, verstand ohne jede weitere Erläuterung genau, was Bergamino sagen wollte, und erwiderte ihm lächelnd: »Bergamino, gar treffend hast du deinen Mißmut, deine Geschicklichkeit, meinen Geiz und deine Wünsche bezeichnet. Und wahrlich, noch nie, außer jetzt in bezug auf dich, hat der Geiz sich meiner bemeistert. Aber ich will ihn mit dem Stocke vertreiben, den du mir geschildert hast.« Wirklich ließ er den Wirt Bergaminos bezahlen, bekleidete diesen mit einem köstlichen Gewand, schenkte ihm Geld und Roß und stellte es ihm frei, zu bleiben oder zu gehen.

[68] Achte Geschichte

Guiglielmo Borsiere straft mit feiner Rede den Geiz des Herrn Ermino de' Grimaldi.


Als Bergaminos Schlauheit zur Genüge gelobt worden war, sah Lauretta, die dem Filostrato zunächst saß, daß es nun an ihr sei zu sprechen, und sie begann, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, anmutig so zu reden:

Die vorige Geschichte veranlaßt mich, euch zu erzählen, wie ein anderer, der ebenfalls davon lebte, daß er Hochgeborenen die Zeit vertrieb, die Geldgier eines reichen Kaufmanns mit gutem Erfolg strafte. Laufen auch beide Geschichten auf dasselbe Ende hinaus, so denke ich, soll euch die meinige um ihres günstigen Ausgangs willen nicht minder willkommen sein.

In Genua lebte vor geraumer Zeit ein Edelmann namens Ermino de' Grimaldi, der, wie es allgemein hieß, an ausgedehnten Besitzungen und an barem Vermögen den Reichtum der wohlhabendsten Bürger, von denen man zu jener Zeit in Italien wußte, bei weitem übertraf. Wie aber seine Reichtümer die jedes anderen Italieners weit hinter sich zurückließen, so tat er es auch an Geiz und Filzigkeit dem ärgsten Filz und Geizhals auf der ganzen Welt weit zuvor. Denn nicht allein verschloß er seinen Beutel, wenn es galt, andern eine Ehre zu erweisen, sondern auch in dem, was der Anstand der eigenen Person gefordert hätte, ließ er es im Gegensatz zur Gewohnheit der Genueser, die sich adelig zu kleiden pflegen, an dem Nötigsten fehlen, desgleichen auch im Essen und Trinken. Aus diesem Grunde war ihm der Familienname der Grimaldi im Volksmunde verdientermaßen ganz verlorengegangen, und alle nannten ihn nur Herrn Ermino, den Geizhals.

Um diese Zeit nun, als dieser das Seinige an sich hielt und vervielfachte, geschah es, daß Guiglielmo Borsiere, ein lustiger Rat von feinen Sitten und geübter Zunge, der keineswegs den Leuten seiner Profession glich, die wir jetzt zu sehen bekommen, nach Genua kam. Denn zur großen Schande aller derer, die sich gegenwärtig Herren und Edelleute nennen lassen und als solche gelten wollen, können unsere lustigen Räte heute eher für Esel gelten, die im Schmutze des gemeinen Gesindels [69] großgeworden, als für Leute, die an Höfen aufgewachsen sind. Während damals ihr Geschäft darin bestand, mit aller Anstrengung Frieden zu vermitteln, wo unter den Herren Haß oder Krieg entstanden war, Ehen, Verschwägerungen oder Freundschaften zu stiften, die Höfe zu ergötzen und gleich Vätern die Fehler der Bösgesinnten mit scharfem Tadel zu verfolgen – und dies alles um geringen Lohn –, sind sie heutzutage nur bedacht, ihre Zeit damit zu verbringen, daß sie von einem zum andern Bosheiten herumtragen, Zwietracht aussäen, Unanständiges und Schlechtes reden, und, was schlimmer ist, vor den Leuten tun, Schlechtigkeit, Schande und Schmach einander hinter dem Rücken nachsagen und mit falschen Schmeicheleien die Gutgesinnten zu Schlechtigkeiten und Gemeinheiten zu verführen suchen. Von unseren entarteten und sittenlosen Fürsten aber wird der unter ihnen am höchsten geschätzt und durch die größten Geschenke ermuntert, der die meisten Abscheulichkeiten sagt oder tut. Wahrlich eine Tatsache, die unserer Zeit zu großer, beständiger Schande gereicht, und ein augenscheinlicher Beweis, daß die Tugenden von der Erde gewichen sind und die beklagenswerten Sterblichen im Unflat der Sünden zurückgelassen haben.

Um aber auf das zurückzukommen, wovon ich ausgegangen bin und von wo gerechter Unwille mich weiter abgelenkt hat, als ich dachte, so sage ich, daß der genannte Guiglielmo von allen Edelleuten in Genua gern gesehen und mit Ehren überhäuft ward. Als er sich nun schon einige Zeit in der Stadt aufgehalten und mancherlei von dem Geize und den armseligen Gesinnungen des Herrn Ermino vernommen hatte, kam es ihm in den Sinn, diesen zu besuchen. Herrn Ermino waren die Talente des Guiglielmo Borsiere dem Hörensagen nach bekannt geworden, und da er trotz allem seinem Geize noch ein Fünkchen guter Sitten in sich trug, empfing er ihn mit freundlichem Gesicht und höflichen Worten. Unter allerlei Gesprächen, die er mit ihm begann, führte er den Borsiere und einige Genueser, die eben bei ihm waren, in ein ihm gehörendes neues Haus, das er ganz hübsch hatte einrichten lassen. Nachdem er ihm alles gezeigt hatte, sagte er: »Ach, Herr Guiglielmo, Ihr habt so manches gehört und gesehen; könntet Ihr mir nicht etwas raten, [70] was noch niemals dagewesen ist, damit ich's im Saal dieses Hauses malen lassen könnte?«

Als Guiglielmo diese wenig angebrachte Rede vernahm, erwiderte er: »Herr, etwas noch nie Dagewesenes getraue ich mich nicht zu ersinnen, es sei denn etwa ein gemaltes Niesen oder dergleichen. Wollt Ihr aber, so will ich Euch etwas angeben, das meines Wissens bei Euch noch nicht dagewesen ist.« »Und was wäre das, ich bitte Euch«, entgegnete Herr Ermino, wenig gefaßt auf die Antwort, die er hernach bekam. Guiglielmo aber erwiderte schnell: »Laßt die Freigebigkeit malen.«

Kaum hatte Herr Ermino diese Worte vernommen, so kam eine solche Scham über ihn, daß sie seine bisherige Sinnesart nahezu umzukehren vermochte, und er sagte: »Ja, Herr Guiglielmo, ich will sie malen lassen, und zwar so, daß weder Ihr noch sonst jemand Grund haben soll, zu sagen, ich hätte sie weder gesehen noch gekannt.« Und so viel Kraft hatten Guiglielmos Worte, daß er von diesem Tage an der freigebigste und höflichste Edelmann ward und unter allen, die zu seiner Zeit in Genua lebten, derjenige wurde, der Fremden und Einheimischen am meisten Ehre erwies.

Neunte Geschichte

Aus dem schwachen König von Zypern wird durch den Spott einer Edeldame aus der Gaskogne ein entschlossener Herrscher.


Der letzte Befehl der Königin war für Elisa verblieben, und diese begann, ohne ihn abzuwarten, mit freundlicher Miene:

Schon oft ist es geschehen, daß ein einziges, mit Absicht oder durch Zufall geäußertes Wort bei jemandem auszurichten vermochte, was mancherlei Tadel und häufige Strafen nicht erreicht hatten. Davon gab uns die Geschichte Laurettas ein schlagendes Beispiel, und ich will euch das gleiche in einer kurzen Erzählung dartun. Denn gute Geschichten können uns immer förderlich sein, und darum soll man ihnen immer aufmerksam zuhören, wer immer auch der Erzähler ist.

[71] So sage ich denn, daß zu den Zeiten des ersten Königs von Zypern, nach der Eroberung des Heiligen Landes durch Gottfried von Bouillon, eine Edeldame, von der Pilgerfahrt nach dem Heiligen Grabe heimkehrend, Zypern besuchte und von einigen ruchlosen Leute auf empörende Weise beleidigt ward. Sie konnte sich ob dieses Frevels nicht zufriedengeben und war gesonnen, den König selbst anzurufen. Doch einer ihrer Bekannten sagte ihr, sie werde sich nur vergebliche Mühe machen. Der König führe ein so kleinmütiges und unwürdiges Leben, daß er, weit davon entfernt, den anderen angetanen Schimpf gerecht zu rächen, ihm selbst zugefügte Schmach mit schnöder Feigheit ertrage, so daß, wer irgendeinen Verdruß gehabt habe, seinen Unmut in Beleidigungen und Hohn gegen den König auslasse.

Als die Dame dies vernahm, gab sie es auf, Rache zu verlangen, und wollte nur, um ihren Zorn einigermaßen zu befriedigen, diesen König wegen seiner niedrigen Gesinnung noch verspotten. Weinend trat sie vor ihn hin und sagte: »Herr, ich komme nicht zu dir, um Rache für die Beleidigung zu erlangen, die mir widerfahren ist. Statt aller Vergeltung für diese bitte ich dich nur, mir zu sagen, wie du es anfängst, um die vielen Kränkungen zu ertragen, die man dir antut. Dann werde ich, von dir belehrt, die meinige geduldig hinnehmen, während ich sie jetzt, der Himmel weiß es, dir gern schenkte, weil du dergleichen so gut zu ertragen weißt.«

Als wäre er vom Schlaf erwacht, fing der König, der bis dahin untätig und träge gewesen war, damit an, den der Dame angetanen Schimpf aufs nachdrücklichste zu rächen, und von diesem Tage an wurde er ein strenger Verfolger eines jeden, der sich irgendwie gegen die Ehre seiner Krone auch nur das mindeste verging.

[72] Zehnte Geschichte

Meister Alberto von Bologna beschämt auf feine Weise eine Dame, die ihn wegen seiner Liebe zu ihr beschämen wollte.


Elisa schwieg, und des Erzählens letzte Pflicht blieb bei der Königin, die mit sicherer Stimme also zu reden begann:

Wie in hellen Nächten die Sterne den Himmel und im Frühling die Blumen den grünen Anger zieren, so gereichen guten Sitten und heiteren Gesprächen zierliche Witzworte zum Schmucke. Um ihrer Kürze willen schicken sie sich besser für uns Frauen als für Männer, denn viel und lange zu reden ist, wenn es sich vermeiden läßt, für Frauen noch unziemlicher als für Männer.

Heutzutage freilich ist, zu unserer und aller Jetztlebenden allgemeiner Schande, kaum noch ein Frauenzimmer zu finden, das feinen Witz verstünde, oder wenn es ihn ja versteht, darauf zu antworten wüßte. Denn den Scharfsinn, welchen der Frauen Geist in der Vorzeit offenbarte, haben die neueren auf den Putz ihres Leibes verwandt, und die, welche sich mit dem buntesten, von Zierat und Streifen geschmückten Gewand bekleidet, meint, sie müsse den übrigen um vieles vorgezogen werden und sei höherer Ehren wert. Doch sie bedenkt nicht, daß ein Esel, wenn jemand die Mühe des Aufladens übernehmen wollte, hundertmal mehr solchen Putz tragen könnte als sie und dennoch nicht mehr Ehre verdiente, als einem Esel gebührt. Wohl schäme ich mich, das auszusprechen, denn ich kann nichts wider die andern sagen, ohne auch mich zu tadeln. Diese geputzten, bemalten und bunten Weiber stehen entweder stumm und verständnislos da wie Steinbilder, oder sie beantworten an sie gerichtete Fragen so, daß es besser wäre, wenn sie geschwiegen hätten. Dabei wollen sie sich einreden, ihr Ungeschick, mit andern Mädchen oder gesitteten Männern zu reden, sei eine Folge ihrer Seelenreinheit, und geben ihrer Einfalt den Namen Sittsamkeit, als ob nur die Frau sittsam zu nennen wäre, die mit niemandem als der Magd, der Wäscherin und der Bäckersfrau redet. Wäre dies, wie sie sich einbilden, die Absicht der Natur gewesen, so hätte sie anderweitig ihrem [73] leeren Geschwätz Grenzen gesetzt. Allerdings soll man beim Witzwort, wie bei anderen Dingen, auch Zeit und Ort und die Person, mit der man redet, im Auge haben, denn schon öfter ist es geschehen, daß eine Frau oder ein Mann in der Meinung, jemanden durch scherzhafte Reden in Verlegenheit zu setzen, die Beschämung, die sie jenem zugedacht, auf sich selbst zurückfallen sahen, weil sie ihre Kräfte denen des andern gegenüber nicht richtig eingeschätzt hatten. Damit ihr, liebe Mädchen, euch nun davor zu hüten wißt, damit überdies bei euch das Sprichwort nicht zutreffe, daß, wie man überall hört, die Frauen in allen Dingen stets den kürzeren ziehen, so soll euch diese letzte der heutigen Geschichten, die von mir erzählt werden muß, gewitzigt machen, damit ihr euch so wie durch Adel der Gesinnung auch durch Feinheit der Sitte vor ihnen auszeichnet.

Noch nicht viele Jahre sind verstrichen, seit in Bologna ein trefflicher und fast in der ganzen Welt hochberühmter Arzt mit Namen Meister Alberto lebte, ja vielleicht lebt er heute noch. Dieser war von so edlem Geiste, daß er noch in seinem hohen Alter von fast siebzig Jahren, wo der Körper schon fast alle natürliche Wärme verloren hatte, den Flammen der Liebe den Eingang in sein Herz nicht verweigerte, als er auf einem Fest eine wunderschöne Witwe sah, die, wie einige berichten, Madonna Margherita de' Ghisolieri hieß. In dem Wohlgefallen, das er an ihr fand, nahm er jene Glut nicht anders als ein Jüngling in die betagte Brust auf, so daß er keine Nacht ruhig schlafen zu können glaubte, wenn er am Tage das anmutige und zarte Gesicht der schönen Dame nicht gesehen hatte.

Aus diesem Grunde begann er sich, je nachdem es sich fügte, bald zu Pferde und bald zu Fuß vor dem Hause der Dame sehen zu lassen. Diese sowohl als mehrere andere Frauen wurden auf solche Weise gewahr, was ihn dort so häufig vorüberzukommen veranlaßte, und oft spotteten sie miteinander, daß ein an Jahren und Erfahrungen so reicher Mann verliebt sei, als ob nach ihrer Meinung die holde Leidenschaft der Liebe allein in den törichten Herzen der Jünglinge und sonst nirgendwo Raum finden und dort verweilen könne.

Meister Alberto fuhr indes fort, vor dem Hause der Dame [74] vorüberzugehen, und so geschah es, daß an einem Feiertage, wo sie mit anderen Frauen vor der Tür saß, sie alle miteinander sich vornahmen, den Meister Alberto, den sie schon von weitem hatten kommen sehen, zum Verweilen einzuladen und ehrenvoll aufzunehmen, dann aber ihn wegen dieser seiner Liebe zu necken. So taten sie auch wirklich. Als er kam, standen sie alle auf, luden ihn zu sich ein und führten ihn in einen kühlen Hof, wo sie ihn mit feinen Weinen und Backwerk bewirteten. Zuletzt aber befragten sie ihn mit artigen und wohlgesetzten Worten, wie er sich in diese schöne Dame habe verlieben können, da er doch wisse, von wie vielen schönen, wohlgesitteten und adeligen jungen Männern sie geliebt werde.

Als der Meister sah, daß man ihn auf feine Weise aufziehen wollte, nahm er eine heitere Miene an und entgegnete: »Madonna, daß ich liebe, kann keinen Verständigen in Verwunderung setzen, und daß ich gerade Euch zum Gegenstand dieser Liebe erwählt habe, erst recht nicht, denn Ihr verdient es. Und obgleich nach dem Naturgesetz alten Männern die Kraft zum Liebesspiel schwindet, so fehlt es ihnen darum weder am guten Willen noch an der Fähigkeit zu unterscheiden, was der Liebe würdig ist. Vielmehr weiß das reife Alter dies um so viel besser zu erkennen als die Jugend, da es diese an Einsicht übertrifft. Die Hoffnung, um derentwillen ich in meinem Alter Euch, die Ihr von vielen Jünglingen geliebt werdet, zu lieben wage, ist diese: schon öfter bin ich dabei gewesen, wenn die Damen zum Vesperbrot Wolfsbohnen mit Lauch aßen. Ob nun gleich am ganzen Lauch nichts Gutes ist, so ist doch das am wenigsten Widerwärtige und dem Munde Wohlgefälligste der Kopf. Dennoch pflegt ihr alle, von verkehrter Lust geleitet, den Kopf in der Hand zu behalten und nur die Blätter zu essen, die nicht allein wertlos sind, sondern auch abscheulich schmecken. Wäre es nun nicht möglich, Madonna, daß Ihr in der Wahl Eurer Liebhaber ebenso verfahrt? Und wenn Ihr es tätet, wähltet Ihr mich, und die andern hätten das Nachsehen.«

Die Edeldame schämte sich ein wenig, ebenso ihre Gefährtinnen. Dann aber sagte sie: »Meister, Ihr habt unser übermütiges Beginnen treffend, aber höflich gezüchtigt. Glaubt aber, die Liebe eines so verständigen und ehrenwerten Mannes, wie Ihr seid, [75] ist mir teuer. Deshalb gebietet, soweit sich das mit meinem guten Ruf vereinbaren läßt, über mich wie über Euer Eigentum.« Der Meister und seine Begleiter erhoben sich, er dankte der Dame und ging, nachdem er sich unter Lachen und Freude empfohlen hatte.

So wurde die Dame, weil sie nicht im Auge gehabt hatte, wen sie necke, besiegt, wo sie zu siegen glaubte. Wollt ihr nun klug sein, so werdet ihr euch vor dem gleichen Fehler hüten.


Schon hatte die Sonne sich gegen Abend geneigt, und die größte Hitze war vorüber, als die Erzählungen der jungen Mädchen und der drei Jünglinge zu Ende gediehen waren. Da redete die Königin voller Anmut so zu ihnen: »Nichts, ihr lieben Gefährtinnen, bleibt unter meiner Regierung für den heutigen Tag zu tun übrig, als euch eine neue Königin zu geben, die nach ihrem Gutdünken für den folgenden Tag ihre und unsere Lebensweise zu geziemender Erheiterung bestimmen mag. Und obwohl es richtig ist, daß der Tag erst mit dem Einbruch der Nacht zu Ende geht, halte ich es doch für gut, daß die folgenden Tage zu dieser Stunde beginnen, weil niemand ohne einige Vorbereitungszeit gehörige Verfügungen für die Zukunft treffen kann, und damit alles besorgt werden könne, was die Königin für morgen dienlich erachten wird. So soll denn zur Ehre dessen, auf den alles Leben sich bezieht, und zu unserer Freude am folgenden Tag die verständige Filomena unser Reich regieren.«

Mit diesen Worten erhob sie sich, nahm den Lorbeerkranz von ihrem Haupte und setzte ihn jener ehrerbietig auf, die nun zuerst von ihr, dann von den übrigen Mädchen und zuletzt von den Jünglingen als Königin begrüßt wurde. Alle boten ihr bereitwillig ihre Dienste an. Filomena errötete zwar ein wenig, als sie sich zur Königin gekrönt sah, dann aber faßte sie, der von Pampinea eben erst gesprochenen Worte eingedenk, Mut. Um nicht unbeholfen zu scheinen, bestätigte sie zuerst alle von Pampinea bestimmten Ämter, verfügte, was am andern Morgen und Abend am selben Orte, wo sie eben verweilten, bereitet werden sollte, und begann dann also zu sprechen:

»Geliebte Gesellinnen, obgleich Pampinea ihrer Güte und nicht meinem Verdienst zufolge mich zu euer aller Königin ernannt [76] hat, bin ich doch nicht gesonnen, unsere Lebensweise allein nach meiner Meinung, sondern auch nach der euren zu ordnen. Damit ihr nun im voraus wißt, was meiner Ansicht nach zu tun sei, und damit ihr alsdann nach eurem Gefallen etwas hinzufügen oder ablehnen könnt, will ich euch mit wenigen Worten meine Gedanken mitteilen.

Wenn meine Beobachtungen über das von Pampinea heute befolgte Verfahren mich nicht trügen, so hat es sich als ergötzlich und empfehlenswert erwiesen. Deshalb denke ich auch, nichts daran zu ändern, solange es uns nicht durch öftere Wiederholung oder aus einem anderen Grunde langweilig wird. Nachdem also bestimmt sein wird, wie wir das Begonnene fortsetzen wollen, werden wir uns erheben, eine Weile lustwandeln und, wenn die Sonne untergehen will, im Kühlen speisen. Dann aber wird es nach einigen Liedern und anderer Kurzweil wohlgetan sein, schlafen zu gehen. Morgen früh wollen wir aufstehen, wenn es noch frisch ist, und jeder mag sich nach seiner Neigung vergnügen. Zur gehörigen Zeit aber wollen wir zurückkehren, zu Mittag speisen, alsdann tanzen, und endlich, nach der Mittagsruhe, werden wir nach dem heutigen Beispiel mit dem Geschichtenerzählen fortfahren, das, wie mir scheint, den wesentlichsten Bestandteil unserer Freude und Belehrung ausmacht. Außerdem will ich auch, was Pampinea nicht tun konnte, weil sie zu spät zur Herrschaft gelangte, unseren Geschichten bestimmte Grenzen setzen und euch diese im voraus angeben, damit ein jeder Zeit habe, sich auf eine schöne Geschichte entsprechenden Inhalts zu besinnen. Da nun die Menschen vom Anbeginn der Welt an den Zufällen des Glücks und des Schicksals unterworfen gewesen sind und bis zu ihrem Ende unterworfen bleiben werden, mag, wenn es euch gefällt, es damit so gehalten werden, daß ein jeder erzählen soll, wie Menschen nach dem Kampf mit allerlei Ungemach wider alles Hoffen zu fröhlichem Ende gediehen sind.«

Mädchen und Männer lobten diese Anordnung und erklärten sich willig, sie zu befolgen. Dioneo allein sagte, als die andern bereits schwiegen: »Wie alle übrigen es schon ausgesprochen haben, so sage auch ich, Madonna, daß Eure Verfügungen durchaus zweckmäßig und empfehlenswert sind. Doch bitte ich, daß [77] mir eines als besondere Gunst gewährt und für die Dauer unserer Gesellschaft erhalten werde: daß ich nämlich durch diese Verfügung nicht gezwungen sei, eine Geschichte über den aufgegebenen Gegenstand zu erzählen, sondern daß mir trotz derselben die Wahl völlig frei bleibe. Damit aber niemand meint, ich erbitte mir diese Gunst, weil ich keinen Vorrat von Geschichten zur Hand habe, so bin ich im voraus erbötig, unter den Erzählenden immer der letzte zu sein.«

Da die Königin ihn als einen munteren und kurzweiligen Menschen kannte und daher wohl erriet, er fordere dies nur, um die Gesellschaft, wenn sie des ernsteren Redens müde wäre, mit einer lustigen Geschichte wieder aufzuheitern, gewährte sie ihm unter Zustimmung der übrigen gern die erbetene Gunst. Dann erhob sie sich von ihrem Sitze, und die Mädchen gingen langsamen Schrittes zu einem klaren Bach, dessen Wasser von einem Hügel zwischen Felsstücken und grünen Kräutern in ein von dichten Bäumen beschattetes Tal niederfloß. Hier plätscherten sie barfüßig und mit nackten Armen im Wasser umher und trieben allerlei Scherze. Als die Essenszeit nahte, kehrten sie zum Schlosse zurück und nahmen mit Behagen die Abendmahlzeit ein.

Nach Tisch ließ die Königin Musikinstrumente bringen und befahl, einen Tanz zu beginnen, den Lauretta anführen und Emilia, von des Dioneo Laute unterstützt, durch ein Lied begleiten sollte. Auf diesen Befehl hin begann Lauretta einen Tanz, während Emilia mit ihrer zum Herzen dringenden Stimme folgendes Lied sang:


Von meiner Schönheit bin ich so gefangen,
Daß neue Liebe nie
Mich locken wird mit anderem Verlangen.
Wenn ich in eignes Anschaun mich versenke,
Erblick ich, was dem Geiste Ruh verspricht,
Was neu sich zuträgt, wessen ich gedenke,
Beraubt mich so geliebter Wonne nicht.
So weiß ich denn, es schaut mein Angesicht
An fremden Reizen nie,
Was mir im Herzen zündete Verlangen.
[78]
Bin ich, um solcher Seligkeit zu pflegen,
Mein hohes Glück mir anzuschaun entbrannt,
So flieht es nicht und kommt mir selbst entgegen.
In Worte wird die Süße nicht gebannt,
Die es gewährt; es faßt sie der Verstand
Sterblicher Wesen nie,
Entzündet sie nicht ähnliches Verlangen.
Ich fühle stündlich wachsend mich entbrennen,
Je mehr ich dorthin wende meinen Blick;
Drum weih ich mich nur ihm, will sein mich nennen.
Zwar kostet' ich erst das versprochne Glück;
Doch größre Lust ist, hoff ich, noch zurück,
So daß auf Erden nie
Empfunden ward so seliges Verlangen.

Dieses Tanzlied, in dessen Endreime alle fröhlich eingefallen waren, gab durch seinen Inhalt einigen aus der Gesellschaft viel zu denken. Als es indes geendet war und man noch einige andere Tänze hatte folgen lassen, war schon ein Teil der kurzen Nacht verstrichen. Deshalb gefiel es der Königin, den ersten Tag zu beschließen. Sie ließ die Fackeln anzünden und gebot einem jeden, sich bis auf den andern Morgen zur Ruhe zu begeben. Alle gingen in ihre Gemächer und taten nach ihrem Befehle.

[79][81]

Zweiter Tag

[Einleitung]
[83]

Schon hatte die Sonne mit ihren Strahlen überallhin den neuen Tag gebracht, und die Vögel gaben durch die fröhlichen Lieder, die sie auf den grünen Zweigen sangen, auch den Ohren davon Kunde, als die Mädchen alle und die drei Jünglinge sich von ihrem Lager erhoben, in den Garten gingen und sich geraume Zeit damit ergötzten, langsamen Schrittes im tauigen Grase umherzuwandeln und schöne Kränze zu winden. Und wie sie am vergangenen Tage getan hatten, so taten sie auch heute. Sie aßen noch in der Kühle zu Mittag und legten sich nach einigen Tänzen zur Ruhe. Von dieser erhoben sie sich in der vierten Nachmittagsstunde, kamen, dem Willen ihrer Königin gemäß, auf dem grünen Rasenplatze zusammen und setzten sich um sie her. Die Schönheit ihrer Gestalt und die Anmut ihrer Züge wurden durch den Lorbeerkranz, mit dem sie gekrönt war, noch erhöht. Sie schwieg einen Augenblick, faßte die ganze Gesellschaft ins Auge und befahl alsdann der Neifile, mit einer Geschichte den Anfang zu machen. Diese wich dem Antrag nicht aus und begann mit heiterer Stimme also zu reden:

[83]
Erste Geschichte

Martellino stellt sich lahm und gibt vor, durch den Leichnam des heiligen Heinrich geheilt zu werden. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt und eingekerkert und schwebt in Gefahr, gehenkt zu werden, kommt aber endlich los.


Schon öfter hat es sich zugetragen, daß, wer über andere, besonders aber über sehr ehrwürdige Dinge spotten wollte, am Ende den Spott und zuweilen auch den Schaden für sich allein behielt. Um den Befehlen der Königin zu gehorchen und durch meine Geschichte die Lösung unserer Aufgabe zu beginnen, gedenke ich euch als Beispiel zu erzählen, wie einem unserer Mitbürger ein unglücklicher Handel wider sein Erwarten doch glücklich ablief.

Es ist noch nicht lange her, daß in Treviso ein Deutscher mit Namen Heinrich lebte, der in seiner Armut jedem, der ihn darum ansprach, für Geld als Lastträger diente, dessen ungeachtet aber bei allen für einen Menschen von frommem und tadellosem Lebenswandel galt. Demzufolge geschah es, wie die Trevisaner, ob wahr oder unwahr, behaupten, daß in der Stunde seines Todes alle Glocken der großen Kirche von Treviso von selbst zu läuten begannen. Allgemein wurde dies für ein Wunder gehalten, Heinrich wurde ein Heiliger genannt, das Volk strömte aus der ganzen Stadt nach dem Hause, wo seine Leiche stand, und trug sie gleich einem heiligen Leichnam in den Dom. Lahme, Hinkende, Blinde und andere Kranke, an welchem Übel oder Gebrechen sie immer leiden mochten, wurden herbeigebracht, um durch die Berührung dieses Leichnams wieder gesund zu werden.

Es traf sich, daß gerade während dieser Aufregung und dieses Zusammenlaufens drei unserer Landsleute in Treviso anlangten. Der eine hieß Stecchi, der andere Martellino, der dritte Marchese. Sie waren Leute, welche die Höfe großer Herren besuchten und durch ihre Fertigkeit, Gesichter zu schneiden und jeden Menschen täuschend nachzuahmen, die Zuschauer ergötzten. Sie waren noch nie in Treviso gewesen und wunderten sich, die ganze Stadt in Bewegung zu sehen. Als man ihnen die [84] Ursache mitteilte, bekamen sie Lust, sich das alles selbst anzusehen. Nachdem sie ihre Sachen im Gasthaus abgelegt hatten, sagte Marchese: »Wir wollen doch hingehen und uns den Heiligen ansehen. Ich für mein Teil begreife freilich noch nicht, wie wir durchkommen wollen, denn wie ich gehört habe, steht der Platz voll von Deutschen und anderen Kriegsknechten, die der Herr dieser Stadt dort postiert hat, um Unruhen zu vermeiden. Überdies ist, wie man sagt, die Kirche so voller Menschen, daß beinahe keiner mehr hinein kann.« Martellino, der gleichfalls Lust hatte, sich die Sache anzusehen, sagte darauf: »Das soll uns nicht hindern. Ich will schon ein Mittel finden, um bis an die Leiche zu kommen.« »Und wie das?« entgegnete Marchese. »Gib acht«, sagte Martellino, »ich stelle mich, als wäre ich gelähmt. Du von der einen und Stecchi von der andern Seite, ihr unterstützt mich, als ob ich nicht allein gehen könnte, und gebt zu erkennen, daß ihr mich dorthin führen wollt, damit der Heilige mich wieder gesund mache. Auf diese Weise wird uns keiner sehen, ohne uns Platz zu machen und uns willig durchzulassen.« Dem Marchese und dem Stecchi gefiel dieser Plan. So verließen sie ungesäumt das Gasthaus und begaben sich selbdritt an einen abgelegenen Ort, wo Martellino sich Hände, Finger, Arme und Beine und überdies noch den Mund, die Augen und das ganze Gesicht solchergestalt verrenkte, daß es greulich anzusehen war und daß ihn niemand erblicken konnte, ohne zu behaupten, er sei wirklich am ganzen Leibe verkrüppelt und gelähmt.

Mit dem so entstellten Manne gingen Marchese und Stecchi, die ihn unterstützten, in großer, vorgetäuschter Frömmigkeit nach der Kirche zu und baten jeden, der ihren Weg hinderte, ganz demütig, ihnen um Gottes willen Platz zu machen. Gern willfahrte man ihnen, und da sie alle Augen auf sich zogen und fast überall »macht Platz, macht Platz« gerufen wurde, gelangten sie in kurzem dahin, wo der Körper des heiligen Heinrich lag. Sogleich nahmen einige Edelleute, die hier Wache standen, den Martellino und legten ihn auf die heilige Leiche, damit er durch diese die Gnade der Gesundheit erlangen sollte. Alles Volk schaute aufmerksam, was mit ihm geschehen würde, und Martellino, der sich auf dergleichen trefflich verstand, stellte [85] sich nach einer kleinen Weile erst, als ob ein Finger ihm wieder gerade würde. Dann streckte er die Hand, dann den Arm aus, und zuletzt gewann der ganze Körper wieder die rechte Gestalt. Als das Volk das geschehen sah, brach es zum Lobe des heiligen Heinrich in ein solches Lobgeschrei aus, daß man keinen Donnerschlag hätte vernehmen können.

Nun traf es sich aber, daß ganz in der Nähe ein Florentiner stand, der den Martellino recht gut kannte; zuerst freilich, als er ganz entstellt hereingebracht wurde, waren ihm seine Gesichtszüge fremd gewesen. Wie dieser ihn wieder gerade sah, erkannte er ihn sogleich, fing bei sich zu lachen an und sagte: »Ei, der verfluchte Bursche! Hätte nicht jeder, der ihn kommen sah, schwören müssen, er sei wirklich ganz verkrüppelt?« Diese Worte hörten einige Trevisaner und fragten sogleich: »Wie, der wäre kein Krüppel gewesen?« »Gott behüte«, sagte der Florentiner, »der war immer so gerade wie einer von uns. Wie ihr aber sehen konntet, versteht er sich auf solche Narrheiten, sich zu verstellen, wie man's nur haben will, besser als jeder andere.«

Als die Trevisaner das gehört hatten, war nichts weiter nötig. Sie drängten sich mit Gewalt durch und riefen laut: »Haltet den Verräter fest, der Gott und seine Heiligen verspottet und, ohne lahm zu sein, hergekommen ist, um uns und unserem Heiligen einen Possen zu spielen.« Bei diesen Worten bekamen sie ihn zu packen, zogen ihn an den Haaren von der Stelle herunter, wo er gelegen hatte, rissen ihm die Kleider vom Leibe und fingen an, ihn mit Fäusten zu schlagen und mit Füßen zu treten, und keiner glaubte ein ordentlicher Kerl zu sein, der nicht mitgeholfen hätte. Martellino schrie um Gottes willen um Gnade und wehrte sich, so gut er konnte. Das half aber alles nichts; der Haufe rückte ihm immer ärger auf den Leib.

Als Marchese und Stecchi dies sahen, sagten sie sich wohl, wie schlimm die Sache stehe, und wagten aus Furcht für die eigene Person nicht, ihm beizustehen, sondern verlangten wie die übrigen laut seinen Tod, obgleich sie im stillen auf ein Mittel sannen, ihn den Händen des Volkes zu entreißen, das ohne den Ausweg, den Marchese schnell ergriff, ihn sicher umgebracht [86] hätte. Da nämlich die ganze Truppe der Stadtobrigkeit dort eben zur Stelle war, suchte Marchese, so schnell er konnte, den auf, der sie im Namen des Stadtvogts kommandierte, und sagte: »Um Gottes willen, helft mir. Hier ist ein Spitzbube, der mir einen Geldbeutel mit wohl hundert Goldgulden abgenommen hat. Ich bitte Euch, nehmt ihn fest, damit ich wieder zu meinem Geld komme.« Sowie sie das gehört hatten, liefen sogleich ein Dutzend Landsknechte dahin, wo der unglückliche Martellino ohne Kamm gestriegelt wurde, entrissen ihn zerschlagen und zerstoßen dem Haufen, den sie mit der größten Mühe von der Welt durchbrochen hatten, und führten ihn aufs Stadthaus. Viele von denen, die sich durch ihn beschimpft glaubten, gingen mit, und als sie hörten, daß er als Beutelschneider gefangen sei, sagten sie in der Meinung, keinen besseren Grund finden zu können, um ihm ein schlimmes Ende zu bereiten, alle miteinander, er habe auch ihnen ihr Geld abgenommen.

Als der Richter des Stadtvogts, der ein gestrenger Mann war, diese Beschuldigungen vernahm, führte er ihn sogleich beiseite und fing ihn zu befragen an. Martellino aber antwortete mit Späßen, als ob er die Verhaftung für nichts achtete. Darüber erzürnt, ließ der Richter ihn an das Seil binden und ein paarmal tüchtig aufziehen, um ihn zum Geständnis zu bringen und nachher hängen lassen zu können. Als Martellino wieder zu Boden gelassen ward und der Richter ihn fragte, ob wahr sei, was jene wider ihn vorbrächten, antwortete er, da ihm das Leugnen doch nichts half: »Herr, ich bin bereit, die Wahrheit zu gestehen. Laßt Euch aber von einem jeden, der mich beschuldigt, angeben, wann und wo ich ihm sein Geld genommen habe, dann werde ich Euch sagen, was ich getan habe und was nicht.« »Gut«, erwiderte der Richter, »ich bin's zufrieden.« Nun ließ er einige rufen. Der eine versicherte, Martellino habe ihm vor acht Tagen den Geldbeutel gestohlen, ein anderer vor sechs, ein anderer vor vier Tagen, und wieder ein anderer an jenem Tage selbst.

Als Martellino dies vernahm, sagte er: »Herr, nun seht Ihr, daß sie alle in ihren Hals hinein lügen! Wie sehr ich aber die Wahrheit sage, geht daraus hervor, daß ich erst vor ein paar Stunden diese Stadt zum erstenmal betreten habe, die ich nie [87] gesehen zu haben wünschte. Kaum angekommen, ging ich zu meinem Unglück, um mir den heiligen Leichnam anzusehen, und bei der Gelegenheit bin ich so zerzaust worden, wie Ihr's mir noch ansehen könnt. Daß es sich wirklich so verhält, werden Euch der Beamte, der die Anmeldungen entgegennimmt, das Fremdenbuch und mein Wirt bezeugen können. Findet Ihr nun, daß ich Euch die Wahrheit gesagt habe, so bitte ich Euch, mich nicht nach dem Verlangen dieser Bösewichte zu martern und hinzurichten.«

Während Martellinos Angelegenheiten so standen, hatten Marchese und Stecchi bereits vernommen, daß der Richter des Stadtvogts streng mit ihm verfahren war und ihn an das Seil hatte binden lassen. Darum wurde ihnen gar bange, und sie sagten zueinander: »Das haben wir übel angefangen. Wir haben ihn aus der Pfanne geholt und ins Feuer geworfen.« So liefen sie in großer Besorgnis umher, suchten ihren Wirt auf und erzählten ihm, wie alles zugegangen sei. Der führte sie lachend zu einem gewissen Sandro Agolanti, der damals in Treviso wohnte und bei dem Herrn der Stadt viel galt. Als der Wirt diesem alles der Reihe nach erzählt und gemeinschaftlich mit jenen ihn gebeten hatte, sich des Martellino anzunehmen, ging Sandro unter vielem Lachen zu dem Herrn und brachte es dahin, daß nach dem Martellino geschickt wurde. Die herrschaftlichen Boten fanden ihn noch im Hemde voller Furcht und Zittern vor dem Richter stehen; denn dieser wollte nicht allein auf keine Entschuldigung hören, sondern weigerte sich auch hartnäckig, ihn dem Herrn auszuliefern, weil er aus einem zufällig gegen die Florentiner gefaßten Widerwillen aufs bestimmteste gesonnen war, ihn henken zu lassen. Zuletzt mußte man ihn wider seinen Willen zwingen, den Gefangenen herauszugeben.

Als Martellino dem Herrn gegenüberstand, erzählte er ihm alles nach der Ordnung und bat sich dann von ihm als höchste Gnade aus, daß er ihn gehen lasse; denn bevor er nicht wieder in Florenz wäre, glaubte er noch immer den Strick an der Kehle zu fühlen. Der Herr lachte über diese Begebenheit unmäßig und schenkte jedem von ihnen einen Anzug. Sie aber kehrten, aus so großer Gefahr unverhofft gerettet, heil und gesund in ihre Heimat zurück.

[88] Zweite Geschichte

Rinaldo von Asti kommt, von Räubern ausgeplündert, nach Castel Guiglielmo, wo er von einer Witwe beherbergt und für seinen Unfall schadlos gehalten wird und dann unversehrt nach Hause zurückkehrt.


Über die Schicksale des Martellino, wie Neifile sie erzählt hatte, lachten die Mädchen von ganzem Herzen; unter den Männern am meisten aber Filostrato, den die Königin, weil er der Neifile zunächst saß, als nächsten Erzähler bestimmte. Er begann ohne das mindeste Zögern wie folgt:

Schöne Damen, eine aus Frömmigkeit, Unglück und Liebe gemischte Geschichte kommt mir eben in den Sinn und will erzählt sein. Sie mit angehört zu haben, kann nur nützlich sein, am meisten aber für diejenigen, welche im unsicheren Reiche der Liebe reisen, wo, wer nicht das Vaterunser des heiligen Julianus gesprochen, oft schlecht beherbergt ist, wenn er auch ein gutes Bett hat.

Zu der Zeit des Markgrafen Azzo von Ferrara nämlich war ein Kaufmann namens Rinaldo von Asti seiner Geschäfte wegen nach Bologna gekommen und kehrte nun, nachdem er sie beendigt hatte, wieder heim. Da geschah es, daß er, gegen Verona reitend und kaum aus Ferrara hinausgekommen, auf einige Menschen traf, die ihm Kaufleute zu sein schienen, in Wirklichkeit aber Wegelagerer waren und ein ruchloses Leben führten. Er war unvorsichtig genug, sich in Gespräche mit ihnen einzulassen und sich ihnen anzuschließen. Sie aber beschlossen, als sie gewahr wurden, daß er ein Kaufmann war, und meinten, daß er Geld bei sich haben müsse, ihn bei der ersten günstigen Gelegenheit auszuplündern. Zu diesem Zwecke und damit er keinerlei Verdacht schöpfen sollte, redeten sie mit ihm, wie gesittete Leute von guter Herkunft, nur von anständigen und ehrbaren Dingen und benahmen sich, so gut sie nur wußten und konnten, freundlich und bescheiden gegen ihn. Rinaldo dagegen, der mit einem berittenen Diener allein reiste, schätzte es als großes Glück ein, sie gefunden zu haben.

Wie es nun in den Gesprächen zu geschehen pflegt, traf es sich, daß sie in der Unterhaltung, die sie während des Reitens [89] führten, von einem Gegenstand auf den andern verfielen und unter anderm auch auf die Gebiete zu sprechen kamen, mit denen sich die Menschen an Gott wenden. Da sagte einer der Wegelagerer, deren es drei waren, zu Rinaldo gewandt: »Und Ihr, werter Herr, was für ein Gebet pflegt denn Ihr unterwegs zu sagen?« »Ich bin in solchen Dingen einfältig und unerfahren«, erwiderte Rinaldo, »und weil ich nach alter Weise sacht fortlebe, habe ich nicht viel Gebete zur Hand und lasse den Groschen zwölf Pfennige gelten. Doch habe ich auf Reisen immer die Gewohnheit gehabt, des Morgens, wenn ich das Wirtshaus verlasse, ein Vaterunser und ein Avemaria für die Seelen des Vaters und der Mutter des heiligen Julianus zu beten. Und dann bitte ich Gott und diesen Heiligen, mir für die nächste Nacht eine gute Herberge zu geben. Nun bin ich in meinem Leben schon oft genug unterwegs in großer Gefahr gewesen, bin aber immer noch glücklich davongekommen und am Abend bei ordentlichen Leuten gut beherbergt worden. Darum habe ich auch den festen Glauben, daß der heilige Julianus, dem zu Ehren ich jene Gebete spreche, mir diese Gnade von Gott ausgewirkt hat, und ich glaubte, den Tag über eine schlechte Reise zu haben und am Abend kein gutes Unterkommen zu finden, hätte ich sie einmal des Morgens nicht gebetet.«

Darauf sagte der, welcher ihn gefragt hatte: »Habt Ihr denn auch heute morgen dieses Vaterunser gebetet?« »Gewiß«, antwortete Rinaldo. Der andere aber, der schon wußte, was im Werke war, sprach bei sich selbst: »Du wirst's noch brauchen können, denn wenn uns nichts dazwischen kommt, denke ich, sollst du wohl eine schlechte Herberge haben.« Dann sagte er laut: »Ich bin doch auch schon viel herumgereist, und obgleich ich's oftmals habe loben hören, habe ich niemals gebetet. Dennoch hat sich's noch nie geschickt, daß ich andere als gute Herberge gehabt hätte, und heute abend werdet Ihr ja noch sehen, wer besser herbergen wird, Ihr, der Ihr gebetet habt, oder ich, der ich's nicht getan habe. Freilich bediene ich mich statt dessen des Dirupisti oder des Intemerata oder auch des De profundis, welche, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, von ausnehmender Kraft sind.«

So sprachen sie im Weiterreiten von allerhand Dingen, und [90] jene warteten Ort und Zeit ab, um ihren ruchlosen Vorsatz auszuführen. Als er nun schon spät geworden war und sie über Castel Guiglielmo hinaus eben einen Fluß zu durchqueren hatten, fielen die drei, weil der Ort abgelegen und rings versteckt, auch die Nacht bereits hereingebrochen war, den Rinaldo an, plünderten ihn aus und sagten, als sie ihn zu Fuß und im Hemd zurückließen: »Nun geh und sieh zu, ob dein heiliger Julianus dir zur Nacht eine gute Herberge geben wird. Unser Heiliger wird uns schon eine verschaffen.« Damit setzten sie durch den Fluß und ritten weiter.

Als Rinaldos Diener seinen Herrn überfallen sah, war er nicht nur zu feige, ihm beizustehen, sondern hatte sogleich sein Pferd umgedreht und im schellsten Lauf nicht eher angehalten, als bis er in Castel Guiglielmo angekommen war, wo er, da es schon spät war, ruhig einkehrte, ohne sich um sonst etwas zu bekümmern.

Rinaldo, der inzwischen barfuß und im Hemd, wie er war, bei der großen Kälte und bei anhaltendem Schnee nicht wußte, was er tun sollte, fing an, da die Nacht schon herangekommen war und er zitterte und mit den Zähnen klapperte, sich ringsumher nach einem Zufluchtsort umzusehen, wo er die Nacht zubringen könnte, ohne zu erfrieren. Da aber kurz vorher der Krieg in jenen Gegenden gehaust hatte und alles verbrannt worden war, fand er keinen und lief deshalb, von der Kälte getrieben, in vollem Trabe nach Castel Guiglielmo, wo er, wenn es ihm nur gelang, hineinzukommen, durch Gottes Gnade Hilfe zu finden hoffte, wiewohl ihm unbekannt war, ob sein Diener sich dorthin oder an einen andern Ort geflüchtet hatte. Doch die dunkle Nacht überfiel ihn bereits eine kleine Meile vor dem Burgflecken, und als er hinkam, waren die Tore verschlossen und die Zugbrücken aufgezogen. Trostlos und betrübt sah er sich weinend nach einem Orte um, wo er sich wenigstens ohne einzuschneien niedersetzen könnte, und zum Glück fiel ihm ein Haus in die Augen, das ein wenig über die Mauer herausgebaut war, und er entschloß sich schnell, unter diesem Vorbau den Tag abzuwarten. Dort fand er eine Tür, an deren Schwelle er, obgleich sie verschlossen war, sich auf etwas verrottetem Stroh, das er in der Nähe aufgelesen hatte, [91] niedersetzte, sich bitterlich über den heiligen Julianus beklagte und meinte, das heiße dem Vertrauen, das er auf ihn gesetzt, schlecht entsprechen.

Der heilige Julianus aber hatte ihn nicht vergessen und bereitete ihm schnell eine gute Herberge. In jenem Ort nämlich wohnte eine junge Witwe, schön von Gestalt wie nur irgendeine, die der Markgraf Azzo wie sein Leben liebte und auf ihren Wunsch hier unterhielt. Diese Witwe nun wohnte in ebenjenem Hause, unter dessen Vorbau Rinaldo sich niedergesetzt hatte. Zufälligerweise war gerade am vorhergehenden Tag der Markgraf in der Absicht, die Nacht bei ihr zu schlafen, dorthin gekommen und hatte sich auf den Abend ein Bad und eine treffliche Mahlzeit bestellt. Als indes schon alles bereit war und die Witwe nur noch auf die Ankunft des Markgrafen wartete, kam ein Diener an das Tor und brachte dem Markgrafen Nachrichten, um derentwillen er sogleich fortreiten mußte. So ließ er denn seiner Geliebten sagen, sie möge nicht auf ihn warten, und ritt weiter. Diese jedoch war damit ziemlich unzufrieden und entschloß sich endlich, da sie nichts Besseres zu tun wußte, selbst in das für den Markgrafen bereitete Bad zu steigen, dann zu Abend zu essen und schlafen zu gehen.

Wirklich hatte sie das erstere schon getan. Dies Bad aber war ganz nahe an der Tür, an die sich Rinaldo außerhalb der Ringmauern anlehnte, und so konnte denn unsere Witwe von dort aus das Weinen und Beben des Rinaldo genau vernehmen, der mit den Zähnen klapperte wie ein Storch. Sie rief deshalb ihre Dienerin und sagte zu ihr: »Geh hinauf und schau einmal nach, wer außerhalb der Mauer an unserer Türschwelle ist und was er da macht.« Die Magd ging hin und sah bei der Helligkeit, die der Schnee verbreitete, den Rinaldo barfuß und im Hemde und, wie schon erwähnt, am ganzen Leibe zitternd unten sitzen. Auf die Frage, wer er sei, antwortete dieser unter solchem Beben, daß er kaum die Worte vorbringen konnte, und fügte, so kurz es nur ging, hinzu, wie und weshalb er hierher gekommen sei. Dann aber bat er sie flehentlich, wenn es möglich wäre, möchte sie ihn nicht vor Frost die Nacht über dort umkommen lassen.

Seine Erzählung erbarmte die Magd, und sie berichtete alles [92] ihrer Frau, zu der sie zurückkehrte. Auch diese fühlte Mitleid, und da sie sich entsann, daß sie den Schlüssel zur Tür habe, die zuzeiten gedient hatte, um den Markgrafen heimlich einzulassen, sagte sie: »Geh und mach ihm heimlich auf. Das Abendessen steht ohnehin da, mit dem wir beide allein nicht fertig werden können, auch haben wir ja Platz genug, um ihn zu beherbergen.«

Die Dienerin lobte die mitleidige Gesinnung ihrer Herrin sehr, ging und machte ihm auf und führte ihn zu der Witwe. Als diese sah, daß er fast erfroren war, sagte sie zu ihm: »Guter Freund, steige in dieses Bad, denn es ist noch warm.« Rinaldo ließ sich das nicht zweimal sagen und fühlte sich durch die Wärme des Bades so gestärkt, daß er vom Tode zum Leben zurückgekehrt zu sein glaubte. Inzwischen ließ ihm die Witwe Kleider zurechtlegen, die ihr Mann kurz vor seinem Tode getragen hatte, und als er sie anzog, paßten sie ihm wie auf den Leib geschnitten. Während er nun erwartete, was die Frau ihm befehlen werde, dankte er Gott und dem heiligen Julianus, daß sie ihm ein so gutes Unterkommen, wie dieses zu sein schien, zugeführt hatten.

Nachdem die Witwe eine Weile geruht hatte, ging sie in den Saal, wo sie ein großes Feuer hatte anzünden lassen, und fragte, wie es mit dem fremden Manne gehe. »Madonna«, antwortete die Dienerin, »er hat sich jetzt angezogen und ist ein hübscher Mann, wie es scheint gar ordentlich und wohlerzogen.« »Geh denn«, erwiderte die Witwe, »ruf ihn und sag ihm, er solle sich am Feuer wärmen kommen, und dann wird zu Abend gegessen, denn ich weiß ja, daß er noch nicht gegessen hat.« Als Rinaldo den Saal betrat und seine Wirtin sah, wurde er wohl gewahr, daß sie eine Frau von Stande sei. Darum grüßte er sie ehrerbietig und dankte ihr für die erwiesene Wohltat, so sehr er's nur immer vermochte. Der Witwe aber schien er seinem Aussehen und seinen Worten nach ganz dem zu entsprechen, was ihre Dienerin gesagt hatte. So empfing sie ihn freundlich, hieß ihn sich vertraulich neben sie ans Feuer setzen und befragte ihn wegen des Unfalls, der ihn hergeführt hatte. Jener erzählte ihr alles der Reihe nach, und da die Witwe von der Ankunft von Rinaldos Diener im Orte gehört hatte, maß sie [93] seinen Worten vollkommenen Glauben bei und sagte ihm, was sie über seinen Diener wußte und wie er diesen am nächsten Morgen leicht werde wiederfinden können.

Während der Zeit war angerichtet worden, und nachdem sich beide die Hände gewaschen hatten, setzte sich Rinaldo auf der Dame Geheiß mit ihr zu Tisch. Er war groß und stattlich, von schönen und wohlgefälligen Gesichtszügen, artigen und einnehmenden Sitten und in den besten Jahren. In unserer Witwe aber war in der Meinung, daß der Markgraf die Nacht bei ihr zubringen sollte, die begehrende Lust bereits erwacht. So heftete sie denn oft die Augen auf Rinaldo, fand besonderes Behagen, ihn anzuschauen, und sah es endlich förmlich auf ihn ab. Demzufolge beriet sie sich nach dem Essen mit ihrer Dienerin, ob sie nicht, da der Markgraf sie getäuscht hatte, die Gelegenheit benutzen sollte, die das Glück ihr zugesandt. Die Dienerin, welche wohl merkte, wie groß die Lust ihrer Gebieterin war, ermunterte sie nach Kräften, dieser nachzugeben.

So kehrte denn die Dame zurück zum Feuer, wo sie den Rinaldo gelassen, sah ihn mit verliebten Augen an und sagte: »Nun, Rinaldo, warum so nachdenklich? Sind denn das Pferd und die paar Kleidungsstücke, die Ihr eingebüßt habt, so unersetzlich? Gebt Euch zufrieden, seid munter und denkt, Ihr seid zu Hause. Ja, ich könnte Euch noch mehr sagen: in den Kleidern, die Ihr da anhabt, und die meinem verstorbenen Manne gehörten, kommt Ihr mir vor wie er selbst, und mich hat heute abend wohl hundertmal die Lust angewandelt, Euch um den Hals zu fallen und Euch zu küssen, und wahrhaftig, hätte ich nicht gefürchtet, Euch lästig zu fallen, so hätte ich's auch getan.«

Als Rinaldo, der nicht auf den Kopf gefallen war, diese Worte hörte und sah, wie die Augen der jungen Witwe blitzten, ging er mit offenen Armen auf sie zu und sagte: »Madonna, wenn ich, des Zustandes gedenkend, aus dem Ihr mich befreit habt, Euch in alle Zukunft mein Leben werde zu danken haben, so wäre es wohl sehr undankbar, wollte ich nicht bestrebt sein, alles zu tun, was Euch angenehm sein kann. Folgt also immerhin Eurer Lust, mich zu umarmen und zu küssen; denn was mich betrifft, so werde ich Euch wahrhaftig gern [94] umarmen und noch lieber küssen.« Weiter bedurfte es keiner Worte. Die Witwe, die vor liebevollem Verlangen ganz entbrannt war, warf sich augenblicklich in seine Arme, und nachdem sie ihn wohl tausendmal gedrückt und geküßt hatte und ebensooft von ihm geküßt worden war, standen sie miteinander auf und gingen in die Kammer, wo sie sich unverweilt niederlegten und ihren Wünschen volle und öfter wiederholte Befriedigung schenkten, bevor der Morgen anbrach.

Als jedoch das Morgenrot zu dämmern begann, erhoben sie sich auf den Wunsch der Witwe von ihrem Lager. Damit niemand erraten könne, was geschehen sei, gab sie ihm einige schlechte Kleidungsstücke zum Anziehen, füllte ihm den Beutel mit Geld, und nachdem sie ihm gezeigt hatte, welchen Weg er einschlagen mußte, um seinen Diener wiederzufinden, ließ sie ihn mit der Bitte, über das Geschehene zu schweigen, zur selben kleinen Tür hinaus, durch die er hereingekommen war.

Sobald es heller Tag geworden und die Tore geöffnet waren, ging er, als ob er von weither käme, in den Ort hinein und suchte seinen Diener auf. Wie er sich nun wieder mit seinen Sachen, die im Mantelsack geblieben waren, bekleidet hatte und eben auf das Pferd des Dieners steigen wollte, geschah es wie durch ein göttliches Wunder, daß die drei Wegelagerer, die ihn am Abend vorher ausgeplündert hatten und wegen eines anderen von ihnen begangenen Verbrechens bald darauf gefangen worden waren, in eben jenen Ort eingebracht wurden. So erhielt er denn durch ihr eigenes Geständnis sein Pferd, seine Kleidungsstücke und sein Geld wieder und büßte nichts ein als ein Paar Kniebänder, von denen die Räuber nicht wußten, was daraus geworden war. Voller Dank gegen Gott und den heiligen Julianus stieg Rinaldo zu Pferde und kam heil und gesund zu Hause an. Die drei Wegelagerer aber schaukelten schon anderntags im Galgenwind.

[95] Dritte Geschichte

Drei Jünglinge bringen ihr Hab und Gut durch und verarmen. Ein Neffe von ihnen kehrt, an allem verzagend, nach Hause zurück und trifft unterwegs mit einem Abte zusammen, der sich als Tochter des Königs von England entpuppt. Sie heiratet ihn und macht seine Oheime durch Ersatz des Verlorenen wieder wohlhabend.


Die Schicksale des Rinaldo von Asti waren von den Mädchen mit Verwunderung angehört worden. Sie lobten seine Frömmigkeit und dankten Gott und dem heiligen Julianus, daß sie ihm in seiner größten Not beigestanden hatten. Doch hielten sie deshalb die Witwe, wenngleich sie sich darüber nur verstohlen äußerten, keineswegs für töricht, daß sie das Glück, welches ihr Gott ins Haus gesandt, so gut zu benutzen gewußt hatte.

Während noch mit leisem Lachen über die angenehme Nacht gesprochen wurde, die ihr zuteil geworden war, fing Pampinea, die als nächste Nachbarin des Filostrato mutmaßte, daß die Reihe nun an ihr sei, darüber nachzudenken an, was sie erzählen sollte, und sagte alsdann nach dem Geheiß der Königin unbefangen und fröhlich:

Je mehr man über die wechselnden Launen des Glücks redet, desto mehr bleibt dem Aufmerksamen darüber zu sagen. Daß es sich so verhält, wird niemanden verwundern können, der klug genug ist, zu erwägen, wie alle Dinge, die wir törichterweise unser nennen, in den Händen Fortunas liegen und von ihr nach einem verborgenen Ratschlusse unaufhörlich und ohne daß wir das treibende Gesetz zu erkennen wüßten, von einem auf den andern übertragen werden. Ob sich dies nun gleich allerorts und tagtäglich offenbart und auch durch einige der vorigen Geschichten belegt worden ist, werde ich doch, weil nach dem Gefallen der Königin über diesen Gegenstand gesprochen werden soll, eine Geschichte hinzufügen, die vielleicht nicht ohne Nutzen für die Zuhörer ist und, wie ich hoffe, ihren Beifall finden wird.

Es war in unserer Stadt vorzeiten ein Edelmann, der Herr Tedaldo hieß und, wie einige vorgaben, zu der Familie der Lamberti, nach der Behauptung anderer aber zu den Agolanti [96] gehörte. Doch ich lasse es dahingestellt, zu welcher der beiden Familien er zählte, und sage nur, daß er zu seiner Zeit einer der reichsten Edelleute war und drei Söhne hatte, von denen der erste Lamberto, der zweite Tedaldo und der dritte Agolante hieß. Wiewohl der älteste noch nicht sein achtzehntes Lebensjahr erreicht hatte, waren sie schon zu hübschen und ritterlichen Jünglingen herangewachsen, als der reiche Herr Tedaldo starb und ihnen als seinen rechtmäßigen Erben seine gesamte liegende und fahrende Habe hinterließ. Als diese sich an barem Gelde und an Liegenschaften so reich sahen, begannen sie, nur von ihrer eigenen Lust geleitet, ihr Geld ohne Maß und Schranken zu vertun, hielten sich eine zahlreiche Dienerschaft und auserlesene Pferde, Hunde und Falken, gaben fortwährend öffentliche Bankette, hielten Waffenspiele ab und taten mit einem Wort nicht, was sich für Edelleute geziemt, sondern was zu tun ihnen in ihren jugendlichen Sinn kam.

Dieses Leben hatten sie noch nicht lange geführt, als der ihnen von ihrem Vater hinterlassene Schatz sich zu vermindern anfing und sie genötigt waren, ihre Besitzungen teilweise zu verkaufen und zu verpfänden, um den begonnenen Aufwand, zu dem die reinen Einkünfte nicht mehr genügten, fortführen zu können. So büßten sie heute die eine und morgen die andere ein und wurden es kaum eher gewahr, als bis ihnen fast nichts mehr übriggeblieben war. Da öffnete die Armut ihre Augen, welche der Reichtum verschlossen hatte. Lamberto rief eines Tages die beiden andern zu sich, erinnerte sie, welch ein ehrenvolles Leben ihr Vater und nachher sie selbst geführt hätten, wie ausgedehnt ihr Reichtum gewesen sei. Dann schilderte er ihnen die Armut, in die sie sich durch ihren ungezügelten Aufwand gestürzt, und ermahnte sie, so nachdrücklich er konnte, bevor ihre Dürftigkeit noch offenkundiger würde, gemeinschaftlich mit ihm das wenige, das ihnen geblieben war, zu verkaufen und in die Fremde zu gehen.

Und so taten sie denn auch wirklich. Sie verließen, ohne von jemand Abschied zu nehmen, Florenz in aller Stille und ruhten nicht eher, bis sie in England waren. Hier mieteten sie sich in London ein kleines Häuschen und fingen, bei größter Sparsamkeit in ihren Ausgaben, auf argen Wucher Geld auszuleihen[97] an, wobei ihnen das Glück so günstig war, daß sie in wenigen Jahren sich ein großes Vermögen erwarben. Darauf reiste bald der eine, bald der andere von ihnen nach Florenz zurück. Sie brachten ihre ehemaligen Besitzungen zum größten Teil wieder an sich, kauften noch viele andere dazu und verheirateten sich in ihrer Heimat. Da sie aber immer noch fortfuhren, in England zu wuchern, schickten sie einen ihrer Neffen, Alessandro mit Namen, dorthin, um ihre Geschäfte zu besorgen.

Sie selbst blieben in Florenz und begannen, des Zustandes uneingedenk, in welchen ihr übertriebener Aufwand sie früher gestürzt, und obgleich sie jetzt für Frauen und Kinder mit zu sorgen hatten, verschwenderischer denn je zu leben, so daß alle Kaufleute die größte Meinung von ihnen hegten und ihnen jede beliebige Summe anvertraut hätten. Einige Jahre lang half ihnen das Geld, welches Alessandro ihnen schickte, solchen Aufwand zu bestreiten; denn dieser borgte seit einiger Zeit vielen Edelleuten auf ihre Schlösser und sonstigen Einkünfte und machte dabei die vorteilhaftesten Geschäfte.

Während jedoch die drei Brüder auf solche Weise verschwendeten und, wenn es ihnen an Geld fehlte, in der festen Hoffnung auf die Sendungen aus England welches aufnahmen, geschah, was kein Mensch vermutet hatte. In England brach ein Krieg zwischen dem König und einem seiner Söhne aus, der die ganze Insel in zwei Parteien teilte, indem die eine es mit dem Vater, die andere es mit dem Sohne hielt. Durch diesen Krieg wurden denn auch dem Alessandro alle Schlösser der Barone, die ihm verpfändet waren, entrissen, und keine der andern Einkünfte gewährte ihm bessere Sicherheit. Da man jedoch von einem Tag zum andern auf den Frieden zwischen Vater und Sohn hoffte, demzufolge dem Alessandro alles, sowohl Zinsen als Kapital, hätte wiedererstattet werden müssen, verließ dieser die Insel nicht, und die drei Brüder, die in Florenz wohnten und ihren Aufwand in keiner Weise beschränkten, borgten täglich mehr Geld zusammen. Als indes im Verlauf mehrerer Jahre die gehegten Hoffnungen sich nicht erfüllten, verloren jene drei Brüder nicht nur ihren Kredit, sie wurden auch auf Verlangen ihrer Gläubiger, die bezahlt sein wollten, gefangengesetzt und mußten, da ihre Besitzungen nicht ausreichten, [98] um die Schulden zu decken, wegen des Restes im Gefängnis bleiben. Ihre Frauen aber und ihre kleinen Kinder suchten teils auf den Dörfern, teils hie und da in gar dürftigen Umständen ihr Unterkommen, ohne für die Zukunft etwas anderes als Not und Elend erwarten zu können.

Alessandro hatte inzwischen in England mehrere Jahre lang vergebens auf den Frieden gewartet. Als er aber noch immer keine Aussicht dazu sah und sein längeres Verweilen ihm nicht minder lebensgefährlich als unnütz zu sein schien, entschloß er sich, nach Italien zurückzukehren, und machte sich ganz allein auf den Weg.

Da traf es sich nun, daß zugleich mit ihm ein Abt in weißem Ordensgewand von Brüssel abreiste, dem viele Mönche Gesellschaft leisteten und zahlreiche Dienerschaft mit Saumrossen voranzog. Hinter dem Abt folgten zwei Edelleute aus altem, dem König verwandten Geschlecht, die Alessandro von früher her kannte. Als er sich daher zu ihnen gesellte, nahmen sie ihn willig auf. Im Weiterreiten fragte er sie mit geziemender Bescheidenheit, wer die Mönche wären, die mit so vieler Dienerschaft vorausritten, und wohin sie reisten. »Der vorderste«, erwiderte einer der beiden Edelleute, »ist ein junger Vetter von uns, der kürzlich zum Abt einer der größten Abteien Englands gewählt worden ist. Weil er aber jünger ist, als die Gesetze für dieses Amt vorschreiben, gehen wir jetzt mit ihm nach Rom, um den Heiligen Vater zu bitten, daß er ihm wegen seines ungenügenden Alters Dispens erteile und ihn dann in seiner Würde bestätige; doch davon darf noch nicht geredet werden.« Unterwegs ritt der junge Abt bald vor, bald hinter seiner Dienerschaft, wie wir das täglich sehen, wenn große Herren über Land reisen, und so bemerkte er denn auch einmal den Alessandro, der zufällig in seine Nähe gekommen war.

Alessandro war ein junger Mann von schönem Wuchs und einnehmenden Gesichtszügen und so wohlgesittet und unterhaltend, als man es nur sein kann. In der Tat gefiel er dem Abt im ersten Augenblick auf eine so erstaunliche Weise, wie ihm nie zuvor etwas anderes gefallen hatte. Er rief ihn zu sich, fing freundlich mit ihm zu reden an und fragte ihn, wer er sei, woher er komme und wohin er gehe. Alessandro gab ihm auf [99] seine Fragen volle Auskunft, eröffnete ihm unverhohlen seine ganze Lage und erbot sich, so gering auch seine Kräfte seien, zu jedem Dienste. Als der Abt diese verständige und wohlgesetzte Antwort hörte, als er Alessandros feine Bildung im einzelnen genauer beobachtete und bei sich selbst erwog, daß jener, ungeachtet seines niedrigen Geschäfts, dennoch ein Edelmann sei, wurde sein Wohlgefallen an ihm immer lebhafter. Voll Mitleid mit seinen Unglücksfällen ermunterte er ihn zutraulich und hieß ihn gute Hoffnung hegen; denn wenn er nur ein wackerer Mann sei, werde Gott ihn wieder an dieselbe Stelle, von welcher er ihn verstoßen habe, ja vielleicht an eine noch höhere setzen. Übrigens bat er ihn, da seine Reise nach Toskana gerichtet sei und auch er ein gleiches Ziel habe, ihm unterwegs Gesellschaft zu leisten. Alessandro dankte für so freundlichen Zuspruch und erklärte sich zu allem bereit, was jener ihm beföhle.

Von neuen Empfindungen bewegt, die der Anblick Alessandros in ihm geweckt hatte, setzte der Abt seine Reise fort, und nach einigen Tagen langte die Gesellschaft in einem Dorfe an, das mit Wirtshäusern gar spärlich versehen war. Da jedoch der Abt eben hier einkehren wollte, veranlaßte ihn Alessandro, im Hause eines Wirts abzusteigen, mit dem er von früherer Zeit her befreundet war, und sorgte dafür, daß ihm ein Zimmer gerichtet wurde, das unter allen im Hause noch am mindesten unbequem gelegen war. Alessandro war ohnehin eine Art Haushofmeister des Abtes geworden, und in dieser Eigenschaft brachte er das übrige Gefolge, so gut er konnte, in den benachbarten Häusern unter, wo er ebenfalls wohlbekannt war.

Als nun der Abt zu Abend gespeist hatte und es schon so spät in der Nacht geworden war, daß alle Leute sich schlafen gelegt hatten, fragte Alessandro den Wirt, wo er selber schlafen könne. »Das weiß ich wirklich nicht«, antwortete der Wirt. »Du siehst, alles ist besetzt, und kannst dich überzeugen, daß meine Angehörigen auf den Bänken schlafen. In der Stube des Abts wären freilich noch einige Kornladen; da könnte ich dich hinführen, ein paar Betten darauflegen, und wenn dir's recht wäre, würdest du die Nacht, so gut es gehen will, darauf schlafen.« [100] Alessandro entgegnete: »Wie soll ich jetzt noch in des Abtes Stube gehen, die überdies so klein ist, daß keiner seiner Mönche darin hat schlafen können? Hätte ich's gewußt, ehe die Vorhänge zugezogen wurden, so hätte ich auf dem Kornkasten ein paar Mönche schlafen lassen und wäre selbst dahin gegangen, wo die jetzt sind.« Darauf sagte der Wirt: »Es ist doch nun einmal so, und du findest dort, wenn du willst, das beste Lager von der Welt. Der Abt schläft, und die Vorhänge sind zugezogen. Ich bringe dir in aller Stille ein Kissen, und du schläfst da.« Als Alessandro sah, daß die Sache sich einrichten ließ, ohne dem Abt beschwerlich zu fallen, willigte er ein und legte sich so leise wie möglich zurecht.

Der Abt aber schlief noch nicht, sondern hing seinem neuerregten Verlangen leidenschaftlich nach und hatte alles gehört, was Alessandro und der Wirt miteinander gesprochen und wo jener sich niedergelegt hatte. In seinem Innern hocherfreut, sagte er zu sich selber: »Gott hat mir Gelegenheit zur Erfüllung mei ner Wünsche gegeben. Wenn ich sie vorübergehen lasse, wird für lange Zeit eine ähnliche nicht so leicht wiederkommen.« Entschlossen also, sie zu nutzen, rief er, sobald alles im Hause still zu sein schien, den Alessandro mit leiser Stimme und forderte ihn auf, sich zu ihm ins Bett zu legen. Alessandro widerstrebte anfangs, dann aber entkleidete er sich und legte sich nieder. Sogleich legte der Abt ihm die Hand auf die Brust und begann ihn nicht anders zu betasten, als es lüsterne Mädchen bei ihren Liebhabern tun. Alessandro war darüber nicht wenig erstaunt und dachte, den Abt treibe vielleicht eine schändliche Liebe, ihn also zu betasten. Dieser erriet indes, entweder aus Alessandros Benehmen oder aus innerer Ahnung, diesen Verdacht, zog rasch das Hemd aus, das er noch anhatte, ergriff die Hand des jungen Mannes, legte sie auf seine Brust und sagte: »Alessandro, verbanne deinen törichten Wahn und erkenne hier, was ich bisher verbarg.« Alessandros Hand hatte inzwischen auf der Brust des Abtes zwei runde, feste und zarte Hügel entdeckt, die sich nicht anders anfühlten, als seien sie von Elfenbein, und kaum hatte er diese gefunden und sogleich erkannt, daß er neben einem Mädchen lag, so hatte er es auch, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, in den Arm [101] genommen und wollte es schon zu küssen anfangen, als es ihn mit folgenden Worten unterbrach:

»Ehe du mir näherkommst, höre erst, was ich dir sagen will. Ich bin, wie du dich überzeugt haben wirst, ein Mädchen und kein Mann. Als Jungfrau habe ich meine Heimat verlassen und habe zum Papst reisen wollen, damit er mich vermähle. Zu deinem Glück oder vielmehr zu meinem Unstern bin ich vor einigen Tagen, als ich dich zum ersten Male sah, in solcher Liebe zu dir entbrannt, daß vielleicht nie ein Weib einen Mann heftiger geliebt hat. Deshalb habe ich beschlossen, lieber dich als irgendeinen andern zum Manne zu nehmen. Willst du mich aber nicht zur Frau, so verlasse mich augenblicklich und kehre wieder zu deiner Schlafstelle zurück.«

Obwohl Alessandro sie nicht kannte, so schloß er doch mit Rücksicht auf die Gesellschaft, in der sie reiste, sie müsse vermögend und von gutem Stande sein, und daß sie schön war, sah er selbst. So antwortete er denn, ohne sich eben lange zu besinnen, wenn es ihr lieb sei, so sei es ihm höchst erwünscht. Nun setzte sie sich im Bett auf, gab ihm einen Ring in die Hand und befahl ihm, sich vor einem Bilde, das dort hing und auf welchem unser Heiland abgebildet war, ihr zu verloben. Dann umarmten sie sich und ergötzten sich während des übrigen Teils der Nacht aneinander, zu großer beiderseitiger Lust. Als der Tag anbrach und beide sich über ihr künftiges Betragen verabredet hatten, stand Alessandro auf und verließ die Stube, so wie er hereingekommen war, ohne daß jemand erfuhr, wo er in dieser Nacht geschlafen hatte. Dann machte der Abt sich hochvergnügt mit seiner Gesellschaft wieder auf den Weg, und nach einer Anzahl Tagereisen kamen sie endlich in Rom an.

Kaum hatten sie sich hier einige Tage ausgeruht, so wartete der Abt mit den beiden Edelleuten und mit Alessandro dem Papste auf und fing nach der geziemenden Begrüßung also zu reden an: »Heiliger Vater, Euch muß es besser als jedem andern bekannt sein, daß, wer rechtlich und ehrbar leben will, nach Kräften jeden Anlaß vermeiden muß, der ihn anders zu handeln verleiten könnte. Da ich nun gesonnen bin, solcherart zu leben, bin ich, um jener Regel vollkommen zu genügen, in der Tracht, in der ich vor Euch stehe, vom Hofe meines Vaters, [102] des Königs von England, geflohen und habe einen großen Teil seiner Schätze mit mir genommen. Dieser wollte mich nämlich, so jung ich bin, an den König von Schottland, einen steinalten Herrn, verheiraten. Ich aber habe mich hierher auf den Weg gemacht, damit Eure Heiligkeit mich vermählen möge. Auch hat mich nicht sowohl das Alter des Königs von Schottland zur Flucht bewogen, als die Furcht, ich könnte infolge meiner jugendlichen Schwäche mich nach meiner Heirat wider die göttlichen Gesetze und wider die Ehre des königlichen Blutes versündigen. Während ich nun in solcher Absicht hierher reiste, hat mir Gott, der allein vollkommen weiß, was einem jeden not tut, nach seiner Barmherzigkeit den vor die Augen geführt, der, wie ich glaube, nach seinem Willen mein Gemahl sein soll, und das ist dieser junge Mann« – dabei zeigte sie auf Alessandro –, »den Ihr hier an meiner Seite seht und dessen edle Sitten und wackeres Benehmen jeder noch so hochgeborenen Dame würdig sind, wenn auch vielleicht der Adel seines Blutes dem königlichen nachstehen muß. Ihn also habe ich mir auserlesen, ihn will ich zum Gemahl, und nie werde ich einen andern nehmen, was auch mein Vater oder die Welt dazu sagen mögen. Dadurch wäre eigentlich der Hauptgrund meiner Reise erledigt gewesen. Dennoch habe ich sie vollenden wollen, teils um die heiligen und ehrwürdigen Stätten zu besuchen, von denen diese Stadt so voll ist, und um Eure Heiligkeit selbst zu sehen, teils aber auch, um die zwischen Alessandro und mir bisher allein im Angesichte Gottes geschlossene Ehe Euch und infolgedessen den übrigen Menschen zu offenbaren. So bitte ich Euch denn flehentlich, was Gott und mir gefallen hat, Euch ebenfalls genehm sein lassen zu wollen und uns Euren Segen zu erteilen, auf daß wir mit ihm als einem sicheren Unterpfand der Billigung dessen, den Ihr auf Erden vertretet, zu Gottes und zu Eurer Ehre leben und endlich dereinst sterben können.«

Alessandro erstaunte, als er vernahm, seine Gattin sei die Tochter des Königs von England, und innige, aber heimliche Freude erfüllte sein Herz. Mehr aber noch erstaunten die beiden Edelleute, und sie wurden darüber so unwillig, daß sie, wenn sie vor einem anderen als dem Papste gestanden hätten, sich gegen den jungen Mann und vielleicht auch gegen die [103] Dame tätlich vergangen hätten. Auf der andern Seite erstaunte auch der Papst über die Tracht der Dame und über ihren Entschluß. Da er jedoch einsah, daß das Geschehene nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, beschloß er, ihrer Bitte zu willfahren. Vor allen Dingen beruhigte er die beiden Edelleute, deren Unwillen er bemerkt hatte, und stellte ihr gutes Vernehmen mit der Dame und mit Alessandro wieder her. Dann ordnete er an, was ferner geschehen solle.

Als hierauf der von ihm festgesetzte Tag herangekommen war, berief er in Gegenwart sämtlicher Kardinäle und anderer Vornehmer, die auf seine besondere Einladung zu einem glänzenden Feste erschienen waren, die Dame, welche in königlichem Schmucke so reizend und anmutig erschien, daß sie von allen verdientes Lob erwarb, und den Alessandro, der, ebenfalls königlich geschmückt, nicht für einen jungen Mann, der auf Wucherzinsen geliehen, sondern für einen königlichen Prinzen gehalten werden konnte, wie ihm denn in der Tat von den beiden Edelleuten viel Ehre erwiesen wurde. Hier ließ der Papst das Eheverlöbnis von neuem feierlich begehen, und nachdem die Hochzeit festlich und prachtvoll gefeiert worden war, verabschiedete er das Paar mit seinem Segen.

Auf Wunsch Alessandros und mit Zustimmung der Dame sollte die Rückreise über Florenz führen, wohin das Gerücht schon Kunde von diesen Begebenheiten gebracht hatte. Von den Einwohnern mit den höchsten Ehren aufgenommen, ließ die Dame, nachdem sie alle Gläubiger befriedigt hatte, die drei Brüder befreien und setzte sie und ihre Frauen in die ehemaligen Besitzungen wieder ein. Um dessentwillen von allen wohlgelitten, verließen Alessandro und seine Gemahlin Florenz, von wo sie den Agolante mitnahmen. In Paris angelangt, wurden sie vom König ehrenvoll empfangen. Von dort aus reisten die beiden Edelleute nach England und vermochten so viel über den König, daß er der Tochter seine Liebe wieder zuwendete und sie und seinen Schwiegersohn mit großen Freuden bei sich empfing. Den letzteren machte er bald darauf in besonders ehrenvoller Weise zum Ritter und gab ihm die Grafschaft Cornwall. Dieser aber besaß so großes Geschick und gab sich so viel Mühe, daß es ihm gelang, Vater und Sohn wieder zu [104] versöhnen. Daraus erwuchs der Insel ein großer Vorteil, und Alessandro gewann die Liebe und den Dank des ganzen Volkes. Agolante aber rettete alles vollständig, was die Brüder in England zu fordern hatten, und kehrte überreich nach Florenz zurück, nachdem Graf Alessandro ihn zuvor zum Ritter gemacht hatte. Der Graf führte dann mit seiner Gattin ein rühmliches Leben, und wie einige sagen, hat er teils durch eigene List und Tapferkeit, teils mit Hilfe seines Schwiegervaters Schottland erobert und wurde als dessen König gekrönt.

Vierte Geschichte

Landolfo Ruffolo verarmt, wird Korsar, gerät in genuesische Gefangenschaft und erleidet Schiffbruch. Er rettet sich auf einer Kiste voll köstlicher Edelsteine, wird in Korfu von einem armen Weibe beherbergt und kehrt reich in die Heimat zurück.


Als Lauretta, die neben Pampinea saß, diese am rühmlichen Ende ihrer Geschichte angelangt sah, begann sie, ohne eine besondere Aufforderung abzuwarten, also zu sprechen:

Holdselige Mädchen, nach meinem Dafürhalten kann man die Macht Fortunas am deutlichsten erkennen, wenn jemand, wie wir das in Pampineas Geschichte an Alessandro haben geschehen sehen, vom tiefsten Elend zu königlicher Würde erhoben wird. Weil also wir alle, die wir ferner im Bezirk unserer Aufgabe zu erzählen haben, genötigt sein werden, uns innerhalb dieser Grenzen zu halten, so schäme ich mich nicht, eine Geschichte vorzutragen, die zwar noch größeres Unglück schildert, doch nicht zu einem so glänzenden Ausgang gedeiht. Wem es nur auf diesen Ausgang ankommt, wird sie demnach mit geringerer Aufmerksamkeit anhören, doch wird man mich entschuldigen, da ich, wie gesagt, nicht anders kann.

Man rechnet das Gestade von Reggio bis Gaeta mit zu den schönsten Landschaften Italiens. Hier dehnt sich, nicht weit von Salerno, eine bergige Küste aus, die das weite Meer überschaut und von den Einwohnern die Küste von Amalfi [105] genannt wird. Sie ist übersät mit kleinen Städten, bedeckt von Gärten und Springbrunnen und voll von Leuten, die sich durch den Handel bedeutende Reichtümer erworben haben. Unter diesen Städten ist eine, Ravello genannt, die zwar heute noch wohlhabende Einwohner hat, vor Zeiten jedoch einen besaß, der überreich war und Landolfo Ruffolo hieß. Da ihm indes seine Reichtümer noch nicht genügten und er sie zu verdoppeln trachtete, fehlte wenig daran, daß er nicht allein sie, sondern mit ihnen zugleich das eigene Leben eingebüßt hätte.

Er kaufte nämlich, wie Handelsherren das wohl zu tun pflegen, auf Grund seiner Berechnungen ein besonders großes Schiff, befrachtete dies vollkommen für sein eigenes Geld und fuhr mit ihm nach Zypern. Hier aber fand er andere Schiffe, die mit derselben Art Waren, wie er sie gebracht hatte, eben dorthin gekommen waren. Deshalb mußte er seine Ladung nicht allein unter dem Preis abgeben, wenn er überhaupt verkaufen wollte, sondern fast umsonst weggeben, wodurch er sich nahezu ruinierte. Er nahm sich das Unglück, binnen kurzem von großem Reichtum zum armen Manne geworden zu sein, so zu Herzen, daß er beschloß, entweder zu sterben oder seinen Verlust durch Räubereien zu ersetzen, damit er, der reich abgereist, nicht arm nach Hause zurückkehre.

Sobald er also einen Abnehmer für sein großes Schiff gefunden hatte, schaffte er sich mit dem Gelde, das er hieraus und aus dem Verkauf seiner Waren gelöst hatte, ein kleines Kaperschiff an, rüstete dies mit allem aus, was zu solchen Unternehmungen dienlich ist, und begann, sich fremdes Eigentum, besonders aber das der Türken, anzueignen. Das Glück begünstigte ihn bei diesem Handwerk mehr, als es bei seinem Handel getan hatte. Er plünderte und nahm im Verlauf eines Jahres so viele türkische Schiffe, daß er nicht allein ebensoviel wiedergewonnen hatte, wie er als Kaufmann verlor, sondern seinen damaligen Besitz noch um vieles vermehrt sah. Der Schmerz über sein eigenes Unglück hatte ihn indes so sehr gewitzigt, daß er, um nicht einem zweiten zu unterliegen, mit sich selbst einig wurde, was er besitze, müsse ihm genug sein.

So entschloß er sich denn, mit dem Erworbenen nach Hause zurückzukehren, und einmal gegen Waren mißtrauisch gemacht, [106] wollte er sich auch nicht darauf einlassen, sein Geld anderweitig anzulegen, sondern ruderte mit demselben Fahrzeug, das ihm zu seinem Gewinne verholfen hatte, geradewegs nach Hause. Schon war er in den Archipel gelangt, da erhob sich eines Abends ein heftiger Schirokko, der nicht allein der Fahrtrichtung entgegen war, sondern auch die See so hoch gehen ließ, daß Landolfo mit seinem kleinen Schiffe nicht auf dem offenen Meer bleiben konnte, sondern genötigt war, sich zum Schutz vor dem Winde in eine kleine Inselbucht zurückzuziehen, um dort besseres Wetter abzuwarten.

In dieselbe Bucht flüchteten bald darauf mit genauer Not zwei große genuesische Lastschiffe, die von Konstantinopel kamen und derselben Gefahr zu entgehen suchten, vor der Landolfo geflohen war. Als die Eigentümer jener Schiffe das kleine Fahrzeug erblickten und erfuhren, wem es gehörte, beschlossen sie, es sich anzueignen, denn sie waren von geldgieriger und räuberischer Gesinnung und hatten bereits gerüchtweise von Landolfos Reichtümern gehört. Den Weg zur Flucht hatten sie ihm schon abgeschnitten. So setzten sie denn einen Teil ihrer Mannschaft an Land, wohlbewaffnet und mit Armbrüsten versehen, und postierten diesen an einem Platz, von dem sie allen auf Landolfos Schiffe, die nicht erschossen werden wollten, das Landen verwehren konnten. Die Lastschiffe aber ließen sie teils von den Booten ziehen, teils kam ihnen das Meer selbst zu Hilfe, so daß sie ganz nahe zu Landolfos Fahrzeug gelangten und dies mit geringer Mühe und in kurzer Zeit kaperten, ohne von den Rudersklaven, die sich darauf befanden, einen Mann zu verlieren und ohne nennenswerten Widerstand zu finden. Den Landolfo selbst brachten sie auf eines ihrer Schiffe, plünderten sein kleines Fahrzeug völlig aus und versenkten es dann, während seinem ehemaligen Eigentümer nichts als eine ärmliche Jacke blieb.

Tags darauf änderte sich der Wind. Die Schiffe segelten gen Westen und verfolgten während des ganzen Tages glücklich ihre Reise. Gegen Abend aber erhob sich ein heftiger Sturm, das Meer ging hoch, und die beiden Schiffe wurden voneinander getrennt. Von der Gewalt des Windes wurde dasjenige, auf welchem sich der arme, unglückliche Landolfo befand, in [107] der Nähe der Insel Kefalonia mit größter Heftigkeit auf eine Sandbank geschleudert, so daß es wie Glas, das wider eine Mauer geworfen ward, auseinanderbrach und zerschellte. Waren aller Art, Balken und Bretter bedeckten schwimmend das ganze Meer, und obgleich es finstere Nacht war, suchte jeder von den armen Schiffbrüchigen, der schwimmen konnte, irgendeinen Gegenstand zu ergreifen, der von ungefähr in seine Nähe kam. Obgleich nun unser unglücklicher Landolfo am Tage zuvor oftmals den Tod gerufen und ihn in Gedanken der Heimkehr als Bettler vorgezogen hatte, erschrak er doch vor ihm, als er ihn jetzt vor sich sah, und ergriff wie die andern ein Brett, dessen er habhaft wurde, in der Hoffnung, daß Gott ihm vielleicht noch zur Rettung verhelfen werde, wenn er sich eine Zeitlang vor dem Ertrinken schützen könnte. So hielt er sich die Nacht hindurch, so gut er konnte, reitend auf dem Brette, während dieses von Wind und Wellen bald hierhin, bald dorthin getrieben wurde.

Als endlich der Tag angebrochen war und Landolfo sich umschaute, erblickte er nichts anderes als Wolken und Meer und eine Kiste, die ihm zu seinem Schrecken mehrmals so nahe kam, daß er fürchtete, sie möchte auf ihn stoßen und ihn verletzen, weshalb er sie auch jedesmal mit aller Kraft, obwohl diese nur noch gering war, mit der Hand von sich stieß. Dennoch geschah es, daß ein Wirbelwind sich plötzlich in der Luft entwickelte, auf das Meer niederfuhr und die Kiste so gewaltig traf, daß sie, gegen das Brett geschleudert, dieses und mit ihm Landolfo tief unter das Wasser stieß. Als Landolfo, dem die Furcht neue Kräfte lieh, schwimmend wieder emporkam, sah er sein Brett weit von sich hinweggerissen, so daß er fürchten mußte, er würde es nicht mehr erreichen. Er wendete sich darum der Kiste zu, die ihm ziemlich nahe war, legte sich mit der Brust auf den Deckel derselben und hielt sie, so gut es ging, aufrecht. In dieser Stellung mußte er den ganzen Tag und die folgende Nacht aushalten, vom Meer hin und her geworfen, ohne Speise, denn wo hätte er sie hernehmen sollen, aber bei häufigerem Trunk, als er gewünscht hätte, ohne zu wissen, wo er sich befand, und ohne etwas anderes als Wasser zu sehen.

[108] Den Tag darauf gelangte er endlich durch Gottes Willen oder durch die Kraft der Winde getrieben, vom Wasser durchweicht wie ein Schwamm, die Kanten der Kiste umklammernd, wie Ertrinkende es tun, an das Ufer der Insel Korfu, wo zum Glück eben ein armes Weib sein Küchengeschirr mit Sand und salzigem Seewasser wusch und blank scheuerte. Als die Alte ihn der Küste nahekommen sah und die menschliche Gestalt nicht an ihm zu erkennen vermochte, floh sie anfangs schreiend und erschrocken. Er aber konnte nichts zu ihr sagen, denn er hatte die Sprache ganz und das Gesicht fast verloren. Dennoch warf ihn das Meer gegen das Land, und die Frau erkannte nun den Umriß der Kiste. Dann blickte sie aufmerksamer hin und ward zuerst die Arme gewahr, die sich über die Kiste spannten, fand alsbald das Gesicht heraus und erriet endlich die Wahrheit. Sein Zustand erregte ihr Mitleid, sie watete einige Schritte ins Meer hinein, das sich inzwischen beruhigt hatte, packte ihn an den Haaren und zog ihn samt der Kiste an Land. Mit Mühe machte sie seine Hände von der Kiste los, lud sie ihrer kleinen Tochter, die bei ihr war, auf den Kopf und trug ihn selbst wie ein kleines Kind ins Dorf. Sie setzte ihn in ein Bad und rieb und wusch ihn so lange mit warmem Wasser, bis die entwichene Wärme und ein Teil der verlorenen Kräfte in den Körper zurückkehrten. Als es ihr Zeit zu sein schien, nahm sie ihn wieder heraus, erquickte ihn mit etwas gutem Wein und Gebackenem und pflegte ihn nach ihrem Vermögen einige Tage lang so gut, daß er wieder Kraft gewann und sich bewußt wurde, wo er war.

Da glaubte die gute Frau, es sei nun an der Zeit, ihm die Kiste, die ihn gerettet, wiederzugeben und ihm zu sagen, daß er ferner selbst für sich sorgen möge. So tat sie denn auch, und Landolfo, der sich der Kiste nicht mehr erinnerte, nahm sie dennoch an, als die gute Frau sie ihm brachte, und meinte, wenn sie auch noch so wenig wert wäre, könnte sie ihm doch seinen Unterhalt für den einen oder andern Tag verschaffen. Als er sie aber sehr leicht fand, gab er diese Hoffnung fast wieder auf, bis er sie eines Tages, als seine Wirtin nicht zu Hause war, aufbrach und darin viele lose und gefaßte Edelsteine fand, deren hohen Wert er sogleich erkannte, da er [109] dergleichen Dinge einigermaßen zu beurteilen wußte. Da wurde er wieder froh und dankte Gott, daß er ihn noch nicht ganz habe verlassen wollen. Weil er aber in kurzer Zeit zweimal vom Schicksal hart getroffen worden war, beschloß er, wegen eines dritten Males besorgt, besonders vorsichtig zu Werke zu gehen, um diese Kostbarkeiten sicher in seine Heimat bringen zu können. Zu diesem Zweck wickelte er sie alle, so gut es gehen konnte, in einige Lumpen und sagte zu seiner Wirtin, einer Kiste bedürfe er nicht mehr. Wenn sie ihm aber einen Gefallen tun wolle, so möge sie diese behalten und ihm dafür einen Sack schenken.

Die gute Frau war dazu gern bereit. Er aber dankte ihr, so herzlich er nur wußte und konnte, für die ihm erwiesenen Wohltaten, sagte ihr Lebewohl und schiffte, seinen Sack über die Schultern gehängt, in einem Boote nach Brindisi hinüber. Von hier aus ging er, immerfort längs der Küste, bis Trani, wo er einige Tuchhändler fand, die seine Landsleute waren. Diesen erzählte er alle seine Schicksale, nur daß er ihnen nichts von der Kiste berichtete, worauf sie ihn fast um Gottes willen bekleideten, ihm noch überdies ein Pferd liehen und Begleitung verschafften, um nach Ravello zu gelangen, wohin er, wie er erklärte, zurückkehren wollte.

Hier erst glaubte er sich sicher und öffnete, dankbar gegen Gott, der ihn so weit gebracht, seinen Sack. Als er ihn genauer als früher untersuchte, fand er sich im Besitze so vieler und so kostbarer Edelsteine, daß er bei angemessenem und selbst bei wohlfeilem Verkauf derselben mehr als doppelt so reich war wie bei seiner Abreise. Als er Gelegenheit gefunden hatte, die Steine zu verkaufen, sandte er der guten Frau, die ihn aus dem Meer gezogen, zum Dank für die erwiesenen Wohltaten eine bedeutende Geldsumme nach Korfu. Ein Gleiches tat er den Kaufleuten, die ihn in Trani bekleidet. Den Rest aber behielt er für sich und lebte damit ehrenvoll bis an sein Ende, ohne sich weiter auf Handelsunternehmungen einzulassen.

[110] Fünfte Geschichte

Andreuccio von Perugia kommt nach Neapel, um Pferde zu kaufen, und gerät in einer Nacht dreimal in Lebensgefahr, entrinnt ihr jedoch jedesmal und kehrt mit einem Rubin in seine Heimat zurück.


Bei den Edelsteinen, die Landolfo fand, begann Fiammetta, welche die Reihe des Erzählens traf, ist mir eine Geschichte eingefallen, die kaum weniger Gefahren enthält, sich aber von der Laurettas dadurch unterscheidet, daß ihre Ereignisse sich nicht etwa im Verlauf mehrerer Jahre, sondern in einer einzigen Nacht abspielten.

Es lebte, wie mir erzählt worden ist, in Perugia ein junger Pferdemakler namens Andreuccio di Pietro, der sich auf die Nachricht hin, daß in Neapel ein guter Pferdemarkt sei, fünfhundert Goldgulden in die Tasche steckte und sich, ohne je zuvor in der Fremde gewesen zu sein, mit mehreren andern Kaufleuten nach jener Stadt auf den Weg machte.

An einem Sonntag in der Dämmerung dort eingetroffen, ging er, den Ratschlägen folgend, die sein Wirt ihm erteilte, am andern Morgen auf den Markt, wo er zwar viele Pferde besah, an vielen Gefallen fand und um sie feilschte, dennoch aber über keines handelseins werden konnte. Um indes zu zeigen, daß er wirklich zu kaufen gedenke, zog er, unvorsichtig und unerfahren wie er war, zu wiederholten Malen vor den Augen aller, die ab- und zugingen, seine Börse voll Gold heraus. Da geschah es denn, daß, während er so marktete und seinen Geldbeutel sehen ließ, von ihm ungesehen eine junge Sizilianerin vorüberging, die zwar wunderschön, aber auch für geringes Geld bereit war, jedermann zu Willen zu sein, und seine Börse ins Auge faßte. Sogleich sprach sie zu sich selbst: »Wie gut wär ich daran, wenn dieses Geld mein wäre«, und damit ging sie weiter. Nun hatte dies Mädchen eine Alte bei sich, die gleichfalls aus Sizilien war. Sowie diese den Andreuccio gewahr ward, ließ sie ihre Herrschaft weitergehen und lief auf jenen zu, den sie auf das zärtlichste umarmte. Das Mädchen bemerkte dies und wartete, ohne ein Wort zu sagen, in einiger Entfernung das Ende jenes Gesprächs ab. Andreuccio [111] hatte sich inzwischen nach der Alten umgewandt, sie erkannt und mit großer Freude begrüßt. Sie versprach, zu ihm in seine Herberge zu kommen, und ging dann nach kurzer Unterhaltung weiter. Er aber fuhr zu feilschen fort, kaufte jedoch an diesem Morgen nichts.

Die Dirne, die zuerst Andreuccios vollen Beutel und dann seine Bekanntschaft mit ihrer Alten gesehen hatte, trug sich mit dem Gedanken, ob sie nicht ein Mittel finden könnte, jenes Geld oder wenigstens einen Teil davon zu erlangen, und fragte zu dem Ende die Alte vorsichtig aus, wer der Fremde sei, was er hier suche und woher sie ihn kenne. Diese erzählte ihr alles, was die Angelegenheiten des Andreuccio betraf, kaum weniger genau, als er selbst es hätte tun können, denn sie hatte lange Zeit in Sizilien und dann in Perugia bei seinem Vater gedient. Ebenso gab sie über seine Wohnung und den Zweck seiner Reise die nötige Auskunft. Als das Mädchen solchergestalt seine ganze Verwandtschaft und deren Namen hinreichend kennengelernt hatte, baute es auf dieser Kenntnis eine sinnreiche Erfindung auf, durch welche es seinen Zweck zu erreichen gedachte. Zu dem Ende gab es der Alten, sobald sie zu Hause angekommen waren, Besorgungen für den ganzen Tag, damit sie nicht mehr zu Andreuccio gehen sollte. Dann schickte es ein kleines Mädchen, das zu dergleichen Diensten gut angelernt war, gegen Abend in das Wirtshaus, wo Andreuccio wohnte. Die Kleine fand jenen zum Glück selbst, wie er allein an der Tür stand, und fragte nach ihm. Wie er nun erklärte, er sei es, zog sie ihn beiseite und sagte: »Herr, eine Edeldame aus dieser Stadt möchte, wenn es Euch gefällig wäre, gern mit Euch reden.« Andreuccio dachte bei diesen Worten einen Augenblick nach, und da er sich für einen hübschen Burschen hielt, vermutete er, die Edeldame werde in ihn verliebt sein, als ob es damals in Neapel keine an dern hübschen Leute gegeben hätte. So antwortete er schnell, er sei bereit, und fragte nur, wo und wann jene Dame ihn sprechen wolle. »Herr«, erwiderte die Kleine, »wenn es Euch gefällig wäre zu kommen, so erwartet sie Euch schon in ihrer Wohnung.« Andreuccio versetzte sogleich, ohne dem Wirt auch nur ein Wort zu sagen: »So geh denn voraus, ich werde dir folgen.«

[112] Auf diese Weise führte die Kleine ihn in das Haus jener Dirne, welches in einer Straße, das finstere Loch genannt, gelegen war, deren Anständigkeit schon der Name erraten läßt. Andreuccio freilich wußte und ahnte davon nichts und trat in der Meinung, an einen ehrbaren Ort und zu einer liebenswürdigen Dame zu gehen, unbefangen hinter der Kleinen in das Haus. Da die Kleine ihrer Gebieterin bereits zugerufen hatte: »Hier kommt Andreuccio«, so trat diese, als er hinaufstieg, an das obere Ende der Treppe. Sie war noch ziemlich jung, schlank gewachsen und von schönem Gesicht, dabei vornehm gekleidet und geschmückt. Als Andreuccio ihr näher kam, ging sie ihm mit offenen Armen drei Stufen entgegen, schlang diese fest um ihn und verweilte, von übermäßiger Zärtlichkeit übermannt, einige Zeit in dieser Stellung, ohne ein Wort zu sagen. Dann küßte sie ihn weinend auf die Stirn und sagte mit gerührter Stimme: »O mein Andreuccio, sei mir willkommen.« Dieser war über so feurige Liebkosungen ziemlich verwundert und sagte ganz erstaunt: »Madonna, ich freue mich Eurer Bekanntschaft.« Sie aber nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ihren Saal hinauf, von wo sie, ohne ein Wort zu sprechen, mit ihm in ihre Stube ging, die von Rosen, Orangenblüten und anderen Wohlgerüchen auf das köstlichste duftete. Hier sah Andreuccio ein Bett mit herrlichen Vorhängen, viele Kleider, die nach der Landessitte auf Rechen umherhingen, und andere schöne und kostbare Geräte in Menge, um welcher Dinge willen er als ein Neuling nicht zweifeln zu dürfen glaubte, daß sie eine gar vornehme Dame sein müsse.

Als sie sich nun miteinander auf einer Truhe am Fußende ihres Bettes niedergelassen hatten, begann sie also zu ihm zu sprechen: »Andreuccio, ich bin gewiß, daß du dich über die Liebkosungen, mit denen ich dich empfange, gleichermaßen verwunderst wie über meine Tränen, denn du kennst mich nicht und hast vielleicht niemals von mir gehört. Noch mehr aber wirst du vermutlich über das erstaunen, was du jetzt hören wirst: ich bin nämlich deine Schwester. Ich sage dir aber, seit Gott mir die Gnade erzeigt hat, daß ich vor meinem Tode einen meiner Brüder zu sehen bekommen habe (und was gäbe ich nicht darum, euch alle zu sehen), werde ich beruhigt aus der [113] Welt gehen, mag ich sterben, wann immer es geschehen soll. Doch von alldem hast du vielleicht in deinem Leben nichts vernommen, und so will ich dich darüber belehren. Wie du wohl erfahren hast, lebte Pietro, dein und mein Vater, lange Zeit in Palermo und wurde und wird dort von allen, die ihn kannten, wegen seiner Herzensgüte und Liebenswürdigkeit sehr geliebt. Vor allen andern jedoch, die ihm geneigt waren, liebte ihn meine Mutter, die von adeligem Geschlecht ist und damals verwitwet war, am meisten. Sie wurde, ohne den Zorn ihres Vaters und ihrer Brüder und ihre eigene Ehre zu achten, so vertraut mit ihm, daß ich auf die Welt kam und geworden bin, wie du mich siehst. Dann aber traten Umstände ein, um derentwillen Pietro Palermo verließ und nach Perugia zurückkehrte. So blieb ich damals als kleines Kind mit meiner Mutter zurück, und unser Vater hat sich, soviel mir bekannt geworden ist, seit dieser Zeit weder um sie noch um mich bekümmert. Wäre er nicht dein Vater, so tadelte ich ihn wegen dieses Betragens auf das ernstlichste, schon wegen seiner Undankbarkeit meiner Mutter gegenüber, die allein von treuer Liebe bewogen, ohne zu wissen, wer er war, sich und zugleich alles, was ihr gehörte, seinen Händen anvertraute, von der Liebe ganz zu schweigen, welche er für mich als seine Tochter, die ihm von keiner Magd und keinem gemeinen Weibsbild geboren worden war, hätte hegen sollen. Doch was hilft das! Was einmal falsch gemacht wurde, ist, besonders wenn es vor langer Zeit geschah, viel leichter zu tadeln als zu bessern. Genug, es war so. Er ließ mich als kleines Kind in Palermo zurück, und da bin ich denn ziemlich so weit herangewachsen, wie du mich siehst, bis meine Mutter mich an einen wackeren Edelmann aus Girgenti verheiratete, der meiner Mutter und mir zuliebe gleichfalls nach Palermo zog. Weil aber mein Mann sehr welfisch gesinnt ist, ließ er sich in geheime Verabredungen mit unserem König Karl ein. Ehe diese indes noch zur Ausführung gebracht werden konnten, hatte König Friedrich Wind davon bekommen, und just als ich mich anschickte, die erste Dame der Insel zu werden, mußten wir fliehen. So nahmen wir denn das wenige mit uns, das wir erlangen konnten – wenig war es im Vergleich zu dem vielen, das wir besessen hatten –, ließen Herrschaften[114] und Schlösser zurück und flüchteten hierher, wo König Karl sich uns so dankbar erweist, daß er uns einen Teil des Schadens vergütet, den wir um seinetwillen erlitten, und Landgüter und Häuser in Menge geschenkt hat. Auch gewährt er meinem Gatten, deinem Schwager, so große Einkünfte, wie du zu sehen Gelegenheit haben wirst. Auf solche Weise bin ich hierher gekommen, wo ich es Gott und nicht dir verdanke, dich, meinen geliebtesten Bruder, gefunden zu haben.« Und mit diesen Worten fing sie aufs neue an, ihn zu umarmen, und küßte ihm unter Tränen auf das zärtlichste die Stirn.

Als Andreuccio diese Fabel so zusammenhängend und unbefangen aus dem Mund des Mädchens hervorgehen hörte, dem freilich niemals das Wort auf den Lippen erstarb noch die Zunge versagte, als er sich ferner erinnerte, sein Vater sei wirklich in Palermo gewesen und dabei nach eigener Erfahrung die Sitten der Jugend erwog, die gern zu lieben geneigt ist, als er endlich die Tränen der Rührung, die Umarmungen und die keuschen Küsse des Mädchens fühlte, maß er allen Worten vollkommenen Glauben bei und sagte, sobald es schwieg: »Madonna, mein Erstaunen kann Euch nicht anders als natürlich erscheinen, wenn Ihr bedenken wollt, daß mein Vater, was immer der Grund gewesen sein mag, niemals von Eurer Mutter oder von Euch gesprochen hat, oder wenn er es getan haben sollte, mir wenigstens nichts davon zu Ohren gekommen ist, so daß ich von Euch nicht mehr wußte, als wenn Ihr gar nicht auf der Welt wäret. Je mehr ich aber hier allein stand und je weniger ich dergleichen erwarten konnte, desto lieber ist mir nun, in Euch eine Schwester gefunden zu haben. Und wahrlich, ich wüßte nicht, wie Ihr dem Vornehmsten anders als lieb und wert sein könntet. Wieviel mehr seid Ihr es also mir, der ich nur ein kleiner Handelsmann bin. Doch über eines bitte ich Euch, mir noch Aufschluß zu geben: wie habt Ihr erfahren, daß ich hier in der Stadt bin?« Darauf erwiderte sie: »Heute früh erzählte es mir eine arme Frau, die bei mir ein- und auszugehen pflegt, weil sie nach ihrer Versicherung lange Zeit bei unserem gemeinschaftlichen Vater in Palermo und Perugia gedient hat. Hätte ich es nicht für schicklicher gehalten, daß du zu mir in mein eigenes Haus kämst als ich zu dir in ein fremdes, [115] so wäre ich längst schon bei dir gewesen.« Nun fing sie an, ihn auf das genaueste und namentlich nach allen seinen Verwandten zu fragen, worauf ihr Andreuccio vollen Bescheid gab. Um dieser Tatsache willen glaubte er nur immer mehr, was nicht zu glauben ihm gesünder gewesen wäre.

Das Gespräch hatte lange gedauert, und die Hitze war groß. Daher ließ das Mädchen griechischen Wein und Konfekt kommen und Andreuccio einschenken. Darüber kam die Essenszeit heran, und Andreuccio wollte weggehen. Sie aber gab es durchaus nicht zu, stellte sich sehr gekränkt darüber, umarmte ihn und sagte: »Ja, nun sehe ich wohl, wie wenig du dir aus mir machst! Nicht für möglich sollte man es halten; du bist bei deiner Schwester, die du nie zuvor in deinem Leben gesehen hast, und in ihrem eigenen Hause, wo du gleich nach deiner Ankunft hättest absteigen sollen, und nun willst du sie wieder verlassen, um im Wirtshaus essen zu gehen. Wenn auch mein Mann leider nicht zu Hause ist, so werde ich doch wohl nach den schwachen Kräften einer Frau dir einige Ehre zu erweisen wissen.«

Andreuccio wußte darauf weiter nichts zu erwidern und sagte nur: »Ich habe Euch so lieb, wie man eine Schwester haben soll; wenn ich aber nicht nach Hause gehe, wird man mich den ganzen Abend zu Tisch erwarten, und mein Ausbleiben wird als Unhöflichkeit betrachtet werden.« »Nun, gottlob«, erwiderte sie dagegen, »habe ich denn niemand in meinem Hause, um sagen zu lassen, daß man nicht auf dich warten soll? Höflicher aber wäre es gegen mich und im Grunde nur deine Schuldigkeit, wenn du deinen Gefährten sagen ließest, sie sollten hierher zum Abendessen kommen. Dann könntet ihr nachher, wenn ihr anders wolltet, in Gesellschaft nach Hause gehen.« Andreuccio erwiderte, die Gefährten möchte er für den Abend nicht. Da sie es aber einmal so haben wolle, solle sie nach Gefallen über ihn selbst verfügen. Darauf tat sie, als ließe sie im Wirtshaus bestellen, daß man ihn nicht zum Essen erwarten möchte, und nach mancherlei andern Gesprächen setzten sie sich zu Tisch, wo sie auf das glänzendste mit zahlreichen Schüsseln bedient wurden und das Essen durch die List des Mädchens sich bis tief in die Nacht hinein ausdehnte.

[116] Als sie endlich vom Tisch aufgestanden waren und Andreuccio nach Hause gehen wollte, erklärte sie, daß sie das keinesfalls zugeben werde. Neapel sei überhaupt nicht, am wenigsten aber für den Fremden, der Ort, um in der Nacht darin umherzugehen. Auch habe sie, als sie das Essen im Wirtshaus habe absagen lassen, dasselbe gleich für das Nachtlager getan. Er glaubte nicht allein dies alles, sondern fand auch in seinem falschen Wahn an der Gesellschaft des Mädchens großen Gefallen und blieb. Auch nach Tisch spann sie nicht ohne Absicht mancherlei Gespräche noch lange aus, und erst als ein bedeutender Teil der Nacht vorüber war, ließ sie Andreuccio mit einem kleinen Kinde, das ihm zeigen sollte, was er etwa brauchen könnte, in der Stube zurück und ging mit ihren Dienerinnen in ein anderes Zimmer.

Die Hitze war noch immer groß. Deshalb warf Andreuccio, sobald er sich allein sah, die Kleider ab, zog die Hosen aus und legte diese unter das Kopfkissen. Weil ihn nun das natürliche Bedürfnis überfiel, sich der überflüssigen Last des Leibes zu entledigen, fragte er das Kind, wo er das tun könnte. Dieses zeigte ihm eine Tür auf der einen Seite des Zimmers und sagte: »Geht nur dort hinein.« Andreuccio schritt unbefangen vorwärts, setzte aber unglücklicherweise den Fuß auf ein Brett, das auf der entgegengesetzten Seite losgegangen war und fiel mit ihm zugleich hinab. So gnädig war ihm aber Gott, daß er sich, wie tief er auch hinunterfiel, doch im Fallen keinen Schaden tat, obgleich er von dem Unrat, der jenen Ort erfüllte, ganz bedeckt ward. Damit ihr aber das eben Gesagte und was ich noch hinzuzufügen habe, besser verstehen mögt, will ich euch näher beschreiben, wie jener Ort beschaffen war. Es waren in einem engen Gäßchen auf zwei Balken, die man, wie unter ähnlichen Umständen oft geschieht, zwischen den gegenüberstehenden Häusern eingeklemmt hatte, einige Bretter befestigt und auf diesen der Sitz angebracht. Eines dieser Bretter war es nun, mit dem Andreuccio hinunterfiel. Zwar rief er aus der Tiefe des Gäßchens, erschrocken über den Unfall, nach dem Kinde, aber dieses war, sobald es ihn fallen gehört hatte, zu seiner Gebieterin geeilt und hatte dieser berichtet, was geschehen war. Sogleich lief das Mädchen in die Stube, um zu [117] sehen, ob Andreuccios Kleidungsstücke da seien, und sobald es diese und mit ihnen den Geldbeutel, den er aus törichter Besorgnis immer bei sich führte, gefunden und den Zweck erreicht sah, um dessentwillen sie, die Palermitanerin, sich zur Schwester eines Perugianers gemacht und ihre Schlingen ausgelegt hatte, bekümmerte sie sich nicht mehr um jenen, sondern schloß eilends die Tür zu, aus welcher er herausgetreten war, als er fiel. Andreuccio rief inzwischen, da ihm das Kind nicht antwortete, immer stärker, doch es half ihm nichts. Nun erst fing er an, argwöhnisch zu werden, und begann allzu spät zu erraten, daß er betrogen worden war. Er kletterte über die kleine Mauer, welche das Gäßchen von der Straße trennte, ging an die Haustür, die ihm noch wohlbekannt war, klopfte und rüttelte lange daran und rief hinauf, aber alles vergebens. Jetzt sah er sein Unglück klar ein, weinte und sagte: »O Himmel, in welcher kurzen Zeit habe ich eine Schwester und fünfhundert Goldgulden eingebüßt!« In dieser Weise redete er noch weiter und fing dann wieder an zu klopfen und zu rufen. Endlich machte er solch einen Lärm, daß viele der nächsten Nachbarn darüber erwachten und aufstanden, als sie es nicht mehr ertragen konnten. Inzwischen kam eine Magd des Mädchens ans Fenster, stellte sich ganz schläfrig und sagte höhnisch: »Wer pocht denn dort unten?« »Kennst du mich denn nicht«, sagte Andreuccio, »ich bin ja Andreuccio, der Bruder der Madonna Fiordaliso.« Jene aber antwortete: »Guter Freund, wenn du zuviel getrunken hast, so geh und schlafe und komme morgen in der Frühe wieder. Ich weiß nicht, von was für einem Andreuccio du redest, noch was du sonst schwatzest. Gehe in Frieden und sei so gut und laß uns schlafen.« »Wie«, sagte Andreuccio, »du weißt nicht, wovon ich rede? Nun, wenn es mit den sizilianischen Verwandtschaften so steht, so gib mir wenigstens die Kleider wieder, die oben geblieben sind, und ich will gerne gehen.« Zur Antwort lachte ihm die Magd beinahe ins Gesicht und sagte: »Guter Freund, ich glaube, du redest im Traume.« Dies sagen, sich umdrehen und das Fenster zuschlagen, war eins.

Als dem Andreuccio nun kein Zweifel übrigblieb, daß er betrogen worden sei, geriet er so in Zorn, daß dieser sich fast zur Wut steigerte, und er beschloß, mit Gewalt durchzusetzen, [118] was er im Guten nicht erlangen konnte. Zu diesem Ende ergriff er einen großen Stein und begann mit viel heftigeren Schlägen als zuvor gegen die Tür zu pochen. Darüber traten mehrere der Nachbarn, die schon vorher erwacht und aufgestanden waren, ans Fenster. Sie waren aufgebracht über das Pochen, das er vollführte, meinten, irgendein ungezogener Mensch wolle mit lügenhaften Worten das arme Frauenzimmer ärgern, und schrien, nicht anders als alle Hunde einer Gasse einen fremden Hund anbellen: »Es ist sehr ungezogen, um diese Stunde die armen Weiber mit solchem Geschwätz in ihrem eigenen Hause zu stören. Geh mit Gott, guter Freund, und sei so gut und lasse uns schlafen. Hast du etwas mit ihr zu tun, so komm morgen wieder. In der Nacht aber laß uns ungeschoren.« Vielleicht machten diese Worte einen Menschen, der sich drinnen im Hause befand und – ohne daß Andreuccio ihn zuvor gesehen – bei dem Mädchen Kupplerdienste versah, dreist genug, daß er ans Fenster trat und mit einer gewaltigen, wilden und zornigen Stimme hinunterrief: »Wer ist da?« Als Andreuccio bei diesem Ruf in die Höhe blickte, begriff er leicht, so wenig er auch in der Dunkelheit erkennen konnte, daß mit dem nicht viel zu spaßen sei, solch einen gewaltigen schwarzen Bart hatte er herunterhängen. Dabei gähnte er und rieb sich die Augen, als ob er aus dem Bett und von tiefem Schlafe aufgestanden wäre. Darum antwortete er nicht ohne Furcht: »Ich bin ein Bruder der Dame, die hier drinnen wohnt.« Jener aber wartete nicht ab, daß Andreuccio seine Antwort vollendete, sondern rief noch viel grimmiger als zuvor: »Ich weiß nicht, was mich abhält, hinunterzukommen und dich widerwärtigen, besoffenen Esel, der du sein mußt, weil du uns diese Nacht nicht schlafen läßt, so lange durchzuprügeln, als du noch ein Glied rühren kannst.« Mit diesen Worten drehte er sich herum und schlug das Fenster zu. Ein paar Nachbarn, die über diesen Menschen besser Bescheid wußten, sagten nun ganz freundlich: »Um Himmels willen, guter Freund, geh mit Gott und laß dich hier nicht totschlagen; es ist zu deinem Besten, wenn du gehst.«

War Andreuccio zuerst über die Stimme und den Anblick des Menschen erschrocken, so bewog ihn jetzt das Zureden dieser [119] Leute, die nur aus Mitleid so zu sprechen schienen, noch mehr, und verdrießlich, wie nur ein Mensch sein kann, und außer sich über das verlorene Geld ging er nach der Richtung, von wo er, ohne zu wissen wohin, am Abend zuvor der Kleinen gefolgt war, um sein Wirtshaus wiederzufinden. Weil ihm aber selbst der Gestank, der von ihm ausging, unerträglich war, bog er in der Absicht, sich dem Meer zuzuwenden und dort zu baden, links in eine Straße ein, die Ruga Catalana genannt wird. Während er so dem unteren Teil der Stadt zustrebte, sah er in einiger Entfernung zwei Männer, die eine Laterne trugen und ihm entgegenkamen. In der Meinung, daß es Häscher oder Leute sein könnten, die Böses im Schilde führten, verbarg er sich vor ihnen in einem verfallenen Hause, das in der Nähe stand. Jene aber folgten ihm, als ob sie gerade in dieses Gebäude bestellt gewesen wären, auf dem Fuße. Hier legte der eine von ihnen, der allerhand eiserne Werkzeuge auf der Schulter getragen hatte, diese nieder und fing an, sie mit dem andern zu besehen und mancherlei darüber zu sprechen.

Während sie noch so redeten, sagte der eine: »Weiß der Teufel, was das bedeutet. Ich rieche den abscheulichsten Gestank, der mir in meinem Leben vorgekommen ist.« Bei diesen Worten hob er die Laterne ein wenig in die Höhe, und da sahen sie denn beide den armen Andreuccio und riefen ganz erstaunt: »Wer da?« Andreuccio schwieg, sie aber hielten ihm das Licht näher ans Gesicht und fragten, was er, so schmutzig wie er sei, da mache. Andreuccio erzählte ihnen nun alles, was ihm begegnet war, und sie errieten leicht, wo es ihm so gegangen sein mußte. »Das ist gewiß bei Scarabone Buttafuoco geschehen«, sagten sie zueinander. Darauf sagte der eine zu Andreuccio: »Guter Freund, wenn du auch dein Geld verloren hast, so kannst du Gott doch nicht genug dafür danken, daß du den Fall getan hast und nicht wieder in das Haus hineinkommen konntest; denn sei überzeugt: wenn du nicht gefallen wärest, hätte man dich umgebracht, sobald du eingeschlafen warst, und dann hättest du Geld und Leben zusammen eingebüßt. Was hilft es dir aber jetzt, darüber zu weinen? Ebenso leicht kannst du dir die Sterne vom Himmel herunterholen, wie einen Kreuzer von dem Geld zurückgewinnen. Totgeschlagen aber kannst [120] du werden, wenn er hört, daß du jemand ein Wort davon sagst.« Nach diesen Worten besprachen sie sich eine Weile miteinander und sagten dann zu ihm: »Weißt du was, du dauerst uns, und willst du uns bei einer Sache helfen, die wir eben vorhaben, so glauben wir bestimmt, daß dein Anteil größer sein wird als das, was du eben eingebüßt hast.« Andreuccio antwortete in der Verzweiflung, er sei zu allem bereit.

Nun war an eben jenem Tage der Erzbischof von Neapel, der Filippo Minutolo geheißen hatte, mit kostbaren Kleinodien geschmückt und mit einem Rubin am Finger, der über fünfhundert Goldgulden wert war, begraben worden. Diese Leiche wollten jene berauben und teilten jetzt ihre Absicht dem Andreuccio mit. Andreuccio machte sich, mehr der Gewinnsucht als der Vernunft gehorchend, mit auf den Weg. Während sie aber die Richtung nach dem Dom einschlugen, sagte der eine, dem der Gestank zu arg wurde, welchen Andreuccio verbreitete: »Können wir denn nicht Rat schaffen, daß er sich irgendwo ein wenig wäscht und nicht mehr so schrecklich stinkt?« Darauf sagte der andre: »Wir sind hier dicht bei einem Brunnen, an dem gewöhnlich eine Rolle und ein großer Eimer zu hängen pflegen. Da können wir hingehen und ihn waschen.« Als sie zu dem Brunnen kamen, fanden sie zwar den Strick, aber der Eimer war weggenommen. Da beschlossen sie denn, ihn an den Strick zu binden und in den Brunnen hinunterzulassen. Unten sollte er sich waschen und wenn er fertig wäre, den Strick schütteln, damit sie ihn wieder heraufzögen. So taten sie auch wirklich. Als sie ihn aber kaum in den Brunnen hinuntergelassen hatten, kamen von ungefähr ein paar Häscher an jenen Brunnen. Sie waren jemand bei der großen Hitze nachgelaufen, hatten Durst bekommen und wollten trinken. Sobald Andreuccios neue Gesellen diese erblickten, liefen sie sogleich davon, ohne daß die Häscher sie gesehen hätten. Inzwischen hatte sich Andreuccio gewaschen und zog an dem Strick. Jene aber legten ihre Schilde, Waffen und Röcke ab und begannen den Strick emporzuwinden, in der Meinung, daß der volle Eimer daran befestigt sei. Als Andreuccio dem Brunnenrande nahe war, ließ er den Strick los und faßte jenen mit beiden Händen. Die Häscher aber erschraken darüber so sehr, daß sie, ohne ein [121] Wort zu sagen, den Strick fahren ließen und davonliefen, so schnell sie nur konnten. Andreuccio wußte sich das nicht zu erklären, und hätte er sich nicht so festgehalten, so wäre er gewiß hinuntergestürzt und hätte sich vermutlich stark beschädigt, wenn er überhaupt mit dem Leben davongekommen wäre. So aber kletterte er heraus und erstaunte noch mehr, als er die Waffen sah, die, wie er genau wußte, nicht seinen Gefährten gehörten.

Voller Zweifel und Ungewißheit schalt er auf sein Schicksal und beschloß, ohne daß er von den Sachen etwas angerührt hätte, den Ort zu verlassen, obgleich er nicht wußte, wohin er gehen sollte. Unterwegs begegneten ihm indes die beiden Gesellen, die eben zurückkamen, um ihn aus dem Brunnen zu ziehen, und ihn nun, als sie seiner ansichtig wurden, verwundert fragten, wie er herausgekommen sei. Andreuccio sagte, er wisse es selbst nicht, und erzählte ihnen der Reihe nach, was sich zugetragen und was er außerhalb des Brunnens gefunden hatte. Dadurch errieten jene lachend den Zusammenhang der Sache und sagten ihm, warum sie geflohen wären, und wer ihn heraufgezogen hätte.

Da die Mitternacht inzwischen herangekommen war, gingen sie, ohne sich mit weiteren Reden aufzuhalten, geradewegs zum Dom, öffneten mit geringer Mühe die Türen und gingen zu dem großen marmornen Denkmal. Dort angelangt, hoben sie den Deckel desselben, so schwer er war, mit ihren Brecheisen weit genug in die Höhe, daß ein Mann hineinkriechen konnte, und stützten ihn sodann auf einen eisernen Pflock. Darauf sagte der eine: »Wer soll denn nun aber hineinsteigen?« »Ich nicht«, entgegnete der andre. »Ich mag auch nicht«, sagte der erste, »Andreuccio kann ja hineinkriechen.« »Das werde ich wohl bleiben lassen«, bemerkte dieser. »Wie«, antworteten die beiden, »du hast keine Lust hineinzugehen? Wahrhaftig, du sollst hinein, oder wir werden dir mit einer von diesen Eisenstangen so viel auf den Kopf geben, daß du tot liegen bleibst.« Andreuccio mußte nun aus lauter Furcht wohl oder übel hineinkriechen. Als er aber drinnen war, dachte er bei sich selbst: die haben mich hineingeschickt, um mich zu betrügen. Sobald ich ihnen alles hinausgegeben habe, werden sie hingehen, wohin [122] sie Lust haben, während ich mühsam wieder aus dem Sarge krieche. So beschloß er denn, im voraus für sich selbst zu sorgen, und dachte dabei an den kostbaren Ring, von dem er reden gehört hatte. Diesen also zog er der Leiche des Erzbischofs, sowie er sie erreicht hatte, vom Finger und steckte ihn sich selbst an. Dann gab er jenen Bischofsstab, Mütze und Handschuhe, entkleidete die Leiche bis aufs Hemd, reichte ihnen alles hinaus und sagte, weiter sei nichts da. Die andern versicherten, der Ring müsse da sein, und hießen ihn überall suchen, er aber gab vor, ihn nicht zu finden, stellte sich, als suche er ihn, und hielt sie eine Weile hin. Jene aber, die draußen geblieben, waren ebenso schlau wie er, ermunterten ihn, ferner zu suchen, und zogen zu gelegener Zeit den Pflock, weg, der den Deckel emporhielt. Dann entflohen sie, während Andreuccio im Grabmal eingeschlossen blieb.

Wie ihm dabei zumute wurde, kann sich jeder denken. Zwar versuchte er wiederholt, den Deckel mit Kopf und Schultern emporzuheben, doch war alle Mühe umsonst, und er fiel endlich, vom Schmerze übermannt, ohnmächtig auf den toten Körper des Erzbischofs nieder. Es wäre in diesem Augenblick schwer zu entscheiden gewesen, wer mehr tot war, der Erzbischof oder er. Als er aber wieder zu sich kam, begann er bitterlich zu weinen. Es leuchtete ihm ein, daß es für ihn nur zwei Aussichten gab: entweder kam niemand, um das Grabmal zu öffnen, und dann mußte er vor Hunger und Gestank mitten unter den Würmern jener Leiche sterben, oder es kam jemand, und dann wurde er als Dieb gehangen.

Während er solcherlei Gedanken noch gar trübsinnig nachhing, hörte er in der Kirche Schritte und Gespräch von Leuten, die, wie er mit Schrecken vermutete, in derselben Absicht kamen, welche ihn und seine Gefährten hergeführt hatte. Als aber jene das Grabmal geöffnet und aufgestützt hatten, begannen sie miteinander zu streiten, wer hineinkriechen sollte, und keiner wollte. Nach langem Zank sagte endlich ein Pfaffe: »Wovor fürchtet ihr euch denn? Denkt ihr, er wird euch fressen? Die Toten beißen niemand. Ich will selbst hineinsteigen.« Und mit diesen Worten stützte er die Brust auf den Rand des Sarkophags und streckte, den Kopf nach außen gewandt, die [123] Beine hinein, um sich dann hinunterzulassen. Als Andreuccio das sah, richtete er sich auf und faßte den Pfaffen an einem Bein, als ob er ihn niederziehen wollte. Kaum aber fühlte das der Geistliche, so schrie er laut und sprang mit einem Satz aus dem Sarge. Darüber erschraken denn wieder die übrigen so sehr, daß sie davonliefen, als ob hunderttausend Teufel hinter ihnen drein wären.

Als Andreuccio das gewahr wurde, kroch er, froher als er je gehofft hatte, sogleich aus dem Grabmal heraus, das jene offen gelassen hatten, und verließ die Kirche auf demselben Wege, auf welchem er gekommen war. Inzwischen war der Morgen fast herangekommen, und Andreuccio gelangte, den Ring am Finger, ans Meeresufer und von da in sein Wirtshaus, wo seine Gefährten und der Wirt die ganze Nacht über um seinetwillen in Angst gewesen waren. Er erzählte ihnen, was ihm begegnet war, und auf den Rat des Wirtes wurde für gut befunden, daß er Neapel sogleich verlassen sollte. So tat er denn auch augenblicklich und kehrte nach Perugia zurück, nachdem er sein Geld, statt Pferde zu kaufen, wie es seine Absicht gewesen, in einem Ringe angelegt hatte.

Sechste Geschichte

Madonna Beritola verliert ihre zwei Söhne, wird dann mit zwei kleinen Rehen auf einer Insel gefunden und geht nach Lunigiana. Hier tritt einer ihrer Söhne bei dem Landesherrn in Dienst, schläft mit dessen Tochter und wird gefangengesetzt. Inzwischen empört sich Sizilien gegen König Karl, der Sohn wird von seiner Mutter erkannt und heiratet die Tochter seines Herrn. Der Bruder findet sich ebenfalls, und beide werden wieder vornehme Leute.


Die Damen und die jungen Männer hatten gleichermaßen über die Abenteuer des Andreuccio gelacht, die Fiammetta erzählt hatte, und Emilia begann, als die Geschichte zu Ende war, auf Befehl der Königin also:

Bitter und beschwerlich sind uns die mannigfachen Launen [124] des Glücks, und wir können nicht von ihnen reden hören, ohne daß unsere Seelen aus dem Schlummer geweckt werden, in den seine Gunst sie versetzt. Deshalb meine ich, daß Glückliche wie Leidende gern solchen Erzählungen lauschen sollten, welche die ersten lehren, auf der Hut zu sein, die letzteren aber trösten. Und so will ich denn, so Erstaunliches auch von meinen Vorgängern gesagt worden ist, euch eine Geschichte erzählen, die nicht minder wahr als rührend ist und in der die Leiden so groß und anhaltend waren, daß ich, wenngleich ihnen ein frohes Ende folgte, mir doch kaum einreden kann, sie seien von dem späteren Glück jemals völlig versüßt worden.

Ihr müßt nämlich wissen, daß nach dem Tode Kaiser Friedrichs des Zweiten Manfred zum König von Sizilien gekrönt ward und daß bei diesem ein Edelmann aus Neapel namens Arrighetto Capece in hohem Ansehen stand. Dieser war mit Beritola Caracciola, einer schönen Neapolitanerin aus guter Familie, verheiratet. Während nun Arrighetto die Regierung der Insel von Manfred anvertraut war, erfuhr er, dieser sei zu Benevent von König Karl besiegt und getötet worden und das ganze Königreich wende sich dem letzteren zu. Da er nun in die unsichere Treue der Sizilianer geringes Vertrauen setzte und dem Feinde seines Fürsten nicht gehorchen wollte, schickte er sich zur Flucht an. Indes bekamen die Sizilianer von seiner Absicht Kunde, setzten ihn und noch viele andere Freunde und Diener König Manfreds fest und lieferten diese und dann auch die Insel selbst dem König Karl aus.

Madonna Beritola wußte in diesem großen Umsturz aller Dinge nicht, was aus Arrighetto geworden war. In steter Furcht und besorgt, daß ihre Ehre gekränkt werden könnte, ließ sie ihr gesamtes Eigentum zurück und floh in schwangerem Zustand mit ihrem etwa achtjährigen Sohn Giuffredi in einem Kahn nach Lipari, wo sie einen zweiten Knaben gebar und diesen Scacciato nannte. Darauf nahm sie eine Amme und bestieg mit allen ein kleines Schiff, um zu ihren Verwandten nach Neapel zurückzukehren. Doch ging es nicht nach ihrem Wunsche. Das Fahrzeug, das nach Neapel bestimmt war, wurde von der Gewalt des Sturmes nach der Insel Ponza getrieben, wo die Schiffer eine kleine Bucht ansteuerten und günstigeres[125] Wetter abwarteten. Frau Beritola ging wie die übrigen an Land und suchte sich einen einsamen und abgelegenen Platz aus, wo sie sich allein niedersetzte und ihren Arrighetto beweinte. So tat sie jeden Tag, und da geschah es denn, daß, als sie einmal ohne Wissen der Matrosen und der andern Reisegefährten sich in ihre Klagen vertieft hatte, eine Galeere voll Korsaren jene überfiel und alle ohne Widerstand gefangen davonführte.

Als Frau Beritola, nachdem sie ihr tägliches Wehklagen beendet hatte, nach ihrer Gewohnheit zum Ufer und zu ihren Kindern zurückkehren wollte, fand sie niemand. Anfangs wunderte sie sich darüber, dann aber ahnte sie plötzlich, was geschehen sein könne, blickte hinaus aufs Meer und sah die Galeere, die sich noch nicht weit entfernt hatte, ihr Schifflein hinter sich herziehen. Da wurde es ihr denn allzu klar, daß sie zu dem Mann nun auch die Kinder verloren habe und hier arm, allein und verlassen zurückgeblieben sei, ohne Hoffnung, jemand der Ihrigen wiederzufinden. Und so fiel sie, laut nach ihrem Gatten und den Kindern rufend, ohnmächtig am Ufer nieder. Niemand war da, der mit frischem Wasser oder anderen Mitteln ihre entschwundenen Kräfte hätte zurückrufen können, und ihre Lebensgeister hatten alle Muße, nach ihrem Gefallen irrend umherzuschweifen. Als aber ihr unglücklicher Leib mit den Tränen und Wehklagen zugleich seine Kräfte wiedergewann, rief sie aufs neue lange nach ihren Kindern und suchte sie in jeder Höhle der Insel. Endlich aber mußte sie selbst einsehen, daß alle ihre Mühe umsonst war, und als die Nacht herankam, begann sie, immer noch von unbestimmter Hoffnung erfüllt, an sich selbst zu denken, verließ das Ufer und barg sich in jener Höhle, wo sie zu weinen gewöhnt war.

Nach einer unter Angst und unsäglichen Tränen verlebten Nacht fühlte sie am andern Morgen, als die Sonne schon seit mehr als drei Stunden am Himmel stand, lebhaften Hunger, zumal sie auch am vorhergehenden Abend nichts genossen hatte, und so machte sie sich daran, einige Kräuter zu suchen. Am Ende dieser kümmerlichen Mahlzeit hing sie weinend mancherlei Gedanken über ihr künftiges Leben nach, und dabei sah sie, ganz in ihrer Nähe, ein Reh in eine Höhle gehen, wieder herauskommen [126] und in den Wald laufen. Das machte Frau Beritola neugierig. Sie stand auf, ging hinein, wo das Reh herausgekommen war, und fand zwei kleine Rehzicklein, die vielleicht erst an diesem Tage geworfen worden waren. Sie fand die beiden Tierchen überaus niedlich und allerliebst, und da ihr die Milch von der kürzlichen Niederkunft her noch nicht versiegt war, hob sie die Kleinen zärtlich empor und legte sie an ihre Brust. Die Tierchen verschmähten diese Wohltat nicht, sondern sogen, wie sie es an ihrer Mutter getan hätten, und machten auch in Zukunft zwischen dieser und der Dame keinen Unterschied. Der Edeldame dagegen war nun, als habe sie an diesem öden Orte einige Gesellschaft gefunden. Sie aß Kräuter, trank Wasser, weinte, sooft sie sich an ihren Gatten, ihre Kinder und ihr früheres Leben erinnerte, wurde allmählich mit dem Muttertier so vertraut wie mit den beiden Kitzlein und beschloß, auf jener Insel zu leben und zu sterben.

So lebte die edle Dame einem wilden Tiere gleich mehrere Monate lang, bis es endlich geschah, daß ein pisanisches Schifflein ebenfalls wegen Unwetters an derselben Stelle landete, wo einst die Dame gelandet war, und mehrere Tage lang dort verweilte. Auf diesem Fahrzeug befand sich ein Edelmann aus dem Geschlecht der Markgrafen von Malespini mit Namen Currado in Gesellschaft seiner tugendhaften und frommen Gemahlin. Sie kamen von einer Wallfahrt, auf der sie alle heiligen Orte des Landes Apulien besucht hatten, und kehrten nun in ihre Heimat zurück. Eines Tages machte sich der Markgraf, um die üble Laune zu vertreiben, mit seiner Gemahlin und einigen Dienern und Hunden nach dem Innern der Insel auf den Weg. Dabei geschah es, daß die Hunde Currados nicht weit von der Stelle, wo Frau Beritola weilte, die zwei kleinen Rehe verfolgten, die inzwischen herangewachsen waren und grasend umherliefen. Die Tiere flohen, von den Hunden gejagt, in die Höhle, in der Frau Beritola sich befand. Diese aber erhob sich, als sie die Kleinen verfolgt sah, nahm einen Stock und vertrieb die Hunde. Darüber kamen Currado und seine Gemahlin, die ihren Hunden nachgingen, hinzu und wunderten sich sehr, als sie Frau Beritola erblickten, die braun und hager und struppig geworden war. Diese aber erstaunte noch mehr über jene. [127] Currado mußte auf ihr Begehren die Hunde zurückrufen; aber erst nach vielen Bitten konnte sie bewogen werden, zu sagen, wer sie sei und was sie dort für ein Leben führe. Als sie ihre ganze Lage und die Schicksale, die sie betroffen, vollständig erzählt und ihren harten Vorsatz kundgetan hatte, weinte Currado vor Mitleid, denn er hatte Arrighetto Capece sehr gut gekannt. Dann suchte er sie mit vielen Worten von einem so grausamen Entschluß abzubringen. Er bot ihr an, sie in ihre Heimat zurückzuführen oder bei sich aufzunehmen, wo sie wie eine Schwester geehrt werden und so lange verweilen solle, bis Gott ihr ein günstigeres Schicksal bereiten werde. Da die Dame diesem Anerbieten nicht nachgab, ließ Currado sie mit seiner Gattin allein und trug dieser auf, sie solle etwas zu essen bringen lassen, die Fremde, die ganz zerlumpt war, in eines ihrer Gewänder kleiden und alles aufbieten, daß sie mit ihnen komme.

Die Edelfrau ließ, nachdem sie noch lange mit Frau Beritola über deren trauriges Geschick geweint hatte, Kleider und Speisen herbeiholen und brachte jene nur mit der größten Mühe dahin, die einen anzunehmen und die andern zu genießen. Endlich bewog sie Frau Beritola, da diese sich weigerte, an einen Ort zu gehen, wo man sie kannte, mit ihnen nach Lunigiana zu reisen. Doch machte Frau Beritola zur Bedingung, daß die beiden Rehlein und deren Mutter, die inzwischen zurückgekommen war und zu nicht geringer Verwunderung der Edelfrau jene geliebkost hatte, sie begleiten dürften. Sobald nun wieder gutes Wetter ward, ging Frau Beritola mit Currado und seiner Gemahlin zu Schiff, und mit ihnen wurden auch das Reh und die beiden Kleinen eingeschifft. Um derentwillen nannte man sie, da die andern ihren wahren Namen nicht kannten, Cavriuola, das ist Reh. Ein günstiger Wind brachte sie schnell zur Mündung der Magra, wo sie ausstiegen und sich nach den Schlössern Currados begaben. Hier lebte dann Frau Beritola in Witwentracht bei Currados Gemahlin wie eine von deren Kammerfrauen, ehrbar, bescheiden und gehorsam, liebte ihre Rehe und sorgte für deren Futter.

Inzwischen waren die Korsaren, die das Schiff in Ponza geraubt und mit allen außer Frau Beritola weggeführt hatten, [128] nach Genua gelangt. Hier war die Beute unter den Eigentümern geteilt worden, und es hatte sich getroffen, daß unter anderen Stücken die Amme der Frau Beritola mit den beiden Kindern einem Herrn Gasparrin d'Oria zugefallen war. Dieser schickte Amme und Kinder in sein Haus, um sie als geringe Diener zu den täglichen Geschäften zu verwenden. Lange weinte die Amme, ebenso über den Verlust ihrer Gebieterin wie über das traurige Los betrübt, zu dem sie mit den beiden Kindern verurteilt war. Endlich sah sie jedoch ein, daß ihre Tränen zu nichts führten, daß sie Magd war und jene Knechte wären und blieben. Ungeachtet ihrer Armut war sie besonnen und verständig, und nachdem sie sich beruhigt hatte, so gut sie es vermochte, überlegte sie, daß den beiden Kindern in dieser Lage ihr Name, wenn er bekannt würde, leicht einmal nachteilig werden könne. Außerdem gab sie die Hoffnung nicht auf, ihr Schicksal werde sich irgendwann einmal ändern, und die Knaben könnten, wenn sie nur am Leben blieben, ihre alte Stellung wiedergewinnen. Aus diesen Gründen beschloß sie, niemand zu offenbaren, wer sie seien, bis eine günstigere Zeit käme. Demzufolge sagte sie allen, von denen sie darum befragt ward, es seien ihre Kinder, und nannte den älteren nicht Giuffredi, sondern Giannotto von Procida, dem jüngeren dagegen glaubte sie seinen Taufnamen lassen zu dürfen. Ferner machte sie dem Giuffredi mit großer Sorgfalt begreiflich, warum sie ihn anders genannt habe und welchen Gefahren er ausgesetzt sein könne, wenn er erkannt würde. Sie begnügte sich nicht, ihm dies einmal zu sagen, sondern schärfte ihm dieselben Lehren oft und vielmals ein. Auch fehlte es dem Kinde nicht an Fassungskraft, und es befolgte genau die Vorschriften der verständigen Amme. So lebten die beiden Knaben, schlecht gekleidet und noch schlechter beschuht, mit ihrer Amme mehrere Jahre lang geduldig im Hause des Herrn Gasparrin, wo sie zu den geringsten Diensten verwendet wurden.

Als indessen Giannotto sechzehn Jahre alt geworden war und edlere Gesinnungen hegte, als sie einem Diener geziemen, verließ er den Dienst des Herrn Gasparrin und schiffte sich, seiner niedrigen und knechtischen Lage überdrüssig, auf einer Galeere ein, die nach Alexandrien bestimmt war. So besuchte er [129] verschiedene Länder und konnte es darum doch nicht weiterbringen. Drei oder vier Jahre verstrichen, seit er Herrn Gasparrin verlassen hatte, und er wuchs inzwischen zu einem stattlichen und wohlgebildeten Manne heran; auch erfuhr er, sein Vater, den er tot geglaubt hatte, lebe noch im Kerker, von König Karl gefesselt und bewacht. Da gelangte er endlich auf seinen unsteten Irrfahrten, an seinem Glück fast verzweifelnd, nach Lunigiana, und der Zufall wollte es, daß er in den Dienst Currado Malespinas trat und durch sein Geschick und gutes Benehmen sich dessen Zufriedenheit erwarb. Ob er nun gleich seine Mutter, die mit der Gemahlin des Currado zusammen wohnte, einige Male zu sehen bekam, so erkannten beide einander doch nicht, so sehr hatte das Alter beide seit der Zeit, wo sie sich zum letztenmal gesehen hatten, verändert.

Während Giannotto in Currados Diensten stand, kehrte eine Tochter des letzteren mit Namen Spina, die durch den Tod ihres Mannes, eines Niccolo von Grignano, zur Witwe geworden war, in das Haus ihres Vaters zurück. Sie war schön und liebenswürdig und so jung, daß sie wenig über sechzehn Jahre zählte, und da geschah es, daß sowohl sie auf den Giannotto als auch er auf sie ein Auge warf und beide sich auf das glühendste ineinander verliebten. Diese Liebe blieb nicht lange unbefriedigt, und der vertraute Umgang beider hatte bereits mehrere Monate gedauert, ehe jemand etwas davon ahnte. Doch wurden die Liebenden dadurch allzu sicher und benahmen sich unvorsichtiger, als es sich bei solchen Dingen ziemt. So entfernte sich denn eines Tages die junge Witwe mit Giannotto, während man in einem schönen und dicht verwachsenen Gehölz lustwandeln ging, weit von der übrigen Gesellschaft, und als beide den übrigen weit genug vorangeeilt zu sein glaubten, ließen sie sich an einer rings von Bäumen umschlossenen Stelle zwischen Kräutern und Blumen nieder und begannen einander die höchsten Freuden der Liebe zu gewähren. Obgleich sie nun schon eine lange Zeit also geruht hatten, ließ die Lust, die sie empfanden, sie dennoch die Zeit für äußerst kurz halten, und so begab es sich, daß sie zuerst von Spinas Mutter und dann von Currado überrascht wurden.

Tief gekränkt durch das, was er gesehen hatte, ließ Currado, [130] ohne ein Wort zu sagen, die beiden Schuldigen von drei Dienern ergreifen und gebunden auf eine seiner Burgen führen. Von Zorn und Unmut übermannt, hatte er im Sinne, sie eines schmählichen Todes sterben zu lassen. Obgleich auch Spinas Mutter über den Fehltritt ihrer Tochter sehr aufgebracht war und die grausamste Züchtigung derselben nicht für zu hart hielt, konnte sie dennoch nicht ertragen, was sie nach einigen Worten Currados als dessen Absicht erriet. So folgte sie denn eilig dem erzürnten Gemahle nach und bat ihn, sich in seinem Alter nicht im Jähzorn zum Mörder seiner Tochter zu machen und seine Hände nicht mit dem Blut eines seiner Diener zu besudeln, sondern seinem Zorn auf andere Art Genüge zu tun, indem er sie zum Beispiel beide gefangensetzen ließe, daß sie im Kerker und im Elend ihren Fehltritt beweinen könnten. Mit diesen und mit vielen anderen Worten redete die fromme Dame ihm so lange zu, daß er den Vorsatz, sie zu töten, fallen ließ und statt dessen befahl, daß sie an verschiedenen Orten eingekerkert, sorgsam bewacht und so lange bei wenig Speise und viel Ungemach gehalten werden sollten, bis er anders über sie verfügte. Was für ein Leben die beiden jungen Leute in der Gefangenschaft unter fortwährenden Tränen und bei längerem Fasten, als ihnen lieb war, führten, kann sich jeder denken.

Während nun Giannotto und Spina so traurige Tage verlebten und schon ein ganzes Jahr vergangen war, ohne daß Currado sich ihrer erbarmt hätte, geschah es, daß König Peter von Aragonien durch Einverständnis mit Herrn Johann von Procida die Insel Sizilien aufwiegelte und dem König Karl entriß, worüber Currado, als eifriger Gibelline, seine Freude durch Festlichkeiten bezeigte. Dadurch erfuhr auch Giannotto von einem der Leute, die ihn zu bewachen hatten, etwas von dem Ereignis, und als er es hörte, seufzte er laut auf und sagte: »Gerechter Gott, nun sind es vierzehn Jahre, daß ich in der Welt umherirre und auf nichts anderes warte als eben darauf, und jetzt, wo es geschehen ist, muß ich im Gefängnis sitzen und darf nicht hoffen, vor meinem Tode wieder herauszukommen.« »Nun«, sagte der Gefangenenwärter, »was geht es dich denn an, was die großen Könige tun? Was hattest du denn in Sizilien zu schaffen?« Giannotto erwiderte ihm: »Mir ist, als [131] wollte mein Herz zerspringen, wenn ich daran denke, was mein Vater dort zu sagen hatte. Denn so klein ich auch noch war, als ich von dort entfliehen mußte, so erinnere ich mich doch noch, gesehen zu haben, wie er zu König Manfreds Zeit über die ganze Insel zu befehlen hatte.« »Und wer war denn dein Vater?« entgegnete der Schließer. »Meinen Vater«, sagte jener, »brauche ich jetzt nicht mehr zu verhehlen, da die Gefahr, in die zu kommen ich fürchtete, wenn ich ihn entdeckte, mich nun ohne das betroffen hat. Er hieß und heißt, wenn anders er noch am Leben ist, Arrighetto Capece, und ich nenne mich nicht Giannotto sondern Giuffredi. Es gibt keinen Zweifel, daß ich, wenn ich hier heraus und nach Sizilien kommen könnte, dort eine der höchsten Stellen einnähme.« Der Schließer ließ sich auf weiter nichts ein, sondern berichtete, sobald er Zeit dazu fand, das ganze Gespräch dem Currado. Zwar tat dieser dem Gefangenenwärter gegenüber, als ob der Bericht ihm gleichgültig wäre, doch ging er sogleich zu Frau Beritola und fragte sie freundlich, ob sie vielleicht von Arrighetto einen Sohn namens Giuffredi gehabt habe. Weinend antwortete die Dame, daß der älteste ihrer beiden Söhne, wenn er noch am Leben wäre, so hieße und etwa zweiundzwanzig Jahre alt wäre.

Als Currado dies vernahm, kam er zu der Überzeugung, der Gefangene sei es wirklich, und es kam ihm der Gedanke, daß er, wenn es sich so verhalte, zu gleicher Zeit ein großes Werk der Barmherzigkeit tun und seine und seiner Tochter Schande tilgen könne, wenn er diese jenem zur Frau gäbe. Aus diesem Grunde ließ er Giannotto heimlich zu sich rufen und befragte ihn genau über sein vergangenes Leben, und da er auch hierbei mancherlei deutliche Beweise fand, daß jener wirklich Giuffredi, der Sohn des Arrighetto Capece sei, sagte er zu ihm: »Giannotto, du weißt selbst, welche und eine wie schwere Beleidigung du mir in meiner eigenen Tochter angetan hast, während es dir, den ich freundlich und gut behandelte, als einem Diener geziemte, meine Ehre und die Ehre alles dessen, was mir gehört, aufrechtzuerhalten und zu befördern. Wahrlich, viele hätten, wenn du ihnen getan hättest, was du mir getan hast, dich eines schmählichen Todes sterben lassen; doch gab mein [132] Mitleid das nicht zu. Weil du nun aber wirklich, so wie du mir sagst, eines edlen Vaters und einer edlen Mutter Sohn bist, so bin ich, wenn du selber es auch willst, geneigt, deinem Leiden ein Ende zu machen, dich aus dem Elend der Gefangenschaft zu befreien und deine und meine Ehre in gebührender Weise wiederherzustellen. Spina, zu der du eine liebevolle, obwohl für dich und sie ungeziemende Neigung hegtest, ist, wie du weißt, Witwe. Ihre Mitgift ist bedeutend und sicher. Wie ihre Sitten, wer Vater und Mutter sind, ist dir bekannt, und in welcher Lage du selbst dich jetzt befindest, darüber brauche ich kein Wort zu verlieren. Wenn es dir also recht ist, so bin ich bereit, dir Spina, die in Unehren deine Geliebte war, in Ehren zur Gattin zu geben. Dann magst du wie mein eigener Sohn hier am Orte mit ihr und mit mir so lange weilen, wie es dir gefallen wird.«

Giannottos Leib war in der Gefangenschaft abgemagert, seine angeborene adelige Gesinnung aber war in nichts geschwächt worden, und ebenso unversehrt hatte sich in ihm auch die Liebe zu seiner Dame erhalten. Obgleich er also auf das lebhafteste das begehrte, was Currado ihm anbot, und obgleich er sich in dessen Gewalt befand, so milderte er doch keineswegs die Worte, die sein adeliger Stolz ihm eingab. »Currado«, erwiderte er, »ich habe weder deinem Leben noch dem, was dir gehört, aus Ehrgeiz, Geldgier oder irgendeinem anderen Grund verräterisch nachgestellt. Deine Tochter liebte ich, liebe sie und werde sie immerdar lieben, weil ich sie meiner Liebe wert halte. Und wenn ich nach der Meinung der großen Menge die Ehrbarkeit gegen sie verletzt habe, so habe ich eine Sünde begangen, die mit der Jugend untrennbar verbunden ist und die nur dann getilgt werden könnte, wenn man zugleich die Jugend vertilgte. Wollten aber die Alten sich daran erinnern, daß auch sie einmal jung waren, und wollten sie an fremde Fehler den Maßstab der eigenen legen und umgekehrt, so gälte diese Sünde nicht für eine so schwere, wie du und manche andere daraus machen. Was ich übrigens getan habe, habe ich als Freund und nicht als Feind getan. Das, was du dich jetzt zu tun erbietest, habe ich immer gewünscht, und hätte ich glauben können, daß es mir gewährt würde, so hätte ich schon vor langer Zeit [133] darum angehalten. Nun aber soll es mir um so werter sein, je weniger Hoffnung dazu vorhanden war. Solltest du aber nicht so gesinnt sein, wie deine Worte mich glauben machen, so nähre mich nicht mit eitler Hoffnung, sondern lasse mich in das Gefängnis zurückführen und dort nach deinem Belieben plagen; denn so lange ich Spina lieben werde, werde ich um ihretwillen auch dich lieben und dich in Ehren halten, was immer du mir auch antun magst.«

Currado verwunderte sich, als er diese Worte vernahm, denn sie bekundeten eine große Seele und eine glühende Liebe, um derentwillen er ihn nur um so lieber gewann, ihn umarmte und küßte. Darauf ließ er, um weiteren Aufschub zu vermeiden, Spina in der Stille herbeiführen. Das Gefängnis hatte sie mager, bleich und schwach gemacht, und sie hatte sich, ebenso wie Giannotto, völlig verändert. Beide vollzogen alsdann mit herzlicher Übereinstimmung in Currados Gegenwart ihre Verlobung nach der bei uns herrschenden Sitte. Einige Tage lang verschwieg Currado das Geschehene vor jedermann und versorgte indessen die Verlobten mit allem, was sie brauchten oder wünschten. Als es ihm endlich Zeit zu sein schien, die Mütter des jungen Paares an dieser Freude teilnehmen zu lassen, rief er seine Gemahlin und die Cavriuola zu sich und sprach zu der letzten: »Was sagtet Ihr wohl dazu, Madonna, wenn ich Euch Euren ältesten Sohn als Gatten einer meiner Töchter überbrächte?« Darauf antwortete Cavriuola: »Nur das eine vermöchte ich darauf zu sagen, daß ich, wenn es möglich wäre, Euch noch größeren Dank zu schulden, als ich ohnehin schulde, Euch noch viel dankbarer sein müßte, weil ich von Euch empfänge, was ich mehr liebe als mich selbst. Und wenn Ihr ihn mir so wiedergäbet, wie Ihr sagt, so fachtet Ihr die längst erloschene Hoffnung in mir zu neuem Leben an.« Und als sie das gesagt hatte, weinte sie und schwieg. Da fragte Currado seine Gemahlin: »Was hieltest du denn davon, Frau, wenn ich dir solch einen Schwiegersohn schenkte?« »Mir«, entgegnete seine Gattin, »wäre nicht nur einer von ihrem Hause, das ein adeliges ist, recht, sondern der Geringste, sobald es Euer Wille wäre.« »Nun denn«, sagte Currado, »so denke ich wohl, daß ich Euch in ein paar Tagen diese Freude machen kann.«

[134] Als er nach einiger Zeit sah, daß die jungen Leute ihr früheres Aussehen wiedergewonnen hatten, hieß Currado sie kostbare Kleider anlegen und fragte Giuffredi: »Könnte es wohl deine Freude noch erhöhen, wenn du deine Mutter hier sähest?« »Es ist wenig glaubhaft«, entgegnete Giuffredi, »daß der Schmerz über ihr Unglück sie am Leben gelassen haben sollte. Wäre es aber dennoch der Fall, so wäre meine Freude groß, zumal ich hauptsächlich durch ihren Rat hoffen könnte, mein Ansehen in Sizilien wiederzugewinnen.« Darauf ließ Currado die beiden Frauen hereinrufen, und diese bezeugten den Neuvermählten die herzlichste Freude, ohne sich jedoch die plötzliche Milde erklären zu können, mit der jener der Spina den Giannotto zum Manne gegeben hatte. Frau Beritola faßte indes, der früheren Reden Currados eingedenk, den Jüngling schnell ins Auge, und eine geheime Kraft weckte in ihr die Erinnerung an die kindlichen Züge des Sohnes, so daß sie ihn wiedererkannte und – ohne weiteren Aufschluß zu erwarten – ihm mit offenen Armen um den Hals fiel. So groß war das Übermaß mütterlicher Liebe und Freude, daß sie kein Wort zu sprechen vermochte, sondern aller Lebenskraft beraubt wie eine Tote an die Brust ihres Sohnes sank. Wohl wunderte sich dieser, daß er sie früher im selben Schlosse oftmals gesehen und nie erkannt haben sollte, doch regte sich schnell in ihm das Blut, das er von ihr empfangen, er schalt sich selbst wegen seiner früheren Sorglosigkeit, umfaßte sie weinend mit seinen Armen und küßte sie auf das zärtlichste. Als Frau Beritola unter dem liebevollen Beistand der Gemahlin Currados und der Spina durch kaltes Wasser und andere Mittel ihre verlorenen Kräfte wiedergefunden hatte, umfaßte sie ihren Sohn unter vielen Tränen und zärtlichen Worten voll mütterlicher Liebe aufs neue und küßte ihn wohl tausendmal. Er aber zeigte ihr in allem die kindlichste Ehrerbietung.

Nachdem sie einander drei- oder viermal voller Zärtlichkeit und Anstand umfangen hatten, nicht ohne teilnehmende Rührung der Umstehenden, erzählten sie sich alles, was ihnen zugestoßen war. Dann aber sagte Giuffredi zu Currado, der einige seiner Freunde schon zu deren großer Befriedigung von dem neuen Bunde benachrichtigt hatte und ein großes, glänzendes [135] Fest veranstaltete: »Currado, Ihr habt mir schon manche Freude gewährt und lange Zeit meine Mutter ehrenvoll beherbergt. Ich bitte Euch nun, daß Ihr, um nichts ungeschehen zu lassen, was Ihr für uns tun könnt, durch die Gegenwart meines Bruders, den, wie ich Euch schon sagte, Herr Gasparrin d'Oria als Diener in seinem Hause hält, nachdem er ihn und mich zur See geraubt hat, meine Mutter und mich erfreuen und mein Hochzeitsfest verherrlichen wollt. Dann aber bitte ich Euch noch, jemand nach Sizilien zu schicken, damit er sich dort genau nach den Verhält nissen und dem Zustand des Landes erkundigt, nachforscht, ob mein Vater Arrighetto tot oder noch am Leben ist, und wenn er noch leben sollte, in was für einer Lage er sich befindet. Über dies alles soll er uns vollständigen Bescheid bringen.« Dem Currado gefiel das Begehren des Giuffredi, und er schickte auf der Stelle zuverlässige Leute nach Genua und nach Sizilien.

Der erste Bote, der nach Genua gesandt war, suchte Herrn Gasparrin auf und bat ihn im Namen Currados inständig, diesem den Scacciato und dessen Amme zuzuschicken, und erzählte dabei der Reihe nach, was Currado für Giuffredi und dessen Mutter bereits getan hatte. Herr Gasparrin war über diese Nachrichten sehr verwundert und sagte darauf: »Gewiß will ich für Currado alles tun, was ihm angenehm sein kann, auch habe ich vor vierzehn Jahren den Knaben, nach dem du fragst, mit seiner Mutter ins Haus bekommen und bin gern bereit, ihm beide zu schicken. Doch sage deinem Herrn in meinem Namen, er möge sich in acht nehmen, daß er den Erzählungen des Giannotto, der sich jetzt Giuffredi nennt, nicht zu viel Glauben beigemessen habe oder noch beimesse, denn der ist viel durchtriebener, als Currado ahnt.« Nach diesen Worten ließ er den Abgesandten ehrenvoll bewirten, zugleich aber berief er heimlich die Amme zu sich und befragte diese sorgfältig über die ganze Angelegenheit. Als jene von dem Aufstand in Sizilien hörte und vernahm, daß Arrighetto noch am Leben sei, entsagte sie der Furcht, die sie bisher gehegt hatte, und erzählte ihm, wie alles zugegangen war und welche Gründe sie so zu handeln bewogen hatten.

Die genaue Übereinstimmung zwischen den Reden der Amme [136] und dem Bericht des Boten machte, daß Herr Gasparrin anfing, der Sache einigen Glauben beizumessen. So prüfte er denn als schlauer Mann die Angelegenheit von allen Seiten, und als er immer neue Beweise für die Wahrheit jener Erzählung fand, schämte er sich wegen der Art, wie er den Knaben behandelt hatte, so sehr, daß er, um es wiedergutzumachen, und weil er die hohe Stellung kannte, die Arrighetto eingenommen hatte und noch einnahm, sein schönes elfjähriges Töchterchen mit einer großen Aussteuer dem Scacciato zur Frau gab. Nachdem zu Ehren jener Verbindung ein glänzendes Fest gefeiert worden war, fuhr er mit dem jungen Mann, mit seiner Tochter, mit dem Boten Currados und mit der Amme auf einer wohlbewaffneten Galeere nach Lerici, wo er von Currado ehrenvoll empfangen und mit seiner ganzen Gesellschaft auf ein nahegelegenes und zu den bevorstehenden Festlichkeiten bereits eingerichtetes Schloß geführt ward. Wie groß die Freude der Mutter war, als sie ihren Sohn wiedersah, wie groß die der beiden Brüder, wie herzlich die beiden Brüder die treue Amme bewillkommneten, wie freudig alle Herrn Gasparrin und seine Tochter begrüßten, wie diese jene, wie endlich alle sich mit Currado, seiner Gemahlin, seinen Kindern und Freunden zusammen erfreuten, läßt sich nicht in Worten ausdrücken. Darum überlasse ich es euch, durch euere Einbildungskraft meine Erzählung zu ergänzen.

Damit jedoch die Freude ganz vollständig würde, ordnete Gott, der freigebige Spender alles Guten, es so an, daß um dieselbe Zeit gute Nachrichten von dem Leben und der glücklichen Lage des Arrighetto Capece anlangten. Denn als bei dem großen Feste die zur Tafel Geladenen, Männer und Frauen, noch bei der ersten Schüssel saßen, kehrte der Bote zurück, der nach Sizilien gereist war. Dieser berichtete unter anderm, daß das Volk, als der Aufstand gegen die Franzosen ausgebrochen war, voller Wut nach dem Gefängnis lief, die Wachen tötete, Arrighetto herausholte und als geschworenen Feind König Karls zu seinem Anführer machte. Unter seinem Befehl waren die Franzosen verjagt und getötet worden. Durch dieses Ereignis war ihm die Gunst König Peters in hohem Grade zuteil geworden. Dieser hatte ihn in alle Besitztümer und Würden wieder [137] eingesetzt, so daß er jetzt in höchstem Ansehen stand. Ihn selbst, fügte der Gesandte hinzu, hatte Arrighetto auf das ehrenvollste empfangen und die größte Freude über seine Gattin und seinen Sohn bezeigt, von denen er seit seiner Gefangennahme nie das mindeste gehört. Auch hatte er ein Schiff und einige Edelleute, die sogleich kämen, mitgesandt, um die Seinigen abzuholen.

Der Gesandte war mit Jubel und allgemeiner Freude empfangen und angehört worden. Nun aber ging Currado mit einigen seinen Freunden eilig den Edelleuten entgegen, die um Frau Beritolas und Giuffredis willen gesandt worden waren, begrüßte sie herzlich und führte sie zu seinem Gastmahl, das noch nicht bis zur Hälfte gediehen war. Das Vergnügen, das die Dame und Giuffredi wie auch alle übrigen empfanden, als diese Gäste eintrafen, hatte nicht seinesgleichen. Sie aber dankten, noch bevor sie sich zu Tische setzten, in Arrighettos Namen, so verbindlich sie nur wußten und konnten, dem Currado und seiner Gemahlin für die Ehre, welche sie der Frau Beritola und seinem Sohne erwiesen, und forderten sie auf, über Arrighetto und alles, was er vermöge, nach Belieben zu verfügen. Dann wandten sie sich auch alle zu Herrn Gasparrin, dessen Verdienste um Scacciato ihnen vorher nicht bekannt gewesen waren, und sagten ihm, sie seien sicher, daß ihm Arrighetto, sobald er erfahren werde, was er für seinen Sohn getan, ebenso herzlich, wenn nicht noch herzlicher dankte. Nun erst nahmen sie an der Festmahlzeit der jungen Bräute und ihrer Verlobten den freudigsten Anteil. Doch dauerten die Festlichkeiten, die Currado zu Ehren seines Schwiegersohnes und seiner übrigen Angehörigen und Freunde veranstaltete, nicht nur diesen, sondern noch viele darauffolgende Tage.

Als sie endlich zu Ende gingen, meinten Frau Beritola und Giuffredi gleich den übrigen, es sei Zeit aufzubrechen. So bestiegen sie unter vielen Tränen des Currado, seiner Gemahlin und des Herrn Gasparrin in Gesellschaft Spinas das Schiff, das ihnen Arrighetto gesandt, und sagten jenen Lebewohl. Ein günstiger Wind brachte sie binnen kurzem nach Sizilien, wo die Gattin, die Söhne und ihre Frauen von Arrighetto mit solcher Glückseligkeit empfangen wurden, daß sie unmöglich zu schildern [138] ist. Dort sollen sie dann noch lange Zeit glücklich und der empfangenen Wohltaten eingedenk in der Gnade Gottes gelebt haben.

Siebente Geschichte

Der Sultan von Babylon schickt seine Tochter dem König von Algarbien zur Frau, sie aber gerät durch eine Reihe von Ereignissen in einem Zeitraum von vier Jahren und an verschiedenen Orten neun Männern in die Hände. Endlich wird sie ihrem Vater zurückgebracht und reist als vorgebliche Jungfrau zum König von Algarbien, um dessen Gattin zu werden.


Es fehlte nicht viel, daß die Geschichte der Emilia und das Mitleid mit dem Unglück der Frau Beritola die jungen Damen zu Tränen gerührt hätte. Als jedoch Emilia zu Ende war, gefiel es der Königin, den Panfilo im Erzählen fortfahren zu lassen, weshalb er gehorsam und willig also begann:

Schwierig ist es für uns, ihr anmutigen Damen, zu erkennen, was uns guttut; denn wie wir oft sehen, meinen viele, wenn sie reich wären, könnten sie sorgenlos und ruhig leben. Daher bitten sie nicht allein Gott inbrünstig um Erreichung dieses Zieles, sie scheuen auch keine Mühe und Gefahr, um zu ihm zu gelangen. Werden aber ihre Bitten erfüllt, so finden sie oft ihrer Erbschaft wegen in denen Mörder, die, bevor sie reich wurden, ihr Leben beschützten und sie liebten. Andere, in niedrigem Stande geboren, bahnen sich durch tausend gefährliche Schlachten und durch das Blut ihrer Brüder und Freunde den Weg zu den Höhen des Thrones, wo sie das höchste Glück zu finden wähnen, und müssen, von der unendlichen Furcht und den Sorgen zu schweigen, die sie umgeben, bei ihrem jähen Tode erkennen, daß man an den Tafeln der Könige Gift aus goldenen Bechern trinkt. Nicht gering ist auch die Zahl derer, die körperliche Kraft und Schönheit mit dem heftigsten Verlangen, so wie andere den Schmuck, begehren, und die Torheit ihres Wunsches nicht eher erkennen, als bis sie gewahr werden, daß gerade jene Dinge ihnen den Tod oder schwere Betrübnis bringen. [139] Um aber nicht alle menschlichen Wünsche einzeln durchzusprechen, versichere ich im allgemeinen, daß es unter allen Wünschen keinen gibt, den die Sterblichen mit vollkommener Umsicht als vor allen Schicksalsschlägen gefeit zu wählen imstande sind. Deshalb sollten wir, wenn wir's richtig machen wollen, immer das hinzunehmen und festzuhalten bereit sein, was derjenige uns gibt, der allein durchschaut, was uns not tut, und es uns zu verleihen imstande ist. Wenngleich nun die Männer in dieser Hinsicht vielfach durch ihre Wünsche fehlgehen, so sündigt ihr, schöne Damen, doch ganz vorzüglich in dem einen Punkte: daß ihr schön zu sein wünscht und euch deshalb nicht einmal mit den Reizen begnügt, welche die Natur euch gewährt hat, sondern diese durch wunderbare Künste noch zu vermehren bestrebt seid. Darum will ich euch in der folgenden Geschichte erzählen, wie die Schönheit eine junge Sarazenin so sehr ins Unglück brachte, daß sie um dieser Schönheit willen in der Zeit von etwa vier Jahren neunmal neue Hochzeiten feiern mußte.

Schon vor geraumer Zeit lebte ein Sultan von Babylon namens Benminedab, dem zu seinen Lebzeiten gar vieles nach Wunsch ging. Unter mehreren andern Kindern beiderlei Geschlechts hatte er auch eine Tochter mit Namen Alatiel, welche nach der Aussage aller, die sie zu sehen bekamen, das schönste Mädchen war, das damals auf Erden gefunden werden konnte. Diese hatte er dem König von Algarbien auf dessen besonderen Wunsch zur Frau versprochen, weil jener ihm außergewöhnlichen Beistand bei einem Überfall zahlreicher Araber geleistet und zu einem glänzenden Siege verholfen hatte, und so schiffte er sie unter ehrenvoller Begleitung von Männern und Frauen mit vielen schönen und kostbaren Geräten auf einem gut bewaffneten und ausgerüsteten Fahrzeuge ein, damit sie unter Gottes Schutz zu ihrem Bräutigam reise. Die Schiffer hißten die Segel, sobald das Wetter ihnen günstig schien, verließen den Hafen von Alexandrien und hatten mehrere Tage lang eine glückliche Fahrt. Als indes Sardinien schon hinter ihnen lag und sie dem Ziel ihrer Reise nahe zu sein glaubten, erhoben sich eines Tages widrige Winde, von denen ein jeder so übermäßig ungestüm war, daß das Schiff, auf dem sich die junge Fürstin mit den [140] Matrosen befand, wild umhergeworfen und von den letzteren mehrmals aufgegeben wurde. Da diese jedoch in der Schiffahrt große Geschicklichkeit besaßen und alle Kraft und Kunst aufboten, gelang es ihnen im Kampf mit dem tobenden Meer, das Schiff zwei Tage lang zu erhalten.

Als indes bei Anbruch der dritten Nacht seit Beginn des Sturmes dieser nicht etwa nachließ, sondern immer stärker ward, wußten die Schiffer nicht mehr, wo sie sich befanden, konnten auch, weil der Himmel von dichten Wolken bedeckt und wie von dunkler Nacht verfinstert war, weder nach den Regeln der Schiffahrt noch durch Beobachtungen ihre Lage bestimmen. Darüber wurden sie, in der Nähe von Majorca, gewahr, daß ihr Schiff auseinanderzugehen begann. In dieser Lage, die jede Möglichkeit der Rettung ausschloß, dachte ein jeder an sich selbst und nicht an den andern. So sprangen die Schiffseigner in das Boot, das sie schnell aufs Meer hinabgelassen hatten, denn sie waren entschlossen, sich lieber diesem als dem auseinanderbrechenden Schiff anzuvertrauen. Ungestüm folgten ihnen die übrigen Männer nach, die im Schiff waren, obgleich die zuerst Eingestiegenen sie mit den Messern in der Hand daran hindern wollten. Während sie aber wähnten, nur so dem Tode entgehen zu können, wurden sie um so schneller seine Beute; denn weil bei dem widrigen Wetter das Boot nicht so viele Menschen tragen konnte, ging es unter, und alle, die in ihm gewesen waren, kamen um.

Inzwischen wurde das Schiff, auf dem niemand außer der Dame und ihren Frauen geblieben war, die von der Wut des Sturms und der eigenen Furcht betäubt wie Tote darauf umherlagen, von dem ungestümen Wind getrieben und in schneller Fahrt an die Küste der Insel Majorca verschlagen. Das geschah mit einem so gewaltigen Stoß, daß das Schiff etwa einen Steinwurf vom Ufer entfernt im Sand steckenblieb und, wie sehr auch die Nacht über die Fluten es umtobten, sich nicht mehr von der Stelle rühren konnte. Als endlich der helle Tag angebrochen war und der Sturm ein wenig nachgelassen hatte, hob die junge Dame, die sich dem Tode nahe fühlte, den Kopf und rief, so schwach wie sie war, bald nach dem einen, bald nach dem andern von ihrer Dienerschaft. Doch sie rief vergebens, [141] denn die Gerufenen waren allzu fern, um ihre Stimme zu hören. Als sie auf ihre Rufe keine Antwort erhielt und keinen der Ihrigen erblickte, erschrak sie gewaltig und wurde von großer Furcht überfallen. Doch richtete sie sich so weit auf, wie es ihre Kräfte zuließen, und sah die Frauen ihrer Begleitung und die übrigen Weiber alle am Boden liegen. Nach langem, vergeblichem Ansprechen rüttelte sie die eine nach der andern, fand aber nur wenige unter ihnen noch am Leben, denn die meisten waren vor Magenbeschwerden und Angst bereits gestorben. Dieser Anblick erschreckte die Dame nur noch mehr. Da sie sich jedoch so ganz allein sah und weder wußte noch erraten konnte, wo sie sei, ermunterte sie, guten Rats bedürftig, die am Leben Gebliebenen so lange, bis sie sich aufrichteten. Als aber auch diese ihr nicht zu sagen wußten, wo die Männer hingeraten waren, und als sie entdeckte, daß das Schiff auf den Strand gelaufen und voll Wasser war, fing sie zusammen mit ihnen bitterlich zu weinen an. Und schon war die dritte Nachmittagsstunde vorüber, ohne daß sie am Ufer oder sonst in der Nähe jemand gewahr geworden wären, dessen Mitleid und Beistand sie hätten anrufen können.

Um jene Stunde aber kam ein Edelmann mit Namen Pericone von Visalgo auf dem Rückweg von einer seiner Besitzungen mit mehreren seiner Leute zu Pferde zufällig dort vorüber. Sobald dieser das Schiff erblickte, erriet er sogleich, was geschehen war, und befahl einem seiner Diener, daß er so schnell wie möglich das Wrack besteigen solle, um ihm dann zu berichten, wie es sich damit verhalte. Es gelang dem Diener, aller Schwierigkeiten unerachtet, dem Befehle seines Herrn nachzukommen, und er fand die junge Dame mit der wenigen Begleitung, die ihr geblieben war, unter dem Schnabel des Schiffes ganz furchtsam verborgen. Sobald die Frauen ihn erblickten, flehten sie ihn weinend um Mitleid an und suchten, als sie sahen, daß er sie ebensowenig verstand wie sie ihn, ihm ihr Unglück durch Zeichen begreiflich zu machen. Der Diener merkte sich alles, so gut er konnte, und erzählte dann dem Pericone, was er auf dem Schiffe gesehen hatte. Dieser ließ sogleich die Frauen und die kostbarsten Dinge, die sich auf dem Wrack befanden und erreicht werden konnten, an Land bringen und ging [142] mit ihnen auf sein Schloß, wo er sie durch Speise und durch Ruhe erquickte. Aus den kostbaren Geräten erriet er, daß die Dame, die er gefunden, von gar vornehmer Herkunft sein müsse. Auch erkannte er dies bald aus der Ehrerbietung, welche die andern ihr allein bewiesen. Zudem schienen ihm, der Blässe und des Übelbefindens ungeachtet, welche die Unbilden des Meeres hervorgebracht, die Formen ihres Leibes von großer Schönheit zu sein, weshalb er augenblicklich bei sich beschloß, sie zur Frau zu nehmen, wenn sie noch keinen Gatten haben sollte, oder ihre Freundschaft zu gewinnen, wenn er sie nicht zur Frau haben könnte.

Pericone war ein Mann von kräftigem Aussehen und gewaltigem Gliederbau. Als er die Dame einige Tage lang auf das beste hatte bewirten lassen und sie sich wieder vollkommen erholt hatte, fand er sie noch um vieles schöner, als er vermutet, und gab sich deshalb alle Mühe, sie durch Liebkosungen und zärtliches Benehmen zu bewegen, daß sie ihm ohne Widerstreben zu Willen wäre. Er war von ihrer Schönheit leidenschaftlich entflammt, obgleich sie zu seinem großen Bedauern weder ihn noch er sie verstehen konnte, doch blieben alle seine Versuche ganz vergeblich. Je mehr sie indes seine Vertraulichkeiten von sich wies, desto höher loderte Pericones Glut. Als die junge Dame dies gewahr wurde und nach einigen Tagen aus den Sitten der Menschen schon erraten hatte, daß sie Christen seien, leuchtete ihr ein, daß sie mit der Zeit durch Güte oder Gewalt den verliebten Anforderungen Pericones werde nachgeben müssen und daß ihr unter diesen Umständen, selbst wenn sie sich hätte verständlich machen können, nichts daran liegen konnte, gekannt zu werden. Demzufolge beschloß sie, mit festem Mut ihrem widerwärtigen Schicksal entgegenzutreten, und befahl ihren Begleiterinnen, deren ihr nur drei geblieben waren, niemand jemals zu offenbaren, wer sie seien; es wäre denn, daß sich ihnen dadurch sichere Rettung böte. Außerdem ermunterte sie dieselben auf das nachdrücklichste, ihre Keuschheit zu bewahren, und versicherte, daß sie selbst entschlossen sei, sich niemand als ihrem Gemahl hinzugeben. Die Mädchen lobten ihren Entschluß und versprachen, den Befehlen nach Kräften zu gehorchen.

[143] Pericone aber entbrannte täglich um so mehr, je näher er sich dem geliebten Gegenstand sah und je mehr ihm alle Gunst verweigert wurde, so daß er endlich, als alle seine Aufmerksamkeiten vergeblich blieben, sich entschloß, Schlauheit und Trug anzuwenden, um erst im äußersten Fall seine Zuflucht zur Gewalt zu nehmen. Nun hatte er einige Male gemerkt, daß die junge Dame, die dem Verbot ihrer Religion zufolge des Weines ungewohnt war, an diesem besonderen Gefallen fand, und er hoffte deshalb, sie durch den Wein, den Diener der Venus, zu fangen. Zu diesem Ende stellte er sich, als ob ihn ihre Ungefügigkeit nicht störe, und ordnete eines Tages ein kostbares und festliches Abendessen an, zu dem die Dame auch wirklich erschien. Die Tafel war in jeder Weise glänzend bestellt; Pericone aber hatte demjenigen, welcher der Dame aufwartete, den Befehl gegeben, ihr mehrerlei Weine zusammenzumischen, und dieser vollzog den erhaltenen Auftrag auf das beste. Die Dame, die keinen Argwohn hegte und von dem Wohlgeschmack des Getränks verleitet ward, genoß davon mehr, als ihrer Ehrbarkeit gut tat. Der Wein machte sie mit der Zeit so lustig, daß sie all ihr vergangenes Ungemach vergaß, und als sie einige Mädchen nach der Weise von Majorca tanzen sah, fing sie selbst nach alexandrinischem Brauch zu tanzen an. Als Pericone das bemerkte, glaubte er sich dem Ziele seiner Wünsche nahe. Indem er fortwährend neue Speisen und Getränke auftischen ließ, dehnte er das Mahl bis weit in die Nacht hinein aus. Endlich entfernten sich die Gäste, und Pericone ging allein mit der Dame in deren Gemach, wo sie, vom Weine mehr aufgeregt als von der Sittsamkeit im Zaume gehalten, sich in Pericones Gegenwart ohne Scham und Scheu, als ob er eine ihrer Frauen wäre, entkleidete und zu Bett legte. Dieser zögerte nicht, ihr zu folgen, löschte alle Lichter aus, legte sich dann eilig auf der andern Seite neben ihr nieder, umfing sie mit seinen Armen und begann, ohne Widerstand von ihrer Seite, die Früchte der Liebe zu pflücken. Als Alatiel, die zuvor nicht gewußt hatte, mit was für einem Horn die Männer stoßen, das einmal empfunden, tat es ihr fast leid, sich gegen Pericones Bitten so lange gesträubt zu haben, und in Zukunft lud sie sich, ohne weitere Aufforderungen abzuwarten, oftmals selbst, zwar [144] nicht mit Worten, denn mit denen konnte sie sich nicht verständigen, wohl aber durch die Tat zu so süßen Nächten ein.

Doch es genügte dem Schicksal noch nicht, sie von der Braut eines Königs zur Bettgenossin eines Burgherrn gemacht zu haben, und ihre und Pericones Freuden wurden durch eine grausamere Leidenschaft unterbrochen. Pericone hatte nämlich einen Bruder namens Marato, der fünfundzwanzig Jahre alt und schmuck und frisch wie eine Rose war. Dieser nun hatte, sobald er Alatiel gesehen, das größte Gefallen an ihr gefunden und an ihren Gebärden zu bemerken geglaubt, daß er gut bei ihr angeschrieben sei. So meinte er denn, daß allein die strenge Aufsicht, unter der Pericone sie hielt, ihn daran hinderte, die Erfüllung seiner Wunsche von ihr zu erlangen. Er faßte darum einen ruchlosen Vorsatz, dem die schändliche Tat auf dem Fuße folgte. Es traf sich, daß eben um jene Zeit im Hafen der Stadt ein Schiff vor Anker lag, das, mit Waren beladen, unter der Leitung zweier junger Genuesen nach Chiarenza in Romania absegeln sollte. Schon waren die Segel aufgezogen, um, sobald der Wind günstig würde, abreisen zu können. Mit diesen Schiffern kam Marato dahin überein, daß sie in der nächsten Nacht ihn mitsamt der jungen Dame an Bord nehmen sollten.

Nachdem diese Verabredungen getroffen waren und es zu nachten begann, machte Marato, der sich schon ausgesonnen hatte, was er tun wollte, sich mit ein paar zuverlässigen Gefährten auf und schlich in Pericones Haus, wo er sich ungesehen versteckte. Als schon ein Teil der Nacht verstrichen war, öffnete Marato seinen Gefährten das Haus und führte sie in das Zimmer, wo Pericone mit seiner Geliebten schlief. Schnell töteten sie diesen im Schlaf. Als aber die Dame erwachte und zu weinen begann, drohten sie ihr beim mindesten Geräusch mit dem Tode und brachten sie nebst einem großen Teil der bedeutendsten Kostbarkeiten Pericones eilig ans Ufer, ohne von jemand bemerkt zu werden. Hier bestiegen Marato und die Dame das Schiff, und seine Gefährten kehrten zurück. Die Schiffer aber spannten vor dem günstigen, frischen Winde die Segel auf und fuhren ab. Die Dame beklagte sich anfangs bitter, sowohl über ihr erstes Unglück als auch über dieses zweite. Marato aber wußte sie, den uns von Gott geschenkten heiligen[145] Crescentius in der Hand, solchergestalt zu trösten, daß sie zahm gegen ihn wurde und den Pericone vergaß.

Schon glaubte sie wieder gut daran zu sein, als das Schicksal, dem die vorigen Unfälle noch nicht genügten, ihr neues Ungemach bereitete. Die beiden jungen Schiffsherrn nämlich verliebten sich in ihre – wie schon öfter berichtet worden ist – wunderschöne Gestalt und in ihr anmutiges Betragen so, daß sie alles andere darüber vergaßen und nur bemüht waren, ihr zu dienen und Gefälligkeiten zu erweisen, ohne daß Marato deren Grund erraten konnte. Da sie bald gegenseitig ihre Leidenschaft bemerkten, besprachen sie sich darüber insgeheim und beschlossen, den Gegenstand ihrer gemeinsamen Liebe – als ob Liebe dergleichen vertrüge – wie eine Kaufmannsware oder einen Gewinn miteinander zu erwerben. Weil aber Marato sie eifersüchtig bewachte und so ihren Absichten entgegentrat, gingen sie eines Tages, während das Fahrzeug besonders schnell segelte, einträchtig auf Marato zu, der am Hinterteil stand und ohne Argwohn ins Meer blickte, faßten ihn plötzlich von hinten und warfen ihn in die See. Und sie hatten schon mehr als eine Meile zurückgelegt, ehe jemand gewahr wurde, daß Marato ins Meer gefallen war. Als es aber endlich die junge Dame erfuhr, fing sie abermals auf dem Schiffe zu weinen und zu klagen an. Sogleich eilten die beiden Liebenden herbei, um sie zu trösten, und redeten ihr, so wenig sie davon verstand, mit süßen Worten und großen Versprechungen auf das eindringlichste zu, obgleich sie weniger den verlorenen Gemahl als ihr Mißgeschick beweinte.

Als sie nach langen und zu verschiedenen Zeiten vorgebrachten Reden sie einigermaßen beruhigt zu haben meinten, besprachen sie sich untereinander, wem von ihnen sie zuerst zufallen sollte. Da nun aber ein jeder von beiden der erste sein wollte und kein Mittel zur Einigung zu finden war, gerieten sie in einen heftigen Wortwechsel und erhitzten sich dabei so sehr, daß sie endlich zu den Messern griffen, wütend übereinander herfielen und ohne daß die übrigen, die sich auf dem Schiffe befanden, sie zu trennen vermocht hätten, sich so gefährliche Stöße beibrachten, daß der eine auf der Stelle tot niederfiel und der andere zwar am Leben blieb, aber an verschiedenen [146] Körperteilen schwere Wunden davontrug. Die junge Dame bedauerte dieses Ereignis gar sehr; denn nicht nur befand sie sich nun allein und ohne Beschützer auf dem Schiffe, sie fürchtete auch, der Zorn der Freunde und Angehörigen der beiden Schiffsherren möchte sich gegen sie wenden. Doch die Bitten des Verwundeten und die baldige Ankunft in Chiarenza befreiten sie von der letzteren Gefahr.

Kaum war sie an diesem Orte angelangt und mit dem Verwundeten in demselben Hause eingekehrt, als sich auch der Ruf von ihrer großen Schönheit durch die ganze Stadt verbreitete und bis zu den Ohren des Fürsten von Morea drang, der damals in Chiarenza verweilte. So wurde er begierig, sie zu sehen, und verliebte sich, sobald er sie gesehen und noch weit schöner gefunden hatte, als das Gerücht sie schilderte, so heftig in sie, daß er an nichts anderes zu denken imstande war. Als er erfuhr, auf welche Art sie nach Chiarenza gekommen war, schöpfte er Hoffnung, sie erlangen zu können, und wirklich schickten die Angehörigen des Verwundeten sie dem Fürsten ohne weiteres zu, sobald sie dessen Lust erfahren, während dieser noch darüber nachdachte, wie er sie gewinnen wollte. Die Freude des jungen Fürsten war groß, aber auch der Dame war dieses Ereignis, durch welches sie sich aus einer großen Gefahr errettet glaubte, erwünscht. Der Fürst erriet aus den königlichen Sitten, die sie außer Schönheit schmückten, obgleich er keine andere Nachricht über sie erlangen konnte, daß sie von edlem Stamme sein müsse, und dadurch steigerte sich seine Liebe zu ihr in solchem Maße, daß er sie in allen Stücken nicht als Bettgenossin behandelte, sondern als rechtmäßige Gemahlin ehrte. Durch diese Behandlung schöpfte die Dame, die ihre jetzige angenehme Lage mit ihren früheren Unfällen verglich, neuen Mut. Ihre frühere Munterkeit kehrte zurück, und ihre Reize gewannen wieder eine solche Frische, daß man in ganz Romania von nichts anderem reden hörte.

Dadurch bekam der Herzog von Athen, ein schöner junger Herr von einnehmendem Wesen, der mit dem Fürsten verwandt und befreundet war, Lust, sie zu sehen. Zu diesem Ende gab er vor, er wolle, wie er das zuweilen tat, seinen Vetter besuchen, und kam in erlesener und ehrenvoller Begleitung nach [147] Chiarenza, wo er mit Freuden und Auszeichnungen empfangen ward. Nach einigen Tagen brachte der Herzog die Rede auf die Schönheit der Dame und fragte den Fürsten, ob sie denn gar so erstaunlich sei, wie man erzähle. »Sie ist viel schöner als man von ihr sagt«, antwortete der Fürst. »Allein nicht meine Worte, sondern deine Augen sollen dich davon überzeugen.« Der Herzog drängte den Fürsten, sein Versprechen zu erfüllen, und so gingen sie miteinander dahin, wo die Dame sich aufhielt. Diese empfing sie zuvorkommend und höflich und mußte sich zwischen beiden niedersetzen, obgleich sie das Vergnügen, mit ihr zu sprechen, nicht genießen konnten, da sie von der Sprache jenes Landes wenig oder nichts verstand. So konnten denn die beiden sie nur gleich einem Wunder bestaunen, und besonders tat dies der Herzog, der sich kaum einreden konnte, daß sie ein sterbliches Wesen sei. Glaubte er indes durch das Beschauen seine Lust zu stillen, so verwickelte er sich selbst in deren Fesseln, indem er zugleich das Gift der Liebe mit den Augen einsog und in heftiger Glut für die Dame entbrannte. Als er aber dann mit dem Fürsten von ihr gegangen war und Muße hatte, sich mit sich selber zu besprechen, erachtete er diesen für glücklich vor allen andern, daß er sich des vollen Besitzes einer solchen Schönheit erfreuen durfte.

Mancherlei Gedanken stiegen in ihm auf. Endlich aber überwog die Glut der Liebe die Rechtlichkeit, und er beschloß, was immer daraus werden sollte, dem Fürsten dieses Glück zu entreißen und es selbst zu genießen. Er glaubte, sich bei der Ausführung dieses Vorsatzes beeilen zu müssen, und sann, der Vernunft und der Gerechtigkeit zum Trotz, auf nichts als Trug und List. So ließ er denn eines Tages, einer schändlichen Verabredung zufolge, die er mit einem vertrauten Diener des Fürsten namens Kyriakos getroffen hatte, seine Pferde und sein Gepäck in aller Stille zur Abreise bereiten. Die Nacht darauf öffnete Kyriakos ihm und einem Gefährten, die beide bewaffnet waren, leise das Zimmer des Fürsten. Dieser hatte sich, um der großen Hitze willen, während die Dame schlief, ganz nackt an ein Fenster gelegt, das auf das Meer hinausging, um sich in der leichten Brise, die von dort herüberkam, etwas zu kühlen. Der Herzog, der seinen Begleiter im voraus von dem unterrichtet[148] hatte, was zu tun sei, ging leise durch das Zimmer hindurch bis ans Fenster und stieß, ehe der Fürst ihn bemerken konnte, diesem ein Messer so tief in die Seite, daß es auf der andern Seite wieder herauskam. Dann ergriff er schnell die Leiche und stürzte sie zum offenen Fenster hinaus.

Der Palast war hoch gegen das Meer hinausgebaut, und das Fenster, an dem der Fürst gestanden, hatte in der Tiefe einige Häuser unter sich, die unter der Gewalt des Meeres zusammengefallen waren und daher selten oder niemals betreten wurden. So geschah es denn, wie der Herzog im voraus berechnet hatte, daß niemand es gewahr wurde oder gewahr werden konnte, als die Leiche des Fürsten hinunterstürzte. Sobald der Begleiter des Herzogs gesehen hatte, was geschehen war, warf er dem Kyriakos, unter dem Scheine ihn zu liebkosen, einen Strick um den Hals, zog diesen so fest an, daß er keinen Lärm machen konnte, und wartete, bis der Herzog dazukam, worauf sie ihn erdrosselten und eben dahin warfen, wohin sie den Fürsten bereits geworfen.

Nachdem dies alles vollbracht war und der Herzog sicher sein konnte, daß weder die Dame noch sonst jemand etwas davon bemerkt habe, nahm er ein Licht in die Hand, ging damit an das Bett und deckte die Dame, die noch ruhig schlief, leise völlig auf. Ihre Formen, die er nun enthüllt sah, schienen ihm von vollendeter Schönheit, und hatte sie ihm bekleidet gefallen, so entzückte sie ihn nackt über alle Maßen. Dieser Anblick entzündete in ihm neue Glut, und die Scheu des eben begangenen Verbrechens hielt ihn nicht ab, sich mit noch blutigen Händen neben sie zu legen und sie, die ihn im Halbschlaf für den Fürsten hielt, zu beschlafen. Als er eine Weile mit dem größten Vergnügen an ihrer Seite zugebracht hatte, erhob er sich wieder und ließ von einigen der Seinen, die er unter Vermeidung aller Geräusche herbeirief, die Dame durch die verborgene Tür, durch die er hereingekommen, davontragen. Draußen mußte sie sich zu Pferde setzen, und die ganze Gesellschaft machte sich eilig und so still als möglich auf den Weg und kehrte nach Athen zurück. Weil aber der Herzog verheiratet war, führte er die mehr denn je betrübte Dame nicht nach Athen selbst, sondern nach einem schönen Landhause, das er unweit der Stadt [149] und nahe am Meer besaß, und hielt sie dort verborgen, während sie auf das anständigste mit allem versehen ward, dessen sie bedurfte.

Am Tage nach jener Tat warteten die Höflinge des Fürsten bis nach der Mittagsstunde, daß er aufstehen sollte. Da er sich aber immer noch nicht regte, stießen sie die Türen auf, die nur zugeklinkt waren; doch sie fanden niemand und bekümmerten sich nicht weiter darüber, da sie annahmen, daß er mit seiner schönen Dame auf ein paar Tage zu seinem Vergnügen heimlich verreist sein möchte. In dieser Ungewißheit warteten sie noch, als am anderen Tage ein Narr, der in die zerfallenen Häuser gelaufen war, in denen die Leichen des Fürsten und des Kyriakos lagen, die letztere beim Stricke herauszog und hinter sich herschleppte. Mehrere Leute erkannten diese Leiche mit Erstaunen und schmeichelten dem Narren so lange, bis er sie hinführte, wo er jene herausgeholt hatte und wo sie nun zum großen Schmerze der ganzen Stadt den Körper des Fürsten fanden, der alsbald ehrenvoll begraben ward. Darauf spürte man dem Täter eines so großen Verbrechens nach und vermutete, da der Herzog von Athen nicht mehr anwesend, sondern heimlich abgereist war, er möchte, wie er es wirklich getan hatte, den Fürsten erstochen und die Dame mit sich geführt haben. Infolge dieses dringenden Verdachts wurde schnell ein Bruder des Verstorbenen an dessen Stelle gesetzt und von den Seinigen nachdrücklich zur Rache angespornt. Dieser fand die Meinung der übrigen noch durch andere Anzeichen bestätigt und forderte daher seine Freunde, Verwandten und Untergebenen in den verschiedenen Landschaften zur Hilfe. In kurzem brachte er ein ansehnliches, mächtiges und wohlbewaffnetes Heer zusammen, mit dem er gegen den Herzog von Athen in den Krieg zog.

Auch der Herzog rüstete indes, sobald er von den Maßnahmen jenseits der Grenze Kunde erhielt, nach Kräften zur Verteidigung, und viele Herren kamen zu seiner Hilfe herbeigezogen; namentlich schickte der Kaiser von Konstantinopel seinen Sohn Konstantin und seinen Neffen Manuel mit zahlreichen und schönen Truppen. Der Herzog, mehr noch aber die Herzogin, die des ersteren Schwester war, empfingen sie auf das [150] ehrenvollste. Inzwischen rückte der Krieg immer näher heran, und die Herzogin ergriff eines Tages die Gelegenheit, ließ Bruder und Vetter zu sich rufen, erzählte ihnen mit Tränen und ausführlichen Worten die ganze Geschichte und den Anlaß des Krieges und beschwerte sich über den Schimpf, den der Herzog ihr dadurch antue, daß er jenes Frauenzimmer, insgeheim, wie er meine, unterhalte. Unmutig und verletzt forderte sie beide auf, zur Wiederherstellung der Ehre des Herzogs und zu ihrer Genugtuung alles zu unter nehmen, was in ihren Kräften stehe. Da indes die beiden Jünglinge bereits wußten, wie sich alles zugetragen hatte, hielten sie die Herzogin nicht weiter mit Fragen auf, sondern suchten sie zu beruhigen, soweit sie es vermochten, und erfüllten ihr Herz mit guter Hoffnung. Darauf entfernten sie sich, nachdem sie zuvor noch über den Aufenthaltsort der Schönen unterrichtet worden waren.

Nun hatten sie früher schon oft die wunderbare Schönheit jener Dame rühmen gehört. Sie verlangten daher sehr danach, sie zu sehen, und baten den Herzog, er möchte sie ihnen zeigen. Dieser sagte es ihnen zu, uneingedenk dessen, was dem Fürsten widerfahren war, weil er sie ihm gezeigt hatte. Er ließ in dem reizenden Garten, der zu dem von der Dame bewohnten Landhause gehörte, ein prächtiges Mittagessen richten und führte sie am folgenden Tage mit wenigen anderen Bekannten dorthin zur Tafel. Bei dieser Mahlzeit mußte Konstantin, der neben ihr saß und sie voller Verwunderung betrachtete, sich gestehen, daß er noch nie eine solche Schönheit gesehen hatte, und er mußte in Gedanken nicht nur den Herzog, sondern auch jeden anderen entschuldigen, der, um ein so schönes Wesen zu besitzen, einen Verrat oder eine sonstige Schlechtigkeit beginge. Indem er sie nun ein Mal über das andere betrachtete, wobei er sie jedes Mal schöner fand, erging es ihm nicht anders, als es dem Herzog ergangen war. Er schied verliebt von ihr und dachte nicht mehr an den Krieg, sondern allein daran, wie er sie dem Herzog entreißen wollte. Dabei verhehlte er jedoch seine Liebe sorgfältig vor jedermann.

Während er aber in solchem Feuer entbrannte, wurde es Zeit, gegen den Fürsten, der sich schon dem Gebiet des Herzogs näherte, ins Feld zu rücken. Darum verließen der Herzog, [151] Konstantin und die übrigen Athen und rückten, den getroffenen Vereinbarungen gemäß, an die Grenze, um den Fürsten am weiteren Vordringen zu hindern. Nachdem sie dort mehrere Tage verweilt hatten, meinte Konstantin, der Herz und Gedanken immer bei jener Dame hatte, daß es jetzt, wo der Herzog ihr nicht mehr nahe sei, leichter gelingen könnte, ans Ziel zu kommen. Um Gelegenheit zu haben, nach Athen zurückzukehren, stellte er sich krank und nahm Urlaub vom Herzog, nachdem er zuvor dem Manuel den Oberbefehl über seine Streitmacht übertragen hatte. In Athen bei seiner Schwester angelangt, brachte er nach einigen Tagen das Gespräch auf die Kränkung, welche der Herzog ihr, wie sie meinte, durch seine Leidenschaft für die Fremde antat, und sagte, wenn sie nur wolle, könne er leicht Abhilfe schaffen, indem er jene in ihrem Aufenthaltsort aushebe und anderswohin führe. In dem Wahn, dies alles geschehe nur ihr, nicht aber der Fremden zuliebe, billigte die Herzogin den Plan vollkommen, wenn dabei so vorgegangen würde, daß der Herzog nie erfahre, sie habe in die Sache gewilligt. Konstantin sagte ihr das auf das bestimmteste zu, und die Herzogin gab nun ihre Zustimmung, daß jener nach seinem Gutdünken verfahre.

Darauf ließ Konstantin in aller Stille ein kleines Fahrzeug bewaffnen und schickte dies eines Abends, mit mehreren von seinen Leuten bemannt, die er zuvor genau unterrichtet hatte, in die Nähe des Gartens, wo die Dame verweilte. Dann begab er selbst sich mit einigen anderen nach dem Landhause und wurde dort sowohl von der ihr zugewiesenen Dienerschaft als auch von ihr selbst freundlich empfangen. Auf seinen Wunsch ging sie, von ihren eigenen Dienern und von Konstantins Gefährten begleitet, mit ihm in den Garten. Er aber führte die Dame, als ob er im Namen des Herzogs mit ihr zu reden habe, allein einer Tür zu, die aufs Meer hinausging. Diese war inzwischen schon von einem der Seinigen geöffnet worden. Das Fahrzeug erschien auf das verabredete Zeichen hin sogleich, und die Dame wurde schnell ergriffen und hineingetragen. Hierauf wendete Konstantin sich an ihre Dienerschaft und sagte: »Keiner, der nicht des Todes sein will, wage es, sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben, denn ich bin nicht gesonnen, [152] dem Herzog seine Geliebte zu rauben, sondern nur die Schande zu tilgen, die er meiner Schwester antut.«

Niemand unterstand sich, darauf etwas zu antworten. Konstantin stieg mit den Seinigen ins Schiff, setzte sich neben die Dame, die noch immer weinte, und befahl, die Ruder auszuwerfen und vom Lande abzustoßen. Die Schiffer schienen nicht zu rudern, sondern zu fliegen und waren bald nach Anbruch des nächsten Tages schon in Ägina angelangt. Hier ging man an Land, um auszuruhen, und Konstantin stillte seine Lust an der Dame, die ihre unselige Schönheit beweinte. Dann ging es wieder zu Schiffe, und nach wenigen Tagen ward Chios erreicht, wo Konstantin aus Furcht vor dem Zorn seines Vaters und vor etwaigen Versuchen, ihm die Dame wieder zu entreißen, an einem sicheren Orte zu verweilen beschloß. Mehrere Tage lang beweinte die Dame noch ihr Mißgeschick; endlich aber schenkte sie den Tröstungen Konstantins Gehör und begann nachgerade sich an dem zu freuen, was das Glück ihr eben bot.

Während sich dies alles auf die angegebene Weise zutrug, kam Osbeck, der damals König der Türken war und ständig mit dem Kaiser im Kriege lebte, zufällig nach Smyrna und erfuhr dort, daß Konstantin ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen auf Chios mit einem geraubten Mädchen ein wollüstiges Leben führe. Daher schiffte er eines Nachts mit einigen bewaffneten Fahrzeugen hinüber, drang mit seinen Leuten in den Ort ein und nahm, bevor die Griechen den Einfall der Feinde gewahr wurden, deren eine große Anzahl in ihren Betten gefangen. Andere, die endlich erwacht und zu den Waffen geeilt waren, wurden getötet, der Ort niedergebrannt, Beute und Gefangene zu Schiffe gebracht und nach Smyrna abgeführt. Hier angelangt, ward Osbeck, der noch jung und kräftig war, beim Durchmustern der Beute die schöne Dame gewahr und erfuhr, sie sei dieselbe, die mit Konstantin schlafend im Bett gefangen worden war. Hocherfreut über ihren Anblick, machte er sie sogleich zu seiner Gemahlin, vollzog feierlich die Hochzeit und genoß mehrere Monate lang wohlgemut mit ihr die Freuden der Liebe.

Schon vor diesen Ereignissen hatte der Kaiser mit Basanus, [153] dem König von Kappadokien, Verhandlungen gepflogen, wonach dieser von der einen Seite mit seiner Macht über Osbeck herfallen sollte, während der Kaiser von der andern ihn mit der seinigen angriffe. Doch waren diese Verhandlungen wegen gewisser Ansprüche, die Basanus stellte und die dem Kaiser ungelegen waren, noch nicht zum Ziele gekommen. Als nun aber der Kaiser das Schicksal seines Sohnes vernahm, betrübte er sich über die Maßen, tat sogleich, was der König von Kappadokien von ihm verlangte, rüstete sich selbst zum Angriff gegen Osbeck und spornte Basanus, soviel er nur konnte, an, daß er von der andern Seite her den Türkenkönig überfalle. Sobald Osbeck davon Kunde erhielt, sammelte er sein Heer, zog, bevor zwei so mächtige Fürsten ihn in die Zange nahmen, dem König von Kappadokien entgegen und ließ inzwischen seine Schöne unter der Aufsicht eines treuen Dieners und Freundes in Smyrna zurück. In der Tat kam es bald zwischen ihm und dem König von Kappadokien zu einem Gefecht, in dem sein Heer geschlagen und vernichtet, er selbst aber getötet ward. Infolge dieses Sieges rückte Basanus dreist gegen Smyrna vor, und alles Volk auf dem Wege unterwarf sich ihm als dem Sieger.

Während dieser Zeit hatte sich Antiochus, wie der Diener hieß, dem Osbeck die Dame anvertraut, seines Alters ungeachtet und ohne der Treue zu gedenken, die er seinem Gebieter und Freunde schuldig war, um ihrer großen Schönheit willen in sie verliebt. Da er ihre Sprache verstand, war sein Umgang auch der Dame lieb geworden, die nun schon mehrere Jahre lang wie eine Taubstumme hatte leben müssen, ohne jemand zu verstehen oder von jemand verstanden zu werden. So wußte er denn, von der Liebe angespornt, in wenigen Tagen ihr Vertrauen in solchem Maße zu gewinnen, daß ihr gemeinsamer Herr, der in Waffen und im Felde war, vergessen ward, ihre Neigung sich von einer freundschaftlichen in eine verliebte verwandelte und beide sich zwischen Laken und Bettdecke auf das beste miteinander unterhielten. Als sie nun vernahmen, daß Osbeck besiegt und getötet sei und Basanus sich alles auf seinem Zuge aneigne, beschlossen sie gemeinsam, seine Ankunft nicht abzuwarten, sondern nahmen einen großen Teil der Reichtümer Osbecks an sich und fuhren heimlich nach Rhodos.

[154] Hier hatten sie noch nicht lange geweilt, als Antiochus krank wurde. Da geschah es, daß ein Kaufmann aus Zypern, den Antiochus sehr liebte und mit dem er eng befreundet war, ihn besuchte. Weil er nun sah, daß es mit ihm zu Ende ging, beschloß er, seine Güter und die Dame diesem Freunde zu hinterlassen. Schon dem Tode nahe, rief er beide zu sich und sprach: »Ich sehe, daß es für mich keine Rettung mehr gibt, und bin betrübt darüber, weil ich niemals so gern gelebt habe wie eben jetzt. Zugleich aber sterbe ich auch zufrieden, weil ich meinen Geist in den Armen der beiden aufgebe, die ich mehr als sonst jemanden auf der Welt liebe, in den deinigen, teurer Freund, und in denen dieser Frau, die ich, seitdem ich sie gekannt, mehr als mich selbst geliebt habe. Allerdings schmerzt es mich, daß sie, fremd, wie sie in diesem Lande ist, ohne Rat und Hilfe bei meinem Tod zurückbleiben soll, und noch mehr schmerzte es mich, wüßte ich nicht, daß du, mein Freund, hier bist, der du, wie ich fest überzeugt bin, ebenso für sie sorgen wirst, wie du es für mich selbst tätest. Darum bitte ich denn inständig, wenn ich wirklich sterben muß, dich ihrer und meines Vermögens anzunehmen und über beides so zu verfügen, wie du glauben wirst, daß es zur Beruhigung meiner Seele dienen könne. Dich aber, geliebtes Weib, bitte ich, mich nach meinem Tode nicht zu vergessen, damit ich mich noch im Jenseits rühmen kann, daß mich hier die schönste Frau, die je von der Natur geformt ward, liebte. Wollt ihr mir diese beiden Dinge versprechen, so werde ich getrost von hinnen gehen.« Der Kaufmann und die Dame weinten bei diesen Worten, flößten ihm Mut ein und versprachen ihm auf ihr Wort, im Falle seines Todes nach seinen Wünschen zu tun. Nicht lange darauf verschied er und wurde ehrenvoll von ihnen begraben.

Einige Tage später hatte auch der zyprische Kaufmann seine Geschäfte in Rhodos vollendet und stand im Begriff, auf einem katalanischen Schiff, das dort vor Anker lag, nach Zypern zu reisen; doch fragte er zuvor die schöne Dame nach ihren Entschlüssen, da er jetzt in seine Heimat zurückkehren müsse. Die Dame erwiderte, sie werde ihn, wenn er nichts dagegen habe, gern begleiten, da sie voraussetze, daß er sie, dem Antiochus zuliebe, als eine Schwester ansehen und behandeln werde. Der [155] Kaufmann erklärte, mit allem zufrieden zu sein, was ihr gefällig wäre, und gab sie, um sie vor aller Verunglimpfung auf der Reise nach Zypern zu schützen, als seine Frau aus. Auf dem Schiff wurde ihnen ein Kämmerchen im Hinterteil zugewiesen, und sie schliefen, um nicht durch die Tat ihren Worten zu widersprechen, in einem kleinen Bettchen beide nebeneinander. So geschah denn, was bei der Abreise von Rhodos weder des einen noch des andern Absicht gewesen war. Nacht, Gelegenheit und Wärme des Bettes, deren erregende Kräfte nicht gering sind, ließen sie die Freundschaft für den verstorbenen Antiochus vergessen, und von gleich großer Lust hingerissen, einer den anderen anziehend, feierten sie Hochzeit, noch ehe sie nach Baffa, dem Wohnort des Zypriers, gelangten.

Als nun die Dame in Baffa noch einige Zeit bei dem Kaufmann gewohnt hatte, kam glücklicherweise ein Edelmann namens Antigonus dorthin, der mit einem hohen Alter und noch höherem Geiste geringe irdische Reichtümer verband, weil ihm das Glück in mancherlei Unternehmungen, die er im Dienste des Königs von Zypern gemacht, stets zuwider gewesen war. Dieser ging eines Tages, als der zyprische Kaufmann gerade mit Waren nach Armenien gereist war, vor dem Hause vorüber, in welchem die schöne Dame wohnte, und bekam sie zufällig an einem ihrer Fenster stehend zu Gesicht. Da sie nun so schön war, wurde Antigonus aufmerksam, betrachtete sie genauer und glaubte sich zu erinnern, daß er sie schon anderwärts gesehen habe; wo das aber geschehen sei, konnte er sich durchaus nicht besinnen. Die Dame, die so lange ein Spielball des Schicksals gewesen, war nun dem Zeitpunkt nahe, der ihre Unfälle beschließen sollte; denn sie erinnerte sich, als sie den Antigonus schärfer ins Auge faßte, daß sie ihn einst zu Alexandrien im Dienste ihres Vaters als angesehenen Mann gekannt hatte. Aus diesem Grunde schöpfte sie Hoffnung, jetzt, wo ihr Kaufmann abwesend war, ihren königlichen Rang durch den Rat des Antigonus wiedergewinnen zu können. Sie ließ ihn daher, sobald sich eine Gelegenheit bot, zu sich rufen und fragte ihn schüchtern, ob er, wie sie glaube, Antigonus von Famagusta sei. Antigonus bejahte die Frage und fügte hinzu: »Madonna, ich sollte Euch [156] kennen und kann mich doch in keiner Weise besinnen, wo ich Euch gesehen habe. So bitte ich Euch denn, wenn es Euch nicht unangenehm ist, mir ins Gedächtnis zurückzurufen, wer Ihr seid.« Als die Dame hörte, er sei es wirklich, schlang sie laut weinend ihre Arme um ihn und fragte nach einer Weile den sehr Verwunderten, ob er sie jemals in Alexandrien gesehen habe. Kaum hatte Antigonus diese Frage vernommen, so erkannte er auch schon Alatiel in ihr, des Sultans Tochter, die, wie man glaubte, im Meer umgekommen war, und wollte ihr seine Verehrung in der gebührenden Form erweisen. Sie aber ließ es nicht zu und bat ihn, sich ein wenig zu ihr zu setzen. Antigonus gehorchte und fragte sie dann voller Ehrerbietung, wie, wann und woher sie nach Baffa gekommen sei, während man doch im ganzen Lande Ägypten für ausgemacht halte, daß sie schon vor mehreren Jahren in der See ertrunken sei. »Wollte Gott, ich wäre es wirklich, statt solch ein Leben führen zu müssen, wie ich es gemußt habe, und wenn mein Vater es jemals erfährt, wird er gewiß ebenso sprechen.«

Mit diesen Worten fing sie erneut gar erbärmlich zu weinen an. Darauf sagte Antigonus: »Madonna, verliert den Mut nicht eher, als bis ihr Anlaß dazu habt. Wenn es Euch beliebt, so erzählt mir Euer Mißgeschick und was für ein Leben Ihr habt führen müssen. Es ist immerhin möglich, daß alles noch so abgelaufen ist, um mit Gottes Hilfe einen günstigen Ausweg finden zu können.« »Antigonus«, erwiderte die Schöne, »als ich dich erblickte, war mir's nicht anders, als sähe ich meinen Vater, und die Liebe und die Zärtlichkeit, die ich ihm schulde, machten, daß ich mich dir entdeckte, während ich mich verborgen halten konnte. In der Tat wüßte ich wenige, mit denen zusammenzutreffen mir so lieb gewesen wäre wie gerade mit dir. Und so will ich denn dir wie einem Vater entdecken, was ich während meiner Mißgeschicke immer sorgfältig verborgen habe. Siehst du nach dem, was du gleich erfahren wirst, irgendein Mittel, mich in meine frühere Lage zurückzubringen, so bitte ich dich, es anzuwenden; siehst du aber keins, dann bitte ich dich, niemand zu sagen, daß du mich gesehen oder das mindeste von mir gehört hast.«

Nach dieser Einleitung berichtete sie ihm unter fortdauernden [157] Tränen, was ihr von dem Tage an, wo sie bei Majorca gestrandet, bis zu dem Augenblick, in dem sie erzählte, begegnet war. Auch Antigonus mußte bei diesem Bericht vor Mitleid weinen. Dann aber sagte er nach kurzem Besinnen: »Madonna, da während Eurer Unfälle Euer Name und Euer Stand immer verborgen geblieben sind, so will ich es dahin bringen, daß Euer Vater Euch lieber haben soll als je zuvor und der König von Algarbien Euch zur Gemahlin nimmt.« Auf ihre Frage, wie das geschehen solle, setzte er ihr alles der Reihe nach auseinander und kehrte dann, um anderen Zwischenfällen vorzubeugen, sogleich nach Famagusta zurück. Hier wartete er dem König auf und sagte: »Mein Gebieter, wenn es Euch beliebte, könntet Ihr zur gleichen Zeit für Euch selbst große Ehre einlegen und mir, der ich in Eurem Dienste arm geworden bin, einen ansehnlichen Nutzen verschaffen.« Der König fragte, wie dies geschehen könne, und Antigonus antwortete ihm: »Die junge und schöne Tochter des Sultans, von der so lange gesagt wurde, sie sei ertrunken, ist jetzt nach Baffa gekommen. Um ihre jungfräuliche Ehre zu bewahren, hat sie lange Zeit so großes Ungemach erlitten, daß sie sich jetzt, wo sie zu ihrem Vater zurückzukehren begehrt, in dürftigen Umständen befindet. Wenn es Euch nun beliebte, sie unter meiner Obhut dem Vater zuzuschicken, so brächte Euch das große Ehre, mir aber bedeutenden Vorteil, und ich bin überzeugt, daß der Sultan einen solchen Dienst nie vergäße.« Der König gab mit fürstlichem Sinn sogleich seine Zustimmung, ließ die Dame mit ehrenvollem Geleit nach Famagusta führen und empfing sie zusammen mit seiner Gemahlin mit der größten Auszeichnung. Auf die Fragen, die König und Königin wegen ihrer Schicksale an sie richteten, antwortete sie mit einer Erzählung, die Antigonus sie vorher gelehrt hatte.

Nach einigen Tagen sandte der König sie dann auf ihre Bitte mit einer ehrenvollen und erlesenen Gesellschaft von Herren und Damen unter der Führung des Antigonus an den Sultan zurück. Wie groß die Freude bei ihrer Ankunft war, wird mich wohl niemand erst fragen. Aber auch Antigonus und seine ganze Gesellschaft wurden nicht weniger freundlich aufgenommen. Kaum hatte die junge Fürstin sich ein wenig ausgeruht, [158] so wollte der Sultan von ihr hören, wie sie am Leben geblieben war und wo sie sich so lange aufgehalten hatte, ohne ihm jemals von ihrem Ergehen Kunde zu geben. Darauf begann die Dame, die des Antigonus Bericht vollkommen aufgefaßt hatte, also zu ihrem Vater zu sprechen:

»Es war etwa am zwanzigsten Tag nach meiner Abreise von Euch, mein Vater, als ein fürchterlicher Sturm unser Schiff zerschellte und nachts gegen eine Küste im Westen trieb, nahe bei einem Orte, der Aigues Mortes genannt wird. Was aus den Männern geworden ist, die sich auf dem Schiffe befanden, habe ich niemals erfahren und erinnere mich nur, daß ich am andern Morgen, als ich gleichsam von den Toten erwachte, nebst zwei meiner Begleiterinnen von den Bewohnern jener Landschaft, die das zerschellte Schiff inzwischen bemerkt hatten und von allen Seiten zusammengelaufen waren, um es zu berauben, ans Ufer getragen wurde. Mehrere junge Männer packten uns, und jede wurde in einer anderen Richtung davongeschleppt. Mich hatten trotz meines Widerstandes zwei junge Leute ergriffen und zogen mich Weinende an den Haaren hinter sich her. Von meinen beiden Frauen habe ich nie wieder etwas gehört. Als jene mich eben über eine Heerstraße hinweg in einen dichten Wald schleppen wollten, geschah es, daß vier Ritter desselben Weges gezogen kamen. Sobald meine Räuber jene vier sahen, ließen sie mich plötzlich los und ergriffen die Flucht. Die vier Ritter, die von ehrbarem und gesetztem Aussehen waren, kamen, als sie jene fliehen sahen, auf mich zu und fragten mich vielerlei, auch sprach ich viel zu ihnen, doch verstanden sie mich ebensowenig wie ich sie. Darauf hielten sie lange miteinander Rat, hoben mich endlich auf eines ihrer Pferde und führten mich in ein nach den Sitten ihrer Religion eingerichtetes Frauenkloster. Was die Ritter dort gesagt haben mögen, weiß ich nicht. Genug, ich wurde mit vielem Wohlwollen aufgenommen und immer mit Achtung behandelt, während ich mit den Klosterfrauen den heiligen Crescentius im tiefen Tale, den die Weiber dortzulande sehr lieb haben, verehrte. Als ich nun schon einige Zeit mit ihnen gelebt und ihre Sprache einigermaßen erlernt hatte, fragten sie mich, wer und woher ich sei. Ich überlegte aber, wo ich mich befand, und fürchtete, so ich die Wahrheit gestand, [159] sie könnten mich leicht als Feindin ihres Glaubens verstoßen. Deshalb antwortete ich, ich sei die Tochter eines angesehenen Edelmanns auf Zypern und habe auf der Fahrt zu meinem verlobten Gemahl in Kreta, vom Sturme weit verschlagen, Schiffbruch erlitten. In dieser Zeit mußte ich aus Furcht vor größerem Schaden manche ihrer Gebräuche mitmachen.

Als mich aber einmal die erste unter diesen Klosterfrauen, die man Äbtissin nennt, fragte, ob ich nach Zypern zurückzukehren wünsche, antwortete ich, daß mich nach nichts so sehr verlange. Indes wollten sie mich aus Besorgnis für meine Ehre niemand anvertrauen, der nach Zypern reiste, bis endlich, jetzt vor zwei Monaten, einige gesetzte Männer, von denen einer mit der Äbtissin verwandt war, mit ihren Frauen aus Frankreich in jene Gegend kamen. Kaum hatte die Äbtissin vernommen, daß jene nach Jerusalem reisten, um das Grab zu besuchen, in welches der, den sie für einen Gott halten, nach seiner Ermordung durch die Juden gelegt worden ist, so empfahl sie mich ihnen an und bat sie, mich meinem Vater in Zypern zu überbringen. Wie gütig diese Edelleute mich als Reisegefährtin aufnahmen, wieviel Ehre sie nebst ihren Frauen mir antaten, wäre zu weitläufig zu erzählen. Genug, wir gingen zu Schiffe und gelangten in einiger Zeit nach Baffa. Hier angekommen, ohne eine Menschenseele zu kennen, wußte ich nicht, was ich jenen Edelleuten sagen sollte, die mich infolge des Auftrags der ehrwürdigen Frau meinem Vater zuführen sollten. Doch führte mir Gott, der vielleicht Erbarmen mit mir hatte, in dem Augenblick, wo wir in Baffa an Land gingen, Antigonus am Ufer entgegen. Sogleich rief ich ihn an und sagte ihm in unserer Sprache, damit die Edelleute und ihre Frauen mich nicht verstehen sollten, er möge mich als seine Tochter aufnehmen. Er begriff mich sofort, bezeigte mir die größte Freude und bewirtete meine Reisegefährten und ihre Frauen, soweit es in seinen geringen Kräften stand. Dann führte er mich zum König von Zypern, und der hat mich so ehrenvoll aufgenommen, daß ich's nimmer erzählen könnte, und Euch zugesandt. Sollte noch etwas zu berichten übrig sein, so mag Antigonus es nachtragen, der mich diese meine Schicksale schon oft genug hat erzählen hören.«

[160] Darauf wandte sich Antigonus dem Sultan zu und sagte: »Mein Gebieter, Eure Tochter hat Euch dasselbe erzählt, was ich oftmals sowohl aus ihrem Munde als auch aus dem der Edelleute vernommen habe, mit denen sie nach Zypern kam. Nur eines hat sie zu sagen unterlassen, und das mag sie, wie ich glaube, getan haben, weil sich nicht ziemt, daß sie selbst es erzählt. Ich meine nämlich, was mir jene Edelleute und Damen, mit denen sie gereist ist, von dem ehrbaren Leben, das sie mit den frommen Frauen geführt, und von ihren Tugenden und guten Sitten berichtet haben, und wie Männer und Frauen weinten und klagten, als sie sie bei mir zurücklassen und sich von ihr trennen mußten. Wollte ich Euch alles wiederholen, was mir jene über diesen Punkt gesagt haben, reichte weder der gegenwärtige Tag noch die kommende Nacht dazu aus. Nur so viel will ich hinzufügen, daß Ihr nach den Berichten jener Leute und nach dem, was ich selbst habe wahrnehmen können, Euch rühmen dürft, unter allen Herren, die eine Krone tragen, die schönste, sittsamste und trefflichste Tochter zu besitzen.«

Über dies alles freute der Sultan sich unbeschreiblich und bat Gott mehr als einmal, ihm die Gnade zu erzeigen, daß er jedem, der sich um seine Tochter verdient gemacht, angemessenen Dank beweisen könne, besonders aber dem König von Zypern, der sie ihm auf so ehrenvolle Weise zurückgesandt. Einige Tage darauf ließ er dem Antigonus äußerst kostbare Geschenke reichen, erlaubte ihm, nach Zypern zurückzukehren, und dankte dem König brieflich und durch besondere Gesandte auf das verbindlichste für alles, was er an seiner Tochter getan.

Nach all diesem wünschte der Sultan den ursprünglichen Vorsatz verwirklicht und Alatiel an den König von Algarbien vermählt zu sehen. Daher schrieb er diesem die ganze Geschichte und forderte ihn auf, nach ihr zu schicken, wenn er noch Wert auf ihren Besitz lege. Dem König von Algarbien waren diese Nachrichten sehr willkommen. Er ließ sie auf das ehrenvollste abholen und empfing sie voller Freuden. Dann legte sie, die von acht Männern vielleicht zehntausendmal beschlafen worden war, sich als Jungfrau neben ihm nieder, machte ihn glauben, daß sie es wirklich noch sei, und lebte lange Zeit als [161] Königin glücklich mit ihm. Darum sagt man noch heute: »Neumond und geküßter Mund sind gleich wieder hell und frisch und gesund.«

Achte Geschichte

Der Graf von Antwerpen geht einer falschen Anschuldigung wegen in die Verbannung und läßt seine zwei Kinder an verschiedenen Orten in England. Als er später unerkannt zurückkehrt, findet er beide in glücklicher Lage. Er zieht als Stallknecht mit dem Heere des Königs von Frankreich, seine Unschuld wird entdeckt, und er gewinnt seine frühere Stellung wieder.


Die Damen hatten häufig geseufzt, als sie die mannigfachen Schicksale vernahmen, welche die schöne Alatiel betroffen. Wer weiß aber, was die Ursache jener Seufzer war? Vielleicht war die eine oder andere unter ihnen, die aus Verlangen nach ebenso zahlreichen Hochzeiten nicht minder als aus Mitleid seufzte. Indes, ich will mich für jetzt nicht mit einer solchen Untersuchung aufhalten, sondern sage, daß die Königin nach den letzten Worten des Panfilo sich zu Elisa wendete und dieser auftrug, mit einer neuen Geschichte die Reihe fortzusetzen. Elisa war dazu gern bereit und begann also:

Wir ergehen uns heute auf einem weiten Plan, auf dem wohl ein jeder von uns nicht nur eine, sondern zehn und mehr Lanzen ohne Mühe zu brechen vermöchte, so reichen Vorrat an unerwarteten und harten Losen bietet uns das Schicksal. Aus dieser ungezählten Menge denn auch ich eine Geschichte heraus:

Als das römische Kaiserreich von den Franzosen auf die Deutschen übergegangen war, entstanden zwischen den beiden Völkern große Feindschaft und anhaltende, erbitterte Kriege. Infolgedessen stellten einmal der König von Frankreich und sein Sohn mit aller Anstrengung des Reiches und mit aller Unterstützung der Freunde und Verwandten ein großes Heer auf, teils zur Verteidigung des eigenen Landes, teils aber auch, um das fremde anzugreifen. Bevor sie aber auszogen, ernannten [162] sie, um das Reich nicht ohne Führung zu lassen, den Grafen Walter von Antwerpen, einen Mann von edlem Hause und großer Einsicht, der ihnen, wie sie wußten, besonders treu ergeben und befreundet war, zum allgemeinen Reichsverweser. Denn obgleich dieser in der Kriegskunst wohlerfahren war, so glaubten sie ihn dennoch mehr zu dem weichen Hofleben als zu den Anstrengungen des Kriegshandwerks geeignet. So fing denn Walter mit Verstand und Umsicht das ihm übertragene Amt auszuüben an und zog dabei jedesmal die Königin und ihre Schwiegertochter zu Rate, welche er beide, obgleich sie seiner Hut und Lenkung anvertraut waren, immer als seine Oberen und Gebieterinnen behandelte.

Walter war ein schöner Mann zu nennen. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein und war wohlgesittet und unterhaltend, wie nur ein Edelmann sein kann. Dabei war er der anmutigste und zierlichste Ritter seiner Zeit und zeichnete sich durch reichgeschmückte Kleider vor allen andern aus. Seine Frau war ihm bereits gestorben, und von ihr waren ihm nur ein Sohn und eine Tochter geblieben, die beide klein waren. So geschah es denn, daß, während der König von Frankreich und sein Sohn den erwähnten Krieg verfolgten und Walter deshalb den Hof der beiden Frauen oft besuchte und über die Angelegenheiten des Reiches mit ihnen sprach, die Gemahlin des Königssohnes ein Auge auf ihn warf, seine Gestalt und seine feinen Sitten mit leidenschaftlicher Vorliebe betrachtete und im verborgenen in glühender Liebe für ihn entbrannte. Da sie sich nun bewußt war, jung und hübsch zu sein, und es ihm an einer Frau fehlte, meinte sie, mit leichter Mühe zur Erfüllung ihres Wunsches zu gelangen. Da nach ihrem Dafürhalten nur ihre Scham im Wege stand, entschloß sie sich, diese völlig abzutun und sich ihm ganz zu offenbaren.

In dieser Absicht schickte sie eines Tages nach ihm, als sie eben allein war und die Zeit ihr zu ihrem Vorhaben gelegen schien, als ob sie über andere Dinge mit ihm zu reden habe. Der Graf, dessen Gesinnung von den Wünschen der Dame weit entfernt war, gehorchte diesem Befehle augenblicklich. Schon hatte er sich auf ihr Geheiß in einem Gemache, in welchem er mit ihr allein war, neben sie auf ein Ruhebett gesetzt und sie [163] zweimal, ohne Antwort zu erhalten, nach der Ursache gefragt, um derentwillen sie ihn habe kommen lassen, als sie endlich, von der Liebe überwältigt, purpurrot vor Scham, zitternd und stammelnd also zu reden begann: »Teurer und geliebter Freund, dem ich angehöre! Euch als einem so verständigen Manne ist die Schwachheit sicherlich nicht unbekannt, der Männer sowohl als auch Frauen unterliegen, obgleich ihr unter den Frauen aus verschiedenen Gründen die eine mehr als die andere unterworfen ist. Mit Rücksicht darauf wird ein gerechter Richter dieselbe Sünde nach Verschiedenheit der Personen nicht mit derselben Strafe belegen. Wer könnte wohl leugnen, daß ein armer Mann oder ein armes Weib, die sich ihren Lebensunterhalt durch eigenen Schweiß verdienen müssen, weit mehr zu tadeln sind, wenn sie sich von der Liebe verlocken lassen und ihren Reizen folgen, als eine Frau, die in Reichtum und Muße sich nichts von dem zu versagen gewohnt ist, wonach sie ein Verlangen empfindet? Gewiß niemand. So glaube ich denn, daß die erwähnten Umstände sehr ins Gewicht fallen und jene Frau hinreichend entschuldigen, die sich so weit vergißt, der Liebe Gehör zu geben. Hat aber die Liebende sich außerdem einen verständigen und ehrenwerten Geliebten erkoren, so meine ich, vollendet dies ihre Entschuldigung. Nun trifft, wie mich dünkt, nicht allein beides in mir zusammen, sondern mich verleiten überdies noch manche andere Ursachen zur Liebe, so zum Beispiel meine Jugend und die Abwesenheit meines Gemahls. All dies möge also jetzt verbunden auftreten, um mich in Euren Augen wegen meiner glühenden Liebe zu entschuldigen, und gelingt mir dies Bestreben, wie es bei einem verständigen Manne gelingen muß, so bitte ich Euch, mir Euren Rat und Eure Hilfe zu gewähren. Ich gestehe Euch nämlich, daß ich unfähig bin, während der Abwesenheit meines Gemahls dem Stachel des Fleisches und der Gewalt der Liebe Widerstand zu leisten, welche beide so mächtig sind, daß die stärksten Männer, geschweige denn zarte Frauen von ihnen oftmals überwältigt wurden und noch täglich werden. Im Wohlleben und in der Muße, denen ich, wie Ihr seht, ausgeliefert bin, habe ich die Schwäche besessen, dem Verlangen der Liebe nachzuhängen und in verliebter Glut mich zu entzünden. Obwohl ich weiß, daß meine Schwachheit, wenn sie bekannt würde, [164] als unziemlich gelten müßte, finde ich nichts Unehrenhaftes dabei, solange sie verborgen ist und bleibt. Ist mir doch Amor insoweit günstig gewesen, daß er mir bei der Wahl des Geliebten nicht etwa die Einsicht geraubt, sondern vielmehr sie mir in reichem Maße verliehen hat, indem er mir in Eurer Person den gezeigt hat, der die Liebe verdient, die ihm eine Dame wie ich entgegenbringt. Täuscht mich kein Blendwerk, so seid Ihr der schönste, liebenswürdigste, anmutigste und verständigste Ritter, der im Königreich Frankreich gefunden werden kann. Außerdem fehlt Euch die Frau, wie mir jetzt der Gemahl fehlt. So bitte ich Euch denn bei der heißen Liebe, die ich für Euch im Herzen trage, mir die Eure nicht vorzuenthalten und mit meiner Jugend Mitleid zu haben, die sich in Wahrheit um Euretwillen wie das Eis am Feuer völlig verzehrt.«

Diesen Worten folgte ein solches Übermaß von Tränen, daß die Dame, die noch weitere Bitten hinzufügen wollte, nicht imstande war, weiterzureden, sondern das Haupt niederbeugte und, wie vom Gefühl überwältigt, damit weinend an die Brust des Grafen sank. Der Graf dagegen schalt als ein durchaus rechtlicher Ritter so törichte Liebe, stieß die Dame zurück, die ihm schon um den Hals fallen wollte, und versicherte mit den heiligsten Schwüren, lieber ließe er sich vierteilen, als von sich selbst oder von anderen solch ein Vergehen gegen die Ehre seines Herrn zu dulden.

Jedoch kaum hatte die Dame das vernommen, so war ihre Liebe vergessen und in wütenden Haß verwandelt. »Plumper Ritter«, rief sie, »soll ich denn auf solche Weise wegen meines Antrags von Euch verhöhnt werden? Da sei doch Gott vor, daß ich, weil Ihr mich töten wollt, nicht Euch statt dessen ums Leben bringen oder aus der ganzen Welt vertreiben sollte!« Und während sie noch sprach, fuhr sie mit den Händen in die Haare, zerraufte und verwirrte sich ganz, riß sich die Kleider auf, zerschlug sich den Busen und schrie, so laut sie konnte: »Zu Hilfe, zu Hilfe, der Graf von Antwerpen will mir Gewalt antun!«

Als der Graf dieses Benehmen sah, sprang er auf, so rasch er nur konnte, weniger um der Reinheit seines Gewissens willen als aus Furcht vor dem höfischen Neide, der, wie er ahnte, [165] der Bosheit der Fürstin mehr Glauben schenkte als seiner Unschuld. Er verließ das Zimmer und den Palast und floh in seine Wohnung. Hier hob er, ohne sich weiter zu besinnen, seine beiden Kinder aufs Pferd, stieg selber auf und ritt, so schnell er nur konnte, nach Calais. Inzwischen liefen auf das Geschrei der Dame viele Leute herbei, und als sie diese im beschriebenen Zustand antrafen, glaubten sie nicht allein dem von ihr vorgegebenen Grund ihres Schreiens, sie behaupteten noch außerdem, die Artigkeit und das zierliche Wesen des Grafen hätten nur zur Erreichung dieses Zieles dienen sollen. So lief denn alles wütend nach dem Hause des Grafen, um ihn festzunehmen, und als er nicht mehr gefunden ward, plünderte und zerstörte man es, bis es dem Erdboden gleichgemacht war. Auch gelangte die Neuigkeit, entstellt wie sie zu Paris erzählt wurde, in das Heer des Königs und seines Sohnes. Diese verurteilten, hocherzürnt über solchen Frevel, den Grafen und seine Nachkommen zu ewiger Verbannung und versprachen jedem, der sie lebend oder tot einbrächte, die größte Belohnung.

Es betrübte den Grafen, daß er, seiner Unschuld ungeachtet, durch die Flucht den Schein der Schuld auf sich nehmen mußte, doch ließ er darum nicht in seiner Eile nach, kam unerkannt mit seinen Kindern nach Calais, schiffte von dort eilig nach England hinüber und machte sich in ärmlicher Kleidung auf den Weg nach London. Bevor er indes die Stadt betrat, unterwies er seine Kinder ausführlich, besonders aber in zwei Dingen, daß sie nämlich erstens die dürftige Lage, in welche sie das Schicksal ohne ihre Schuld alle zusammen gestürzt, geduldig ertragen möchten, und daß sie zum andern, so lieb ihnen ihr Leben sei, mit der größten Sorgfalt verborgen halten möchten, woher sie gekommen und wessen Kinder sie seien. Der Sohn hieß Ludwig und zählte etwa neun Jahre, die Tochter, die Violante hieß, hatte deren ungefähr sieben, und beide faßten, soweit ihr zartes Alter es zuließ, die Unterweisungen ihres Vaters gut auf, wie sie es später durch die Tat bewiesen. Damit sie es leichter hätten, glaubte der Vater, die Namen der Kinder ändern zu müssen, und nannte den Knaben Pierrot, das Mädchen Jeannette.

Nachdem sie nun in ärmlicher Tracht nach London gekommen [166] waren, fingen sie an, so nach Almosen umherzugehen, wie wir es täglich die französischen Bettler tun sehen. Als sie eines Morgens in dieser Absicht eine Kirche besuchten, geschah es, daß eine vornehme Dame, welche mit einem der Marschälle des englischen Königs vermählt war, den Grafen und seine beiden Kinder gewahrte, wie sie eben um Almosen baten. Die Dame fragte ihn, woher er sei und ob die Kinder ihm gehörten. Er erwiderte, er sei aus der Pikardie und habe wegen der Verbrechen seines ungeratenen älteren Sohnes mit diesen beiden, die auch seine Kinder seien, fliehen müssen. Die Dame hatte ein gar mitleidiges Herz. Sie warf ein Auge auf die Kleine, die ihr wohlgefiel, weil sie hübsch, sittsam und zutraulich war, und fragte: »Guter Freund, wenn du nichts dawider hast, mir dein Töchterchen zu lassen, so will ich es um seines günstigen Aussehens willen gern nehmen, und wenn ein ordentliches Mädchen aus ihm wird, werde ich es zur gegebenen Zeit angemessen verheiraten.« Dem Grafen war der Vorschlag höchst willkommen. Er willigte sogleich ein, übergab der Dame mit Tränen das Kind und empfahl es ihr auf das dringlichste.

Als nun der Graf das Töchterchen untergebracht hatte und in guten Händen wußte, beschloß er, nicht länger in London zu bleiben, sondern durchwanderte bettelnd die Insel und gelangte endlich mit Pierrot, von der ungewohnten Anstrengung der Fußreise ermüdet, nach Wales. Hier wohnte ein anderer königlicher Marschall, der ein stattliches Hauswesen und zahlreiche Dienerschaft hielt und an dessen Hofe der Graf und sein Sohn häufig vorsprachen, um eine Mahlzeit zu erhalten. Dieser Marschall hatte einen Sohn, der sich mit den Söhnen anderer Edelleute im Laufen, Springen und dergleichen übte, wie es Kinder tun. Pierrot gesellte sich zu ihnen und tat es ihnen in allem gleich oder übertraf sie sogar. Einige Male sah der Marschall diesen Spielen zu, und das Betragen des Knaben gefiel ihm so sehr, daß er fragte, wem er gehöre. Man erwiderte, er sei der Sohn eines armen Mannes, der zuzeiten komme, um ein Almosen zu erbitten. Darauf ließ der Marschall den Vater um den Knaben ansprechen, und dieser, der Gott um nichts dringlicher gebeten hatte, willigte gern ein, so leid es ihm auch tat, sich von dem Knaben trennen zu müssen.

[167] Da nun der Graf Sohn und Tochter versorgt sah, gedachte er nicht länger in England zu verweilen, sondern sah, wie er hinüber nach Irland kam. Hier angekommen, verdingte er sich in der Nähe von Stamford bei einem Grafen auf dem Lande als Knecht, versah sämtliche Arbeiten, die einem Knecht oder Pferdejungen obliegen, und blieb dort unter vielem Ungemach und großer Mühe lange Zeit, ohne von irgend jemand erkannt zu werden.

Inzwischen nahm Violante, die jetzt Jeannette hieß, bei der Edeldame in London an Jahren und an Schönheit zu und gewann die Gunst der Dame, ihres Gemahls, der übrigen Hausbewohner und aller, die sie sonst kannten, in erstaunlichem Maße. Denn es war niemand, der nicht gestehen mußte, daß ihr sittsames Wesen der höchsten Auszeichnung und des schönsten Lohnes wert sei. Aus diesem Grunde hatte die Dame, die sie von ihrem Vater empfangen und über ihre Abkunft nie etwas anderes hatte erfahren können, als was sie von diesem selber gehört, sich schon vorgenommen, sie ihrem vermeintlichen Stande gemäß gut zu verheiraten. Gott aber, der die Verdienste der Menschen mit gerechtem Auge durchschaut, erwog ihre adelige Geburt und ihre Unschuld, die für fremde Sünde büßte, und lenkte es anders; denn wir müssen glauben, daß seine Gnade, was sich nun ereignete, zuließ, um das Mädchen nicht in niedrige Hände geraten zu lassen.

Die Edelfrau, die Jeannette aufgenommen, hatte von ihrem Manne einen einzigen Sohn, den sie und sein Vater innig liebten, nicht allein, weil er ihr Sohn war, sondern auch um seiner Tugenden und Verdienste willen, denn er war wohlgesittet, tapfer, schön von Gestalt und von adeliger Gesinnung wie kein anderer. Er mochte etwa sechs Jahre älter sein als Jeannette, und ihre Schönheit und Anmut machten solchen Ein druck auf ihn, daß er sich aufs heftigste in sie verliebte und nur noch sie sah. Weil er aber glaubte, sie sei von geringer Herkunft, wagte er es nicht, sie von seinen Eltern zur Frau zu begehren, und aus Furcht vor Tadel verbarg er seine Liebe, so gut er nur konnte. Dieses Bestreben fachte jedoch seine Glut noch viel mehr an, als wenn er sie offenbart hätte, und so geschah es, daß er, von übermäßiger Leidenschaft verzehrt, in eine [168] schwere Krankheit verfiel. Viele Ärzte wurden herbeigerufen, um ihn zu heilen; soviel sie aber auch alle Zeichen der Krankheit beobachteten, so vermochten sie doch nicht, den wahren Grund zu erkennen, und mußten ihn endlich insgesamt aufgeben. Die Betrübnis der Eltern des Jünglings war sehr groß, und oft baten sie ihn auf das liebevollste, ihnen die Ursache seines Übels zu entdecken. Er aber antwortete ihnen nur mit Seufzern oder erklärte, daß er sich innerlich aufzehre.

Als nun eines Tages ein junger, aber tief in die Wissenschaft eingedrungener Arzt neben dem Kranken saß und dessen Arm da hielt, wo die Sachverständigen nach dem Pulse fühlen, geschah es, daß Jeannette, die den Kranken der Mutter zuliebe sorgfältig pflegte, ins Zimmer trat, um etwas für ihn zu besorgen. Sobald der Jüngling sie gewahrte, fühlte er, obgleich er kein Wort sprach und seine Miene nicht veränderte, in seinem Herzen die Glut der Liebe heftiger aufflammen, so daß der Puls stärker als zuvor zu schlagen begann. Der Arzt bemerkte das sogleich und wunderte sich darüber, doch schwieg er, um zu sehen, wie lange der schnellere Pulsschlag anhalten werde. Nun hatte Jeannette das Zimmer kaum wieder verlassen, als der Puls sich auch beruhigte. Der Arzt vermutete, der Krankheitsursache auf die Spur gekommen zu sein, und ließ nach einiger Zeit Jeannette unter dem Vorwand, daß er sie etwas zu fragen habe, wieder hereinrufen, wobei er den Arm des Kranken noch immer in der Hand hielt. Sie gehorchte sogleich, und kaum hatte sie das Zimmer betreten, als der Puls des Jünglings zunahm und ebenso nachließ, als sie wieder aus dem Zimmer ging. Jetzt glaubte der Arzt seiner Sache vollkommen gewiß zu sein. Er stand auf, nahm Vater und Mutter des Kranken beiseite und sagte zu ihnen: »Die Gesundheit eures Sohnes liegt nicht in den Händen der Ärzte, sondern in denen Jeannettes. Sichere Zeichen haben mich überzeugt, daß euer Sohn sie glühend liebt, obgleich sie, soviel ich gemerkt habe, nichts davon ahnt. Jetzt wißt ihr, was ihr zu tun habt, wenn sein Leben euch am Herzen liegt.«

Der Edelmann und seine Gemahlin waren erfreut über diese Nachricht, weil nun doch wenigstens Aussicht auf Heilung bestand, so hart es sie auch ankam, das zu tun, was unvermeidlich [169] schien, nämlich Jeannette ihrem Sohne zur Frau zu geben. So gingen sie dann, nachdem sie den Arzt entlassen hatten, zu dem Kranken, und die Mutter sagte: »Mein Sohn, ich hätte nie gedacht, daß du mir einen deiner Wünsche verhehltest, am wenigsten aber nun, wo dein unerfülltes Verlangen dich inwendig verzehrt. Du durftest und darfst sicher sein, daß ich, um dich zufriedenzustellen, alles tun würde, was ich vermag, genau so, wie ich's für mich selbst täte, selbst wenn es sich um etwas handelt, das den guten Sitten nicht ganz entspricht. Weil du aber dennoch nicht ganz offen gegen mich gewesen bist, hat Gott größeres Mitleid mit dir gehabt als du selbst. Damit diese Krankheit dir nicht tödlich werde, hat er mir die Ursache deines Übels entdeckt. Es besteht in nichts anderem, als daß du in übergroßer Liebe zu einem Mädchen entbrannt bist, dessen Namen ich jetzt nicht nennen will. Warum hast du dich aber gescheut, mir dies zu entdecken? Bringt es dein Alter nicht mit sich? Müßte ich nicht sogar eine geringe Meinung von dir hegen, wenn du nicht verliebt wärest? So fürchte dich denn nicht länger vor mir, mein Sohn, sondern entdecke mir offen alle deine Wünsche. Verscheuche den Trübsinn und die Bedenken, die du hegst und die allein dir diese Krankheit zugezogen haben. Fasse Mut und sei überzeugt, daß du nichts von mir fordern kannst, was ich nicht, soweit es in meinen Kräften steht, gern täte, um dich, den ich mehr als mein Leben liebe, zufriedenzustellen. Verbanne deine Scheu und deine Besorgnis, sage mir, ob ich deine Liebe irgendwie fördern kann. Du darfst mich für die grausamste Mutter halten, die je einen Sohn geboren hat, wenn du mich dann nicht auf das eifrigste bemüht findest, dich zum Ziele zu führen.«

Als der Jüngling diese Worte seiner Mutter vernahm, errötete er, weil er sein Geheimnis entdeckt sah. Da er aber bedachte, daß niemand besser als sie imstande sei, seinem Verlangen Gewährung zu verschaffen, überwand er seine Scheu und sagte: »Mutter, ich habe meine Liebe nur vor Euch verborgen gehalten, weil ich bemerkt habe, daß die meisten Menschen, wenn sie zu Jahren kommen, sich nicht mehr daran erinnern wollen, daß auch sie einmal jung waren. Weil ich Euch aber hierin so verständig finde, will ich nicht leugnen, daß es sich [170] so verhält, wie Ihr vermutet. Mehr noch, ich will Euch auch offenbaren, wen ich liebe, vorausgesetzt, daß Ihr Euer Versprechen nach Kräften erfüllt, denn nur dadurch könnt Ihr mich gesund machen.«

Im Vertrauen darauf, daß ihr gelingen werde, was ihr nicht gelang, zumindest nicht so, wie sie sich's gedacht hatte, erwiderte die Dame in zuversichtlichem Ton, er möge ihr seine Wünsche ohne Bedenken mitteilen, und sie werde sich sogleich bemühen, sein Verlangen zu stillen.

Darauf sagte der Jüngling: »Liebe Mutter, die hohe Schönheit und das mustergültige Benehmen unserer Jeannette, die Unmöglichkeit, sie meine Liebe erkennen zu lassen, geschweige denn ihr Mitleid zu wecken, und meine eigene Scheu, die mich gehindert hat, zu jemandem von meiner Liebe zu sprechen, haben mich in den Zustand versetzt, in dem Ihr mich jetzt seht. Und sollte aus irgendeinem Grund das unterbleiben, was Ihr mir versprochen habt, so dürft Ihr überzeugt sein, daß mein Leben bald ein Ende nimmt.«

Die Dame, die spürte, daß es im Augenblick besser war, ihn zu ermutigen, statt ihm Vorwürfe zu machen, antwortete lächelnd: »Darum also hast du dich krank gegrämt? Nun, wenn es das ist, so sei guten Mutes und lasse mich sorgen, sobald du wieder gesund bist.«

Von froher Hoffnung erfüllt, wies der Jüngling binnen kurzem Zeichen entschiedener Besserung auf, und die Dame, hocherfreut über den Erfolg, dachte nun daran, wie sie das dem Sohn gegebene Versprechen erfüllen wolle. Zu diesem Zweck rief sie eines Tages Jeannette und fragte sie unter freundlichen Scherzen, ob sie einen Liebsten habe. Jeannette errötete über und über und erwiderte: »Gnädige Frau, für ein armes, von Hause verstoßenes Mädchen wie mich, das in fremden Diensten steht, ziemt es sich nicht, sich mit der Liebe abzugeben.« Darauf sagte die Dame: »Wenn Ihr denn keinen Liebhaber besitzt, so wollen wir Euch einen verschaffen. An dem sollt Ihr Eure Freude haben und Eurer Schönheit erst recht froh werden. Ein so schönes Mädchen wie Ihr darf nicht ohne einen Liebsten sein.« »Gnädige Frau«, entgegnete darauf Jeannette, »Ihr habt mich der Armut meines Vaters entrissen und wie eine Tochter [171] aufgezogen. Darum wäre es meine Pflicht, alles zu tun, was Ihr verlangt. In diesem einen Punkte aber kann ich Eurem Willen nicht gehorchen und glaube, daran recht zu tun. Wenn es Euch gefällt, mir einen Mann zu geben, so werde ich den lieben, aber keinen andern; denn mir ist von dem Erbe meiner Vorfahren nichts geblieben als die Sittsamkeit, und so will ich die hüten und bewahren, solange mein Leben währt.«

Diese Worte waren dem Plane sehr entgegen, den die Dame ersonnen hatte, um das dem Sohn gegebene Versprechen zu erfüllen, obwohl sie, verständig wie sie war, in ihrem Herzen das Mädchen dafür um so höher achten mußte. Sie sagte darauf: »Wie aber, Jeannette, wenn unser gnädiger Herr König, der ein junger Ritter ist, von deiner Liebe eine Gunst begehrte, weil du ein schönes Mädchen bist? Würdest du sie ihm abschlagen?« Sogleich erwiderte jene: »Gewalt könnte mir der König antun, aber mit meinem Willen erlangte er nie etwas anderes von mir, als was der Sittsamkeit gemäß ist.«

Die Dame sah nun wohl, wie es um die Gesinnung des Mädchens stand. Deshalb sparte sie sich weitere Reden und sann darauf, sie durch die Tat auf die Probe zu stellen. Deshalb sagte sie zu ihrem Sohn, sie werde ihn, sobald er genesen sei, mit dem Mädchen in eine Kammer bringen. Dann möge er versuchen, selbst ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen; denn es scheine ihr unschicklich, wie eine Kupplerin ein gutes Wort für ihren Sohn einzulegen und ein Mädchen zu bitten, das in ihren Diensten stehe.

Der junge Mann war mit diesem Vorschlag keineswegs zufrieden und wurde alsbald wieder um vieles kränker. Als die Mutter das sah, gab sie Jeannette in aller Offenheit ihre Wünsche zu erkennen, fand diese aber noch standhafter als zuvor. Darauf erzählte sie alles, was sie bisher getan hatte, ihrem Gemahl. So schwer es ihnen auch fiel, entschlossen sie sich dennoch gemeinsam, Jeannette ihrem Sohn zur Frau zu geben, da sie immer noch lieber den Sohn unstandesgemäß verheiratet, aber lebendig, als unverheiratet und tot sehen wollten. Und so taten sie denn nach vielem Hin- und Herreden wirklich. Jeannette freute sich dessen innigst und dankte Gott aus vollem Herzen, daß er sie nicht vergessen habe, sagte aber dennoch nichts [172] anderes, als sie sei die Tochter eines Pikarden. Der junge Mann genas, feierte sein Hochzeit, fröhlich wie kein anderer, und begann die Freuden zu genießen, welche die Liebe ihm bot.

Inzwischen hatte sich Pierrot, bei dem anderen Marschall des Königs von England aufwachsend, ebenfalls die Gunst seines Herrn erworben. Er war schön von Gestalt und so wacker wie kein anderer auf der Insel, so daß in Kampfspielen und Turnieren niemand unter den Einheimischen sich der Waffen so mächtig erwies wie er. So war er denn unter dem Namen Pierrot, der Pikarde, den sie ihm beigelegt, überall gekannt und geehrt. Wie aber Gott seine Schwester nicht vergessen hatte, so zeigte sich bald, daß er auch seiner gedachte. Es kam über jene Gegenden eine verheerende Seuche, die fast die Hälfte der Bevölkerung hinwegraffte, davon ganz zu schweigen, daß auch von den übrigen so viele in ferne Landschaften flohen, daß das Land völlig verlassen zu sein schien. In diesem allgemeinen Sterben kamen auch Pierrots Herr, der Marschall, dessen Gemahlin und Sohn nebst mehreren anderen Brüdern, Neffen und Verwandten des Hauses um, so daß niemand übrigblieb als eine schon mannbare Tochter, Pierrot und einige andere Diener. Als die Seuche ein wenig nachgelassen hatte, entschloß sich die junge Dame auf den Rat und zur Freude einiger am Leben gebliebener Nachbarn, Pierrot als einen tapferen und tüchtigen Menschen zum Manne zu nehmen, und machte ihn zum Herrn über alles, was ihr durch Erbschaft zugefallen war. Auch dauerte es nicht lange, so vernahm der König von England den Tod des Marschalls und ernannte darauf Pierrot, den Pikarden, dessen Tüchtigkeit ihm bereits bekannt geworden war, an Stelle des Verstorbenen zu seinem Marschall.

Dies sind in kurzen Zügen die Schicksale der beiden unschuldigen Kinder des Grafen von Antwerpen, die dieser als verloren zurückgelassen hatte.

Es waren schon achtzehn Jahre verstrichen, seit der Graf aus Paris entflohen war, als er nach mancherlei Leiden und gar dürftigem Leben Lust bekam, Irland, wo er sich bisher aufgehalten hatte, zu verlassen, um nun, im Alter, zu vernehmen, was aus seinen Kindern geworden war. Er sah wohl, daß er [173] in der langen Zeit seine Gestalt völlig verändert hatte, auch war er durch die langen körperlichen Anstrengungen rüstiger geworden als zuvor, während er in der Muße lebte. So verließ er, arm und schlecht gekleidet, wie er war, den Herrn, bei dem er lange Zeit gelebt hatte, und fuhr nach England hinüber. Zunächst ging er an den Ort, wo er Pierrot zurückgelassen hatte, fand ihn als einen großen Herrn und königlichen Marschall wieder und sah, daß er gesund und kräftig und schön von Gestalt geworden war. Zwar freute er sich darüber herzlich, doch wollte er sich nicht eher zu erkennen geben, als bis er über Jeannette Auskunft erhalten hatte.

Zu diesem Zweck machte er sich auf den Weg und gönnte sich keine Ruhe, bis er in London angekommen war. Hier fragte er sorgfältig nach der Dame, welcher er die Tochter gelassen, und nach ihren Familienverhältnissen und erfuhr, daß Jeannette die Frau ihres Sohnes geworden war. Seine Freude darüber war so groß, daß er alles vergangene Ungemach gering achtete, weil er seine Kinder lebend und in glücklicher Lage wiedergefunden hatte. Voller Verlangen, die Tochter wiederzusehen, ging er nun täglich in der Nähe ihres Hauses betteln. Hier sah ihn eines Tages Jakob Lamiens, denn so hieß der Gemahl Jeannettes, und er erbarmte sich des armen alten Mannes. Er befahl einem seiner Diener, ihn ins Haus zu führen und ihm zu essen zu geben. Der Diener tat willig, was ihm geboten war. Jeannette aber hatte Jakob schon mehrere Kinder geboren, von denen das älteste nicht mehr als acht Jahre zählte und die sämtlich die hübschesten und artigsten Kinder von der Welt waren. Als diese den Grafen essen sahen, waren sie gleich alle um ihn her und taten ihm schön, als ob sie, von einer verborgenen Kraft getrieben, geahnt hätten, daß er ihr Großvater sei. Der Graf wurde bald gewahr, daß er seine Enkel vor sich hatte, und herzte und liebkoste sie, weshalb denn die Kinder nicht von ihm lassen wollten, soviel auch der, dem die Aufsicht über sie oblag, nach ihnen rief. Jeannette hörte das und kam aus einem anstoßenden Gemach in das Zimmer, wo sich der Graf befand. Sie drohte den Kindern nachdrücklich mit Schlägen, wenn sie nicht täten, was ihr Lehrer wollte. Da fingen die Kinder zu weinen an und erklärten, sie wollten bei [174] dem wackeren Manne bleiben, der sie lieber hätte als ihr Erzieher, worüber Graf und Gräfin herzlich lachen mußten.

Inzwischen hatte sich der Graf erhoben, nicht um die Tochter als Vater zu begrüßen, sondern um als armer Mann einer vornehmen Dame die schuldige Ehrfurcht zu erweisen, und hatte sich in der Stille unsäglich über ihren Anblick gefreut. Sie aber erkannte ihn weder damals noch späterhin, so sehr hatte er sich verändert; denn alt und grau und mager, bärtig und braungebrannt wie er war, glich er eher einem Wildfremden als dem Grafen von Antwerpen. Als die Dame sah, daß die Kinder nicht von ihm ablassen wollten, sondern weinten, sagte sie dem Hofmeister, er möge sie nur eine Weile gewähren lassen.

Während aber die Kinder noch bei dem wackeren Manne verweilten, kam Jakobs Vater zufällig nach Hause und erfuhr vom Hofmeister, was sich zugetragen hatte. Jeannette war ihm ohnehin zuwider, und so sagte er zu diesem: »Laßt sie, beim Henker, der sie holen mag, wenn er Lust hat. Ihr Benehmen zeigt ja nur ihre Abkunft. Von mütterlicher Seite sind sie Bettelkinder, darum ist's kein Wunder, wenn sie sich am liebsten mit Bettlern abgeben.« Der Graf hörte diese Rede und fühlte sich schwer gekränkt, doch zuckte er die Achseln und trug diesen Schimpf geduldig wie so manchen andern. Jakob hingegen liebte die Kinder sehr und hatte gesehen, wie freundlich sie gegen den wackeren Mann gewesen waren. Obwohl ihm das nicht paßte, ließ er, nur um keine Tränen sehen zu müssen, jenem sagen, wenn er im Hause einen Dienst annehmen wolle, werde er willkommen sein. Der Graf antwortete, er wolle gern bleiben, er verstehe sich jedoch nur darauf, die Pferde zu warten, was er sein ganzes Leben lang getan habe. Darauf wurde ihm ein Pferd zugewiesen, und sobald er das besorgt hatte, scherzte und spielte er mit den Kindern.

Derweilen das Schicksal auf die bisher geschilderte Weise den Grafen und seine Kinder geleitet hatte, war der König von Frankreich, nachdem er mit den Deutschen mehrmals Waffenstillstand geschlossen, von hinnen gefahren. An seiner Stelle war sein Sohn gekrönt worden, dessen Gemahlin die Ursache gewesen war, um derentwillen der Graf vertrieben wurde. Als der letzte Waffenstillstand mit den Deutschen abgelaufen war, [175] fing der junge König den Krieg mit neuer Erbitterung wieder an, und der König von England als sein neuer Vetter sandte ihm zahlreiche Hilfstruppen, die unter Führung seines Marschalls Pierrot und des Jakob Lamiens standen, welcher der Sohn seines zweiten Marschalls war. In dem Gefolge des letzteren zog auch der wackere Mann, der Graf nämlich, mit, lebte geraume Zeit im Lager als Pferdeknecht, ohne erkannt zu werden, und bewirkte hier infolge seines Verstands und seiner Erfahrung durch Rat und Tat viel mehr Gutes, als sich für seine Lage schickte.

Während dieses Krieges nun wurde die Königin von Frankreich von einer schweren Krankheit befallen; und als sie erkannte, daß der Tod nahe war, bereute sie ihre Sünden und beichtete sie zerknirscht dem Erzbischof von Rouen, der allgemein für einen besonders frommen und aufrechten Mann gehalten wurde. Unter anderen Sünden bekannte sie ihm auch das schwere Unrecht, das sie dem Grafen von Antwerpen zugefügt, und begnügte sich nicht damit, dies dem Bischof zu berichten, sondern schilderte den ganzen Hergang der Sache in Gegenwart vieler anderer angesehener Personen und bat diese, sich beim König dahin zu verwenden, daß der Graf selbst, oder, wenn er nicht mehr am Leben sei, seine Nachkommen wieder in den früheren Stand eingesetzt würden. Nicht lange nach diesem Geständnis starb die Königin, und ihre Leiche wurde ehrenvoll begraben.

Als dem König diese Aussage seiner Gemahlin hinterbracht ward, beseufzte er zuerst das schwere Unrecht, das er einem so wackeren Manne angetan; dann aber ließ er im ganzen Heere und überdies noch weit und breit im Lande ausrufen, daß er den, der ihm Kunde vom Grafen von Antwerpen oder von seinen Kindern bringe, für jedes einzeln reich belohnen werde; denn der König habe aus den Geständnissen seiner Gemahlin entnommen, daß der Graf sich des Vergehens nicht schuldig gemacht habe, um dessentwillen er verbannt worden sei. Er beabsichtige deshalb, ihn in die alten Ehren und Würden wieder einzusetzen und ihm noch größere zu verleihen.

Diesen Aufruf hörte auch der gräfliche Stallknecht, und da er wußte, daß sich wirklich alles so verhielt, ging er sogleich [176] zu Jakob und bat diesen, ihn mit Pierrot zusammenzubringen, denn er wolle dem König zeigen, was dieser suche. Als sie nun alle drei zusammen waren, sagte der Graf zu Pierrot, der selbst schon daran dachte, sich zu entdecken: »Pierrot, Jakob, der hier steht, hat deine Schwester zur Frau, ohne jemals eine Mitgift bekommen zu haben. Damit aber deine Schwester nicht ohne Aussteuer sei, so will ich, daß er und niemand anders die große Belohnung erhalte, die der König dem verspricht, der dich anzuzeigen weiß. So möge er denn dich als den Sohn des Grafen von Antwerpen angeben, seine Frau als deine Schwester Violante und mich, euren Vater, als den Grafen von Antwerpen.« Bei diesen Worten blickte Pierrot dem Redenden genauer ins Gesicht, erkannte ihn plötzlich, warf sich ihm weinend zu Füßen, umarmte ihn und sagte: »Vater, seid tausendmal willkommen.« Jakob aber war zuerst von der Rede des Grafen und dann von dem Benehmen Pierrots so verwundert und freudig überrascht, daß er anfangs gar nicht wußte, was er tun sollte. Doch bald maß er den Worten des Grafen vollen Glauben bei und war voller Scham wegen der harten Reden, die er gegen jenen als Pferdeknecht wohl geführt. Er sank weinend zu seinen Füßen nieder, um für das Geschehene demütig Verzeihung zu erbitten. Der Graf aber erteilte sie ihm willig, indem er ihn aufstehen hieß.

Als sich alle drei ihre verschiedenen Schicksale unter vielen Tränen und ebensoviel Freude gegenseitig erzählt hatten, wollten Pierrot und Jakob den Grafen mit neuen Kleidern versehen. Er gab es indes auf keine Weise zu, sondern bestand darauf, daß Jakob, nachdem ihm die Belohnung zuvor gesichert wäre, ihn im Knechtsgewand dem König vorführte, um diesen desto mehr zu beschämen. So ging denn Jakob, dem der Graf und Pierrot in einiger Entfernung folgten, vor den König und versprach ihm, den Grafen und dessen Kinder zu bringen, wenn er ihn dem ergangenen Aufruf gemäß belohnen wolle. Sogleich ließ der König die für einen jeden bestimmten Belohnungen, über deren Größe Jakob sich nicht genug wundern konnte, herbeibringen und hieß ihn, diese hinzunehmen, wenn er wirklich den Grafen und dessen Kinder nachzuweisen wisse. Darauf wandte Jakob sich um, ließ den Grafen, seinen [177] Knecht, und Pierrot vortreten und sagte: »Gnädigster Herr, hier sind Vater und Sohn. Die Tochter, die meine Gemahlin ist, habe ich zwar nicht zur Stelle, doch sollt Ihr sie mit Gottes Hilfe bald sehen.«

Der König blickte den Grafen an, und obgleich dieser sich sehr verändert hatte, erkannte er ihn dennoch, nachdem er ihn eine Weile betrachtet hatte, und schier tränenden Auges hob er den Knienden zu sich empor, küßte und umarmte ihn. Auch den Pierrot empfing er freundschaftlich und befahl, daß der Graf sogleich mit Kleidern, Dienerschaft, Pferden und Geräten versehen werde, so reichlich, wie es seinem hohen Rang angemessen sei. Alsbald wurde dieser Befehl vollzogen. Dann erwies der König dem Jakob ebenfalls vielfache Ehre und verlangte von ihm einen Bericht über die vorhergegangenen Begebenheiten. Als aber Jakob die Belohnung wegtragen ließ, die er für die Auskunft über den Grafen und dessen Kinder erhalten hatte, sagte dieser: »Nimm das als ein gnädiges Geschenk unseres Herrn, des Königs, und vergiß nicht, deinem Vater zu sagen, daß deine Nachkommen, seine wie meine Enkel, von mütterlicher Seite keine Bettelkinder sind.«

Jakob nahm die Geschenke und ließ seine Gattin und seine Mutter nach Paris kommen. Auch Pierrots Frau wurde herbeigeholt, und alle lebten in großen Freuden mit dem Grafen zusammen, den der König in alle seine Güter wieder eingesetzt und mit größeren Würden begabt hatte als je zuvor. Dann beurlaubten sich alle und kehrten in ihre Heimat zurück. Er aber lebte noch viel ruhmvoller als zuvor bis an sein Ende in Paris.

[178] Neunte Geschichte

Bernabo von Genua verliert durch Ambrogiuolos Betrug sein Vermögen und befiehlt, daß seine unschuldige Frau getötet werde. Sie entkommt und dient in Männerkleidern dem Sultan. Dann entdeckt sie den Betrüger und veranlaßt Bernabo, nach Alexandrien zu kommen. Der Betrüger wird bestraft, und sie kehrt, wieder im Frauengewand, mit ihrem Manne reich nach Genua zurück.


Als Elisa durch die rührende Geschichte des Grafen von Antwerpen ihre Pflicht erfüllt hatte, sann Filomena, die Königin, die schön und von schlanker Gestalt war und deren Gesichtszüge noch mehr Anmut und Freundlichkeit hatten als die der andern, einen Augenblick nach und sagte dann: »Wir müssen dem Dioneo schon Wort halten, und so will ich denn, da nur er und ich noch zu erzählen haben, meine Geschichte zuerst vorbringen, und er mag, wie er sich's ausgebeten, der letzte sein, der für heute erzählt.« Nachdem sie so gesprochen hatte, begann sie:

Im Volke geht das Sprichwort um: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.« Dieses Sprichwort kann aber nur wahr sein, wenn es im Leben wirklich so zugeht. So ist mir eingefallen, euch, ohne mich dabei von der allgemeinen Aufgabe zu entfernen, an einem Beispiel zu zeigen, daß es auch wirklich so ist, wie man sagt. Laßt es euch nicht gereuen, meine Geschichte zu hören, aus der ihr lernen könnt, wie man vor Betrügern auf der Hut sein muß.

Es waren einmal in einem Wirtshaus zu Paris etliche italienische Großkaufleute zusammen, die um verschiedener Geschäfte willen, wie sie ihr Beruf mit sich bringt, dorthin gekommen waren. Diese begannen eines Abends nach fröhlich beendetem Essen allerlei Gespräche. Das eine brachte sie auf das andere, und so kamen sie endlich auf ihre Frauen zu sprechen, die sie daheim gelassen. Da sagte einer lachend: »Was meine tut, das weiß ich nicht. Das eine aber weiß ich wohl: wenn mir hier ein Dirnchen nach meinem Geschmack über den Weg läuft, dann lasse ich die Liebe zu meiner Frau links liegen und nehme alles mit, was ich von jener kriegen kann.« Darauf sagte ein anderer: »Ich mach's ebenso. Denn bilde ich mir ein, daß meine [179] Frau sich derweil einen Zeitvertreib sucht, so tut sie's; bilde ich's mir nicht ein, so tut sie's doch. Also ist es besser, man rechnet miteinander ab; wie der Esel in den Wald schreit, so schallt es wieder heraus.« Die Meinung des dritten kam auf dasselbe hinaus, und mit einem Wort, die Anwesenden schienen alle darin übereinzustimmen, daß ihre zurückgelassenen Frauen die Zeit schwerlich ungenutzt lassen möchten.

Nur ein einziger, Bernabo Lomellino mit Namen und aus Genua, sagte das Gegenteil und versicherte, durch Gottes Gnade eine Frau zu besitzen, der alle Tugenden eines Weibes und mit wenigen Ausnahmen auch die eines Ritters oder Knappen in so hohem Maße zu eigen seien, daß sie vielleicht in ganz Italien nicht ihresgleichen habe. Denn sie sei schön von Gestalt und noch jung an Jahren, körperlich geschickt und rüstig, und es gebe keinerlei weibliche Arbeit, wie Seidenwirken und dergleichen, die sie nicht besser verstehe als jede andere. Ja, überdies sei kein Knappe und kein Diener zu finden, welchen Namen er auch tragen möge, der besser und aufmerksamer als sie eine herrschaftliche Tafel zu bedienen wisse; denn in allen Dingen sei sie wohlerzogen, umsichtig und verständig. Endlich rühmte er noch an ihr, daß sie besser als ein Ritter zu Pferde sitze und den Falken halte und besser als ein Kaufmann zu lesen, zu schreiben und zu rechnen wisse. Von diesem und vielem andern Lobe kam er dann auf den Gegenstand des vorhergegangenen Gespräches und versicherte bei seinem Eide, daß keine sittsamere und keine keuschere Frau zu finden sei. Darum, fügte er hinzu, vertraue er fest darauf, daß sie sich niemals mit einem anderen Mann auf dergleichen Dinge einließe, selbst wenn er zehn Jahre lang oder immer vom Hause wegbliebe.

Unter den Kaufleuten, die also miteinander redeten, war ein junger Mann, Ambrogiuolo von Piacenza mit Namen, der über das Lob, das Bernabo seiner Frau zuletzt erteilt, überlaut zu lachen anfing und ihn höhnisch fragte, ob denn der Kaiser nur ihm vor allen andern dieses Vorrecht erteilt habe. Bernabo erwiderte nicht ohne Empfindlichkeit, Gott, der etwas mehr vermöge als der Kaiser, und nicht dieser, habe ihm solche Gnade verliehen. Darauf sagte Ambrogiuolo: »Bernabo, ich zweifle nicht daran, daß du selber die Wahrheit zu sagen glaubst. [180] Mich dünkt aber, du hast den Lauf der Dinge nicht gehörig ins Auge gefaßt; denn hättest du es getan, so halte ich dich nicht für kurzsichtig genug, daß du nicht mancherlei wahrgenommen haben solltest, was dich veranlassen müßte, über derlei Dinge mit geringerer Zuversicht zu reden. Damit du aber einsehen mögest, daß wir, die wir uns vorhin über unsere Frauen so duldsam aussprachen, darum nicht der Meinung sind, wir hätten deren schlechtere oder anders geschaffene, als die deinige ist, will ich über diesen Punkt ein wenig mit dir reden. Ich habe immer gehört, der Mann sei das edelste unter den sterblichen Wesen, die Gott geschaffen, und erst nach ihm komme das Weib. In der Tat zeigt auch die Erfahrung, daß die allgemeine Meinung wahr und der Mann vollkommener ist. Besitzt er aber nun größere Vollkommenheit, so muß er ohne Zweifel auch mehr Festigkeit und Beständigkeit haben; denn die Weiber sind in allem veränderlicher, wofür sich mancherlei natürliche Gründe angeben ließen, die ich aber jetzt beiseite lassen will. Hat nun der Mann größere Festigkeit und kann er sich dennoch nicht enthalten, nach einer jeden zu verlangen, die ihm gefällt, geschweige denn einer, die ihn bittet, zu willfahren, kann er sich weiterhin nicht enthalten, über dieses Verlangen hinaus alles zu tun, was in seinen Kräften steht, um in ihren Besitz zu gelangen, was alles ihm nicht einmal im Monat, sondern täglich tausendmal begegnet – wie willst du von einem Weibe, das seiner ganzen Natur nach veränderlich ist, erwarten, daß es den Bitten, Schmeicheleien und Geschenken, daß es den tausend anderen Mitteln widerstehen werde, die ein erfahrener Mann, wenn er verliebt ist, anwenden wird? Glaubst du wirklich, sie könne standhalten? Wenn du es mir auch versicherst, so glaube ich dennoch nicht, daß du davon überzeugt bist. Gestehst du doch selbst ein, daß deine Frau ein Weib ist und wie die andern aus Fleisch und Bein besteht. Ist dem aber so, dann muß sie dieselben Gelüste fühlen und hat nur dieselben Kräfte wie die andern, um jenen natürlichen Antrieben zu widerstehen. Du siehst mithin: so sittsam sie auch sein mag, immer besteht die Möglichkeit, daß sie tut, was die andern tun. Etwas Mögliches soll man aber niemals so hartnäckig verneinen oder das Umgekehrte behaupten, wie du es tust.« [181] Bernabo entgegnete ihm darauf: »Ich bin ein Kaufmann und kein Philosoph, kann dir also auch nur als Kaufmann antworten. So sage ich denn, daß ich wohl einsehe, wie es den Einfältigen, die kein Gefühl für Scham haben, so gehen kann, wie du da beschreibst. Die Verständigen aber sind um ihre Ehre so besorgt, daß sie in diesem Punkte stärker werden als die Männer, die darin ein loses Gewissen haben. Und zu denen gehört meine Frau.«

»Wahrhaftig«, sagte Ambrogiuolo, »wenn den Weibern jedesmal, wenn sie sich auf derlei Geschichten einlassen, ein Horn aus der Stirn wüchse, das Zeugnis ihrer Tat wäre, so möchten sich wenige damit abgeben. Nun wächst ihnen aber kein Horn, und wenn sie klug sind, ist keine Spur zu finden; Schande und Entehrung entstehen nur aus dem, was offenbar wird. So tun die Weiber denn, was sie im Verborgenen tun können, oder unterlassen es nur aus Albernheit. Darum sei überzeugt: nur die ist keusch, die entweder von niemand gebeten, oder wenn sie selbst gebeten hat, nicht erhört worden ist. So genau ich übrigens aus natürlichen und anderen Gründen weiß, daß sich alles so verhalten muß, wie ich dir sage, so spräche ich doch nicht mit solcher Zuversicht darüber, wenn ich nicht schon oft und bei mancherlei Frauen die Probe gemacht hätte. Deshalb sage ich dir denn: wäre ich nur bei deiner so ausbündig tugendhaften Frau, so wollte ich sie schon in kurzer Zeit zu dem bringen, wozu ich schon so manche andere gebracht habe.«

Bernabo antwortete verdrießlich: »Dies Herumstreiten mit Worten könnte sich sehr in die Länge ziehen. Du würdest reden, und ich würde reden, und am Ende käme doch nichts heraus. Weil du aber meinst, daß jede Frau so nachgiebig und dein Geschick so groß sei, so bin ich bereit, um dich von der Sittsamkeit meiner Frau zu überzeugen, mir den Kopf abschneiden zu lassen, wenn du sie jemals dazu bewegen kannst, dir in dieser Weise irgendwie zu Willen zu sein. Gelingt es dir aber nicht, so verlange ich von dir nichts als eine Buße von tausend Goldgulden.«

Ambrogiuolo, der sich über der Angelegenheit schon erhitzt hatte, erwiderte: »Bernabo, ich weiß nicht, was ich mit deinem Blut anfangen sollte, wenn ich gewänne. Hast du aber Lust, [182] die Probe auf das zu machen, was ich dir gesagt habe, so setze gegen meine tausend Goldgulden fünftausend andere, die dir doch wohl nicht minder wert sein müssen als dein Kopf. Dann will ich nach Genua reisen und, obwohl du mir keine Zeit vorgeschrieben hast, binnen drei Monaten, von dem Tage meiner Abreise aus Paris an gerechnet, bei deiner Frau meinen Willen erreicht haben. Und zum Zeugnis will ich dir Dinge mitbringen, die sie besonders wert hält, und dir so viele Umstände und Beweise mitteilen, daß du selbst an der Wahrheit nicht mehr zweifeln sollst. Dabei bedinge ich mir nur das eine aus: daß du während dieser Zeit weder nach Genua kommst, noch ihr irgend etwas über diese Angelegenheit schreibst.«

Bernabo versicherte, damit völlig zufrieden zu sein, und so sehr die übrigen anwesenden Kaufleute sich bemühten, die Sache zu verhindern, weil sie das große Übel erkannten, das daraus entstehen konnte, so hatten sich jene beiden die Köpfe doch so erhitzt, daß sie sich wider den Willen der andern in förmlichen, eigenhändig geschriebenen Urkunden einander verpflichteten.

Nachdem diese Verschreibung gemacht war, reiste Ambrogiuolo nach Genua, so schnell er konnte, während Bernabo in Paris zurückblieb. Jener hatte aber kaum einige Tage in Genua zugebracht und sich unter vieler Vorsicht unter der Hand nach dem Namen der Straße und nach den Sitten der Frau erkundigt, als er nicht allein das, was Bernabo ihm gesagt, sondern noch viel mehr Gutes von ihr vernahm und die Fürwitzigkeit seines Unternehmens erkannte. Nichtsdestoweniger schloß er Bekanntschaft mit einem armen Weibe, das häufig in jenes Haus zu kommen pflegte und bei Bernabos Frau besonders wohlgelitten war. Da sich die Alte zu keinem weiteren Dienste verstehen wollte, bestach er sie endlich dahingehend, daß sie ihn in einer Kiste, die er künstlich zu seinen Zwecken eingerichtet, nicht allein in das Haus, sondern in das Schlafzimmer der Frau selbst tragen ließ. Die Alte mußte nämlich vorgeben, sie wolle über Land reisen, und jener die Kiste für einige Tage zum Aufbewahren empfehlen.

Als die Kiste in dem Zimmer stehengeblieben und die Nacht gekommen war, öffnete Ambrogiuolo zu einer Stunde, wo er vermuten konnte, daß die Frau schlief, das Behältnis durch den [183] Druck einiger Federn und betrat leise das Gemach, das von einer Lampe erhellt wurde. Nun betrachtete er die Form des Raumes, die Malereien, welche ihn schmückten, und was sonst darin bezeichnend schien, aufs genaueste und prägte alles seinem Gedächtnis ein. Darauf näherte er sich dem Bett, und da er bemerkte, daß die Frau und das kleine Töchterlein, das neben ihr lag, fest schliefen, deckte er sie völlig auf und sah, daß sie nackt ebenso schön zu nennen war wie bekleidet. Doch wußte er an ihrem Körper kein anderes Zeichen zu entdecken, das er ihrem Gatten anführen konnte, als ein Mal unter der linken Brust, um das ein paar goldgelbe Härchen standen. Sobald er dies gesehen, deckte er sie leise wieder zu, so großes Verlangen sich auch beim Anblick ihres schönen Körpers in ihm regte, sein Leben daran zu wagen und sich zu ihr zu legen. Da er aber gehört hatte, daß sie in solchen Dingen so übermäßig streng und ungefügig sei, wollte er es doch nicht darauf ankommen lassen. So verweilte er den größten Teil der Nacht nach seiner Bequemlichkeit in dem Zimmer, nahm sich aus einem Schreine noch eine Tasche, ein Staatskleid und ein paar Ringe und Gürtel, tat dies alles in seine Kiste und verschloß diese, nachdem er sich selbst hineinbegeben hatte, ganz wie zuvor. Dasselbe wiederholte er in der folgenden Nacht, ohne daß die Frau das mindeste bemerkt hatte.

Am dritten Tage kam das arme Weib nach der getroffenen Verabredung wieder, um ihre Kiste abzuholen, und trug sie dorthin zurück, woher sie diese gebracht hatte. Ambrogiuolo aber stieg sogleich heraus, belohnte das Weib seinem Versprechen gemäß und kehrte mit den genommenen Sachen noch vor Ablauf der bestimmten Frist nach Paris zurück. Hier rief er die Kaufleute zusammen, die bei dem Streit und der abgeschlossenen Wette zugegen gewesen waren, und erklärte in Bernabos Gegenwart, er habe die Summe, um welche sie damals gewettet, gewonnen und ausgeführt, was er zu tun sich gerühmt habe. Zum Beweis beschrieb er das Gemach und die Malereien in demselben und zeigte dann auch die Sachen vor, die er mitgebracht und von denen er behauptete, daß sie ihm dieselben geschenkt habe. Bernabo gestand, daß das Zimmer wirklich so aussähe, wie es jener beschrieben, auch erkannte er jene Sachen [184] als die seiner Frau; doch meinte er, Ambrogiuolo könnte leicht von einem Dienstboten des Hauses die Beschreibung des Zimmers und auf gleichem Wege auch die Sachen erhalten haben. Deshalb erachte er sich durch das Vorgebrachte, wenn jener nicht noch anderes hinzufüge, keineswegs für besiegt. Ambrogiuolo sagte darauf: »Wahrlich, du solltest dich damit begnügen; weil du aber verlangst, ich soll noch mehr sagen, so will ich es tun. Ich sage dir denn, daß Frau Ginevra, deine Gattin, unter ihrer linken Brust ein kleines Mal hat, um das wohl sechs goldgelbe Härchen herumstehen.« Als Bernabo das hörte, war es ihm wie ein Messerstich durch das Herz, und die plötzliche Blässe seines Gesichts bekundete auch ohne Worte die Wahrheit dessen, was Ambrogiuolo gesagt hatte. Nach einer Weile sagte er: »Ihr Herren, was Ambrogiuolo berichtet, ist wahr. So hat er denn gewonnen und mag sich, wann es ihm beliebt, die Zahlung abholen.«

Wirklich wurde Ambrogiuolo schon am folgenden Tag vollständig bezahlt. Bernabo aber verließ Paris und zog voll bösen Blutes gegen seine Frau nach Genua. Als er in die Nähe der Stadt gekommen war, wollte er nicht hineingehen, sondern blieb wohl zwanzig Meilen davor auf einer Besitzung, die ihm gehörte, und sandte einen Diener mit zwei Pferden und einem Briefe an seine Frau, in welchem er schrieb, er sei zurückgekehrt und sie solle ihm mit jenem entgegenkommen. Dem Diener aber erteilte er heimlich Befehl, die Frau ohne Erbarmen zu ermorden, sobald er mit ihr einen geeigneten Platz erreiche, und dann zu ihm zurückzukehren.

Als der Diener in Genua angelangt war, den Brief abgegeben und seine Aufträge ausgerichtet hatte, empfing ihn die Frau mit herzlicher Freude. Am andern Morgen stieg sie mit ihm zu Pferde und verfolgte den Weg nach jener Besitzung, bis sie unter mancherlei Gesprächen, die sie während des Reitens führten, in ein tiefes, einsames Tal gelangten, das Bäume und hohe Felswände rings umschlossen. Das schien dem Diener der gelegene Ort, um den Befehl seines Herrn ungefährdet ausführen zu können. Er zog sein Messer, faßte die Frau am Arm und sagte: »Madonna, empfehlt dem Herrgott Eure Seele, denn hier müßt Ihr sterben und dürft nicht mehr von der Stelle.« [185] Als die Frau das Messer sah und die Worte des Dieners vernahm, rief sie voll Entsetzen: »Um Gottes willen, Gnade! Ehe du mich umbringst, sage mir, was ich getan habe, daß du mich morden willst?« »Madonna«, entgegnete der Diener, »mir habt Ihr nichts zuleide getan. Worin Ihr aber Euren Gemahl beleidigt habt, davon weiß ich nicht mehr, als daß er mir befohlen hat, Euch auf diesem Wege ohne alles Erbarmen zu töten, und wenn ich es nicht täte, hat er gedroht, mich aufhängen zu lassen. Ihr wißt wohl, wieviel ich ihm verdanke und daß ich mich nicht weigern darf, zu tun, was er befiehlt. Weiß Gott, es ist mir leid um Euch; aber was soll ich tun?« Darauf antwortete die Frau unter Tränen: »Ach, um Gottes willen, Gnade! Werde doch nicht um eines anderen willen an mir, die ich dir nie etwas zuleide getan, zum Mörder. Gott, der alles weiß, ist mein Zeuge, daß ich nichts begangen habe, um dessentwillen ich von meinem Manne solche Strafe verdient hätte. Aber lassen wir das. Du kannst dich, wenn du willst, um Gott, um deinen Herrn und um mich zugleich verdient machen; nimm hier meine Kleider und schenke mir dafür nur deine Jacke und deinen Mantel. Kehre mit den Kleidern zu meinem und deinem Herrn zurück und sage, du hättest mich umgebracht. Ich schwöre dir bei meinem Leben, das ich von dir als Geschenk erwarte, daß ich verschwinden und in ein anderes Land gehen will, und weder er noch du sollen in diesen Gegenden je das mindeste von mir hören.«

Der Diener, der sie ohnehin nicht gern töten wollte, ließ sich leicht zum Mitleid bewegen. Er nahm ihre Kleider, gab ihr seine alte Jacke und seinen Mantel, ließ ihr das wenige Geld, das er bei sich hatte, und nachdem er sie gebeten, jene Gegenden zu meiden, ließ er sie zu Fuß in jenem Tal zurück. Dann eilte er zu seinem Herrn und sagte ihm, er habe seinen Befehl nicht nur vollzogen, sondern auch mehrere Wölfe über den Leichnam herfallen sehen. Einige Zeit darauf kam Bernabo wieder nach Genua. Man erfuhr, was er getan, und tadelte ihn allgemein.

Inzwischen war die Frau einsam und trostlos zurückgeblieben und bei einbrechender Nacht, nachdem sie sich, so gut es sich tun ließ, unkenntlich gemacht hatte, in einer benachbarten [186] Bauernhütte eingekehrt. Hier bekam sie von einer Alten, was sie brauchte, um die Jacke für ihren Körperbau passend zu machen. Aus ihrem Hemd nähte sie sich Hosen, schnitt sich die Haare ab und gab sich überhaupt das Aussehen eines Matrosen. In dieser Gestalt ging sie dem Meere zu. Da traf sie von ungefähr einen spanischen Edelmann, der Herr Encararch genannt ward und sein ihm gehörendes, in geringer Entfernung, bei Alba, vor Anker liegendes Schiff verlassen hatte, um sich an einer Quelle zu erfrischen. Mit diesem begann sie ein Gespräch, verdingte sich bei ihm als Diener und bestieg das Schiff, wo sie sich Sicurano von Finale nennen ließ. Der Edelmann versah sie nun mit neuen, besseren Kleidern. Sie aber wußte ihm in allem so gut aufzuwarten, daß der neue Diener ihm über die Maßen lieb wurde.

Nicht lange darauf schiffte der Spanier mit einer Warenladung nach Alexandrien und nahm unter anderem mehrere seltene Falken mit, die er dem Sultan zum Geschenk machte. Darauf lud ihn der Sultan einige Male zu Tisch, wurde, weil Sicurano immer mit bediente, auf dessen geschicktes Benehmen aufmerksam und fand daran solchen Gefallen, daß er ihn sich von dem Spanier erbat, was dieser, so leid es ihm tat, nicht abschlagen konnte. Sicurano gewann in kurzer Zeit durch sein gutes Betragen die Gunst und Liebe des Sultans nicht minder, als er zuvor die des Spaniers besessen hatte.

Darüber kam die Zeit heran, wo sich, wie alljährlich, zu Akkon eine große Anzahl christlicher und sarazenischer Kaufleute zu einer Art Messe versammeln sollte. Zu diesem Markt pflegte der Sultan, unter dessen Oberhoheit Akkon stand, außer mehreren anderen Beamten zur Sicherheit der Kaufleute und ihrer Waren stets einen seiner Großen und eine Anzahl Bewaffneter zu senden. Als nun diesmal die Zeit gekommen war, beschloß er, den Sicurano, der die Sprache bereits vollkommen beherrschte, mit diesem Amt zu betrauen, und wirklich führte er seinen Vorsatz aus. So wurde denn Sicurano Befehlshaber von Akkon und der vom Sultan zum Schutze der Kaufleute und ihrer Waren dorthin gesandten Wache; und während er sein Amt auf das beste und sorgfältigste versah, wozu er aufmerksam umherging, traf er auf viele Kaufleute aus Sizilien, Pisa, [187] Genua, Venedig und anderen Gegenden Italiens und ließ sich in der Erinnerung an sein Vaterland gern mit ihnen in trauliche Gespräche ein.

Da traf es sich unter anderm einmal, daß er in einem Kaufhause der Venezianer, welches er für einen Augenblick betrat, neben mancherlei anderem Schmuck eine Tasche und einen Gürtel gewahrte, die er schnell und voller Verwunderung als die seinigen wiedererkannte. Doch verbarg er sein Erstaunen und fragte höflich, wem sie gehörten und ob sie zu verkaufen wären. Ambrogiuolo von Piacenza nämlich war auf einem venezianischen Schiffe mit vielen Waren zu dieser Messe gekommen, trat, als er den Befehlshaber der Wache fragen hörte, wem die Sachen seien, lächelnd vor und sagte: »Herr, die Sachen gehören mir und sind nicht verkäuflich. Findet Ihr aber Gefallen daran, so mache ich sie Euch gern zum Geschenk.« Als Sicurano ihn lächeln sah, fürchtete er schon, jener möchte seine Züge erkannt haben; doch hielt er sein Gesicht vollkommen in der Gewalt und sagte: »Du lachst wohl, daß ein Kriegsmann wie ich nach solchem Weiberzeuge fragt?« »Herr«, antwortete Ambrogiuolo, »ich lache nicht darüber, sondern nur über die Art, wie ich zu den Sachen gekommen bin.« Darauf sagte Sicurano: »Nun, beim Himmel, wenn nichts Unziemliches dabei ist, so möchte ich wohl, daß du uns die Geschichte erzähltest.« »Herr«, entgegnete jener, »die Sachen, die Ihr da seht, und noch ein paar andere schenkte mir einmal eine Genueser Dame, Frau Ginevra genannt, die Gattin des Bernabo Lomellino, weil ich eine Nacht bei ihr geschlafen hatte, und bat mich, sie ihr zuliebe zu behalten. Nun mußte ich aber lachen, weil ich an Bernabos Torheit dachte, der dumm genug war, fünftausend Goldgulden gegen tausend zu setzen, daß ich von seiner Frau meinen Willen nicht erlangen würde. Sie gewährte mir aber alles, und ich gewann die Wette; und Bernabo, der lieber sich selbst für seine Dummheit als die Frau dafür hätte strafen sollen, daß sie getan, was alle Weiber tun, reiste von Paris nach Genua zurück und hat sie, wie ich späterhin vernommen, umbringen lassen.«

Als Sicurano das vernahm, verstand er den Grund von Bernabos Zorn und begriff, daß Ambrogiuolo die einzige Ursache [188] aller seiner Leiden sei. Er sann darauf, den Betrug nicht ungestraft durchgehen zu lassen, stellte sich, als ob jene Geschichte ihm vielen Spaß gemacht, und wußte in kurzer Zeit mit Ambrogiuolo so vertraut zu werden, daß dieser am Ende der Messe zu seinem Vergnügen mit ihm nach Alexandrien fuhr. Hier richtete ihm Sicurano einen Laden ein und vertraute ihm von seinem eigenen Geld bedeutende Summen an, so daß Ambrogiuolo infolge des großen Nutzens, der ihm aus seinem Aufenthalt erwuchs, gern in Alexandrien verweilte.

Sicurano, der in alldem nichts anderes im Auge hatte, als Bernabo von seiner Unschuld überzeugen zu können, ließ nicht eher nach, als bis er durch Vermittlung einiger angesehener Genueser Kaufleute, die in Alexandrien wohnten, ihn unter allerlei Vorwänden bewogen hatte, dorthin zu kommen. Da Bernabo in ziemlich ärmlichen Umständen anlangte, ließ Sicurano ihn von einem seiner Freunde in der Stille beherbergen, bis ihm die Zeit zur Ausführung seiner Pläne günstig erschiene. Inzwischen hatte Sicurano den Ambrogiuolo schon veranlaßt, seine Geschichte vor dem Sultan zu erzählen und diesen dadurch angenehm zu unterhalten.

Als aber Bernabo angelangt war, meinte Sicurano, seine Unternehmung nicht weiter aufschieben zu dürfen. Er erbat vom Sultan die Erlaubnis, Ambrogiuolo und Bernabo vor ihn führen zu dürfen, damit in Gegenwart des letzteren Ambrogiuolo durch Güte oder Gewalt gezwungen würde, zu bekennen, wie es sich in Wahrheit mit dem verhalten habe, dessen er sich in bezug auf Bernabos Frau rühme. Ambrogiuolo und Bernabo erschienen vor dem Sultan, und in Gegenwart vieler befahl dieser dem ersten mit ungnädigem Gesicht, der Wahrheit gemäß zu gestehen, wie er von Bernabo die fünftausend Goldgulden gewonnen habe. Ambrogiuolo sah den Sicurano, auf den er am meisten baute, anwesend; doch auch dieser drohte ihm mit noch weit zornigerer Miene die größten Martern an, wenn er die Wahrheit nicht gestände. So sah sich denn Ambrogiuolo, von der einen wie von der andern Seite eingeschüchtert, ja mit Zwang bedroht, in Bernabos und vieler anderer Gegenwart genötigt, den ganzen Hergang der Sache klar und einfach zu erzählen, was ihn seiner Meinung nach nur verpflichtete, die [189] fünftausend Goldgulden und die genommenen Sachen zurückzuerstatten. Sicurano aber wandte sich als ein vom Sultan berufener Richter sogleich an Bernabo und sagte: »Und was hast du um dieser Lüge willen deiner Frau angetan?« Bernabo erwiderte: »Vom Zorne über das verlorene Geld und von der Scham über die Schande bewältigt, die meine Frau mir, wie ich glauben mußte, angetan hatte, ließ ich sie durch einen meiner Diener töten; und wie dieser mir berichtete, wurde ihr Leichnam von vielen Wölfen zerrissen.«

Alle diese Verhandlungen wurden in Gegenwart des Sultans gepflogen und von ihm vollkommen verstanden, ohne daß er gewußt hätte, zu welchem Zweck Sicurano dies alles veranstaltete. Dieser sprach indes folgendermaßen: »Mein Gebieter, Ihr seht nun wohl klar genug ein, was für eines Liebhabers und was für eines Mannes sich die gute Frau zu rühmen gehabt hat. Der Liebhaber bringt sie zu gleicher Zeit durch schmähliche Lügen um ihre Ehre und stürzt ihren Mann ins Unglück, und der Mann mißt den fremden Unwahrheiten größeren Glauben bei als der Wahrheit, die er durch lange Erfahrung selbst zu erkennen Gelegenheit gehabt, und läßt sie töten und von den Wölfen verschlingen. Und noch überdies ist die Liebe, die Liebhaber und Ehemann für sie empfinden, so groß, daß beide lange Zeit mit ihr zusammenleben, ohne sie wiederzuerkennen. Damit Ihr aber in vollem Maße erkennen sollt, welche Strafe jeder von beiden verdient, so will ich, wenn Ihr mir dies als besondere Gnade gewähren wollt, daß der Betrüger bestraft, dem Betrogenen aber verziehen werde, die arme Frau selbst vor Euer Antlitz und vor jener Augen führen.«

Der Sultan, der in dieser Sache dem Sicurano allein gefällig zu sein wünschte, erklärte sich damit einverstanden und sagte, jener möge die Frau nur kommen lassen. Bernabo wunderte sich über diese Reden nicht wenig, da er seine Frau mit Gewißheit tot glaubte. Ambrogiuolo ahnte zwar schon sein Unglück und fürchtete Schlimmeres als die Erstattung des Geldes; auch wußte er nicht, was er von dem Erscheinen der Frau hoffen oder fürchten sollte; doch walteten auch bei ihm Neugier und Verwunderung vor.

Als nun der Sultan dem Sicurano seine Bitten gewährt hatte, [190] warf dieser sich weinend vor ihm auf die Knie, gab in dem Augenblick, wo er nicht mehr als Mann gelten wollte, seine männliche Stimme auf und sagte: »Mein Gebieter, ich bin die arme unglückliche Ginevra und bin nun schon sechs Jahre lang in Männertracht durch die Welt geirrt, seit dieser Verräter Ambrogiuolo mich fälschlich, aber nur zu fühlbar beschimpft, und seit mein grausamer und ungerechter Gatte hier mich von einem seiner Diener hat umbringen und den Wölfen vorwerfen lassen wollen.« Bei diesen Worten riß sie ihr Gewand auf, zeigte ihren Busen und bewies dadurch dem Sultan und den anderen Anwesenden, daß sie ein Weib war. Dann aber wandte sie sich gegen Ambrogiuolo und fragte ihn im höchsten Zorne, wann er jemals, wie er sich gerühmt, bei ihr geschlafen habe. Ambrogiuolo erkannte sie wohl und war so beschämt, daß er schwieg, nicht anders als wäre er stumm geworden. Der Sultan, der sie immer für einen Mann gehalten hatte, geriet bei diesen Worten und bei diesem Anblick in solches Erstaunen, daß er mehrmals alles, was er sah und hörte, nicht für wahr, sondern für einen Traum halten wollte. Endlich aber legte sich sein Staunen, er erkannte die Wahrheit und zollte dem Leben, der Standhaftigkeit, den guten Sitten und Tugenden Ginevras, die bis dahin Sicurano genannt worden war, höchstes Lob. Dann ließ er ihr anständige Frauenkleider bringen, erfüllte ihre Bitte und umgab sie mit Frauen, die ihr Gesellschaft leisteten, und schenkte dem Bernabo sein verwirktes Leben. Dieser aber hatte sie kaum erkannt, als er sich weinend vor ihr niederwarf und sie um Verzeihung bat, die sie ihm denn auch, so wenig er sie verdient hatte, freundlich gewährte, indem sie ihn aufstehen hieß und ihn zärtlich als ihren Gemahl umarmte.

Darauf befahl der Sultan sogleich, daß Ambrogiuolo an einen erhöhten Platz der Stadt geführt, dort in der Sonne nackend an einen Pfahl gebunden und mit Honig bestrichen werde, um nicht eher von dort wieder losgebunden zu werden, als bis seine Gebeine von selbst aus den Banden fielen. Als dieser Befehl des Sultans vollzogen war, ließ er alles, was bisher dem Ambrogiuolo gehört, der Frau als ein Geschenk überantworten, und es fand sich, daß sein Vermögen nicht weniger als zehntausend Doublonen betrug. Dann ordnete er ein herrliches Fest an, bei[191] welchem er den Bernabo als den Gatten der Frau Ginevra, diese selbst aber als ein Muster trefflicher Frauen ehrte und ihr an Schmuck, goldenen und silbernen Gefäßen und barem Gelde mehr denn zehntausend Doublonen an Wert schenkte. Als das Fest zu Ende war, rüstete er ein Schiff aus und beurlaubte sie, auf diesem nach Gefallen heimwärts zu reisen. So kehrten sie denn reich und froh in ihre Heimat zurück und wurden dort auf das ehrenvollste empfangen, besonders aber Frau Ginevra, die von allen tot geglaubt worden war und nun, solange sie lebte, wegen ihrer Tugenden und ihres Verstandes allgemein gerühmt ward.

Ambrogiuolo war noch am selben Tage an den Pfahl gebunden und mit Honig bestrichen worden und hatte nicht allein mit unsäglichen Schmerzen unter den Stichen der Fliegen, Wespen und Bremsen, deren sich in jenem Lande besonders viele finden, seinen Geist aufgeben müssen, sondern sein Leichnam ward auch bis auf die Knochen von ihnen verzehrt. So blieben die weißen Gebeine, von den Sehnen zusammengehalten, noch lange Zeit unangerührt, dem Vorübergehenden ein Zeugnis von Ambrogiuolos Bosheit, und so bewährte sich das Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

Zehnte Geschichte

Paganino von Monaco raubt dem Herrn Ricciardo von Chinzica seine Gattin. Dieser erfährt, wo sie ist, begibt sich dorthin, befreundet sich mit Paganino und fordert sie von ihm zurück. Paganino verspricht sie ihm, wenn sie wieder zu ihm wolle. Sie hat aber keine Lust, zu ihm zurückzukehren, und wird nach Herrn Ricciardos Tode Paganinos Frau.


Jedes Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft rühmte die Geschichte, welche die Königin erzählt hatte, als besonders schön, vor allem aber Dioneo, dem für den heutigen Tag die Mühe des Erzählens allein noch oblag. So begann er denn nach einem gründlichen Lobe seiner Vorgängerin also zu reden:

Schöne Damen, eine Stelle in der Erzählung der Königin hat [192] mich bewogen, die Geschichte, die ich im Sinne trug, für heute beiseite zu lassen und dafür eine andere zu erzählen. Ich meine nämlich die durch den glücklichen Ausgang nicht gemilderte Torheit des Bernabo, der sich, wie mancher andere Mann auch, einreden konnte, daß die Frauen daheim die Hände in den Schoß legen, während die Männer draußen in der Welt umherreisen und sich bald mit dieser, bald mit jener die Zeit vertreiben. Als ob wir, die wir ja unter den Frauen auf die Welt kommen und groß werden, nicht wüßten, wonach sie Verlangen tragen. So will ich euch denn in meiner Geschichte zu gleicher Zeit die Torheit solcher Leute und die noch größere anderer aufzeigen, die glauben, daß sie mehr vermöchten als die Natur selbst, und sich einbilden, mit eitlem Geschwätz bewirken zu können, was nicht in ihrer Macht liegt, ja, die versuchen, andere so umzubilden, wie sie selbst sind, obwohl deren Wesen dem ihrigen widerstrebt.

In Pisa lebte einmal ein Richter, der mehr mit Verstand als mit körperlichen Kräften begabt war und Herr Ricciardo von Chinzica genannt wurde. Dieser bildete sich wohl ein, daß einer Frau dieselben Fähigkeiten, wie sie zum Richteramt erforderlich sind, genügen, um etwas auszurichten. Er suchte sich daher im Vertrauen auf seinen ansehnlichen Reichtum mit allem Eifer eine schöne und junge Frau, während er doch, wenn er sich selbst so gut beraten hätte wie fremde Leute, das eine wie das andere sorgfältig hätte vermeiden sollen. Indes wurden seine Wünsche erfüllt. Herr Lotto Gualandi gab ihm eine seiner Töchter namens Bartolomea, eines der hübschesten und muntersten Mädchen in Pisa, obgleich dort die meisten so niedlich und flink sind wie die Eidechsen. Der Richter holte sie mit den größten Festlichkeiten heim und feierte eine glänzende und prachtvolle Hochzeit. Auch setzte er in der Brautnacht ein einziges Mal ernsthaft an, die Ehe zu vollziehen; doch fehlte nicht viel, so wäre es auch mißlungen. Am andern Morgen mußte er sich, da er ja dürr und mager und von kurzem Atem war, durch manchen stärkenden Trank, würzige Suppen und andere Reizmittel wieder ins Leben zurückrufen.

Durch diese nächtlichen Erfahrungen lernte der Herr Richter seine Kräfte richtiger einzuschätzen, als er zuvor getan, und er [193] begann infolgedessen seiner Frau einen Kalender beizubringen, der den Schulkindern sicherlich gefallen hätte und ursprünglich vielleicht zu Ravenna gemacht war. Denn nach seinen Erklärungen gab es keinen Tag, auf den nicht ein oder mehrere Heiligenfeste fielen, und diesen Festen zu Ehren mußten sich Mann und Frau aus mancherlei triftigen Gründen fleischlicher Vereinigungen enthalten. Zu diesen Festen kamen noch die Quatember, die Vigilien der Apostel und anderer Heiliger, die Freitage und Samstage, der Sonntag als der Tag des Herrn, die ganze Fastenzeit, gewisse Mondphasen und eine Menge anderer Ausnahmen, für welche alle er im Bette seiner Frau die gleichen Ferien in Anspruch nehmen zu können glaubte, deren er sich zuweilen in seinen Prozessen bediente. Auf diese Weise fuhr er lange Zeit fort, sehr zum Verdrusse seiner Frau, die kaum einmal im Monat auf ihre Kosten kam. Dabei achtete er höchst sorgfältig darauf, daß nicht etwa einer sie auf die gleiche Art mit den Werktagen bekannt machte, wie er sie die Festtage gelehrt hatte.

Nun geschah es, daß einmal zur Zeit der großen Hitze den Herrn Ricciardo die Lust ankam, sich auf einem schönen Landgute in der Nähe des Monte Nero, das ihm gehörte, zu erholen und während des Aufenthalts von einigen Tagen frische Luft zu schöpfen. Seine schöne Frau mußte ihn begleiten, und um sie in der Zeit, die sie dort weilten, ein wenig zu unterhalten, veranstaltete er eines Tages einen Fischzug. Auf dem einen Kahn fuhr er mit den Fischern, auf dem andern sie mit einigen Frauen. So sahen sie dem Fischfang zu, und das Wohlgefallen, das sie an diesem Schauspiel fanden, lockte sie, ohne daß sie's gewahr wurden, mehrere Meilen ins Meer hinaus. Während sie aber noch auf den Fischfang achteten, näherte sich ihnen plötzlich eine Galeere des Paganino da Mare, der damals ein berühmter Seeräuber war. Als dieser die Kähne bemerkte, machte er Jagd auf sie, und sie konnten nicht schnell genug entfliehen, so daß es Paganino gelang, den Kahn zu erreichen, auf dem die Frauen sich befanden. Hier fiel sein Blick sogleich auf die schöne Dame, und, ohne irgend etwas anderes zu begehren, nahm er sie unter Herrn Ricciardos Augen, der bereits gelandet war, auf seine Galeere und fuhr davon.

[194] Ob der Herr Richter, der auf jeden Windhauch eifersüchtig war, über diesen Anblick betrübt war, brauche ich euch nicht erst zu sagen. Er beklagte sich in und außerhalb Pisas über die Ruchlosigkeit der Seeräuber und wußte darum doch nicht, wem seine Frau in die Hände gefallen oder wohin sie gebracht worden war. Paganino aber fand an der Schönheit der jungen Frau Gefallen und schätzte sich glücklich, sie gewonnen zu haben. Da er selbst unbeweibt war, nahm er sich vor, sie für immer bei sich zu behalten, und tröstete sie auf das freundlichste, da er sie heftig weinen sah. Als nun die Nacht kam, setzte er, der keinen Kalender mit sich führte und alle Fest- und Fasttage längst vergessen hatte, seinen Trost, da ihm die Worte den Tag über geringe Frucht getragen, durch Taten nachdrücklicher fort. Er wußte sie so zu beruhigen, daß die gute Frau, noch bevor sie in Monaco ankamen, den Richter und seine Gesetze völlig aus dem Gedächtnis verloren und mit Paganino bereits das fröhlichste Leben von der Welt begonnen hatte. In Monaco dann gewährte ihr der letztere außer dem Vergnügen, das er ihr Tag und Nacht bereitete, noch die ehrenvollste Behandlung, wie wenn sie seine rechtmäßige Gemahlin gewesen wäre.

Nach einiger Zeit kam es dem Herrn Richter zu Ohren, wo seine Frau sich befand, und er entschloß sich in der Meinung, daß kein anderer die Sache richtig anzupacken wüßte, ihr selbst nachzureisen. Er war bereit, jede Summe, die für ihre Auslösung verlangt werden sollte, willig zu bezahlen. Darauf begab er sich zu Schiffe und fuhr nach Monaco, wo er bald seine Frau zu sehen bekam. Aber auch sie hatte ihn bemerkt, sagte es noch am selben Abend Paganino und teilte ihm im voraus ihren Entschluß mit.

Am andern Morgen begegnete Herr Ricciardo dem Paganino, machte sich an ihn heran und bewarb sich eifrig um sein Wohlwollen und seine Freundschaft. Paganino aber stellte sich, als kenne er ihn nicht, und war dabei voller Neugier, wo das hinauslaufen wolle.

Ricciardo wartete eine Zeit ab, die er für gelegen hielt, entdeckte dem Paganino in so wohlgesetzten und freundlichen Worten, als er nur zu finden wußte, den Grund seiner Reise und bat ihn inständig, ihm gegen beliebiges Lösegeld die Frau [195] wiederzugeben. Paganino erwiderte darauf ganz freundlich: »Herr, zunächst seid mir willkommen. Was das andere betrifft, so antworte ich Euch mit kurzen Worten: Allerdings habe ich eine junge Frau im Hause, von der ich nicht weiß, ob sie Eure oder eines andern Frau ist, denn Euch kenne ich überhaupt nicht und sie erst seit der kurzen Zeit, die sie mit mir zusammenwohnt. Seid Ihr nun ihr Gatte, so will ich Euch als einen artigen und wackeren Mann, wofür ich Euch halte, zu ihr führen und zweifle nicht daran, daß sie Euch erkennen wird. Sagt sie dann dasselbe, was Ihr mir jetzt gesagt, und will sie mit Euch heimkehren, so bin ich Eurer Artigkeit wegen damit zufrieden, daß Ihr mir als Lösegeld gebt, was Ihr für richtig haltet. Sollte dem aber nicht so sein, so wäre es unschicklich, wenn Ihr sie mir entreißen wolltet; denn ich bin noch ein junger Mann und kann mir so gut wie jeder andere auch ein Frauenzimmer halten, vor allem aber eben diese, welche die liebenswürdigste unter allen ist, die ich je gesehen.« Darauf sagte Herr Ricciardo: »Wahrhaftig, sie ist meine Frau, und wenn du mich nur zu ihr führst, so wirst du schon sehen, wie sie mir gleich um den Hals fallen wird. Darum verlange ich nichts anderes, als was du selber gesagt hast.« »Gut«, entgegnete Paganino, »so wollen wir gehen.«

Darauf gingen sie miteinander zu Paganinos Wohnung, und als sie in einen Saal eingetreten waren, ließ Paganino die Frau herbeirufen. Sie kam alsbald angekleidet und geschmückt aus einem anstoßenden Zimmer in den Saal, wo die beiden Männer sich befanden; doch sagte sie zu Herrn Ricciardo weiter nichts, als was sie auch jedem beliebigen Fremden, der mit Paganino nach Hause gekommen wäre, gesagt hätte. Darüber konnte sich denn der Richter, der geglaubt hatte, sie werde ihn mit der größten Freude empfangen, gar nicht genug wundern, und er sprach zu sich selbst: »Leicht möglich, daß die Trauer und der lange Gram, die sich meiner bemächtigt, seit ich sie verloren, mich so entstellt haben, daß sie mich nicht wiedererkennt.« So sagte er: »Frau, der Fischfang, zu dem ich dich geführt, kommt mich teuer zu stehen; denn nie empfand ich größeren Schmerz als den, welchen ich nach deinem Verluste erdulden mußte. Du aber scheinst mich nicht zu erkennen, so fremd redest du mit [196] mir. Siehst du denn nicht, daß ich dein Herr Ricciardo bin, der hergekommen ist, um dem Edelmann, in dessen Hause wir uns befinden, alles zu bezahlen, was er verlangt, nur um dich wiederzuhaben und mit nach Hause zu nehmen? Er aber gibt dich mir, dank seiner Güte, für das, was ich selbst bestimmen werde.« Bei diesen Worten wandte sich die Dame dem Richter zu, lächelte fast unmerklich und sagte: »Herr, redet Ihr mit mir? Ihr mögt mich wohl mit einer anderen verwechseln, denn was mich betrifft, so erinnere ich mich nicht, Euch jemals gesehen zu haben.« Darauf sagte Herr Ricciardo: »Bedenke, was du sprichst, und betrachte mich genau. Wenn du dich nur besinnen willst, mußt du ja sehen, daß ich dein Ricciardo von Chinzica bin.« Die Dame erwiderte: »Verzeiht mir, Herr, Euch so genau zu betrachten, möchte sich vielleicht nicht so für mich schicken, wie Ihr zu glauben scheint. Dennoch habe ich Euch hinlänglich betrachtet, um zu wissen, daß ich Euch nie zuvor gesehen.«

Nun glaubte Herr Ricciardo, sie wolle nur aus Furcht vor Paganino in dessen Gegenwart nicht gestehen, daß sie ihn kenne. Deshalb bat er nach einiger Zeit Paganino um die Erlaubnis, allein in einem Zimmer mit ihr reden zu dürfen. Paganino erklärte sich auch damit einverstanden und stellte als einzige Bedingung, daß Ricciardo sie nicht wider ihren Willen sollte küssen dürfen. Der Frau aber befahl er, mit jenem in ein besonderes Zimmer zu gehen und anzuhören, was er ihr zu sagen hätte, und ihm dann ganz nach ihrem Gefallen zu antworten.

So gingen denn die Dame und Herr Ricciardo allein in das Zimmer, und als sie sich zusammengesetzt hatten, begann Herr Ricciardo also zu reden: »Ach, mein süßestes Herz, geliebteste Seele, meine einzige Hoffnung, kennst du denn deinen Ricciardo gar nicht wieder, der dich lieber hat als sein Leben? Wie ist das möglich? Habe ich mich denn so sehr verändert? Ach, mein Augapfel, schau mich doch nur ein wenig an!«

Darüber fing die Dame zu lachen an und sagte, ohne ihn weiterreden zu lassen: »Ihr könntet doch wohl wissen, daß ich kein so schwaches Gedächtnis habe, um Euch nicht als Herrn Ricciardo Chinzica, meinen Ehemann, zu erkennen. Solange ich aber bei Euch war, habt Ihr mich schlecht erkannt. Denn [197] wenn Ihr so verständig wäret, wie Ihr Euch ausgebt, so müßtet Ihr Einsicht genug haben, um zu sehen, daß ich jung, frisch und kräftig bin, und müßtet Euch selbst sagen, was junge Frauen außer Kleidung und Essen sonst noch brauchen, wenn sie es gleich aus Schamhaftigkeit nicht gestehen wollen. Wie wenig Ihr das aber getan habt, wißt Ihr selbst. Wenn Euch die Rechtswissenschaft mehr Vergnügen machte als Eure Frau, so brauchtet Ihr ja keine zu nehmen. Mir seid Ihr aber nie wie ein Richter, sondern wie ein Kalendermacher vorgekommen, so gut kanntet Ihr alle Heiligentage, Feste, Fasten und Vigilien. Das kann ich Euch sagen: wenn Ihr die Arbeiter, die Eure Felder bestellen, so viele Festtage hättet halten lassen, wie der eine gehalten, der mein Gärtchen bearbeiten sollte, so hättet Ihr nie ein Körnchen Getreide geerntet. Nun habe ich diesen Mann getroffen, den mir Gott aus Mitleid mit meiner Jugend zugeführt. Mit ihm bewohne ich dieses Zimmer, in dem man von solchen Festen wie Ihr, der Ihr besser Gott zu dienen wißt als den Frauen, deren unzählige feiert, nicht das mindeste weiß und über dessen Schwellen weder Sonnabend noch Freitag, noch Heiliger Abend, noch Quatember, noch die schrecklich langen Fasten kommen. Hier wird den ganzen Tag gearbeitet und Wolle gezaust, und wieviel wir heute morgen schon vor uns gebracht, seit es zur Frühmesse geläutet, davon könnte ich mitreden. Darum will ich auch bei Paganino bleiben und mit ihm arbeiten, solange ich jung bin. Feste, Ablässe und Fasten hebe ich mir fürs Alter auf. Euch aber rate ich, nach Hause zu reisen, sobald Ihr nur könnt, und ohne mich so viele Feste zu feiern, wie Euch beliebt.«

Diese Rede betrübte Herrn Ricciardo unsäglich, und als er sah, daß seine Frau ausgeredet hatte, erwiderte er: »Ach, geliebtes Leben, was für Worte habe ich von dir hören müssen! So nimmst du denn gar keine Rücksicht auf die Ehre deiner Eltern und auf deine eigene? So willst du denn lieber eine Todsünde begehen und mit dem Menschen hier wie eine Hure leben, als in Pisa meine Frau sein? Wenn der dich einmal satt haben wird, so wird er dir zu deiner größten Schande die Tür weisen. Ich aber werde dich immerdar liebhaben und immer wirst du, selbst wider meinen Willen, die Gebieterin meines [198] Hauses sein. Solltest du denn wirklich um einer so unziemlichen und unmäßigen Lust willen deine Ehre und mich, der ich dich mehr als mein Leben liebe, zugleich von dir stoßen wollen? Trost meines Lebens, ich beschwöre dich, sprich nicht mehr davon und komm mit mir nach Hause. Da ich deine Wünsche jetzt kenne, will ich mich ja von nun an auch recht anstrengen. Darum, mein süßestes Herz, ändere deinen Entschluß und komm mit mir. Seit du mir geraubt bist, habe ich ja keinen frohen Augenblick gehabt.«

Darauf antwortete die Dame: »Um meine Ehre soll sich nur, nun es zu spät ist, niemand mehr kümmern, als ich es selbst tue. Hätten meine Eltern sie lieber im Auge gehabt, als sie mich Euch gegeben! Da sie sich aber damals nicht um meine Ehre gekümmert haben, so denke ich's auch jetzt nicht um ihre zu tun. Begehe ich jetzt, wie Ihr sagt, eine Todsünde, so werde ich schon gelegentlich einmal eine Leben spendende Sünde begehen. Das überlaßt nur mir. Das aber will ich Euch sagen: hier komme ich mir vor wie Paganinos Frau, während ich in Pisa glauben mußte, Eure Hure zu sein, wenn ich sah, wie unsere Planeten nur nach Mondstellungen und geometrischen Berechnungen zusammenzubringen waren. Paganino, der hat mich hier die ganze Nacht im Arm, er drückt und beißt mich, und wie er mich zurichtet, das laßt Euch vom lieben Gott erzählen. Ihr sagt, Ihr wollt Euch anstrengen. Ja, womit denn? Wollt Ihr ihn mit Schlägen auf die Beine bringen, um nach drei Zügen matt zu sein? Ihr seid ja ordentlich zu Kräften gekommen, weil Ihr mich die ganze Zeit nicht gesehen habt. Geht, geht und strengt Euch an, am Leben zu bleiben. Ich glaube wahrhaftig, Ihr wohnt in dieser Welt nur zur Miete, so ausgemergelt und jämmerlich seht Ihr aus. Ich will Euch noch mehr sagen: wenn der mich einmal gehen läßt, wozu er, solange ich nur bei ihm bleiben will, noch keine Lust zu haben scheint, so komme ich darum doch nicht zu Euch, aus dem man mit allem Drücken keine Tasse voll Brühe herausbringen könnte. Zu meinem größten Leiden und Unglück bin ich einmal bei Euch gewesen und werde mir in dem Falle schon anderswo mein Unterkommen suchen. Denn ich wiederhole es Euch: hier haben wir keine Vigilien, und darum will ich hier bleiben. Nun macht aber und[199] geht mit Gott, denn wollt Ihr nicht, so fange ich an zu schreien, Ihr wolltet mich notzüchtigen.«

Aus dieser Rede erkannte Herr Ricciardo wohl, daß keine Hoffnung für ihn sei, und er sah nun endlich ein, wie töricht er gehandelt, bei seiner Kraftlosigkeit eine junge Frau zu nehmen. So ging er denn traurig und betrübt aus jenem Zimmer, gab dem Paganino noch manches gute Wort, das aber zu nichts führte, und kehrte endlich ohne die Frau und ohne jedweden Erfolg nach Pisa zurück. Hier verfiel er vor Betrübnis in solche Torheit, daß er einem jeden, der ihn in den Straßen von Pisa grüßte oder ihn sonst nach etwas fragte, keine andere Antwort gab als diese: »Das arge Ding will keine Feste.«

Es dauerte nicht lange, so starb der Richter. Als Paganino das erfuhr, nahm er die Frau, deren Liebe ihm hinlänglich bekannt war, zu seiner rechtmäßigen Gemahlin, und sie arbeiteten beide, ohne sich um Feste, Vigilien oder Fasten zu bekümmern, solange die Beine sie tragen konnten, und machten sich vergnügte Tage.

Aus diesem Grunde, ihr lieben Damen, bin ich denn auch der Meinung, daß Herr Bernabo in seinem Streit mit Ambrogiuolo das Pferd beim Schwanz aufgezäumt hat.


Die Erzählung hatte der ganzen Gesellschaft so viel zu lachen gegeben, daß keiner war, dem nicht die Kinnladen davon wehgetan hätten. Auch gaben die Damen nun einstimmig dem Dioneo recht und sagten, Bernabo sei ein Tor gewesen. Als aber die Geschichte zu Ende war und das Gelächter nachgelassen hatte, nahm die Königin, die gewahrte, daß es schon spät war, alle ihre Geschichten bereits erzählt hatten und nach der bisherigen Ordnung ihr Regiment ablief, sich den Kranz vom Haupt, setzte ihn Neifile auf und sagte mit lachendem Munde: »Nun, liebe Freundin, sei die Regierung dieses kleinen Volkes in deine Hände gegeben.« Damit setzte sie sich nieder.

Neifile errötete ob der empfangenen Würde, und ihr Antlitz erglühte, wie eine frische Rose beim anbrechenden Tage im April oder Mai anzusehen ist. Dabei schlug sie sanft die klaren Augen nieder, die wie der Morgenstern funkelten. Als aber das freudige Gemurmel, mit dem die übrigen ihre Zuneigung für[200] die Königin kundgemacht hatten, sich gelegt und die Königin selbst ihre Befangenheit abgelegt hatte, nahm sie einen erhabeneren Sitz ein als zuvor und begann also zu sprechen:

»Da ich nun eure Königin bin, so will ich der Weise getreu, die meine Vorgängerinnen beobachtet und die ihr stillschweigend gebilligt habt, euch meine Gedanken in wenigen Worten mitteilen, damit, wenn ihr der gleichen Ansicht seid, wir sie gemeinsam ausführen. Wie ihr wißt, ist morgen Freitag und am darauffolgenden Tag Sonnabend; beides Tage, die wegen der Speisen, die an ihnen genossen werden, den meisten Leuten nicht behagen. Überdies sind wir dem Freitag als dem Tag, an welchem der gelitten hat, der für unser Leben gestorben ist, besondere Verehrung schuldig. So fände ich es denn recht und schicklich, wenn wir uns lieber mit Gedanken an Gott und mit Gebet als mit lustigen Geschichten beschäftigten. Am darauffolgenden Sonnabend aber ist es unter uns Frauen üblich, uns den Kopf zu waschen, um ihn von Staub und Schmutz zu befreien, die sich bei den Geschäften der vorhergegangenen Woche auf ihm angesammelt haben. Auch pflegen gar viele an diesem Tage aus Ehrfurcht vor der jungfräulichen Muttergottes zu fasten und dem folgenden Sonntage zu Ehren sich die ganze Zeit über jeglicher Arbeit zu enthalten. Da wir also an diesem Tage unsere sonstige Lebensweise gleichfalls nicht werden beobachten können, halte ich es für gut, daß wir auch mit unseren Erzählungen feiern. Dann sind wir aber schon vier Tage lang hier gewesen. Wollen wir nun vermeiden, daß neue Gäste uns beunruhigen, so erachte ich es für zweckmäßig, daß wir unseren Aufenthalt wechseln und anderswohin ziehen, wie ich denn schon einen solchen Ort erwogen und vorgesehen habe. Wenn wir dort am Sonntage nach dem Mittagsschlaf versammelt sein werden, habt ihr teils zum Nachdenken hinlänglich Zeit gehabt, teils aber wird es nach dem weiten Spielraum, der uns heute für unsere Erzählungen gestattet war, zweckmäßig sein, die Freiheit in der Wahl der Geschichten ein wenig zu beschränken und von den verschiedenen Wirkungen des Schicksals eine besonders herauszugreifen. Und so habe ich mir gedacht, daß wir von denen sprechen wollen, die durch Scharfsinn etwas Heißersehntes erlangten oder Verlorenes wiedergewannen. [201] Unbeschadet dem Vorrecht des Dioneo mag dann ein jeder eine Geschichte vortragen, die der Gesellschaft nützlich oder zumindest ergötzlich sein kann.«

Alle lobten die Rede und den Vorschlag der Königin, und es wurde beschlossen, diesen in allem zu befolgen. Darauf ließ die Königin ihren Seneschall rufen und gab ihm genau an, wo er am Abend die Tische decken und was er sonst während ihrer Regierungszeit tun solle. Dann erhob sie sich mit der ganzen Gesellschaft und erlaubte jedem, seinem Vergnügen nachzugehen. Damen und Jünglinge schlugen den Weg nach einem kleinen Garten ein und aßen, als die Tischzeit gekommen war, froh und vergnügt dort zu Abend, nachdem sie sich zuvor eine Weile ergötzt. Dann erhoben sie sich, und Emilia führte auf Wunsch der Königin einen Tanz an. Pampinea sang das folgende Lied dazu, in das die übrigen im Chor einfielen:


Welch Mädchen sänge wohl, wollt ich nicht singen,
Der alle Wünsche nur Erfüllung bringen?
So komm denn, Amor, Ursach meiner Freuden,
Jeglicher Hoffnung, jeglicher Gewährung;
Laß singen uns zusammen.
Nicht von den Seufzern noch den bittern Leiden,
Die ich empfind als deiner Lust Vermehrung;
Nein, von den hellen Flammen,
Aus deren Glut mir Fest und Freude stammen,
Weil meine Huldigungen zu dir dringen.
Du führtest, Amor, mir zur ersten Stunde,
Als ich aus deinem Flammenkelche schlürfte,
So holden Mann entgegen,
Daß an Schönheit, Mut und tiefer Kunde
Wohl keiner leicht sich ihm vergleichen dürfte,
Geschweig denn sein ihm überlegen.
In ihn entbrannt ich so, daß seinetwegen
Froh mein und deine Lieder rings erklingen.
Doch ist die höchste aller meiner Sonnen,
Daß Amor seine Liebe mir beschieden,
[202]
Wie ich nur ihm mich weihe.
So hab ich denn hienieden schon gewonnen,
Was ich gewünscht, und hoffe dort auf Frieden,
Und daß, um meine Treu
Zu lohnen, Gott von Strafen uns befreie,
Wenn wir empor zu seinem Reich uns schwingen.

Nach diesem Liede wurden noch mehrere andere gesungen, mancherlei Tänze wurden aufgeführt und verschiedene Instrumente gespielt. Als aber die Königin meinte, es sei Zeit, sich schlafen zu legen, ging ein jedes mit vorangetragenen Fackeln in sein Gemach. Die beiden folgenden Tage blieben den Beschäftigungen gewidmet, welche die Königin vorher erwähnt, und alle erwarteten voll Verlangen den Sonntag.

[203][205]

Dritter Tag

[Einleitung]
[207]

Schon begann Aurora beim Nahen der Sonne ihre Röte mit glühendem Golde zu tauschen, als am Sonntag die Königin aufstand und ihre ganze Gesellschaft wecken ließ. Früher schon hatte der Seneschall allerlei nützliche Dinge in Menge an den bestimmten Ort vorausgesandt, samt einigen geschickten Leuten, die dort alles Notwendige vorbereiten sollten. Als er die Königin schon auf dem Wege sah, ließ er schnell alles übrige aufladen und eilte mit dem Gepäck und der bei den Herren und Damen verbliebenen Dienerschaft weiter, gleichsam als wäre dort ein Feldlager abgebrochen worden.

Vom Gesang von vielleicht zwanzig Nachtigallen und anderen Vögeln geleitet, wanderte die Königin langsamen Schrittes mit ihren Gefährtinnen und den drei Jünglingen einen wenig begangenen Fußsteig entlang, der sie gen Westen führte, über grünende Wiesen und Blumen, die unter den Strahlen der aufgehenden Sonne ihre Kelche zu öffnen begannen. Noch waren sie schwatzend, lachend und sich neckend nicht zweitausend Schritte gegangen, noch hatte die Sonne kaum eine Stunde lang geleuchtet, als die Königin sie schon zu einem schönen und reichen Palast geführt hatte, der ein wenig über die Ebene erhaben auf einem kleinen Hügel stand. Als die Gesellschaft eingetreten war und sich überall in den sauberen und geschmückten Gemächern, die mit allem, was zur Wohnlichkeit dient, reich versehen waren, umgesehen hatte, lobten ihn alle sehr und meinten, sein Besitzer müsse ein begüterter und prachtliebender Herr sein. Als sie dann niedergestiegen waren und den geräumigen und freundlichen Hof gesehen, die Keller voll trefflicher Weine und das Wasser, das im Überfluß hervorsprudelte, eiskalt gefunden hatten, stieg ihre Bewunderung noch.

Hierauf erstiegen sie, der Ruhe bedürftig, eine Terrasse, die [207] den ganzen Hof beherrschte und reich mit Laubwerk und Blumen geschmückt war, wie die Jahreszeit sie bot. Kaum hatten sie sich niedergelassen, so erschien der sorgsame Seneschall und erquickte sie mit dem feinsten Backwerk und trefflichem Weine. Dann ließen sie sich einen rings von Mauern umgebenen Garten öffnen, betraten ihn, und da er ihnen gleich bei den ersten Schritten von wunderbarer Schönheit zu sein schien, fingen sie an, seine Einzelheiten näher zu betrachten. Ringsumher und auch mitten hindurch führten viele geräumige und schnurgerade Wege, die, mit Laubengängen von Wein überwölbt, für dieses Jahr Trauben in Menge zu bieten versprachen. Denn unzählige Rebenblüten verbreiteten einen so starken Wohlgeruch durch den Garten hin, daß er im Verein mit vielen anderen anmutigen Düften unsere Gesellschaft glauben machte, sie befände sich inmitten aller Spezereien des Morgenlandes. Die Seiten jener Gänge waren mit Hecken von weißen und roten Rosenbüschen und von Jasmin fast ganz umschlossen, so daß man nicht nur am Morgen, sondern auch wenn die Sonne am höchsten stand, dort unter wohlriechendem und gefälligem Schatten lustwandeln konnte, ohne von ihren Strahlen getroffen zu werden. Allzu langer Erzählung bedürfte es, um zu berichten, was für Gewächse, in welcher Menge und Verteilung, sich in diesem Garten vorfanden; doch fanden sich alle, die unser Klima vertragen und einiges Lob verdienen, dort im Überflusse.

Nicht geringeren, sondern noch viel höheren Beifall als alles übrige verdiente es, daß sich in der Mitte dieses Gartens eine Wiese von ganz kurzem und so dunkelgrünem Grase befand, daß es beinahe schwarz zu sein schien. Tausenderlei bunte Blumen sprossen aus ihm hervor, und ringsumher standen grünende kräftige Orangen- und Zitronenbäume, die mit ihren reifen und grünen Früchten und mit ihren Blüten nicht nur dem Auge wohltätigen Schatten boten, sondern auch durch ihren würzigen Duft den Geruchssinn erfreuten. In der Mitte dieses Rasenplatzes war ein Wasserbecken von weißestem, wunderbar mit Bildhauerarbeiten geziertem Marmor. Aus ihm erhob sich auf einer Säule eine Figur, welche – ich weiß nicht, ob durch Naturkraft oder durch eine künstliche Anlage – einen Wasserstrahl von solcher Mächtigkeit, daß ein geringerer[208] eine Mühle zu treiben vermocht hätte, hoch gen Himmel emporsandte, worauf er dann nicht ohne ein ergötzliches Plätschern in die klare Schale zurückfiel. Soweit das Becken den Überfluß des Wassers nicht zu fassen vermochte, lief dieses in verborgenen Rinnen unter dem Rasen hin, zog sich, außen wieder hervorrieselnd, in schönen und künstlich angelegten Gräben rings um die Wiese hin, worauf es dann fast nach jeder Richtung in ähnlichen Bächen den Garten durchfloß und endlich, an einer Stelle wieder vereint, diese schönen Plätze verließ, um sich kristallklar ins Tal zu ergießen, nachdem es zuvor noch, zu nicht geringem Vorteil des Besitzers, zwei Mühlen in Bewegung gesetzt hatte.

Der Anblick dieses Gartens, seine schönen Anlagen, die Pflanzen, der Springbrunnen mit den Bächen, die aus ihm flossen, behagten sämtlichen Damen und den drei Jünglingen so sehr, daß alle versicherten, sie könnten sich ein Paradies auf Erden, wenn ein solches möglich wäre, nicht anders vorstellen wie diesen Garten, und erklärten, daß sie keine Schönheit wüßten, die man den hier geschauten hinzufügen könnte.

Wie sie nun voller Freude hier lustwandelten, dem Gesange der Vögel lauschten, die wohl in zwanzigerlei Weisen einen Wettstreit auszutragen schienen, und sich aus verschiedenem Laubwerk die zierlichsten Kränze wanden, wurden sie noch einen ergötzlichen Vorzug dieses Gartens gewahr, den sie bisher, von den übrigen gefesselt, unbemerkt gelassen hatten. Sie entdeckten nämlich, daß der Garten wohl hundert verschiedene Tierarten enthielt. Als erst einer den andern aufmerksam gemacht hatte, sahen sie hier Kaninchen hervorkommen, dort Hasen laufen, hier Rehe liegen und dort junge Hirsche äsen. Außerdem nahmen sie noch viele arglose Tiere wahr, die, nahezu zahm, sich frohgemut tummelten. Und sie fanden hieran ein neues und noch größeres Vergnügen.

Als sie aber, bald das eine, bald das andere beschauend, zur Genüge umherspaziert waren, ließen sie dem schönen Wasserbecken nahe die Tafel decken und gingen, nachdem sie sechs Lieder gesungen und ein wenig getanzt hatten, wie es der Königin gefiel, zu Tische. Hier wurden sie in glänzender, schöner und gemächlicher Weise bedient, wobei die guten und auserlesenen [209] Gerichte sie nur noch mehr erheiterten, so daß sie sich nach aufgehobener Tafel von neuem mit Spiel, Gesang und Tanz so lange ergötzten, bis die Königin der wachsenden Hitze wegen erklärte, es sei Zeit zu ruhen, und wem es gefalle, der möge so tun. Die einen gingen, die andern, hingerissen von der Schönheit des Ortes, zogen es vor zu verweilen, um sich, während die andern schliefen, die Zeit mit Lesen, Brett- und Schachspiel zu vertreiben. Als aber in der vierten Nachmittagsstunde aufgestanden wurde und die Schläfer sich das Gesicht mit kaltem Wasser erfrischt hatten, versammelten sich nach dem Befehl der Königin alle bei dem Springbrunnen, und, nachdem sie sich hier in der gewohnten Weise niedergelassen hatten, erwarteten sie, wie es einen jeden treffen würde, über den von der Königin gewählten Gegenstand Geschichten zu erzählen. Der erste, dem ein solcher Auftrag erteilt wurde, war Filostrato, und er begann folgendermaßen:

Erste Geschichte

Masetto von Lamporecchio stellt sich stumm und wird Gärtner in einem Nonnenkloster, dessen Bewohnerinnen um die Wette bei ihm schlafen.


Gar viele Leute gibt es, schöne Damen, Männer wie Frauen, die so töricht sind, daß sie felsenfest glauben, ein Mädchen, dem man den weißen Schleier übergehangen und die schwarze Kutte angezogen habe, höre auf, ein Weib zu sein, als ob es im Augenblick seiner Einkleidung in einen Stein verwandelt worden wäre. Vernehmen sie alsdann gegen diesen ihren Wahn irgendeine Widerrede, so erzürnen sie sich, als habe man eine ungeheure und gottvergessene Sünde gegen die Natur begangen. Dabei wollen sie weder sich selbst betrachten, wie sie, auch in voller Freiheit, ihren Lüsten nachzuleben, dennoch ihre Begierde nicht zu sättigen imstande sind, noch die große Gewalt der Muße und der Einsamkeit erwägen. Ebenso gibt es auch viele, die mit nicht minderer Gewißheit der Ansicht sind, daß Hacke und Spaten, grobe Speisen und Mühseligkeiten die Bauersleute [210] ganz von fleischlichen Lüsten befreiten und ihnen einen plumpen Verstand und geringe Einsicht verliehen. Wie sehr diese alle sich betrügen, denke ich, da die Königin mir also befohlen hat, in einem kleinen Geschichtchen zu beweisen, ohne mich dabei von unserer Aufgabe zu entfernen.

Hier in unserer Gegend stand einmal und steht noch heute ein Nonnenkloster, das ich euch nicht nennen will, um seinem Ansehen in keinerlei Weise Abbruch zu tun, im Rufe großer Heiligkeit. Vor kurzem, als außer der Äbtissin nur acht Nonnen, sämtliche noch jung, darin verweilten, wollte der Biedermann, der den schönen Klostergarten pflegte, sich mit seinem Lohne nicht mehr begnügen. Er kehrte deshalb, nachdem er mit dem Klostermeier abgerechnet hatte, in seine Heimat Lamporecchio zurück. Unter denen, die ihn bewillkommneten, fragte ihn auch ein junger, starker und kräftiger Bauernbursche, Masetto genannt und für einen Dörfler von hübschem Aussehen, wo er so lange gewesen sei. Der Biedermann, der Nuto hieß, gab ihm die gewünschte Auskunft. Masetto erkundigte sich, was er für das Kloster zu tun gehabt habe. Nuto antwortete: »Ich mußte den schönen großen Garten in Ordnung halten, ging zuzeiten in den Wald, um Holz zu holen, trug Wasser und hatte noch mehr solcher kleinen Verrichtungen. Aber die Nonnen gaben mir so schlechten Lohn, daß kaum herauskam, was ich an Schuhen zerriß. Dazu sind sie alle miteinander jung und stellen sich an, als hätten sie den Teufel im Leibe; denn nichts in der Welt kann man ihnen recht machen. Manchmal, wenn ich im Garten arbeitete, kam diese und sagte: ›Mach das so‹, und dann kam jene und sagte: ›Mach das anders‹. Dann nahm mir wieder eine die Hacke aus der Hand und sagte: ›So taugt es nicht‹. Auf die Art plagten sie mich, bis ich, der Arbeit überdrüssig, zum Garten hinausging, und am Ende war die eine wie die andere schuld, daß ich's nicht mehr aushielt und nun wieder hier bin. Als ich fortging, bat mich der Meier auch noch, wenn mir einer über den Weg gelaufen käme, der sich dafür schickte, sollte ich ihn hinweisen. Hab's ihm auch versprochen; paßt er aber auf einen, den ich ihm schicke oder schaffe, so kann er lange warten.«

Als Masetto Nutos Erzählung hörte, überkam ihn eine solche [211] Lust, bei den Nonnen zu sein, daß er's gar nicht abwarten konnte; denn aus Nutos Worten erriet er, daß es ihm dort nach Wunsch gehen könnte. Weil er aber meinte, alles könne ihm verdorben werden, wenn er sich Nuto gegenüber verriete, so antwortete er: »Da hast einmal recht daran getan. Wie soll ein Mann mit den Weibsbildern auskommen! Da möchte ich ja lieber bei ebenso vielen Teufeln dienen. Wissen sie ja doch unter sieben Malen sechsmal nicht, was sie wollen.«

Kaum waren sie auseinandergegangen, so fing Masetto an nachzudenken, was er tun solle, um bei ihnen anzukommen. Was das Arbeiten betraf, so war ihm freilich nicht bange, denn auf die Dienste, die Nuto ihm genannt hatte, verstand er sich so gut wie nur einer. Aber er fürchtete, man möchte ihn seiner Jugend und seines hübschen Aussehens wegen nicht nehmen wollen. Und so dachte er denn, nachdem ihm mancherlei durch den Kopf gegangen war: »Das Kloster ist weit von hier, und dort kennt mich kein Mensch; wenn ich mich stumm zu stellen weiß, so nehmen sie mich gewiß.« Diesen Entschluß hielt er fest und ging, die Axt auf der Schulter, ohne jemand ein Wort zu sagen, in ärmlicher Kleidung zum Kloster.

Gleich beim Eintreffen fand er den Meier auf dem Hofe und gab ihm nach Art der Taubstummen durch Zeichen und Gebärden zu verstehen, er möge ihm aus Barmherzigkeit zu essen geben, und er wolle ihm dafür Holz hacken. Der Meier gab ihm gern zu essen und dann einige Klötze zu spalten, die Nuto nicht hatte bezwingen können, die aber der kräftige Masetto bald klein gemacht hatte. Auch in den Wald, wo der Meier nun zu tun hatte, nahm er den Masetto mit, ließ ihn Holz schlagen, stellte den Esel vor ihn hin und deutete ihm durch Zeichen an, er solle das Holz ins Kloster schaffen. Als er sich auch dazu sehr gut anstellte, behielt der Meier ihn zu mancherlei vorkommenden Arbeiten mehrere Tage bei sich.

So kam es, daß die Äbtissin ihn eines Tages sah und den Meier fragte, wer er sei. »Madonna«, antwortete der Meier, »es ist ein armer Taubstummer, der vor ein paar Tagen um ein Almosen kam. Das habe ich ihm gegeben und habe ihn dann mancherlei tun lassen, was gerade geschehen mußte. Wenn er sich auf die Gärtnerei verstände und wollte sonst bleiben, so [212] glaub ich, würden wir gut bedient werden; denn es tut uns einer not, der stark ist. Auch könnte man ihn brauchen, wozu man wollte, und hätte nicht zu fürchten, daß er sich mit Euren Mädchen aufs Spaßen einließe.« »Wahrhaftig«, sagte die Äbtissin, »du hast recht. Sieh zu, ob er gärtnern kann, und dann mache, daß er dableibt. Schenk ihm etwa ein Paar Schuhe und einen alten Mantel, geh ihm um den Bart und gib ihm gut zu essen.« Der Meier versprach, so zu tun. Masetto war nicht weit. Während er sich aber stellte, als fege er unbekümmert den Hof, hörte er jede Silbe und sagte im stillen: »Wenn ihr mich nur gewähren laßt, so will ich euch euren Garten bearbeiten, wo er bisher brach gelegen hat.«

Als nun der Meier sich überzeugt hatte, daß er sich auf die Arbeit gut verstand, fragte er ihn durch Zeichen, ob er dableiben wolle. Masetto antwortete auf dieselbe Art, er sei bereit, zu tun, was man verlange. So führte ihn jener in den Garten und zeigte ihm, wo er graben solle. Dann besorgte er andere Klosterangelegenheiten und ließ ihn allein. Wie er nun Tag für Tag arbeitete, begannen die Nonnen, ihn zu plagen und mancherlei Unfug mit ihm zu treiben. Auch sagten sie ihm, wie's die Leute manchmal mit Taubstummen machen, die schamlosesten Worte ins Gesicht, weil sie meinten, er könne kein Wort hören. Die Äbtissin schien zu glauben, ihm seien andere Glieder so gut wie die Zunge gelähmt, und bekümmerte sich um diese Neckereien wenig oder gar nicht. Einmal aber traf sichs, daß zwei junge Nonnen, während sie im Garten lustwandelten, bei Masetto vorüberkamen, der sich nach vieler Arbeit ein wenig zum Ausruhen niedergelegt hatte. Sie betrachteten ihn eine Weile, er aber stellte sich, als schliefe er. »Höre«, sagte die eine, die etwas verwegen war, »wüßte ich, daß man dir trauen könnte, so möchte ich dir etwas sagen, was mir schon hundertmal eingefallen ist und was dir vielleicht auch zugute kommen könnte.« »Sage es nur getrost«, antwortete jene, »ich werde es gewiß niemandem verraten.«

Darauf begann die Dreiste: »Ich weiß nicht, ob du wohl schon darüber nachgedacht hast, wie wir so streng gehalten werden und wie sich kein Mann hierhertrauen darf, außer unserem alten Meier und diesem Stummen da. Und doch habe ich wohl [213] öfter von Weibern, die zu uns gekommen sind, gehört, daß alles Vergnügen auf der Welt eine Lumperei ist gegen die Wollust, die eine Frau empfindet, wenn sie vom Manne beschlafen wird. Und so hab ich mir schon oft gedacht, da ich doch keinen andern dazu kriegen kann, mit dem Stummen da zu probieren, ob das wahr ist. Er schickt sich am besten auf der Welt dazu; denn wenn er auch wollte, könnte er's doch niemand weitererzählen. Du siehst, er ist ein dummer Tölpel, der länger ist als sein Verstand. Und nun sag, was meinst du?«

»Schäme dich«, antwortete die zweite, »was führst du da für Reden! Weißt du denn nicht, daß wir unsere Jungfräulichkeit dem lieben Herrgott versprochen haben?« »Ei was«, versetzte jene, »man verspricht alle Tage wohl mancherlei, und kein Mensch denkt daran, es zu halten. Haben wir sie ihm versprochen, so wird sich wohl die eine oder andere finden, von der er sie statt der unseren kriegt.« »Beim Himmel«, sagte die Gefährtin, »wenn wir nun aber schwanger würden, was sollte dann werden?« Die erste erwiderte: »Nun denkst du gar ans Unglück, noch ehe es da ist. Geschieht es wirklich, dann ist immer noch Zeit, sich auf guten Rat zu besinnen. Es werden sich auch noch Mittel genug finden, daß kein Mensch etwas davon erfährt, wenn wir's ihm nicht selbst sagen.«

Während dieser Rede war die Hörerin schon mehr als die andere lüstern geworden, zu probieren, was für ein Tier der Mann sei. »Gut«, sagte sie, »wie wollen wir's aber anfangen?« »Du siehst«, antwortete die erste, »es ist schon drei Uhr. Die Schwestern, denke ich, werden alle bis auf uns schlafen. Wir wollen uns noch umsehen, ob jemand im Garten ist, und finden wir niemand, nun, dann brauchen wir ihn ja nur bei der Hand zu nehmen und in die Hütte zu führen, die da als Schutz gegen den Regen steht. Dann bleibt die eine mit ihm drinnen, und die andere steht Schildwache. Er ist ja so dumm, daß er mit uns vornimmt, was wir nur wollen.«

Masetto hörte diese ganze Unterhaltung. Er war willig zu gehorchen, und wartete nur, bis eine ihn bei der Hand nehmen wollte. Die Nonnen sahen sich inzwischen überall um, und als sie sich überzeugt hatten, daß sie von keiner Seite bemerkt werden konnten, näherte sich ihm die eine, welche zuerst gesprochen[214] hatte, und weckte ihn. Masetto stand sogleich auf. Die Schwester nahm ihn bei der Hand und führte ihn unter vielen Liebkosungen von ihrer und unter albernem Gelächter von seiner Seite in die Hütte, wo er sich nicht lange bitten ließ zu tun, was von ihm begehrt wurde.

Die Nonne war ehrlich genug, als sie ans Ziel ihrer Wünsche gekommen war, ihrer Freundin Platz zu machen, und Masetto, der immer noch den Tölpel spielte, fand sich zu allem bereit. So wollten denn beide, ehe sie heimkehrten, mehr als einmal untersuchen, wie der Stumme sich auf die Reitkunst verstehe, und auch nachher sagten sie oft zueinander, die Sache gewähre gewiß so viel Vergnügen und noch mehr, als ihnen davon erzählt worden war. Daher wußten sie denn auch fernerhin ihre Zeit wahrzunehmen und erfreuten sich gar oft mit ihrem Stummen.

Eines Tages aber begab es sich, daß eine Klosterschwester aus ihrem Zellenfenster den ganzen Hergang der Sache beobachtete und noch zwei andere herbeirief. Zuerst war davon die Rede, die Schuldigen bei der Äbtissin zu verklagen. Dann aber änderten sie ihren Entschluß, wurden mit jenen einig und zugleich mit ihnen der Reichtümer des Masetto teilhaftig. Durch mancherlei Zufälle kamen allmählich auch die übrigen drei dahin, ihnen Gesellschaft zu leisten.

Zuletzt fand die Äbtissin, die von diesen Geschichten noch immer nichts bemerkt hatte, eines Tages, als sie bei großer Hitze allein im Garten umherging, den Masetto, den weniger die leichte Gartenarbeit bei Tage als die vielfachen Reiterstückchen bei Nacht ganz erschöpft hatten, im Schatten eines Mandelbaumes hingestreckt schlafen. Der Wind hatte ihm die Kleider vorn ganz zurückgeweht, so daß er bloß dalag und die Frau Äbtissin Dinge sehen ließ, die in ihr die gleiche Lust wie in ihren Klosterjungfrauen erregten. Da sie sich allein sah, weckte sie den Masetto, führte ihn in ihr Gemach und behielt ihn dort mehrere Tage lang, während die Nonnen sich bitter beschwerten, daß der Gärtner ihren Garten so lange unbestellt lasse. Die Frau Äbtissin aber kostete inzwischen zu vielen Malen jene Freuden, die sie bisher an andern immer verdammt hatte. Endlich schickte sie ihn in seine Wohnung zurück. Als sie [215] ihn aber oft wiederbegehrte und mehr als ihren Anteil von ihm forderte, der so viele zugleich nicht zu befriedigen vermochte, deuchte es dem Masetto, sein erdichtetes Stummsein könne ihm zu großem Unglück gereichen, wenn er noch länger dabei bleibe. Deshalb löste er während einer Nacht, die er bei der Äbtissin zubrachte, das Band seiner Zunge und sprach: »Madonna, wohl habe ich gehört, daß ein Hahn auf zehn Hennen genug ist; man hat mir aber auch gesagt, daß zehn Männer kaum oder gar nicht imstande sind, ein Weib zu sättigen, wo ich doch ihrer neune bedienen muß. Das halte ich für kein Geld in der Welt mehr aus, und ich bin durch meine bisherigen Dienste schon so weit heruntergekommen, daß ich weder viel noch wenig mehr leisten kann. Darum laßt mich entweder in Frieden weiterziehen oder helft der Sache auf eine andere Weise ab.«

Als die gute Frau den vermeintlich Stummen reden hörte, erschrak sie nicht wenig und sagte: »Was, zum Geier, ich dachte, du wärest stumm?« »Madonna«, antwortete Masetto, »ich war es, aber nicht von Geburt. Eine Krankheit benahm mir die Sprache, und erst diese Nacht fühle ich sie mir wiedergegeben und lobe Gott dafür von ganzem Herzen.« Sie glaubte ihm und fragte, was er mit den Neunen sagen wolle, die er zu bedienen habe. Masetto erzählte ihr die ganze Geschichte, und die Äbtissin erfuhr daraus, daß sie keine Nonne hatte, die nicht viel schlauer war als sie selbst. So entschloß sie sich, verständig wie sie war, mit ihren Mädchen übereinzukommen, ohne den Masetto fortzulassen und dadurch den Ruf des Klosters zu gefährden. Da nun der Meier in jenen Tagen gestorben war, sprachen sie untereinander über alles, was bisher vorgegangen war, und verabredeten dann gemeinschaftlich, die umwohnenden Leute glauben zu machen, Masetto habe durch ihr Gebet und die Gnade des Heiligen, dem das Kloster geweiht war, nach langem Stummsein den Gebrauch seiner Zunge wiedererlangt. Dann machten sie ihn zu ihrem Meier und verteilten seine Lasten so, daß er sie auszuhalten vermochte. Auch betrieben die Nonnen diese Angelegenheit so vorsichtig, daß niemand deswegen Verdacht schöpfte, obgleich sie von ihm erzeugte Mönchlein in Menge zur Welt brachten.

[216] Erst nach dem Tode der Äbtissin bekam Masetto, der nachgerade alt geworden war, Lust, mit dem erworbenen Reichtum nach Hause zu ziehen, was ihm denn auch willig gewährt wurde. So kehrte er denn bejahrt, reich und ohne die Beschwerde und die Kosten, den Kindern Brot schaffen zu müssen, zum vielfachen Vater geworden, in seine Heimat zurück, nach dem er schlauerweise seine Jugend gut zu nutzen verstanden hatte. Und er, der mit der Axt auf der Schulter ausgegangen war, pflegte zu sagen, so verfahre Gott mit denen, die ihm Hörner aufsetzten.

Zweite Geschichte

Ein Stallknecht schläft bei der Gemahlin des Königs Agilulf. Der König bemerkt es im stillen, findet ihn und schneidet ihm die Haare ab. Der Geschorene tut seinen Kameraden ein Gleiches und entgeht dadurch seinem Unstern.


Als die Geschichte des Filostrato, über welche die Damen zuweilen errötet waren, andere aber auch gelacht hatten, zu ihrem Ende gelangte, gefiel es der Königin, Pampinea fortfahren zu lassen. Lächelnd begann sie folgendermaßen:

Einige sind unverständig genug, zeigen zu wollen, daß sie merken und wissen, was sie nicht wissen sollten, und oft vermehren sie dann ihre Schande um vieles, wenn sie unbemerkte Sünde an andern rügen, während sie eben dadurch jene zu mildern dachten. Wie wahr dies ist, möge euch der entgegengesetzte Weg, den ein großer König einzuschlagen verständig genug war, in folgender Geschichte beweisen, worin ihr zugleich von der Schlauheit eines Menschen erfahren werdet, den ihr vielleicht für geringer haltet als Masetto.

Agilulf, König der Langobarden, verweilte, wie es seine Vorgänger getan hatten, mit seinem Hofe in der lombardischen Stadt Pavia. Er war mit Theodelinde, der Witwe des Königs Autherik, vermählt, die jedoch einst durch einen Liebhaber in große Gefahr geriet.

Als nämlich Agilulfs Tapferkeit und Verstand die Angelegenheiten [217] der Lombarden um vieles gefördert und die Ruhe im Lande hergestellt hatten, geschah es, daß ein Stallknecht der Königin, ein Mensch von niedrigster Herkunft, der im übrigen für sein gemeines Handwerk viel zu hochgemut und schön und groß von Gestalt wie der König selbst war, sich über alle Maßen in die Königin verliebte. Da sein niedriger Stand ihm nicht die Einsicht genommen hatte, daß diese Liebe aller Sitte widersprach, war er verständig genug, sie niemandem zu offenbaren; ja er wagte nicht einmal, sich durch Blicke der Königin zu verraten. Obgleich er nun ohne jede Hoffnung lebte, ihr je zu gefallen, war er doch stolz darauf, seinen Sinn auf ein so hohes Ziel gerichtet zu haben, und, ganz vom Feuer der Liebe durchglüht, tat er weit mehr als einer seiner Dienstgefährten und mit dem größten Fleiß alles, wovon er glaubte, daß es der Dame lieb sein könnte.

So geschah es, daß die Königin, wenn sie ausreiten wollte, lieber als irgendein anderes das von ihm besorgte Pferd bestieg. Sooft sich dies zutrug, meinte er, es sei ihm die höchste Gnade widerfahren. Er wich nicht vom Steigbügel und war glücklich, wenn er nur ihre Gewänder berührt hatte. Wie es aber nur zu oft geschieht, daß die Liebe um so mehr zunimmt, je geringer die Hoffnung wird, so vermochte auch dieser arme Stallknecht sein ständig wachsendes Verlangen nicht mehr im Verborgenen zu ertragen. Er beschloß, da keine Hoffnung ihm Hilfe versprach und da er nicht imstande war, sich von dieser Liebe zu befreien, sich den Tod zu geben. Bei weiterem Nachdenken, wie er seinen Entschluß ausführen wollte, nahm er sich vor, auf eine Weise zu sterben, die geeignet wäre, seinen Tod als Folge der großen Liebe, die ihn für die Königin durchdrungen hatte und noch durchdrang, darzustellen. Diese Weise glaubte er am schicklichsten in einem Versuch zu finden, ganz oder zum Teil ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen.

Zu diesem Ende unternahm er es nun nicht etwa, zur Königin von seiner Liebe zu reden oder sich ihr schriftlich zu entdecken; denn er wußte, daß Reden wie Schreiben vergeblich wären. Vielmehr wollte er versuchen, ob er nicht durch List erreichen könne, eine Nacht bei der Königin zu verbringen. Mittel und Wege zu diesem Unternehmen waren indes nur zu finden, wenn [218] es ihm gelang, in der Kleidung des Königs, von dem er wußte, daß er nicht jede Nacht bei ihr schlief, in ihr Gemach und bis zu ihr selbst zu dringen. Deshalb verbarg er sich, um zu erfahren, auf welche Weise und in welchem Anzug der König seine Gemahlin besuche, mehrmals in der Nacht im großen Saale des Palastes, der die Gemächer des Königs und der Königin voneinander trennte. In einer dieser Nächte sah er endlich den König, in einen weiten Mantel gehüllt, eine brennende Kerze in der einen, in der andern Hand eine Gerte, aus seinem Gemach gehen, auf das der Königin zuschreiten und, ohne ein Wort zu reden, ein- oder zweimal mit der Gerte an die Tür schlagen. Alsbald öffnete sich die Tür, und dem König wurde die Kerze aus der Hand genommen.

Als unser Stallknecht ihn so hatte eintreten und auf ähnliche Weise zurückkehren sehen, dachte er ihn genau nachzuahmen. In dieser Absicht wußte er sich einen Mantel, der dem des Königs glich, eine Kerze und eine Rute zu verschaffen. Dann wusch er sich im Bade, so sorgfältig er nur konnte, damit der Stallgeruch die Königin nicht beschwere oder sie den Betrug gewahr werden lasse. Hierauf verbarg er sich nach gewohnter Weise in dem großen Saal, und als er sich überzeugt hatte, daß alles schlafe und nun die Zeit gekommen sei, entweder seine Wünsche zu verwirklichen oder auf würdige Weise dem ersehnten Tode entgegenzugehen, schlug er mit Stahl und Stein, die er bei sich führte, ein wenig Feuer, zündete seine Kerze an und ging, nachdem er den Mantel zusammengeschlagen und sich ganz darin eingehüllt hatte, auf die Tür des Gemaches zu und klopfte zweimal mit seiner Rute an. Eine Kammerfrau machte ihm noch ganz verschlafen die Tür auf, nahm ihm die Kerze aus der Hand und stellte sie beiseite, worauf er sogleich den Vorhang zurückschlug, den Mantel ablegte und in das Bett stieg, in welchem die Königin ruhte. Er umschlang diese verlangend mit seinen Armen, stellte sich aber verdrießlich; denn es war die Art des Königs, nichts mit sich reden zu lassen, wenn er verdrießlich war. Und so erkannte er, ohne daß er oder sie ein Wort geredet hätten, zu wiederholten Malen die Königin. Wie schwer ihm auch das Scheiden ward, so erhob er sich doch endlich aus Furcht, zu langes Verweilen könne es [219] nach sich ziehen, daß genossene Lust sich in Leiden verwandle, nahm Kerze und Mantel, ging, ohne den Mund zu öffnen, und kehrte in sein Bett zurück, so schnell er konnte.

Kaum mochte er indes dort angelangt sein, so stand der König auf und ging in das Schlafgemach der Königin, die über diesen zweiten Besuch nicht wenig verwundert war. Als er zu ihr ins Bett gestiegen war und sie freundlich begrüßt hatte, faßte sie um dieser Freundlichkeit willen Mut und sagte: »Mein Herr und Gemahl, was ist das heute nacht für ein neuer Brauch? Kaum habt Ihr mich verlassen, nachdem Ihr Euch, mehr als es Eure Gewohnheit ist, an mir ergötzt habt, und kehrt nun so schnell zurück? Habt acht, was Ihr tut!«

Als der König diese Worte hörte, vermutete er so gleich, die Königin sei durch ähnliche Gestalt und Kleidung betrogen worden. Da er ein weiser Mann war und weder die Königin noch sonst jemand etwas gemerkt hatte, beschloß er, auch sie nichts merken zu lassen. Viele wären töricht genug gewesen, das nicht zu tun, sondern zu sagen: »Ich bin nicht hier gewesen; wer war da? Wie ist das zugegangen? Was ist daraus geworden?« – wodurch sie sich dann vielerlei Unheil zugezogen hätten. Denn die Frau wäre dadurch unverschuldet beschimpft worden und hätte Veranlassung gehabt, aufs neue zu begehren, was sie schon einmal genossen hatte, und der König selbst, der durch Schweigen der Schande völlig entging, hätte durch Reden seine eigene Schmach herbeigeführt. Deshalb antwortete er ihr, mehr innerlich als dem Aussehen und den Worten nach erzürnt: »Frau, denkst du denn, ich sei nicht Manns genug, um wiederkommen zu können, wenn ich auch erst bei dir war?« Hierauf erwiderte die Königin: »Wohl, mein Herr, dessenungeachtet bitte ich Euch aber, an Eure Gesundheit zu denken.« »Gut«, entgegnete der König, »so will ich deinen Rat befolgen und diesmal umkehren, ohne dich weiter zu plagen.«

Und so nahm er voller Unmut und Zorn über den nur zu gut erkannten Schimpf, der ihm widerfahren war, seinen Mantel und verließ das Gemach in der Absicht, den Täter herauszubringen. Er war überzeugt, dieser müsse zum Hause gehören und habe, wer immer er auch sein möge, noch nicht entschlüpfen können. Eine Laterne mit einem kleinen Lichtlein in der Hand, [220] eilte er nach einem langen Saale seines Palastes, in dem, oberhalb der Pferdeställe, fast seine ganze Dienerschaft in zahlreichen Betten schlief. Eines schien ihm gewiß: wer das getan hatte, was die Königin ihm soeben erzählt, dem konnte sich Puls-und Herzklopfen von der erlittenen Anstrengung noch nicht gelegt haben. Deshalb fühlte er, am einen Ende beginnend, der Reihe nach einem jeden mit der Hand auf die Brust, um das Schlagen des Herzens zu vernehmen. Obgleich nun alle übrigen fest schliefen, so wachte doch der, welcher bei der Königin gewesen war, noch immer, und eine heftige Furcht befiel ihn, als er den König kommen sah und wohl erriet, was er suchte. Deshalb vermehrte sich sein Herzklopfen, das die körperliche Aufregung veranlaßt hatte, aus Furcht noch um vieles, und er zweifelte nicht, der König werde ihn auf der Stelle töten, sobald er es nur gewahr würde. Gingen ihm nun auch allerhand Pläne durch den Kopf, so entschloß er sich doch zuletzt, als er den König ohne Waffen sah, sich schlafend zu stellen und abzuwarten, was jener tun werde. Der König fand unter den vielen, die er untersuchte, keinen, den er für den Täter gehalten hätte, bis er endlich zu diesem kam, und als er dessen Herz so heftig schlagen fühlte, sagte er bei sich: – »Der ist es.« Da es aber seine Absicht war, niemanden etwas von dem wissen zu lassen, was er tun wollte, tat er nichts weiter, als daß er mit einer Schere, die er bei sich trug, ihm auf der einen Seite einen Teil von den Haaren abschnitt, die man damals sehr lang trug, um ihn an diesem Zeichen am andern Morgen erkennen zu können. Dann kehrte er sogleich in seine Gemächer zurück.

Unser Knecht hatte wohl gefühlt, was der König mit ihm vorgenommen, und er war verschlagen genug einzusehen, zu welchem Ende er so gezeichnet worden war. Darum stand er ohne Zögern auf und schnitt mit einer Schere, deren zufällig zur Pflege der Pferde mehrere vorhanden waren, leise unter seinen Schlafgesellen von einem zum andern gehend, allen auf gleiche Weise an einem Ohr die Haare ab, worauf er sich, ohne daß jemand ihn gehört hätte, wieder schlafen legte.

Kaum war der König am Morgen aufgestanden, so befahl er, noch ehe die Tore des Palastes geöffnet wurden, daß die [221] ganze Dienerschaft vor ihm erscheinen solle. Wie diesem Befehl Genüge geleistet war und alle entblößten Hauptes vor ihm standen, blickte er unter ihnen umher, um den zu erkennen, den er selbst geschoren hatte. Als er aber die Mehrzahl unter ihnen mit gleichmäßig verschnittenen Haaren sah, verwunderte er sich und sagte bei sich selbst: »Wahrlich, der, den ich suche, bewährt seinem niederen Stande zum Trotz einen hohen Verstand.« Überzeugt, nicht ohne großes Aufsehen zu seinem Ziele gelangen zu können, und gewillt, nicht kleiner Rache wegen große Schmach zu erwerben, entschloß er sich, ihn nur mit einem Worte zu erinnern und ihm zu zeigen, daß er wisse, was geschehen sei. Darum sagte er, sich an alle wendend: »Wer es getan hat, tue es nicht wieder, und so geht mit Gott.« Ein anderer hätte sie allesamt köpfen, foltern, fragen und examinieren lassen und dadurch bekanntgemacht, was jeder zu verhüllen bemüht sein muß. Hätte er dann auch den Täter entdeckt und vollständige Rache an ihm genommen, so würde seine Schmach dadurch nicht vermindert, sondern um vieles vermehrt, die Ehre seiner Gemahlin aber für immer befleckt worden sein.

Diejenigen, welche die Worte des Königs hörten, wunderten sich und untersuchten lange miteinander, was er damit habe sagen wollen. Keiner aber wußte sie zu verstehen, den einzigen ausgenommen, den sie wirklich angingen. Der aber war klug genug, zu Lebzeiten des Königs niemand etwas davon zu entdecken und auch sein Leben nicht wieder an ein solches Wagestück zu setzen.

[222] Dritte Geschichte

Eine Dame, die in einen jungen Mann verliebt ist, bringt unter dem Vorwand der Beichte und großer Gewissenhaftigkeit einen sittenstrengen Mönch dahin, daß er, ohne zu wissen, was er tut, sie an das Ziel ihrer Wünsche führt.


Als Pampinea geendet hatte, lobten fast alle die Kühnheit und Vorsicht des Stallknechts wie auch die Weisheit des Königs, bis die Königin, zu Filomena gewandt, ihr fortzufahren befahl. Filomena gehorchte und begann mit Anmut also zu reden:

Ich denke euch einen Streich zu erzählen, den eine schöne Frau einem gestrengen Mönch wirklich gespielt hat und der einen Laien um so mehr ergötzen muß, weil diese Pfaffen, die meistens herzlich albern und ungeschliffen sind, alles besser verstehen und machen wollen als andere Leute, während sie doch viel geringer zu achten sind als jene, da sie sich aus Niedrigkeit ihrer Gesinnung nicht getrauen, wie andere Menschen auf eigenen Beinen durchs Leben zu gehen, sondern den Schweinen gleich dahin flüchten, wo sie ohne Arbeit zu essen bekomnen. Ich erzähle euch, ihr liebenswürdigen Mädchen, diese Geschichte nicht nur, weil die Reihe mich eben trifft, sondern auch um euch zu zeigen, wie selbst die Pfaffen, zu denen wir in übermäßiger Leichtgläubigkeit allzu großes Vertrauen haben, von unsereins, geschweige denn von Männern, mit einiger Schlauheit gehörig angeführt werden können und werden.

Vor einigen Jahren lebte in unserer Stadt, die an Trug reicher ist als an Güte und Redlichkeit, eine Edeldame, welche die Natur nicht minder als irgendeine andere mit Schönheit geschmückt und mit hohem Sinn und feinem Verstand begabt hatte. Ich verschweige ihren mir wohlbekannten Namen, wie auch die übrigen, die in diese Geschichte verflochten sind: denn noch sind mehrere am Leben, die sich vor Zorn darüber nicht würden zu lassen wissen, während der Vorfall doch nur belacht zu werden verdient. Diese Dame, die ihrer vornehmen Abkunft ungeachtet an einen Wollweber verheiratet war, konnte nie verwinden, wie kränkend es für sie war, einen Handwerker zum Manne zu haben. Denn ein Bürgerlicher schien ihr [223] immer, wie reich er auch sein mochte, einer adeligen Frau unwürdig. Die niedrige Beschäftigung ihres Mannes, der es mit all seinem Reichtum nie weiter brachte, als sich aufs Sortieren, auf Einschlag und Aufzug zu verstehen oder sich mit den Spinnerinnen um die Gebinde zu zanken, bestärkte sie in ihrem Vorsatz, seinen Umarmungen, soweit es sich tun ließe, aus dem Wege zu gehen, wofür sie sich dann bei jemandem zu entschädigen gedachte, der ihr würdiger als der Wollweber schiene.

Wirklich verliebte sie sich so in einen ganz wackeren Edelmann von mittleren Jahren, daß sie nachts nicht schlafen konnte, wenn sie ihn den Tag über nicht gesehen hatte. Der gute Mann aber, der nichts davon ahnte, bekümmerte sich nicht um sie, und sie war zu vorsichtig, um durch weibliche Botschafter oder Briefe sich etwaigen Gefahren aussetzen zu wollen. Dagegen hatte sie gemerkt, daß er häufig mit einem Pfaffen verkehrte, der, so einfältig und ungebildet er war, wegen seines strengen Lebens doch bei den meisten für einen ganz besonderen Mönch galt.

Die Dame war der Meinung, dieser Geistliche könne zwischen ihr und ihrem Geliebten am besten den Mittelsmann abgeben. Deshalb ging sie, nachdem sie mit sich selbst über die Art ihres Benehmens einig geworden war, in die Kirche, zu welcher er gehörte, ließ ihn rufen und sagte, sie wünsche, wenn es ihm gefällig sei, bei ihm zu beichten. Der Pfaffe zeigte sich sogleich bereit; denn er sah ihr an, sie müsse eine Frau von Stande sein. Nach der Beichte sagte die Dame: »Ehrwürdiger Herr, noch muß ich Euch um Rat und Hilfe in einer Angelegenheit bitten, über die ich Euch unterrichten will. Ihr kennt aus meiner eigenen Beichte meine Familie und meinen Mann. Er liebt mich mehr als sein Leben, und kaum äußere ich irgendeinen Wunsch, so erfüllt er ihn auf der Stelle, wie er das vermöge seines Reichtums wohl vermag. Dafür liebe ich ihn denn auch mehr als mich selbst, und wenn ich nur eines Gedankens, geschweige denn einer Handlung fähig wäre, die seiner Ehre oder seinem Gefallen zuwiderliefe, so verdiente gewiß keine arge Hexe den Scheiterhaufen so sehr wie ich. Nun werde ich aber, vielleicht weil er mich andern Sinnes glaubt, von einem jungen Manne förmlich belagert, dessen Name mir nicht bekannt ist, der aber [224] von Stande zu sein scheint, hübsch und groß von Gestalt ist, gewöhnlich feines braunes Tuch trägt und, wenn ich mich nicht irre, viel mit Euch umgeht. Ich kann vor keine Tür und an kein Fenster treten oder gar aus dem Hause gehen, ohne daß er gleich bei der Hand wäre. Mich wundert's nur, daß er nicht schon hier ist. Mir aber ist die ganze Sache äußerst unlieb; denn solch ein Benehmen kann auch die anständigste Frau in einen üblen Ruf bringen. Ich hatte mir schon vorgenommen, es ihm durch meine Brüder sagen zu lassen; dann habe ich aber wieder bedacht, wie Männer solche Bestellungen so auszurichten pflegen, daß die Antwort übel ausfällt. Es gibt einen Wortwechsel, und von den Worten kommt es am Ende zu Tätlichkeiten. Darum habe ich stillgeschwiegen, um Unglück und Ärgernis zu vermeiden, und habe mich entschlossen, mit Euch zu reden, teils weil Ihr sein Freund zu sein scheint, teils weil es sich für Euch schickt, über dergleichen Dinge auch fremde Leute, wieviel mehr denn Euren Freund, zu ermahnen. Und so bitte ich Euch denn um Gottes willen, ihm für sein Benehmen einen Verweis zu geben und ihn zu bitten, daß er sich dessen in Zukunft enthalte. Es gibt andere Weiber genug, die wohl an solchen Geschichten Gefallen finden. Die werden sich freuen, wenn er ihnen nachgafft und ihnen den Hof macht. Mir aber, die ich zu solchen Torheiten keineswegs aufgelegt bin, ist dergleichen im höchsten Grade lästig.«

Nachdem sie dies gesagt hatte, senkte sie den Kopf, als träten ihr die Tränen in die Augen. Unser Heiliger erriet alsbald, wen sie wirklich meinte, lobte sie wegen ihres heilsamen Entschlusses und versprach ihr, von der Wahrheit ihres Berichts vollkommen überzeugt, es schon dahin zu bringen, daß dieser Mensch ihr nicht mehr lästig fallen solle. Da er wußte, daß sie reich war, empfahl er ihr ferner noch Almosen und gute Werke und trug ihr seine eigenen Bedürfnisse vor. Die Dame erwiderte: »Ich bitte Euch um Gottes willen, tut, wie Ihr gesagt habt, und sollte er etwa leugnen wollen, so sagt ihm nur, ich selbst hätte Euch alles gesagt und mich bei Euch beschwert.«

Als nun die Beichte vorbei war und der Mönch ihre Bußen bestimmt hatte, gedachte sie der Ermahnungen zu guten Werken, die er ihr erteilt hatte, drückte ihm ein reichliches [225] Geschenk in die Hand und bat ihn, für ihre verstorbenen Angehörigen ein paar Seelenmessen zu lesen. Darauf erhob sie sich vom Beichtstuhl und ging nach Hause.

Nicht lange darauf kam der Edelmann nach seiner Gewohnheit zu unserem ehrwürdigen Herrn, der ihn, nachdem sie einige Augenblicke über dies und jenes gesprochen hatten, beiseite nahm und ganz höflich wegen der Aufmerksamkeit und der verliebten Blicke zur Rede stellte, mit denen er nach ihrer eigenen Erzählung jene Dame von ihm verfolgt glaubte. Der Edelmann, der ihr niemals nachgesehen hatte und sehr selten an ihrem Hause vorüberkam, wunderte sich nicht wenig und fing an, sich zu verteidigen. Der Pater aber ließ ihn nicht zu Worte kommen und sagte: »Stell dich nur nicht so verwundert und verliere deine Worte nicht, um zu leugnen, was du doch nicht leugnen kannst. Ich rede keinen Nachbarklatsch nach, denn sie hat, mit vielen Klagen über dich, mir alles selbst erzählt. Und obgleich sich solche Tändeleien überhaupt nicht für dich schicken, so will ich dir nur so viel sagen, daß, wenn einer diese Albernheiten zuwider sind, so sind sie's ihr. Darum rate ich dir zu deiner eigenen Ehre und ihr zu Gefallen, bleib davon und lasse sie in Frieden.«

Der Edelmann, der etwas schärfer sah als der gute Pater, erriet bald genug die Schlauheit der Dame, tat also etwas beschämt und versprach, sich nicht weiter in diese Sache einzulassen. Dann verließ er den Mönch und eilte zum Hause der Dame, die noch immer an einem kleinen Fenster aufmerksam verweilte, um ihn zu sehen, wenn er etwa vorüberginge. Als sie ihn nun erblickte, erzeigte sie sich gegen ihn so freundlich und gefällig, daß er wohl einsehen mußte, er habe die Worte des Mönchs richtig verstanden. Und so ging er denn von diesem Tage an zu seinem eigenen Vergnügen und zu großer Freude und Beruhigung der Dame vorsichtig, als ob andere Geschäfte ihn dorthin führten, täglich jene Straße entlang.

Die Dame indes hatte sich bald überzeugt, daß sie ihm ebenso gut gefiel wie er ihr, und voller Verlangen, ihn noch mehr zu entflammen und ihm ein sicheres Zeichen ihrer Liebe zu ihm zu geben, nahm sie die Gelegenheit wahr, zu dem ehrwürdigen Klosterbruder zurückzukehren. Kaum hatte sie sich ihm zu [226] Füßen niedergelassen, so begann sie bitterlich zu weinen. Als der Geistliche sie in Tränen sah, fragte er voller Teilnahme, was sie Neues bringe. Die Dame antwortete: »Hochwürdiger, ich habe keine anderen Neuigkeiten als solche von Eurem verwünschten Freunde, über den ich mich neulich schon beschwerte. Wahrlich, ich glaube, er ist geboren, um mich zu plagen und zu Dingen zu verlocken, um derentwillen ich mir ewige Vorwürfe machen und nie wieder wagen würde, vor Euch zu erscheinen.« »Wie«, sagte der Pater, »hat er denn nicht aufgehört, dich zu belästigen?« »Gewiß nicht«, erwiderte die Dame, »vielmehr kommt er, seit ich mich bei Euch beschwerte, gleichsam mir zum Trotz und weil er mir übelgenommen, daß ich über ihn Klage geführt, für einmal jetzt täglich wenigstens siebenmal an meinem Hause vorbei. Und wollte Gott, er wäre beim Vorübergehen und Heraufgucken stehengeblieben! Aber so verwegen, so unverschämt ist er gewesen, daß er mir erst gestern ein Frauenzimmer mit Botschaft von ihm und mit verliebtem Geschwätz ins Haus geschickt und mir eine Tasche und einen Gürtel geschenkt hat, als ob ich nicht Taschen und Gürtel genug hätte. Das habe ich ihm aber so übelgenommen und nehme es ihm noch so übel, daß ich ihm den Teufel über den Hals geschickt hätte, wenn ich mich nicht vor der Sünde gefürchtet und Euch zuliebe an mich gehalten hätte. So habe ich mir denn am Ende noch Gewalt angetan und nichts tun und sagen wollen, ohne Euch zuvor davon zu benachrichtigen. Dem Frauenzimmer übrigens hatte ich Gürtel und Tasche, die sie mir gebracht hatte, schon zurückgegeben, daß sie ihm beides wiederbringen sollte, ihr auch sonst bösen Bescheid erteilt, als mir einfiel, sie könnte vielleicht gar die Geschenke behalten und ihm erzählen, ich hätte sie angenommen; denn solche Weiber sollen dergleichen wohl tun. Darum rief ich sie zurück, nahm ihr die Sachen voller Verdruß wieder aus der Hand und habe sie nun Euch mitgebracht, damit Ihr sie ihm wiedergebt und ihm sagt, daß ich seine Geschenke nicht brauche; denn, Gott und meinem Mann sei es gedankt, Gürtel und Taschen habe ich noch so viele, daß ich ihn darunter ersticken könnte. Dann aber bitte ich Euch, den ich wie einen Vater ehre, um Verzeihung, wenn ich es meinem Mann und meinen Brüdern sage, sobald er mir [227] nun keine Ruhe mehr läßt, mag daraus werden, was da will. Ergeht es ihm dann übel, nun, so soll mir's immer noch viel lieber sein, als wenn ich durch ihn in schlechte Nachrede komme, und damit gut!«

Als sie das gesagt hatte, zog sie, ohne ihre Tränen zu unterbrechen, eine äußerst schöne und reichgestickte Tasche nebst einem zierlichen, kostbaren Gürtel unter dem Mantel hervor und warf sie dem Mönch in den Schoß. Dieser glaubte noch immer an die Wahrheit ihrer Erzählungen, nahm die Geschenke voller Zorn und sagte: »Mein Kind, ich wundere mich nicht, wenn diese Vorfälle dich betrüben, und kann dich deswegen nicht tadeln; vielmehr lobe ich an dir, daß du dabei meinen Ratschlägen gefolgt bist. Ich habe ihn neulich zur Rede gestellt; er aber hat schlecht gehalten, was er mir damals versprach, und so denke ich ihm denn um dessentwillen, wie auch wegen seiner neuen Vergehen dermaßen den Kopf zu waschen, daß er keine Lust mehr haben soll, dich zu beunruhigen. So lieb dir aber Gottes Segen ist, so lasse dich vom Zorne nicht überwältigen, einen der Deinigen von dieser Angelegenheit zu unterrichten; es könnte zuviel Unglück daraus entstehen. Übrigens sei wegen deines Rufes unbesorgt, denn ich werde deine Unschuld immerdar, vor Gott wie vor den Menschen, unwandelbar bezeugen.«

Die Dame schien sich etwas zu beruhigen. Da sie von der Habsucht dieses wie der andern Mönche wohl unterrichtet war, lenkte sie das Gespräch von jenem Gegenstande ab und sagte: »Ehrwürdiger Herr, in den letzten Nächten sind mir mehrere meiner Verwandten erschienen, die wohl große Qualen erdulden müssen und nichts verlangen als Almosen; vor allem aber meine verstorbene Mutter, die so betrübt und elend aussieht, daß es ein wahrer Jammer ist. Ich glaube bestimmt, daß es ihr bitter weh tut, mich von diesem bösen Feinde so versucht zu sehen, und darum wünschte ich, Ihr läset mir für ihre Seele die vierzig Gregoriusmessen und sagtet dazu Eure Gebete, damit Gott sie aus den Feuerqualen befreie.« Und mit diesen Worten drückte sie ihm einen Goldgulden in die Hand. Der ehrwürdige Pater nahm ihn voller Freuden, bekräftigte mit guten Worten und mit vielen Beispielen ihre Frömmigkeit und entließ sie dann mit seinem Segen.

[228] Als die Dame fortgegangen war, schickte er, immer noch ohne zu ahnen, daß man ihn zum besten hatte, nach seinem Freunde, der gleich bei seinem Eintritt, als er den Mönch zornig sah, erriet, er werde Neuigkeiten von seiner Dame hören, und nun abwartete, was jener ihm sagen werde. Der Mönch wiederholte, was er ihm schon früher gesagt hatte, und schalt ihn besonders mit vielen zornigen und harten Worten wegen dessen, was er, den Reden der Dame zufolge, getan haben sollte. Der Edelmann, der noch nicht durchschauen konnte, wo der Mönch eigentlich hinwollte, leugnete ziemlich lau, Gürtel und Tasche geschickt zu haben, damit er jenem, wenn die Dame ihm die Geschenke gegeben hätte, nicht den Glauben daran nähme. Aber der Pater sagte ganz aufgebracht: »Du schlechter Mensch, wie kannst du das leugnen? Da sieh her! Mit vielen Tränen hat sie selber sie mir gebracht, und nun sage, ob du sie erkennst.« Der Edelmann tat sehr beschämt und sagte: »Freilich kenne ich diese Geschenke und bekenne, daß ich unrecht getan habe. Ich schwöre aber auch, weil ich sie also gesinnt sehe, daß Ihr von dieser Sache nie wieder ein Wort hören sollt.« Nun wurde noch viel hin und her geredet. Endlich aber gab Bruder Einfalt Gürtel und Tasche an den Freund heraus und entließ ihn dann nach langen Strafpredigten und Bitten, sich in Zukunft solcher Dinge zu enthalten.

Der Edelmann ging, hocherfreut über die Gewißheit, daß seine Dame ihn liebte, wie über das schöne Geschenk, sobald er den Mönch verlassen hatte, mit Vorsicht an eine Stelle, von der aus er die Dame sehen lassen konnte, daß er das eine wie das andere erhalten hatte. Der Dame war dies um so lieber, als sie nun am glücklichen Fortgang ihres Planes nicht mehr zweifelte.

Während sie nun, um ans Ziel ihrer Wünsche zu gelangen, nichts als eine gelegentliche Abwesenheit ihres Gatten erwartete, traf es sich, daß wenig später ihr Mann gewisser Geschäfte wegen genötigt war, nach Genua zu reisen. Kaum war er des Morgens zu Pferde gestiegen und fortgeritten, so ging unsere Dame auch schon zum gestrengen Pater und sagte unter Schluchzen und Tränen: »Würdiger Vater, nun erkläre ich Euch, ich kann's nicht länger aushalten. Aber weil ich Euch neulich versprochen habe, nichts zu unternehmen, ohne Euch zuvor davon [229] zu sagen, so komme ich, um mich zu rechtfertigen. Damit Ihr indes einseht, wieviel Recht ich habe, zu weinen und mich zu beklagen, will ich Euch nur erzählen, was Euer guter Freund oder vielmehr der Teufel aus der Hölle mir heute morgen kurz vor der Frühmesse getan hat. Ich weiß nicht, was für ein böser Geist ihm mitgeteilt hat, daß mein Mann gestern früh nach Genua gereist ist; genug, heute morgen, um die Zeit, die ich Euch gesagt habe, kommt er in meinen Garten und klettert auf einem Baum bis an das Fenster meines Schlafzimmers, das nach dem Garten hinausgeht. Schon hatte er das Fenster aufgemacht und wollte in die Kammer steigen, als ich aufwachte und sogleich aus dem Bette sprang. Eben wollte ich zu schreien anfangen, und ich hätte gewiß geschrien, wenn er nicht unter Nennung seines Namens mich noch von außen um Gottes und um Euretwillen um Gnade gebeten hätte. Euch zuliebe schwieg ich still, lief aber nackt, wie ich auf die Welt gekommen bin, ans Fenster und schlug es ihm vor der Nase zu. Ich glaube, er ist zum Teufel gegangen, denn ich habe ihn dann nicht weiter gehört. Nun sagt mir selbst, ob das ein anständiges Benehmen ist, und ob man das dulden darf. Was mich betrifft, so denke ich es nicht mehr zu ertragen; habe ich ihm die ganze Zeit über doch nur Euch zuliebe allzuviel nachgesehen.«

Als der Mönch dies hörte, wurde er über die Maßen zornig und wußte nichts zu erwidern, als daß er sie mehrmals fragte, ob sie denn auch gewiß gesehen habe, daß es jener Edelmann und kein anderer gewesen sei. »Nun, gottlob«, antwortete die Dame, »den kann ich wohl noch von einem andern unterscheiden. Ich sage Euch, er war's, und sollte er's leugnen, so glaubt ihm nur nicht.« »Meine Tochter«, erwiderte darauf der Mönch, »dazu kann ich nichts sagen, als daß es eine übermäßige Frechheit und abscheuliche Missetat ist. Du tatest deine Pflicht, als du ihn fortschicktest. Aber nun möchte ich dich noch bitten, daß du, weil Gott dich vor Schande bewahrte, meinem Rat, dem du schon zweimal gefolgt bist, auch diesmal folgst und es, ohne dich bei deinen Angehörigen zu beklagen, mir überläßt, ob ich diesen Teufel, der aus der Hölle entsprungen zu sein scheint und den ich für einen Heiligen gehalten hätte, nicht zu bändigen imstande bin. Gelingt es mir, ihn von seinem viehischen Betragen [230] abzubringen, so ist es gut; wo nicht, so gebe ich dir jetzt mit meinem Segen das Versprechen, daß ich dich nicht wieder hindern will, zu tun, was dir richtig zu sein scheint.« »Nun wohl«, sagte die Dame, »ich will Euch für diesmal weder erzürnen noch Euch ungehorsam sein. Aber nun sorgt dafür, daß er sich hüte, mich ferner zu plagen, denn wahrlich, zu Euch komme ich in dieser Sache nun nicht wieder.«

Und damit ging sie, ohne weiter etwas zu sagen, als wäre sie aufgebracht, von dannen. Kaum hatte sie die Kirche verlassen, so kam auch der Edelmann des Weges. Der Mönch rief ihn an, nahm ihn beiseite, sagte ihm die größten Grobheiten, die man jemals einen andern hat hören lassen, und nannte ihn einen Schelm, einen Meineidigen und einen Verräter über den andern. Dieser aber hatte schon zweimal erfahren, was das Schelten des Paters zu bedeuten hatte, und er suchte ihn deshalb durch halbe Antworten zum Reden zu bringen. »Würdiger Herr«, sprach er, »was soll dieser Zorn? Habe ich denn Christus gekreuzigt?« »Nun höre einer diesen Unverschämten«, antwortete der Geistliche, »wie er tut. Redet er doch wahrhaftig nicht anders, als ob es ein oder zwei Jahre her wäre und er sich der langen Zeit wegen auf seine Schändlichkeiten und schlechten Streiche nicht mehr besinnen könnte. Ist es dir von heute morgen bis jetzt schon entfallen, wen du beleidigt hast? Nun, wo warst du heute kurz vor Tag?« »Was weiß ich, wo ich gewesen bin«, erwiderte der Edelmann; »Ihr müßt aber schnelle Boten haben.« »Freilich«, sagte der Mönch, »ist die Botschaft mir schon zugekommen. Aber ich merke schon, du dachtest, weil der Mann nicht zu Hause ist, empfinge die gute Frau dich nur so mit offenen Armen. Hoho, der ehr- und tugendsame Herr ist ein Nachtwandler, ein Gartenschleicher, ein Baumkletterer geworden. Denkst du denn durch deine Unverschämtheit die Reinheit dieser Dame zu besiegen, daß du ihr in der Nacht auf den Bäumen ins Fenster kletterst? Nichts auf der Welt ist ihr so ganz und gar zuwider, wie du es ihr bist, und doch probierst du's immer aufs neue. Ich will gar nicht davon reden, daß sie dir's vielfach zu erkennen gegeben hat; aber wahrhaftig, meine Ermahnungen hast du dir besonders zu Herzen genommen. Das will ich dir indes hiermit [231] gesagt haben: bis jetzt hat sie, nicht etwa aus Liebe zu dir, sondern auf meine Fürbitte hin von deinem Benehmen geschwiegen; nun aber wird sie nicht mehr schweigen. Ich habe es ihr freigestellt, ganz nach ihrem Belieben zu verfahren, wenn du noch irgend etwas tust, das ihr mißfällt. Und was willst du machen, wenn sie's ihren Brüdern sagt?«

Der Edelmann hatte nun alles, was er brauchte, zur Genüge erfahren. Er besänftigte daher den Pater nach bestem Wissen und Können mit reichlichen Versprechungen und sagte ihm Lebwohl. Als aber in der nächsten Nacht die Zeit der Mette herangekommen war, schlich er sich in den Garten, erkletterte den Baum und eilte durch das offene Fenster in die Arme seiner schönen Dame, die ihn nach sehnsüchtigem Erwarten freudig mit den Worten empfing: »Großen Dank dem Herrn Pater, der dir den Weg zu mir so schön gezeigt hat.« Nun genossen sie einander und konnten unter vielen Scherzen und Gelächter über die Einfalt des Bruders Rindvieh und unter Spott über Spulräder, Kämme und Wollkratzer ihrem Ergötzen kein Ziel setzen. Dann aber wußten sie es so einzurichten, daß sie, ohne der Hilfe des Paters ferner zu bedürfen, in gleicher Freude noch viele Nächte verbringen konnten, zu welchem Glück Gott mir und anderen Christenseelen, die danach Verlangen tragen, in seiner heiligen Barmherzigkeit auch bald verhelfen möge.

Vierte Geschichte

Don Felice lehrt den Bruder Puccio, wie er durch eine Bußübung selig werden kann. Bruder Puccio nimmt sie auf sich, und Don Felice vertreibt sich inzwischen mit dessen Frau die Zeit.


Als Filomena am Ende ihrer Geschichte angelangt war und schwieg, lobte Dioneo den Verstand der Dame nachdrücklich und mit schönen Worten, nicht minder aber auch das Schlußgebet der Filomena, worauf die Königin sich lächelnd an Panfilo wandte und sprach: »Wohlan denn, Panfilo, fahre fort, uns durch ein lustiges Späßchen zu ergötzen.« Panfilo erwiderte sogleich, er sei gern bereit, und begann also:

[232] Madonna, es gibt viele Leute, die, während sie selbst sich bemühen, das Paradies zu erlangen, andern dazu verhelfen, ohne daß sie's gewahr werden. Daß es einer unserer Nachbarinnen vor nicht gar zu langer Zeit so ergangen ist, werdet ihr gleich vernehmen können.

Wie man mir erzählt hat, wohnte nicht weit von San Pancrazio ein guter, wohlhabender Mann namens Puccio di Rinieri, der, als er sich später ganz den geistlichen Dingen ergab, der Bruderschaft des heiligen Franziskus beitrat und Bruder Puccio genannt wurde. Sein Hauswesen beschränkte sich auf seine Frau und eine Magd, und da er deshalb nicht gezwungen war, ein Geschäft zu treiben, hielt er sich viel in der Kirche auf. Er war ein unwissender Mensch von grobem Teige, und so betete er denn seine Paternoster ab, ging in die Predigten, hörte Messen und blieb gewiß nie zu Hause, wenn die Laienbrüder Laudes zu singen hatten. Außerdem fastete er und geißelte sich, denn man wollte wissen, daß er zu den Geißelbrüdern gehöre. Seine Frau, die Donna Isabetta hieß und erst achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt, dabei munter, hübsch und rot wie ein Wachsapfel war, mußte wegen der Frömmelei und vielleicht auch wegen des Alters ihres Mannes gar sehr oft länger Diät halten, als sie es gewünscht hätte. Und wenn sie schlafen oder sich mit ihm ergötzen wollte, erzählte er ihr das Leiden Christi, die Predigten des Bruders Anastasius, die Reue der Magdalena oder ähnliche Geschichten.

Um diese Zeit kam ein Mönch namens Don Felice, der in San Pancrazio Ordensgeistlicher war, ein ziemlich junger und wohlgestalteter Mann von großem Scharfsinn und tiefen Kenntnissen, aus Paris zurück und wurde bald mit Bruder Puccio genauer bekannt. Weil diesem nun der Mönch alle seine Zweifel auf das beste zu lösen wußte und sich außerdem, als er Puccios Gesinnung kennengelernt hatte, äußerst gottesfürchtig zeigte, begann Bruder Puccio, ihn zuweilen mit nach Hause zu nehmen und ihm, wenn sich's traf, mitunter ein Mittagbrot oder Abendessen vorzusetzen. Auch war Puccios Frau ihm zuliebe gegen den Mönch freundlich und tat ihm gern eine Ehre an. Als dieser nun längere Zeit in Bruder Puccios Haus aus-und einging und das frische, runde Aussehen der Frau beobachtete, erriet er [233] wohl, was für ein Ding es war, an dem sie am meisten Mangel litt, und um Bruder Puccio die Mühe abzunehmen, beschloß er, ihr beizuspringen, so gut er's vermöchte. Er wußte sie einige Male gar pfiffig anzusehen und brachte es endlich dahin, daß er in ihrem Herzen das gleiche Verlangen entfachte. Wie er dies gewahr wurde, sagte er ihr bei der ersten Gelegenheit sein Begehren.

So sehr er sie aber auch zur Ausführung aufgelegt fand, so schwer war es doch, Mittel und Wege dazu zu finden, denn sie traute sich nirgendwo anders in der Welt als in ihrem Hause mit dem Mönch zusammenzukommen. In ihrem Hause ging es aber wieder nicht, weil Bruder Puccio niemals verreiste, worüber denn der Mönch sich sehr betrübte. Nach langer Zeit ersann er aber doch ein Mittel, um sich, ohne Verdacht zu erregen, im eigenen Hause der Frau und sogar in Bruder Puccios Anwesenheit mit ihr zu ergötzen. Als nämlich Bruder Puccio ihn eines Tages besuchte, sprach er folgendermaßen zu ihm: »Ich habe schon oft wahrgenommen, Bruder Puccio, daß dein ganzes Verlangen dahin gerichtet ist, selig zu werden. Mir kommt es aber so vor, als ob du, um zu diesem Ziele zu gelangen, einen weiten Weg gehst, während es doch einen ganz kurzen gibt, den der Papst und seine obersten Prälaten recht wohl kennen und benutzen. Sie wollen freilich nicht, daß man ihn den Leuten weise; denn dann wäre der geistliche Stand, der doch größtenteils von Almosen lebt, auf der Stelle zugrunde gerichtet und die Laien wendeten ihm weder Geschenke noch sonst etwas zu. Weil du aber mein Freund bist und mir viel Ehre erwiesen hast, so lehrte ich dich wohl jenen Weg, wenn ich nur wüßte, daß du ihn dann befolgtest und keinem Menschen auf der Welt etwas davon sagtest.«

Bruder Puccio, der nach dieser Sache höchst begierig geworden war, begann ihn mit großem Nachdruck zu bitten, daß er sie ihn lehren möchte. Dann schwor er, daß er niemals jemand mehr davon entdecken würde, als was jener ihm selbst zuvor erlaubte, und versicherte, wenn er irgend dazu imstande sei, wolle er gewiß diesen Weg einschlagen.

»Nun«, sagte der Mönch, »wenn du mir das versprichst, so will ich dich's lehren. Du mußt wissen, daß nach den heiligen [234] Kirchenvätern jeder, der selig werden will, folgende Buße tun muß. Aber verstehe mich recht: ich sage nicht, daß du nach der Buße nicht ebensowohl wie jetzt ein Sünder sein wirst, sondern es wird geschehen, daß die Sünden, die du bis zur Zeit der Buße schon begangen hast, alle abgewaschen und dir wegen dieser vergeben werden. Die Sünden aber, die du nachher begehst, werden dir nicht zur Verdammnis angerechnet, sondern mit dem Weihwasser abgewaschen werden, wie das jetzt bei den läßlichen Sünden der Fall ist. Vor allen Dingen also mußt du mit der größten Gewissenhaftigkeit deine Sünden beichten, und damit nimmt diese Buße ihren Anfang. Dann mußt du streng zu fasten und große Enthaltsamkeit zu üben beginnen, und das vierzig Tage lang, und in dieser Zeit darfst du nicht einmal deine eigene Frau, geschweige denn ein fremdes Weib anrühren. Außerdem mußt du dir in deinem Hause einen Ort suchen, wo du nachts den Himmel sehen kannst. Da mußt du dann um die Zeit des Abendgebetes hingehen und dort ein großes Brett bereithalten, welches so eingerichtet sein muß, daß du aufrechtstehend dich mit dem Rücken daran anlehnen kannst. Dann stellst du dich mit den Füßen auf den Boden, streckst die Arme wie ein Gekreuzigter aus, wobei du dich, wenn du das willst, an ein paar Pflöckchen festhalten kannst, und verharrst in dieser Stellung bis zur Frühmesse. Verständest du Latein, so müßtest du inzwischen eine Anzahl Gebete hersagen, die ich dir auch gerne gäbe. Da du dies aber nicht kannst, so mußt du dreihundert Paternoster und dreihundert Avemaria zu Ehren der Dreieinigkeit hersagen, dabei den Himmel ansehen und immer im Sinne haben, daß Gott Himmel und Erde geschaffen hat, und dich erinnern, was Christus in derselben Stellung wie du am Kreuze gelitten hat. Sobald es dann zur Frühmesse läutet, kannst du dich, wenn du Lust hast, angezogen, wie du bist, aufs Bett werfen und ein wenig schlafen. Vor Tische aber mußt du noch in die Kirche gehen und wenigstens drei Messen hören, fünfzig Vaterunser und ebenso viele Avemaria sagen. Dann kannst du deine Geschäfte, wenn dergleichen vorkommen, mit gehöriger Ehrbarkeit verrichten und zu Mittag essen; zur Vesper aber mußt du wieder in der Kirche sein und gewisse Gebete, die ich dir aufschreiben werde, hersagen, denn ohne die [235] geht es nun einmal nicht. Mit der Nacht kehrst du wieder an deinen Platz zurück. Tust du dies alles, wie ich's denn schon getan habe, und tust du es mit gehöriger Andacht, so hoffe ich, daß du wunderbare Dinge von der ewigen Seligkeit verspüren wirst, noch bevor du ans Ende dieser Buße gelangst.« Bruder Puccio sagte darauf: »Nun, das ist gar so schwer nicht und dauert auch gar nicht so lange. Das muß sich recht gut tun lassen, und so will ich denn in Gottes Namen nächsten Sonntag anfangen.«

Darauf verließ er den Mönch, ging nach Hause und sagte, wie jener ihm erlaubt hatte, der Frau sein ganzes Vorhaben. Diese erriet aus dem unbeweglichen Stillstehen bis zum Morgen auf das beste, was der Mönch eigentlich beabsichtigte. Sie erwiderte deshalb, dieser Weg scheine ihr besonders gut zu sein, auch sei sie hiermit sowie mit allem andern, was er zum Heil seiner Seele täte, völlig zufrieden und wolle, damit Gott ihm seine Buße gedeihen lasse, zur Gesellschaft mitfasten, die anderen Übungen aber nicht mitmachen. Wie sie sich nun hierüber geeinigt hatten und der Sonntag herangekommen war, fing Bruder Puccio seine Buße an. Der Herr Pater aber besuchte die Frau zu Stunden, wo man ihn nicht sehen konnte, und aß meist mit ihr zu Abend von den guten Speisen und Getränken, die er jedesmal mitbrachte. Dann ging er mit ihr zu Bett und stand erst um die Zeit der Frühmesse auf, wenn Bruder Puccio sich schlafen legte.

Nun war der Platz, den Bruder Puccio zu seinen Bußübungen erwählt hatte, neben der Kammer, in welcher die Frau schlief, und von dieser durch nichts als eine dünne Wand getrennt. Als daher der Pater einmal mit der Frau und sie mit ihm gar zu unbändig schäkerte, kam es dem Bruder Puccio so vor, als hörte er die Dielen kräftig krachen, weshalb er nach dem ersten Hundert seiner Paternoster innehielt und, ohne sich zu bewegen, Isabetta fragte, was sie denn treibe. Die Frau, die sehr zu Späßen aufgelegt war und just den Gaul des heiligen Benedikt oder Giovanni Gualberti ritt, antwortete: »Mann, ich sage Euch, ich rühre mich aus Leibeskräften.« Bruder Puccio erwiderte darauf: »Wie rührst du dich denn? Wozu soll denn das Rühren dienen?« Die Frau erwiderte lachend und vergnügt, [236] denn sie war ein wackeres Weib und mochte auch eben Grund zum Lachen haben: »Nun, wißt Ihr denn nicht, was das bedeuten soll? Hab ich doch tausendmal von Euch gehört: Wer fastet und wen Hunger plagt, rührt sich im Bett die ganze Nacht.« Bruder Puccio glaubte nun, das Fasten sei schuld, daß seine Frau nicht schlafe und sich im Bett herumwälze und sagte daher ganz treuherzig: »Frau, ich hab dir's gleich gesagt, du solltest nicht fasten; aber weil du's nun einmal so gewollt hast, denke nicht weiter dran und sieh zu, daß du schläfst.« Darauf sagte die Frau: »Kümmert Euch doch darum nicht. Ich weiß allein, wie ich mich zu benehmen habe. Tut Ihr nur Eure Schuldigkeit, ich werde mich schon anstrengen und mein Möglichstes tun.« So war Bruder Puccio still und nahm seine Paternoster wieder in Angriff. Die Frau aber und der Herr Pater ließen sich von dieser Nacht an in einem andern Teil des Hauses ein Bett richten und schliefen darin, solange Bruder Puccios Bußzeit dauerte, mit großem gegenseitigem Ergötzen bis zum Morgen, wo dann der Mönch nach Hause ging, die Frau sich aber in ihr Bett legte, um dort Bruder Puccio, wenn er von der Buße käme, zu erwarten.

Während dieser nun auf solche Weise seine Bußübungen, die Frau aber und der Mönch ihr Vergnügen fortsetzten, sagte sie wohl oft im Scherze zu dem letzteren: »Du läßt Bruder Puccio Buße tun, und wir sind's, die dadurch ins Paradies gekommen sind.« Übrigens gab ihr der Mönch alle Ursache, zufrieden zu sein, so daß sie sich an sein Futter gewöhnte. Und weil ihr Mann sie so lange hatte fasten lassen, fand sie, auch als dessen Buße zu Ende ging, Mittel und Wege, sich anderwärts mit dem Mönche satt zu essen und sich lange Zeit bei aller gehörigen Vorsicht mit ihm zu ergötzen.

So geschah es denn, damit Ende und Anfang der Geschichte übereinstimmen, daß Bruder Puccio, während er durch seine Buße das Paradies zu erlangen suchte, zwei andere hineinbrachte: den Mönch, der ihm den nächsten Weg dahin gezeigt hatte, und die Frau, die großen Mangel an dem gelitten, womit der Herr Pater sie nun aus christlicher Liebe reichlich versorgte.

[237] Fünfte Geschichte

Zima schenkt Herrn Francesco Vergellesi ein schönes Pferd und erhält dafür die Erlaubnis, mit dessen Frau reden zu dürfen. Als sie schweigt, antwortet er selbst in ihrem Namen, und dann erfolgt alles seinen Antworten gemäß.


Panfilo hatte nicht ohne das Gelächter der Damen die Geschichte des Bruders Puccio vollendet, als die Königin Elisa fortzufahren gebot. Sie begann in der spöttischen Weise, die weniger ihrem eigenen Wesen als einer alten Gewohnheit entsprang, folgendermaßen:

Viele, die viel wissen, halten andere Leute für ganz dumm, und so sehen sie sich denn manchmal, während sie andere anzuführen glaubten, am Ende selbst angeführt. Darum halte ich es für eine große Torheit, wenn sich einer ohne Not darauf einläßt, die Stärke eines fremden Verstandes auf die Probe zu stellen. Weil aber vielleicht nicht ein jeder meiner Meinung sein dürfte, so will ich, die für unsere Geschichten gesetzte Ordnung einhaltend, euch erzählen, was einem Edelmann von Pistoja begegnet ist.

Zu Pistoja war in der Familie der Vergellesi ein Edelmann namens Francesco, der bei großem Reichtum, vieler Erfahrung und hellem Verstande über die Maßen geizig war. Als nun dieser in Mailand zum Stadtvogt erwählt worden war, hatte er sich mit allem, was er zur Reise brauchte, anständig versehen. Nur fehlte es ihm noch an einem Pferde, das gut genug für ihn gewesen wäre, und da er keines finden konnte, war er in einiger Verlegenheit. Nun lebte damals in Pistoja ein Jüngling namens Ricciardo, der zwar von geringer Familie, aber äußerst reich war und so geschmückt und sorgfältig gekleidet ging, daß man ihn allgemein nur Zima, zu deutsch Stutzer, nannte. Dieser hatte seit langer Zeit die Frau des Herrn Francesco, die von großer Schönheit und Tugend war, geliebt und ihr ohne Erfolg den Hof gemacht. Zima aber hatte eines der schönsten Pferde in Toskana, das er auch seiner Schönheit wegen sehr wert hielt, und da es offenkundig war, daß er sich um die Frau des Herrn Francesco bemühte, riet irgendein guter Freund dem letzteren, [238] er möge den Zima um sein Pferd ansprechen, und gewiß werde dieser aus Liebe zu der Frau es ihm schenken.

Herr Francesco ließ sich vom Geiz verleiten, den Zima zu sich rufen zu lassen, und bat ihn alsdann, ihm das Pferd zu verkaufen, in der Hoffnung, Zima werde es ihm zum Geschenk anbieten. Als Zima den Antrag vernahm, freute er sich und sagte zu dem Edelmann: »Herr, und wenn Ihr mir Euer ganzes Vermögen schenktet, so wäre mir mein Pferd darum doch nicht verkäuflich. Wenn Ihr's aber zum Geschenk von mir annehmen wollt, so könnt Ihr's haben; doch nur unter der Bedingung, daß ich, ehe Ihr das Pferd erhaltet, mit Eurer Erlaubnis und in Eurer Gegenwart mit Eurer Gattin einige Worte reden darf, jedoch so weit von jedermann entfernt, daß niemand außer ihr selbst mich hören kann.« Der Edelmann antwortete, von der Habsucht getrieben und in der Hoffnung, jenen zu foppen, er sei es zufrieden und Zima möge reden, soviel er wolle.

Und so ließ er ihn im großen Saale seines Palastes und suchte seine Frau in ihrem Gemach auf. Hier erzählte er ihr, wie wohlfeil er zu Zimas Pferd gelangen könne, hieß sie mitkommen, um Zima anzuhören, befahl ihr aber auch, sich wohl zu hüten, auf irgend etwas, das er sage, zu antworten, weder viel noch wenig. Die Dame mißbilligte diesen Handel sehr. Da sie sich jedoch den Wünschen ihres Mannes fügen mußte, fand sie sich endlich bereit und folgte ihm in den Saal, um zu hören, was Zima ihr zu sagen hätte.

Als dieser den Vertrag mit dem Edelmann noch einmal festgemacht hatte, setzte er sich mit der Dame, fern von den Leuten, an das eine Ende des Saales und sagte: »Verehrte Dame, unzweifelhaft scheint es mir, daß Ihr, einsichtig wie Ihr seid, schon seit langem bemerkt habt, welche große Liebe für Euch, Eure Schönheit, die alles, was ich bisher in meinem Leben gesehen habe, um vieles übertrifft, in mir entfacht hat, zu schweigen von Euren untadeligen Sitten und besonderen Vorzügen, die Ihr in solchem Maße besitzt, daß selbst der hochgesinnteste Mann nicht imstande wäre, ihnen zu widerstehen. Und so ist es denn unnötig, daß ich Euch mit Worten erkläre, wie diese Liebe die größte und glühendste ist, die je ein Mann für seine [239] Dame empfunden hat. Auf die gleiche Weise werde ich aber auch so lange fortfahren, Euch zu lieben, als mein elendes Leben diese Glieder noch aufrechterhalten wird; ja, wenn man im Jenseits so wie hier liebt, so werde ich auch in der Ewigkeit Euch ebenso lieben. Darum könnt Ihr überzeugt sein, daß Ihr nichts besitzt, sei es Euch teuer oder von Euch gering geschätzt, das Ihr so Euer eigen nennen und auf das Ihr unter allen Umständen so zählen könntet wie auf mich und auf alles, was mir gehört. Um Euch einen klaren Beweis dafür zu geben, versichere ich Euch, daß ich es für eine große Gnade hielte, wenn Ihr mir in etwas, das zu tun ich imstande wäre und das Euch gefiele, Eure Befehle erteilen wolltet, als wenn die ganze Welt unweigerlich meinen Geboten gehorchte. Bin ich nun so sehr Euer eigen, wie Ihr es hört, so darf ich nicht ohne Ursache meine Bitten zu Eurer Hoheit erheben, da Ihr allein imstande seid, mir Frieden, Glück und Heil zu verleihen. Und so bitte ich Euch denn als Euer demütigster Diener, Euch, mein teures Kleinod, einzige Hoffnung meiner Seele, die sich im Feuer der Liebe noch durch Hoffen erhält, daß Ihr mir gewogen sein und die Härte, die Ihr mir bisher bewiesen habt, aufgeben möget; denn ich gehöre ja nur Euch zu, auf daß ich, von Eurem Mitleid erquickt, sagen könne, Eure Schönheit habe mich zwar in Liebe entzündet, dann aber auch das Leben mir wiedergeschenkt, ein Leben, das unfehlbar verlöschen wird, wenn Euer stolzer Sinn meinen Bitten nicht nachgibt, und als dessen Mörderin Ihr dann nach meinem Tode erscheinen werdet.

Gereichte aber auch nicht mein Tod Euch zu geringer Ehre, so glaube ich doch, Euer Gewissen machte Euch zuzeiten Vorwürfe. Ihr würdet bedauern, so hart gewesen zu sein, und wohl einmal in freundlicherer Gesinnung sagen: Wie übel tat ich doch, mit meinem Zima kein Mitleid gehabt zu haben. Dann aber führte Eure Reue zu nichts und betrübte Euch nur um so mehr. So laßt denn, damit Eure Reue nicht zu spät komme, sie im voraus Euch zum Erbarmen bewegen, derweil Ihr mir noch Hilfe gewähren könnt; denn bei Euch allein steht es, mich zum frohesten und zum betrübtesten Menschen auf der Welt zu machen. Ich hoffe, Eure Huld wird groß genug sein, um es nicht zuzulassen, daß ich als Lohn für so heiße und lange Liebe [240] den Tod empfange; vielmehr werdet Ihr mit freundlicher und liebevoller Antwort meine Lebensgeister beruhigen, die ganz verwirrt sind und bei Eurem Anblick zittern.«

Hierauf schwieg Zima, und während er auf eine Antwort der edlen Dame wartete, folgten seinen tiefen Seufzern einige Tränen, die von den Augen niedertropften. So wenig nun seine langen Bemühungen, seine Waffenspiele, die Morgenständchen und die vielen andern Dinge, die Zima ihr zuliebe unternommen, sie zu bewegen vermocht hatten, so sehr ergriffen sie nun doch die liebevollen Worte, die der leidenschaftliche Liebhaber zu ihr sprach, und sie begann zu fühlen, was sie nie zuvor gefühlt hatte, was nämlich Liebe sei. Obgleich sie nun, um den Befehlen ihres Mannes Folge zu leisten, schwieg, konnten nichtsdestoweniger ihre verstohlenen Seufzer nicht verbergen, was sie in Worten Zima offenbart hätte. Als Zima einige Zeit auf die Antwort gewartet hatte und diese immer noch nicht erfolgte, wunderte er sich. Dann aber begann er die List zu erraten, welche der Edelmann ihm gegenüber angewendet hatte. Als er nun seiner Dame weiterhin ins Gesicht schaute und ihre Augen mehr als einmal bei seinem Anblick liebevoll aufblitzten, auch der Seufzer achtete, die sie nur mit gedämpfter Kraft aus ihrer Brust emporsteigen ließ, faßte er wieder einige Hoffnung und entschloß sich mit deren Hilfe zu einem andern Versuch. Er begann sich nämlich im Namen der Dame, die ihm zuhörte, folgendermaßen selbst zu antworten:

»Mein lieber Zima, wahrlich, schon seit langer Zeit bin ich inne geworden, daß deine Liebe zu mir sehr feurig und von edler Art ist. Nun erkenne ich es aus deinen Worten noch viel deutlicher und freue mich dessen, wie es recht ist. Bin ich dir übrigens bisher hart und grausam erschienen, so wünsche ich nicht, daß du glaubst, ich sei im Herzen ebenso gesinnt gewesen, wie mein Antlitz sich gezeigt hat. Ich habe dich vielmehr immer vor allen andern Männern geliebt und wert gehalten, mußte mich aber aus Furcht vor einem andern und aus Besorgnis um meinen Ruf so benehmen, wie ich es tat. Jetzt aber kommt die Zeit, wo ich dir deutlich werde zeigen können, ob ich dich liebe, und wie ich dich für die Liebe zu lohnen imstande bin, die du für mich empfunden hast und noch empfindest. [241] So freue dich denn und sei guter Hoffnung, denn Herr Francesco ist, wie du weißt, im Begriff, in wenigen Tagen als Stadtvogt nach Mailand zu gehen, wozu du ihm ja selbst mir zuliebe dein schönes Pferd geschenkt hast. Sobald er abgereist sein wird, verspreche ich dir unfehlbar bei meiner Ehre und bei der warmen Liebe, die ich für dich empfinde, daß du in wenigen Tagen mit mir allein sein sollst und wir alsdann unsere Liebe zu völligem und ergötzlichem Ziele führen wollen. Und damit ich dir in dieser Sache nicht noch einmal eine Botschaft zu schicken brauche, so sage ich dir jetzt: sobald du eines Tages zwei ausgebreitete Handtücher am Fenster meiner Schlafkammer, die auf den Garten hinausgeht, hängen siehst, so komme an diesem Abend, wenn es dunkel geworden ist, durch die Gartentür zu mir herauf; doch sei vorsichtig, daß du von niemandem gesehen wirst. Dann sollst du mich finden. Ich werde deiner schon warten, und wir werden beide die ganze Nacht über soviel Freude und Vergnügen aneinander haben, wie wir es nur wünschen.«

Als Zima im Namen der Dame also gesprochen hatte, fing er wieder an, für sich zu reden und antwortete: »Vielgeliebte Dame, das unendliche Entzücken über Eure gute Antwort hat alle meine Kräfte so befangen, daß ich kaum vermag, zum Dank, den ich Euch sagen möchte, die rechten Worte zu finden. Könnte ich aber reden, wie ich es wünschte, so wäre mir keine Frist weit genug, um den vollen Ausdruck meines Dankes, meinem Gefühl und meiner Pflicht entsprechend, in sich zu fassen, wie er meinem Gefühl und meiner Pflicht entspräche. So muß ich es nun Eurem verständigen Ermessen überlassen, das zu erkennen, was ich trotz meiner Wünsche in Worten nicht zu sagen vermag. Nur das erwidere ich Euch: wie Ihr mir anbefohlen habt, so denke ich unfehlbar zu tun, und wenn ich dann vielleicht beruhigter bin, werde ich mir Mühe geben, für das unaussprechliche Geschenk, das Ihr mir gewährt habt, Euch nach Kräften so sehr zu danken, wie ich nur immer kann. Nun habe ich für jetzt nichts weiter zu sagen, und darum, meine geliebteste Dame, gebe Euch Gott das Schönste und Beste, was Ihr an Glück und Freude ersehnt, und somit lebet wohl.«

Zu alldem sagte die Dame kein Wort, weshalb nun Zima aufstand [242] und zu dem Edelmann zurückkehrte. Als dieser die Sitzung aufgehoben sah, ging er ihm entgegen und sagte lachend: »Nun, was meinst du, habe ich mein Versprechen gut gehalten?« »Nein, Herr«, antwortete Zima. »Ihr verspracht mir, mich mit Eurer Gattin reden zu lassen, und ich habe zu einem Marmorbild sprechen müssen.« Diese Rede war dem Edelmann äußerst willkommen; denn wie gut auch seine Meinung von der Frau gewesen war, so wurde sie doch hierdurch noch vermehrt. »Genug«, sagte er, »das Pferd gehört nun mir, das bisher dein war«; worauf Zima antwortete: »Freilich, Herr. Hätte ich aber gedacht, daß die Gunst, die Ihr mir gestattet habt, solche Früchte trüge, wie sie es getan hat, so hätte ich, ohne sie mir erst zu erbitten, Euch lieber gleich das Roß geschenkt. Wollte Gott, ich hätte so gehandelt; denn jetzt habt Ihr den Gaul gekauft, ich aber habe ihn nicht verkauft.« Der Edelmann lachte darüber und reiste nun, da er ein Pferd hatte, wenige Tage später ab und ging nach Mailand, um Stadtvogt zu werden.

Als die Dame nun im Hause ihre eigene Herrin war, sagte sie wohl bei sich selbst, wenn sie an die Worte des Zima, an seine große Liebe zu ihr und an das Pferd dachte, das er um ihretwillen weggeschenkt hatte, und wenn sie ihn dann so oft wieder an ihrem Hause vorübergehen sah: »Was tue ich? Warum verliere ich meine Jugendzeit? Der ist nach Mailand gegangen und kommt in den nächsten sechs Monaten nicht wieder. Wann wird er sie mir je ersetzen? Etwa wenn ich alt bin? Und überdies, wann werde ich je wieder so einen Verehrer wie Zima finden? Ich bin allein und brauche mich vor niemand zu fürchten. Ich weiß nicht, warum ich mir die guten Tage, die ich mir machen kann, entgehen lassen soll. Ich werde nicht immer die Freiheit haben, die ich jetzt habe. Niemand wird etwas davon erfahren, und käme es am Ende doch heraus, so ist es besser, Genossenes zu bereuen, als zu bereuen, daß man nichts genossen hat.«

Als sie so mit sich selbst zu Rate gegangen war, hängte sie eines Tages, wie es Zima gesagt hatte, zwei Handtücher zum Gartenfenster hinaus. Zima, hocherfreut als er sie sah, ging, sobald die Nacht angebrochen war, heimlich und allein zur Tür des Gartens seiner Dame. Er fand sie offen, und als er schnell [243] hindurchgegangen war, erwartete die Edeldame ihn schon an der Haustür. Sie ging ihm entgegen und empfing ihn mit dem Ausdruck der größten Freude. Er aber folgte ihr unter hunderttausend Umarmungen und Küssen die Treppe hinauf. Ohne ferner zu zögern, legten sie sich nieder und beeilten sich, das letzte Ziel der Liebe zu erreichen. Dieses Mal war aber nicht, wie es das erste gewesen, auch das letzte; denn solange der Edelmann in Mailand war und auch nach seiner Rückkehr, besuchte Zima zum großen Vergnügen beider Teile seine Dame noch vielmals.

Sechste Geschichte

Ricciardo Minutolo liebt die Gattin des Filippello Fighinolfi. Er erfährt, daß sie eifersüchtig auf ihren Mann ist, spiegelt ihr vor, Filippello werde am nächsten Tag mit seiner, Ricciardos, Frau in einem Bade zusammentreffen, und erreicht, daß sie hingeht. Während sie glaubt, mit ihrem Manne zusammen gewesen zu sein, findet sich, daß sie bei Ricciardo gelegen hat.


Elisa hatte nichts mehr zu sagen, als die Königin, nachdem sie Zimas Schlauheit gelobt hatte, der Fiammetta gebot, mit einer anderen Geschichte fortzufahren. Mit freundlichem Lächeln erwiderte diese: »Gern, Madonna«, und begann:

Wir wollen uns ein wenig von unserer Vaterstadt entfernen, die, wie an allen andern Dingen, so auch an Beispielen jeder Art reich ist, und uns, wie es schon Elisa getan hat, etwas mit den Geschichten beschäftigen, die sich in der übrigen Welt zugetragen haben. So will ich mich denn nach Neapel versetzen und euch erzählen, wie eine von den Scheinheiligen, die so spröde gegen die Liebe tun, durch die List ihres Liebhabers dahin gebracht ward, die Früchte der Liebe zu kosten, noch ehe sie deren Blüten erkannt hatte. Diese Geschichte wird euch zugleich für künftige, mögliche Fälle vorsichtig machen und im Gedanken an vergangene ergötzen.

In der uralten Stadt Neapel, die wohl ebenso anmutig ist oder anmutiger als irgendeine andere in Italien, lebte einst ein [244] junger Mann, der sich durch edle Abkunft und großen Reichtum auszeichnete und Ricciardo Minutolo hieß. Obgleich dieser nun selbst eine sehr schöne und liebenswürdige junge Frau hatte, verliebte er sich doch in eine andere, die nach allgemeinem Dafürhalten an Schönheit alle Neapolitanerinnen um vieles übertraf. Sie hieß Catella, war äußerst sittsam und mit einem jungen Manne vermählt, der Filippello Fighinolfi hieß, ebenfalls von Adel war und sie über alles liebte und wert hielt. Ricciardo Minutolo, der in seiner Liebe zu Catella alles mögliche tat, wodurch man die Neigung einer Dame zu erwerben pflegt, und dennoch nichts erlangen konnte, das seinen Wünschen entsprochen hätte, war der Verzweiflung nahe. Da ihm Geschick und Kraft fehlten, sich von dieser Liebe loszumachen, wußte er weder zu sterben, noch freute es ihn zu leben.

Während er sich nun in dieser Stimmung befand, geschah es, daß einige Damen, die mit ihm verwandt waren, ihn nachdrücklich ermahnten, er möge diese Liebe aufgeben, seine Mühe sei doch umsonst, denn Catella kenne kein anderes Glück auf der Welt als ihren Filippello, den sie so eifersüchtig liebe, daß sie von jedem Vogel in der Luft fürchte, er möge ihn ihr wegnehmen.

Kaum hatte Ricciardo von Catellas Eifersucht gehört, so faßte er seinen Wünschen gemäß einen neuen Entschluß. Er begann sich nämlich zu stellen, als gebe er die Liebe zu Catella auf und habe sein Herz statt dessen einer andern Edeldame geschenkt, der zu Ehren er denn auch Waffenübungen und Turniere und alles andere anstellte, was er sonst zu Ehren der Catella unternommen hatte. Er hatte dergleichen auch noch nicht lange getan, so war ganz Neapel und auch Catella der Meinung, daß er nicht mehr diese, sondern jene andere Dame auf das feurigste liebte. In diesem Benehmen verharrte er so lange, bis die Meinung von allen für unfehlbar gehalten wurde. Nicht nur von allen andern zu schweigen, Catella selbst ließ von einer gewissen Sprödigkeit ab, welche sie wegen seiner Liebe zu ihr angenommen hatte, und grüßte ihn freundlich als ihren Nachbarn, wie sie andere grüßte, wenn sie kam oder ging.

Nun geschah es, daß während der großen Hitze viele Gesellschaften [245] von Rittern und Damen nach neapolitanischer Sitte am Meeresstrand spazierten, um sich dort zu ergötzen und Mittag- oder Abendbrot zu genießen. Sobald Ricciardo wußte, daß Catella mit ihrer Gesellschaft dorthin gegangen war, begab er sich mit einigen seiner Bekannten an den gleichen Ort. Hier wurde er nun eingeladen, sich der aus Damen bestehenden Gesellschaft Catellas anzuschließen. Doch nahm er die Aufforderung erst an, nachdem er sich lange hatte bitten lassen, wie wenn er keine besondere Lust hätte, dort zu bleiben. Bald begannen die Damen, und unter ihnen vor allem Catella, ihn seiner neuen Liebe wegen zu necken. Er aber stellte sich gar sehr entflammt und gab ihnen dadurch nur Anlaß zu neuen Scherzen. Als man indessen weiterspazierte, verlor sich, wie es an jenem Ufer zu geschehen pflegt, die eine Dame dorthin, die andere dahin. Nachdem sich Ricciardo zuletzt bis auf wenige andere mit Catella allein sah, ließ er gegen sie ein Wort von einer gewissen Liebschaft ihres Gatten Filippello fallen, das sogleich ihre Eifersucht erweckte und sie vor Begierde, zu hören, was Ricciardo ihr zu sagen hätte, innerlich ganz entbrennen ließ. Eine Zeitlang versuchte sie, sich zurückzuhalten; dann aber vermochte sie es nicht mehr und beschwor Ricciardo bei seiner Liebe zu der Dame, die ihm am teuersten sei, sie über das aufzuklären, was er von Filippello gesagt habe.

Jener antwortete: »Ihr habt mich bei etwas so Teurem beschworen, daß ich Euch nicht zu verweigern weiß, was Ihr von mir fordert. Und so bin ich denn bereit, Euch Auskunft zu geben, wenn Ihr mir zuvor versprecht, daß Ihr weder gegen Euern Gatten noch gegen sonst jemand ein Wort darüber sagen wollt, bevor Ihr Euch nicht selbst durch den Augenschein überzeugt habt, daß das, was ich Euch erzählen werde, auch wahr sei. Und begehrt Ihr das, so will ich Euch zu dem letzteren Gelegenheit geben.« Der Dame gefiel die Forderung des Ricciardo, um derentwillen sie seine Reden für desto wahrer hielt, und sie schwor ihm, niemals davon zu sprechen.

Nachdem sie nun, um von den anderen nicht gehört zu werden, auf die Seite gegangen waren, begann Ricciardo also zu sprechen: »Madonna, liebte ich Euch noch, wie ich Euch einst geliebt habe, so hätte ich nicht den Mut, Euch etwas zu sagen, [246] wovon ich glaubte, daß es Euch Verdruß bereiten könnte. Nun aber, da jene meine Liebe vorüber ist, werde ich weniger ängstlich sein, Euch in allem die Wahrheit zu eröffnen. Ich weiß nicht, ob den Filippello jemals die Liebe, die ich für Euch empfand, verdrossen haben mag, oder ob er sich eingebildet hat, ich sei irgendeinmal von Euch geliebt worden. Wie dem auch sei, mir gegenüber hat er sich dergleichen niemals etwas anmerken lassen. Jetzt aber, vielleicht nachdem er so lange gewartet hat, bis er glauben mochte, ich werde am ehesten unbesorgt sein, läßt er deutlich die Absicht erkennen, mir das anzutun, was ich seiner Meinung nach zweifellos ihm getan habe: er will nämlich, daß meine Frau ihm zu Willen sei. Soviel ich weiß, hat er sie seit gar nicht langer Zeit insgeheim mit Anträgen bestürmt. Ich habe von alldem sogleich erfahren, und sie hat ihm alles geantwortet, was ich selbst ihr aufgetragen habe. Diesen Morgen erst, ehe ich hierherkam, fand ich zu Hause ein Frauenzimmer heimlich mit meiner Frau reden, und ich dachte mir gleich, sie müsse sein, was sie hernach wirklich war. Darum rief ich meine Frau und fragte sie, was jene haben wollte. ›Es ist wieder das Geplage von dem Filippello, den du mir mit deinem Antworten und Hoffnungmachen auf den Hals geladen hast, und nun läßt er bestellen, er wolle durchaus wissen, was ich zu tun gedenke; wenn ich wolle, könne er es einrichten, daß ich heimlich mit ihm in einem hiesigen Bade zusammenkomme, und darum bittet er mich nun gar sehr. Hättest du mich aber nicht, Gott weiß warum, gezwungen, auf diesen Handel einzugehen, so hätte ich ihn mir schon auf eine Weise vom Halse geschafft, daß er nie wieder nach mir hätte hinsehen sollen.‹ Das schien mir denn doch etwas zu weit zu gehen, um noch geduldet zu werden, weshalb ich auch beschloß, es Euch zu sagen, damit Ihr erfahrt, wie Euere aufrichtige Treue, um derentwillen ich einst dem Tode nahe war, belohnt wird.

Auf daß Ihr aber nicht etwa glauben möchtet, das seien nur Worte und Fabeleien, sondern imstande wäret, die Wahrheit offenbar zu sehen und mit Händen zu greifen, wenn Ihr Lust dazu bekämet, hieß ich meine Frau der Botin, die auf sie wartete, antworten, sie wäre bereit, morgen nachmittag, wenn die Leute schliefen, in das Bad zu kommen, worauf denn diese sehr [247] zufrieden wegging. Nun denke ich, Ihr werdet wohl nicht glauben, daß ich sie hinschicke. Wäre ich aber an Eurer Stelle, so würde ich es so einrichten, daß er mich an der Stelle derjenigen fände, die er dort zu finden glaubt, und wäre ich dann eine Zeitlang mit ihm zusammengewesen, so zeigte ich ihm, wen er umarmt hat, und sagte ihm die Artigkeiten, die ihm gebührten. Tätet Ihr das, dann müßte er sich, wie ich glaube, so sehr schämen, daß der Schimpf, den er Euch und mir antun will, zu gleicher Zeit gerächt wäre.«

Als Catella das vernahm, glaubte sie auf der Stelle den Worten Ricciardos, nach der Art der Eifersüchtigen unbekümmert darum, wer ihr das erzählt und welchen Betrug sie von seiner Seite zu erwarten hatte. Auch war sie sogleich geschäftig, gewisse kleine Ereignisse, die früher vorgefallen waren, damit zusammenzureimen. So antwortete sie denn, von jähem Zorne entflammt, sie werde gewiß so tun, es koste sie auch keine große Überwindung, und wenn er hinkomme, wolle sie ihn auf eine Weise beschämen, daß er sich sein ganzes Leben lang daran erinnern solle, sooft er ein Frauenzimmer zu sehen bekäme. Ricciardo war damit sehr zufrieden. Überzeugt, daß sein Plan gut sei und einen günstigen Fortgang nehme, bestärkte er sie noch mit vielen andern Worten in ihrem Vorhaben und festigte dadurch ihren Glauben. Zugleich aber bat er sie, niemals zu sagen, daß sie es von ihm erfahren habe, was sie ihm auch bei ihrer Ehre versprach.

Am folgenden Morgen ging Ricciardo zu dem dienstfertigen Weibe, das die Bäder hielt, die er der Catella angegeben hatte, machte sie mit seiner Absicht vertraut und bat sie, ihm in dieser Angelegenheit so hilfreich wie möglich zu sein. Diese Frau, die ihm von früher her viel Dank schuldete, versicherte, alles gerne tun zu wollen, und verabredete nun mit ihm, was zu tun und zu sagen sei. Nun hatte sie in ihrem Badehaus ein sehr dunkles Zimmer, dem es an einem Fenster oder einem anderen Lichtloch vollständig fehlte. Dieses machte die gute Frau nach der Anweisung Ricciardos zurecht und stellte das beste Bett, das sie auftreiben konnte, hinein, in welches sich Ricciardo, nachdem er gegessen hatte, legte, um die Dame zu erwarten.

Diese aber war, als sie die Worte Ricciardos gehört und [248] ihnen mehr Glauben beigemessen hatte, als sie verdienten, voller Zorn nach Hause zurückgekehrt. Zufällig kam Filippello, gerade an dem Abend auch mit anderen Gedanken beschäftigt, nach Hause und tat deshalb vielleicht nicht ganz so freundlich mit ihr, wie er sonst zu tun gewohnt war. Wie sie das bemerkte, wurde ihr Verdacht noch um vieles stärker, als er es zuvor schon gewesen war, und sie sagte bei sich selbst: »Wahrhaftig, der hat nur das Weib im Kopfe, mit dem er sich morgen Lust und Vergnügen verspricht; daraus soll aber gewiß nichts werden.« Mit solchen Gedanken und mit dem Grübeln über das, was sie ihm sagen wollte, nachdem er sie umarmt hatte, beschäftigte sie sich beinahe die ganze Nacht.

Um es kurz zu machen, so rief Catella, als die dritte Nachmittagsstunde gekommen war, ihre Dienerin und ging, ohne ihren Vorsatz irgend zu ändern, nach dem Bade, das Ricciardo ihr bezeichnet hatte. Hier fand sie jene gute Frau und fragte, ob Filippello an dem Tage schon dagewesen sei. Die Frau, die von Ricciardo unterrichtet worden war, antwortete: »Seid Ihr die Dame, die herkommen soll, um mit ihm zu reden?« Catella antwortete: »Ja, die bin ich.« »Nun«, sagte die gute Frau, »so geht nur zu ihm hinein.« Catella, die suchte, was sie lieber nicht gefunden hätte, ließ sich zu der Kammer führen, in der Ricciardo sich befand, trat mit verschleiertem Gesicht ein und schloß die Tür hinter sich zu. Als Ricciardo sie kommen sah, stand er freudig auf, nahm sie in seine Arme und sagte leise: »Willkommen, mein liebes Herz.« Catella, die Wert darauf legte, für eine andere gehalten zu werden, umarmte und küßte ihn und erwies ihm die größten Zärtlichkeiten, jedoch ohne ein Wort zu reden; denn sie fürchtete, erkannt zu werden, wenn sie spräche. Die Kammer war sehr dunkel, womit denn beide Teile sehr zufrieden waren, und selbst durch längeren Aufenthalt gewannen ihre Augen darin keine größere Kraft. Ricciardo führte sie zum Bette, und ohne ihre Stimmen zum Verräter werden zu lassen, verweilten sie hier zu ihrer beider Lust und Wonne eine geraume Zeit.

Als es aber endlich der Catella Zeit zu sein schien, den aufgespeicherten Groll loszulassen, begann sie, von glühendem Zorne entbrannt, also zu reden: »Ach, wie elend ist doch das [249] Geschick der Frauen, und mit welchem Unrecht wenden viele ihre Liebe ihren Ehemännern zu. Ich Unglückliche, acht Jahre sind es nun, seit ich dich mehr als mein Leben liebe, und du Bösewicht, du schändlicher Mensch, du glühst und verzehrst dich nun, wie ich eben erfahren habe, in der Liebe zu einem fremden Frauenzimmer. Wen denkst du denn umarmt zu haben? Die hast du umarmt, die du schon seit langem mit falschen Schmeichelreden und erheuchelter Liebe betrogen hast, während du eine andere liebtest. Ich bin Catella, du ruchloser Verräter, und nicht Ricciardos Frau. Ich bin es ganz gewiß, und du wirst mich an der Stimme wohl erkennen. Ich aber kann es nicht abwarten, bis wir im Hellen sind, um dich geilen, räudigen Hund zu beschämen, wie du es verdienst. Ach, ich unglückliches Weib, wem habe ich nun so viele Jahre lang treue Liebe bewahrt? Diesem ruchlosen Hunde, der mir jetzt, da er ein fremdes Frauenzimmer zu umarmen meinte, in den wenigen Augenblicken, die ich mit ihm zusammen war, mehr Liebkosungen und Schmeicheleien erwiesen hat als während der ganzen Zeit, da ich seine Frau bin. Ja, du abtrünniger Hund, heute hast du dich anstrengen können, und zu Hause bist du gewohnt, dich schwächlich, matt und unbrauchbar zu stellen. Aber gottlob, du hast nicht einen fremden Acker, wie du dachtest, sondern deinen eigenen gepflügt. Nun wundere ich mich nicht, daß du mich diese Nacht nicht anrührtest. Du dachtest, deine Ladung anderswo abzusetzen, und wolltest gern als ein wackerer Ritter ins Feld rücken. Aber, Gott und meiner Klugheit sei es Dank, diesmal ist der Fluß noch in seinem rechten Bette geblieben. Nun, was antwortest du nicht, du schändlicher Mensch? Warum bringst du keine Silbe vor? Bist du stumm geworden bei meinen Worten? Wahrhaftig, ich weiß nicht, was mich abhält, dir mit den Nägeln ins Gesicht zu fahren und dir die Augen auszureißen. Du dachtest mir diesen Streich gar heimlich zu spielen, aber, bei Gott, was einer weiß, erfährt der andere, und so ist es dir nicht gelungen. Ich hatte bessere Hunde auf deiner Fährte, als du dir denken mochtest.«

Ricciardo freute sich innerlich über diese Worte und küßte und umarmte sie immerfort, ohne ein Wort zu sagen, und tat mit ihr nur noch schöner als zuvor. Deshalb fuhr sie in ihrer [250] Rede fort und sagte: »Du denkst wohl, mit deinen erlogenen Liebkosungen mich zu bestechen, du widerwärtiger Hund, du denkst mich wohl zu beruhigen und wieder sanft zu machen? Da irrst du dich aber. Nicht eher werde ich dich mit dieser Geschichte zufrieden lassen, als bis ich öffentlich in Gegenwart aller unserer Verwandten, Nachbarn und Freunde dich ausgeschimpft habe. Und bin ich denn nicht etwa ebenso schön wie Ricciardo Minutolos Frau? Bin ich nicht aus ebenso guter Familie? Warum antwortest du nicht, du garstiger Hund? Was hat sie denn vor mir voraus? Weg mit dir, und unterstehe dich nicht mehr, mich anzurühren; du hast dich heute schon zu sehr angestrengt. Ich weiß ja nun doch nur zu genau, daß du dir Gewalt antun müßtest, wenn du mit mir etwas anfangen wolltest, seit du mich erkannt hast. Aber so wahr mir Gott helfe, ich werde dich noch nach mir hungern lassen. Ich weiß auch nicht, was mich abhält, mir den Ricciardo zu holen, der mich mehr als sich selbst geliebt hat und sich nicht rühmen kann, daß ich ihn einmal angesehen hätte. Wahrlich, niemand könnte mich darum tadeln. Du aber hast gedacht, seine Frau hier zu genießen, und was dich und deinen Willen betrifft, so ist es so gut, als ob es geschehen wäre. Du hättest also gewiß kein Recht, mir etwas vorzuwerfen, wenn ich mich mit ihm einließe.«

Auf solche Weise redete die Dame lange und beschwerte sich sehr. Endlich aber bedachte Ricciardo, welch großes Übel daraus entstehen könnte, wenn er sie in dieser Meinung gehen ließe, und so entschloß er sich, sie aus ihrem Irrtum zu reißen und sich ihr zu entdecken. Nachdem er sie also wieder in den Arm genommen hatte und so fest umschlungen hielt, daß sie sich nicht befreien konnte, sagte er: »Zürnt nicht, mein liebes Leben. Was ich durch Liebe allein von Euch nicht erlangen konnte, hat Liebe mit List gepaart mich gewinnen lassen. Ich bin Euer Ricciardo.«

Als Catella das hörte und ihn an der Stimme erkannte, wollte sie sogleich aus dem Bett springen, konnte sich aber nicht losmachen. Dann wollte sie schreien, aber Ricciardo verschloß ihr mit der einen Hand den Mund und sagte: »Madonna, es ist nun einmal unmöglich, das ungeschehen zu machen, was geschehen ist, und wenn Ihr auch Euer ganzes Leben lang schrieet. [251] Wollt Ihr aber schreien oder sonst auf irgendeine Weise jemand mitteilen, was zwischen uns vorgefallen ist, so wird das zwei Folgen haben. Die erste – und sie kann Euch unmöglich gleichgültig sein – ist, daß Eure Ehre und Euer guter Ruf zugrunde gehen. Möget Ihr immerhin sagen, ich habe Euch durch List hierher gelockt, so behaupte ich, es sei nicht wahr. Ihr seiet um Geld und Geschenke, die ich Euch versprochen, hierhergekommen, und Ihr habet diesen Lärm und Zank nur deshalb erhoben, weil Ihr zornig geworden wäret, daß ich Euch jene Geschenke nicht so reichlich gegeben, wie Ihr erhofft hättet. Und da Ihr wißt, daß die Leute immer eher das Böse als das Gute glauben, wird man viel mehr meinen Worten als Euren vertrauen. Außerdem wird daraus zwischen Eurem Mann und mir eine tödliche Feindschaft entstehen, und es könnte sich leicht treffen, daß ich ihn ebenso bald ums Leben brächte wie er mich, was Euch dann wieder ebensowenig Freude wie Vorteil gewähren dürfte. Und so bitte ich denn Euch, mein liebes Herz, nicht zugleich Euch selbst zu beschimpfen und Euren Mann und mich in Gefahr und Streit zu bringen. Ihr seid nicht die erste und werdet auch nicht die letzte sein, die betrogen wird. Auch habe ich Euch nicht betrogen, um Euch das Eurige zu nehmen, sondern ich tat es aus übermäßiger Liebe, die ich zu Euch hege und immer als Euer demütiger Diener zu hegen wünsche. Denn obgleich schon seit langer Zeit ich und alles, was mir gehört, was ich gelte und vermag, Euch zugehört und Eurem Dienste gewidmet ist, so denke ich doch, dies alles soll von nun an noch viel mehr als je der Fall sein. Ihr seid in andern Dingen so verständig, daß ich gewiß bin, Ihr werdet es auch diesmal sein.«

Catella weinte, während Ricciardo diese Worte sprach, heftig. So erzürnt sie aber war und so sehr die Sache sie verdroß, so war sie doch vernünftig genug, den wahren Worten Ricciardos Raum zu geben und einzusehen, daß es sich leicht so zutragen könnte, wie er ihr voraussagte. Deshalb erwiderte sie: »Ricciardo, ich weiß bei Gott nicht, wie ich es anfangen soll, um das zu erdulden, was du mir an Schimpf und Betrug angetan hast. Hier, wohin mich meine Einfalt und übermäßige Eifersucht geführt haben, will ich nun nicht weiter Lärm machen. Aber sei überzeugt, daß ich nicht eher froh werde, als bis [252] ich mich auf die eine oder andere Weise für den Streich, den du mir gespielt hast, gerächt sehe. Darum laß mich endlich los und halte mich nicht mehr. Du hast deinen Zweck erreicht und mich übel genug zugerichtet. Nun ist es Zeit, daß du mich läßt, und ich bitte dich, laß mich los.«

Ricciardo ersah aus diesen Worten, daß sie noch sehr aufgebracht war; er aber hatte sich vorgesetzt, sie nicht eher loszulassen, als bis sie sich gutwillig gefügt. Deshalb fing er wieder an, ihr mit den besten Worten zuzureden und sprach und bat so lange und beschwor sie so sehr, daß sie endlich nachgeben und mit ihm Frieden machen mußte. Darauf blieben sie noch, jetzt mit beiderseitigem Willen und großem Vergnügen, eine gute Weile beisammen. Und da nun die Dame bei dieser Gelegenheit sich überzeugte, wieviel wohlschmeckender die Küsse des Geliebten als die des Gemahls waren, verwandelte sie ihre Härte gegen den Ricciardo in süße Liebe, wandte ihm von diesem Tag an ihr ganzes Herz zu und wußte es mit vieler Vorsicht so einzurichten, daß sie noch viele Male sich ihrer Liebe erfreuen konnten. Gott gewähre uns die Freuden der unsrigen!

Siebente Geschichte

Tedaldo verläßt Florenz im Unfrieden mit seiner Geliebten. Nach einiger Zeit kehrt er, als Pilger verkleidet, zurück, spricht mit ihr, bringt sie zur Erkenntnis ihres Unrechts, rettet ihren Mann, der des Mordes an ihm überführt ist, vor dem Tode, versöhnt ihn dann mit seinen Brüdern und erfreut sich mit der Geliebten in aller Vorsicht des Glücks der Liebe.


Schon schwieg Fiammetta, und ihre Geschichte wurde von allen gelobt, als die Königin, um keine Zeit zu verlieren, schnell Emilia das Erzählen übertrug, worauf diese also begann:

Mir beliebt es, wieder in unsere Stadt zurückzukehren, von der meine beiden Vorgängerinnen sich zu entfernen für gut fanden, und euch zu berichten, wie einer unserer Mitbürger seine verlorene Geliebte wiedergewann.

Es lebte nämlich in Florenz ein junger Mann von Adel [253] namens Tedaldo degli Elisei, der in eine Dame, die Monna Ermellina hieß und einen gewissen Aldobrandino Palermini zum Gatten hatte, über die Maßen verliebt war und durch sein musterhaftes Betragen auch wirklich, wie er's verdient hatte, ans Ziel seiner Wünsche gelangte. Diesen Freuden widersetzte sich indes das den Glücklichen feindliche Schicksal. Was auch immer der Grund sein mochte, die Dame, die zuvor mit ihrer Gunst freigebig gegen Tedaldo gewesen war, weigerte sich durchaus, ihm weiter zu Willen zu sein, und wollte ferner sogar keinerlei Botschaft von ihm anhören oder annehmen. Darüber verfiel er in tiefen Trübsinn. So sehr aber war seine Liebe verborgen geblieben, daß niemand die wahre Ursache seiner Traurigkeit erriet. Als er sich nun nach Kräften vielfach bemüht hatte, die Liebe wiederzugewinnen, die er ohne Schuld verloren zu haben glaubte, und alle seine Anstrengungen ohne Erfolg bleiben sah, beschloß er, in die Welt zu fliehen, um derjenigen, welche die Schuld seines Unglücks trug, nicht die Freude zu gewähren, ihn allmählich sich verzehren zu sehen. Zu dem Ende raffte er an Geld zusammen, was er konnte, und verließ insgeheim Florenz, ohne irgendeinem Freunde oder Verwandten, einen Vertrauten ausgenommen, dem er alles mitteilte, von seinem Vorhaben ein Wort zu sagen.

So gelangte er unter dem angenommenen Namen Filippo von Sandoleccio nach Ancona, wo er sich mit einem reichen Kaufmann einigte, sich als Diener bei ihm verdingte und mit ihm auf einem Schiffe nach Zypern fuhr. Sein gutes Betragen und seine einnehmenden Sitten gefielen dem Kaufmann so wohl, daß er ihm nicht nur einen bedeutenden Lohn aussetzte, sondern ihn zu seinem Teilhaber machte und ihm über dies einen großen Teil seiner Geschäfte ganz übergab. Dieser Angelegenheiten nahm sich Tedaldo wieder mit solchem Eifer und so vielem Glück an, daß er nach wenigen Jahren ein geschickter, reicher und berühmter Kaufmann ward. Obgleich er nun bei seinen neuen Geschäften oftmals an seine grausame Dame zurückdachte und sich noch immer schwer von der Liebe verwundet fühlte, auch sehnsüchtig sie wiederzusehen begehrte, so war er doch standhaft genug, sieben Jahre lang siegreich diesen Kampf zu bestehen.

[254] Als es aber eines Tages sich zutrug, daß er in Zypern ein Lied singen hörte, welches er früher gedichtet hatte und in dem die Liebe zu seiner Dame und ihre zu ihm und die Freuden, die sie miteinander genossen, geschildert wurden, da deuchte es ihm unmöglich, daß sie ihn vergessen haben sollte, und er entbrannte in solchem Verlangen, sie wiederzusehen, daß er es nicht länger ertragen konnte und sich entschloß, nach Florenz zurückzukehren. Und so reiste er denn, nachdem er alle seine Angelegenheiten geordnet hatte, mit einem einzigen Diener nach Ancona, von wo aus er seine Sachen sämtlich nach Florenz an einen Freund seines Handelsgenossen sandte, selbst aber heimlich in der Tracht eines vom Heiligen Grabe heimkehrenden Pilgers mit seinem Diener desselben Weges zog.

Als sie in Florenz angelangt waren, kehrte er in einem kleinen Gasthof ein, der zwei Brüdern gehörte und ganz nahe an dem Hause seiner Dame war. Nicht eher aber wollte er sonstwohin gehen, bis er nicht vor ihrem Hause gewesen war und sie zu sehen versucht hatte. Er fand indes Türen und Fenster und alles verschlossen und besorgte, sie möchte ausgezogen oder gar gestorben sein. Nachdenklich hierüber wandte er sich nach der Wohnung seiner Brüder und fand sie daselbst alle vier in Trauerkleidern vor der Tür sitzen. Da ihn dies sehr verwunderte und da ihm bekannt war, seine Gestalt und seine Tracht seien gegen die, welche man vor seiner Abreise an ihm gewohnt war, so verändert, daß er nicht leicht wiedererkannt werden könne, trat er dreist auf einen Schuhmacher zu und fragte ihn, weshalb jene schwarz gingen. Der Schuster antwortete ihm: »Sie gehen schwarz, weil es noch nicht vierzehn Tage her ist, daß einer ihrer Brüder, der lange fort gewesen war und Tedaldo hieß, ermordet worden ist. Und wenn mir recht ist, so habe ich gehört, sie hätten vor Gericht bewiesen, daß einer namens Aldobrandino Palermini, der auch gefangen sitzt, ihn umgebracht habe, weil jener seiner Frau gut und, um bei ihr sein zu können, unerkannt heimgekehrt war.« Tedaldo verwunderte sich ausnehmend, wie jemand ihm so sehr gleichen sollte, daß er für ihn gehalten worden sei, und bedauerte das Unglück des Aldobrandino.

Nachdem er nun noch erfahren hatte, seine Dame sei gesund [255] und am Leben, kehrte er, als es schon Nacht geworden war, den Kopf voll mancherlei Gedanken, in die Herberge zurück. Er aß mit seinem Diener zu Abend, und dann wurde ihm im obersten Stockwerk des Hauses ein Schlafkämmerchen angewiesen. Teils der vielen Gedanken, teils des schlechten Bettes wegen, vielleicht auch weil das Abendessen sehr mager gewesen war, konnte er, als schon die halbe Nacht vorüber war, immer noch nicht einschlafen. Wie er nun so wachte, glaubte er vom Dach her Leute in das Haus einsteigen zu hören, und gleich darauf sah er durch die Ritzen der Kammertür ein Licht die Treppe heraufkommen. Er stand leise auf und legte das Auge an die Spalte, um zu sehen, was das bedeuten solle. Da sah er, wie ein recht hübsches junges Mädchen das Licht in den Händen hielt und wie drei Männer, die vom Dach heruntergestiegen waren, auf es zukamen. Nachdem sie sich bewillkommnet hatten, sagte der eine: »Gottlob, nun können wir ruhig sein; denn wir wissen bestimmt, daß der Mord des Tedaldo Elisei von dessen Brüdern dem Aldobrandino Palermini bewiesen und von diesem eingestanden, das Urteil auch schon ausgefertigt ist. Das hindert aber nicht, daß wir noch ferner schweigen müssen; denn erführe man jemals, daß wir es gewesen sind, so hätten wir dasselbe zu befürchten, was jetzt dem Aldobrandino bevorsteht.« Nach diesen Worten, über die das Mädchen die größte Freude bezeigte, stiegen sie die Treppe hinunter und gingen schlafen.

Tedaldo aber war bei dem, was er gehört hatte, aufmerksam darauf geworden, wie vielfach und groß die Irrtümer sind, denen der menschliche Verstand ausgesetzt ist. Zuerst dachte er daran, wie seine Brüder einen Fremden statt seiner beweint und begraben und wie sie dann des irrigen Verdachts wegen einen Unschuldigen angeklagt und durch falsche Zeugen dessen bevorstehenden Tod herbeigeführt hätten. Ferner aber dachte er der blinden Strenge der Gesetze und der Richter, welche im Eifer, die Wahrheit zu erforschen, sich oft so verhärten, daß sie sich das Falsche beweisen lassen und, während sie sich Diener Gottes und der Gerechtigkeit nennen, in der Tat der Unbilligkeit und des Teufels Schergen sind. Zuletzt aber richtete er seine Gedanken darauf, wie er den Aldobrandino retten könne, und beschloß, was er zu diesem Zwecke tun wollte.

[256] Als er am andern Morgen aufgestanden war, ließ er seinen Diener zurück und ging, sobald es ihm Zeit schien, allein zum Hause seiner Dame. Zufällig fand er die Tür offen, und wie er eintrat, sah er in einem Vorsaal zu ebener Erde die Dame auf dem Boden in tausend Tränen und großer Traurigkeit sitzen. Fast hätte er selbst vor Mitleid geweint. Er trat aber zu ihr und sagte: »Madonna, härmt Euch nicht, der Trost ist nahe.« Als die Dame diese Worte hörte, hob sie das Gesicht und sagte weinend: »Guter Freund, du scheinst mir ein fremder Pilger; was weißt du von Trost und von meiner Betrübnis?« »Madonna«, erwiderte darauf der Pilger, »ich bin aus Konstantinopel und eben erst angelangt, von Gott hierher gesandt, um Eure Tränen in Lachen zu verwandeln und Euren Mann vom Tode zu befreien.« »Wie«, sagte die Dame, »bist du aus Konstantinopel und trafst erst eben hier ein, wie kannst du wissen, wer ich bin und wer mein Mann ist?« Der Pilger begann nun die ganze Geschichte von Aldobrandinos Mißgeschicken von Anfang an zu erzählen und sagte ihr auch ihren eigenen Namen, wie lange sie verheiratet sei und eine Menge anderer, ihm wohlbekannter Umstände, die sie betrafen.

Die Dame wunderte sich sehr darüber, hielt ihn für einen Propheten, warf sich vor ihm auf die Knie und bat ihn um Gottes willen, wenn er zu Aldobrandinos Rettung gekommen sei, möge er sie beschleunigen, denn die Zeit sei kurz. Der Pilger, der sich als besonders frommer Mann gebärdete, sagte: »Madonna, stehet auf und weinet nicht. Merkt vielmehr auf das, was ich Euch sagen werde. Hütet Euch aber wohl, jemand etwas davon wiederzusagen. Soviel Gott mir offenbart hat, ist die Trübsal, welche Ihr erduldet, Euch um einer Sünde willen auferlegt worden, für die Gott Euch zum Teil durch diese Eure Mißgeschicke hat bestrafen wollen und die Ihr im übrigen vollständig abbüßen müßt, wollt Ihr nicht in ein noch größeres Unglück verfallen.«

Darauf sagte die Dame: »Lieber Herr, ich habe der Sünden viele begangen und weiß nicht, welche es ist, von der Gott vorzugsweise verlangt, daß ich sie abbüßen soll. Darum sagt mir's, wenn Ihr es wißt, und ich will tun, was ich vermag, um die Buße zu vollenden.« »Madonna«, erwiderte der Pilger, »ich [257] weiß gar wohl, was für eine Sünde es ist, und fragte Euch nicht, um es von Euch besser zu erfahren, sondern nur um Eure Gewissensbisse durch Euer Bekenntnis zu vermehren. Doch ich will zur Sache kommen. Sagt mir, erinnert Ihr Euch, jemals einen Liebhaber gehabt zu haben?«

Als die Dame dies hörte, seufzte sie tief auf und verwunderte sich sehr; denn sie glaubte nicht, daß jemand etwas von dieser Liebe erfahren hätte, obwohl dergleichen Reden sich in den Tagen, wo der vermeintliche Tedaldo ermordet worden war, in der Stadt verbreitet hatten, weil Tedaldos Vertrauter, der um das Geheimnis wußte, einige unvorsichtige Worte hatte fallen lassen. Sie erwiderte: »Wahrlich, ich sehe, daß Gott Euch die Geheimnisse der Menschen offenbart, und so bin ich denn auch nicht gesinnt, Euch die meinigen vorzuenthalten. Es ist wahr, ich habe in meiner Jugend den Unglücklichen, dessen Tod mei nem Gatten zur Last gelegt wird, zärtlich geliebt und habe auch jetzt meinem Schmerze über diesen seinen Tod freien Lauf gelassen. Denn so streng und unfreundlich ich mich auch vor seiner Abreise gegen ihn erwies, so haben doch weder die Trennung noch die lange Abwesenheit, noch selbst sein unglücklicher Tod sein Bild in meinem Herzen vertilgen können.«

Der Pilger entgegnete hierauf: »Nicht den unglücklichen Jüngling, der jüngst getötet ward, habt Ihr je geliebt, sondern Tedaldo Elisei. Sagt mir aber, was war der Grund, um dessentwillen Ihr Euch gegen ihn erzürntet? Beleidigte er Euch denn jemals?« »Nein«, sagte die Dame, »beleidigt hat er mich wahrlich nie. Meine Entfremdung wurde durch die Worte eines vermaledeiten Pfaffen veranlaßt, bei dem ich einmal zur Beichte ging. Denn als ich ihm von meiner Liebe zu Tedaldo und von unserer Vertraulichkeit erzählte, machte er mir einen Lärm und ein Aufhebens, daß ich mich noch davor fürchte. Er sagte mir, wenn ich das nicht sein ließe, führe ich in den Abgrund der Hölle und in die Feuerqualen, dem Teufel in den Rachen. Darüber erschrak ich nun so sehr, daß ich mich fest entschloß, die Vertraulichkeit Tedaldos nicht mehr zu leiden, und um der Versuchung zu entgehen, wollte ich auch keine Botschaft und keinen Brief mehr von ihm annehmen. Freilich vermute ich, daß ich meinen harten Entschluß aufgegeben hätte, wenn er ausgeharrt [258] hätte, statt verzweifelt davonzugehen und sich zu verzehren; trage ich doch zu nichts in der Welt so großes Verlangen wie zu ihm.«

Der Pilger sagte darauf: »Madonna, dies ist die einzige Sünde, um deretwillen Ihr Trübsal erleidet. Ich weiß gewiß, daß Euch Tedaldo auf keine Weise zur Liebe gezwungen hat. Als Ihr ihn liebgewannet, tatet Ihr es aus freien Stücken, weil er Euch wohlgefiel. Dann kam er, Eurem eigenen Willen gemäß, zu Euch, und Ihr erzeigtet ihm in Eurem weiteren Umgang in Worten und Taten so viel Freundlichkeit, daß, wenn er Euch schon früher liebhatte, seine Liebe sich nun wohl tausendfach vermehrte. Verhielt es sich nun so – und ich weiß, daß es sich so verhalten hat –, was für ein Grund durfte dann vorhanden sein, daß Ihr Euch so feindlich ihm entzoget? Über diese Dinge hättet Ihr im voraus nachdenken müssen, und glaubtet Ihr, sie als ein Verbrechen bereuen zu müssen, so hättet Ihr sie ganz unterlassen sollen. Ihr wurdet die Seinige, wie er der Eurige wurde. Ihr konntet, wie mit allem anderen, das Euch gehört, es allerdings nach Eurem Belieben dahin bringen, daß er nicht mehr der Eurige war; aber Euch ihm, dem Ihr gehörtet, entreißen zu wollen, das war, wenn er nicht seine Einwilligung dazu gegeben hat, ein Raub und ein unziemliches Benehmen.

Nun müßt Ihr wissen, daß ich selbst ein Geistlicher bin. Daher kann ich mich, Euch zu Nutz und Frommen, etwas ausführlicher über die Sitten der Geistlichen auslassen. Für mich ist es nicht, wie für einen andern, unschicklich, und ich sage gern etwas darüber, damit Ihr für die Zukunft eine richtigere Meinung von ihnen haben möget, als ihr sie bisher gehabt. Einst waren allerdings Mönche und Geistliche gar heilige und wackere Leute. Aber die man heute so nennt und die dafür gelten wollen, die haben nichts vom Mönch wie die Kutte. Und selbst die ist keine echte Mönchskutte mehr; denn während diese von den Stiftern der Orden eng und ärmlich und von schlechtem Zeug bestimmt wurde, um einer Seele zu entsprechen, welche die weltlichen Dinge geringschätzte, da der Körper sich in ein so niedriges Gewand hüllte, machen die jetzigen Mönche ihre Kutten weit und kostbar und von feinem, glänzendem Zeuge, geben ihnen dabei eine erlesene und hohepriesterliche Form und [259] entblöden sich dann nicht, in Kirchen und auf Straßen und Plätzen darin herumzustolzieren wie die Weltleute in ihren Kleidern. Und wie der Fischer sich bestrebt, im Flusse so viele Fische wie möglich in seinem Netz zu fassen, so sind auch sie bedacht, in die Fransen und Falten ihrer weiten Gewänder recht viele Betschwestern, Witwen und andere törichte Männer und Weiber zu verwickeln, und kennen außer diesem keine anderen Sorgen, keinen anderen Beruf. Darum haben denn diese Leute in der Tat nicht mehr Mönchskutten, sondern nur noch die Farben der Kutten. Während ehemals die Geistlichen danach strebten, die Menschen zur Seligkeit anzuleiten, streben sie heute nur nach Weibern und Reichtümern und verwenden ihre ganze Sorgfalt schon seit langem nur darauf, durch Lärmen und Schreckbilder die Gemüter der Toren zu entsetzen. Dabei reden sie ihnen vor, daß die Sünden durch Almosen und Messelesen gebüßt würden, damit ihnen, welche nicht aus Frömmigkeit, sondern allein aus niedriger Gesinnung ihre Zuflucht vor Arbeit und Mühe im geistlichen Stande gesucht haben, der eine Brot, der andere Wein bringe und der dritte für Seelen der Verstorbenen Mahlzeiten spende. Nun ist es freilich vollkommen wahr, daß Almosen und Gebete uns helfen, die Sünden abzubüßen. Sähen und wüßten aber diejenigen, die sich ihrer befleißigen, wem sie zugute kommen, so behielten sie viel lieber ihre Geschenke oder würfen sie ebenso vielen Säuen vor.

Weil diese Mönche aber ferner recht wohl wissen, daß, je geringer die Anzahl der Besitzer eines großen Vermögens ist, desto reichlicherer Anteil einem jeden zufällt, so geben sie sich alle Mühe, durch ihr Geschrei und durch ihre Drohungen die andern von dem entfernt zu halten, was sie mit niemand zu teilen wünschen. Sie schelten vor den Leuten die Wollust, damit diese ihr entsagen und die Weiber ihnen allein bleiben mögen. Sie verdammen Wucher und schlechten Erwerb, damit man ihnen auftragen möge, das übel gewonnene Gut wiederzuerstatten, auf daß sie sich bequemere Kutten, Bistümer und einträglichere Prälaturen mit dem Gelde erkaufen können, von dem sie versicherten, daß es seine Besitzer notwendig ins Verderben stürze.

Wirft man ihnen nun dies und was sie sonst noch an Unrecht [260] tun, vor, so bilden sie sich ein, durch die Antwort: ›Handelt nach unseren Worten und nicht nach unseren Taten!‹ sich vollkommen ihrer großen Schuld zu entladen, als ob es den Schafen leichter fiele, standzuhalten und den Feind zu schlagen, als den Hirten. Auch wissen die meisten unter ihnen recht gut, wie viele von denen, die sie mit einer solchen Antwort abfertigen wollen, dieselbe ganz anders verstehen, als sie gemeint war. Die Pfaffen von heutzutage wollen nämlich, nach der Meinung dieser letzteren, daß man nach ihren Reden handle, das heißt, man soll ihnen die Beutel mit Geld füllen, ihnen alle Geheimnisse anvertrauen, Keuschheit bewahren, geduldig sein, Beleidigungen vergeben und des üblen Leumundes sich enthalten – lauter gute, schöne und fromme Sachen; aber warum soll man so handeln? Darum, daß sie tun können, was ihnen nicht gewährt würde, wenn die Laien ebenso täten. Wem ist unbekannt, daß die Faulenzerei ohne Geld nicht bestehen kann? Gibst du nun selbst das Geld zu deinem Vergnügen aus, so wird der Pfaffe in seinem Kloster nicht faulenzen können. Bist du nicht geduldig und vergibst du nicht Beleidigungen, so wird sich der Mönch nicht in dein Haus wagen, um die Ehre deiner Familie anzutasten. Wozu soll ich erst alles ausführen? Gewiß, sooft sie diese Entschuldigungen vorbringen, klagen sie im Auge der Verständigen sich dadurch an. Warum bleiben sie nicht zu Hause und in der Welt, wenn sie sich für unfähig halten, heilig und enthaltsam zu leben? Wollen sie sich aber einmal dem geistlichen Stande widmen, warum befolgen sie dann nicht das heilige Wort des Evangeliums: ›Jesus fing an Gutes zu tun und dann zu lehren‹? Mögen sie denn erst tun und dann andere belehren. Ich habe in meinem Leben gewiß tausend gesehen, die den Hof machen, sich verlieben und nicht nur weltliche, sondern auch Klosterfrauen besuchen und dabei auf der Kanzel gerade den ärgsten Lärm machen. Solchen Menschen sollten wir nachleben? Nun, wer Lust hat, der mag es tun. Gott weiß aber, ob er wohl daran tut.

Aber auch angenommen, der Mönch, der Euch schalt, habe recht gehabt, wenn er sagte, die eheliche Treue zu brechen sei eine sehr große Sünde – so frage ich, ob jemand zu bestehlen nicht eine viel größere ist? Ob es nicht eine viel größere Sünde [261] ist, ihn zu töten oder ihn voller Jammer in die Welt hinauszustoßen? Das wird gewiß ein jeder zugeben. Der vertrauliche Umgang eines Mannes und einer Frau ist eine naturgemäße Sünde; aber Rauben, Töten und Verjagen entspringen aus der Bösartigkeit des Gemüts. Daß Ihr den Tedaldo beraubtet, wenn Ihr Euch, die Ihr freiwillig sein geworden waret, ihm wieder entzoget, ist Euch schon oben einleuchtend gemacht worden. Dann sage ich aber, daß Ihr ihn mordetet; denn an Euch, die Ihr Euch immer grausamer gegen ihn bezeigtet, hat es nicht gelegen, wenn er sich nicht mit eigenen Händen umgebracht hat. Die Gesetze aber bestimmen, daß, wer an einem geschehenen Übel schuld ist, demjenigen gleichsteht, der es durch seine eigene Tat vollbracht hat. Daß Ihr ferner an seinem Exil und seinem siebenjährigen unglücklichen Umherirren schuld seid, das läßt sich gar nicht leugnen. Und so habt Ihr denn in einem jeden dieser drei Fälle eine viel größere Sünde begangen, als indem Ihr ihm Euren Umgang gewährtet.

Aber verdiente nicht vielleicht Tedaldo eine solche Behandlung? Gewiß, er verdiente sie nicht. Ihr selbst habt das schon gestanden, und ich weiß auch außerdem, daß er Euch mehr als sich selbst liebte. Niemals ist ein Gegenstand so geehrt, erhoben und gefeiert worden, wie er es, vorzugsweise vor allen andern Damen, mit Euch tat, wenn der Ort es ihm erlaubte, frei und ohne Verdacht zu wecken, von Euch zu reden. Sein ganzes Glück, seine Ehre, seine Freiheit waren allein in Eure Hände gegeben. War er nicht ein adeliger Jüngling? War er nicht schön vor anderen seinesgleichen? War er nicht wacker in allem, was für junge Leute sich ziemt? War er nicht geliebt, hielt man ihn nicht wert, sah ihn nicht jedermann gerne? Auch hierauf werdet Ihr mir nicht mit Nein antworten. Wie konntet Ihr also um des Geschwätzes eines dummen, gemeinen und neidischen Pfäffleins willen gegen ihn einen so grausamen Entschluß fassen?

Ich weiß nicht, in was für einem seltsamen Irrtum die Weiber sich befinden, wenn sie die Männer verschmähen und geringschätzen, während sie doch, wollten sie nur bedenken, was sie sind und wie großer und hoher Adel vor allen andern Geschöpfen von Gott dem Manne gegeben ist, sich glücklich preisen [262] sollten, wenn sie von einem geliebt werden. Über alles sollten sie ihn wert halten und mit aller Sorgfalt sollten sie sich bestreben, ihm gefällig zu sein, damit er sie zu lieben nie aufhöre. Was Ihr dagegen auf die Worte eines Pfaffen hin tatet, der gewiß auch so ein Topfgucker und Pastetenfresser war, das wißt Ihr selbst. Vielleicht hatte er Lust, den Platz einzunehmen, von dem einen andern zu verdrängen er sich so viele Mühe gab.

Dies also ist die Sünde, welche die göttliche Gerechtigkeit, die mit gerechter Waage allen Handlungen ihre Folgen zuteilt, nicht hat unbestraft lassen wollen. Und so ist denn auch Euer Mann Tedaldos wegen ebenso ohne seine Schuld in Gefahr und Ihr in Angst gekommen, wie Ihr dem Tedaldo ohne dessen Schuld Euch zu entziehen bemühtet. Wollt Ihr nun aus dieser Not befreit sein, so müßt Ihr mir folgendes versprechen, noch viel mehr aber dereinst danach tun: geschieht es je, daß Tedaldo aus seiner langen Verbannung wieder zurückkehrt, so müßt Ihr ihm Eure Gunst, Eure Liebe, Euer Wohlwollen und Euren vertraulichen Umgang wieder gewähren und ihm erneut denselben Platz einräumen, den er einnahm, bevor Ihr, töricht genug, dem albernen Mönche Glauben beimaßet.«

Der Pilger hatte seine Rede beendigt und die Dame seine Worte auf das sorgsamste aufgenommen. Sie hielt die Gründe, die er vorgebracht hatte, für vollkommen wahr, und während sie ihn reden hörte, glaubte sie mit Bestimmtheit, sie erdulde ihre Trübsal um dieser Sünde willen, und sagte nun: »Freund Gottes, ich erkenne wohl, daß das, was Ihr mir gesagt habt, die Wahrheit ist und daß die Geistlichen, die ich bisher für Heilige gehalten habe, so sind, wie Eure Worte sie mir schildern. Auch sehe ich deutlich ein, daß ich in meinem Benehmen gegen Tedaldo sehr gefehlt habe, und würde es mir jemals möglich, so woll te ich diesen Fehler gern auf die mir von Euch angegebene Weise wiedergutmachen. Wie soll das aber geschehen? Tedaldo kann nie mehr wiederkommen, denn er ist tot. Und so sehe ich nicht ein, warum ich Euch versprechen soll, was doch unmöglich bleiben muß.«

Hierauf antwortete der Pilger: »Madonna, Tedaldo ist, wie Gott mir offenbart, durchaus nicht tot, vielmehr lebt er, und wenn er Eure Gunst wiedererlangt, so geht es ihm wohl.« Die [263] Dame erwiderte: »Habt acht, was Ihr sagt. Ich habe ihn vor meiner Tür mit Messerstichen ermordet gesehen. In diesen meinen Armen habe ich ihn gehalten und ihm das tote Angesicht mit vielen Tränen benetzt, die vielleicht schuld an dem gewesen sind, was man mir seit jener Zeit deswegen Übles nachgesagt hat.« Darauf sagte der Pilger: »Madonna, was Ihr mir auch sagen mögt, ich versichere Euch, daß Tedaldo am Leben ist, und wollt Ihr versprechen und halten, was ich Euch gesagt habe, so hoffe ich, Ihr sollt ihn bald sehen.« »Gern«, entgegnete die Dame, »will ich es tun und tue es hiermit; denn nichts könnte mir begegnen, das mir zu gleicher Freude gereichte, als meinen Mann unverletzt wieder frei und den Tedaldo lebend zu sehen.«

Nun schien es dem Tedaldo Zeit, sich zu offenbaren und die Dame durch sichere Hoffnung auf die Freiheit ihres Gatten zu erfreuen. »Madonna«, sagte er deshalb, »um Euch wegen Eures Mannes zu trösten, muß ich Euch ein Geheimnis mitteilen, das Ihr Euer Leben lang bewahren und niemandem verraten werdet.«

Die Dame hatte schon vorher das höchste Vertrauen zu der Heiligkeit gefaßt, die sie dem Pilger beilegte, und daher hatte sie ihn bereits in ein entferntes und einsames Zimmer geführt. So zog denn nun Tedaldo einen Ring hervor, den er mit der äußersten Sorgfalt bewahrt hatte und den die Dame ihm in der letzten Nacht geschenkt hatte, die er mit ihr zugebracht. Diesen zeigte er ihr und sagte: »Kennt Ihr dies, Madonna?« »Jawohl, Herr«, erwiderte die Dame, als sie den Ring sah und sogleich erkannte, »den schenkte ich einst dem Tedaldo.« Darauf richtete der Pilger sich auf, warf Pilgermantel und Hut schnell von sich und sagte in florentinischer Aussprache: »Und kennt Ihr mich denn nun?« Als die Dame ihn sah und erkannte, daß es Tedaldo war, erschrak sie heftig und fürchtete sich so sehr vor ihm, wie man sich vor den Leichnamen fürchtet, wenn man sie nach Art der Lebendigen herumgehen sieht. Daher eilte sie auch nicht, ihn als den von Zypern zurückgekehrten Tedaldo zu bewillkommnen, sondern vor ihm als dem aus dem Grabe Auferstandenen zu fliehen. Tedaldo hielt sie aber zurück, indem er sagte: »Madonna, zweifelt nicht, ich bin Euer Tedaldo, lebendig und gesund. Ich bin nicht gestorben [264] und war noch niemals tot, was Ihr und meine Brüder auch glauben möget.« Die Dame faßte ein wenig mehr Mut, und als sie seine Stimme erkannte, ihn etwas länger betrachtete und sich selbst überzeugte, daß er es wirklich war, fiel sie ihm weinend um den Hals, küßte ihn und sagte: »Mein süßer Tedaldo, gottlob, daß du wieder da bist.« Als Tedaldo Kuß und Umarmung erwidert hatte, sagte er: »Madonna, zu einem herzlicheren Empfange ist jetzt nicht Zeit. Ich will nun gehen und dafür sorgen, daß Euer Aldobrandino Euch wiedergegeben werde. Ich hoffe, Ihr sollt vor morgen abend willkommene Neuigkeiten darüber hören. Habe ich indessen, wie ich wohl denke, noch heute gute Nachrichten über seine Rettung, so sollt Ihr mich diese Nacht zu Euch kommen lassen, damit ich sie Euch mit größerer Bequemlichkeit erzähle, als ich es jetzt tun könnte.«

Darauf bekleidete er sich wieder mit Pilgermantel und Hut, küßte die Dame noch einmal und ging, nachdem er sie mit guten Hoffnungen getröstet hatte, dahin, wo Aldobrandino gefangen saß und mehr der Furcht vor dem bevorstehenden Tode als der Hoffnung auf Rettung nachsann. Tedaldo trat als ein geistlicher Tröster mit Zustimmung der Gefangenenwärter ein, setzte sich neben ihn und sagte: »Aldobrandino, ich bin dein Freund, von Gott, dessen Barmherzigkeit deine Unschuld erweckt hat, gesandt, um dich zu retten, und so sollst du, wenn du mir aus Ehrfurcht vor ihm ein kleines Geschenk gewähren willst, das ich von dir fordern werde, vor morgend abend, wo du dein Todesurteil erwartest, deinen Freispruch hören.« »Wackerer Mann«, erwiderte jener, »weil du um meine Rettung bemüht bist, so mußt du, obgleich ich dich nicht kenne und mich nicht erinnere, dich je gesehen zu haben, mein Freund sein, wie du sagst. In der Tat, die Sünde, wegen welcher ich, wie die Leute sagen, zum Tode verurteilt werden soll, habe ich nie begangen; wohl aber andere genug, um derentwillen Gott mich vielleicht in meine jetzige Lage brachte. Aber ich sage dir: hat Gott jetzt Erbarmen mit mir, so will ich gern aus Ehrfurcht vor ihm Größtes und wieviel mehr Geringes auf mich nehmen, vom Versprechen nicht zu reden. Darum fordere nur, was dir beliebt, und unfehlbar werde ich mein Wort halten, wenn ich glücklich davonkomme.«

[265] Der Pilger erwiderte darauf: »Ich verlange nichts weiter, als daß du den vier Brüdern des Tedaldo vergeben sollst, weil sie dich in dem Glauben, du seiest an dem Tode ihres Bruders schuld, in eine solche Lage gebracht haben, und daß du sie, wenn sie dich um Verzeihung bitten, als deine Freunde und Brüder behandeln sollst.« Aldobrandino antwortete ihm: »Niemand weiß, wie süß die Rache ist und wie sehnlich man nach ihr verlangt, als wer selbst Beleidigungen erlitten hat. Dessenungeachtet aber will ich, damit Gott meine Rettung bewirkt, ihnen gern vergeben und vergebe ihnen hiermit. Auch will ich, wenn ich erst lebendig aus diesem Gefängnis heraus bin und allen Gefahren entgehe, mich in dieser Sache so benehmen, wie es dir belieben wird.« Diese Antwort genügte dem Pilger, und ohne ihm weitere Auskunft zu geben, bat er den Aldobrandino, guten Mutes zu sein; denn er könne, noch ehe der nächste Tag zu Ende gehe, gewiß sein, die bestimmtesten Nachrichten über seine Befreiung zu erhalten.

Darauf verließ er ihn, um auf die Signorie zu gehen, wo er insgeheim dem Edelmann, der an diesem Tage die höchste Stelle einnahm, folgendes sagte: »Gnädiger Herr, ein jeder soll mit Freuden dazu beitragen, daß der wahre Hergang einer Sache erkannt werde, vor allem aber sollen es diejenigen, die den Platz einnehmen, auf den Ihr gestellt seid, damit die Strafe nicht die Unschuldigen, sondern die Schuldigen treffe. Damit dies also zu Eurer Ehre und zum Unheil derer geschehe, die es verdient haben, bin ich hierher gekommen. Ihr wißt, wie hart man gegen Aldobrandino Palermini verfahren ist, und Ihr glaubt nun, in Wahrheit gefunden zu haben, daß er den Tedaldo Elisei umgebracht hat, und steht im Begriff, ihn zu verurteilen. Gewiß aber ist Eure Meinung falsch, und ich gedenke den vollständigen Beweis dafür noch vor Mitternacht zu erbringen und Euch die wahren Mörder in die Hände zu liefern.« Der treffliche Mann, der großes Mitleid mit Aldobrandino hatte, lieh den Worten des Pilgers ein williges Ohr, und nachdem er mit ihm genauer über die Sache gesprochen hatte, auch von ihm in jenes Haus geführt worden war, ließ er die beiden Brüder, die Gastwirte waren, und ihre Diener im ersten Schlafe ohne Widerstand gefangensetzen. Er wollte sie foltern lassen, [266] um den wahren Hergang der Sache zu erfahren; aber sie ließen es nicht dazu kommen, sondern bekannten alle einzeln und nachher gemeinschaftlich unverhohlen, sie seien es gewesen, die Tedaldo Elisei, ohne ihn zu kennen, getötet hätten. Als sie um die Ursache gefragt wurden, antworteten sie, weil er die Frau des einen von ihnen, während sie nicht zu Hause gewesen seien, sehr geplagt und mit Gewalt habe nötigen wollen, ihm zu Willen zu sein.

Als der Pilger dies erfahren hatte, entfernte er sich, nicht ohne sich bei dem Herrn der Signorie zu beurlauben, und schlich sich heimlich in das Haus der Madonna Ermellina. Hier waren alle bis auf die Dame bereits schlafen gegangen. Sie aber erwartete ihn, gleich sehnsüchtig, gute Nachrichten von ihrem Gatten zu hören und sich mit ihrem Tedaldo völlig auszusöhnen. Gleich bei seinem Eintreten sagte er zu ihr: »Freu dich, mein liebstes Herz, denn gewiß sollst du morgen deinen Aldobrandino heil und gesund wieder hier haben.« Und um sie gründlicher zu überzeugen, erzählte er ihr nun ausführlich, was er getan hatte. Die Dame war über die beiden so unerwarteten Ereignisse, ihren Tedaldo, den sie als unzweifelhaft tot beweint hatte, lebendig wiederzuhaben, und Aldobrandino, dessen Tod sie in wenigen Tagen glaubte beweinen zu müssen, außer Gefahr zu wissen, unaussprechlich glücklich und umarmte und küßte ihren Tedaldo mit der herzlichsten Liebe. Dann gingen sie miteinander schlafen und schlossen, während sich eins am andern erfreute, einen ergötzlichen und anmutigen Frieden. Als der Morgen nahte, erhob sich Tedaldo, nachdem er seiner Dame erklärt, was er ferner zu tun gedenke, und ihr erneut empfohlen hatte, dies alles völlig geheimzuhalten. Noch immer in Pilgerkleidern verließ er ihr Haus, um, wenn es Zeit war, die Angelegenheiten Aldobrandinos wahrnehmen zu können.

Die Signorie glaubte hinlänglich über das Verbrechen aufgeklärt zu sein. Sie befreite daher gleich am Morgen den Aldobrandino und ließ wenige Tage darauf den Missetätern an der Stelle, wo sie den Mord begangen hatten, den Kopf abschlagen. Als nun Aldobrandino zu seiner Frau und aller Verwandten und Freunde großer Zufriedenheit frei geworden war und alle deutlich einsahen, daß dies nur durch die Bemühungen des [267] Pilgers gelungen war, baten ihn die beiden Eheleute, so lange in ihrem Hause zu wohnen und in der Stadt zu verweilen, als es ihm gefiel, und beide konnten nicht satt werden, ihm Liebe und Ehre anzutun, besonders aber die Frau, die ja wohl wußte, wen sie vor sich hatte.

Tedaldo aber schien es nach einigen Tagen Zeit, seine Brüder mit Aldobrandino wieder zu versöhnen; denn er vernahm, sie fühlten sich nicht allein durch dessen Freilassung beschimpft, sondern hätten sich auch aus Furcht bewaffnet. Er erinnerte also den Aldobrandino an die Erfüllung seines Versprechens, wozu dieser sich auch gern bereit erklärte. Der Pilger hieß ihn hierauf zum folgenden Tag ein schönes Gastmahl vorbereiten, bei dem, wie er verlangte, Aldobrandino mit seinen Vettern und den weiblichen Familienmitgliedern die vier Brüder und deren Frauen bewirten sollte. Er selbst, fügte er hinzu, werde sie sogleich im Namen des ersten zum Gastmahl und zur Versöhnung einladen. Aldobrandino war mit allem zufrieden, was der Pilger wünschte. Dieser ging alsbald zu den vier Brüdern und brachte es nach vielem Hin- und Herreden, wie es zu ihrer Aufklärung nötig war, am Ende mit unwiderlegbaren Gründen ziemlich leicht dahin, daß sie sich bereit erklärten, um Verzeihung zu bitten und Aldobrandinos Freundschaft wieder zu suchen. Darauf lud er sie samt ihren Frauen auf den andern Tag zum Mittagessen bei Aldobrandino ein, und sie nahmen im Vertrauen auf ihn die Einladung willig an.

Am andern Tag um die Essensstunde gingen zuerst die vier Brüder des Tedaldo, in Trauer wie sie waren, mit einigen ihrer Freunde in das Haus des Aldobrandino, der sie erwartete. Hier warfen sie in Gegenwart aller, die von Aldobrandino geladen waren, ihnen Gesellschaft zu leisten, die Waffen auf den Boden und lieferten sich selbst dem Aldobrandino aus, indem sie ihn zugleich deswegen, was sie gegen ihn unternommen hatten, um Verzeihung baten. Aldobrandino war zu Tränen gerührt und nahm sie liebevoll auf. Er küßte einen jeden auf den Mund und vergab mit wenigen Worten jede ihm widerfahrene Beleidigung. Hierauf kamen ihre Schwestern und ihre Frauen, alle in Trauer, und wurden von Madonna Ermellina und den andern Damen auf das freundlichste empfangen. Bei Tisch wurden [268] alle, Männer wie Frauen, auf das trefflichste bewirtet, und nichts bei diesem Gastmahl war anders als löblich, abgesehen von einer gewissen Schweigsamkeit, welche der noch neue Schmerz veranlaßte, der sich in den dunklen Kleidern der Angehörigen Tedaldos aussprach. Um dieser Trauer willen war auch das ganze Unternehmen des Pilgers samt dem Gastmahl von verschiedenen getadelt worden, wie er dies selbst recht wohl bemerkt hatte.

Als es ihm aber Zeit schien, diese Trauer zu vertreiben, wie er schon früher bei sich beschlossen hatte, stand er auf, während die übrigen noch die Früchte genossen, und sagte: »Nichts hat uns gefehlt, um dieses Gastmahl fröhlich zu machen, als Tedaldo, den ich euch nun zeigen will, da ihr ihn so lange unter euch gehabt habt, ohne ihn zu erkennen.« Und damit nahm er den Pilgermantel und was sonst zur Pilgertracht gehörte ab und stand nun in einem Wams von grünem Zindeltaffet vor ihnen. Sie aber betrachteten ihn mit großer Verwunderung lange Zeit, und obgleich sie ihn allmählich erkannten, unterstand sich zuerst keiner zu glauben, daß er es wirklich sei. Wie Tedaldo dies bemerkte, erzählte er ihnen ausführlich von ihrer Verwandtschaft, von einer Menge sie betreffender Vorfälle und von seinen eigenen Schicksalen. Da eilten die Brüder und die übrigen Männer unter Freudentränen, ihn zu umarmen, und auch die Frauen, verwandte wie fremde, mit der einzigen Ausnahme Donna Ermellinas, taten ein Gleiches. Als Aldobrandino dies bemerkte, sagte er: »Was soll das, Ermellina, warum bezeigst du nicht wie die andern Frauen dem Tedaldo deine Freude über seine Rückkehr?« Die Dame aber antwortete ihm vor allen Anwesenden: »Keine unter allen hätte ihn lieber freundlich bewillkommnet als ich, die ich ihm mehr als irgendeine Dank schuldig bin, weil ich durch seine Hilfe dich wiedererlangt habe. Aber das unschickliche Gerede, das umging, als wir den beweinten, den wir für Tedaldo hielten, hält mich davon ab.« Aldobrandino erwiderte ihr: »Ei was, denkst du denn, ich werde den Kläffern glauben? Dadurch, daß er meine Rettung bewirkte, hat er deutlich genug die Unwahrheit jenes Geschwätzes bewiesen, an das ich ohnedies nicht glaubte. Steh nur auf und mach schnell, daß du ihn umarmst.« Die Dame, [269] die nichts anderes wünschte, zögerte nicht, dem Wunsche ihres Gatten zu gehorchen. Vielmehr erhob sie sich sogleich und umarmte ihn und hieß ihn willkommen, wie die anderen es getan hatten. Dieses adelige Benehmen des Aldobrandino gefiel den Brüdern Tedaldos und allen andern anwesenden Herren und Damen gar sehr, und jener kleine Makel, der wegen der früheren Reden etwa noch in dem einen oder anderen Gemüte gehaftet hatte, wurde dadurch völlig getilgt.

Während nun jeder dem Tedaldo seine Freude bezeigte, riß er selbst seinen Brüdern die schwarzen und seinen Schwestern und Schwägerinnen die braunen Gewänder vom Leibe und verlangte, sie sollten sich gleich andere Kleider kommen lassen. Wie sie nun alle sich umgekleidet hatten, ergötzten sie sich mit Gesang und Tanz und anderen Lustbarkeiten gar lange Zeit, so daß dieses Gastmahl, das einen stillen Anfang gehabt hatte, laut und fröhlich endete. Dann gingen sie, voller Freude wie sie waren, alle in Tedaldos Haus und aßen dort zu Abend. Die Feste aber dauerten auf die gleiche Weise noch mehrere Tage lang fort.

Die Florentiner betrachteten den Tedaldo geraume Zeit lang wie einen von den Toten Auferstandenen und wie ein Fabeltier, und viele, sogar die Brüder selbst, zweifelten innerlich noch einigermaßen, ob er es denn auch wirklich sei. Sie hielten es noch immer nicht für gewiß, und hätte sich nicht ein Vorfall zugetragen, der sie darüber aufgeklärt, wer der Ermordete gewesen, wären sie vielleicht noch eine Weile bei ihrem Zweifel geblieben. Und das trug sich folgendermaßen zu: Soldaten aus der Gegend von Luni gingen eines Tages vor Tedaldos Haus vorbei, und als sie diesen vor der Türe stehen sahen, gingen sie auf ihn zu und sagten: »Möge es dir wohl ergehen, Faziuolo.« Tedaldo antwortete ihnen in Gegenwart der Brüder: »Ihr verwechselt mich mit einem andern.« Als die Soldaten ihn reden hörten, schämten sie sich und baten ihn um Verzeihung. »Wahrlich«, sagten sie, »Ihr gleicht, mehr als wir je zwei Menschen sich gleichen sahen, einem Kameraden von uns, namens Faziuolo aus Pontremoli, der vor etwa vierzehn Tagen oder nicht viel länger hierher gekommen ist, ohne daß wir seither hätten erfahren können, was aus ihm geworden ist. Freilich wunderten [270] wir uns über Euer Gewand, denn jener war Soldat, wie wir es sind.« Der älteste der Brüder des Tedaldo trat bei diesen Worten vor und fragte sie, wie Faziuolo gekleidet gewesen sei. Sie gaben darüber Auskunft, und es fand sich, daß ihre Beschreibung dem Anzug des Ermordeten genau entsprach. So überzeugten sie sich, in Verbindung mit anderen Zeichen, daß dieser Faziuolo und nicht Tedaldo gewesen sei, und jeder Verdacht schwand denn aus der Seele der Brüder.

Tedaldo aber, der nun sehr reich geworden war, fuhr in seiner Liebe fort, ohne sich je wieder mit seiner Dame zu entzweien. Vielmehr genossen sie bei vorsichtigem Benehmen noch lange einander. Gott gewähre uns die gleichen Freuden!

Achte Geschichte

Ferondo wird, nachdem er ein gewisses Pulver geschluckt hat, für tot begraben. Der Abt aber, der sich inzwischen mit seiner Frau ergötzt, holt ihn aus dem Grabe, setzt ihn gefangen und macht ihm weis, er sei im Fegefeuer. Dann wird er auferweckt und erzieht einen Sohn, den der Abt mit seiner Frau erzeugt hat, als den seinigen.


So lang auch die Geschichte Emilias gewesen war, so hatte sie deswegen doch niemandem mißfallen, vielmehr waren alle der Meinung, Emilia habe in Anbetracht der Mannigfaltigkeit der vorgetragenen Ereignisse noch sehr kurz erzählt. Nun aber gab die Königin der Lauretta ihren Wunsch durch einen bloßen Wink zu verstehen und veranlaßte sie dadurch, also zu beginnen:

Ihr lieben Mädchen, ich besinne mich eben auf eine Geschichte, die ich euch zu erzählen Lust habe und die wahr ist, so sehr sie auch einer Lüge gleichsieht. Sie ist mir wieder eingefallen, weil ich eben hörte, wie einer für den andern betrauert und begraben worden ist, während ich euch erzählen werde, wie ein Lebender für tot begraben wurde, und wie er sich selbst nachher mit vielen anderen nicht für fortlebend, sondern von den Toten auferweckt und aus dem Grabe auferstanden hielt, und wie schließlich derjenige, welcher dessentwillen als ein [271] Schuldiger hätte verdammt werden sollen, wie ein Heiliger verehrt wurde.

In Toskana nämlich war und ist noch heutzutage eine Benediktinerabtei, wie man deren viele sieht, an einem wenig besuchten Orte gelegen. Dort hatte man einen Mönch zum Abt gemacht, der in jeder Beziehung, den Umgang mit Weibern abgerechnet, ein sehr heiliger Mann genannt werden konnte. Diesen Umgang aber wußte er so insgeheim zu betreiben, daß bei seinem Rufe der Strenge und Heiligkeit niemand dergleichen ahnte, geschweige denn etwas davon erfuhr.

Nun traf es sich, daß ein schwerreicher Bauer, namens Ferondo, mit dem Abte näher bekannt ward und bei seiner unmäßigen Einfalt und Albernheit von diesem, der sich zuweilen an seinen Narrheiten ergötzen mochte, gern gesehen wurde. Inzwischen wurde der Abt gewahr, daß Ferondo ein wunderschönes Weib zur Frau hatte, und er verliebte sich so sehr in dieses, daß er bei Tag und Nacht an nichts anderes dachte und fast verzweifeln wollte, als er erfuhr, Ferondo, der in allem andern so töricht und dumm war, sei vollkommen vernünftig, sobald es sich darum handle, seine Frau zu lieben und zu bewachen. Dennoch war er geschickt genug, den Ferondo so weit zu bringen, daß er zuweilen mit seiner Frau heraufkam, sich im Klostergarten einige Zeit zu ergötzen. Hier redete er ihnen dann mit vieler Salbung von der Seligkeit, vom ewigen Leben und von den heiligen Werken vieler verstorbener Männer und Frauen so lange etwas vor, bis die Frau Lust bekam, bei ihm zur Beichte zu gehen, und die Erlaubnis von ihrem Manne, als sie ihn darum ansprach, sogleich erhielt.

Zur großen Freude des Abtes kam die Frau nun wirklich zu ihm beichten, setzte sich zu seinen Füßen und begann, noch ehe sie etwas anderes redete: »Hochwürdiger Herr, hätte mir Gott einen andern oder auch gar keinen Mann gegeben, so würde es mir vielleicht nicht schwer fallen, unter Eurer Anleitung den Weg zu gewinnen, der nach Eurer Rede den Menschen zum Paradiese führt. Wenn ich aber bedenke, was Ferondo für ein Mensch und wie übermäßig seine Albernheit ist, so muß ich mich in dieser Hinsicht eine Witwe nennen, während ich doch wieder insofern verheiratet bin, als ich zu seinen Lebzeiten [272] keinen andern Mann nehmen darf. Dabei ist er nun ohne irgendeinen Grund in seiner Einfalt so übertrieben eifersüchtig auf mich, daß ich um dessentwillen nicht anders als in Not und Elend mit ihm leben kann. Deshalb bitte ich denn, bevor ich zur ferneren Beichte schreite, Euch auf das demütigste, mir in dieser Sache mit einigem Rate gefällig zu sein; denn erlange ich dadurch nicht erst die Möglichkeit, gut zu handeln, dann wird mir das Beichten so wenig helfen wie die Buße.«

Diese Rede gefiel dem Abt in seiner Seele gar wohl, und ihn deuchte, das Glück habe ihm bereits den Weg gebahnt, um seinen sehnlichsten Wunsch zu erlangen. »Meine Tochter«, antwortete er, »wohl glaube ich, daß es einer so schönen und feinfühligen Frau, wie Ihr es seid, lästig sein mag, einen Blödsinnigen zum Manne zu haben; noch beschwerlicher aber muß ein Eifersüchtiger fallen. Da Ihr nun zugleich den einen und den andern habt, so glaube ich Euch gern, was Ihr von Euren Leiden erzählt. Für diese aber weiß ich, gerade herausgesagt, nur einen Rat und nur ein Mittel: nämlich ihn von seiner Eifersucht zu heilen. Die Arznei, die ihn zu heilen vermag, weiß ich recht wohl herzustellen, wenn Ihr Euch nur getraut, alles, was ich Euch sagen werde, gewiß geheimzuhalten.«

Die Frau erwiderte: »Zweifelt nicht, ehrwürdiger Vater; eher will ich mein Leben lassen, als jemand das wiederzusagen, was zu sagen Ihr mir verboten habt. Wie sollte aber das vor sich gehen?« »Wollen wir, daß er geheilt werde«, antwortete der Abt, »so muß er notwendig ins Fegefeuer.« »Wie kann er denn bei lebendigem Leib dahin kommen?« sprach die Frau. Der Abt sagte: »Er muß sterben und so hinkommen. Wird er dann so viele Qualen erlitten haben, daß er von dieser seiner Eifersucht geheilt ist, so werden wir in gewissen Gebeten den lieben Gott bitten, daß er ihn wieder lebendig macht, und das wird dann auch geschehen.« »Soll ich denn eine Witwe werden?« entgegnete die Frau. »Ja«, sagte der Abt, »auf einige Zeit, während welcher Ihr Euch aber wohl hüten müßt, Euch an jemand verheiraten zu lassen. Gott nähme es Euch sehr übel, und Ferondo, wenn er wiederkäme und Ihr dann zu ihm zurück müßtet, wäre eifersüchtiger denn je zuvor.« Die Frau antwortete: »Wird er nur von diesem Übel befreit und brauche ich dann nicht immer [273] wie im Gefängnis zu sitzen, so bin ich mit allem zufrieden. Tut nach Eurem Gefallen.«

»So will ich es denn übernehmen«, sagte der Abt. »Wodurch wollt Ihr mich aber für einen solchen Dienst belohnen?« »Hochwürdiger Herr«, erwiderte die Frau, »fordert, was Ihr wollt, wenn ich es zu leisten vermag. Was kann aber ein armes Weib, wie ich es bin, einem so vornehmen Herrn anbieten, das seiner würdig wäre?« Darauf sagte der Abt: »Madonna, Ihr könnt für mich nichts Geringeres tun, als was ich für Euch zu unternehmen im Begriff stehe. Denn so wie ich zu Eurem Glück und zu Eurer Zufriedenheit zu wirken gedenke, so seid Ihr imstande, mir mein Leben und meine Ruhe wiederzugeben.« »Ist das der Fall«, entgegnete die Frau, »so bin ich bereit.« »Wohl denn«, sagte der Abt, »so schenkt mir Eure Liebe und gewährt mir Euren Leib, denn nur für Euch glühe ich und verzehre mich im Feuer.«

Als die Frau diese Worte vernahm, sagte sie voller Schrecken: »Um Gottes willen, ehrwürdiger Vater, was begehrt Ihr da von mir! Ich dachte, Ihr wäret ein Heiliger. Ziemt es sich denn für heilige Männer, daß sie die Frauen, die sich bei ihnen Rat holen wollen, um dergleichen Dinge ansprechen?« Der Abt antwortete ihr: »Mein süßes Herz, verwundert Euch nicht darüber. Die Heiligkeit wird darum nicht geringer, denn sie wohnt in der Seele, und das Verlangen, das ich Euch entdeckt habe, ist eine Sünde des Körpers. Wie dem aber auch sei, Eure holde Schönheit übt solche Gewalt über mich aus, daß die Liebe mich zwingt, so zu tun, wie ich getan habe. Dabei könnt Ihr Euch mehr als andere Weiber Eurer Schönheit rühmen, wenn Ihr bedenken wollt, daß sie den Heiligen wohlgefällt, die doch gewohnt sind, die Schönheiten des Himmels zu betrachten. Übrigens bin ich ein Mensch, wie sehr ich auch Abt bin, und wie Ihr seht, noch nicht alt. Und so soll es Euch nicht leid sein, zu tun, wie ich Euch gesagt habe, vielmehr sollt Ihr es selber wünschen, denn während Ferondo im Fegefeuer ist, werde ich Euch nachts Gesellschaft leisten und Euch die Unterhaltung gewähren, die er Euch zu bieten hätte. Auch wird es niemals jemand gewahr werden; denn ein jeder denkt von mir so gut und vielleicht noch besser, als Ihr es vorhin getan habt. Verschmäht [274] nicht die Gnade, die Euch von Gott geboten wird, denn viele sind, die sehnlich begehren, was Ihr haben könnt und haben werdet, wenn Ihr vernünftig genug seid, meinem Rate zu trauen. Überdies habe ich manchen schönen und kostbaren Schmuck, der meinem Willen nach niemand anders als Euch gehören soll. So tut denn, süße Hoffnung meines Herzens, für mich, was ich gern für Euch tue.«

Die Frau schlug die Augen nieder und wußte nicht, wie sie dem Abt diese Bitte abschlagen sollte. Sie ihm zu gewähren, schien ihr aber nicht gut getan. Als dieser bemerkte, daß sie mit der Antwort zögerte, nachdem sie ihn doch angehört hatte, glaubte er sie schon halb bekehrt, und wirklich gelang es ihm durch viele Worte, die er den ersten hinzufügte, noch ehe er ausgeredet hatte, ihr in den Kopf zu setzen, was er verlange, sei wohlgetan. Deshalb sagte sie ihm denn ganz verschämt, sie sei bereit, jedem seiner Befehle zu gehorchen. Früher aber könne sie nicht, als bis Ferondo im Fegefeuer sei. Der Abt erwiderte ihr voller Freuden: »Nun, so wollen wir ihn denn gleich hinschicken. Richtet es nur ein, daß er morgen oder in diesen Tagen zum Besuche zu mir heraufkommt.« Mit diesen Worten drückte er ihr verstohlen einen wunderschönen Ring in die Hand und entließ sie.

Die Frau war vergnügt über das Geschenk, denn sie hoffte, daß noch andere folgen sollten, und nach dem sie ihre Freundinnen wieder aufgesucht hatte, erzählte sie ihnen auf dem Heimweg Wunderdinge von der Frömmigkeit des Abtes. Wenige Tage darauf ging Ferondo ins Kloster. Sobald der Abt ihn zu sehen bekam, nahm er sich vor, ihn ins Fegefeuer zu schicken. Zu diesem Ende suchte er ein Pulver von wunderbarer Kraft hervor, das er im Morgenlande von einem mächtigen Fürsten mit der Versicherung erhalten hatte, der Alte vom Berge pflegte sich desselben zu bedienen, wenn er jemanden im Schlaf in sein Paradies oder wieder herausbringen wolle. In größerer oder geringerer Menge gegeben, schläfere es den, der es genieße, ohne ihm irgend zu schaden, auf kürzere oder längere Zeit dermaßen ein, daß niemand ihm einen Funken von Leben beimessen könne, solange die Kraft des Pulvers dauere. Von diesem Pulver nahm er soviel, als nötig war, um einen [275] dreitägigen Schlaf hervorzubringen und gab es Ferondo mit einem Glase jungen und noch trüben Weines, in welches er dasselbe unbemerkt getan hatte, in seiner Zelle zu trinken. Dann führte er ihn in den Kreuzgang und begann in Gesellschaft einiger anderer Mönche sich an seinen Torheiten zu ergötzen. Es dauerte indes nicht lange, so wirkte das Pulver, und Ferondo überfiel eine so plötzliche und unüberwindliche Müdigkeit, daß er noch im Stehen einschlief und schlafend umfiel. Der Abt stellte sich erschrocken über den Vorfall, ließ ihm die Kleider öffnen und kaltes Wasser bringen, um ihn damit zu bespritzen. Auch versuchte er noch viele andere Mittel, wie wenn er glaubte, die Lebensgeister, die von üblen, aus dem Magen oder sonst aufgestiegenen Dünsten eingenommen seien, auf diese Weise samt dem Bewußtsein zurückzurufen. Als nun der Abt und die Mönche sahen, daß er bei alledem sich nicht erholte, und als sie den Puls, nach dem sie fühlten, regungslos fanden, zweifelte keiner mehr daran, daß er tot sei. Deshalb ließ man es seiner Frau und seinen Angehörigen sagen, die alle schnell herbeikamen und ihn eine Weile gemeinschaftlich beweinten, worauf der Abt ihn, angezogen wie er war, in einer Gruft beisetzen ließ. Die Frau kehrte heim und erklärte, sich nie von einem Kinde trennen zu wollen, das er mit ihr erzeugt hatte. So blieb sie im Hause, nur damit beschäftigt, dem Vermögen, das Ferondo hinterlassen hatte, und der Erziehung ihres Söhnleins vorzustehen.

Der Abt indessen stand in der Nacht mit einem Bologneser Mönch, der am selben Tage angekommen war und zu dem er großes Vertrauen hatte, in aller Stille auf. Beide nahmen den Ferondo aus seinem Grabe und legten ihn in ein anderes Gewölbe, worin man gar kein Licht sah und das zum Strafgefängnis für die Mönche bestimmt war. Hier zogen sie ihm seine Kleider aus, kleideten ihn statt dessen wie einen Mönch, setzten ihn auf ein Bündel Stroh und ließen ihn allein, bis er wieder zu sich käme. Und der Bologneser Mönch, der vom Abt ohne Mitwissen eines anderen gehörig unterrichtet worden war, wartete einstweilen, daß Ferondo sich erholen sollte.

Der Abt ging am andern Tag mit einigen seiner Mönche wie zum Besuche in das Haus der Frau, die er ganz in Trauerkleidern [276] und sehr betrübt fand. Nachdem er sie eine Weile getröstet hatte, erinnerte er sie leise an ihr Versprechen. Da die Frau sich nun frei und weder von Ferondo noch sonst jemand belästigt fühlte, auch an des Abtes Finger schon einen zweiten, noch schöneren Ring bemerkt hatte, sagte sie, sie sei bereit, und verabredete mit ihm, daß er in der nächsten Nacht kommen solle. Wirklich ging er, sobald es Nacht geworden war, in den Kleidern des Ferondo und von seinem Mönche begleitet zu der Frau, bei der er bis zum Morgen unter Scherz und Freuden verweilte, bevor er zu seiner Abtei zurückkehrte. Oft genug machte er denselben Weg in gleicher Absicht und wurde von einigen, die ihm beim Kommen oder Gehen begegneten, für den Geist des Ferondo gehalten, der, um Buße zu tun, in der Gegend umgehen müßte. Darüber erzählten denn die abergläubischen Leute in dem Dörfchen viele Geschichten, die auch zu den Ohren der Frau kamen, welche indes wohl wußte, was für eine Bewandtnis es damit hatte.

Als Ferondo in dem dunklen Gefängnis erwachte, ohne zu wissen, wo er sich befand, trat der Bologneser Mönch mit einer fürchterlichen Stimme zu ihm hinein und gab ihm mit einigen Ruten, die er in der Hand hielt, eine derbe Tracht Schläge. Ferondo fragte unter Weinen und Schreien in einem fort: »Wo bin ich?« »Du bist im Fegefeuer«, antwortete der Mönch. »Wie«, sagte Ferondo, »so bin ich denn tot?« »Jawohl«, erwiderte der Mönch. Darauf begann Ferondo sich selbst, seine Frau und sein Söhnlein bitterlich zu beweinen und sagte dabei die tollsten Albernheiten. Indessen brachte der Mönch ihm etwas zu essen und zu trinken. Als Ferondo das sah, rief er aus: »Mein Himmel, essen denn die Toten?« »Ja«, sagte der Mönch, »und was ich dir jetzt bringe, ist dasselbe Essen, welches die Frau, die einstmals die deine war, heute morgen der Kirche geschickt hat, um für deine Seele eine Messe lesen zu lassen. Das kommt dir nun, auf unseres Herrgotts Befehl, hier zugute.« Darauf sagte Ferondo: »Ach du meine Güte! Na, Gott gebe ihr ein vergnügtes Jahr. Ich bin ihr freilich immer vor meinem Tode gar gut gewesen und hab sie immer die ganze Nacht im Arm gehabt und nichts anderes getan als sie geküßt und habe auch etwas anderes getan, wenn ich Lust dazu bekam.« Dann fing er, hungrig und [277] durstig wie er war, zu essen und zu trinken an. Da ihm aber der Wein nicht allzugut vorkam, sagte er wieder: »Herrgott, gib ihr Unglück, sie hat dem Priester doch nicht von dem Fasse an der Wand geschickt.«

Als er nun gegessen und getrunken hatte, nahm ihn der Mönch wieder vor und schlug ihn mit denselben Ruten aufs neue ganz mürbe. Nachdem Ferondo lange genug gejammert hatte, sagte er zu ihm: »Mein Gott, warum tatest du denn das?« Der Mönch sagte: »Weil unser Herrgott befohlen hat, daß dies alle Tage zweimal so geschehe.« »Aus was für einer Ursache denn?« sagte Ferondo. Der Mönch erwiderte: »Weil du eifersüchtig warst, obgleich du das beste Weib zur Frau hattest, das weit und breit zu finden war.« »Ach Gott, ja«, sagte Ferondo, »und das honigsüßeste dazu, köstlicher als Marzipan. Aber ich wußte nicht, daß unser Herrgott es übelnimmt, wenn ein Mann eifersüchtig ist, sonst wäre ich's nicht gewesen.« Der Mönch antwortete: »Das hättest du bedenken und dich bessern sollen, während du noch in jener Welt warst. Und sollte sich's treffen, daß du wieder hinkämst, so gib nur acht, daß du in Gedanken behältst, was ich dir jetzt antue, und daß du nie wieder eifersüchtig bist.« »Ei«, sagte Ferondo, »kommt denn jemals einer zurück, der gestorben ist?« »Freilich«, entgegnete der Mönch, »wen Gott wieder hinbringen will!« »Ach Gott«, sagte Ferondo, »wenn ich jemals zurückkäme, so wollte ich der beste Mann von der Welt sein. Ich wollte sie niemals schlagen, niemals schelten, außer wegen des Weines, den sie heute morgen geschickt hat. Sie hat aber auch kein bißchen Licht gegeben, und ich habe im Dunkeln essen müssen.« Der Mönch antwortete: »Wohl hat sie Kerzen geschickt, aber man hat sie zu den Seelenmessen verbrannt.« »Ja«, sagte Ferondo, »da wirst du recht haben. Und gewiß, wenn ich wieder hinkomme, da will ich sie tun lassen, wozu sie Lust hat. Aber sag einmal, wer bist denn du, der du so mit mir umgehst?« Der Mönch erwiderte: »Ich bin auch tot und war aus Sardinien, und weil ich im Leben meinen Herrn wegen seiner Eifersucht häufig gelobt habe, bin ich von Gott zu der Strafe verurteilt, daß ich dir so lange zu essen und zu trinken gebe und dich in solcher Weise schlagen muß, bis Gott über dich und mich anders beschließen wird.« [278] Ferondo sagte: »Ist denn niemand hier als nur wir beide?« »Jawohl«, sagte der Mönch, »zu Tausenden, aber du kannst sie so wenig sehen und hören wie ich auch.« Darauf sagte Ferondo: »Wie weit sind wir denn wohl von uns zu Hause?« »Oho«, antwortete der Mönch, »du bist hier noch etliche Meilen weit hinter Schön-Kackenhausen.« »Ei der Kuckuck«, sagte Ferondo, »das ist einmal weit! Meines Erachtens ist das so weit, daß wir schon aus der Welt heraus sein sollten.«

Unter solchen und ähnlichen Gesprächen wurde Ferondo bei Essen und Schlägen an die zehn Monate gehalten, während welcher der Abt, der sich gar glücklich fühlte, oft genug die hübsche Frau besuchte und sich mit ihr den schönsten Zeitvertreib von der Welt machte. Wie aber die Unfälle mitunter zu kommen pflegen, so wurde die Frau schwanger und sagte es dem Abt, da sie es noch früh genug gemerkt hatte. Darum schien es denn nun beiden geraten, daß Ferondo unverzüglich aus dem Fegefeuer zurückkommen und wieder ins Leben gerufen werden solle, auf daß sie, nachdem sie wieder beisammengewesen wären, vorgeben könne, von ihm schwanger zu sein. Zu diesem Zweck ließ der Abt in der nächsten Nacht den Ferondo in seinem Kerker mit verstellter Stimme anrufen und ihm folgendes sagen: »Ferondo, sei guten Mutes, Gott beliebt es, dich in die Welt zurückzuschicken. Wenn du wieder hingekommen bist, wird dir deine Frau einen Sohn gebären, den sollst du Benedikt nennen; denn Gott erzeigt dir diese Gnade um der Gebete des heiligen Abts und deiner Frau willen und aus Liebe zum heiligen Benedikt.« Als Ferondo das hörte, wurde er sehr froh und sagte: »Na, das ist mir lieb; Gott möge es unserm Herrgott lohnen und dem Abte und dem heiligen Benedikt und meiner honigsüßen, kandierten, mit Käse bestreuten Frau ebenfalls.« Darauf ließ ihm der Abt im Wein, den er ihm zu trinken gab, so viel von jenem Pulver reichen, daß er etwa vier Stunden lang davon schlafen mußte, und legte ihn, wieder mit den alten Kleidern angetan, mit Hilfe seines Mönchs aufs neue in die Gruft, in welcher er zuerst begraben worden war.

Am andern Morgen kam Ferondo, als der Tag anbrach, wieder zu sich, und er sah durch einige Spalten in der Gruft das [279] Licht, das er seit wohl zehn Monaten entbehrt hatte, wieder. Da es ihm nun so vorkam, als sei er lebendig, so fing er an zu rufen: »Macht auf, macht auf!« und stemmte sich selbst mit solcher Kraft gegen die Decke der Gruft, daß, weil sie leicht zu heben war, er sie lüftete. Er war noch damit beschäftigt, sie ganz abzuwerfen, als einige Mönche, die eben ihr Morgengebet gesprochen hatten, herbeiliefen, die Stimme des Ferondo erkannten und ihn aus dem Grabe steigen sahen. Voller Schrecken über die unerhörte Begebenheit entflohen sie und eilten zum Abt. Dieser tat, als stände er eben vom Gebet auf, und sagte: »Kinder, fürchtet euch nicht. Nehmt Kreuz und Weihwasser und folgt mir nach, damit wir sehen, was die göttliche Allmacht uns offenbaren will.« Und so taten sie.

Ferondo war indessen, ganz bleich von der langen Zeit, während welcher er den Himmel nicht gesehen hatte, aus der Gruft herausgestiegen. Sobald er den Abt erblickte, warf er sich ihm zu Füßen und sagte: »Ehrwürdiger Vater, Eure Gebete nebst denen des heiligen Benedikt und meiner Frau haben mich, wie mir offenbart worden ist, von der Pein des Fegefeuers erlöst und ins Leben zurückgerufen. Ich bitte Gott, daß er Euch dafür ein gutes Jahr und gute Tage heute und allezeit bescheren möge.« Der Abt antwortete: »So sei denn die göttliche Allmacht gelobt! Gehe, mein Sohn, da Gott dich zurückgesandt hat, und tröste deine Frau, deren Tränen nicht versiegt sind, seit du von hinnen schiedest. Gehe und sei von nun an Gottes Freund und Diener.« Ferondo sagte: »Hochwürdiger Herr, so ist mir wohl gesagt worden. Laßt mich nur machen, denn wenn ich hinkomme, küsse ich sie auch gleich, so gut bin ich ihr.«

Der Abt blieb mit seinen Mönchen zurück und bezeigte viel Verwunderung über diese Begebenheit, weswegen er denn in großer Demut das Miserere singen ließ. Ferondo kehrte indes ins Dorf zurück, wo jeder, der ihn sah, vor ihm floh, wie man vor etwas Entsetzlichem flieht. Er aber rief alle zurück und versicherte, er sei auferweckt worden. Die Frau fürchtete sich ebenfalls vor ihm, bis endlich die Leute etwas mehr Zutrauen zu ihm faßten, sich überzeugten, daß er lebendig sei und ihm vielerlei Fragen nach jener Welt stellten. Er antwortete allen, als ob er vernünftiger zurückgekehrt sei, erzählte ihnen Neuigkeiten [280] von den Seelen ihrer Angehörigen und erfand sich selber die schönsten Fabeln von der Welt über die Einrichtungen des Fegefeuers. Auch erzählte er vor allem Volke die Offenbarung, die ihm durch den Mund des Erzengels Braghiello vor seiner Wiedererweckung gemacht worden sei. Unterdessen kehrte er mit der Frau in sein Haus zurück, nahm von seinem Vermögen wieder Besitz und schwängerte sie, wenigstens seiner Meinung nach. Zum Glücke traf es sich, daß die Frau gerade zu der Zeit, welche nach der Meinung der Törichten, die sich einbilden, die Frauen trügen genau neun Monate lang die Kinder im Leibe, die richtige war, von einem Knaben genas, der Benedikt Ferondo getauft ward.

Die Rückkehr Ferondos und seine Reden steigerten den Ruf von des Abtes Heiligkeit um vieles; denn fast jedermann glaubte, jener sei wirklich vom Tode erweckt worden. Ferondo aber, der wegen seiner Eifersucht so viele Schläge bekommen hatte, war nun ganz von ihr geheilt und plagte, wie der Abt versprochen hatte, von nun an seine Frau nicht mehr damit. Diese war darüber sehr erfreut und lebte wie zuvor mit ihm in allen Ehren, ohne jedoch zu versäumen, sich dann und wann, wenn es sich schickte, mit dem heiligen Abte zu treffen, der sie so gut und so sorgfältig in den wichtigsten Angelegenheiten bedient hatte.

Neunte Geschichte

Gillette von Narbonne heilt den König von Frankreich von einer Fistel und verlangt dafür Bertrand von Roussillon zum Manne. Dieser heiratet sie wider Willen und geht aus Verdruß nach Florenz. Hier verliebt er sich in ein junges Mädchen, das er zu umarmen glaubt, während er Gillette beschläft. Diese gebiert ihm zwei Söhne, um derentwillen er sie liebgewinnt und als Gemahlin behandelt.


Da die Königin dem Dioneo sein Vorrecht nicht rauben wollte, kam die Reihe des Erzählens, als Laurettas Geschichte zu Ende war, an niemand anders als an sie selbst. Deshalb begann sie denn, ohne eine Aufforderung der übrigen abzuwarten, fröhlich also zu reden:

[281] Wer könnte wohl noch eine Geschichte erzählen, die Beifall fände, nachdem wir die von Lauretta gehört haben? Wahrlich, es ist gut für uns, daß sie nicht die erste war, sonst hätten uns wenige der andern gefallen. Denen, die heute noch erzählt werden sollen, wird es, wie ich fürchte, so ergehen. Wie dem aber auch sei, ich will immerhin erzählen, was mir über unseren vorgeschriebenen Gegenstand einfällt.

Im Königreiche Frankreich lebte ein Edelmann namens Isnard, Graf von Roussillon, der, weil er kränklich war, immer einen Arzt bei sich hatte, welcher Gerard von Narbonne genannt wurde. Der Graf hatte einen einzigen kleinen Sohn mit Namen Bertrand, der von großer Schönheit und sehr wohlerzogen war. Mit ihm wurden mehrere Kinder seines Alters erzogen, unter denen sich eine Tochter des Arztes befand, die Gillette hieß. Diese empfand für den jungen Bertrand eine unendliche Liebe, die viel glühender war, als es für ihr zartes Alter sich ziemte. Bertrand aber mußte, als der Graf gestorben war und ihn in seinem Testament den Händen des Königs anvertraut hatte, nach Paris ziehen, worüber das junge Mädchen ganz untröstlich war. Als nun bald darauf auch ihr Vater starb, wäre sie, wenn sie einen schicklichen Vorwand gewußt hätte, gern auch nach Paris gegangen, um Bertrand wiederzusehen. Da sie aber um des Reichtums willen, der ihr nun allein geblieben war, von vielen beachtet wurde, so fand sie keine ehrbaren Ausreden. Unterdessen hatte sie, die bereits erwachsen war und Bertrand noch immer nicht vergessen konnte, schon viele zurückgewiesen, mit denen ihre Verwandten sie hatten verheiraten wollen, nie aber einen Grund angegeben.

Nun geschah es, daß sie, mehr denn je in Liebe zu Bertrand entbrannt – der, wie ihr berichtet ward, ein schöner Jüngling geworden war –, zufällig vernahm, dem König von Frankreich sei von einem Geschwür, das er auf der Brust gehabt und das von den Ärzten schlecht geheilt worden war, eine Fistel zurückgeblieben, die ihm große Unbequemlichkeit und heftige Schmerzen verursache. Auch habe sich noch kein Arzt gefunden, so viele sich schon daran versucht hätten, der imstande gewesen wäre, ihn zu heilen, vielmehr hätten alle das Übel verschlimmert. Darum wolle denn der König, der jetzt an der Heilung [282] verzage, von niemand mehr Rat und Hilfe annehmen. Das Mädchen war hoch erfreut hierüber. Denn nun glaubte Gillette, nicht nur einen genügenden Vorwand gefunden zu haben, um nach Paris zu reisen, sondern sie hoffte auch, wenn diese Krankheit wirklich dieselbe war, die sie vermutete, es leicht dahin bringen zu können, daß sie Bertrand zum Gatten bekam. Deshalb fertigte sie, von ihrem Vater vielfach in ärztlichen Dingen belehrt, aus gewissen Kräutern, die für die Krankheit dienlich waren, welche sie bei dem König vermutete, ein Pulver an, stieg damit zu Pferde und reiste nach Paris.

Das erste, was sie dort tat, war, daß sie Bertrand zu sehen suchte, und erst als ihr dies gelungen war, trat sie vor den König und bat es sich von ihm als Gnade aus, daß er ihr sein Übel zeige. Da sie jung, schön und anmutig war, konnte es ihr der König nicht abschlagen und zeigte ihr den Schaden. Sobald sie ihn gesehen hatte, faßte sie festes Zutrauen, ihn heilen zu können, und sagte: »Gnädiger Herr, wenn es Euch beliebt, so hoffe ich zu Gott, Euch in acht Tagen ohne Schmerzen und Beschwerden von dieser Krankheit befreit zu haben.« Der König lachte im stillen über ihre Worte und sagte zu sich: »Wie sollte ein junges Mädchen zu bewirken wissen, was die größten Ärzte der Welt nicht vermocht und nicht verstanden haben?« Darum dankte er ihr für ihren guten Willen, antwortete aber, er habe bei sich beschlossen, keinen ärztlichen Rat weiter zu befolgen. Darauf erwiderte das Mädchen: »Gnädiger Herr, Ihr verschmäht meine Kunst, weil ich ein Weib und noch jung bin. Aber ich erinnere Euch daran, daß ich nicht durch meine Wissenschaft, sondern durch Gottes Beistand und die Weisheit des Meisters Gerard von Narbonne, der mein Vater und ein berühmter Arzt war, zu heilen verstehe.«

Der König dachte darauf bei sich: »Vielleicht ist dies Mädchen mir von Gott gesandt. Warum versuche ich nicht, was sie zu tun weiß, da sie mir doch verspricht, mich ohne Beschwerde in kurzer Zeit zu heilen?« Und so sprach er, entschlossen, es mit ihr zu versuchen: »Jungfrau, wenn wir unserem Entschlusse zuwiderhandelten und Ihr uns dann nicht heilt, was wollt Ihr dann, daß mit Euch geschehe?« »Gnädiger Herr«, erwiderte das Mädchen, »laßt mich bewachen, und wenn ich Euch in acht [283] Tagen nicht heile, so laßt mich verbrennen. Was soll ich aber für einen Lohn erhalten, wenn ich Euch heile?« Darauf antwortete der König: »Ihr scheint uns noch unverheiratet. Wenn Ihr das tut, so werden wir Euch einen guten und angesehenen Gatten geben.« »Gnädiger Herr«, sagte das Mädchen, »wahrlich, mir ist es lieb, wenn Ihr mich verheiraten wollt, ich begehre aber den zum Manne, den ich mir von Euch erbitten werde, wobei ich keinen Eurer Söhne und keinen aus dem königlichen Hause fordern will.« Der König versprach ihr alsbald, nach ihrem Wunsche zu tun.

Das Mädchen begann nun mit der Heilung und hatte binnen kurzem, noch vor der bestimmten Frist, den König wieder gesund gemacht. Als sich dieser nun geheilt fühlte, sagte er: »Jungfrau, Ihr habt Euch den versprochenen Mann wohl verdient.« »Gut, gnädiger Herr«, sagte das Mädchen, »so habe ich denn Bertrand von Roussillon verdient, den ich schon in meiner Kindheit zu lieben begann und seit der Zeit immer von ganzem Herzen geliebt habe.« Dem König schien es ein Großes, ihr diesen geben zu sollen; da er es aber einmal versprochen hatte und sein Wort nicht brechen wollte, ließ er ihn zu sich rufen und sprach zu ihm: »Bertrand, Ihr seid nun erwachsen und hinlänglich ausgebildet. Wir wollen, daß Ihr nun zurückkehrt, um Eure Grafschaft selbst zu regieren. Auch sollt Ihr ein Mädchen mit Euch heimführen, das wir Euch zur Frau bestimmt haben.« Bertrand antwortete: »Und wer ist das Mädchen, gnädiger Herr?« »Dieselbe«, antwortete der König, »die mit ihren Heilmitteln unsere Gesundheit wiederhergestellt hat.« Bertrand hatte sie bereits gesehen und erkannt, und obwohl auch er sie schön fand, sagte er dennoch in dem Gefühl, daß sie keinem Geschlecht entstammte, welches seinem hohen Adel ebenbürtig war, ganz zornig: »Gnädiger Herr, wollt Ihr mir eine Quacksalberin zur Frau geben? Das möge doch Gott verhüten, daß ich mir jemals solch ein Frauenzimmer nehme.« Der König antwortete: »So wollt Ihr denn, daß wir unserem Worte untreu werden, welches wir, um unsere Gesundheit wiederzuerlangen, dem Mädchen gaben, das nun als Lohn Euch zum Manne begehrt?« »Gnädiger Herr«, sagte Bertrand, »Ihr könnt mir alles nehmen, was ich besitze, und mich als Euren Vasallen wegschenken, [284] an wen es Euch beliebt. Das aber versichere ich Euch: mit dieser Heirat werde ich mich niemals zufriedengeben.« »Ihr werdet schon«, sagte der König, »denn das Mädchen ist hübsch und verständig und liebt Euch sehr. Deshalb hoffen wir, daß Ihr mit ihr viel glücklicher leben werdet, als Ihr es mit einer Dame von höherer Abkunft getan hättet.«

Bertrand schwieg, und der König ließ große Zurüstungen zum Hochzeitsfeste machen. Als nun der festgesetzte Tag herangekommen war, vermählte sich Bertrand, so ungern er es auch tat, in Gegenwart des Königs mit dem Mädchen, das ihn mehr als sich selbst liebte. Sobald dies aber geschehen war, beurlaubte er sich, wie er schon zuvor beschlossen hatte, beim König unter dem Vorwande, daß er in seine Grafschaft zurückkehren und dort erst die Ehe vollziehen wolle. Damit stieg er zu Pferde und reiste nicht in seine Grafschaft, sondern kam nach Toskana. Als er hier vernahm, daß die Florentiner mit den Sienesern im Kriege begriffen seien, entschloß er sich, zu ihren Gunsten am Streite teilzunehmen. Er ward mit großer Freude und Ehren aller Art empfangen, und als sie ihn zum Anführer einer Abteilung ihrer Kriegsleute gemacht und ihm einen bedeutenden Sold ausgesetzt hatten, blieb er eine gute Weile in ihren Diensten.

Die junge Frau war über diese Wendung der Dinge nicht sehr erfreut. Sie reiste indes in der Hoffnung, ihn durch ihr gutes Benehmen in seine Grafschaft zurückzurufen, nach Roussillon und ward dortselbst von allen als ihre Gebieterin aufgenommen. Weil nun während der langen Abwesenheit des Grafen alle Geschäfte verwahrlost waren, brachte sie diese vermöge ihres großen Geschicks mit viel Mühe und Fleiß wieder in die beste Ordnung, worüber die Untertanen sich gar sehr freuten und ihr besonders zugetan wurden, auch den Grafen, dem sie nicht recht war, lebhaft tadelten.

Als sie nun alles im Lande wieder in guten Stand versetzt hatte, gab sie dem Grafen durch zwei Edelleute Nachricht davon und bat ihn, wenn er um ihretwillen zögere, in seine Grafschaft zu kommen, so möge er sie davon unterrichten, und sie werde alsdann ihm zu Gefallen die Gegend verlassen. Der Graf antwortete den Boten äußerst hart: »Mag sie tun, wozu sie [285] Lust hat. Was mich aber betrifft, so werde ich nicht eher heimkehren, um mit ihr zu leben, als bis sie diesen Ring am Finger und ein Kind, das ich mit ihr gezeugt habe, auf dem Arm trägt.« Eben den Ring aber hielt er sehr wert und trennte sich auch wegen einer gewissen Kraft, die derselbe, wie man ihm eingeredet hatte, besitzen sollte, niemals von ihm.

Die Edelleute fühlten wohl die Härte der Bedingung, die von zwei fast unmöglichen Dingen abhängig war; da sie aber sahen, daß sie ihn durch ihre Worte nicht von seinem Vorsatz abbringen konnten, kehrten sie zu der Dame zurück und berichteten ihr des Grafen Antwort. Sie wurde darüber gar sehr betrübt, entschloß sich indes nach langer Überlegung, zu versuchen, ob sie nicht vielleicht jene Forderungen erfüllen könne. Um nun auf solche Weise in Zukunft ihren Gemahl wiederzugewinnen, versammelte sie, sobald sie mit sich einig geworden war, was sie tun solle, einige der ältesten und tüchtigsten Männer aus der Grafschaft und erzählte ihnen ganz der Ordnung nach mit kläglichen Worten, was sie alles aus Liebe zu dem Grafen getan und welchen Lohn sie dafür er halten hatte. Zuletzt eröffnete sie ihnen ihre Absicht, dem Grafen nicht durch längeres Verweilen ein ewiges Exil zu bereiten, sondern vielmehr den Rest ihres Lebens allein zu Pilgerfahrten und mitleidigen Werken zum Heil ihrer Seele zu verwenden. Deshalb bat sie jene Männer, daß sie Überwachung und Verwaltung der Grafschaft übernehmen und den Grafen in Kenntnis setzen möchten, wie sie den Besitz frei und ledig gelassen habe und in der Absicht fortgezogen sei, nie wieder nach Roussillon zu kommen. Während sie also sprach, vergossen die guten Leute viele Tränen und baten sie dringend, ihren Entschluß aufzugeben und bei ihnen zu bleiben. Alles war indes vergebens.

Die Dame empfahl sich dem göttlichen Schutze und trat in Begleitung eines ihrer Vettern und einer Dienerin in Pilgerkleidern und mit Geld und Edelsteinen wohlversehen die Reise an, ohne daß jemand gewußt hätte, wohin sie gingen, verweilte auch nicht eher, als bis sie in Florenz angekommen war. Hier kehrte sie, vom Zufall geleitet, in einem kleinen Gasthof ein, der einer guten Witwe gehörte, und gab sich, voller Verlangen, von ihrem Herrn Nachricht zu erhalten, für eine arme Pilgerin [286] aus. Nun traf es sich, daß sie schon am andern Tag Bertrand mit seinem Gefolge vor dem Gasthofe vorüberreiten sah. Obgleich sie ihn gar wohl erkannte, fragte sie doch die gute Wirtin, wer es sei. Diese erwiderte: »Er ist ein fremder Edelmann, der sich Graf Bertrand nennt, ein gefälliger, freundlicher Herr, den man in unserer Stadt ausnehmend gern sieht und der in eine meiner Nachbarinnen, ein armes Edelfräulein, über alle Maßen verliebt ist. Das ist ein gar sittsames und wackeres Mädchen, das nur um seiner Armut willen noch nicht verheiratet ist und mit seiner Mutter, einer verständigen und braven Frau, zusammenlebt. Aber wer weiß, was sie diesem Grafen nicht schon zu Gefallen getan hätte, wenn ihre Mutter nicht wäre!«

Die Gräfin nahm diese Worte sorgfältig in sich auf, erkundigte sich noch genauer nach allen Umständen und faßte ihren Entschluß, sobald sie von allem unterrichtet war. Zu diesem Ende ließ sie sich Namen und Wohnung jener Frau und ihrer Tochter, in welche der Graf verliebt war, bezeichnen und ging eines Tages, ohne jemand etwas davon zu sagen, in Pilgerkleidung zu ihnen. Sie fand Mutter und Tochter recht ärmlich aussehend, begrüßte sie und sagte der ersteren, wenn es ihr gefiele, wünschte sie mit ihr zu sprechen. Die Edelfrau stand auf und sagte, sie sei bereit, sie anzuhören, und so gingen sie in ein benachbartes Gemach, wo die Gräfin, als sie sich niedergelassen hatten, so zu sprechen anfing: »Madonna, Ihr gehört, wie mir scheint, ebenso wie ich zu den Feinden Fortunas. Wenn Ihr aber wollt, könnt Ihr Euch und mich glück lich machen.« Die Dame antwortete, sie wünsche nichts so sehr, als ihre Lage auf anständige Weise zu verbessern. Die Gräfin fuhr fort: »Ich bedarf Eurer Verschwiegenheit. Verlasse ich mich auf sie und verratet Ihr mich dennoch, so schadet Ihr Euch ebenso wie mir.« »Vertraut mir ruhig«, erwiderte die Edeldame, »was Euch immer gefällt. Gewiß werdet Ihr nie von mir betrogen werden.« Darauf erzählte ihr denn die Gräfin auf so herzbewegende Weise, wer sie sei und was sich alles zugetragen habe, seit sie sich zuerst in den Grafen verliebte, daß die Edeldame, welche diese Begebenheit zum Teil schon von andern gehört hatte, ihren Worten Glauben schenkte und sie zu bemitleiden begann.

[287] Als die Gräfin mit ihrer Erzählung zu Ende war, fuhr sie fort: »Ihr habt gehört, was für zwei Dinge ich zu meinem übrigen Unglück besitzen muß, wenn ich meinen Gatten erlangen will. Ist es nun wahr, was ich vernehme, daß der Graf Euer Tochter auf das zärtlichste liebt, so sehe ich ein, daß niemand außer Euch mir diese Dinge verschaffen kann.« Die Edeldame antwortete ihr: »Madonna, ob der Graf meine Tochter liebt, das weiß ich nicht, aber sein Benehmen ist ganz danach. Was kann ich aber deshalb tun, um Euch zu verschaffen, was Ihr wünschet?« »Madonna«, erwiderte die Gräfin, »gleich will ich es sagen. Zuvor aber sollt Ihr hören, was für ein Vorteil Euch daraus er wachsen wird, wenn Ihr mir hierin dienet. Ich sehe, Eure Tochter ist schön und alt genug zum Heiraten. Auch muß ich aus dem, was ich gehört habe und selbst zu bemerken glaube, schließen, daß Ihr sie nur aus Mangel an einer anständigen Ausstattung noch im Hause behaltet. So denke ich denn zum Dank für den Dienst, den Ihr mir leisten sollt, Eurer Tochter von meinem Gelde eine Mitgift auszusetzen, wie Ihr selbst sie für angemessen halten werdet, um sie ehrenvoll zu vermählen.« Der Dame, die in dürftigen Umständen lebte, gefiel das Anerbieten sehr. Dennoch aber antwortete sie ihrer adeligen Gesinnung zufolge: »Madonna, sagt mir, was ich für Euch tun kann. Ziemt es sich für mich, so soll es gern geschehen, und Ihr mögt nachher tun, was Euch belieben wird.«

Darauf sagte die Gräfin: »Zu meinen Absichten ist es nötig, daß Ihr durch jemanden, auf den Ihr Euch verlassen könnt, dem Grafen, meinem Gatten, sagen laßt, Eure Tochter sei gesonnen, ihm allen Willen zu tun, wenn sie nur gewiß sei, daß er sie wirklich so liebhabe, wie er vorgibt. Das könne sie aber nur glauben, wenn er ihr den Ring schicke, den er immer am Finger trage und der ihm, wie sie gehört habe, so teuer sei. Schickt er ihr den Ring, so werdet Ihr ihn mir geben und dem Grafen sagen lassen, daß Eure Tochter bereit sei, alle seine Wünsche zu erfüllen. Dann müßt Ihr ihn heimlich hierher kommen lassen und mich, ohne daß er es bemerkt, statt Eurer Tochter ihm zur Seite legen. Vielleicht gewährt mir Gott die Gnade, daß ich von ihm empfange. Dann werde ich, seinen Ring am Finger und sein Kind auf dem Arm, ihn wiedergewinnen und [288] mit ihm leben können, wie es Mann und Frau geziemt, und das werde ich dann Euch verdanken.«

Der Edeldame schien dies ein bedenkliches Ding, und sie fürchtete sehr, daß große Schande für ihre Tochter daraus entspringen könnte. Als sie aber wieder bedachte, es sei löblich, mitzuhelfen, daß die gute Frau ihren Gatten wiederbekomme, auch erwog, daß sie aus löblicher Absicht also tat, versprach sie im Vertrauen auf ihre gute und ehrbare Gesinnung nicht nur, das Gewünschte zu tun, sie erhielt auch auf dem angegebenen Wege in wenigen Tagen mit geheimer Vorsicht jenen Ring, obgleich es dem Grafen schwerfiel, sich von ihm zu trennen, und legte mit großer Geschicklichkeit die Gräfin statt ihrer Tochter dem Grafen zur Seite.

Bei den ersten, vom Grafen inbrünstig gewünschten Vereinigungen empfing nach Gottes Willen die Dame zwei männliche Kinder, wie sich zur gehörigen Zeit bei der Entbindung zeigte. Auch gewährte die Edeldame der Gräfin die Umarmungen ihres Gemahls nicht nur einmal, sondern viele Male, wobei sie so vorsichtig zu Werke ging, daß nichts von diesem Verhältnis laut wurde und der Graf fortwährend der Meinung war, nicht seine Frau, sondern die, welche er liebte, genossen zu haben. Deshalb schenkte er ihr morgens, wenn er sie verlassen mußte, schöne und kostbare Edelsteine in Mengen, welche die Gräfin sämtlich sorgsam verwahrte.

Als diese von ihrer Schwangerschaft überzeugt war, wollte sie der Edeldame nicht länger beschwerlich fallen, sondern sagte zu ihr: »Madonna, Gott und Euch sei Dank, ich habe erlangt, was ich wünschte, und so ist es Zeit, daß ich nun nach Eurem Verlangen tue, um dann wieder abzureisen.« Die Edelfrau erwiderte, es sei ihr lieb, wenn die Gräfin irgend etwas nach ihren Wünschen erreicht habe. Was sie selbst aber getan, sei nicht in der Hoffnung auf irgendeinen Lohn geschehen, sondern allein weil sie gemeint habe, sie müsse so handeln, wenn sie Gutes tun wolle. »Madonna«, erwiderte die Gräfin, »ich lobe diese Gesinnung an Euch und gedenke nicht, Euch das, was Ihr verlangen werdet, als Lohn zu schenken, sondern allein um Gutes zu tun, wie man es meiner Meinung nach tun soll.« Hierauf bat die Edeldame notgedrungen und voller Scham um [289] hundert Goldgulden zur Ausstattung ihrer Tochter. Die Gräfin bemerkte wohl ihre Scham und die Bescheidenheit ihrer Bitte und schenkte ihr deshalb fünfhundert Gulden nebst schönem und kostbarem Geschmeide, das leicht ebenso viel wert sein mochte. Die Edelfrau war darüber hoch erfreut und dankte der Gräfin, wie sie nur immer wußte und konnte. Diese aber verließ sie und kehrte in ihren Gasthof zurück.

Um für die Zukunft Bertrand jeden Anlaß zu nehmen, jemanden in ihr Haus zu schicken oder es selbst zu besuchen, zog die Edeldame bald darauf mit ihrer Tochter zu ihren Verwandten aufs Land. Bertrand kehrte indes, von den Seinigen zurückgerufen, als er erfuhr, die Gräfin sei davongegangen, selbst in seine Heimat zurück. Die Gräfin war sehr erfreut, als sie vernahm, er sei von Florenz abgereist und in seine Grafschaft heimgekehrt, und verweilte in Florenz bis zu ihrer Niederkunft, in der sie von zwei Knaben, die ihrem Vater äußerst ähnlich waren, entbunden ward. Sie ließ die Kinder mit vieler Sorgfalt stillen, machte sich, als es ihr an der Zeit schien, auf den Weg und langte, ohne von jemand erkannt zu werden, glücklich in Montpellier an. Hier ruhte sie sich einige Tage aus, zog Erkundigungen über den Grafen und seinen Aufenthalt ein und erfuhr, er werde am nächsten Allerheiligentage in Roussillon ein großes Gastmahl für Damen und Ritter geben. Zu diesem ging sie nun, immer noch in ihrer gewohnten Pilgertracht, und eilte, ohne sich umzukleiden, ihre beiden Kinder im Arm, hinauf in den Saal des gräflichen Palastes, wo, wie sie hörte, Damen und Ritter versammelt waren, um zu Tische zu gehen.

Mitten durch die Menge drängte sie sich dahin, wo sie den Grafen sah, warf sich ihm zu Füßen und sagte weinend: »Mein Gebieter, ich bin deine unglückliche Gattin, die, um dich deiner Heimat zurückzuführen und zu erhalten, lange Zeit im Elend umhergeirrt ist. Ich beschwöre dich bei Gott, daß du mir jetzt die Bedingungen hältst, die du mir durch zwei Edelleute auferlegt hast. Sieh hier in meinen Armen nicht eines, sondern zwei deiner Kinder und sieh hier deinen Ring. Nun ist es nach deinem eigenen Versprechen Zeit, daß ich als deine Frau von dir aufgenommen werde.«

Als der Graf dies hörte, erschrak er sehr; denn er erkannte [290] den Ring und die Kinder, so ähnlich waren sie ihm. Doch sagte er: »Wie sollte denn das geschehen sein?« Hierauf erzählte die Gräfin zur großen Verwunderung des Grafen und aller übrigen Anwesenden der Reihe nach alles, was und wie es geschehen war. Als der Graf sich hierdurch überzeugte, daß sie die Wahrheit sprach, und als er ihre Ausdauer und ihren Verstand betrachtete, und dann auch wieder die zwei schönen Kinder sah, legte er seinen hartnäckigen Stolz ab, nicht nur um seinem Worte treu zu bleiben, sondern auch den Seinigen, Rittern wie Damen zu Gefallen, die ihn alle baten, er möge sie nun als seine rechtschaffene Gattin aufnehmen und ehren. So hieß er denn die Gräfin aufstehen, küßte und umarmte sie, erkannte sie als seine rechtmäßige Gemahlin und die Kinder als die seinigen an. Dann ließ er sie mit Gewändern bekleiden, die ihrem Stande zukamen, und feierte zur großen Freude seiner Untertanen, der anwesenden wie der abwesenden, die es später erfuhren, mehrere Tage lang ein großes Fest. Von diesem Tage an liebte er sie mit aller seiner Gattin und Ehefrau gebührenden Achtung auf das herzlichste.

Zehnte Geschichte

Alibech wird Einsiedlerin, und der Mönch Rusticus lehrt sie den Teufel in die Hölle heimschicken. Dann kehrt sie zurück und wird die Frau des Neerbal.


Dioneo, der die Erzählung der Königin mit großer Aufmerksamkeit angehört hatte, merkte, als sie vollendet war, daß ihm allein noch zu reden obliege. Daher begann er, ohne einen Befehl abzuwarten, lächelnd also zu sprechen:

Holde Damen, ihr habt vielleicht noch niemals gehört, wie man den Teufel in die Hölle heimschickt, und so will ich es euch erzählen, ohne mich dabei weit von dem Gegenstand zu entfernen, von dem ihr heute den ganzen Tag über gesprochen habt. Wenn ihr es gelernt habt, könnt ihr vielleicht noch einmal dadurch eure Seele retten. Auch werdet ihr aus dieser Geschichte erfahren, daß die Liebe, wenngleich sie lieber heitere [291] Paläste und üppige Gemächer bewohnt, es dennoch nicht verschmäht, zuweilen ihre Kräfte auch in den dichten Wäldern, den rauhen Gebirgen und den Höhlen der Wüste fühlbar zu machen. So läßt sich denn ersehen, daß jegliches Ding ihr unterworfen ist.

Um nun zur Sache zu kommen, sage ich, daß in der Stadt Capsa in der Berberei vor Zeiten ein gar reicher Mann lebte, der unter mehreren andern Kindern eine schöne und wohlgestaltete Tochter hatte, die Alibech hieß. Weil sie keine Christin war und von vielen Christen, die in der Stadt lebten, den christlichen Glauben und Gottesdienst sehr loben hörte, fragte sie eines Tages einen von ihnen, wie man denn eigentlich Gott dienen könne und am leichtesten dazu gelange. Dieser antwortete ihr, man diene Gott am besten, je mehr man die irdischen Freuden fliehe, wie es besonders diejenigen täten, die in die Einöden der thebaischen Wüste gegangen wären.

Das Mädchen mochte etwa vierzehn Jahre alt sein und war gar einfältig. Daher machte sie sich, nicht aus vernünftigem Antrieb, sondern aus einer gewissen kindlichen Lust, ohne irgend jemand etwas davon wissen zu lassen, am andern Morgen heimlich und ganz allein nach der thebaischen Wüste auf den Weg und gelangte, weil ihre Lust anhielt, mit großer Anstrengung nach einigen Tagen bis in jene Einöden. Hier ging sie auf die erste Hütte zu, die sie in der Ferne sah, und fand einen heiligen Mann an der Tür stehen, der ganz verwundert war, sie zu erblicken, und fragte, was sie suchen gehe. Sie antwortete ihm, sie suche, einer Eingebung von Gott folgend, wie sie ihm dienen und jemand finden könne, der sie darin unterrichte. Als der wackere Mann ihre Jugend und Schönheit betrachtete, fürchtete er, es möge der Teufel ihn wohl betrügen, wenn er sie bei sich behielte. Darum lobte er ihren guten Vorsatz, gab ihr einige Kräuterwurzeln, wilde Äpfel und Datteln zu essen und Wasser zu trinken und sagte dann: »Meine Tochter, nicht weit von hier wohnt ein heiliger Mann, der ein weit besserer Lehrmeister dessen ist, was du begehrst, als ich es bin. Geh du zu dem!« Und damit brachte er sie auf den Weg.

Als sie nun zum zweiten kam und von ihm dieselbe Antwort erhielt, ging sie noch weiter und kam zur Zelle eines jungen [292] Einsiedlers, eines recht frommen und guten Menschen, der Rusticus hieß. An ihn richtete sie dieselbe Frage, die sie schon an die andern getan hatte. Rusticus dachte, eine große Probe seiner Standhaftigkeit anzustellen, und schickte sie deshalb nicht wie die andern weg, sondern behielt sie bei sich in seiner Zelle, machte ihr, als es Nacht ward, ein Bettchen von Palmenlaub und hieß sie sich darauf niederlegen.

Kaum war dies geschehen, so säumten die Versuchungen nicht eben lange, die Standhaftigkeit des Einsiedlers zu bekämpfen. Als dieser sich aber von jener bald völlig im Stich gelassen sah, wendete er, ohne viele Angriffe abzuwarten, dem Feinde den Rücken zu und ergab sich als besiegt. So ließ er denn die heiligen Gedanken, die Gebete und Geißelungen ganz beiseite liegen, rief sich dafür die Jugend und Schön heit des jungen Mädchens ins Gedächtnis und fing zugleich an, darüber nachzudenken, was für Mittel und Wege er ergreifen solle, um zum Ziele zu gelangen, damit sie nicht innewerde, er strebe als ein unkeuscher Mensch nach dem, was er von ihr begehrte. Zu dem Ende richtete er allerhand Fragen an sie, durch die er erfuhr, daß sie noch keinen Mann erkannt hatte und so unschuldig war, wie sie aussah. Deshalb beschloß er, sie unter dem Schein des Gottesdienstes seinen Wünschen gefügig zu machen.

Zuerst setzte er ihr mit vielen Worten auseinander, ein wie arger Feind des lieben Gottes der Teufel sei und wie man durch nichts Gott so lieb werden könne, als wenn man den Teufel heim in die Hölle schickte, in die unser Herrgott ihn verbannt habe. Das Mädchen fragte ihn, wie man das anfange. Rusticus antwortete ihr darauf: »Das sollst du bald erfahren, und darum tue, was du mich tun siehst.« Damit begann er, die wenigen Kleidungsstücke, die er trug, auszuziehen, und warf sich, als er ganz nackt war, auf die Knie, als wolle er beten. Das Mädchen ahmte ihn in allem nach. Er ließ es sich gegenüber knien, und wie er, in dieser Stellung verweilend, beim Anblick ihrer nackten Schönheit mehr denn je in seiner Begierde entbrannte, zeigte sich die Auferstehung des Fleisches. Als Alibech diese gewahr ward, wunderte sie sich und sprach: »Rusticus, was ist denn das für ein Ding, das ich da bei dir sehe, das sich so vordrängt und das ich nicht habe?« »Ach, meine Tochter«, sagte [293] Rusticus, »das ist eben der Teufel, von dem ich dir gesprochen habe. Siehst du, jetzt gerade plagt er mich so sehr, daß ich es kaum aushalten kann.« »Nun, Gott sei Lob«, sagte das Mädchen darauf, »so sehe ich, daß mir's besser geht als dir, denn ich für mein Teil habe keinen solchen Teufel.« Rusticus sagte: »Du sprichst die Wahrheit, du hast aber ein anderes Ding, das ich wieder nicht habe, und das ist ebenso schlimm.« »Warum nicht gar!« sagte Alibech. Rusticus antwortete ihr: »Du hast die Hölle, und ich sage dir, ich glaube, Gott hat dich zum Heil meiner Seele hierher gesandt. Denn wenn du dich meiner erbarmen und mir erlauben willst, daß ich, sooft dieser Teufel mich sehr plagt, ihn in die Hölle heimschicken darf, so wirst du mir eine große Erleichterung gewähren, Gott aber einen ausbündigen Dienst und Gefallen erzeigen, wenn du wirklich in der Absicht, die du mir gesagt hast, hierher gekommen bist.« Das Dirnlein erwiderte in gutem Glauben: »Ehrwürdiger Vater, da ich einmal die Hölle habe, so kann es geschehen, wenn Ihr wollt.« Darauf antwortete Rusticus: »Sei gesegnet, meine Tochter. So laß uns denn gehen und ihn heimschicken, auf daß er mich künftig in Frieden lasse.« Und mit diesen Worten führte er das Mädchen zu einem ihrer Betten und zeigte ihm, wie man sich stellen müsse, um diesen Verfluchten Gottes einzukerkern.

Das Dirnlein, das noch niemals einen Teufel heim in die Hölle geschickt hatte, spürte beim ersten Mal einiges Ungemach und sagte deshalb zu Rusticus: »Wahrlich, mein Vater, der Teufel muß ein abscheuliches Ding und ein rechter Feind Gottes sein, denn er tut selbst der Hölle, geschweige denn anderen Dingen weh, wenn er hineinkommt.« Rusticus sagte: »Meine Tochter, das wird nicht immer so sein.« Und um es dahin zu bringen, schickten sie, bevor sie sich vom Bettchen erhoben, ihn an die sechsmal heim in die Hölle, so daß sie ihm für diesmal den Hochmut aus dem Kopfe brachten und er Frieden hielt.

Als er sich aber später dennoch öfter wieder in Stolz erhob und das Mädchen sich immer willig zeigte, ihn zu demütigen, geschah es, daß sie an dem Spiele Gefallen fand und zu Rusticus sagte: »Nun sehe ich wohl, daß die wackeren Leute in Capsa recht hatten, wenn sie sagten, Gott dienen sei ein so [294] süßes Ding. Denn wahrlich, ich erinnere mich nicht, je etwas getan zu haben, das mir soviel Lust und Vergnügen gewährt hätte, als den Teufel in die Hölle heimzuschicken. Und so halte ich dafür, daß jeder, der sich nicht anstrengt, Gott zu dienen, ein unvernünftiges Tier ist.« Aus diesem Grunde kam sie oft zu Rusticus und sagte: »Ehrwürdiger Vater, ich bin hierher gekommen, um Gott zu dienen, und nicht, um müßigzugehen. So kommt denn und laßt uns den Teufel heim in die Hölle schicken.« In dieser Beschäftigung sagte sie auch wohl zuweilen: »Rusticus, ich weiß gar nicht, warum der Teufel wieder aus der Hölle herausgeht; denn wäre er so gern drinnen, wie die Hölle ihn gern aufnimmt und festhält, so würde er immer drinnen bleiben.«

Da sie auf solche Weise den Rusticus häufig zum Gottesdienst einlud und ermunterte, hatte sie ihm allmählich die Wolle so aus dem Wams gezupft, daß er fror, wenn ein anderer geschwitzt hätte. Deshalb sagte er zu dem Mädchen, man müsse den Teufel nur dann züchtigen und in die Hölle heimschicken, wenn er sein Haupt in Hochmut erhebe. »Wir aber«, fügte er hinzu, »haben ihn durch Gottes Hilfe so entlarvt, daß er Gott bittet, in Frieden bleiben zu dürfen.« Dadurch brachte er das Mädchen für einige Zeit zum Schweigen. Da sie aber sah, wie Rusticus sie gar nicht weiter aufforderte, den Teufel in die Hölle heimzuschicken, sagte sie eines Tages zu ihm: »Rusticus, ist dein Teufel nun abgestraft und plagt er dich nicht mehr, so läßt mich nun meine Hölle nicht in Ruhe. Und darum wirst du ein gutes Werk tun, wenn du mit deinem Teufel die Wut meiner Hölle bändigen hilfst, wie ich mit meiner Hölle geholfen habe, deinem Teufel den Stolz zu vertreiben.« Rusticus, der von Kräuterwurzeln lebte, war genötigt, bei diesem Spiele oft zu passen. So sagte er ihr, um die Hölle zu beschwichtigen, brauche man einen ganzen Haufen Teufel, doch wolle er für sie tun, was er irgend imstande sei. So erfüllte er denn zuweilen noch ihre Wünsche, doch geschah es so selten, daß es nicht mehr sagen wollte, als wenn man einem Löwen eine Bohne in den Rachen wirft. Auch war die Dirne, die Gott nicht ihren Wünschen gemäß zu dienen glaubte, damit gar nicht zufrieden.

Während aber dieser Streit zwischen dem Teufel des Rusticus [295] und der Hölle der Alibech wegen übermäßigen Verlangens und geringer Kräfte noch fortdauerte, geschah es, daß in Capsa eine Feuersbrunst wütete und Alibechs Vater mit allen seinen Kindern und der übrigen Familie im eigenen Hause verbrannte, so daß nun Alibech die Erbin des ganzen Vermögens wurde. Deshalb machte sich ein junger Mann namens Neerbal, der all sein Geld vergeudet und gehört hatte, sie sei noch am Leben, auf den Weg, um sie zu suchen. Er fand sie, zu des Rusticus großer Freude, noch bevor die Gerichte das Vermögen ihres Vaters als erbloses Gut eingezogen hatten, führte sie gegen ihren Willen nach Capsa zurück, heiratete sie und nahm mit ihr das ganze Vermögen in Besitz.

Als aber die Frauen sie, bevor sie noch bei Neerbal geschlafen hatte, befragten, wodurch sie denn in der Wüste Gott gedient habe, antwortete sie, durch Heim schicken des Teufels in die Hölle, und Neerbal habe eine große Sünde begangen, sie solcher Verrichtung zu entziehen. Die Frauen fragten weiter, wie man denn den Teufel heim in die Hölle schickte, und die Dirne zeigte es ihnen, halb mit Worten, halb mit Zeichen. Darüber mußten jene so sehr lachen, daß sie gar nicht aufhören konnten, und sie sagten: »Liebes Kind, sei deshalb unbesorgt, das kann man auch hier bei uns recht gut tun, und Neerbal wird auf dieselbe Weise unserem Herrgott fleißig mit dir dienen.« Dann erzählte eine der andern in der Stadt die Geschichte, und es wurde dort zum Sprichwort, der lustigste Gottesdienst sei der, den Teufel heim in die Hölle zu schicken. So ist denn diese Redensart übers Meer gekommen und noch heute im Schwange.

Darum, meine jungen Damen, müßt auch ihr, denen die Gnade Gottes gar not tut, lernen, wie man den Teufel in die Hölle heimschickt, denn Gott hat seinen Spaß daran, die Beteiligten ihr Ergötzen, und viel Gutes kann dadurch erzeugt werden und auf die Welt kommen.


Tausendmal und mehr hatte die Geschichte des Dioneo die sittsamen Mädchen zum Lachen gebracht, so spaßhaft kamen ihnen seine Worte vor. Als er aber zum Schluß kam und die Herrschaft der Königin nun ihr Ende erreicht hatte, nahm sie den Lorbeerkranz vom Haupt, setzte ihn mit vieler Anmut [296] dem Filostrato auf und sagte: »Nun werden wir sehen, ob der Wolf es besser verstehen wird, die Schafe zu führen, als bisher Schafe die Wölfe geführt haben.«

Als Filostrato dies hörte, sagte er lächelnd: »Wäre es auf mich angekommen, so hätten die Wölfe den Schäflein ebensogut beigebracht, den Teufel in die Hölle heimzuschicken, wie Rusticus der Alibech. Und so nennt uns denn nicht Wölfe, da ihr euch nicht wie Schäflein benommen habt. Da mir indes das Regiment übertragen ist, so will ich mein Reich regieren.« Neifile antwortete ihm: »Höre, Filostrato, statt uns belehren zu wollen, hättet ihr lieber wie Masetto aus Lamporecchio, von den Nonnen Klugheit lernen und die Sprache nicht eher wiederbekommen sollen, als bis die Knochen ohne Lehrmeister hätten pfeifen gelernt.« Filostrato merkte wohl, daß man ihm keine Antwort schuldig bleiben würde. So gab er das Witzeln auf und begann, sich statt dessen mit der Regierung des ihm übertragenen Reichs zu beschäftigen. Daher ließ er den Seneschall rufen und sich von ihm berichten, wie weit alles gediehen sei. Dann ordnete er mit vielem Verstand für die Dauer seiner Herrschaft an, was ihm ziemlich und für das Vergnügen der Gesellschaft förderlich erschien, und wandte sich, als dies geschehen war, mit folgenden Worten an die Damen:

»Liebevolle Damen! Seitdem ich Gut und Böse zu unterscheiden weiß, war ich zu meinem Unglück wegen der Schönheit der einen oder anderen unter euch immer dem Amor unterworfen. Daß ich demütig und gehorsam war und in allem aus vollen Kräften seiner Weise nachlebte, hat mir nichts geholfen. Vielmehr hat man mich zuerst um eines andern willen verlassen, und nachher ist es mir schlecht und schlechter gegangen, und so wird es mir wohl auch bis zu meinem Tod ergehen. Deshalb will ich denn, daß nichts anderes der Gegenstand unserer morgen zu erzählenden Geschichten sei, als was meinem eigenen Lose entspricht, nämlich die Schicksale derjenigen, deren Liebe ein unglückliches Ende nahm. Denn auch der Ausgang meiner Liebe wird, wenn es so weitergeht, höchst betrüblich sein, und allein um dessentwillen hat mir einer, der wohl wußte, was er tat, den Namen beigelegt, mit dem ihr mich ruft.« Mit diesen Worten stand er auf und beurlaubte alle bis zum Abendessen.

[297] Der Garten war so schön und ergötzlich, daß niemand aus der Gesellschaft es vorzog, ihn zu verlassen, um anderwärts größeres Vergnügen zu finden. Da die schon kühlere Luft ihnen nicht mehr beschwerlich war, unterhielten sie sich damit, den Rehen, Kaninchen und anderen Tieren nachzueilen, die, während sie saßen, mehr als hundertmal zwischen ihnen hindurchgesprungen waren und sie gestört hatten. Dion eo und Fiammetta begannen, von Herrn Wilhelm und der Dame von Vergiu zu singen, Filomena und Panfilo spielten Schach, und so vertrieben sie sich, der eine hiermit, der andere damit, die Zeit, bis, kaum erwartet, die Stunde des Abendessens herankam. Die Tafeln waren bei dem schönen Springquell gedeckt, und sie aßen in großer Fröhlichkeit zu Abend.

Um nicht von denen abzuweichen, die vor ihm Königinnen gewesen waren, forderte Filostrato Lauretta auf, einen Tanz zu beginnen und ein Lied zu singen. »Herr«, erwiderte sie, »fremde Lieder weiß ich nicht, und von den meinen kann ich keines auswendig, das einer so fröhlichen Gesellschaft hinlänglich gerecht würde. Wollt Ihr es aber, so wie ich es habe, so will ich gern eines singen.« Der König antwortete darauf: »Nichts, was du gemacht hast, kann anders als schön und gut sein, und deshalb sage uns eines, wie du es im Gedächtnis hast.« Da begann Lauretta mit gar sanfter Stimme und in etwas schwermütiger Weise, während die übrigen antworteten, also:


Niemand hat Leid empfunden,
Mit soviel Grund zu klagen,
Als ich, die ich von Schmerz bin umwunden.
Der Herr, auf dessen Wink die Himmel weichen,
Hat mich zu seiner Lust gemacht,
So schön, anmutig, reizend ohnegleichen,
Daß, wer hienieden himmelwärts gedacht,
Der Schönheit säh ein Zeichen,
Die droben stets vor seinem Auge lacht.
Allein die Erdennacht
Begriff nicht meine Reize,
Hat mich verschmäht und nimmer schön gefunden.
[298]
Wohl war ein Jüngling einst, der voll Verlangen,
Weil zart ich war und klein,
Mit Arm und mit Gedanken mich umfangen:
Aus meinen Augen sog er Flammen ein.
Die Zeit, die schnell vergangen,
Verwandt er nur, gefällig mir zu sein.
Hingebend ward ich sein
Und fand ihn meiner würdig;
Jetzt aber, ach, ist solches Glück entschwunden.
Drauf hat ein andrer liebend mich erkoren,
Voll keckem Übermut,
Weil er sich tapfer dünkt und hochgeboren.
Der hält voll Eifersucht mich streng in Hut,
Leiht falschem Wahn die Ohren.
Ich aber fühl, in herber Tränenflut
Verzweifelnd, nur zu gut,
Daß ich, zum Heile vieler
Geboren, nun an einen mich gebunden.
Mein widriges Geschick muß ich verklagen,
Das mich betöret, ach,
Des Kleiderwechsels willen ja zu sagen.
Im dunklen Kleid einst froh, muß Ungemach
Ich nun im hellen tragen
Und überdies des bösen Leumunds Schmach.
O arger Hochzeitstag,
Was bin ich nicht gestorben,
Bevor ich deine Bitterkeit empfunden.
Geliebter Freund, den ich mit Lust besessen,
Dem keiner jemals glich,
Du weilst dort oben in dem Anschaun dessen,
Der uns erschaffen hat. Erbarme dich
Der Frau, die zu vergessen
Dich nie vermag, und überzeuge mich,
Die Flamm entzünde sich
Aufs neu, in der ich glühte;
Wo nicht, so kürze dieses Lebens Stunden.

[299] Hier endete Lauretta ihr Lied, das von allen überdacht, von verschiedenen aber verschieden verstanden ward. Die einen meinten, es komme auf das mailändische Sprichwort hinaus: »Besser eine fette Sau als eine hübsche Frau«, andere aber erkannten darin einen erhabeneren, tieferen und wahreren Sinn, von dem indes zu reden jetzt nicht an der Zeit ist. Dann wurden auf des Königs Befehl Wachsfackeln in Menge angezündet und auf dem blumigen Rasen noch mehrere andere Lieder gesungen, bis alle Sterne, die aufgegangen waren, zu sinken begannen. Nun erst meinte der König, es sei Schlafenszeit, und hieß deshalb alle mit der Gutennacht sich in ihre Gemächer zurückziehen.

[300]

Vierter Tag

[Einleitung]
[303]

Geliebte Damen, sowohl nach den Worten weiser Männer, die ich vernommen, als nach dem, was ich selbst oftmals gesehen hatte, war ich des Glaubens, daß der ungestüme und sengende Wind des Neides nur die hohen Türme und die erhabensten Baumwipfel erschütterte; doch finde ich mich in dieser Meinung betrogen. Weil ich nämlich das wilde Ungestüm jenes wütenden Gifthauches fliehe und immer vor ihm geflohen bin, habe ich meinen Weg absichtlich nicht allein in der Ebene, sondern in den tiefsten Tälern gehalten. Diese meine Gesinnung muß schon dem deutlich genug einleuchten, der die gegenwärtigen Geschichten betrachtet; habe ich sie doch nicht nur in der Sprache des florentinischen Volkes und in Prosa ohne weitere Bezeichnung geschrieben, sondern auch im anspruchslosesten und bescheidensten Stil von der Welt. Dessenungeachtet bin ich dem Ungestüm jenes Sturmes so wenig entgangen, daß er mich vielmehr gewaltig erschüttert, ja fast entwurzelt hat und ich von den Bissen des Neides ganz zerfleischt bin. Woraus erhellt, daß es wahr ist, was die Weisen sagen, daß allein unter allen Dingen die Erbärmlichkeit dem Neide entgeht.

Einige nämlich haben beim Lesen dieser Geschichten gesagt, daß ihr, o Damen, mir allzusehr gefallt und es mir übel anstehe, wenn ich solches Behagen daran finde, euch zu unterhalten und zu ergötzen, oder gar, wie andere sich noch stärker geäußert haben, euch zu loben. Wieder andere, die ihr Urteil als ein reiferes angesehen haben möchten, haben gemeint, für mein Alter sei es unziemlich, noch immer bemüht zu sein, den Damen zu gefallen und nur von ihnen zu reden. Noch andere haben sich auf das liebevollste um meinen Nachruhm besorgt gestellt und geäußert, ich täte besser, mit den Musen auf dem Parnaß zu weilen, als mit derlei Geschwätz unter euch zu [303] verkehren. Auch hat es nicht an solchen gefehlt, die mit größerer Geringschätzung als Einsicht der Meinung gewesen sind, daß ich gescheiter täte, daran zu denken, wo ich Brot hernehmen könnte, als bei solchen Narreteien von der Luft zu leben. Endlich haben auch einige zum Nachteile meiner Arbeit behaupten wollen, die Begebenheiten meiner Geschichten hätten sich ganz anders zugetragen, als ich sie euch berichte. Von so mannigfachen und gewaltigen Stürmen, von so giftigen und scharfen Zähnen werde ich bedrängt, geängstigt, ja lebensgefährlich verwundet, weil ich in euren Diensten, ihr werten Damen, stehe. Aber ich vernehme und ertrage alle diese Anfechtungen, Gott weiß es, mit heiterem Mute.

Obgleich nun meine Verteidigung in diesen Dingen euch allein obläge, bin ich doch nicht gesonnen, meine Kräfte zu schonen, sondern beabsichtige viel mehr, ohne jeden weiteren Verzug zwar nicht so zu erwidern, wie sich's gebührte, wohl aber mit einer schlichteren Antwort mich von meinen Gegnern zu befreien. Denn wenn sie nun, wo noch nicht ein Drittel meines Werkes gediehen ist, schon so zahlreich und so übermütig sind, so muß ich wohl vermuten, daß sie sich, wenn ihnen nicht eine vorgängige Abfertigung zuteil wird, noch vor Beendigung meines Werkes so vervielfacht haben möchten, daß sie mich mit geringer Mühe in den Grund bohren und eure, wenn auch noch so großen Kräfte nichts mehr dagegen vermöchten. Bevor ich mich indes darauf einlasse, irgend jemandem eine Antwort zu geben, will ich zu meiner Rechtfertigung nicht eine vollständige Geschichte erzählen, weil es sonst so aussehen könnte, als wollte ich meine Geschichten mit denen einer so ehrenwerten Gesellschaft, wie es die oben beschriebene war, vermischen, wohl aber einen Teil von einer Geschichte mitteilen, damit dieser Mangel selbst sie von jenen unterscheide.

So sage ich denn zu meinen Widersachern, daß in unserer Stadt schon vor geraumer Zeit ein Bürger namens Filippo Balducci lebte, der, obgleich von ziemlich geringem Stande, dennoch wohlhabend, wohlerzogen und für seine Umstände ungewöhnlich welterfahren war. Dieser hatte eine Frau, die er auf das zärtlichste liebte, und sie ihn ebenso, so daß sie bei ihrem sorgenfreien Leben sich beide nichts so angelegen sein ließen, [304] als eines dem andern recht viel Freude zu machen. Nun geschah es, wie dereinst uns allen geschehen wird, daß die gute Frau aus dieser Welt ging und ihrem Filippo nichts als einen einzigen Sohn hinterließ, der etwa zwei Jahre alt sein mochte. Der Mann verfiel über den Tod seiner Frau in solche Schwermut wie nur jemals einer, der den Gegenstand seiner Liebe verlor. Und da er sich der Gesellschaft beraubt sah, die ihm unter allen die liebste gewesen war, beschloß er, nicht mehr der Welt anzugehören, sondern sich dem Dienste Gottes zu widmen und seinen kleinen Sohn dem gleichen Beruf zuzuführen. Zu diesem Ende verteilte er sein ganzes Vermögen als Almosen, begab sich sodann auf den Monte Asinajo und bezog dortselbst mit seinem Söhnchen eine kleine Klause. Während er nun, von Almosen zehrend, mit dem Kinde in Fasten und Beten fortlebte, vermied er auf das sorglichste, in dessen Gegenwart von weltlichen Dingen zu reden oder ihm dergleichen vor die Augen kommen zu lassen, damit sie dasselbe nicht von jenem frommen Leben ablenken möchten. Vielmehr redete er ihm statt dessen nur von der Herrlichkeit des ewigen Lebens, von Gott und seinen Heiligen und lehrte es nichts als fromme Gebete.

In solchem Leben erhielt er den Kleinen viele Jahre lang, ließ ihn nie aus der Klause gehen und duldete nicht, daß der Knabe jemand anders als ihn zu sehen bekam. Filippo war aber gewohnt, zu Zeiten nach Florenz zu wandern, von wo er, nach seinen Bedürfnissen von gottesfürchtigen Leuten unterstützt, in seine Zelle heimkehrte. Als nun der Sohn das achtzehnte Jahr erreicht hatte, der Vater aber schon alt geworden war, geschah es, daß der Junge den Alten fragte, wohin er gehe, worauf Filippo ihm die Wahrheit sagte. Darauf entgegnete der Sohn: »Vater, Ihr seid nachgerade alt und ertragt die Arbeit nur mit Mühe. Warum nehmt Ihr mich nicht einmal mit nach Florenz und macht mich mit den gottesfürchtigen Freunden bekannt, damit ich dann, sooft Ihr es wünscht, allein nach unseren Bedürfnissen in die Stadt gehen kann und Ihr zu Hause bleibt?« Der Vater erwog, wie sein Sohn schon groß und an ein gottgefälliges Leben so gewöhnt sei, daß die Verlockungen der Welt ihn wohl schwerlich an sich ziehen könnten, und sagte bei sich selbst: »Er hat nicht unrecht.« Und so nahm er ihn mit, als er in die Stadt ging.

[305] Als der junge Mensch nun Paläste, Häuser, Kirchen und alle die andern Schönheiten sah, von denen Florenz voll ist und deren er, soweit seine Erinnerung reichte, noch niemals gesehen hatte, verwunderte er sich ausnehmend und fragte bei vielen seinen Vater, wie sie genannt würden. Der Vater gab ihm Auskunft, und wenn er dann den Namen vernommen hatte, war er zufrieden und fragte nach etwas anderem. Während der Sohn also fragte und der Vater antwortete, geschah es, daß sie einer Schar schöner und geschmückter junger Mädchen begegneten, die soeben von einem Hochzeitsfeste heimkehrten. Als der junge Einsiedler diese gewahr wurde, fragte er alsbald den Vater, was das für Dinger wären. Jener antwortete: »Mein Sohn, schlage die Augen nieder und schaue sie nicht an, denn sie sind vom Übel.« Darauf sprach der Sohn: »Wie nennt man sie denn aber?« Weil nun der Vater in den begehrenden Trieben des Jünglings nicht unnütze Lust und Verlangen zu erregen wünschte, mochte er sie nicht mit ihrem rechten Namen Weiber nennen, sondern sagte: »Das sind Gänschen.« Und – es klingt in der Tat unglaublich – der junge Mann, der nie ein Weib erblickt hatte, antwortete sogleich, unbekümmert um Paläste, Ochsen, Pferde, Esel, Geld und alle andern Dinge, die er gesehen: »Vater, ich bitte Euch, verschafft mir so ein Gänschen.« »Um Himmels willen, schweig«, entgegnete der Vater, »die sind vom Übel.« Darauf fragte ihn der Sohn: »Sieht denn das, was vom Übel ist, so aus?« »Ja«, sagte der Vater; aber der Sohn entgegnete wieder: »Ich weiß nicht, was Ihr sprecht und warum diese vom Übel sind. Was mich betrifft, so meine ich, daß ich noch nie etwas so Schönes und Reizendes gesehen habe. Die sind ja noch schöner als die gemalten Engel, die Ihr mir so oft gezeigt habt. Wenn Ihr mir gut seid, so laßt uns so ein Gänschen mit hinaufnehmen, ich will es schon auffüttern.« Da sagte der Vater: »Ich will aber nicht; und du weißt auch gar nicht, womit die gefüttert sein wollen.« Indem er aber so sprach, fühlte er, daß die Natur mehr vermochte als menschlicher Verstand, und er bereute es, ihn nach Florenz mitgenommen zu haben.

Was ich bisher von dieser Geschichte erzählt habe, möge indes genügen, und ich will mich nun zu denen wenden, an die [306] ich sie gerichtet. Einige meiner Tadler sagten nämlich, ich tue übel daran, daß ich mich allzusehr bemühe, euch, ihr jungen Damen, zu gefallen, und ein allzu großes Behagen an euch finde. Diese Vorwürfe nun, daß ihr nämlich mir gefallt und ich bestrebt bin, euch zu gefallen, gestehe ich offen als wahr ein, frage aber jene, ob sie sich darüber wundern können, wenn sie, abgesehen von der Bekanntschaft mit den liebevollen Küssen, den süßen Umarmungen und den höchsten Wonnen der Liebe, die ihr, holdselige Damen, öfters gewährt, nur eure erlesenen Sitten, eure gefällige Schönheit, eure zierliche Anmut und überdies eure weibliche Sittsamkeit fortwährend beachtet haben und noch beachten, da doch ein Mensch, der auf einem wilden und einsamen Berge, innerhalb der Wände einer kleinen Klause und in alleiniger Gesellschaft seines Vaters genährt, erzogen und groß geworden war, sobald er euch erblickt, nur nach euch verlangte, euch begehrte und nur euch in seinen Wünschen anhing? Werden mich jene tadeln, verspotten und beschimpfen dürfen, wenn ich an euch Gefallen finde oder euch zu gefallen mich bemühe; mich, dessen Leib der Himmel ganz dazu erschaffen hat, um euch zu lieben, mich, dessen Geist ich selbst seit meiner Kindheit euch zugeführt, seit ich die Kraft eurer Lichtaugen, die Anmut eurer honigsüßen Worte und die Flamme empfunden habe, die sich an euren sehnsüchtigen Seufzern entzündet – besonders, wenn sie ins Auge fassen, daß ihr vor allen andern Dingen einem Einsiedler, einem ungebildeten Jungen oder, um es richtiger zu sagen, einem wilden Tier gefielet –? Wahrlich, nur wer die Freuden und die Kraft der Gefühle nicht kennt, welche die Natur in uns gelegt, und deshalb euch weder liebt noch von euch geliebt zu werden wünscht, tadelt mich auf diese Weise, und der Tadel eines solchen kümmert mich wenig.

Diejenigen aber, die sich über mein Alter aufhalten, dürften nicht wissen, daß der Stengel des Lauches grün bleibt, wenn der Kopf auch weiß ist, und allen Scherz beiseite lassend, antworte ich ihnen, daß ich es nie für eine Schande halten werde, mich bis zum Ende meines Lebens um diejenigen zu bewerben, denen zu gefallen Guido Cavalcanti und Dante Alighieri in reifen Jahren, Messer Cino von Pistoja aber in seinem späten Alter sich zur Ehre und Freude schätzten. Entfernte ich mich [307] nicht dadurch von meiner herkömmlichen Redeweise, so brächte ich die Chroniken herbei und zeigte, wie voll sie von großen Männern des Altertums sind, die noch in ihren spätesten Jahren sich eifrigst bemüht haben, den Frauen zu gefallen. Ist diese Tatsache jenen unbekannt, so mögen sie hingehen und sich belehren lassen.

Daß ich mit den Musen auf dem Parnaß weilen solle, ist, ich sage es selbst, ein guter Rat. Da wir aber weder immer bei den Musen noch sie immer bei uns bleiben können, so ist es nicht zu tadeln, daß man sich, wenn man von ihnen entfernt ist, mit Gegenständen beschäftigt, die ihnen ähnlich sehen. Nun sind die Musen Frauen, und mögen ihnen die Damen an Würde auch nicht gleichstehen, so haben sie doch auf den ersten Anblick Ähnlichkeit mit ihnen und müßten mir also gefallen, wäre es auch aus keinem andern Grunde als diesem. Zudem aber haben die Damen mir schon Anlaß gegeben, Tausende von Versen zu dichten, während ich auf den Anlaß der Musen hin noch keinen einzigen gemacht habe. Wohl aber halfen mir die Musen und lehrten mich jene tausend Verse schreiben, und es ist nicht unmöglich, daß sie während des Schreibens dieser Geschichtchen, so anspruchslos sie sind, mich schon mehrere Male heim gesucht haben. Ist dem aber so, dann taten sie es vermutlich der Ähnlichkeit zu Ehren und zu Gefallen, welche die Damen mit ihnen haben. Demzufolge entfernte ich mich, wenn ich diese Geschichten niederschreibe, lange nicht so weit vom Berge Parnaß und von den Musen, wie manche vielleicht denken mögen.

Was aber sollen wir denen antworten, die mir aus lauter Mitleid mit meinem Hunger raten, an meinen Broterwerb zu denken? Wahrlich, ich wüßte es nicht. Soviel aber weiß ich wohl: überlege ich mir, wie ihre Antwort ausfiele, wollte ich sie meiner Notdurft wegen ansprechen, dann kann ich mir sie nicht anders denken als: »Geh und bettle dir Brot bei deinen Fabeleien.« Doch haben den Dichtern ihre Fabeleien mitunter schon mehr eingebracht als vielen Reichen ihre Schätze. Manche verherrlichten durch ihre Fabeln das ganze Zeitalter, dem sie angehörten, während im Gegenteil viele andere, die bestrebt waren, mehr zu erwerben, als sie brauchten, selbst in Kummer und Sorge verkamen. Doch wozu die vielen Worte! Mögen jene [308] Tadler mich immerhin abweisen, wenn ich etwas von ihnen verlange. Gottlob, für jetzt bedarf ich dessen nicht. Sollte ich aber später dennoch in Not geraten, so weiß ich nach der Lehre des Apostels sowohl Überfluß als Mangel zu ertragen, und deshalb möge es sich denn niemand um mich angelegener sein lassen, als ich es tue.

Diejenigen endlich, welche behaupten, diese Geschichten hätten sich nicht auf die erzählte Weise zugetragen, täten mir einen großen Gefallen, wenn sie die rechte Wahrheit beibrächten. Verhielte sich diese alsdann anders, als ich geschrieben habe, so fände ich ihren Tadel begründet und wäre meinen Fehler zu verbessern bemüht. Solange aber nichts zum Vorschein kommt als Worte, will ich ihnen ihre Meinung lassen, für mein Teil aber bei der meinigen bleiben und von ihnen dasselbe sagen, was sie mir vorwerfen.

Da ich nun gesonnen bin, für diesmal mit dem Gesagten mich zu begnügen, erkläre ich, daß ich mit Hilfe Gottes und mit der, die ich von euch, ihr holdseligen Damen, erhoffe, und mit Geduld gewappnet, diesen Stürmen den Rücken kehren und sie blasen lassen will. Kann mir ja doch nichts anderes geschehen als dem leichten Staube, den der Sturmwind entweder nicht von der Stelle bewegt oder den er, wenn er ihn ergreift, in die Höhe trägt und oftmals auf den Häuptern der Menschen, den Kronen der Könige und Kaiser und zuzeiten auf stolzen Palästen und hohen Türmen absetzt, von denen er, wenn er niederfällt, doch nicht tiefer als bis zu der Stelle fallen kann, von der er aufgehoben ward.

Habe ich also jemals mich mit allen meinen Kräften bemüht, euch in etwas zu gefallen, so werde ich es nun mehr als je zuvor tun, weil ich erkenne, daß man mir mit billigen Gründen nichts anderes vorwerfen kann, als daß die übrigen wie auch ich, die wir euch lieben, nach dem Willen der Natur verfahren. Ihren Gesetzen aber zu widerstreben, bedarf es allzu großer Kräfte, und die es zu tun versuchen, bemühen sich oftmals nicht allein vergebens, sondern auch zu ihrem eigenen wesentlichen Nachteil. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ich jene Kräfte weder habe noch zu haben wünsche. Ja, besäße ich sie auch, so würde ich sie doch lieber einem andern leihen, als für mich [309] verwenden. Es mögen denn jene Kläffer schweigen, und, wenn sie unfähig sind, sich zu erwärmen, in ihrer Frostigkeit weiterleben. Mögen sie ihren Freuden oder richtiger ihren verderbten Lüsten nachgehen und mir in dem kurzen Leben, das uns verliehen ist, die meinigen lassen. Nun aber ist es Zeit, daß wir, schöne Damen, nach langem Abschweifen wieder dahin zurückkehren, von wo wir ausgegangen sind, und in der begonnenen Ordnung fortfahren.


Die Sonne hatte vom Himmel bereits alle Gestirne und von der Erde die feuchten Schatten der Nacht vertrieben, als Filostrato aufstand und die ganze Gesellschaft aufstehen ließ. Sie gingen in den schönen Garten und lustwandelten dort nach Gefallen. Als aber die Essensstunde gekommen war, speisten sie eben da, wo sie tags zuvor das Abendessen verzehrt hatten. Nach dem Mittagsschlafe, den sie beendeten, als die Sonne im Zenit stand, setzten sie sich in der gewohnten Weise bei der schönen Quelle nieder. Dann gebot Filostrato Fiammetta, die Reihe der Erzählungen zu beginnen. Sie aber hub, ohne weitere Reden zu erwarten, anmutig zu sprechen an:

Erste Geschichte

Tancredi, Fürst von Salerno, tötet den Geliebten seiner Tochter und schickt ihr sein Herz in einer goldenen Schale; sie aber gießt vergiftetes Wasser darüber, trinkt es und stirbt.


Einen traurigen Gegenstand hat der König uns für heute zu besprechen gegeben, da wir fremde Tränen, die nicht erzählt werden können, ohne daß Hörer und Sprecher zum Mitleid erregt werden, schildern sollen, wo wir doch nur zusammenkamen, um uns zu erheitern. Vielleicht tat er es, um die Heiterkeit der vorigen Tage ein wenig auszugleichen. Was aber immer ihn dazu veranlaßt haben mag, so will ich, da mir nicht zukommt, seinen Gefallen zu ändern, euch eine klägliche, herzzerreißende und eurer Tränen würdige Begebenheit erzählen.

[310] Tancredi, der Fürst von Salerno, wäre ein mildherziger und gutgesinnter Fürst gewesen, hätte er sich in seinen alten Tagen nicht noch die Hände mit dem Blut zweier Liebender besudelt. Derselbe hatte zeitlebens nur eine Tochter gehabt, und wohl ihm, hätte er auch sie nicht besessen! Der Vater liebte sie so zärtlich, wie nur je eine Tochter von ihrem Vater geliebt ward, und nur um dieser Liebe willen, weil er es nicht übers Herz bringen konnte, sich von ihr zu trennen, verheiratete er sie selbst da noch nicht, als sie das heiratsfähige Alter schon um mehrere Jahre überschritten hatte. Endlich gab er sie zwar einem Sohne des Herzogs von Capua zur Frau, aber nach kurzer Ehe machte dessen Tod sie zur Witwe, und sie kehrte zum Vater zurück.

Sie war von Gesicht und Gestalt so schön, wie nur je ein anderes Weib gewesen, und dabei jung, entschlossen und gescheit in höherem Maße, als einer Frau vielleicht taugen mag. Während sie nun bei dem zärtlichen Vater in Überfluß und Bequemlichkeit lebte, wie es ihrem hohen Range zukam, und gewahr wurde, daß der Vater vor großer Liebe sich wenig bemühte, sie wieder zu verheiraten, beschloß sie, weil sie es nicht schicklich fand, ihn um einen zweiten Mann anzusprechen, sich, wenn es geschehen könne, heimlich einen würdigen Geliebten zu verschaffen. So beschaute sie sich denn viele adelige und nichtadelige Männer, die am Hofe ihres Vaters verkehrten, wie das an Höfen zu geschehen pflegte, und beachtete das Betragen und die Sitten vieler unter ihnen. Vor den andern gefiel ihr ein junger Diener ihres Vaters namens Guiscardo, der seiner Abkunft nach ziemlich gering, seinen Eigenschaften und seinem Betragen zufolge aber mehr als alle übrigen adelig zu nennen war. In diesen verliebte sie sich, als sie ihn öfters sah und an seinem Wesen immer größeren Gefallen fand, in aller Stille auf das inbrünstigste. Auch hatte der junge Mann, der ebenfalls klug war, die Gesinnung der Dame erkannt und ihr sein Herz in solchem Maße zugewendet, daß er alle Gedanken außer der Liebe zu ihr fast gänzlich aus seiner Seele getilgt hatte.

Während nun beide einander auf solche Weise heimlich liebten und die junge Dame nach nichts so sehr als nach einer Zusammenkunft mit ihm verlangte und dennoch ihre Liebe niemand anvertrauen wollte, erdachte sie sich eine neue List, um [311] ihn mit allem bekannt zu machen. Sie schrieb nämlich einen Brief, in welchem sie ihm anzeigte, was er am folgenden Tag zu tun habe, um zu ihr zu gelangen. Dann steckte sie diesen in die Höhlung eines Schilfrohrs, das sie dem Guiscardo scherzend mit den Worten übergab: »Daraus magst du heute abend deiner Magd ein Blasrohr zum Feueranzünden machen.« Guiscardo nahm es hin und erriet bald, daß sie es ihm nicht ohne Ursache gegeben und solche Worte dazu gesprochen habe. Infolgedessen entfernte er sich sogleich, trug das Rohr heim, besah es und zerbrach es, als er es gespalten fand. Als er nun darin ihren Brief entdeckte, ihn gelesen und die darin enthaltenen Vorschläge wohl in sich aufgenommen hatte, wurde er so froh wie kein anderer und begann sogleich, alles ins Werk zu setzen, was nötig war, um auf die angegebene Weise zu ihr zu gelangen.

Hart an dem fürstlichen Palast war schon vor undenklichen Zeiten eine Höhle in den Felsen gehauen, die von einem künstlich durch die Wand des Felsens getriebenen Luftloch einiges Licht empfing. Weil indes die Höhle selbst vernachlässigt war, hatten aufgeschossene Dornen und Sträucher auch jenes Luftloch fast ganz verdeckt. In diese Höhle konnte man durch eine geheime Treppe gelangen, die sich in einem der von der Dame bewohnten Zimmer im Erdgeschoß des Palastes befand, obgleich der Eingang mit einer starken Tür verschlossen war. Auch war von der Treppe seit so undenklichen Zeiten kein Gebrauch gemacht worden, daß sie dem Gedächtnis aller Schloßbewohner so gut wie entfallen war und kaum einer sich erinnerte, daß sie vorhanden sei. Dennoch aber hatte die Liebe, deren Auge das Verborgenste beachtet, sie in das Gedächtnis der liebenden Dame zurückgerufen. Damit niemand das mindeste gewahr würde, hatte sie tagelang mit den Werkzeugen, die ihr zur Hand waren, allein sich abgemüht, die Türe zu öffnen. Dann war sie in die Höhle gegangen, hatte sich jenes Luftloch angesehen und dem Guiscardo geschrieben, daß er versuchen möge, dort herunterzukommen. Auch hatte sie ihm zu diesem Zweck angegeben, wie tief es ungefähr von dort bis auf den Boden sein könne.

Zur Ausführung dieses Planes machte sich Guiscardo in aller [312] Eile einen Strick mit allerhand Knoten und Schlingen zurecht, um daran hinabzusteigen, zog ein Lederkoller an, das ihn vor den Dornen schützen sollte, und machte sich dann, ohne jemand ein Wort wissen zu lassen, in der nächsten Nacht auf den Weg nach jenem Luftloch. Hier befestigte er das eine Ende des Strickes an einem kräftigen Stamm, der hart am Rande stand, ließ sich alsdann in die Höhle hinab und erwartete die Dame. Diese stellte sich zur rechten Zeit, als wollte sie schlafen, schickte ihre Gesellschafterinnen weg und öffnete, nachdem sie sich eingeschlossen hatte, die Tür zur Höhle, in der sie ihren Guiscardo fand. Beide begrüßten sich mit unbeschreiblicher Freude, gingen dann miteinander in das Gemach und verbrachten dort den größten Teil des Tages unter dem lebhaftesten beiderseitigen Ergötzen. Als sie darauf sorgfältige Abrede getroffen hatten, wie sie ihre Liebe fernerhin geheimhalten wollten, kehrte Guiscardo in die Höhle zurück, und die junge Dame suchte, nachdem sie die Tür verschlossen, ihre Gesellschafterinnen wieder auf. Guiscardo aber kletterte in der folgenden Nacht an seinem Stricke empor, kroch aus dem Luftloch, durch das er gekommen war, wieder heraus und ging nach Hause.

Da er nun den Weg einmal gefunden hatte, legte er ihn im Verlaufe der Zeit noch oft auf dieselbe Weise zurück. Endlich aber verwandelte das Schicksal, das den Liebenden so lange und so große Freuden nicht gönnte, durch ein trauriges Ereignis ihre Glückseligkeit in Jammer und Tränen.

Tancredi pflegte zuweilen ganz allein in das Gemach seiner Tochter zu kommen, eine Zeitlang bei ihr zu bleiben, mit ihr zu sprechen und dann wieder zu gehen. So kam er denn auch eines Tages nach Tische, als die junge Dame, deren Name Ghismonda war, mit ihren Gesellschafterinnen im Garten verweilte, in ihr Zimmer herunter, ohne daß ihn jemand gehört oder gesehen hätte. Als er sie nicht fand, wollte er ihr Vergnügen nicht unterbrechen. Die Fenster waren verschlossen und die Vorhänge ihres Bettes niedergelassen, und der alte Fürst setzte sich in einer Ecke zu Füßen des letzteren auf einen Schemel, lehnte das Haupt ans Bett, zog den Vorhang über sich, als hätte er sich absichtlich verbergen wollen, und schlief ein.

[313] Während er noch schlief, verließ Ghismonda, die zu ihrem Unglück eben an jenem Tage den Guiscardo zu sich beschieden hatte, ihre beiden Gesellschafterinnen, kehrte leise in ihr Zimmer zurück, verschloß es hinter sich und öffnete, ohne zu bemerken, daß jemand da war, dem Guiscardo, der sie bereits erwartete, die Tür. Als beide nun nach ihrer Gewohnheit sich zusammen niederlegten, miteinander scherzten und sich ergötzten, geschah es, daß Tancredi erwachte und dem, was Guiscardo und seine Tochter miteinander vornahmen, zuhörte und zusah. Tief ergrimmt wollte er seinen Zorn sogleich über sie ausschütten; dann aber zog er es vor, zu schweigen und womöglich verborgen zu bleiben, um später mit größter Überlegung und geringer Schande für sich selbst das auszuführen, was zu tun ihm bereits dunkel vorschwebte. Die beiden Liebenden blieben nach gewohnter Weise lange Zeit beieinander und wurden Tancredi noch immer nicht gewahr. Endlich standen sie auf, Guiscardo kehrte in die Höhle zurück, und die junge Dame verließ das Zimmer. Darauf ließ Tancredi, obgleich er schon alt war, sich aus einem Fenster des Zimmers in den Garten hinunter und erreichte, ohne von jemand beobachtet worden zu sein, mit tödlichem Gram im Herzen sein Zimmer.

In der folgenden Nacht wurde auf seinen Befehl Guiscardo, den sein Lederkoller ungelenk machte, eben als er um die Zeit des ersten Schlafes aus jenem Luftloch schlüpfen wollte, von zwei Reisigen gefangen und heimlich vor Trancedi geführt. Als dieser ihn sah, sagte er, fast bis zu Tränen erschüttert: »Guiscardo, meine Güte gegen dich hat den Schimpf und die Schande nicht verdient, die du mir, wie ich heute mit eigenen Augen gesehen habe, in dem Meinigen angetan hast.« Guiscardo antwortete ihm auf diese Worte weiter nichts als: »Die Liebe vermag viel mehr als Ihr und ich.«

Darauf befahl Tancredi, daß er in aller Stille in einem benachbarten Raume bewacht werde, und so geschah es. Tancredi aber ging, nachdem er viele und mancherlei Vorhaben durchdacht hatte, am andern Tag, bevor Ghismonda von dem Geschehenen das mindeste erfahren hatte, seiner Gewohnheit zufolge nach Tisch in das Gemach seiner Tochter, ließ sie zu sich rufen, schloß sich mit ihr ein und sagte dann unter Tränen: [314] »Ghismonda, ich glaubte deiner Tugend und Ehrbarkeit so gewiß zu sein, daß, von wem immer es mir gesagt worden wäre, ich mir niemals hätte träumen lassen, du könntest auch nur daran denken, dich einem Manne, der dir nicht angetraut ist, zu ergeben, geschweige denn, du wärest fähig, es wirklich zu tun, wie ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Daß es nun dennoch geschehen ist, wird mir den kurzen Rest von Leben, den mein Alter mich noch erwarten läßt, auf immer verbittern. Wollte Gott nur wenigstens, daß, wenn du einmal zu solcher Sittenlosigkeit herabsinken solltest, du dir einen Mann erwählt hättest, der deinem Adel ebenbürtig gewesen wäre. So aber hast du dir unter den vielen, die sich an meinem Hofe aufhalten, den Guiscardo ausgesucht, einen Menschen vom niedrigsten Stande, der an unserem Hofe sozusagen aus bloßem Erbarmen bis auf den heutigen Tag ernährt worden ist, und du hast mich dadurch in die größten Sorgen gestürzt, da ich nicht weiß, was ich nach dem Geschehenen mit dir anfangen soll. Mein Vorsatz über Guiscardo, den ich diese Nacht, als er aus dem Luftloch der Höhle schlüpfte, festnehmen ließ und gefangenhalte, ist bereits gefaßt. Was aber aus dir werden soll, mag Gott wissen, denn ich weiß es nicht. Auf der einen Seite bewegt mich die Liebe, die ich von jeher zärtlicher für dich empfunden habe als jeder andere Vater für seine Tochter, auf der andern erregt mich der gerechte Zorn über deine verbrecherische Torheit. Jene will, daß ich dir vergebe, dieser aber nötigt mich wider meine Natur, dich hart zu bestrafen. Bevor ich mich jedoch entschließe, will ich hören, was du selbst über das Geschehene zu sagen hast.« Und mit diesen Worten neigte er das Haupt und weinte so heftig wie ein Kind, das arge Schläge empfangen hat.

Ghismonda hatte bei der Rede ihres Vaters, aus der sie entnahm, daß nicht allein ihre geheime Liebe entdeckt, sondern auch ihr Guiscardo gefangen sei, unbeschreiblichen Schmerz empfunden und war oft nahe daran gewesen, diesem nach Art der meisten Frauen in Tränen und lautem Wehklagen Luft zu machen. Dennoch besiegte sie die Schwäche, behielt die Züge ihres Gesichtes mit wunderbarer Festigkeit in der Gewalt und setzte sich vor, in der Meinung, daß ihr Guiscardo schon [315] umgebracht sei, lieber ihr Leben lassen zu wollen, als die geringste Bitte für sich zu tun.

Darum antwortete sie ihrem Vater nicht wie ein betrübtes oder eines Vergehens bezichtigtes Weib, sondern fest und unbekümmert, mit trockenen Augen und sicheren, unveränderten Zügen folgendermaßen: »Tancredi, ich bin weder zu leugnen noch zu bitten gesonnen, denn das eine würde und das andere soll mir nichts nützen. Auch will ich deine Liebe und Milde durch nichts auf der Welt für mich zu erregen suchen, vielmehr bin ich entschlossen, zuerst die Wahrheit zu gestehen und meine Ehre mit genügenden Gründen zu verteidigen, dann aber meinen hohen Sinn durch Taten auf das nachdrücklichste zu bewähren. Es ist wahr, ich habe Guiscardo geliebt, liebe ihn noch und werde ihn lieben, solange mein Leben währt, was nicht mehr lange sein wird; und sollte man nach dem Tode noch lieben, so werde ich auch dann nicht aufhören, ihn zu lieben. Zu dieser Liebe hat mich indes nicht nur meine weibliche Schwäche, sondern auch deine Saumseligkeit, mich zu verheiraten, verbunden mit seiner Trefflichkeit, getrieben. Da du selbst, Tancredi, von Fleisch und Blut bist, so mußtest du wissen, daß du eine Tochter erzeugt hast, die aus Fleisch und Blut und nicht aus Eisen oder Stein besteht. Du mußtest dich erinnern und mußt es noch heute tun, obwohl du jetzt alt geworden bist, von welcher Art die Gesetze der Natur sind und mit welcher Kraft sie die Jugend bestürmen, und wenn du gleich als Mann einen Teil deiner besten Jahre mit Waffenübungen verbracht hast, so konnte dir doch nicht unbekannt sein, was Muße und Überfluß über bejahrte, geschweige denn über junge Leute vermögen. Nun bin ich, als deine Tochter, von Fleisch und Blut und weit davon entfernt, gelebt zu haben, vielmehr noch jung an Jahren, und aus beiden Gründen voll sinnlichen Verlangens, dessen Stärke auf das äußerste dadurch gesteigert worden ist, daß ich schon einmal vermählt gewesen und so gewahr geworden bin, welche Wollust es ist, jenes Verlangen zu befriedigen.

So entschloß ich mich denn, da ich doch jenen Angriffen nicht zu widerstehen vermochte, als ein schwaches junges Weib das zu tun, wozu sie mich verlockten, und verliebte mich wirklich. [316] Aber wahrlich, ich bot dabei alle meine Kräfte auf, um, soweit ich es zu verhindern imstande war, durch den Fehltritt, zu dem die Natur mich zwang, weder dir noch mir Schande zu bereiten. Auch hatten Amors Mitleid und meines Geschickes Gunst mir so verborgene Wege erspäht und gewiesen, daß ich zum Ziel meiner Wünsche gelangte, ohne daß jemand etwas davon gewahr worden wäre. Dies alles leugne ich nicht, wer dir auch jene Kunde hinterbracht hat oder wie du sonst das Geschehene erfahren hast. Übrigens habe ich mich dem Guiscardo nicht, wie viele tun, aufs Geratewohl ergeben; nein, ich habe ihn nach sorgfältiger Überlegung unter vielen anderen erwählt, ihn mit umsichtiger Sorgfalt zu mir eingeführt und mit bedächtiger Ausdauer von beiden Seiten mich lange der Erfüllung meiner Wünsche gefreut.

Daß ich eben ihn mir ausersehen, scheinst du, von meinem Fehltritt an sich abgesehen, dem gemeinen Vorurteile mehr als der Wahrheit nachgehend, mir mit besonderer Bitterkeit vorzuwerfen, wenn du sagst, ich hätte mich mit einem Menschen geringeren Standes eingelassen – als ob du mir nicht gezürnt hättest, wenn ich mir einen Edelmann zu gleichem Umgang erwählt hätte. Dabei berücksichtigst du aber nicht, daß du keineswegs mich eines Unrechts bezichtigst, sondern allein das Schicksal, welches nur allzuoft die Unwürdigen erhebt und die Würdigen in der Tiefe läßt. Schweigen wir aber jetzt einen Augenblick davon und fassen wir das Wesen der Dinge ins Auge, so wirst du erkennen, daß unser aller Fleisch aus einem Stoffe besteht und daß unsere Seelen alle von ein und demselben Schöpfer mit gleichen Fähigkeiten, gleichen Anlagen und gleichen Eigenschaften ausgestattet worden sind. Erst die Tugend hat uns, die wir gleich geboren wurden und noch werden, unterschieden, und diejenigen, welche sie in höherem Grade besaßen oder übten, wurden edel genannt, während die übrigen unedel blieben. Wenn nun gleich späterhin widerstrebende Gebräuche dieses Grundgesetz verhüllt haben, so ist es darum weder aufgehoben noch aus der Natur und den edlen Sitten getilgt. Der also beweist unwiderleglich seinen Adel, der tugendhaft handelt, und wer ihn dann anders nennt, der lädt auf sich einen Makel und nicht auf den fälschlich Benannten. Tue [317] dich unter allen deinen Edelleuten um, erwäge ihre Eigenschaften, ihre Sitten, ihr Betragen und stelle ihnen Guiscardo mit den seinigen gegenüber. Willst du dann leidenschaftslos richten, so mußt du ihn hochadelig, deine Edelleute aber gemein nennen.

Was im übrigen Guiscardos Tugenden und seinen Wert betrifft, so habe ich mich in dieser Hinsicht auf niemandes Urteil, sondern allein auf deine Worte und meine Augen verlassen. Wer lobte ihn wohl je so lebhaft, wie du ihn wegen alles dessen gepriesen hast, was an einem wackeren Manne des Lobes wert ist? Und wahrlich, du tatest nicht unrecht daran; denn täuschten meine Augen mich nicht, so hast du ihm keinen Lobspruch erteilt, den ich nicht von ihm durch die Tat viel herrlicher hätte bestätigt gesehen, als deine Worte es auszudrücken vermochten. Hätte ich mich hierbei aber dennoch irgendwie betrogen, so wärest du es gewesen, der mich getäuscht hat.

Willst du nun noch sagen, daß ich mich mit einem Menschen von niedrigem Stande eingelassen habe? Gewiß, du sprächest die Unwahrheit. Sagtest du aber vielleicht: mit einem armen Menschen, so könnte man dir allerdings zu deiner Schande vorwerfen, daß du einen trefflichen Mann in deinem Dienste nicht besser gefördert hast. Doch Armut beraubt niemanden des Adels, sondern nur des Besitzes. Viele Könige, viele große Fürsten sind arm gewesen, und viele, die hinter dem Pfluge gehen oder das Vieh hüten, waren und sind überreich.

Das letzte Bedenken, von dem du sprachst, was du nämlich mit mir machen sollst, schlage dir nur völlig aus dem Sinn. Bist du in deinem späten Alter gesonnen, das zu tun, was du in deiner Jugend nicht pflegtest, willst du hart und grausam verfahren, so übe an mir als der ersten Ursache dieses Vergehens, wenn meine Tat anders ein solches zu nennen ist, immerhin deine Härte, denn ich bin entschlossen, mit keinem Wort deine Milde in Anspruch zu nehmen. Auch beteuere ich dir: solltest du mir nicht dasselbe tun, was du dem Guiscardo angetan hast oder noch antun wirst, so werde ich mir mit meinen eigenen Händen das gleiche Los bereiten. Wohlan denn, weine, wenn du willst, den Weibern gleich, verschließe, wenn [318] du glaubst, daß wir es verdient haben, dem Mitleid dein Herz und töte uns beide mit einem Schlage.«

Der Fürst erkannte in dieser Rede die Seelengröße seiner Tochter, glaubte sie aber dennoch zu dem, was sie angedeutet hatte, nicht so fest entschlossen, wie es ihren Worten entsprach. Deshalb gab er, als er sie verließ, den Gedanken zwar völlig auf, seine Härte an ihr selbst auszulassen, beabsichtigte aber dafür, ihre glühende Liebe durch andere Schläge abzukühlen. Zu diesem Ende befahl er den beiden, die den Guiscardo bewachten, diesen in der nächsten Nacht ohne jedes Geräusch zu erdrosseln, ihm das Herz aus dem Leibe zu nehmen und dieses ihm, dem Fürsten, zu bringen. Die Wächter taten genau, wie ihnen befohlen worden war. Der Fürst aber ließ sich am andern Tag eine große und schöne goldene Schale reichen, tat in diese Guiscardos Herz und schickte sie alsdann seiner Tochter durch einen vertrauten Diener, dem er auftrug, wenn er die Schale übergäbe, zu sagen: »Das schickt dir dein Vater, um dir an dem, was du am meisten liebst, ebensoviel Freude zu bereiten, wie du ihm an dem gewährt hast, was er am liebsten hatte.«

Ghismonda hatte sich inzwischen, sobald ihr Vater von ihr gegangen war, in ihrem schrecklichen Vorsatz unerschüttert, giftige Wurzeln und Kräuter bringen lassen, diese abgekocht und ein Wasser daraus bereitet, das sie zur Hand haben wollte, sobald geschähe, was sie fürchtete. Als nun der Diener mit dem Geschenk und den Worten des Fürsten vor sie kam, nahm sie mit unverändertem Gesicht die Schale und war, sobald sie dieselbe aufdeckte, das Herz erblickte und jene Worte vernahm, sogleich völlig überzeugt, daß es Guiscardos Herz sei. Deshalb blickte sie zu dem Diener auf und sagte: »Wahrlich, einem Herzen wie diesem ziemte kein geringeres Grab als ein goldenes. Darin hat mein Vater verständig gehandelt.« Und nach diesen Worten führte sie es zum Munde, küßte es und sagte: »Mein Vater hat mir von jeher und bis zu diesem letzten Augenblicke meines Lebens in allen Dingen die zärtlichste Liebe bewiesen, jetzt aber tut er es mehr denn je zuvor. Bestelle ihm dafür den letzten Dank, den ich ihm jemals sagen werde.«

Als sie dies gesagt, wandte sie sich wieder zur Schale, die sie noch fest in den Händen hielt, und sagte, während sie [319] unverwandt das Herz anblickte: »O geliebter Wohnort aller meiner Freuden, Fluch über die Grausamkeit dessen, der schuld daran ist, daß ich dich mit leiblichen Augen erblickte. Genügte es mir doch, dich mit den Augen des Geistes immerdar zu schauen. Du hast nun deinen Lauf beendet und vollbracht, was dein Geschick dir bestimmt hatte. Du hast das Ziel erreicht, dem ein jeder entgegengeht. Alles Elend und alle Mühe dieser Welt hast du hinter dir gelassen und durch deinen Feind selbst ein Grab gefunden, wie es deinem Werte gebührt. Nichts fehlt dir nun zu deiner vollen Bestattung als die Tränen derjenigen, die du im Leben so zärtlich geliebt hast. Damit aber auch diese dir zuteil würden, gab Gott es meinem unbarmherzigen Vater ein, daß er dich mir schickte, und ich will sie dir gewähren, wenngleich ich mir vorgenommen hatte, ohne Tränen zu sterben und durch keinen Schrecken meine Züge verändern zu lassen. Habe ich dir meine Tränen gezollt, so will ich ohne Säumen trachten, daß durch deine Hilfe sich meine Seele mit derjenigen vereinige, die einst von dir so sorgsam beherbergt ward. Und unter welchem Geleit könnte ich wohl zufriedener und sicherer in jenes unbekannte Land gehen als in dem ihrigen? Ich glaube sicher, sie weilt noch hierinnen und betrachtet den Schauplatz ihrer und meiner Freuden, und da ich gewiß bin, sie liebt mich noch, so erwartet sie wohl meine Seele, die ihr auf das zärtlichste anhängt.«

Als sie so gesprochen hatte, begann sie, ohne nach Art der Frauen laut zu klagen, über die Schale geneigt, unter tausend Küssen, die sie dem toten Herzen gab, einen solchen Strom von Tränen zu vergießen, daß es wunderbar zu sehen war und nicht anders schien, als sei ihrem Haupt ein Wasserquell entsprungen. Ihre Gesellschafterinnen, die um sie her standen, begriffen weder, was das für ein Herz war, noch was die Worte der Dame zu bedeuten hatten. Dennoch weinten sie alle aus Mitleid, erkundigten sich teilnehmend, aber vergeblich nach der Ursache ihrer Tränen und beeiferten sich, zu tun, was sie nur wußten und konnten, um sie zu trösten.

Die Dame aber richtete ihr Haupt, als sie genug geweint zu haben glaubte, wieder auf, trocknete ihre Augen und sagte: »O mein vielgeliebtes Herz, nun sind alle meine Pflichten gegen [320] dich vollendet, und mir bleibt nichts zu tun übrig, als daß ich mit meiner Seele komme, um der deinen Gesellschaft zu leisten.« Und mit diesen Worten ließ sie sich die Flasche reichen, die das Wasser enthielt, das sie am Tage zuvor bereitet, schüttete es in die Schale, in der das Herz von ihren vielen Tränen gebadet lag, setzte sie vollkommen furchtlos an den Mund und trank sie völlig leer. Dann aber bestieg sie, die Schale in der Hand, ihr Bett, nahm die geziemendste Lage ein, die sie ihrem Körper zu geben wußte, drückte das Herz ihres toten Geliebten an das ihre und erwartete so, ohne ein Wort zu reden, ihren Tod.

Inzwischen hatten ihre Gesellschafterinnen, ob sie gleich nicht wußten, was für ein Wasser Ghismonda getrunken, alles dem Tancredi hinterbracht, was sie mit angesehen und gehört hatten. Dieser eilte, das Geschehene ahnend, in das Gemach seiner Tochter und trat in dem Augenblick ein, wo sie sich auf ihr Bett niederlegte. Nun, da es zu spät war, sprach er ihr mit süßen Worten Trost zu und fing bitterlich zu weinen an, als er erkannte, wie weit es mit ihr gekommen war. Ghismonda aber sagte zu ihm: »Trancredi, spare dir diese Tränen für ein Unglück, das du nicht, wie dieses, selbst herbeigeführt hast, und verschwende sie nicht um mich, die ich dergleichen nicht begehre. Wer außer dir möchte auch wohl über das weinen, was er selbst gewollt hat? Wenn aber dennoch eine Spur der Liebe, die du für mich empfandest, in dir lebendig geblieben sein sollte, so gewähre mir als letzte Gunst, wenn du schon nicht dulden wolltest, daß ich stillschweigend und verborgen mit Guiscardo lebte, daß nun mein Leib wenigstens mit dem seinigen, wohin du ihn immer hast werfen lassen, öffentlich zusammen ruhe.« Der Drang der Tränen gestattete dem Fürsten nicht, zu antworten. Die Dame aber fühlte, daß ihr Ende gekommen sei, drückte noch einmal das tote Herz an die Brust und sagte: »Lebt mit Gott, ich scheide.« Da verschleierten sich ihre Augen, ihre Sinne schwanden, und sie schied aus diesem leidvollen Leben.

Ein so trauriges Ende nahm, wie ihr vernommen, Guiscardos und Ghismondas Liebe. Tancredi aber bereute zu spät seine Grausamkeit mit vielen Tränen und ließ die beiden Leichen unter allgemeinem Bedauern der Leute von Salerno ehrenvoll in einem und demselben Grabe bestatten.

[321] Zweite Geschichte

Bruder Alberto redet einer Frau ein, der Engel Gabriel sei in sie verliebt, und beschläft sie mehrmals in dessen Namen. Endlich springt er aus Furcht vor ihren Verwandten aus dem Fenster und flüchtet in das Haus eines armen Mannes, der ihn, als wilden Mann verkleidet, am nächsten Tag auf den Marktplatz bringt, wo er erkannt, von seinen Klosterbrüdern festgehalten und ins Gefängnis gesetzt wird.


Die Geschichte Fiammettas hatte die Augen ihrer Gefährtinnen mehrmals mit Tränen gefüllt. Als sie nun aber zu Ende gediehen war, sagte der König mit wirschem Gesicht: »Wohlfeilen Kaufes glaubte ich die Hälfte der Freuden, die Guiscardo und Ghismonda genossen, mit meinem Leben zu bezahlen. Daß ich so denke, kann niemanden unter euch verwundern, da ich lebend immerwährend tausend Tode erleide, und mir darum doch nicht das kleinste Teilchen Lust gewährt wird. Doch will ich jetzt auf meine Lage nicht weiter eingehen und gebe Pampinea auf, in den kläglichen Geschichten fortzufahren, die meinem Unglück teilweise ähnlich sind. Wenn sie einigermaßen in der Weise fortfährt, wie Fiammetta begonnen, so darf ich sicher hoffen, daß meine Glut durch einige Tautropfen gemildert wird.«

Als Pampinea den an sie gerichteten Befehl vernahm, erkannte sie in ihrer Freundschaft besser den Wunsch ihrer Gefährtinnen als den des Königs in dessen Worten. So beschloß sie denn, mehr in der Absicht, jene zu erheitern, als dem Befehle des Königs zu folgen, eine lustige Geschichte zu erzählen, ohne dabei von der gestellten Aufgabe abzuweichen, und sie begann also:

Das Volk hat ein Sprichwort: »Gilt ein Bösewicht für gut, so glaubt man's nicht, wenn er was Schlechtes tut«, das mir nicht allein reichlichen Stoff bietet, um über das zu reden, was mir aufgegeben ist, sondern an dem sich auch die Größe der Heuchelei der Mönche aufzeigen läßt, die mit ihren langen und weiten Gewändern, mit ihren künstlich gebleichten Gesichtern, mit ihrer Stimme, die sanft und demütig ist, wenn sie fremdes Gut begehren, aber laut und ungestüm, wenn sie an andern ihre [322] eigenen Laster tadeln oder wenn sie vorgeben, daß sie durch Nehmen, andere aber durch Geben selig werden; die sogar behaupten, daß sie nicht überall wie Menschen sind, die gleich uns sich selbst um ihre Seligkeit zu mühen haben, sondern wie Herren und Besitzer des Paradieses jedem, der da stirbt, je nach der Geldsumme, die er ihnen hinterläßt, einen mehr oder minder vorzüglichen Platz in diesem gewähren können – die mit all diesem, sage ich, zuerst sich selbst, wenn anders sie daran glauben, und dann alle diejenigen zu täuschen suchen, welche ihren Worten Glauben beimessen. Dürfte ich nur, was sie betrifft, alles offenbaren, was zu sagen wäre, so wollte ich manchen einfältigen Seelen klarmachen, was jene in ihren weiten Kapuzen verbergen. Wollte aber Gott, daß es ihnen allen mit ihren Lügen so erginge wie einem Minoriten, der nicht mehr jung war, aber in Venedig für einen der größten Kasuisten galt und dessen Geschichte zu erzählen ich besondere Lust habe, damit eure Gemüter, die noch von Mitleid über den Tod der Ghismonda erfüllt sind, sich vielleicht durch Scherz und Lachen wieder einigermaßen erholen mögen.

In Imola war einmal ein Mann, der ein gar ruchloses und sündhaftes Leben führte und Berto della Massa hieß. Wie seine Schändlichkeiten aber den Imolesen bekannt wurden, kam es bald dahin, daß ihm in seiner Heimat niemand mehr trauen wollte, selbst wenn er die Wahrheit, geschweige denn wenn er Lügen erzählte. So sah er denn wohl ein, daß es in Imola mit seinen Gaunerstückchen nicht mehr gehen wollte, siedelte deshalb nach Venedig, dem Sammelplatz aller Taugenichtse, über und hoffte hier auf neue Art bessere Gelegenheit zu finden, nach seiner Weise im trüben zu fischen, als es bisher anderwärts der Fall gewesen war. Zu diesem Ende stellte er sich über alle schlechten Streiche, die er zuvor begangen, reuigen Gewissens, tat, als habe sich eine unsägliche Demut seiner bemächtigt, wurde der frömmste Christ von der Welt und ließ sich zum Minoriten einkleiden, als welcher er Bruder Alberto von Imola genannt ward.

In diesem neuen Gewande begann er dem Scheine nach ein strenges Leben zu führen, empfahl Bußen und Enthaltsamkeit auf das nachdrücklichste, aß kein Fleisch und trank keinen [323] Wein – wenn er nämlich keinen hatte, der nach seinem Geschmack war. Dem allem zufolge war fast niemand gewahr geworden, daß unser Mönch sich aus einem Diebe, Kuppler, Fälscher und Mörder plötzlich und ohne jene Laster aufzugeben, wenn er ihnen im verborgenen frönen konnte, zu einem gewaltigen Prediger entwickelt hatte. Auch hatte er sich überdies zum Priester weihen lassen und weinte bitterlich über das Leiden Christi, sooft er vor den Augen vieler die Messe las, da Tränen, wenn er ihrer bedurfte, ihn wenig kosteten. Mit einem Worte, er wußte durch seine Predigten und durch seine Tränen die Gemüter der Venezianer in solchem Maße zu gewinnen, daß er fast in jedem Testament als zuverlässiger Vollstrecker und Bewahrer ernannt ward, daß viele ihm ihr Geld zum Aufheben übergaben und daß er Beichtiger und Ratgeber des größeren Teiles aller Männer und Frauen wurde. Auf solche Weise war er denn vom Wolf zum Hirten geworden, und der Ruf seiner Heiligkeit war in jener Gegend größer, als der des heiligen Franziskus jemals in Assisi gewesen ist. Nun geschah es, daß ein junges, albernes und einfältiges Weib bei eben diesem heiligen Mönche mit anderen Frauen zur Beichte ging. Sie hieß Madonna Lisetta, stammte aus der Familie Quirino und war an einen Großhändler verheiratet, der mit seinen Galeeren nach Flandern gefahren war. Als diese nun, vor ihm kniend nach venezianischer Weise – und Windmacher sind die Venezianer alle –, einen Teil ihrer Angelegenheiten vorgetragen hatte, fragte Bruder Alberto, ob sie keinen Liebhaber habe. Sie aber antwortete mit erzürntem Gesicht: »Wo denkt Ihr hin, Herr Pater; habt Ihr denn keine Augen im Kopfe? Scheinen meine Reize Euch von derselben Sorte zu sein wie die der andern Weiber? Mehr als zu viele hätte ich, wenn ich sie wollte; aber ich bin keine Schönheit, in die sich jeder Narr verlieben dürfte. Wie viele sind Euch denn schon vorgekommen, deren Reize den meinigen gleichkämen? Ich wäre auch im Paradiese schön.« Und so fuhr sie fort, von ihrer Schönheit so viel Wesens zu machen, daß es gar nicht zum Aushalten war.

Bruder Alberto merkte gleich, daß die gute Frau nicht an übermäßigem Verstand litt, und weil er Erdreich gefunden zu [324] haben glaubte, das seinem Pfluge gerecht sei, verliebte er sich alsbald auf das lebhafteste in sie. Dennoch wollte er sich die guten Worte für eine gelegenere Zeit aufheben und begann für dies mal, um seine Heiligkeit an den Tag zu legen, sie zu schelten und ihr zu sagen, das seien Eitelkeiten, und mehr solche Redensarten. Darauf erwiderte die Frau, er sei ein Esel und wisse nicht, daß eine Schönheit mehr heißen wolle als die andere. Bruder Alberto aber wollte sie nicht allzusehr erzürnen, beschloß die Beichte und ließ sie mit den übrigen gehen.

Als danach einige Tage verstrichen waren, nahm er einen vertrauten Gefährten und begab sich mit diesem in das Haus der Madonna Lisetta. Hier ging er mit ihr allein in ein Zimmer, warf sich, daß niemand ihn sehen konnte, ihr zu Füßen und sagte: »Madonna, ich bitte Euch um Gottes willen, vergebt mir, was ich Euch am Sonntag sagte, als Ihr mir von Eurer Schönheit sprachet. Ich bin in der Nacht darauf dafür so geschlagen worden, daß ich bis heute nicht aus dem Bett habe aufstehen können.« Darauf sagte Monna Lisetta: »Wer schlug Euch denn so?« »Das will ich Euch wohl sagen«, entgegnete Bruder Alberto. »Während ich, wie es meine Gewohnheit ist, die Nacht über auf den Knien lag und betete, erblickte ich plötzlich einen hellen Glanz in meiner Zelle, und ich konnte mich nicht sobald umdrehen, um zu sehen, was es sei, als ich einen wunderschönen Jüngling mit einem dicken Stock in der Hand vor mir stehen sah, der mich sogleich beim Kragen faßte, mich zu Boden riß und mir so viele Hiebe gab, bis ich ganz zerschlagen war. Darauf fragte ich ihn, warum er mir so getan habe; er aber antwortete: ›Weil du dich heute unterstanden hast, die himmlische Schönheit der Madonna Lisetta, die ich nächst Gott vor allen andern Dingen liebe, zu schmähen.‹ Dann fragte ich ihn wieder: ›Wer seid Ihr denn?‹ und er antwortete mir: ›Ich bin der Engel Gabriel.‹ ›Ach Herr‹, erwiderte ich darauf, ›seid doch nur so gut und verzeiht mir.‹ Er entgegnete aber: ›Ich verzeihe dir, jedoch nur unter der Bedingung, daß du, sobald du kannst, zu ihr gehst und dir von ihr verzeihen läßt. Will sie dir dann nicht vergeben, so komme ich wieder und prügle dich so lange, daß du dein Leben lang genug haben wirst.‹ Was er mir aber hernach noch gesagt hat, [325] wage ich Euch nicht wiederzuerzählen, wenn Ihr mir nicht zuvor vergeben wollt.«

Monna Lisetta, die nicht leicht ein Wässerchen trüben konnte, war über diese Worte, denen sie vollen Glauben schenkte, ganz vergnügt geworden und sagte nach einer kleinen Weile: »Habe ich's Euch nicht gleich gesagt, Bruder Alberto, daß meine Schönheit himmlischer Art ist? Aber Gott soll mir nicht helfen, wenn es mir nicht leid ist um Euch, und damit Euch weiter kein Leid geschehe, verzeihe ich Euch gleich auf der Stelle unter der Bedingung, daß Ihr mir erzählt, was der Engel weiter zu Euch sagte.«

Bruder Alberto erwiderte: »Madonna, weil Ihr mir denn verziehen habt, will ich Euch alles genau sagen. Doch mache ich Euch darauf aufmerksam, daß Ihr Euch wohl hüten müßt, gegen irgend jemand auf der Welt von dem, was ich Euch sagen werde, das mindeste laut werden zu lassen, wenn Ihr, die Ihr das glücklichste Frauenzimmer seid, das lebt, Euch nicht alles verderben wollt. Derselbe Engel Gabriel trug mir auf, Euch zu bestellen, Ihr gefielet ihm so gut, daß er schon oft gekommen wäre, um die Nacht bei Euch zuzubringen, wenn er nicht gefürchtet hätte, Euch zu erschrecken. Und nun läßt er Euch durch mich sagen, daß er Euch eine Nacht besuchen und eine Weile bei Euch bleiben will. Weil er aber ein Engel ist und Ihr ihn nicht anrühren könntet, wenn er in Engelsgestalt käme, so will er, während er Euch besucht, Euch zu Gefallen menschliche Gestalt annehmen. Zu dem Ende will er von Euch wissen, wann und in wessen Gestalt er zu Euch kommen soll. Sobald er darüber Auskunft hat, wird er kommen, und Ihr könnt Euch für die glücklichste Frau von der Welt halten.«

Die einfältige Madonna sagte darauf, es sei ihr sehr angenehm, wenn der Engel Gabriel sie liebe, denn sie habe ihn auch recht lieb und habe niemals ein Bild von ihm gesehen, ohne ein Dreierlicht davor anzuzünden. Wenn er sie besuchen wolle, sei er ihr jederzeit willkommen. Sie erwarte ihn ganz allein auf ihrer Stube. Das aber bedinge sie sich aus, daß er sie nicht um der Jungfrau Maria willen im Stich lasse. Man habe ihr gesagt, daß er der gar gut sei, und es komme ihr selbst so vor; denn überall, wo sie ihn sähe, läge er immer vor der [326] Jungfrau auf den Knien. Im übrigen möge er kommen, in welcher Gestalt ihm beliebe, wenn sie nur nicht erschrecke.

Dem entgegnete Bruder Alberto: »Madonna, was Ihr da sagt, ist sehr verständig, und ich werde mit dem Engel schon alles in Ordnung bringen, was Ihr mir auftragt. Ihr könntet mir aber eine große Gunst erzeigen, die Euch nichts kostete. Die Gunst ist nämlich die, daß Ihr den Engel in meiner Gestalt zu Euch kommen heißt. Nun will ich Euch aber auch sagen, warum das eine Gunst für mich ist. Nimmt er meine Gestalt an, so muß er mir die Seele aus dem Leibe holen und sie derweilen ins Paradies versetzen, dann geht er in meinen Körper ein, und solange er bei Euch bleibt, solange weilt meine Seele im Paradiese.« Darauf sagte die törichte Madonna: »Gut, ich bin es zufrieden. So mögt Ihr denn zur Entschädigung für die Prügel, die Ihr um meinetwegen bekommen, diese Freude haben.« »Tragt denn Sorge«, entgegnete Bruder Alberto, »daß er heute nacht Eure Haustür offen findet und ohne weiteres herein kann; denn wenn er, wie er das doch tun soll, in menschlicher Gestalt zu Euch kommt, so kann er nicht anders als durch die Tür herein.« Die gute Frau sagte, sie werde es besorgen, und Bruder Alberto empfahl sich. Sie aber warf sich, als sie allein war, so in die Brust, daß ihr der Hintere nicht ans Hemd langte, und es dünkten ihr tausend Jahre, bis der Engel Gabriel sie zu besuchen käme.

Bruder Alberto hatte inzwischen in der Meinung, daß er diese Nacht nicht sowohl den Engel als den tüchtigen Reiter spielen müsse, um nicht allzu schnell aus dem Sattel gehoben zu werden, bereits angefangen, sich mit Zuckerwerk und andern guten Dingen zu stärken. Dann ließ er sich vom Kloster Urlaub geben und ging mit einem andern Mönch in das Haus einer seiner Freundinnen, von welchem aus er in vorkommenden Fällen den Weiberlauf schon öfter begonnen hatte. Als es ihm an der Zeit schien, begab er sich von dort in das Haus der Lisetta, wo er sich mit allerlei Narreteien, die er mitgebracht, als Engel verkleidete und dann hinauf in das Gemach der jungen Frau ging. Als diese die weiße Figur eintreten sah, warf sie sich vor ihr auf die Knie. Der Engel aber segnete sie, hieß sie aufstehen und winkte ihr, sich schlafen zu legen. Ihr kam [327] dieses Geheiß nur gelegen, sie gehorchte mithin alsbald, und der Engel legte sich darauf neben seine Verehrerin. Bruder Alberto war wohlgewachsen und kräftig, auch standen ihm die Beine trefflich zu Leibe, und so lieferte er denn in den Armen Frau Lisettas, die ein festes Fleisch und weiche Haut hatte, ihr andere Beweise der Liebe, als sie sie von ihrem Manne gewohnt war. Auch ohne Flügel tat er die Nacht hindurch gar manchen Flug und erfreute so die junge Frau, der er noch überdies gar viel von der himmlischen Herrlichkeit erzählte, ausnehmend.

Als endlich der Morgen herannahte, schied er, nach besprochener Wiederkehr, mit seiner Engelsmaske und kehrte zu dem Klosterbruder zurück, dem inzwischen, damit er sich allein im Bett nicht fürchten möchte, die gute Frau vom Hause freundliche Gesellschaft geleistet hatte. Frau Lisetta aber ging, sobald sie gegessen hatte, in geziemender Begleitung zum Bruder Alberto, berichtete ihm Neuigkeiten vom Engel Gabriel, erzählte, was sie von ihm über die Herrlichkeit des ewigen Lebens gehört habe und wie er aussehe, und fügte dem allem noch die seltsamsten Fabeleien hinzu. Bruder Alberto antwortete ihr darauf: »Madonna, ich weiß nicht, was zwischen ihm und Euch vorgefallen ist. Wohl aber weiß ich, daß er, als er diese Nacht zu mir kam und ich ihm Eure Bestellung ausgerichtet hatte, sogleich meine Seele unter so viel Blumen und Rosen davontrug, daß man deren hienieden noch nie so viele zusammen gesehen hat. Da weilte ich denn an einem der entzückendsten Orte, die je gewesen sind, bis zum Morgengebet. Was inzwischen aus meinem Körper geworden ist, davon weiß ich nichts.« »Sagt' ich's Euch denn nicht?« entgegnete die Frau. »Euer Körper hat die ganze Nacht mit dem Engel Gabriel in meinen Armen gelegen, und wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so schaut nur unter Eurer linken Brustwarze nach, wo ich dem Engel solch einen schrecklichen Kuß gegeben habe, daß noch ein paar Tage lang das Mal an Euch zu sehen sein wird.« Darauf sagte Bruder Alberto: »Nun, so will ich denn heute abend etwas tun, was ich seit langer Zeit nicht getan habe, ich will mich entblößen, um nachzusehen, ob Ihr mir die Wahrheit sagt.«

Nach vielem weiteren Geschwätz ging die junge Frau wieder nach Haus; Bruder Alberto aber kehrte in Engelsgestalt [328] noch oft zu ihr zurück, ohne auf irgendein Hindernis zu stoßen. Indessen geschah es, daß Madonna Lisetta, als sie eines Tages mit einer Gevatterin zusammen war und sich mit dieser über Schönheiten stritt, ihrer erwähnten Einfalt zufolge und um für ihre Schönheit den Vorrang vor allen übrigen zu behaupten, sagte: »Wenn Ihr nur wüßtet, wem meine Schönheit gefällt, so wäret Ihr wahrhaftig von den übrigen still.« Da die Gevatterin sie schon kannte, so war sie neugierig zu hören, was da herauskäme, und sagte: »Madonna, es mag schon sein, daß Ihr recht habt. Solange man aber nicht weiß, von wem Ihr redet, solange ändert man auch nicht leicht seine Meinung.« Darauf erwiderte die kurzsichtige junge Frau: »Gevatterin, man soll nicht davon reden; aber der Engel Gabriel ist mein Liebster. Der hat mich lieber als sich selbst, denn er sagt, ich sei das schönste Frauenzimmer auf der Welt.« Die Gevatterin hatte bei diesen Reden wohl Lust zu lachen, doch bezwang sie sich, damit Frau Lisetta noch weitererzählen möchte, und sagte: »Nun, beim Himmel, wenn der Engel Gabriel Euer Liebster ist und Euch das versichert, dann muß es wohl wahr sein: aber ich dachte nicht, daß die Engel solche Geschichten machen.« »Gevatterin«, sagte die junge Frau, »da habt Ihr Euch geirrt. Gott soll mich strafen, wenn er's nicht besser macht als mein Mann. Auch sagt er mir, sie tun es dort oben so gut wie wir. Weil er mich aber für schöner hält als jede andere im Himmel, hat er sich in mich verliebt und kommt oft über Nacht zu mir. Habt Ihr es nun begriffen?«

Als die Gevatterin von Madonna Lisetta fortging, konnte sie die Gelegenheit kaum erwarten, alle diese Geschichten weiter unter die Leute zu bringen. Zu diesem Zweck rief sie bei einem Fest eine große Menge Frauen zusammen und erzählte diesen in gehöriger Ordnung ihre Neuigkeiten. Die Frauen teilten die Geschichte ihren Männern und anderen Freundinnen mit, diese erzählten sie wieder weiter, und so war ganz Venedig in weniger als zwei Tagen voll davon. Unter den andern aber, die von der Angelegenheit reden hörten, waren auch die Schwäger der Madonna Lisetta, und diese nahmen sich in aller Stille vor, den Engel kennenzulernen und zu versuchen, ob er auch fliegen könne. Darum standen sie mehrere Nächte hindurch auf der Lauer.

[329] Inzwischen hatte aber auch Bruder Alberto ganz entfernt von der Geschichte reden hören. Als er nun eines Nachts zu der jungen Frau ging, um ihr Vorwürfe zu machen, hatte er sich kaum entkleidet, da waren auch schon ihre Schwäger, die ihn hatten kommen sehen, an der Tür und wollten herein. Kaum hatte Bruder Alberto das gehört, so erriet er wohl, was es zu bedeuten habe, sprang schnell aus dem Bett, öffnete ein Fenster, das auf den großen Kanal hinausging, und stürzte sich, da ihm kein anderer Ausweg übrigblieb, von dort aus ins Wasser. Da der Kanal tief war und er gut schwimmen konnte, tat er sich keinen Schaden. Vielmehr schwamm er auf die andere Seite des Kanals hinüber, flüchtete eilig in ein Haus, das er dort offen fand, und bat einen Mann, den er darin antraf, ihm um Gottes willen das Leben zu retten, wobei er ihm eine Menge Lügen vorerzählte, warum er nackt und zu später Stunde sich dort befinde. In einer Regung von Mitleid schlug der gute Mann ihm vor, sich, während er selbst in Geschäften ausgehen mußte, in sein Bett zu legen und dort bis zu seiner Rückkehr ruhig zu verweilen. Dann schloß er ihn ein und besorgte, was er zu tun hatte.

Indessen fanden die Schwäger der jungen Frau, als sie hereinkamen, daß der Engel Gabriel unter Zurücklassung seiner Flügel davongeflogen war. Zornig, sich so angeführt zu sehen, sagten sie der Frau die härtesten Dinge und kehrten endlich von der Trostlosen mit der Ausstattung des Engels nach Hause zurück.

Mittlerweile war es heller Tag geworden, und der gute Mann, zu dem Bruder Alberto sich geflüchtet hatte, hörte, als er auf dem Rialto stand, erzählen, wie der Engel Gabriel in der Nacht bei Madonna Lisetta geschlafen habe, wie er, als die Schwäger ihn bei ihr gefunden, aus Angst ins Wasser gesprungen, und wie man nicht wisse, was aus ihm geworden sei. Daraus nun erriet er bald, es müsse der sein, den er bei sich im Hause hatte. Als er nun heimkam, brachte er den Mönch zum Geständnis und wußte es nach vielem Hin- und Herreden so weit zu bringen, daß dieser ihm fünfzig Dukaten herbeischaffen mußte, wollte er nicht an die Schwäger der Madonna Lisetta ausgeliefert sein.

[330] Der gute Mann erhielt sein Geld; als aber Bruder Alberto danach von dort wegzukommen begehrte, sagte ihm jener: »Dazu gibt es nur ein einziges Mittel, wenn Euch das recht ist. Wir feiern heute ein Fest, zu dem der eine einen als Bären verkleideten Mann mitbringt, der andere einen Wilden, der dritte dies, der vierte das. Dann wird auf dem Markusplatz eine Jagd abgehalten. Ist die zu Ende, dann ist auch das Fest aus, und ein jeder geht mit dem, den er mitgebracht hat, wohin es ihm beliebt. Wollt Ihr nun so oder so mitmachen, ehe man auskundschaften kann, daß Ihr hier seid, so kann ich Euch nachher hinführen, wohin Ihr wollt. Andernfalls sehe ich nicht, wie Ihr, ohne erkannt zu werden, von hier wegkommen wollt; denn die Schwäger Eurer Dame haben in der Vermutung, daß Ihr in dieser Nachbarschaft versteckt sein müßt, überall Wachen ausgestellt, um Euch zu fangen.«

Obgleich es den Bruder Alberto hart ankam, in solchem Aufzug ausgehen zu sollen, entschloß er sich aus Furcht vor den Verwandten der Dame doch endlich dazu und sagte dem guten Manne, wohin er gebracht sein wolle und wie er mit jeder Verkleidung, unter welcher dieser ihn zu führen beabsichtige, zufrieden sei. Darauf salbte ihn dieser über und über mit Honig, bestreute ihn mit Flaumfedern, tat ihm eine Kette um den Hals, band ihm eine Maske vor und gab ihm einen großen Stock in die eine Hand, an die andere jedoch zwei gewaltige Hunde, die er sich vom Fleischer geliehen hatte.

Inzwischen aber ließ er mit echt venezianischer Redlichkeit auf dem Rialto durch jemanden bekanntmachen, daß jeder, der den Engel Gabriel sehen wolle, auf den Markusplatz kommen möchte. Bald nachdem dies geschehen war, führte er ihn heraus, ließ ihn vor sich hergehen, während er ihn von hinten an der Kette hielt, und brachte ihn so unter großem Lärmen vieler, die fortwährend riefen: »Wer ist denn das?« auf den Platz, wo teils aus denen, die ihnen nachgezogen, teils aus andern, welche die Bekanntmachung gehört und vom Rialto herbeigekommen waren, eine unglaubliche Menschenmenge sich versammelt hatte.

Als er auf dem Platze angekommen war, band er an einer erhöhten Stelle seinen wilden Mann an eine Säule und stellte [331] sich, als ob er auf den Beginn der Jagd warte. Den armen Alberto aber plagten indessen Fliegen und Bremsen, weil er mit Honig bestrichen war, auf das fürchterlichste. Sobald er nun den Platz recht voller Leute sah, tat er, als wolle er seinen wilden Mann loslassen, zog aber statt dessen dem Bruder Alberto die Larve vom Gesicht und sagte: »Ihr Herren, weil der Eber ausbleibt und aus der Jagd nichts werden kann, so will ich euch, damit ihr nicht umsonst gekommen seid, den Engel Gabriel zeigen, der des Nachts vom Himmel auf die Erde herniedersteigt, um den venezianischen Frauenzimmern die Zeit zu vertreiben.«

Als die Larve herunter war, wurde Bruder Alberto sogleich von allen erkannt. Allgemein erhob sich gegen ihn ein wütendes Geschrei. Es wurden ihm die härtesten Dinge und die ärgsten Schimpfreden gesagt, mit denen jemals ein schlimmer Geselle überhäuft worden war. Überdies warf ihm der eine den, der andere jenen Unrat ins Gesicht. Auf solche Weise hielten sie ihn eine lange Weile fest, bis endlich die Neuigkeit noch zum Glück in sein Kloster gelangte, worauf nicht weniger als sechs Mönche sich auf den Weg machten. Als sie auf dem Platz ankamen, warfen sie ihm eine Kutte über, banden ihn los und brachten ihn nicht ohne johlendes Geschrei in ihre Behausung, wo er, wie man glaubt, nach einem trübseligen Leben im Kerker gestorben ist.

So tat Alberto, der böse war und für gut galt, Schlechtes, und niemand glaubte daran. Er wagte es, sich für den Engel Gabriel auszugeben, wurde in einen wilden Mann verwandelt und mußte endlich verdientermaßen in Schimpf und Schande seine Sünden erfolglos beweinen. Möchte es Gott gefallen, daß es allen andern seines Schlages ebenso erginge!

[332] Dritte Geschichte

Drei Jünglinge lieben drei Schwestern und fliehen mit diesen nach Kreta. Die älteste von ihnen ermordet aus Eifersucht ihren Geliebten. Die zweite rettet jene dadurch vom Tode, daß sie sich dem Herzog von Kreta ergibt. Dafür ermordet aber ihr Geliebter sie und flieht mit der ältesten. Die dritte Schwester und ihr Freund werden dieses Mordes beschuldigt und bekennen sich im Gefängnis dazu. Aus Furcht vor dem Tode bestechen sie die Wächter und fliehen arm nach Rhodos, wo sie im Elend sterben.


Als Filostrato das Ende von Pampineas Geschichte vernommen hatte, blieb er eine Weile nachdenklich und sagte dann zu ihr: »Eure Geschichte wurde gegen das Ende erträglich und mir wohlgefällig. Vorher aber enthielt sie zuviel Lustiges, das ich gern entbehrt hätte.« Darauf wandte er sich Lauretta zu und sprach: »Dame, fahret fort, und wo möglich mit einer besseren Geschichte.« Lauretta erwiderte lächelnd: »Ihr seid mit den Liebenden auch gar zu unbarmherzig, wenn Ihr ihnen immer ein schlimmes Ende wünscht. Um Euch aber zu gehorchen, will ich von drei Paaren erzählen, die sämtlich nach kurzem Liebesgenuß elendiglich umkamen.« Und nachdem sie das gesagt hatte, begann sie folgendermaßen:

Wie ihr, junge Damen, deutlich erkennen könnt, gereicht jedes Laster nicht nur dem, der sich ihm er gibt, sondern nicht selten auch anderen zum größten Nachteil. Unter allen übrigen Lastern aber scheint mir der Zorn eines von denen zu sein, das uns am meisten mit verhängten Zügeln in Gefahren hineinstürzen läßt. Der Zorn, sage ich, der nichts anderes als eine plötzliche, unüberlegte Aufregung der Seele ist, die, durch einen Verdruß veranlaßt, alle Vernunft von sich stößt, die Augen des Geistes mit Finsternis umhüllt und das Gemüt zu siedender Wut entflammt. Obgleich nun diese Leidenschaft häufig an Männern wahrgenommen wird und den einen mehr als den andern beherrscht, hat man sie doch, und zwar mit nachteiligeren Wirkungen, auch schon bei Frauen beobachtet. Denn in ihnen entzündet sie sich leichter, brennt mit einer lebhafteren Flamme und regiert sie mit minderer Scheu. Auch ist es kein Wunder, daß es sich so verhält, denn wenn wir darauf achten, [333] so finden wir, daß das Feuer seiner Natur nach die leichten und zartgewebten Dinge eher ergreift als die härteren und schwereren. Die Männer mögen es aber nicht übel deuten: weicher und zarter als sie sind wir, und um vieles leichtsinniger. Weil ich nun finde, daß wir zu diesem Fehler neigen, und weil ich zugleich erkenne, daß unsere Sanftmut und Freundlichkeit ebensoviel zu der Ruhe und dem Glück der Männer beiträgt, mit denen wir verkehren, als ihnen unser Zorn und unsere Heftigkeit lästig und gefährlich sind, will ich, auf daß wir uns mit um so festerem Willen vor diesen hüten, euch in meiner Geschichte die Liebesabenteuer dreier junger Männer und ebenso vieler Mädchen berichten, welche, wie ich schon früher erwähnte, durch den Zorn eines der letzteren aus vollem Glück in das tiefste Unglück gestürzt wurden.

Die alte und ehrenwerte Stadt Marseille, die ehemals an großen Kaufleuten reicher war, als sie es jetzt ist, liegt, wie ihr wissen werdet, am Meeresufer, in der Provence. Unter jenen Kaufleuten war einer namens Arnaut Cluada, ein Mann von niedriger Abkunft, aber erprobter Ehrlichkeit, ein rechtlicher und an Geld und Besitzungen über die Maßen reicher Kaufherr, dem seine Frau unter mehreren anderen Kindern drei Töchter hinterlassen hatte, die älter waren als die Söhne. Zwei dieser Töchter waren Zwillinge von fünfzehn Jahren, die dritte hatte ihr vierzehntes Lebensjahr ebenfalls schon erreicht, und ihre Angehörigen verschoben ihre Vermählung nur noch, bis Arnaut, der mit Waren nach Spanien gegangen war, von dort zurückgekommen wäre. Die beiden älteren hießen Ninette und Madelon, die dritte aber wurde Berta genannt. In Ninette hatte sich nun ein junger Edelmann namens Restagnon inbrünstig verliebt und das Mädchen in ihn. Er war zwar arm, doch von guter Familie, und beide hatten es so einzurichten gewußt, daß sie die Früchte ihrer Liebe ohne jemandes Mitwissen genossen.

Schon war in diesem wechselseitigen Einverständnis eine geraume Zeit vergangen, als zwei miteinander befreundete junge Männer, von denen der eine Folquet, der andere aber Uc hieß und die beide nach dem Tode ihrer Väter im Besitz eines bedeutenden Vermögens waren, sich in Madelon und Berta verliebten.[334] Als Restagnon, von Ninette darauf aufmerksam gemacht, dies gewahr wurde, sann er darauf, seinem Mangel durch die Liebe jener beiden abzuhelfen. Zu diesem Zwecke befreundete er sich mit ihnen, begleitete bald den einen, bald den andern, bald aber auch beide zu ihren Geliebten und zu der seinigen, und als er dann zur Genüge mit ihnen vertraut geworden zu sein glaubte, rief er sie eines Tages in sein Haus und sagte zu ihnen: »Geliebte Freunde, unser bisheriger Umgang hat euch überzeugen können, wie groß meine Liebe zu euch ist und daß ich bereit wäre, für euch dasselbe zu tun wie für mich selbst. Und weil ich euch denn so liebhabe, will ich euch mitteilen, was mir in den Sinn gekommen ist; dann könnt ihr mit mir gemeinschaftlich den Beschluß fassen, den wir für den vernünftigsten halten werden. Ihr seid, wenn eure Worte nicht trügen, und auch demzufolge, was ich bei Tag und bei Nacht an eurem Benehmen bemerkt zu haben glaube, in der glühendsten Liebe zu jenen zwei Schwestern entbrannt, wie ich zu der dritten. Für diese Liebe nun getraue ich mich, wenn ihr damit zufrieden wäret, ein willkommenes, süßes Mittel zu finden, und das wäre dieses: ihr seid überreiche Leute, und ich bin es nicht. Wollt ihr nun euer Vermögen zusammentun und mich zu einem Drittel daran teilnehmen lassen, so beschließt nur, in welche Weltgegend wir ziehen und jener Reichtümer uns erfreuen sollen, denn ich übernehme es, die drei Schwestern unfehlbar dahin zu bringen, daß sie mit einem großen Teil ihres väterlichen Vermögens uns begleiten, wohin wir nur wollen. Da könnten wir dann, ein jeder mit der Seinen, wie drei Brüder als die glücklichsten Menschen von der Welt leben. Nun ist es aber an euch, zu bestimmen, ob ihr ein solches Glück erwerben oder lassen wollt.«

Die beiden jungen Männer, die in hellen Flammen standen, besannen sich nicht lange, als sie hörten, sie sollten ihre Geliebten erhalten, sondern antworteten, wenn das geschehen könne, so seien sie bereit, zu tun, wie jener gesagt habe. Als Restagnon diese Antwort von den jungen Männern erhalten hatte, verschaffte er sich nach wenigen Tagen eine Zusammenkunft mit Ninette, zu der er niemals ohne große Schwierigkeiten gelangen konnte. Nach einem kurzen Gespräch berichtete er ihr den [335] Inhalt seiner Unterredung mit den jungen Leuten und suchte sie mit vielen Gründen für seine Unternehmung zu gewinnen. In der Tat fiel ihm dies nicht schwer, denn sie wünschte noch mehr als er, ungestört von fremdem Argwohn mit ihm zusammensein zu können. So antwortete sie ihm denn entschlossen, sie sei damit zufrieden, und ihre Schwestern täten besonders in diesem Falle, was sie wolle. Er möge daher nur alles Notwendige sobald wie möglich in Ordnung bringen.

Als Restagnon zu den jungen Männern zurückkehrte, die ihn inzwischen schon mehrfach wegen seiner früheren Reden gemahnt hatten, berichtete er ihnen, daß die Sache von seiten der Mädchen bereits ihre Richtigkeit habe. Jene, die inzwischen beschlossen hatten, nach Kreta zu ziehen, verkauften nun unter dem Vorwand, mit dem Erlös Waren in der Fremde einhandeln zu wollen, einige ihnen gehörende Besitzungen, erstanden, nachdem sie ihr übriges Besitztum ebenfalls in Gold umgewandelt hatten, ein schnellsegelndes Schiff, das sie in der Stille auf das beste bewaffneten, und erwarteten dann den Tag der Ausführung. Auf der anderen Seite wußte Ninette, welche die Wünsche der Schwestern zur Genüge kannte, sie mit süßen Worten dem Plane Restagnons so geneigt zu machen, daß sie die Zeit nicht abwarten zu können glaubten, bis er ins Werk gesetzt würde.

Als nun die Nacht gekommen war, in welcher sie das Schiff besteigen sollten, öffneten die drei Schwestern einen großen Kasten ihres Vaters, nahmen dar aus eine Menge Gold und Edelsteine und gingen damit in aller Stille aus dem Hause, hin zu dem Platz, wo ihre drei Liebhaber sie nach der getroffenen Abrede bereits erwarteten. Dann bestiegen sie ohne Verzug das Schiff, ließen die Ruder sich ins Wasser senken, stießen vom Lande und verweilten an keinem Ort, bevor sie nicht am folgenden Abend Genua erreichten, wo die liebenden Paare zuerst die Freuden ihrer Liebe genossen. Nachdem sie hier die notwendigen Erfrischungen eingenommen, fuhren sie weiter und gelangten von Hafen zu Hafen, noch vor dem achten Tage ohne jeden Unfall nach Kreta, wo sie sich ausgedehnte und schöne Besitzungen kauften und unweit der Stadt Candia köstliche und anmutige Wohnungen bauten. Hier lebten sie dann [336] mit ihren Geliebten im Besitze einer zahlreichen Dienerschaft, trefflicher Hunde, Falken und Pferde, unter Gastgelagen wie die größten Herren, als die glücklichsten Leute von der Welt in lauter Herrlichkeit und Freuden.

Während sie aber noch ein solches Leben führten, geschah es – wie wir ja tagtäglich sehen, daß den Menschen Dinge überdrüssig werden, die ihnen noch so sehr behagten, weil sie zu großen Überfluß davon haben –, daß nun, da sie ihm ohne Gefahr in allem zu Willen sein konnte, Restagnon Ninette, die er zärtlich geliebt hatte, satt bekam und ihr nicht mehr die gehörige Liebe erwies. Darauf fand er bei einem Feste an einem jungen, schönen und edlen Mädchen, das dort zu Hause war, besonderes Behagen, ging ihm eifrig nach und erschöpfte sich ihm zu Ehren in Huldigungen und Festlichkeiten.

Als Ninette das gewahr wurde, ward sie so eifersüchtig auf Restagnon, daß er keinen Schritt mehr gehen konnte, den sie nicht ausgekundschaftet und über welchen sie nicht ihm und sich nachher durch Vorwürfe und schlechte Laune das Leben sauer gemacht hätte. Wie aber das Übermaß der Dinge sie uns zum Ekel werden läßt, so vermehrt die Verweigerung der begehrten Dinge die Lust zu ihnen, und so fachte Ninettes Verdruß in Restagnons Herzen die Flammen seiner neuen Liebe nur um so mehr an. Wie es sich nun im Laufe der Zeit zugetragen haben mag, ob Restagnon die Freundschaft der geliebten Dame erlangte oder nicht, das lassen wir unentschieden; genug, Ninette glaubte, der Himmel weiß, auf wessen Bericht hin, es verhalte sich so. Sie verfiel darüber zunächst in tiefe Traurigkeit, dann in glühenden Zorn und gab sich endlich einer solchen Wut hin, daß ihre bisherige Liebe für Restagnon in den bittersten Haß verwandelt wurde und daß sie, von ihrem Zorn verblendet, den Schimpf, den Restagnon ihr, ihrer Meinung nach, angetan, nur durch dessen Tod sühnen zu können wähnte. Sie ließ sich daher eine alte Griechin rufen, die in der Bereitung der Gifte äußerst erfahren war, und bewog sie durch Geschenke und Versprechungen, ihr ein tödliches Wasser zu bereiten, das Ninette dann, ohne sich mit irgend jemand zu beraten, eines Abends, als Restagnon erhitzt war und nichts Arges ahnte, diesem zu trinken gab. Die Kraft des Trankes[337] war so groß, daß Restagnon ihm noch vor dem Ende der Nacht erlag.

Als Folquet und Uc seinen Tod erfuhren, beweinten sie ihn, ohne zu wissen, daß er an Gift gestorben war, mit ihren Geliebten und mit Ninette bitterlich und ließen ihn dann ehrenvoll zur Erde bestatten. Nun geschah es aber, daß nach wenigen Tagen die Alte, die Ninette das vergiftete Wasser bereitet hatte, wegen anderer Schlechtigkeiten verhaftet wurde und auf der Folter unter ihren übrigen Verbrechen auch dieses, unter genauer Angabe, wozu das Gift gedient habe, bekannte. Der Herzog von Kreta erwähnte niemand gegenüber ein Wort von dieser Aussage, sondern umringte eines Nachts in der Stille das Schloß des Folquet und führte Ninette ohne Lärm und Widerstand von dort gefangen mit sich fort. Diese wartete die Folter nicht erst ab, sondern gestand sogleich, was der Herzog über Restagnons Tod von ihr hören wollte. Inzwischen erfuhren Folquet und Uc unter der Hand vom Herzog, warum er Ninette gefangengesetzt hatte, und von ihnen bekamen es ihre Frauen zu wissen. Die Nachricht betrübte sie alle sehr, und sie boten alles auf, was sie nur wußten, um Ninette vor dem Scheiterhaufen zu retten, zu dem sie, wie sie vermuteten, verdientermaßen verurteilt würde. Alles schien aber umsonst zu sein, und der Herzog bestand darauf, sie hinrichten zu lassen. Da kam der Madelon, die schön und jung war und welcher der Herzog lange Zeit den Hof gemacht hatte, ohne die mindeste Gefälligkeit von ihr erlangen zu können, der Gedanke, wenn sie dem Herzog zu Willen wäre, könnte sie die Schwester vorm Feuertode retten. Sie ließ ihn daher durch einen schlauen Boten wissen, wenn er ihr zwei Dinge gewähre, wolle sie alle seine Befehle erfüllen. Das erste, daß sie ihre Schwester frei und unversehrt wiederbekomme, das zweite, daß dieses Abkommen geheim bleibe.

Als der Herzog die Botschaft vernahm, gefiel sie ihm wohl, und wenngleich er sich lange besann, ob er darauf eingehen solle, tat er es am Ende doch und sagte, er sei bereit. Zu diesem Zweck ließ er, nach vorangegangener Verabredung mit der Dame, eines Nachts Folquet und Uc verhaften, als ob er sich bei ihnen über den Tod ihres Schwagers weiter unterrichten [338] wollte, und nahm inzwischen heimlich bei Madelon sein Nachtquartier. Schon zuvor hatte er getan, als habe er Ninette in einen Sack stecken lassen, um sie noch in derselben Nacht im Meer zu versenken. Nun aber führte er sie zu ihrer Schwester zurück, schenkte sie dieser zum Dank für die genossene Nacht und bat am Morgen beim Scheiden die Dame Madelon, sie möge diese erste Nacht ihrer Liebe nicht die letzte sein lassen. Überdies riet er ihr noch, die Schuldige fortzubringen, damit nicht entweder ihre Straflosigkeit ihm zur Schande gereichte oder er gezwungen würde, mit neuer Strenge gegen sie zu verfahren. Am folgenden Morgen hörten Folquet und Uc, Ninette sei in der Nacht ertränkt worden, maßen der Nachricht vollen Glauben bei und kehrten, als sie ohne weiteres freigelassen worden waren, zu ihren Frauen zurück, um sie über den Tod ihrer Schwester zu trösten.

Obgleich nun Madelon bemüht war, Ninette auf das sorgfältigste zu verbergen, wurde Folquet doch gewahr, wo sie sich befand. Über ihre Rettung nicht wenig verwundert, schöpfte er sogleich Verdacht gegen Madelon, von der ihm bereits zu Ohren gekommen war, daß der Herzog sie liebe. Als er sie fragte, wie es zugehe, daß Ninette bei ihr sei, antwortete Madelon mit einer langen Fabel, die sie sich ersonnen hatte, um ihn zu täuschen, und der er indes als schlauer Mann wenig Glauben schenkte, so daß sie sich bald von ihm in die Enge getrieben sah und ihm nach vielem Hin- und Herreden die Wahrheit gestand. Da ließ sich Folquet von seinem Schmerz überwältigen, zog wütend den Degen und tötete sie, ohne ihren Bitten um Gnade Gehör zu schenken. Dann aber ließ er aus Furcht vor dem Zorn und der Gerechtigkeit des Herzogs die Leiche im Zimmer liegen, ging mit scheinbar heiterer Miene in das Gemach, wo Ninette sich befand, und sagte zu ihr: »Gehen wir schnell dahin, wo ich dich nach dem Willen deiner Schwester hinbringen soll, damit du nicht wieder in die Hände des Herzogs fällst.« Ninette glaubte seinen Worten, und da sie in ihrer Angst nichts sehnlicher wünschte, als bald fort zu kommen, ging sie, ohne von ihrer Schwester weiter Abschied zu nehmen, in der schon hereingebrochenen Dunkelheit mit Folquet. Sie eilten mit dem wenigen Gelde, das Folquet hatte [339] nehmen können, zum Meeresufer, bestiegen einen Kahn und entflohen, ohne daß man je erfahren, wohin sie gelangt seien.

Als Madelon am andern Morgen ermordet gefunden wurde, hatten einige aus Neid und Haß gegen Uc nichts Eiligeres zu tun, als dem Herzog die Kunde zu bringen. Dieser eilte, wegen seiner großen Liebe für Madelon doppelt aufgebracht, sogleich in das Haus, nahm Uc und seine Geliebte gefangen und wußte sie, da sie von Folquets und Ninettes Flucht noch nichts wußten, zu zwingen, daß sie sich als Folquets Mitschuldige und Madelons Mörder bekannten. Da sie nun infolge dieses Geständnisses mit Recht für ihr Leben fürchteten, bestachen sie mit vieler Mühe ihre Wächter, indem sie ihnen einen Teil des Geldes über ließen, das sie für einen Notfall in ihrem Hause verborgen hatten. Dann bestiegen sie mit ihren Wächtern, ohne daß sie sich Zeit genommen hätten, etwas von ihren Sachen mitzunehmen, ein Boot und fuhren nachts nach Rhodos, wo sie nur noch kurze Zeit in Armut und Elend lebten.

Zu solchem Ungemach also brachten Restagnons törichte Liebe und Ninettes Zorn sie selbst und ihre Gefährten.

Vierte Geschichte

Gerbino greift gegen das Versprechen König Wilhelms, seines Großvaters, ein Schiff des Königs von Tunis an, um dessen Tochter zu rauben. Die Schiffsleute töten die Dame, wofür Gerbino sie alle umbringt, ihm aber nachher der Kopf abgeschlagen wird.


Lauretta, am Ende ihrer Geschichte angelangt, schwieg, und in der Gesellschaft äußerten die einen ihr Mitleid über das Unglück der Liebenden, andere tadelten Ninettes Zorn, und so gaben alle ihre verschiedenen Empfindungen kund, bis endlich der König, als ob er aus tiefen Gedanken erwachte, das Haupt erhob und Elisa fortzufahren winkte, worauf diese gehorsam begann:

Liebenswürdige Mädchen, es gibt gar viele, welche glauben, Amor verschieße seine Pfeile nur von den Augen entflammt, [340] und diejenigen verspotten, die der Meinung sind, daß sich jemand aufs bloße Hörensagen hin verlieben könne. Wie sehr diese aber im Irrtum befangen sind, wird aus der Geschichte deutlich werden, die ich zu erzählen gesonnen bin. In ihr werdet ihr nicht allein vernehmen, wie das Gerücht, ohne daß die Liebenden sich jemals gesehen, solche Gefühle hervorgebracht hat, sondern auch wie beide dadurch einen jämmerlichen Tod erleiden mußten.

Wilhelm, der zweite König von Sizilien, hatte, wie die Sizilianer berichten, zwei Kinder, von denen der Sohn Ruggieri, die Tochter aber Constanza hieß. Ruggieri hinterließ, als er noch vor seinem Vater starb, einen Knaben, der Gerbino genannt, vom Großvater sorgfältig erzogen ward und zu einem jungen Manne heranwuchs, der durch Schönheit ausgezeichnet und seiner Tapferkeit und seines adeligen Betragens wegen berühmt war. Sein Ruhm blieb aber nicht innerhalb der Grenzen Siziliens, sondern erklang in verschiedenen Gegenden der Welt und war besonders in der Berberei verbreitet, die zu jenen Zeiten den Königen von Sizilien zinspflichtig war.

Unter den andern, denen hier der glänzende Ruhm von Gerbinos Tugend und Ritterlichkeit zu Ohren kam, war eine Tochter des Königs von Tunis, die nach dem, was alle, die sie jemals gesehen, von ihr sagten, eines der schönsten Wesen war, die je von der Natur geformt worden, dabei von erlesenen Sitten und großer, edler Seele. Wie sie nun überhaupt gern von ehrenwerten Männern reden hörte, so vernahm sie mit besonderer Aufmerksamkeit die rühmlichen Taten des Gerbino, die ihr bald von dem einen, bald von dem andern berichtet wurden, und fand an ihnen ein solches Wohlgefallen, daß sie sich in ihrer Phantasie ein Bild von ihm entwarf, sich auf das heftigste in ihn verliebte und lieber von ihm als von irgend etwas an derem redete und reden hörte.

Zugleich war aber auch, ebenso wie in andere Gegenden, der große Ruhm von der Schönheit und dem Edelsinn jener Prinzessin nach Sizilien gedrungen und hatte, nicht ohne Wohlgefallen des Hörers, in Gerbinos Ohren Eingang gefunden, ja ihn mit nicht minderer Glut für sie entflammt, als die der jungen Dame für ihn war. Voller Verlangen, sie selbst zu sehen, trug [341] er, bis ein geziemender Grund ihm des Großvaters Erlaubnis erwirken würde, nach Tunis zu gehen, jedem seiner dorthin reisenden Freunde auf, sie nach Kräften und in der Weise, die ihm am zweckmäßigsten schiene, von seiner geheimen und innigen Liebe zu unterrichten und ihm Nachrichten von ihr zurückzubringen. Einer dieser Freunde richtete den Auftrag sehr geschickt aus, indem er ihr unter dem Vorwand, als Frauenschmuck bestimmte Juwelen zum Anschauen zu bringen, Gerbinos Glut ohne Rückhalt offenbarte und ihr diesen und alles, was ihm gehörte, zur freien Verfügung darbot. Die Dame empfing Boten wie Botschaft mit dem freudigsten Gesicht, erwiderte, wie sie in gleicher Liebe entbrannt sei, und sandte zum Zeugnis ihrer Worte dem Gerbino einen ihrer köstlichsten Edelsteine. Als Gerbino dieses Geschenk erhielt, war er darüber so entzückt, wie man es über den Empfang der herrlichsten Gabe nur immer sein kann. Derselbe Freund mußte der Dame noch öfter Briefe und prächtige Geschenke Gerbinos überbringen, und die Liebenden besprachen sich darüber, wie sie sich sehen und umarmen wollten, wenn es das Schicksal ihnen gestatten sollte.

Während die Angelegenheiten noch so standen und wohl etwas langsamer gefördert wurden, als zu wünschen gewesen wäre, da auf der einen Seite die junge Dame und auf der andern Gerbino in gleichen Flammen brannten, versprach der König von Tunis seine Tochter an den König von Granada. Diese war über die Maßen betrübt, daß sie nicht allein durch diese Heirat von ihrem Geliebten so weit entfernt, sondern ihm nun so gut wie ganz entrissen werden sollte, und wenn sie ein Mittel gewußt hätte, wäre sie gern vom Vater geflohen und zu Gerbino gekommen, damit das Gefürchtete nicht geschähe.

Als Gerbino von jener Verbindung hörte, verfiel er darüber gleichfalls in unmäßige Traurigkeit und dachte oftmals, er wolle sie mit Gewalt entführen, wenn eine Möglichkeit sich auftue und sie zu Schiff nach Granada gehe.

Der König von Tunis bekam indes von dieser Liebe und von Gerbinos Plänen einige Nachricht, und weil er wegen der Tapferkeit und der Macht des letzteren in Sorge war, tat er um die Zeit, als er seine Tochter hinüberschicken sollte, dem König Wilhelm dieses sein Vorhaben kund und erklärte zugleich, [342] daß er es auszuführen gedenke, wenn er sicher sei, daran weder durch Gerbino noch durch einen von ihm Beauftragten gehindert zu werden. König Wilhelm, der ein alter Herr war und von Gerbinos Liebschaft niemals vernommen hatte, ließ es sich nicht einfallen, daß um ihretwillen jene Versicherung nachgesucht werde, gewährte sie also willig und schickte seinen Handschuh dem König von Tunis zum Zeichen. Als dieser die Zusicherung empfangen hatte, ließ er im Hafen von Karthago ein großes und schönes Schiff zurichten, es mit allem versehen, was den darauf Reisenden nötig sein konnte, und zur Überfahrt seiner Tochter nach Granada verzieren und schmücken. Dann wartete er nur noch auf günstiges Wetter.

Da die junge Dame dies alles geschehen sah, sandte sie heimlich einen ihrer Diener nach Palermo, befahl ihm, den schönen Gerbino von ihr zu grüßen und ihm zu sagen, daß sie in wenigen Tagen nach Granada abzureisen im Begriffe stehe. Da werde man ja sehen, ob er tapfer sei, wie man von ihm sage, und ob er sie so liebe, wie er ihr öfters habe versichern lassen. Der Diener bestellte seinen Auftrag auf das beste und kehrte auch wieder nach Tunis zurück. Gerbino aber wußte nicht, was er tun sollte, als er die Botschaft der Dame vernahm, da ihm die Zusicherung seines Großvaters bekannt war. Dennoch eilte er, von der Liebe getrieben und um nicht nach den Worten der Dame, die ihm hinterbracht worden waren, für feige zu gelten, nach Messina, ließ dort gleich zwei leichte Galeeren bewaffnen, bemannte sie mit tapferen Leuten und steuerte damit gegen Sardinien, wo, wie er vermutete, das Schiff der Dame vorbeikommen mußte. Auch entsprach der Erfolg in kurzem seiner Vermutung; denn kaum war er einige Tage dort angelangt, als das Schiff mit geringem Winde der Stelle ziemlich nahe kam, wo Gerbino beigedreht hatte, um zu warten.

Sobald Gerbino das gewahr wurde, sagte er zu seinen Gefährten: »Ihr Herren, seid ihr so tüchtige Männer, wie ich meine, so denke ich, wird wohl keiner unter euch sein, der die Liebe nicht gefühlt hätte oder noch fühlte, ohne die nach meinem Dafürhalten kein Sterblicher einige Tugend oder sonstiges Gute in sich beherbergen kann. Habt ihr aber geliebt [343] oder liebt ihr noch, so wird es euch leicht sein, meine Lage zu begreifen. Ich liebe. Aus Liebe habe ich euch zur gegenwärtigen Unternehmung veranlaßt, und der Gegenstand meiner Liebe verweilt auf dem Schiffe, das ihr dort seht. Auf ihm befinden sich außer dem Inbegriff meiner Wünsche auch die größten Reichtümer, die wir, wenn anders ihr tüchtige Leute seid, durch einen männlichen Kampf mit leichter Mühe erobern können. Ich will indes von diesem Siege keinen anderen Teil haben als jenes Mädchen, dem zuliebe ich die Waffen ergriffen habe; alles andere überlasse ich euch im voraus auf das bereitwilligste. Wohlan denn, so laßt uns jenes Schiff mit sicherem Erfolg angreifen. Gott selbst zeigt sich unserem Unternehmen günstig und hält es uns durch völlige Windstille fest.«

Die vielen Worte des schönen Gerbino wären nicht einmal nötig gewesen, denn die Männer von Messina, die ihn begleiteten, führten, von Raubsucht entbrannt, in Gedanken schon aus, wozu er sie noch mit Worten ermahnte. Aus diesem Grunde erhoben sie am Ende seiner Rede ein lautes Beifallsgeschrei. Dann stießen sie in ihre Hörner, griffen zu den Waffen, tauchten die Ruder ins Meer und gelangten rasch zu dem feindlichen Schiffe.

Als die Mannschaft des letzteren die Galeeren auf sich zukommen sah und nicht entfliehen konnte, rüstete sie sich zur Verteidigung. Sobald Gerbino herangekommen war, verlangte er von ihnen, wenn sie sich nicht mit ihm schlagen wollten, sie sollten ihm die Schiffsherren an Bord seiner Galeeren liefern. Als die Sarazenen aber ihre Gegner erkannt und die Aufforderung vernommen hatten, erwiderten sie, dieser Überfall geschehe gegen das vom König verpfändete Wort und zeigten zum Beweis König Wilhelms Handschuh vor. Im übrigen aber erklärten sie, unter keiner Bedingung sich oder irgend etwas, das sie an Bord hätten, anders als mit dem Schwerte in der Hand ausliefern zu wollen. Gerbino, der inzwischen seine Dame auf dem hinteren Verdeck des Schiffes gesehen und sie noch unendlich viel schöner gefunden hatte, als sie in seiner Vorstellung lebte, antwortete im Feuer der vermehrten Glut, wie jene ihm den Handschuh zeigten, hier wären vorläufig keine Falken, und so sei denn auch kein Handschuh vonnöten. [344] Wollten sie also die Dame nicht hergeben, so möchten sie sich bereithalten, den Kampf anzunehmen.

Mit diesen Worten begannen beide Teile ohne weiteren Aufschub, eifrig aufeinander Pfeile zu schießen und Steine zu werfen, und kämpften in dieser Weise geraume Zeit lang zu großem beiderseitigem Nachteil. Als aber Gerbino sah, daß er so dem Ziele nicht viel näher kam, zündete er endlich ein Fahrzeug an, das seine Leute aus Sizilien mitgenommen hatten, und drängte es dann mit Hilfe seiner beiden Galeeren hart an das feindliche Schiff heran. Bei diesem Anblick sahen die Sarazenen wohl ein, daß ihnen kein anderer Ausweg blieb, als sich zu ergeben oder zu sterben. Darum ließen sie denn die Tochter des Königs, die im unteren Raum gesessen und geweint hatte, auf Deck bringen, führten sie an die Spitze des Schiffs, riefen dem Gerbino zu und töteten sie dann unter seinen Augen, so sehr sie auch um Gnade und Hilfe flehte. Darauf warfen sie die Leiche ins Meer und riefen: »Nimm sie! Wir geben sie dir so, wie wir dürfen und wie deine Redlichkeit sie verdient hat.«

Kaum hatte Gerbino diese Grausamkeit gesehen, so ließ er sich, als suchte er den Tod, unbekümmert um Pfeile und Steine an das feindliche Schiff heranführen und sprang, allen Verteidigern zum Trotze, an Deck. Nicht anders wie ein hungriger Löwe, der unter eine Schar junger Stiere gerät, bald diesen, bald jenen erwürgt und mit Zähnen und Krallen eher seine Wut als seinen Hunger befriedigt, traf Gerbino hier mit dem Schwert in der Hand bald den einen, bald den andern Sarazenen und tötete ihrer viele. Inzwischen nahm das Feuer in dem angezündeten Schiffe schon überhand. Gerbino ließ also seine Leute, um sie zufriedenzustellen, nehmen, was sie konnten, und kehrte dann, wenig über den davongetragenen Sieg erfreut, auf seine Galeeren zurück. Er ließ den Körper der schönen Dame aus dem Meere fischen, weinte lange und mit vielen Tränen über ihm und bestattete ihn auf der Rückfahrt nach Sizilien feierlich auf Ustica, einer kleinen Insel, die Trapani ungefähr gegenüberliegt. Dann erst schiffte er, über die Maßen traurig, nach seiner Heimat zurück.

Sobald der König von Tunis von dem Vorgefallenen Kunde [345] erhalten hatte, schickte er schwarzgekleidete Gesandte an König Wilhelm und beschwerte sich, daß dessen Versprechen so schlecht gehalten worden sei. Die Gesandten berichteten den Hergang der Sache. König Wilhelm aber wurde über das Geschehene sehr aufgebracht und ließ den Gerbino gefangensetzen, da er nicht wußte, unter welchem Vorwand er die Genugtuung, die jene forderten, verweigern sollte. Ja, er verurteilte ihn darauf, da keiner seiner Barone ihn für Gerbino um Gnade bitten mochte, selbst zum Tode und ließ ihm in seiner Gegenwart das Haupt abschlagen; denn er wollte lieber ohne Enkel sterben als für einen Fürsten gelten, der sein Wort brach.

Auf solche Weise fanden also innerhalb weniger Tage zwei Liebende ein elendigliches Ende, ohne nur die geringste Frucht ihrer Liebe gekostet zu haben.

Fünfte Geschichte

Lisabettas Geliebter wird von ihren Brüdern ermordet. Er erscheint ihr im Traum und zeigt ihr, wo er verscharrt ist. Darauf gräbt sie seinen Kopf heimlich aus, tut ihn in einen Basilikumtopf und benetzt ihn täglich stundenlang mit ihren Tränen. Endlich nehmen ihn die Brüder ihr fort, und sie stirbt bald darauf vor Gram.


Als der König Elisas eben beendete Geschichte ein wenig gelobt hatte, erging das Geheiß, weiterzuerzählen, an Filomena, welche – noch voller Mitleid für den armen Gerbino und seine Dame – nach einem wehmütigen Seufzer also begann:

Geliebte Mädchen, meine Geschichte betrifft zwar keine Personen so hohen Ranges wie die, von welchen Elisa erzählt hat, wohl aber dürfte sie vielleicht nicht weniger rührend sein. Messina, dessen eben gedacht wurde, brachte sie mir in Erinnerung, weil die Begebenheit sich dort zugetragen hat.

In Messina lebten nämlich drei Brüder, junge Kaufleute, die bei dem Tode ihres Vaters, der aus San Gimignano stammte, in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gekommen waren. [346] Diese hatten eine Schwester, namens Lisabetta, die sie, obwohl sie jung, hübsch und wohlerzogen war, aus irgendeinem Grunde noch nicht verheiratet hatten. Außerdem hielten sie in einem ihrer Kaufläden als Diener einen jungen Pisaner namens Lorenzo, der alle ihre Geschäfte in Händen hatte und besorgte und überdies von einnehmender Gestalt und gefälligen Sitten war. Als nun Lisabetta diesen mehrmals betrachtet hatte, begann sie sich übermäßig in ihn zu verlieben. Sobald Lorenzo das zu wiederholten Malen gewahr geworden war, gab er seine übrigen Liebschaften auf und wendete ihr ebenfalls seine Neigung zu. So geschah es denn, daß bei gleichmäßigem beiderseitigem Wohlgefallen sie binnen kurzem sicher zu werden anfingen und miteinander taten, wonach sie beide am meisten verlangten.

Während sie nun auf diese Weise ihr Einverständnis fortführten und sich einander viel Lust und Zeitvertreib gewährten, wußten sie die Sache doch nicht so geheim zu betreiben, daß nicht der älteste Bruder eines Nachts Lisabetta, als sie sich in das Schlafzimmer des Lorenzo schlich, von ihr selber unbemerkt, gesehen hätte. So weh es ihm auch tat, diese Entdeckung gemacht zu haben, so faßte er doch als der verständige junge Mann, der er war, den geziemenderen Entschluß und sagte vorläufig kein Wort, sondern erwartete unter verschiedenen Gedanken, die sich in seiner Seele durchkreuzten, den Morgen. Als aber der Tag angebrochen war, erzählte er seinen Brüdern, was er in der vergangenen Nacht über Lisabetta und Lorenzo erfahren hatte. Nach langer Überlegung beschlossen sie gemeinschaftlich, damit weder ihnen noch ihrer Schwester Schande daraus erwüchse, die Sache so lange mit Stillschweigen zu übergehen und sich in allem zu stellen, als ob sie nichts gesehen oder sonst entdeckt hätten, bis sich eine gelegenere Zeit fände, diesen Schimpf, bevor er ärger würde, ohne Nachteil und Gefahr sich aus der Welt zu schaffen. Sie blieben diesem Entschluß treu und plauderten und scherzten mit Lorenzo nach alter Weise. Und so führten sie ihn einmal unter dem Vorwand, eine Lustreise aufs Land zu unternehmen, mit sich fort. Als sie aber an einen ganz einsamen und abgelegenen Ort gekommen waren, nahmen sie die Gelegenheit wahr und brachten Lorenzo, der [347] sich dessen nicht versah, tödliche Schläge bei. Dann verscharrten sie seinen Körper so, daß niemand etwas von der Sache gewahr ward.

Nach Messina zurückgekehrt, verbreiteten sie alsdann, sie hätten den Lorenzo in ihren Geschäften irgendwohin geschickt, und dieses Vorgehen wurde von niemand bezweifelt, da sie ihn häufig umherreisen ließen. Als aber Lorenzo gar nicht wiederkam und Lisabetta, die seine lange Abwesenheit mit Schmerzen empfand, sich oft und angelegentlich nach ihm erkundigte, geschah es, daß einer ihrer Brüder eines Tages, als sie besonders dringend nach ihm fragte, ihr erwiderte: »Was soll das bedeuten? Was hast du mit Lorenzo zu schaffen, daß du soviel nach ihm fragst? Wirst du noch einmal fragen, so werden wir dir antworten, wie du es verdient hast.« Das Mädchen wurde über diese Reden traurig und betrübt. Es war ihr bange, und sie wußte nicht, wovor. Sie erkundigte sich auch nicht weiter nach ihm. Wenn es aber Nacht war, rief sie ihn häufig voller Wehmut, bat ihn, er möge doch kommen, und klagte zuweilen unter vielen Tränen über sein langes Entferntbleiben.

So blieb sie, ohne einen frohen Augenblick zu haben, eine Weile in fortwährender Erwartung. Eines Nachts aber, als sie Lorenzos Ausbleiben besonders lange beweint hatte und endlich über ihren Klagen eingeschlafen war, erschien ihr Lorenzo im Traum, bleich und ganz verstört, mit schmutzigen und zerfetzten Kleidern, und es war ihr, als ob er zu ihr sagte: »Ach, Lisabetta, du rufst mich unaufhörlich, du betrübst dich über mein langes Ausbleiben und klagst mich mit deinen Tränen auf das härteste an. Wisse aber, daß ich nicht mehr zurückzukehren vermag; denn an dem Tag, an dem du mich zum letztenmal gesehen, ermordeten mich deine Brüder.« Dann bezeichnete er ihr noch die Stelle, wo jene ihn verscharrt hätten, wiederholte ihr, daß sie ihn nicht mehr rufen oder erwarten solle, und verschwand. Das Mädchen erwachte und weinte bitterlich über das Traumgesicht, dem es vollen Glauben beimaß.

Am andern Morgen hatte sie zwar nicht den Mut, ihren Brüdern etwas zu sagen, beschloß aber, an den bezeichneten Ort zu gehen, um sich zu überzeugen, ob ihr Traum Wahrheit sei. Sobald sie also Erlaubnis erhalten hatte, ging sie in Begleitung [348] eines Mädchens, das früher bei den Geschwistern gedient hatte und von allen Geheimnissen Lisabettas wußte, um angeblich zu ihrem Vergnügen einen Spaziergang vor die Stadt zu machen. An jener Stelle angekommen, grub sie nach, wo sie, nachdem sie das welke Laub, das dort den Boden bedeckte, weggeräumt hatte, die Erde am lockersten fand. Auch hatte sie noch nicht lange gegraben, als sie auf den völlig erhaltenen und unbeschädigten Körper ihres unglücklichen Geliebten stieß und dadurch nur allzu deutlich die Wahrheit ihres Traumgesichts erkannte. Unaussprechlich betrübt über diese Entdeckung, fühlte sie doch wohl, daß sie ihren Tränen hier nicht freien Lauf lassen durfte, und hätte, wenn es möglich gewesen wäre, gern den ganzen Körper mit sich genommen, um ihn würdig zu begraben. Da sie aber einsah, daß dergleichen unmöglich war, trennte sie, so gut sie konnte, den Kopf mit einem Messer vom Rumpfe und gab ihn, nachdem sie den Rest des Körpers wieder mit Erde bedeckt hatte, in ein Handtuch gehüllt der Dienerin zu tragen.

Ohne von jemand gesehen zu sein, kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Hier schloß sie sich mit dem Kopf in ihre Stube ein und weinte, über ihn hingeneigt, so lange Zeit bitterlich, daß ihre Tränen, während sie ihn mit Küssen bedeckte, ihn völlig reinwuschen. Dann legte sie ihn, mit einem sauberen Tuch umwunden, in einen schönen Blumentopf, in dem man Majoran und Basilikum zieht, schüttete Erde darüber, pflanzte einige schöne Stauden salernitanisches Basilikum hinein und begoß sie nicht anders als mit Rosen- und Orangenwasser oder ihren Tränen. Dabei pflegte sie sich immer zu dem Blumentopf zu setzen und das Gefäß, das ihren Lorenzo verborgen hielt, mit inniger Sehnsucht zu betrachten. Hatte sie ihn lange so angeschaut, dann trat sie wieder heran und weinte, über ihn gebeugt, bis sie das ganze Basilikum begossen hatte. Sowohl durch die lange und ununterbrochene Pflege als auch durch die Fruchtbarkeit, welche der verwesende Kopf dem Erdreich mitteilte, wurde die Pflanze wunderschön und duftete köstlich.

Da Lisabetta immer in dieser Weise fortfuhr, wurde sie öfters von den Nachbarn dabei beobachtet. Diese aber sagten [349] zu ihren Brüdern, die sich darüber verwunderten, daß ihre Schönheit dahinwelkte und ihre Augen wie erloschen aussahen: »Wir haben bemerkt, daß sie sich täglich so und so benimmt.« Als die Brüder das hörten und selbst wahrnahmen, schalten sie sie deswegen einige Male und ließen ihr endlich, als das nichts helfen wollte, den Blumentopf heimlich wegnehmen. Als sie ihn vermißte, verlangte sie viele Male auf das dringendste nach ihm. Wie sie ihn aber doch nicht wiederbekam, wurde sie unter Tränen und Klagen krank und begehrte auch in der Krankheit nichts als ihren Blumentopf. Die Brüder wunderten sich über dieses Verlangen und verfielen deshalb darauf, zu untersuchen, was darin sei. Sie schütteten also die Erde aus und fanden das Tuch und in diesem den Kopf, der noch nicht so völlig verwest war, daß sie ihn an dem krausen Haarwuchs nicht für den des Lorenzo erkannt hätten. Darüber sehr erstaunt, fürchteten sie, ihre Tat könnte ruchbar werden. Ohne jemand etwas davon zu sagen, verließen sie, nachdem sie den Kopf vergraben und ihre Geschäfte geordnet hatten, vorsichtig die Stadt Messina, um nach Neapel zu ziehen. Das Mädchen aber hörte nicht auf, zu weinen und nach dem Blumentopf zu verlangen, und starb in solcher Weise unter Tränen.

Das war das Ende dieser traurigen Liebe. Mit der Zeit aber wurde die Begebenheit vielen bekannt, und es dichtete einer das Lied darauf, das heute noch gesungen wird:


Wer war der arge Bösewicht,
Der meinen Blumentopf genommen?
[350] Sechste Geschichte

Andreola liebt den Gabriotto. Sie erzählt ihm einen Traum, den sie gehabt hat, und er ihr einen anderen. Darauf stirbt er plötzlich in ihren Armen. Als sie ihn mit ihrer Dienerin nach Hause trägt, werden sie von der Wache gefangen, und sie gesteht, wie sich alles zugetragen hat. Der Stadtrichter will ihrer Ehre Gewalt antun, sie wehrt sich aber. Ihr Vater erfährt indes, wo sie ist, und befreit sie, da er sie unschuldig findet. Sie aber weigert sich, länger in der Welt zu leben, und wird Nonne.


Die Geschichte, die Filomena soeben erzählt hatte, war den Damen sehr willkommen gewesen, da sie jenes Lied schon oft singen gehört hatten, trotz allen Fragens aber nie hatten erfahren können, aus welchem Anlaß es gemacht worden war. Der König hatte kaum das Ende vernommen, als er den Panfilo in der Ordnung weiter fortfahren hieß. Panfilo sagte darauf:

Der in der vorigen Geschichte erwähnte Traum veranlaßt mich, euch eine andere zu erzählen, in der ihrer zwei vorkommen, die zukünftige Dinge betrafen, so wie jener vergangene, und die kaum von denjenigen, die sie geträumt hatten, erzählt worden waren, als sie auch schon eintrafen. Ihr müßt nämlich wissen, liebenswürdige Damen, daß alle Lebenden vermöge einer gemeinsamen Erregbarkeit im Traum mancherlei Dinge sehen, die zwar dem Träumenden, solange er schläft, vollkommen wahr scheinen, von denen aber, sobald er wieder erwachte, nur einige als wahr, andere als wahrscheinlich und noch andere als aller Wahrheit widersprechend erkannt werden. Viele messen demzufolge jedem ihrer Träume ebensoviel Glauben bei wie den Gegenständen, die sie wachend sehen, und betrüben oder erfreuen sich über ihre Träume, je nachdem ihr Inhalt sie hoffen oder fürchten macht. Umgekehrt gibt es aber auch manche, die Träumen erst dann glauben, wenn sie der Gefahr, vor der sie gewarnt werden, erlegen sind. Ich billige weder das eine noch das andere; denn die Träume sind weder immer wahr noch allemal falsch. Daß sie nicht alle wahr sind, wird wohl ein jeder von uns schon öfters erfahren[351] haben. Daß sie aber auch nicht alle täuschen, habt ihr schon aus Filomenas Geschichte ersehen, und ich gedenke es euch jetzt, wie ich schon erwähnte, auch durch die meinige zu beweisen. Deshalb meine ich denn, daß man sich durch keinen widersprechenden Traum bei tugendhaftem Leben und Wandel in Furcht versetzen, noch von seinen guten Entschlüssen abbringen lassen soll. Ebenso soll man, wie vorteilhaft auch die Träume uns ein schlechtes und widerrechtliches Benehmen darstellen und uns mit lockenden Vorspielungen dazu verleiten wollen, ihnen doch keinen Glauben schenken, wohl aber im umgekehrten Fall sie alle für wahr halten. Doch kommen wir zu unserer Geschichte.

In der Stadt Brescia lebte vor Zeiten ein Edelmann, der Herr Negro da Ponte Carali genannt wurde. Unter mehreren andern Kindern hatte er eine Tochter namens Andreola, die jung und hübsch und unvermählt war und sich zufälligerweise in einen von ihren Nachbarn verliebte, der Gabriotto hieß und zwar von niedrigem Stande, aber von gar löblichen Sitten und schönem, wohlgefälligem Aussehen war. Auch wußte die junge Dame es durch Hilfe eines Mädchens, das im Hause diente, nicht allein dahin zu bringen, daß Gabriotto ihre Liebe zu ihm erfuhr, sondern sie ließ ihn auch zu großem beiderseitigem Vergnügen gar häufig zu sich in einen schönen Garten ihres Vaters führen. Und damit keine Macht außer dem Tode ihre wechselseitige Liebe zu trennen vermöchte, wurden sie heimlich Mann und Frau.

Während sie nun auf solche Weise verstohlen ihre Zusammenkünfte fortsetzten, geschah es, daß die junge Dame, schlafend, eines Nachts im Traum mit Gabriotto in ihrem Garten zu sein und ihn zu ihrer beiderseitigen Lust in den Armen zu halten glaubte. Und als sie noch in dieser Stellung verweilten, war es ihr, als sähe sie aus seinem Körper ein scheußliches schwarzes Ding herauskommen, dessen Gestalt sie nicht erkennen konnte. Dann kam es ihr so vor, als faßte dieses Ding den Gabriotto und risse ihn wider ihren Willen mit unglaublicher Kraft aus ihren Armen und verschwände mit ihm unter der Erde, so daß sie weder das eine noch den anderen wieder zu sehen bekam. Darüber empfand sie so heftigen Schmerz,[352] daß sie aufwachte; und obwohl sie, erwacht, sich freute, daß die Erscheinungen ihres Traumes verschwunden waren, erfüllte dennoch das, was sie geträumt hatte, sie mit Angst. Deshalb bemühte sie sich, als Gabriotto die folgende Nacht zu ihr kommen wollte, ihn für diesen Abend davon abzubringen. Da sie aber seinen festen Willen sah, gab sie nach, damit er sie nicht in einem andern Verdacht haben möchte, und willigte ein, ihn in der Nacht in ihrem Garten zu empfangen.

So pflückten sie denn, da es eben die Jahreszeit war, viele weiße und rote Rosen und setzten sich dann miteinander an den Rand eines schönen Springbrunnens, der den Garten zierte und voll des klarsten Wassers war. Dort bereiteten sie eine Zeitlang einander die süßesten Freuden, und Gabriotto fragte seine Dame, aus welchem Grunde sie ihm am vergangenen Tag diese Zusammenkunft habe abschlagen wollen. Sie tat, wie er wünschte, und erzählte ihm den Traum, den sie die Nacht zuvor gehabt, und die Besorgnis, die sie deshalb gefaßt habe. Gabriotto aber lachte über ihre Rede und sagte, Träumen irgendwelchen Glauben beizumessen sei eine große Torheit, denn sie entständen aus Übermaß oder aus Mangel an Speise, und man sehe täglich, daß sie vollkommen eitel seien.

Dann fügte er hinzu: »Hätte ich mich nach Träumen richten wollen, so wäre ich nicht so sehr deines Traumes wegen als einem eigenen Traum zuliebe, den ich in dieser letzten Nacht gehabt habe, nicht gekommen. Mir träumte nämlich, ich sei in einem anmutigen, schönen Walde auf der Jagd und hätte das niedlichste und allerliebste Reh gefangen, das je gesehen worden ist. Es war weißer als Schnee und wurde in kurzer Zeit so zutraulich, daß es gar nicht mehr von mir ging. Dennoch war es mir im Traum, als ob ich, damit es mir nicht entflöhe und weil es mir so lieb war, ihm ein goldenes Halsband um die Kehle legte und es an einer goldenen Kette mit der Hand hielte. Dann aber schien mir, während das Reh schlummerte und sein Kopf in meinem Schoß lag, von woher weiß ich nicht, ein kohlschwarzer Windhund von gierigem und furchtbarem Aussehen auf mich zuzukommen. Mir war, als leistete ich gar keinen Widerstand, als packte er mich mit den Zähnen an der linken Seite und nagte so lange daran, bis [353] er zum Herzen gelangte, es herausriß und dann forteilte. Darüber empfand ich solch einen Schmerz, daß ich aus dem Schlafe auffuhr und, erwacht, mir eilig nach der Seite griff, um zu fühlen, ob ich dort nichts hätte. Als ich indes nichts fand, lachte ich mich selber aus, daß ich erst nachgesehen hatte. Was aber hat das alles auf sich? Ähnliche und noch viel schrecklichere Träume habe ich schon oft genug gehabt, ohne daß mir darum der mindeste Unfall von der Welt zugestoßen wäre. Bekümmere dich also nicht wegen der Träume, sondern laß uns allein unserm Glück nachgehen.«

Die junge Dame, die schon über ihren Traum so sehr erschrocken war, wurde es über der Rede ihres Geliebten noch weit mehr. Um ihn aber auf keine Weise zu verstimmen, verbarg sie ihre Angst, soviel sie nur vermochte. Obgleich sie nun ihren Gabriotto öfter umarmte und küßte und auch in seinen Umarmungen und Küssen ein wenig Freude fand, so fürchtete sie doch fortwährend, ohne selber zu wissen was, blickte ihm häufiger als sonst ins Gesicht und sah sich zuweilen im Garten um, ob nicht irgendwo etwas Schwarzes auf sie zukomme.

Während sie noch so miteinander weilten, seufzte Gabriotto tief auf, umarmte sie und rief: »Ach Gott, mein liebstes Herz, hilf mir, denn ich sterbe.« Und mit diesen Worten fiel er auf den Rasen der Wiese nieder. Sogleich hob ihn Andreola wieder auf, legte ihn sich in den Schoß und sagte fast unter Tränen: »Ach, mein süßester Gebieter, um Gottes willen, was fehlt Euch denn?« Gabriotto antwortete nicht, sondern stöhnte heftig unter plötzlichem Schweiße, und es währte nicht lange, so verschied er.

Wie schmerzlich und betrübend dies der jungen Dame sein mußte, die ihn mehr als sich selbst liebte, wird sich eine jede von euch ausmalen können. Lange weinte sie über ihm, und oftmals rief sie ihn vergeblich beim Namen. Als sie aber fühlte, daß er schon am ganzen Leib erkaltet war, und sich dadurch überzeugte, er sei wirklich tot, ging sie, da sie sich auf der Welt keinen Rat wußte, in all ihrer Angst und mit nassen Augen, um ihre Dienerin, welche die Vertraute ihrer Liebe war, zu rufen, und erzählte dieser ihren Jammer und ihr Elend. Nachdem sie gemeinschaftlich Gabriottos tote Züge eine [354] Zeitlang mit ihren Tränen benetzt hatten, sagte die Dame zur Dienerin: »Da Gott mir ihn genommen hat, so denke ich auch nicht länger am Leben zu bleiben. Bevor ich aber Hand anlege, um mich selbst zu töten, wünschte ich, daß wir genügende Maßnahmen ergriffen, um meine Ehre und das Geheimnis der Liebe, die zwischen uns bestanden hat, zu bewahren und um diesen Körper, von dem die geliebte Seele geschieden ist, zur Erde zu bestatten.«

Darauf entgegnete die Dienerin: »Sage nicht, meine Tochter, du wolltest dir das Leben nehmen; denn hast du ihn in dieser Welt verloren, so trennte dein Selbstmord dich auch in jener Welt von ihm, weil du zur Hölle verbannt würdest, wo seine Seele gewiß nicht weilt, denn er war ein braver Mensch. Viel besser ist es also, du suchst dich zu trösten und bemühst dich, sein Heil durch Gebete und andere gute Werke zu fördern, wenn er um etwaiger Sünden willen dessen bedürfen sollte. Was aber sein Begräbnis betrifft, so haben wir hier im Garten dazu die beste Gelegenheit, und da niemand weiß, daß er jemals hierher gekommen ist, wird auch kein Mensch etwas davon erfahren. Ist dir das aber nicht angenehm, so legen wir die Leiche hier vor dem Garten ruhig nieder. Dann werden ihn morgen früh die Leute schon finden und nach Hause schaffen, daß seine Angehörigen ihn begraben lassen.«

Trotz der Bitterkeit ihres Schmerzes und ihrer unablässigen Tränen hatte die junge Dame auf den Rat ihrer Dienerin gehört und antwortete, da dessen erste Hälfte nicht nach ihrem Sinn gewesen, nun auf die zweite: »Behüte Gott, daß solch ein trefflicher Mann, den ich so herzlich geliebt habe und der mein Gatte war, mit meinem Willen wie ein Hund verscharrt oder auf die Straße geworfen werden sollte. Meine Tränen sind ihm geworden. So sollen ihm denn auch, soweit es an mir liegt, die der Seinigen zuteil werden, und schon zeigen sich mir die Mittel, wie wir es zu bewerkstelligen haben.«

Nach diesen Worten befahl sie ihr, eilig ein Stück Seidenzeug zu holen, das sie als Vorrat im Schranke liegen hatte, breitete dieses, als die Dienerin es gebracht hatte, auf dem Boden aus, legte mit deren Hilfe die Leiche des Gabriotto darauf und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. Dann drückte sie ihm [355] Augen und Mund unter vielen Tränen zu, bekränzte ihn mit Rosen, überschüttete ihn ganz mit allen übrigen Blüten, die sie zusammen gepflückt hatten, und sagte endlich zur Dienerin: »Es ist nicht weit bis zur Tür seines Hauses, und so wollen wir ihn denn beide, du und ich, geschmückt wie wir ihn haben, forttragen und dort an der Schwelle niederlegen. Binnen kurzem wird es ja Tag, und dann wird die Leiche gefunden und aufgehoben werden. Den Seinen freilich wird unsere Sorgfalt keinen Trost gewähren können. Ich aber, in deren Armen er gestorben ist, werde mich daran freuen.«

Als sie so gesprochen hatte, fiel sie dem toten Körper abermals mit einem Strom von Tränen um den Hals und weinte eine lange Weile. Erst auf vielfältiges Drängen der Dienerin, und als der Tag zu dämmern begann, richtete sie sich auf, zog sich den Ring vom Finger, mit dem Gabriotto sich ihr vermählt hatte, und sagte, während sie ihn an den seinigen steckte: »Mein treuer Gemahl, wenn deine Seele jetzt meine Tränen sieht oder der Körper, nachdem jene ihn verlassen, noch fähig ist, etwas zu empfinden oder wahrzunehmen, so nimm das letzte Geschenk deines Weibes, das du im Leben so zärtlich geliebt hast, freundlich auf.« Und mit diesen Worten sank sie bewußtlos auf die Leiche nieder. Sobald sie sich aber ein wenig erholt hatte, nahm sie mit Hilfe der Dienerin das Tuch, auf dem der tote Körper lag, und sie trugen es zum Garten hinaus und schlugen den Weg nach seinem Hause ein.

Während sie aber noch dahin unterwegs waren, traf es sich, daß einige von der Wache des Stadtrichters, die zufällig um eben diese Zeit einer Amtsverrichtung nachgingen, ihnen begegneten und die Leiche, die sie trugen, gewahrten. Als Andreola, welcher der Tod willkommener gewesen wäre als das Leben, die Scharwache erkannte, sagte sie unerschrocken: »Ich sehe wohl, wer ihr seid, und daß fliehen zu wollen nichts fruchtete. Auch bin ich bereit, euch vor die Obrigkeit zu folgen und ihr zu berichten, wie es sich mit dieser Angelegenheit verhalte. Soll ich aber nachher nicht über euch Beschwerde führen, so wage es niemand, solange ich euch willig folge, mich zu berühren oder dieser Leiche irgend etwas von ihrem Schmucke zu rauben.« Infolge dieser Rede gelangte sie, ohne daß einer [356] sich unterstanden hätte, sie zu berühren oder die Leiche zu versehren, auf das Stadthaus.

Der Stadtrichter stand auf, sobald es ihm gemeldet worden war, und befragte sie in seinem Zimmer über das Vorgefallene. Auch ließ er den Leichnam von Ärzten untersuchen, ob sich Spuren fänden, daß der arme Mensch durch Gift oder auf andere Weise umgebracht worden wäre. Alle verneinten es und erklärten, es sei ihm ein Geschwür in der Nähe des Herzens aufgebrochen und habe ihn erstickt. Als der Stadtrichter diesen Ausspruch vernahm und erkannte, daß man sie keines Verbrechens zeihen konnte, wollte er sich das Ansehen geben, als schenke er ihr, was er ihr doch nicht hätte verkaufen können, und versprach ihr die Freiheit, wenn sie zuvor seinen Lüsten nachgeben wolle. Weil aber diese Worte bei der Dame nichts fruchteten, wollte er wider Fug und Recht Gewalt anwenden. Andreola indes, welcher Zorn und Abscheu ungewohnte Kräfte gaben, verteidigte sich hartnäckig und überhäufte ihn mit Schimpfworten und Ausdrücken ihrer Verachtung.

Inzwischen war der helle Tag angebrochen, und Herr Negro hatte zu seiner tiefsten Betrübnis das Geschehene erfahren. Sogleich begab er sich, von vielen seiner Freunde begleitet, auf das Stadthaus und verlangte, sobald der Stadtrichter ihm alles berichtet, unwillig seine Tochter zurück. Der Stadtrichter, der es für geraten hielt, sich selbst wegen der Gewalt anzuklagen, die er ihr hatte antun wollen, bevor die Dame es täte, lobte zuerst sie und ihre Standhaftigkeit und bekannte sodann, als besten Beweis für jene, was er getan habe und mit welchem Erfolg. Daß er sie dabei so unerschütterlich gefunden, setzte er hinzu, habe ihm die wärmste Liebe zu ihr eingeflößt, und wenn es Herrn Negro als ihrem Vater und ihr selbst angenehm sei, werde er sie trotz ihrer früheren Verbindung mit einem Menschen niederen Standes gern zur Gemahlin nehmen.

Während nun beide noch miteinander redeten, trat Andreola vor ihren Vater, warf sich weinend vor ihm nieder und sagte: »Vater, ich glaube, es ist unnötig, daß ich Euch die Geschichte meiner Verwegenheit und meines Unglücks erzähle, denn gewiß habt Ihr sie bereits vernommen und kennt sie zur Genüge. Darum bitte ich Euch denn, so innig und so demütig wie ich[357] nur kann, um Verzeihung für das Vergehen, daß ich ohne Euer Wissen mir den zum Manne genommen habe, der mir am besten gefiel. Ich bitte Euch darum, nicht damit mir das Leben geschenkt werde, sondern damit ich als Eure Tochter und nicht als Eure Feindin sterben kann.« Mit diesen Worten sank sie weinend zu seinen Füßen auf den Boden.

Herr Negro, der schon bei Jahren und überhaupt wohlwollenden und liebevollen Gemüts war, begann bei der Rede seiner Tochter zu weinen, richtete sie voller Zärtlichkeit unter Tränen auf und sagte dann: »Meine Tochter, freilich wäre es mir viel lieber gewesen, hättest du einen Mann gehabt, wie er nach meiner Ansicht dir angemessen gewesen wäre. Wenn du ihn aber nach deinem Gefallen gewählt hättest, so hätte der von dir Erwählte notwendig auch mir gefallen. Daß du mir jedoch deine Wahl verborgen hast, kränkt mich wegen deines geringen Zutrauens zu mir. Noch mehr aber schmerzt es mich, daß du ihn verloren hast, bevor ich noch davon wußte. Da es indes nun einmal so ist, will ich zu deiner Beruhigung wenigstens dem Toten antun, was ich gern dem Lebenden gewährt hätte, ihm nämlich die Ehre erweisen lassen, die meinem Eidam zukommt.«

Darauf wandte er sich zu seinen Kindern und Verwandten und hieß sie für Gabriotto ein großes und ehrenvolles Begräbnis zurüsten. Inzwischen waren auch die männlichen und weiblichen Angehörigen des jungen Mannes, die von dem Vorfall Nachricht erhalten hatten, und außer ihnen fast so viele Männer und Frauen herbeigekommen, als in der Stadt waren. So wurde denn die Leiche, die mitten im Hofe auf Andreolas Tuch lag und noch mit all den Rosen geschmückt war, nicht allein von ihr und seinen weiblichen Verwandten, sondern von fast allen Frauen in der Stadt und von vielen Männern öffentlich beweint und alsdann nicht nach Art eines gemeinen Mannes, sondern eines großen Herrn aus dem Hofe des Stadthauses auf den Schultern der edelsten Bürger unter großen Ehren zur Gruft getragen.

Nach einigen Tagen wiederholte der Stadtrichter seine bereits gemachten Anträge, und Herr Negro sprach davon zu seiner Tochter. Sie aber wollte nichts davon hören, und da der [358] Vater bereit war, ihr den Willen darin zu lassen, nahm sie mit ihrer Dienerin in einem wegen seiner Heiligkeit berühmten Kloster den Schleier, wo sie beide noch lange ein tugendhaftes Leben führten.

Siebente Geschichte

Simona liebt den Pasquino. Als sie miteinander in einem Garten sind, reibt Pasquino sich mit einem Salbeiblatt die Zähne und stirbt. Simona wird festgenommen und stirbt gleichfalls, als sie ein anderes jener Salbeiblätter an den Zähnen zerreibt, um dem Richter zu zeigen, wie Pasquino gestorben ist.


Als Panfilo sich seiner Erzählerpflicht entledigt hatte, zeigte der König kein Mitleid für Andreola, sondern gab Emilia durch einen an sie gerichteten Blick zu erkennen, er wünsche, daß sie mit einer Geschichte denen, die vor ihr gesprochen, nachfolgen möge. Sie aber begann, ohne im mindesten zu zögern, also:

Liebe Freundinnen, die Geschichte, die Panfilo uns erzählt hat, veranlaßt mich, euch eine andere mitzuteilen. Sie gleicht jener nur darin, daß die Liebende, von der ich euch erzählen will, ihren Geliebten wie Andreola in einem Garten verlor und daß sie gleich dieser festgenommen wurde, obwohl weder ihre Kraft noch ihre Standhaftigkeit, sondern allein ihr plötzlicher Tod sie von den Gerichten befreite. Wie schon früher unter uns bemerkt worden ist, verschmäht Amor, obgleich er die Schlösser adeliger Herren gern bewohnt, deshalb keineswegs die Herrschaft über die Hütten der Armen, sondern zeigt vielmehr in diesen seine Kraft zuweilen in solchem Maße, daß die Reicheren ihn eben hier als übermächtigen Gebieter kennen und fürchten lernen. Dies wird, wenn nicht vollständig, so doch zum Teil meine Geschichte erhellen, mit welcher ich in unsere Stadt zurückzukehren gesonnen bin, von der wir uns heute in unseren verschiedenen Geschichten so lange entfernt und von entlegenen Weltgegenden gesprochen haben.

Es war nämlich vor nicht gar langer Zeit in Florenz ein [359] ganz hübsches und für seinen Stand gar artiges Mädchen, das Simona hieß und eines armen Mannes Tochter war. Obgleich sie sich vom Wollespinnen ernährte und so mit ihrer Hände Arbeit das Brot verdienen mußte, das sie essen wollte, so hatte sich die Armut ihrer Gesinnung doch so wenig bemächtigt, daß sie sich von jener nicht abschrecken ließ, die Liebe in ihr Herz aufzunehmen, die seit geraumer Zeit mit dem gefälligen Betragen und den freundlichen Worten eines jungen Mannes Einlaß begehrte, der um nichts vornehmer war als sie und ihr für einen Wollweber, bei dem er diente, Wolle zu spinnen gab.

So sehr aber auch das gefällige Äußere des jungen Mannes, der Pasquino hieß und sie ebenfalls liebte, die Simona entflammt hatte, so getraute sie sich bei dem lebhaftesten Verlangen doch nicht, weitere Schritte zu tun, sondern stieß nur unter dem Spinnen bei jedem Endchen Wollfaden, das sie um die Spule wand, in Gedanken an den, in dessen Auftrag sie spann, tausend Seufzer aus, die heftiger brannten als Feuer. Auf der andern Seite war auch er ausnehmend sorgsam geworden, daß die Wolle seines Herrn gut gesponnen würde, und mahnte um die der Simona aufgetragene am häufigsten, als ob allein aus dieser und aus keiner andern alles Tuch gewoben werden sollte. Wie nun der eine fortwährend bat, die andere aber Vergnügen daran fand, gebeten zu werden, wurde er allmählich dreister, als er früher zu sein pflegte, und sie verlor einen großen Teil ihrer sonst gewohnten Furcht und Scham, bis sie sich endlich in voller Gewährung gegenseitiger Freuden einigten. An diesen Freuden fanden beide Teile solches Gefallen, daß sie, weit entfernt die Aufforderung des andern abzuwarten, sich beiderseitig mit Vorschlägen zu ihrer Wiederholung entgegenkamen.

Während sie nun diese Vergnügungen vom einen zum andern Tag fortsetzten und sich in ihrer Wiederkehr immer mehr entflammten, sagte Pasquino eines Tages zur Simona, sie müsse sich ihm zu Gefallen unbedingt so einzurichten wissen, daß sie mit ihm einen Garten, in den er sie führen wolle, besuchen könne, damit sie dort in größerer Muße und geringerer Furcht beisammen seien. Simona erklärte sich damit einverstanden. Dann redete sie eines Sonntags ihrem Vater ein, sie wolle den [360] Ablaß von San Gallo besuchen, und ging statt dessen mit einer Freundin namens Lagina in den Garten, den Pasquino ihr genannt hatte. Hier fanden sie ihn schon mit einem seiner Kameraden, der Puccino hieß, aber gewöhnlich Stramba genannt wurde, und während dieser in der Eile eine Liebschaft mit Lagina anfing, ließen Pasquino und Simona sie am einen Ende des Gartens und verloren sich am andern, um ihre gewohnten Vergnügungen zu wiederholen.

Nun stand dort, wo Pasquino und seine Geliebte sich befanden, zufällig ein Salbeibusch von besonderer Größe, neben dem sie sich niedersetzten und sich eine gute Weile miteinander ergötzten. Dann redeten sie noch lange über das Vesperbrot, das sie mit aller Gemächlichkeit in diesem Garten einnehmen wollten, wobei Pasquino sich dem großen Salbeibusch zuwendete, ein Blatt davon abpflückte und sich mit der Bemerkung, daß ihm der Salbei am besten alles wegnähme, was etwa vom Essen zurückgeblieben sei, Zähne und Zahnfleisch tüchtig damit zu reiben begann. Als er dies eine Zeitlang getan hatte, fuhr er fort, über den Imbiß zu sprechen, von dem vorher die Rede gewesen war.

Indes hatte er noch nicht lange weitergesprochen, als er plötzlich die Farbe wechselte, wenige Augenblicke darauf Gesicht und Sprache verlor und endlich binnen kurzem starb. Beim Anblick aller dieser Unfälle hub Simona laut zu weinen und zu klagen an und rief nach Stramba und Lagina. Diese kamen eilig gelaufen und fanden den Pasquino nicht allein tot, sondern auch schon aufgeschwollen und im Gesicht und auf dem Leib voll dunkler Flecke. Als Stramba dies gewahr wurde, rief er sogleich: »Abscheuliches Weib, du hast ihn vergiftet!« Dann fing er so zu lärmen an, daß viele, die in der Nachbarschaft des Gartens wohnten, davon hörten. Alle, die darüber herbeiliefen, den toten und geschwollenen Körper sahen und hörten, wie Stramba wehklagte und die Simona beschuldigte, jenen hinterlistig vergiftet zu haben, glaubten, es verhalte sich wirklich so, wie Stramba vorgab, da auch das Mädchen vor Schmerz über den Unfall, der ihr den Geliebten so plötzlich entrissen, wie außer sich war und sich nicht zu verteidigen wußte.

So wurde sie denn ergriffen und unter heftigem Weinen zum [361] Palast des Stadtrichters geführt. Hier brachten Stramba, Atticciato und Malagevole, lauter Kameraden des Pasquino, die sich inzwischen eingefunden hatten, ihre Anklage so ungestüm vor, daß einer der Richter das Mädchen ohne weiteren Aufschub über den Hergang der Sache zu befragen anfing. Da es ihm nun dabei gar nicht einleuchten wollte, daß sie in böser Absicht gehandelt habe und schuldig sei, beschloß er, die Leiche, den Ort, wo sich alles zugetragen, und die Nebenumstände, von denen sie ihm erzählte, in ihrem Beisein in Augenschein zu nehmen, denn aus ihrer Erzählung war er nicht recht klug geworden. Zu diesem Zweck ließ er sie unter Vermeidung allen Aufsehens in den Garten zurückbringen, wo der Leichnam des Pasquino, aufgeschwollen wie eine Tonne, noch immer am Boden lag.

Als der Richter nachkam, wunderte er sich sehr über das Aussehen des Toten und fragte sie, wie es denn zugegangen sei. Das Mädchen erzählte zuerst alles, was vorher geschehen war, und trat alsdann, um dem Richter das Ereignis desto vollständiger vorzustellen, an den Salbeibusch und rieb sich, so wie es Pasquino getan, mit einem Blatte die Zähne. Stramba und Atticciato nebst Pasquinos übrigen Freunden und Gefährten verhöhnten dem Richter gegenüber alles, was Simona vorbrachte, als alberne Erfindungen, verdoppelten ihre Anklagen gegen sie und verlangten nichts Geringeres, als daß sie mit dem Feuer für solche Verruchtheit bestraft werden solle. Das arme Mädchen aber, das aus Schmerz über den Verlust des Geliebten und aus Furcht vor der Strafe, die Stramba forderte, die Sprache verlor, wurde nun durch den Salbei, mit welchem es sich die Zähne gerieben, zum großen Erstaunen aller Umstehenden von denselben Zufällen betroffen, denen früher Pasquino erlegen war, und starb des gleichen Todes.

Glückliche Seelen, denen das Los zuteil ward, am selben Tage ihre glühende Liebe und dies irdische Leben enden zu sehen! Doppelt glücklich, wenn ihr beide einem gemeinsamen Aufenthaltsort zueiltet! Überselig, wenn man auch im Jenseits liebt, und eure Liebe dort ebenso fortdauert, wie sie euch im Diesseits durchdrang! Am glücklichsten aber ist nach unserer Meinung, da wir sie überlebten, Simona zu preisen, weil das [362] Schicksal nicht zuließ, daß ihre Unschuld dem Zeugnis des Stramba, des Atticciato und des Malagevole erlag, welche Wollkratzer oder noch geringeres Volk sein mochten, sondern ihr einen ehrenvollen Weg bereitete, auf dem sie durch denselben Tod, den ihr Geliebter gestorben, sich der Schmach, die jene ihr zugedacht, entzog, und der vielgeliebten Seele ihres Pasquino nachfolgte.

Der Richter, der gleich allen übrigen äußerst erstaunt über dieses Schauspiel war, wußte nicht, was er sagen sollte, und blieb in langem Schweigen. Als er sich endlich wieder gefaßt hatte, sagte er: »So muß denn dieser Salbei giftig sein, was doch sonst nicht die Art der Pflanze ist. Damit sie aber in Zukunft niemand mehr auf solche Weise schade, soll man sie bis zu den Wurzeln abschneiden und ins Feuer werfen.« Der Wächter des Gartens gehorchte alsbald diesem Befehle in des Richters Gegenwart. Kaum aber hatte er den großen Busch vertilgt, als offenbar wurde, was am Tode des unglücklichen Paares schuld gewesen war. Es saß nämlich unter diesem Salbeibusch eine Kröte von erstaunlicher Größe, deren giftiger Hauch, wie alle vermuteten, die Pflanze vergiftet hatte. Da nun aber niemand den Mut hatte, sich der Kröte zu nähern, schichtete man ringsum Reisig auf und verbrannte sie darin mitsamt dem Salbei.

So endete die Untersuchung des Herrn Richters über den Tod des armen Pasquino. Er und seine Simona wurden, geschwollen wie sie waren, von Stramba, Atticciato, Guccio Imbratta und dem Malagevole in der Kirche San Paolo, zu welcher Pfarre die Verstorbenen gehört hatten, zur Erde bestattet.

[363] Achte Geschichte

Girolamo liebt Salvestra. Die Bitten seiner Mutter nötigen ihn, nach Paris zu gehen, und als er zurückkommt, findet er seine Geliebte verheiratet. Er schleicht sich verstohlen in ihr Haus und stirbt an ihrer Seite. Die Leiche wird in eine Kirche getragen, und Salvestra sinkt tot neben ihr nieder.


Die Geschichte der Emilia war zu Ende gediehen, als Neifile auf Befehl des Königs also begann:

Nach meinem Dafürhalten, ihr werten Damen, gibt es Leute, die sich zwar größere Klugheit als allen andern zuschreiben, in der Tat aber deren weniger besitzen. Darum sind sie denn übermütig genug, nicht allein menschlichen Ratschlägen, sondern auch dem natürlichen Lauf der Dinge ihre Weisheit entgegenzusetzen, woraus schon öfter die schlimmsten Übel erwuchsen, niemals aber das mindeste Gute erfolgt ist. Weil nun aber die Liebe noch weniger als alle übrigen Naturtriebe sich durch Rat und Widerstreben beherrschen läßt und ihrem Wesen nach sich eher in sich selbst verzehrt als durch menschliche Vorkehrungen vertilgt werden kann, bin ich gesonnen, euch von einer Frau zu erzählen, die, während sie weiser sein wollte, als sie war und als es sich für sie schickte, ja weiser, als es sich mit der Angelegenheit vertrug, in der sie ihren Scharfsinn zu zeigen gedachte, statt dem verliebten Herzen die Liebe zu entreißen, welche vielleicht die Sterne darein gesät hatten, nur das erlangte, daß sie Liebe und Leben zugleich aus dem Körper ihres Sohnes vertrieb.

In unserer Stadt lebte, wie die Bejahrteren uns erzählen, vor Zeiten ein großer und sehr begüterter Kaufmann namens Leonardo Sighieri, der bald, nachdem seine Frau ihm einen Knaben geboren hatte, welcher Girolamo genannt wurde, seine letzten Verfügungen traf und aus der Welt ging. Die Vormunde des Kindes verwalteten in Gemeinschaft mit dessen Mutter seine Angelegenheiten treu und redlich. Der Knabe wuchs mit den Kindern der Nachbarn auf; mit keinem von der Straße, in welcher sie wohnten, wurde er aber so vertraut wie mit einem Mädchen seines Alters, der Tochter eines Schneiders. Als [364] nun beide an Alter zunahmen, verwandelte sich die Gewohnheit des Umgangs in so große und heftige Liebe, daß Girolamo sich nur so lange wohlfühlte, als er das Mädchen sah. Auf der andern Seite liebte auch sie ihn gewiß nicht minder, als sie von ihm geliebt ward.

Sobald die Mutter des Knaben diese Neigung bemerkt hatte, schalt und züchtigte sie ihn deshalb oft. Als aber Girolamo es doch nicht lassen konnte, beschwerte sie sich bei den Vormunden darüber und sagte zu ihnen in der törichten Meinung, bei dem großen Reichtum ihres Sohnes könne sie einen Mohren weiß waschen: »Unser Girolamo ist kaum erst vierzehn Jahre alt und hat sich in eine Schneiderstochter aus unserer Nachbarschaft, die Salvestra heißt, schon so verliebt, daß ich immer fürchte, wenn wir sie ihm nicht aus den Augen bringen, nimmt er sie einmal ohne jemandes Vorwissen sich zur Frau und betrübt mich dadurch mein ganzes Leben lang. Sieht er sie dagegen an einen andern verheiratet, so wird er sich um ihretwillen ganz verzehren. Und so dächte ich, ihr tätet gut daran, wenn ihr ihn, um beides zu vermeiden, in den Angelegenheiten des Handelshauses nach irgendeinem entlegenen Ort schicktet. Entbehrt er ihren Anblick, so wird er sie sich schon aus dem Sinne schlagen, und dann können wir ihm ein Mädchen von guter Abkunft zur Frau geben.«

Die Vormunde billigten die Rede der Mutter und versprachen, nach ihren Kräften so zu handeln. Sie ließen daher den Knaben zu sich in das Gewölbe rufen, und einer unter ihnen sprach gar freundlich zu ihm: »Mein Sohn, du fängst nachgerade an, groß zu werden, und da ziemt es sich, daß du selbst lernst, in deinen Angelegenheiten nach dem Rechten zu sehen. Deshalb wäre es uns denn sehr lieb, wenn du eine Zeitlang in Paris verweilen wolltest, wo du einen großen Teil deiner Reichtümer wirst umsetzen sehen. Überdies wirst du dort bessere Gelegenheit haben, dich auszubilden und gute Sitte und feines Betragen zu lernen, als hier, wenn du die großen Herren, die Barone und Edelleute beobachtest, die dort besonders zahlreich sind. Hast du alsdann dir ihre Sitten zu eigen gemacht, so magst du wieder hierher zurückkehren.«

Der Knabe war der Rede aufmerksam gefolgt, antwortete [365] nun aber mit wenig Worten, er wolle von alldem nichts tun, denn er denke, so gut wie ein anderer, in Florenz bleiben zu können. Die guten Leute erklärten ihm zwar ausführlich, warum sie seine Antwort mißbilligten; da sie indes keine andere aus ihm herausbringen konnten, erstatteten sie der Mutter über alles Bericht. Diese sagte ihm dann in heftigem Zorne, nicht so sehr wegen seiner Weigerung, nach Paris zu gehen, als vielmehr über seine Liebschaft, harte Worte. Dann aber suchte sie ihn durch freundlichere Reden wieder zu gewinnen und schmeichelte und bat ihn auf das zärtlichste, daß er ihr zu Gefallen tun möge, was seine Vormunde verlangten. In der Tat wußte sie ihm so viel vorzureden, daß er sich bereit erklärte, auf ein Jahr, aber nicht länger, nach Paris zu gehen.

So reiste Girolamo denn ab. Als er aber, seine heftige Liebe im Herzen tragend, in Paris angelangt war, wurde er von einem Tage zum andern so lange hingehalten, bis zwei Jahre verstrichen waren. Endlich, verliebter denn je zuvor nach Florenz heimgekehrt, fand er seine Salvestra an einen ehrlichen Bürgersmann verheiratet, der ein Zeltmacher war, und er grämte sich deshalb über die Maßen. Da er indes einsah, daß die Sache nun doch nicht mehr zu ändern sei, suchte er für seinen Gram auf andere Weise Trost zu gewinnen. Zu diesem Zweck erfragte er ihre Wohnung und ging alsdann nach Art der verliebten Jünglinge häufig vor ihrem Hause vorüber; denn er dachte nicht anders, als sie werde ihn ebensowenig vergessen haben, wie er sie. Doch verhielt es sich damit ganz anders. Sie gedachte seiner nicht mehr, als ob sie ihn nie gesehen hätte, und wenn sie sich ja noch einigermaßen an ihn erinnerte, so drückte sich wenigstens in ihrem Benehmen das Gegenteil aus. Girolamo wurde dies in kurzer Zeit gewahr und betrübte sich sehr darüber. Dennoch tat er, was er nur konnte, um ihre Neigung wiederzugewinnen, und als alles ihm nichts zu fruchten schien, beschloß er, und wenn es sein Leben kostete, wenigstens noch einmal mit ihr zu reden.

Nachdem er sich in dieser Absicht von einem Nachbarn das Innere ihres Hauses genau hatte beschreiben lassen, schlich er sich eines Abends, als sie mit ihrem Manne in die Nachbarschaft gegangen war, heimlich hinein und versteckte sich in [366] ihrem Schlafzimmer hinter einigen Stücken Zeltleinwand, die dort ausgebreitet waren. Hier wartete er, bis sie zurückkamen und zu Bett gingen und er den Mann schlafen hörte. Dann trat er an die Seite des Bettes, wo er Salvestra sich hatte niederlegen sehen, legte ihr die Hand auf die Brust und sagte leise: »Liebes Herz, schläfst du schon?« Das junge Weib wachte noch und war im Begriff zu schreien. Er aber sagte hastig: »Schreie nicht, um Himmels willen, ich bin ja dein Girolamo.« Darauf erwiderte sie heftig zitternd: »Um Gottes willen, Girolamo, geh wieder fort. Die Zeit ist jetzt vorbei, wo wir als Kinder ineinander verliebt sein durften. Ich bin, wie du siehst, verheiratet, und da wäre es ja eine Schande, wollte ich mich mit einem andern einlassen als mit meinem Manne. Darum bitte ich dich um Gottes Barmherzigkeit willen, daß du fortgehst; denn hörte dich mein Gatte, so wäre, selbst wenn kein anderes Unglück daraus entstünde, doch die Folge, daß ich mein Leben lang nicht wieder in Ruh und Frieden mit ihm leben könnte, während ich jetzt, weil er mich liebhat, glücklich und zufrieden bin.«

Der Jüngling, der sich über diese Rede heftig betrübte, erinnerte sie an die vergangene Zeit und an seine Liebe, die sich auch in der Ferne niemals verringert habe, bestürmte sie mit Bitten und den größten Versprechungen, konnte aber dessenungeachtet nichts von ihr erlangen. Da bat er sie denn endlich, weil er sich nichts mehr wünschte als den Tod, daß sie ihm zum Lohn für so große Liebe weiter nichts gestatten möge, als daß er sich so lange neben ihr niederlegen dürfe, bis er sich ein wenig erwärmt hätte, denn er sei während der Zeit, da er auf sie gewartet habe, vor Kälte völlig erstarrt. Er versprach dabei, weder ein Wort zu reden noch sie anzurühren, sondern zu gehen, sobald er wieder einigermaßen warm geworden wäre. Salvestra fühlte doch ein wenig Mitleid mit ihm und gestattete das Erbetene unter den Bedingungen, die er sich auferlegt hatte. Der Jüngling legte sich also neben ihr nieder und berührte sie nicht, sondern richtete alle Gedanken auf seine lange Ausdauer in der Liebe zu ihr, auf ihre gegenwärtige Grausamkeit und seine vernichteten Hoffnungen und beschloß, nicht mehr leben zu wollen. Und so hielt er die Lebensgeister an, preßte die [367] Hände zusammen und starb, ohne einen Laut von sich zu geben, an ihrer Seite.

Die junge Frau wunderte sich inzwischen über seine Enthaltsamkeit und sagte nach einer Weile aus Besorgnis, daß ihr Mann aufwachen möchte: »Nun, Girolamo, warum gehst du denn noch nicht?« Da sie keine Antwort erhielt, glaubte sie, er möchte eingeschlafen sein, und streckte die Hand nach ihm aus und begann ihn zu rütteln, daß er aufwachen sollte. Als sie aber bei der Berührung fühlte, daß er kalt wie Eis war, verwunderte sie sich sehr, und wie er bei abermaligem stärkerem Anfassen sich nicht bewegte, er kannte sie nach öfter wiederholten Versuchen, daß er tot war.

Voller Schrecken darüber wußte sie geraume Zeit lang durchaus nicht, was sie nun tun sollte, bis sie sich endlich entschloß, ihren Mann dadurch über den Vorfall auszuforschen, daß sie ihm denselben unter erfundenen Namen vortrug. Sie weckte ihn daher, erzählte ihm, was soeben hier geschehen war, als habe es sich im Hause eines anderen zugetragen, und fragte ihn alsdann, was er beschlösse, wenn ihm dasselbe begegnete. Der gute Mann erwiderte, seinem Dafürhalten nach müsse man in einem solchen Fall den toten Körper in aller Stille bis zu seiner Wohnung zurücktragen und ihn dort liegenlassen, ohne fernerhin der Frau, die ihm nicht gefehlt zu haben scheine, Groll nachzutragen. »Nun«, entgegnete die junge Frau, »so laß uns denn dasselbe tun.« Und damit nahm sie seine Hand und ließ ihn den toten Jüngling anfühlen. Ganz erschrocken über diesen Vorfall stand der Mann auf und zündete Licht an. Dann bekleidete er, ohne mit der Frau, der ihre Unschuld zu Hilfe kam, weiter über die Sache zu reden, die Leiche mit des Verstorbenen eigenen Kleidern, nahm sie alsbald auf die Schultern und trug sie bis an die Tür des Hauses, das Girolamo bewohnt hatte, wo er sie niederlegte.

Als darauf der Tag anbrach und der Tote vor der Pforte seines eigenen Hauses gefunden wurde, erhoben alle, besonders aber die Mutter, ein großes Wehklagen. Man untersuchte und besichtigte den ganzen Körper. Da sich aber keine Wunde und keine Quetschung fand, erklärten die Ärzte sämtlich, er müsse, wie es wirklich war, vor Gram gestorben sein. Nachdem man [368] die Leiche von dort hinweggenommen und in eine Kirche gebracht hatte, kam die betrübte Mutter mit vielen andern verwandten und benachbarten Frauen, und sie beweinten und beklagten nach der Sitte unserer Stadt den Verstorbenen gemeinsam mit unzähligen Tränen.

Während nun diese Wehklagen mit voller Heftigkeit anhielten, sagte der gute Mann, in dessen Hause sich der Todesfall zugetragen hatte, zu Salvestra: »Du könntest doch einmal einen Mantel umnehmen und in die Kirche gehen, wo sie den Girolamo hingebracht haben. Stelle du dich unter die Frauen und merke auf, was über den Vorfall geredet wird. Ich werde dasselbe unter den Männern tun, damit wir erfahren, ob die Leute über uns etwas sagen.« Der jungen Frau, bei der das Mitleid etwas spät gekommen war, gefiel der Vorschlag, da sie den Jüngling, den sie zu seinen Lebzeiten nicht mit einem einzigen Kusse hatte erfreuen wollen, nun, da er tot war, zu sehen wünschte, und so ging sie hin.

Wunderbar ist es, wenn man bedenkt, wie schwer die Gewalt der Liebe zu erforschen ist. Dasselbe Herz, das sich dem Glück des Girolamo nicht hatte auftun wollen, ward nun von dessen Unglück erweicht. Alle die alten Flammen erwachten plötzlich aufs neue und verwandelten sich beim Anblick des toten Angesichts in solches Mitleid, daß Salvestra sich ganz mit dem Mantel verhüllte und zwischen den umstehenden Frauen sich so lange vordrängte, bis sie zur Leiche gelangt war. Hier fiel sie mit einem lauten Schrei auf das Gesicht des toten Jünglings nieder, badete es aber nicht mit Tränen; denn sie hatte es kaum berührt, als der Schmerz ihr das Leben nahm, wie er dem Girolamo früher das seine genommen hatte. Die Frauen sprachen ihr, ohne sie erkannt zu haben, Trost zu und forderten sie auf, sich ein wenig zu erheben; sie aber richtete sich nicht auf. Da wollten jene sie mit Gewalt emporheben, und erst als sie sie unbeweglich fanden, erkannten sie zugleich, daß sie Salvestra und tot war.

Von doppeltem Mitleid über diesen neuen Unfall ergriffen, erhoben alle anwesenden Frauen nun ein noch viel größeres Wehklagen als zuvor. Dadurch verbreitete sich die Nachricht bis vor die Kirche, wo die Männer standen, und als sie zu den [369] Ohren von Salvestras Gatten gelangte, der sich unter jenen befand, weinte er lange, ohne von jemand Trost oder Zuspruch annehmen zu wollen. Dann aber erzählte et vielen Anwesenden den Vorfall, der sich in der vergangenen Nacht zwischen dem jungen Manne und seiner Frau zugetragen hatte, wodurch allen die Todesursache des ersteren offenbar und ihr Leidwesen noch um vieles vermehrt ward. Der Körper der jungen Frau wurde geschmückt, wie man die Toten zu schmücken pflegt, alsdann auf dasselbe Bett neben den Jüngling gelegt und endlich beide, nachdem sie lange in jener Kirche beweint worden waren, im selben Grabe beigesetzt. Die also die Liebe im Leben nicht hatte vereinigen können, verband nun der Tod mit unzertrennlichen Banden.

Neunte Geschichte

Herr Guillem von Roussillon gibt seiner Frau das Herz des Herrn Guillem von Cabestaing zu essen, den sie geliebt und den er getötet bat. Als sie es erfährt, stürzt sie sich aus einem hohen Fenster herab und wird mit ihrem Geliebten begraben.


Als die Geschichte der Neifile, nicht ohne lebhaftes Mitleid in den Freundinnen der Erzählerin geweckt zu haben, beendet war, hub der König, weil er des Dioneo Vorrecht nicht zu schmälern gedachte und sonst kein anderer mehr zu erzählen hatte, also zu reden an:

Ihr mitleidigen Damen, ich erinnere mich einer Geschichte, die euch, wenn ihr für die Unfälle der Liebenden so viel Teilnahme empfindet, nicht weniger rühren muß als die vorige; denn diejenigen, welchen geschah, was ich euch berichten werde, standen höher und erfuhren noch Schrecklicheres, als dies in Neifiles Geschichte der Fall war.

So wißt denn, daß nach den Berichten der Provenzalen vor Zeiten in der Provence zwei edle Ritter lebten, deren jeder über Schlösser und Lehnsmannen zu gebieten hatte und von denen der eine Herr Guillem Roussillon, der andere aber Herr [370] Guillem Cabestaing hieß. Weil nun der eine wie der andere mit besonderer Tapferkeit die Waffen führte, waren sie einander sehr gewogen und pflegten zu jedem Turnier, Lanzenrennen oder sonstigen Waffenspiele miteinander und in gleicher Rüstung zu reiten. Obgleich jeder von den beiden ein eigenes Schloß bewohnte und diese wohl drei Stunden auseinander lagen, geschah es dennoch, daß Herr Guillem Cabestaing ohne Rücksicht auf seine Freundschaft und Waffenbrüderschaft mit Herrn Guillem Roussillon sich in dessen schöne und liebenswürdige Gattin über die Maßen verliebte. Auch wußte er diese Liebe in seinem Betragen auf mancherlei Weise der Dame kundzutun, so daß sie seine Gefühle erriet. Und da sie wußte, welch ein wackerer Ritter er war, fand sie an ihm Gefallen, ja sie faßte endlich eine solche Liebe zu ihm, daß sie ihn über alles begehrte und liebte und nur darauf wartete, daß er sie um ihre Gunst anspräche. Dies geschah bald genug, und so hatten sie in großer gegenseitiger Liebe öftere Zusammenkünfte. Weil sie aber nicht mit genügender Vorsicht handelten, wurde der Mann ihr Einverständnis gewahr, und er geriet darüber in einen solchen Zorn, daß seine frühere Liebe zu Cabestaing sich in tödlichen Haß verkehrte. Er wußte denselben besser zu verstecken, als das liebende Paar seine Neigung, und beschloß, jenen umzubringen.

Während sich nun Roussillon noch mit diesem Vorsatz trug, wurde in Frankreich ein großes Turnier angesagt. Roussillon gab dem Cabestaing sogleich Nachricht davon und ließ ihm sagen, wenn es ihm genehm sei, möge er zu ihm kommen, damit sie sich gemeinschaftlich entschließen könnten, ob und wie sie jenes Turnier besuchen wollten. Cabestaing erwiderte voller Freude, er werde auf jeden Fall am folgenden Tage zum Abendessen kommen. Roussillon aber dachte bei dieser Antwort, nun sei die Zeit gekommen, wo er ihn umbringen könne. Er bewaffnete sich daher am andern Tag und ritt mit einigen seiner Diener eine Viertelstunde weit von der Burg weg, wo er sich an einer Stelle, an der Cabestaing vorüberkommen mußte, im Gebüsch verbarg. Schon hatte er eine lange Weile gewartet, als er den Cabestaing, der sich nichts Arges von ihm versah, unbewaffnet mit zwei ebenfalls unbewaffneten Dienern [371] des Weges kommen sah. Kaum war dieser nun an der Stelle, wo jener ihn haben wollte, als er tückisch und voll Ingrimm unter dem Ruf: »Du bist des Todes!« mit vorgestreckter Lanze über ihn herfiel und im selben Augenblick seine Brust durchbohrte. So fiel Cabestaing, ohne das mindeste zu seiner Verteidigung tun zu können, und starb nach wenigen Augenblicken, ohne daß er imstande gewesen wäre, nur noch ein Wort zu reden.

Seine Diener hatten indessen, bevor sie noch erkannt, von wem dieser Überfall ausgegangen war, eiligst die Häupter ihrer Rosse herumgewandt und waren nach der Burg ihres Herrn geflohen, so schnell sie vermochten. Roussillon aber stieg vom Pferde, öffnete dem Cabestaing mit einem Messer die Brust und nahm mit eigenen Händen das Herz heraus. In ein Lanzenfähnchen eingehüllt, ließ er es sich von einem der Diener nachtragen und ritt alsdann, nachdem er ihnen allen eingeschärft hatte, daß keiner sich unterstehen solle, von dem Geschehenen ein Wort zu sagen, da es schon Nacht geworden war, in seine Burg zurück.

Die Dame hatte vernommen, daß Cabestaing zum Abendessen kommen wollte, und erwartete ihn mit der größten Sehnsucht. Als er aber ausblieb, verwunderte sie sich gar sehr und sagte zu ihrem Gemahl: »Herr, was ist das nur, daß Cabestaing noch immer nicht gekommen ist?« Der Mann aber erwiderte: »Frau, er hat mich wissen lassen, daß er vor morgen nicht hier sein kann«, worüber die Dame mißgestimmt blieb.

Inzwischen aber hatte sich Roussillon, als er kaum vom Pferd gestiegen war, den Koch rufen lassen und zu ihm gesagt: »Nimm dieses Eberherz und mache daraus das beste und wohlschmeckendste Gericht, das du weißt, und schicke es mir dann in einer silbernen Schale zur Tafel.« Der Koch nahm das Herz, zerhackte es, tat viele gute Gewürze dazu und bereitete so nach aller seiner Kunst und Geschicklichkeit eine äußerst schmackhafte Schüssel.

Herr Guillem setzte sich, sobald es Zeit war, mit seiner Gemahlin zu Tisch. Die Speisen wurden aufgetragen, das Verbrechen aber, das zu begehen er im Begriff stand, lag ihm so sehr in Gedanken, daß er nur wenig aß. Endlich schickte der [372] Koch das Herz. Herr Guillem ließ die Speise vor die Dame setzen, weil er, wie er vorgab, diesen Abend keinen Appetit hätte, und empfahl sie ihr als besonders vorzüglich. Die Dame, der es nicht an Hunger fehlte, versuchte das Gericht, und da sie es wohlschmeckend fand, verzehrte sie es ganz und gar.

Als der Gemahl sah, daß die Dame die Schüssel leergegessen hatte, sagte er: »Frau, was meint Ihr von der Speise?« Sie entgegnete: »Beim Himmel, Herr, sie hat mir gut geschmeckt.« »Das glaube ich Euch«, erwiderte der Ritter, »so wahr mir Gott helfe, und ich finde es ganz natürlich, daß Euch das, was Euch lebendig vor allem andern behagte, auch nun, da es tot ist, behagt.« Bei diesen Worten stutzte die Dame einen Augenblick, dann aber sagte sie: »Und was war es denn, das Ihr mir zu essen gabt?« »Was Ihr gegessen habt«, entgegnete der Ritter, »war wahrlich das Herz des Herrn Guillem Cabestaing, das Ihr als ein pflichtvergessenes Weib geliebt habt. Zweifelt nicht, es war es wirklich; denn ich habe es ihm selber, kurz bevor ich zurückkam, mit diesen meinen Händen aus dem Leib gerissen.«

Wie sehr es die Dame schmerzte, über den, welchen sie vor allen liebte, solche Botschaft zu erhalten, brauche ich euch nicht erst zu berichten. Nach einer Weile aber sagte sie: »Ihr tatet wie ein ehrloser und niederträchtiger Ritter; denn wenn ich, ohne von Cabestaing gezwungen zu sein, ihn zum Gebieter meines Herzens erwählt hatte und dadurch Eurer Ehre zu nahe getreten war, so durfte mich, nicht aber ihn dafür die Strafe treffen. Das aber soll, so Gott will, nie geschehen, daß ich eine andere Speise nach einer so edlen genieße, als das Herz des Herrn Guillem Cabestaing war, den an Tapferkeit und adliger Sitte kein anderer Ritter übertraf.« Mit diesen Worten stand sie auf und stürzte sich, ohne einen Augenblick zu zögern, rücklings aus einem hinter ihr befindlichen Fenster. Da dies Fenster hoch über dem Boden war, blieb die Dame von dem Sturz nicht allein auf der Stelle tot, sondern ihr Körper war auch fast ganz zerschmettert.

Über diesen Anblick erschrak Herr Guillem sehr und glaubte nun selber, übel getan zu haben. Aus Furcht vor der Rache des Volkes und des Grafen von Provence ließ er die Pferde satteln [373] und floh. Am andern Morgen war der Hergang der Sache schon in der ganzen Gegend bekannt. Die Leute vom Schlosse des Herrn Guillem Cabestaing wie von dem der Dame hoben unter Tränen und Wehklagen die beiden Leichen auf und setzten sie in der zum Besitz der Dame gehörigen Burgkapelle in einer gemeinsamen Gruft bei. Darüber wurden in Versen die Namen der dort Begrabenen und Art und Ursache ihres Todes geschrieben.

Zehnte Geschichte

Die Frau eines Arztes legt ihren Geliebten, der einen Schlaftrunk genommen hat, den sie aber für tot hält, in einen Kasten, den zwei Wucherer mit dem Scheintoten in ihr Haus tragen. Letzterer erholt sich und wird als Dieb gefangen. Die Magd der Frau redet dem Richter vor, sie habe jenen in den Kasten gelegt, den die Wucherer gestohlen. So wird er vom Galgen gerettet, die Wucherer aber werden wegen des Kastendiebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt.


Als der König seine Geschichte beendet hatte, oblag es nur noch dem Dioneo, seine Pflicht zu erfüllen. So begann er denn im Bewußtsein derselben und auf Geheiß des Königs folgendermaßen:

Die traurigen Ereignisse unglücklicher Lieben, die uns bisher erzählt wurden, haben, von euch, ihr Damen, zu schweigen, selbst mir Herz und Augen so sehr gerührt, daß ich ihr Ende sehnlichst herbeigewünscht habe. Gottlob, daß sie nun hinter uns liegen, wenn ich nicht etwa, wovor Gott mich aber bewahren soll, dieser kläglichen Ware noch eine betrübte Zugabe beifügen wollte. Ohne mich also länger bei traurigen Gegenständen aufzuhalten, will ich von anmutigeren und heiteren zu reden beginnen, um dadurch für die Erzählungen des nächsten Tages vielleicht einen besseren Stoff anzudeuten.

Ihr müßt nämlich wissen, reizende Mädchen, daß vor nicht gar langer Zeit in Salerno ein vortrefflicher Wundarzt, namens Mazzeo della Montagna, lebte. Er hatte noch in seinem späten [374] Alter ein schönes junges Weibchen zur Frau genommen, das er zwar mit vornehmen und prächtigen Kleidungsstücken, mit Edelsteinen und allem anderen Schmuck, der ein Weib erfreuen kann, besser versah, als irgendeine andere in der Stadt dergleichen aufweisen konnte, dafür aber zuließ, daß sie sich des Nachts die meiste Zeit erkältete, weil er zu wenig dafür tat, sie im Bett gehörig zugedeckt zu halten. Und so wie Herr Ricciardo von Chinzica seiner Frau die Festtage beibrachte, so versicherte dieser der seinigen, wenn man bei einer Frau geschlafen habe, brauche man Gott weiß wie viele Tage, um sich wieder zu erholen, und erzählte ihr noch mehr solcher Albernheiten, an denen das arme Weib sich nicht sonderlich erbaute. Weil aber die Frau verschlagen und entschlossen war, faßte sie den Vorsatz, sich auf der Straße umzutun und womöglich von anderer Leute Tellern zu essen, um den Hausvorrat zu sparen.

Eine Weile sah sie sich eine Anzahl junger Leute nacheinander an. Endlich aber fand sie einen, der ganz nach ihrem Geschmack war, und setzte auf ihn allein all ihre Hoffnung, ihre Gedanken und ihr Glück. Als der junge Mann dies gewahr wurde, wandte auch er ihr, da sie ihm besonders wohlgefiel, seine ganze Liebe zu. Sein Name war Ruggieri von Jeroli, und obwohl er von edler Abkunft war, führte er doch ein so schlechtes Leben und befand sich in so traurigen Umständen, daß er weder Freund noch Verwandten behalten hatte, der ihm wohlgewollt oder ihn auch nur vor sich gelassen hätte; denn er war in ganz Salerno wegen seiner Diebereien und ähnlicher Schändlichkeiten der niedrigsten Art berüchtigt. Doch da er ihr sonst wohlgefiel, kümmerte sich die Dame nur wenig um dies alles und wußte es durch Vermittlung einer ihrer Mägde so weit zu bringen, daß sie eine Zusammenkunft hatten. Nachdem sie sich eine Zeitlang miteinander ergötzt hatten, begann die Dame sein bisheriges Leben zu tadeln und bat ihn, ihr zuliebe für die Zukunft dergleichen Dinge zu lassen. Um dies aber möglich zu machen, unterstützte sie ihn bald mit einer größeren, bald mit einer kleineren Geldsumme.

Während das liebende Paar auf solche Weise vorsichtig seine Freuden fortsetzte, traf es sich, daß unser Wundarzt einen [375] Kranken bekam, der an dem einen Bein einen beträchtlichen Schaden hatte. Als der Arzt das Übel untersucht hatte, sagte er zu den Angehörigen des Kranken, wenn man diesem nicht einen angefressenen Knochen herausnehme, müsse er notwendig entweder das ganze Bein verlieren oder sterben, während er infolge jener Operation genesen könnte. In jedem Falle aber, erklärte er, könne er ihn nur als einen vollkommen Aufgegebenen in die Kur nehmen. Auch damit waren die Verwandten zufrieden und übergaben ihm den Kranken unter der erwähnten Bedingung. Der Arzt überzeugte sich indes, daß dieser Patient ohne einen Schlaftrunk die Schmerzen nicht ertrüge und die Operation nicht geschehen ließe. Zu dem Ende ließ er am Morgen – da er gegen Abend das Geschäft vorzunehmen gedachte – über gewissen Ingredienzien ein Wasser abziehen, das die Kraft besaß, den Leidenden, wenn er es getrunken hatte, so lange schlafend zu erhalten, wie der Wundarzt über dem Schnitte zuzubringen glaubte. Als das Wasser bereitet war, ließ er es sich ins Haus bringen und stellte es ins Zimmer, ohne jemand zu sagen, was es wäre und wozu es diente.

Wie es aber Abend wurde und unser Wundarzt eben zu seinem Patienten gehen wollte, erhielt er einen Boten aus Amalfi von einigen seiner liebsten Freunde, daß er sich ja durch nichts auf der Welt abhalten lassen möge, sogleich hinüberzukommen, da bei einer eben vorgefallenen Schlägerei viele verwundet worden seien. In der Tat verschob der Wundarzt die Operation auf den nächsten Morgen und fuhr sogleich mit einem Boote nach Amalfi.

Da nun die Frau wußte, daß ihr Mann diese Nacht nicht mehr nach Hause käme, ließ sie nach alter Gewohnheit heimlich den Ruggieri rufen und schloß ihn so lange in ihre Stube ein, bis gewisse Leute, die zum Hauswesen gehörten, zu Bett gegangen wären. Während Ruggieri die Frau noch in ihrem Zimmer erwartete, überfiel ihn entweder infolge der Anstrengungen des Tages oder weil er Gesalzenes gegessen hatte, oder vielleicht auch weil er das Trinken gewohnt war, ein unmäßiger Durst. Da ihm nun auf dem Fensterbrett die Flasche mit dem Wasser in die Augen fiel, die der Arzt für den [376] Kranken bereitet hatte, setzte er sie in der Meinung, es sei Trinkwasser, an den Mund und trank sie völlig leer. Natürlich dauerte es gar nicht lange, so überfiel ihn eine unendliche Müdigkeit, und er schlief ein.

Die Frau des Arztes kam, sobald es ihr möglich war, in dasselbe Zimmer und rührte den Ruggieri, als sie ihn schlafend fand, zuerst nur leise an und sagte ihm halblaut, daß er aufstehen möge. Da dies aber gar nichts fruchtete und er weder antwortete noch sich bewegte, rüttelte die Dame ihn ziemlich unwillig mit aller Kraft und sagte: »Nun, du Siebenschläfer, wach auf! Wenn du schlafen wolltest, hättest du nach Hause gehen und nicht zu mir kommen sollen.« Durch das Rütteln fiel Ruggieri von dem Kasten, auf dem er gesessen hatte, zu Boden und gab dabei nicht mehr Lebenszeichen von sich, als es ein Toter getan hätte. Darüber erschrak die Dame ein wenig und schüttelte ihn, als sie ihn wieder aufgerichtet hatte, noch heftiger als zuvor, kniff ihn in die Nase und zupfte ihn am Bart; aber alles war umsonst, denn er hatte den Gaul an einen guten Pflock gebunden. Die Dame fing nachgerade zu fürchten an, er möge tot sein. Doch ließ sie sich dadurch nicht abhalten, ihn nach Kräften zu zwicken und mit einem Lichte zu brennen. Als er sich aber immer noch nicht regte, glaubte die gute Frau, die trotz der ärztlichen Kenntnisse ihres Gatten keine Heilkundige war, nicht mehr zweifeln zu dürfen, daß Ruggieri tot sei. Wie sehr sie sich darüber betrübte, brauche ich nicht erst zu sagen, da sie ihn über alles liebhatte. So begann sie denn, da sie kein Geräusch zu machen sich getraute, ihn in aller Stille zu beweinen und sich über ein so herbes Schicksal zu beklagen.

Nach einiger Zeit aber bedachte sie, daß sie ihrem Unglück nicht noch Schande hinzufügen dürfe, und fühlte wohl, daß sie zu diesem Ende ohne Aufschub ein Mittel finden müsse, um den Toten aus dem Hause zu schaffen. Da sie selbst aber keinerlei Rat wußte, rief sie insgeheim ihre Magd, zeigte ihr das Mißgeschick, das sie betroffen, und sprach sie um ihren Beistand an. Die Magd erschrak nicht weniger und sagte, nachdem sie ihn genau so vergeblich wie ihre Gebieterin gezupft und gezwickt hatte, daß er ohne allen Zweifel tot sei. Auch [377] hielt sie, wie jene, dafür, man müsse ihn aus dem Hause bringen. Die Dame entgegnete: »Wo sollen wir ihn aber hinschaffen, damit nicht bei denen, die ihn morgen früh finden werden, der Verdacht entsteht, er sei aus unserem Hause herausgetragen worden?« Das Mädchen erwiderte: »Madonna, ich sah erst heute abend spät gegenüber der Werkstätte unseres Nachbarn, des Tischlers, einen Kasten von mäßiger Größe stehen, der uns, wenn der Meister ihn nicht wieder ins Haus hineingenommen hat, zu unserem Vorhaben trefflich zustatten kommen wird. Da können wir ihn hineintun, ihm zwei oder drei Messerstiche versetzen und ihn dann ruhig liegenlassen. Wer ihn alsdann dort finden wird, kann unmöglich Grund zu der Annahme haben, daß er von hier aus und nicht von anderswoher dahin gebracht worden sei. Jeder wird vielmehr voraussetzen, daß einer seiner Feinde ihn, als einen übermütigen Menschen, auf bösen Wegen angetroffen, ermordet und dann in jenen Kasten getan habe.«

Die Dame billigte den Rat der Magd bis auf die Messerstiche, die diese ihm versetzen wollte; denn das zu tun, sagte sie, brächte sie um nichts in der Welt übers Herz. So ließ sie denn die Magd nachsehen, ob der Kasten noch dastehe, worauf diese eine bejahende Antwort zurückbrachte. Dann nahm die Magd, die jugendkräftig war, den Ruggieri auf die Schultern, wobei ihr die Dame behilflich war und nun vorausging, um aufzupassen, ob jemand käme. So brachten sie den vermeintlichen Toten zu dem Kasten, taten ihn hinein und ließen ihn, nachdem sie jenen wieder verschlossen, ruhig darin zurück.

Nicht weit von eben diesem Hause waren seit einigen Tagen ein paar junge Männer eingezogen, die Geld auf Wucherzinsen liehen. Im Verlangen, viel zu gewinnen und wenig auszugeben, hatten sie, als sie tags zuvor jenen Kasten gesehen, miteinander verabredet, ihrem Bedürfnis nach Hausgeräten abzuhelfen und ihn, wenn er die Nacht über dort stehenbliebe, in ihr Haus zu tragen. Als die Mitternacht gekommen war, schlichen sie sich aus ihrem Hause und nahmen den Kasten, den sie noch an seinem Platze fanden, obgleich er ihnen ein wenig schwer vorkam, dennoch, ohne sich auf eine weitere Untersuchung einzulassen, eilig mit sich zurück und stellten ihn neben der [378] Kammer auf, wo ihre Frauen schliefen. Dabei nahmen sie sich nicht einmal die Zeit, ihn gehörig zurechtzurücken und zu befestigen, sondern ließen ihn stehen, wie er eben stand, und gingen schlafen.

Als Ruggieri nun schon gar lange geschlafen, das Getränk verdaut und dessen Kraft besiegt hatte, erwachte er kurz vor dem Frühgeläute. Obgleich ihn der Schlaf verlassen und die Sinne ihre Tätigkeit wiedergewonnen hatten, blieb ihm doch eine Betäubung im Gehirn zurück, die ihn nicht allein in dieser Nacht, sondern auch noch während der folgenden Tage verwirrte. Wie er also jetzt die Augen auftat und nichts sah und beim Umhertappen mit den Händen sich in den Kasten eingeschlossen fand, besann er sich hin und wieder und sagte bei sich selber: »Was will das nur bedeuten? Wo bin ich? Schlaf ich oder wach ich? Ich erinnere mich doch noch, daß ich heute abend in das Zimmer meiner Geliebten kam, und jetzt ist mir, als wär' ich in einem Kasten. Wie in aller Welt hängt das zusammen? Sollte der Arzt zurückgekommen sein oder sonst etwas sich zugetragen haben, um dessentwillen die Frau mich, während ich schlief, hier eingesperrt hätte? So denk ich es mir, und so ist es ganz gewiß.« Infolge dieser Vermutung hielt er sich ganz ruhig und horchte nur, ob er etwas vernähme.

Als er aber eine geraume Zeit in einer wegen der Kleinheit des Kastens ziemlich unbequemen Stellung zugebracht hatte, und als die Seite, auf der er lag, ihn sehr zu schmerzen anfing, wollte er sich auf die andere umwenden und stellte sich dabei so ungeschickt an, daß er durch einen Stoß mit der Hüfte gegen die eine Seite des Kastens, der auf etwas ungleichen Boden gestellt war, diesen erst ins Schwanken brachte und nachher völlig umwarf. Dieser Fall machte einen solchen Lärm, daß die Frauenzimmer, die ganz in der Nähe schliefen, davon aufwachten, zugleich aber auch aus lauter Furcht ganz stillblieben. Ruggieri war über das Umstürzen des Kastens gewaltig erschrocken. Da er aber gewahr wurde, daß dieser von dem Fall aufgesprungen war, zog er es vor, sich lieber draußen als dort drinnen antreffen zu lassen. Weil er indes nicht recht wußte, wo er war, und ihm alles durcheinanderging, fing er [379] an, im Hause umherzutappen, um zu sehen, ob er keine Treppe oder Tür zum Entwischen fände. Die Frauenzimmer, die noch wach waren, hörten dieses Tappen und riefen: »Wer da?« Ruggieri gab aber, da er die Stimmen nicht erkannte, keine Antwort. Nun riefen die Frauen den beiden jungen Männern, doch diese schliefen, weil sie lange aufgeblieben waren, gar fest und vernahmen von all dem Lärm nichts. Dadurch wurden die Frauenzimmer noch furchtsamer, sprangen auf, liefen ans Fenster und schrien: »Diebe, Diebe!« Auf das Geschrei hin kamen die Nachbarn auf verschiedenen Wegen, der eine über das Dach, der andere hier, der dritte dort herum in das Haus gelaufen, und auch die jungen Männer wachten von dem Lärm auf. Da nahmen sie denn den Ruggieri gefangen, der vor Verwunderung, sich in jenem Hause zu befinden, fast die Besinnung verloren hatte und keinen Ausweg sah, auf dem er hätte entfliehen können oder sollen, und übergaben ihn den Lanzenknechten des Statthalters von Salerno, die über dem Auflauf bereits herbeigeeilt waren. Diese führten ihn vor ihren Gebieter, welcher den Ruggieri, weil er allgemein für einen ruchlosen Menschen galt, sogleich auf die Folter spannen ließ. Ruggieri gestand auch, er habe sich in das Haus der Wucherer geschlichen, um dort zu stehlen, und der Statthalter war gesonnen, ihn ohne viel Federlesens aufknüpfen zu lassen.

Inzwischen verbreitete sich noch während des Vormittags die Nachricht, daß Ruggieri im Hause der Wucherer beim Stehlen betroffen worden sei, durch ganz Salerno und drang auch zu den Ohren der Dame und ihrer Magd. Diese aber waren darüber so erstaunt und betroffen, daß sie schier der Meinung waren, was sie in der vorigen Nacht getan, hätten sie nicht wirklich getan, sondern nur zu tun geträumt. Zugleich aber betrübte sich die Dame so über die Gefahr, in der Ruggieri schwebte, daß sie fast den Verstand darüber verloren hätte.

Indes waren noch nicht viel mehr als anderthalb Stunden seit Sonnenaufgang verstrichen, als der Arzt von Amalfi zurückkehrte und, da er nun die Operation an dem Kranken vorzunehmen gedachte, nach dem bereitgestellten Wasser verlangte. Als er aber das Fläschchen leer fand, schimpfte er gewaltig, daß er nichts im Hause in seiner rechten Ordnung erhalten[380] könne. Die Frau, der anderer Gram durch den Kopf ging, antwortete verdrießlich: »Meister, was sagtet Ihr erst über eine Sache von Bedeutung, wenn Ihr über ein Fläschchen Wasser schon solchen Lärm vollführt, als ob in der ganzen Welt kein Wasser mehr zu haben wäre.« Darauf erwiderte der Arzt: »Frau, du bildest dir ein, das sei reines Wasser gewesen. So verhält es sich aber keineswegs; vielmehr war es ein Wasser, das bereitet war, um jemand einzuschläfern.« Und damit erzählte er ihr, wozu es ihm habe dienen sollen. Als die Frau diesen Aufschluß erhielt, erriet sie wohl, daß Ruggieri dieses Wasser getrunken habe und deshalb von ihnen für tot gehalten worden sei. Darum sagte sie zu ihrem Gatten: »Meister, das haben wir nicht gewußt, und so bereitet es Euch noch einmal.« In der Tat ließ der Wundarzt, da er sah, daß es keine andere Möglichkeit gab, den Schlaftrunk aufs neue bereiten.

Bald darauf aber kehrte die Magd heim, die auf Befehl der Dame ausgegangen war, um zu hören, was über Ruggieri gesagt werde, und erzählte ihr: »Madonna, von Ruggieri hört man überall nichts Gutes. Soviel ich erfahren habe, hat sich weder ein Freund noch ein Verwandter für ihn verwendet, noch ist Hoffnung, daß es in Zukunft geschehen werde. So glaubt man denn mit Gewißheit, der Blutrichter werde ihn morgen hängen lassen. Außerdem will ich Euch aber eine Neuigkeit erzählen, aus der ich zu erraten glaube, wie er in das Haus der Wucherer gekommen ist. Damit verhält es sich nämlich so: Ihr kennt ja den Tischler, vor dessen Haus der Kasten stand, in den wir den Ruggieri taten. Diesen nun traf ich eben im heftigsten Wortwechsel mit einem andern, dem der Kasten vermutlich gehören muß. Der verlangte das Geld für den Kasten, der Meister aber antwortete, er habe ihn nicht verkauft, sondern er sei ihm in der vorigen Nacht gestohlen worden. Darauf entgegnete jener wieder: ›Das lügst du, denn du hast ihn an die zwei Wucherer verkauft, wie sie mir selbst heute früh erzählt haben, als ich ihn bei Ruggieris Festnahme in ihrem Hause sah.‹ Der Tischler erwiderte: ›Da lügen sie, und ich habe ihn nicht an sie verkauft, wohl aber mögen sie ihn diese Nacht bei mir gestohlen haben. Darum wollen wir [381] gleich zu ihnen hingehen.‹ Und so gingen sie friedlich miteinander in das Haus der Wucherer, ich aber eilte heimwärts. So scheint mir denn klar, wie auch Ihr schon durchschaut haben werdet, auf welche Weise Ruggieri in jenes Haus gebracht worden ist, in dem er gefangen wurde. Wie er aber dort auferstanden ist, das begreife ich noch nicht.«

Die Dame erkannte indes den ganzen Zusammenhang nun völlig und erzählte auch der Magd, was sie von ihrem Gatten vernommen hatte. Dann aber bat sie dieselbe inständig, bei Ruggieris Rettung mitzuwirken, da sie, wenn sie wolle, zur gleichen Zeit Ruggieris Leben und die Ehre ihrer Gebieterin erhalten könne. Die Magd erwiderte: »Madonna, sagt mir nur wie, und ich will gern alles tun.«

Die Dame, der das Messer an der Kehle saß, hatte in aller Eile einen Plan gefaßt, um alles wieder ins rechte Lot zu bringen, und teilte diesen der Magd ausführlich mit. Diesem Plan zufolge ging die letztere weinend zu dem Arzt und sagte: »Ach, Herr, ich habe Euch wegen eines argen Vergehens, das ich wider Euch begangen, um Verzeihung zu bitten.« »Und was wäre das?« entgegnete der Meister. »Herr«, sagte die Magd, ohne darum im Weinen innezuhalten, »Ihr wißt ja, was für ein Mensch der Ruggieri von Jeroli ist. Nun, der hat ein Auge auf mich geworfen, und da habe ich heuer, halb aus Furcht und halb aus Liebe, seine Liebste werden müssen. Und als er gestern abend erfahren hatte, daß Ihr auswärts wäret, hat er mir so viel vorgeredet, daß ich ihn zuletzt mit in Euer Haus und in meine Kammer nahm, um ihn über Nacht bei mir zu behalten. Wie er nun solchen Durst bekam und ich in der Eile nicht wußte, wo ich sonst Wein oder Wasser hernehmen sollte – denn Eure Frau war im Saal, und vor ihr wollte ich mich nicht sehen lassen –, fiel mir ein, daß ich in Eurem Zimmer ein Fläschchen mit Wasser hatte stehen sehen. Geschwind holte ich's ihm, er trank es aus, und ich setzte es wieder hin, wo ich's hergenommen hatte. Nun habt Ihr darüber so schrecklich gescholten, und gewiß, ich habe unrecht getan. Wer vergeht sich aber nicht zuweilen? Ich hab es auch schon bitterlich bereut, und zwar nicht allein um dessentwillen, sondern infolge der ganzen Geschichte soll Ruggieri nun auch [382] noch sein Leben verlieren. Darum bitte ich Euch denn, so sehr ich nur kann, vergebt mir und erlaubt mir, hinzugehen und dem Ruggieri zu helfen, so gut ich's vermag.« Als der Arzt diese Erzählung vernommen hatte, antwortete er, seines Ärgers ungeachtet, mit einem Spaße: »Nun, du hast dir die Buße selbst auferlegt; denn während du dir einen Bettgenossen versprachst, der dir die Glieder wacker durchschütteln sollte, hattest du einen Siebenschläfer. So gehe denn für jetzt nur und rette deinen Liebsten vom Galgen. In Zukunft aber laß ihn mir aus dem Hause, denn träf ich ihn wieder an, so solltest du mir für diesmal noch mit bezahlen.«

Die Magd meinte, der erste Wurf sei ihr nicht übel gelungen, und begab sich in aller Eile zu dem Gefängnis, in dem Ruggieri saß. Dort wußte sie dem Schließer so viel vorzureden, daß er sie mit dem Gefangenen sprechen ließ. Sobald sie ihn zur Genüge über alles belehrt hatte, was er, um loszukommen, dem Richter sagen solle, ging sie selbst zum letzteren und wurde wirklich vorgelassen. Da das Mädchen ein frisches und derbes Ding war, befand der Richter für gut, die mitleidige Fürbitterin genauer zu sondieren, ehe er ihr weiteres Gehör schenkte, was sie sich denn auch, zu besserer Förderung ihres Anliegens, gern gefallen ließ. Als sie mit dieser Untersuchung fertig geworden waren, sagte sie: »Herr, Ihr habt den Ruggieri von Jeroli als einen Spitzbuben gefangen, tut ihm aber unrecht.« Und damit erzählte sie ihm die alte Geschichte wieder von Anfang bis zu Ende, wie sie seine Liebste sei, wie sie ihn über Nacht in des Arztes Haus geführt, wie sie ihm, ohne es zu wissen, den Schlaftrunk gegeben und ihn für tot in den Kasten getan habe. Dann berichtete sie ihm auch die Reden, die sie zwischen dem Tischlermeister und dem Eigentümer des Kastens mit angehört, und machte ihm dadurch begreiflich, auf welche Weise Ruggieri in das Haus der Wucherer gekommen war.

Der Richter sah wohl ein, daß es bei dieser Angelegenheit nicht schwer sei, die Wahrheit zu entdecken, und fragte zu diesem Zwecke zunächst den Arzt, ob es sich mit dem Schlaftrunk wirklich so verhalte. Dann ließ er den Tischler, den Eigentümer des Kastens und die Wucherer kommen und brachte [383] nach vielem vergeblichem Gerede wirklich heraus, daß die letzteren in der vergangenen Nacht den Kasten gestohlen und in ihr Haus gebracht hatten. Endlich schickte er auch nach dem Ruggieri und fragte ihn, wo er die letzte Nacht zugebracht habe. Dieser erwiderte, wo er sie wirklich zugebracht habe, das wisse er nicht. Wohl aber erinnere er sich, zur Magd des Meisters Mazzeo gegangen zu sein, in der Absicht, die Nacht über dort zu bleiben. Auch besinne er sich noch, vor übermäßigem Durst dort Wasser getrunken zu haben. Von dem aber, was nachher aus ihm geworden, wisse er weiter nichts, als daß er bei seinem Erwachen im Hause der Wucherer sich in einem Kasten befunden habe. Der Richter war über das Zusammentreffen dieser Aussagen sehr erfreut und ließ sie sich von der Magd, von Ruggieri, von dem Tischler und den Wucherern mehr als einmal wiederholen. Dann ließ er den Ruggieri, den er nun als vollkommen unschuldig erkannte, frei und verurteilte die Wucherer, die den Kasten gestohlen hatten, zu zehn Unzen Goldes.

Wie sehr Ruggieri sich über diesen Ausgang freute, ist überflüssig zu sagen. Aber auch seiner Dame war er kaum minder erwünscht. Lange Zeit noch lachte und scherzte sie darüber mit ihm und ihrer lieben Magd, die ihm die Messerstiche hatte versetzen wollen, und förderte ihre Liebe und ihre Lust noch jahrelang vom Guten zum Besseren. So, wollt ich denn, geschähe auch mir, ohne jedoch in den Kasten gesperrt zu werden.


Hatten die früheren Geschichten die Herzen der Damen betrübt, so erregte diese letzte des Dioneo und besonders seine Beschreibung, wie der Blutrichter die Magd mit der Sonde untersucht habe, wieder ein solches Lachen bei ihnen, daß dieses wohl als Ersatz für ihre Betrübnis über die vorhergehenden Erzählungen gelten konnte.

Als nun der König sah, daß die Sonne sich golden zu färben begann und das Ende seines Regiments herbeiführte, entschuldigte er sich zunächst mit gar artigen Worten bei den schönen Damen wegen seines Verfahrens, demzufolge über einen so traurigen Gegenstand, wie es die Unglücksfälle der Liebenden sind, hatte geredet werden müssen. Dann aber stand er auf, [384] nahm den Lorbeerkranz vom Kopfe und setzte ihn, während die Damen neugierig erwarteten, wem er ihn übergeben werde, mit folgenden Worten auf das golden leuchtende Haupt der Fiammetta: »Dir übertrage ich diese Krone, denn du wirst besser als irgendeine andere unsere Gefährtinnen durch den morgigen Tag für den bitteren zu entschädigen wissen, den sie heute erleben mußten.«

Fiammettas langes, lockiges, goldenes Haar fiel ihr anmutig auf die weißen Samtschultern, das sanft gerundete Gesicht schimmerte in den lebendigen Farben weißer Lilien und roter Rosen. Die Augen leuchteten darin wie die eines ungezähmten Falken, und das kleine Mündchen prangte mit einem Lippenpaar, das zwei dunklen Rubinen glich. Jetzt aber antwortete sie lächelnd: »Wohl denn, Filostrato, willig nehme ich deine Krone an, und um dich um so vollkommener von der Verkehrtheit deines heutigen Verfahrens zu überzeugen, will und befehle ich alsbald, daß jeder sich auf morgen rüste, um von den Glücksfällen zu erzählen, die nach widrigen und betrübenden Ereignissen Liebende betroffen haben.«

Allen gefiel die Aufgabe. Die Königin aber ließ sich den Seneschall kommen, traf mit ihm einige notwendige Verabredungen und entließ alsdann, indem sie sich gleich den übrigen erhob, die ganze Gesellschaft bis zum Abendessen. Jünglinge und Mädchen gingen nun zum Teil innerhalb des Gartens, dessen Schönheit man nicht so rasch überdrüssig werden konnte, zum Teil auf dem Wege nach den außerhalb gelegenen Mühlen je nach ihrer Neigung, der eine hier, die andere dort, bis zur Stunde des Abendessens verschiedenerlei Vergnügungen nach. Sobald diese aber gekommen war, versammelten sie sich alle wie gewohnt in der Nähe der schönen Quelle und aßen heiter und wohlbedient zu Nacht.

Als die Tafel aufgehoben war, ergötzten sie sich wie an den vorigen Tagen unter Filomenas Vortritt mit Tanz und Gesang. Dann aber sagte die Königin: »Filostrato, ich gedenke von meinen Vorgängern nicht abzuweichen, sondern beabsichtige, so wie sie es getan haben, ein Lied singen zu lassen. Weil ich aber überzeugt bin, daß deine Lieder so ausfallen werden wie deine Erzählungen, so wünsche ich, daß du, um nicht noch [385] andere Tage durch deine Leidensgeschichten zu verstimmen, uns gleich heute ein Lied singst, wie dein Geschmack es dir eingibt.« Filostrato erklärte sich gern bereit und begann ohne Säumen so zu singen:


Warum mein Herz so klage,
Daß es Verrat in Amors Dienst gewann,
Künd ich mit tausend Tränen jedermann.
Als Amor in mein Herz zuerst getragen
Das Bild der Ursach meiner jetz'gen Schmerzen,
Für die ich Trost nicht ahne,
Erschien sie mir im liebevollen Wahne
So voller Huld, daß ich für sie im Herzen
Gern jede Qual getragen.
Doch nun fühl ich nur Plagen,
Und welch ein Trugbild ich mir ersann,
Erkenn ich jetzt mit bittern Schmerzen an.
Daß ich von ihr, in deren schönen Armen
Ich alles Glück mir träumte, ward verlassen,
Ließ meinen Wahn verdunsten,
Denn als ich schon von ihrer Huld und Gunsten
Das letzte Ziel bald hoffte zu erfassen,
Sah ich, wie ohn Erbarmen
Mit mir auf ewig Armen,
In ihrer Brust sich neue Lieb entspann
Und über mich verhängte herben Bann.
Als ich mich so vertrieben nun erkannte,
Beklagte sich mein Herz ob seiner Qualen,
Und noch brennt seine Wunde.
Oft auch verwünsch ich Tag sowohl als Stunde,
Wo ich zuerst ihr Antlitz sah, das Strahlen
Von Schönheit ringsum sandte
Und hold in Glut entbrannte.
Ob Glauben, Lieb und Hoffnung fluchet dann
Die Seele, die zu sterben schon begann.
[386]
Wie leer an Trost die Schmerzen, die ich leide,
Weißt du, o Herr, an meiner Stimme Klange,
Mit der ich oft dich rufe.
So sag ich denn, ich steh auf solcher Stufe,
Daß ich zur Linderung den Tod verlange.
Drum komm, o Tod, zerschneide
Mein Leben voller Leide
Durch deinen Schlag. Wo immer hin ich dann
Auch gehe, glücklich, wenn ich hier entrann.
Nichts kann mir mehr in meinem Leiden frommen
Als nur der Tod, nur er kann Hilfe geben.
Drum send ihn mir, o sende
Ihn, Amor, schnell, als meines Jammers Ende,
Befrei das Herz von so betrübtem Leben.
Er ist mir ja willkommen,
Denn Glück ist mir benommen.
Erfreu sie denn durch meinen Tod, Tyrann,
Wie neue Liebe sie durch dich gewann.
Mein Lied, laß es geschehen, wenn – weil du kläglich –
Dich niemand lernen mag; es kann ja keiner
Dich so wie ich betonen.
Drum sollst du mir nur in dem einen fronen:
Geh hin zu Amor, und sobald allein er,
Sag ihm, wie unerträglich
Mir dieses Leben täglich.
Dann rufe flehentlich um Hilf ihn an,
Der in der Ruhe Port uns führen kann.
Warum mein Herz so klage,
Daß es Verrat in Amors Dienst gewann,
Künd ich mit tausend Tränen jedermann.

Die Worte dieses Liedes schilderten den Gemütszustand des Filostrato und dessen Ursache deutlich genug. Noch deutlicher indes hätten die Gesichtszüge eines der am Tanze teilnehmenden Mädchen die letztere vielleicht zu erkennen gegeben, wenn [387] die Dunkelheit der inzwischen hereingebrochenen Nacht die Glut ihrer Wangen nicht verhüllt hätte.

Nach Beendigung dieses Liedes wurden bis zur Stunde des Schlafengehens noch viele andere gesungen. Dann zog sich auf Befehl der Königin jeder in sein Gemach zurück.

[388]

Fünfter Tag

[Einleitung]
[391]

Schon stand der Osten im weißen Glanze, und schon erhellten die Strahlen der aufgehenden Sonne unsere ganze Halbkugel, als Fiammetta von den süßen Gesängen der Vögel, die des Tages erste Stunde mit frohen Kehlen von Bäumen und Sträuchern verkündeten, erwachte und, während sie selbst sich erhob, die übrigen Mädchen und die drei Männer wecken ließ.

Langsamen Schrittes gingen sie dann auf das niedrig gelegene Feld hinaus und lustwandelten unter mancherlei Gesprächen in der weiten Ebene auf tauigem Grase, bis die Sonne schon ziemlich hoch stand. Als aber die Sonnenstrahlen zu brennen anfingen, wandte die Königin ihre Schritte nach dem Saale zurück, wo die Gesellschaft auf ihr Geheiß sich zuerst mit trefflichem Weine und Backwerk von der geringen Anstrengung erholte, die sie auf sich genommen, und alsdann bis zur Essenszeit in dem anmutigen Garten ihrem Vergnügen nachging.

Inzwischen bereitete der verständige Seneschall die Tafel, und als die Stunde herangekommen war und man noch ein Lautenlied und einige Tanzliedchen gesungen hatte, setzten sich auf der Königin Geheiß alle fröhlich zu Tische, und während der Tafel walteten Anstand und Munterkeit.

Nach Tisch aber gedachte man der herkömmlichen Ordnung und führte mit Instrumenten und Liedern mehrere kleine Tänze auf. Dann beurlaubte die Königin einen jeden bis zum Ende der Schlafenszeit. Auch legten einige sich wirklich schlafen, andere aber verweilten zu ihrer Lust in dem schönen Garten. Nicht lange nach der dritten Nachmittagsstunde versammelten sie sich jedoch alle bei der Quelle, wie die Königin ihnen [391] befohlen hatte. Und kaum hatte diese feierlich den Vorsitz übernommen, als sie auch schon mit einem Blick auf Panfilo diesem den Auftrag gab, die heiteren Geschichten zu beginnen. Panfilo gehorchte willig dem Befehl und sprach also:

Erste Geschichte

Kimon wird durch die Liebe vernünftig und raubt Iphigenie, seine Geliebte, zur See. In Rhodos verhaftet, wird er durch Lysimachos befreit, und beide entführen gemeinschaftlich Iphigenie und Kassandra von ihrem Hochzeitsfest. Sie fliehen nach Kreta und heiraten dort ihre Geliebten, mit denen sie endlich in die Heimat zurückberufen werden.


Mancherlei Geschichten wüßte ich, holdselige Damen, deren Mitteilung einen so fröhlichen Abend, wie der heutige zu werden verspricht, schicklich eröffnete. Eine unter ihnen sagt mir aber am meisten zu, weil ihr nicht allein in ihr den fröhlichen Ausgang wahrnehmen werdet, sondern zugleich auch erkennen könnt, wie heilig, gewaltig und segensreich die Kräfte der Liebe sind, die viele, ohne selbst zu wissen, was sie reden, sehr zu Unrecht tadeln und verdammen. Und da ihr, wenn ich mich nicht täusche, sämtlich verliebt seid, so kann euch diese Einsicht nicht anders als willkommen sein.

Nach dem, was ich vor Zeiten in den alten Geschichten der Zyprier gelesen habe, lebte auf jener Insel ein Mann von edlem Geschlecht, der Aristipp hieß und an Reichtum in irdischen Gütern alle seine Landsleute um vieles übertraf, so daß, wenn das Schicksal ihm nicht in einem Punkte feindlich gewesen wäre, er sich mit besonderem Rechte glücklich hätte erachten können. Er hatte aber unter seinen übrigen Kindern einen Sohn, der an Größe und körperlicher Schönheit zwar die übrigen jungen Männer übertraf, doch zugleich fast albern und blödsinnig zu nennen war. Sein wirklicher Name war Galesus. Weil aber weder die Bemühungen der Lehrer noch Zureden oder Schläge des Vaters, noch endlich der Scharfsinn irgendeines andern imstande gewesen waren, ihm von Kenntnissen [392] oder guten Sitten das mindeste beizubringen, und vielmehr seine Stimme plump und mißtönend, sein Betragen aber mehr einem Vieh als einem Menschen angemessen geblieben war, so nannten ihn alle im Spott nur Kimon, was in der dortigen Sprache soviel wie Rindvieh heißt. Das nichtige Leben des Sohnes ging dem Vater gar sehr zu Herzen, und als er in bezug auf ihn endlich alle Hoffnung aufgegeben hatte, befahl er ihm, um den Anlaß seines Grams nicht immer vor Augen zu haben, auf das väterliche Landgut zu gehen und dort mit den Ackerknechten zu leben. Mit dieser Bestimmung war denn auch Kimon, dem die Sitten und Gebräuche der gemeinen Leute viel mehr zusagten als die feineren, ausnehmend zufrieden.

Während er nun auf dem Lande sich ausschließlich mit den Angelegenheiten der Landwirtschaft beschäftigte, ging er eines Tages bald nach Mittag, seinen Stock auf der Schulter, von einem Gehöft zum andern und durchquerte dabei ein Gehölz, das, weil es eben Mai war, ein dichtes Laubdach bildete und an jener Stelle gerade seine volle Schönheit zeigte. Hier führte ihn sein glücklicher Stern zu einer kleinen, rings von hohen Bäumen umgebenen Wiese, an deren Ende eine anmutige und kühle Quelle entsprang. Neben dieser erblickte er auf dem grünen Rasen ein reizendes junges Mädchen schlafend, dessen feines und durchscheinendes Gewand die alabasternen Glieder nur unmerklich verhüllte, während eine leichte und schneeweiße Decke vom Gürtel niederwärts über sie hingebreitet war. Zu ihren Füßen lagen zwei Mädchen und ein Mann, die in den Diensten der jungen Dame standen, und schliefen gleichfalls.

Beim Anblick dieser Schönen erstaunte Kimon nicht anders, als ob er nie zuvor ein Frauenbild gesehen hätte, und beschaute sie, sprachlos auf seinen Stab gelehnt, aufmerksam und mit unsagbarem Entzücken. Da fühlte er, wie in seiner rohen Brust, der tausendfach wiederholte Weisung nicht den mindesten Eindruck edler Neigungen hatte mitteilen können, plötzlich ein Gefühl erwachte, das seinem plumpen und ungebildeten Geiste dies Mädchen als den schönsten Gegenstand darstellte, den jemals das Auge eines Lebenden gesehen. Dann betrachtete er die einzelnen Teile ihres Körpers und bewunderte die Schönheit[393] ihrer Haare, die ihn golden deuchten, Stirne, Mund und Nase, Hals und Arme, vor allem aber den Busen, dessen Hügel sich erst mählich wölbten. Er, der soeben noch in jeder Hinsicht ein Bauer gewesen war, fällte nun schon ein Urteil über die Schönheit und verlangte sehnlichst, daß sie die Augen aufschlagen möge, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Mehrmals wandelte ihn die Lust an, sie zu wecken, damit er ihre Augen sähe; dann aber schien sie ihm so über allen Vergleich schöner als alle Frauen, die er je zuvor gesehen, daß er geneigt war, sie für eine Göttin zu halten, und wenigstens so viel richtiges Empfinden hatte er, daß er einsah, göttliche Dinge verdienten größere Ehrfurcht als irdische. So gewann er es denn über sich abzuwarten, bis sie von selbst aufwachte, und so lang ihm auch ihr Schlaf vorkam, wußte er sich, in das Vergnügen ihres Anschauens versunken, doch nicht loszumachen.

Endlich, obwohl nach einer geraumen Zeit, geschah es, daß die junge Schöne, die Iphigenie hieß, früher als einer der Ihrigen erwachte. Als sie nun den Kopf hob, die Augen aufschlug und Kimon, auf seinen Stab gelehnt, vor sich stehen sah, erstaunte sie nicht wenig und sagte: »Kimon, was suchst du zu dieser Stunde hier im Gehölz?« – denn sowohl wegen seiner schönen Gestalt und seiner Blödsinnigkeit als auch wegen des Adels und Reichtums seines Vaters war Kimon fast jedem in der Gegend bekannt. Er aber antwortete auf Iphigeniens Worte nicht eine Silbe, sondern blickte unverwandt in ihre Augen, sobald sie diese aufgeschlagen hatte, und glaubte eine von ihnen ausgegangene Süße zu empfinden, die ihn mit nie gekannter Wonne durchdrang. Als die Schöne sein Betragen gewahr wurde, begann sie zu fürchten, daß er infolge seiner Roheit von diesem starren Anschauen zu Dingen übergehen könnte, die ihre Schamhaftigkeit gefährdeten. Deshalb rief sie ihre Dienerinnen, erhob sich vom Boden und sagte: »Lebe wohl, Kimon.« Kimon erwiderte sogleich: »Ich gehe mit dir.« Und obgleich die junge Dame, weil sie fortwährend wegen seiner Absichten besorgt war, seine Begleitung ablehnte, konnte sie ihn doch auf keine Weise eher von sich entfernen, als bis er sie zu ihrer Wohnung geleitet hatte.

Von dort ging er sogleich zu seinem Vater und erklärte ihm, [394] unter keiner Bedingung aufs Land zurückkehren zu wollen. Freilich war dies nun dem Vater und den übrigen Angehörigen gar nicht gelegen; sie ließen ihn jedoch in der Stadt, um abzuwarten, wodurch Kimon so umgestimmt worden sei. Dieser aber, dessen jeder guten Lehre unzugängliches Herz Iphigeniens Schönheit mit dem Pfeil der Liebe durchdrungen hatte, schritt von einem guten Vorsatz immer weiter zu neuen und erregte binnen kurzem das Erstaunen seines Vaters, aller seiner Verwandten und überhaupt eines jeden, der ihn gekannt hatte. Zuerst bat er den Vater, ihn in der Gewandung und in allem andern ebenso geschmückt wie seine Brüder einhergehen zu lassen, und der Vater tat es mit Freuden. Dann suchte er den Umgang wackerer junger Leute und erforschte von ihnen, was für Sitten adeligen Männern, besonders aber den Liebenden geziemen, und lernte zu jedermanns größter Verwunderung in kurzer Zeit nicht allein die Anfangsgründe der Wissenschaften, sondern machte sich auch die Weltweisheit auf das vollkommenste zu eigen. Wie seine Liebe zu Iphigenie ihn zu dem allen geführt hatte, so verwandelte sich auch ferner seine rauhe und bäuerische Stimme in eine wohlklingende und gebildete und ließ ihn des Spiels und des Gesangs wohlerfahren und im Reiten und in den Waffenübungen zu Wasser und zu Lande geübt und tapfer werden. Kurz, um nicht alle seine Geschicklichkeiten im einzelnen aufzählen zu müssen: noch war seit dem Tage, an dem er sich zuerst verliebt hatte, das vierte Jahr nicht verstrichen, als er schon alle jungen Männer, die auf der Insel Zypern zu finden waren, an Artigkeit, guten Sitten und vorzüglichen Eigenschaften übertraf.

Wie sollen wir, o holde Damen, uns nun wohl diese Erscheinung erklären? Gewiß, wir können es nur da durch, daß wir voraussetzen, ein neidisches Geschick habe die hohen Anlagen, mit denen der Himmel Kimons Seele ausgestattet hatte, in den engsten Raum seines Herzens zusammengedrängt und dort mit den festesten Banden so lange gefesselt und verschlossen, bis der gewaltigere Amor alle jene Ketten sprengte und zerbrach, die schlummernden, von trauriger Betäubung umnachteten Lebensgeister erweckte und mit seiner Kraft ans helle Licht zog, um dadurch zu offenbaren, aus welcher Dunkelheit er die ihm [395] ergebenen Geisteskräfte durch seine Strahlen zum vollen Glanze zu führen vermöge.

Ob Kimon nun wohl nach der üblichen Art verliebter Jünglinge bei seiner Liebe zu Iphigenie in einigem das Maß überschritt, so ertrug Aristipp dergleichen nicht allein mit Geduld, sondern ermunterte ihn, in der Erwägung, daß ja die Liebe ihn vom Tier zum Menschen verwandelt hatte, auch selbst, in dieser Hinsicht ganz nach seinem Gefallen zu leben. Kimon, der im Andenken, daß Iphigenie ihn so genannt, diesen Namen behalten und nicht mehr Galesus genannt sein wollte, hielt indessen, um seine Wünsche geziemend erfüllt zu sehen, bei Iphigeniens Vater Cypseus wiederholt um die Hand des Mädchens an. Cypseus aber erwiderte, daß er sie bereits dem Pasimundas, einem jungen Edelmann von Rhodos, zugesagt habe und sein Wort nicht brechen wolle. Als nun die Zeit herangekommen war, da Iphigenie infolge dieses Versprechens vermählt werden sollte, und der Bräutigam auch schon nach ihr gesandt hatte, sagte Kimon bei sich selbst: Nun, o Iphigenie, ist es an der Zeit, zu beweisen, wie sehr ich dich liebe. Schon bin ich durch dich zum Menschen geworden. Gelingt es mir, dich zu besitzen, so werde ich dadurch ohne Zweifel glorreicher werden als einer unter den Göttern, und gewiß, besitzen werde ich dich oder sterben.

Nachdem er so zu sich selbst gesprochen, bat er in der Stille einige junge Edelleute, mit denen er befreundet war, um ihren Beistand, rüstete heimlich ein Schiff mit allem aus, was zu einem Seegefecht notwendig ist, und ging dann mit seinen Gefährten in See, um das Fahrzeug zu erwarten, auf dem Iphigenie zu ihrem Bräutigam nach Rhodos gebracht werden sollte. Der Vater des Mädchens hatte inzwischen den Freunden des Bräutigams viel Ehre angetan, und nun steuerten diese mit ausgespannten Segeln auf Rhodos zu. Kimon aber schlief nicht, sondern erreichte sie anderntags und rief ihnen von der Spitze seines Schiffes mit lauter Stimme zu: »Haltet an, streicht die Segel oder macht euch darauf gefaßt, besiegt und in den Grund gebohrt zu werden.«

Kimons Gegner hatten indes schon ihre Waffen aufs Verdeck gebracht und rüsteten sich zur Verteidigung. Kimon aber ergriff [396] nach jenen Worten sogleich einen großen eisernen Enterhaken, zog damit das Schiff der Rhodier, die aus allen Kräften weitersegelten, gewaltsam an das seine heran und sprang mit dem Mute eines Löwen, ohne daß ein anderer ihm gefolgt wäre, hinüber, als ob er die Rhodier alle für nichts achtete. Die Liebe lieh ihm Kräfte, und so stürzte er mitten unter die Feinde, ein Messer in der Hand, und schlachtete gar viele, bald hierhin, bald dorthin stoßend, gleich Schafen ab, so daß die Rhodier endlich voller Schrecken die Waffen wegwarfen und sich einstimmig als Gefangene ergaben. Kimon dagegen sagte zu ihnen: »Junge Männer, weder aus Verlangen nach Beute noch aus Haß, den ich gegen euch hegte, bin ich von Zypern gesegelt, um euch hier, mitten im Meere, mit bewaffneter Hand zu überfallen. Was mich so zu tun bewogen, dessen Eroberung ist für mich das Höchste, ihr aber könnt es mir gar leicht auch friedlich überlassen. Es ist nämlich Iphigenie, die ich über alles liebe und die mit der Waffe zu erobern Amor mich zwingt, da ihr Vater sie mir nicht als Freund im Guten überlassen wollte. So will ich ihr denn sein, was euer Pasimundas ihr werden sollte. Gebt sie mir, und dann zieht in Gottes Namen.«

Die Jünglinge überließen, mehr von der Not als vom guten Willen bewogen, dem Kimon die weinende Dame. Er aber sagte, als er sie weinen sah, zu Iphigenie: »Betrübe dich nicht, holde Dame, ich bin dein Kimon und habe dich durch meine lange Liebe mehr verdient als Pasimundas durch die Verlobung.« Ohne von dem Gut der Rhodier das mindeste anzurühren, ließ er Iphigenie in sein Schiff hinübersteigen, kehrte selbst zu seinen Gefährten zurück und hieß jene weiterziehen. Hocherfreut über den Erwerb einer so teuren Beute, verwendete Kimon die erste Zeit darauf, die Weinende, soviel er konnte, zu trösten, und überlegte dann mit seinen Gefährten, ob es nicht allzu gefährlich sein möchte, für jetzt nach Zypern zurückzukehren. Wirklich beschlossen sie gemeinschaftlich, den Lauf ihres Schiffes lieber nach Kreta zu lenken, wo sie sich insgesamt, besonders aber Kimon, wegen alter und neuer Verbindungen und vieler Freundschaften mit Iphigenien sicher glaubten.

Das Glück aber, das dem Kimon die Eroberung der Dame freundlich gewährt hatte, verwandelte jetzt in seiner Unbeständigkeit [397] die überschwengliche Freude des liebenden Jünglings plötzlich in bittere, schmerzliche Tränen. Noch waren keine vier Stunden vergangen, seit Kimon die Rhodier verlassen hatte, als mit derselben Nacht, von der er sich die höchste, nie empfundene Seligkeit versprochen hatte, ein stürmisches Wetter heraufzog, das den Himmel mit Wolken und das Meer mit verheerenden Winden aufwühlte. So sehr wütete der Sturm, daß niemand zu erkennen vermochte, was man tun und wohin man sich wenden sollte, ja daß die Schiffer sich nicht einmal aufrecht zu halten und einige Hilfe zu leisten imstande waren. Wie sehr Kimon darüber betrübt war, bedarf keiner Worte. Es dünkte ihn, die Götter hätten ihn nur ans Ziel seiner Wünsche gelangen lassen, damit er den Tod, der ihm vorher gar gleichgültig gewesen wäre, um so schmerzlicher empfinden sollte. Es beklagten sich auch die Gefährten, vor allem aber jammerte Iphigenie, weinte laut und schreckte bei jedem Wellenstoße neu zusammen. Mit harten Worten verwünschte sie unter ihren Tränen Kimons Liebe und schalt auf seine Verwegenheit. Denn nur darum, sagte sie, sei dieses stürmische Unwetter entstanden, weil die Götter, weit entfernt zu gestatten, daß Kimon, der sie wider ihren Willen zur Frau begehre, seines anmaßenden Begehrens froh würde, ihn vielmehr elendiglich umkommen lassen wollten, nachdem er sie zuvor habe sterben sehen.

Unter solchen und noch heftigeren Klagen wurde das Schiff, das die Seeleute auf keine Weise zu lenken vermochten, von dem immer heftiger tobenden Sturm in die Nähe der Insel Rhodos geführt. Da nun aber die Schiffer nicht wußten, daß es Rhodos sei, bemühten sie sich, um ihr Leben zu retten, aus allen Kräften, dort womöglich das Land zu gewinnen. In der Tat war ihnen das Glück behilflich dazu und führte sie in eine kleine Bucht, in welche kurz vorher auch die von Kimon freigelassenen Rhodier mit ihrem Schiffe eingelaufen waren. Nicht eher aber erkannten sie, daß sie nach Rhodos verschlagen worden waren, als bis sie beim Dämmerlicht, das am andern Tage das aufsteigende Morgenrot über den etwas aufgehellten Himmel verbreitete, etwa einen Bogenschuß weit entfernt das Schiff gewahr wurden, das sie am Tage zuvor verlassen hatten. Kimon, der die Gefahr drohen sah, der er nachher [398] wirklich anheimfiel, erschrak darüber unsäglich und befahl, daß alle Kräfte aufgeboten würden, um nur von dort wieder zu entkommen und sich dann treiben zu lassen, wohin es immer dem Schicksal gefallen möchte, da sie ja doch nirgendwo schlimmer aufgehoben sein konnten als eben hier.

Die Schiffer ließen nichts unversucht, um hinauszukommen; aber alles war vergeblich. Der Wind blies so heftig in der entgegengesetzten Richtung, daß sie, weit entfernt, sich aus jener kleinen Bucht herausarbeiten zu können, allen Widerstrebens ungeachtet an das Land getrieben und, kaum dort angelangt, von den rhodischen Seeleuten, die ihr Schiff inzwischen verlassen hatten, erkannt wurden. Sogleich lief einer von diesen nach einem nahegelegenen Landgut, wohin die jungen rhodischen Edelleute schon vorausgegangen waren, und berichtete ihnen, wie das Unwetter Kimon mit Iphigenie gezwungen hatte, gleich ihnen dort mit seinem Schiffe zu landen. Hocherfreut über diese Nachricht eilten die Edelleute mit einer Menge Volk von jenem Gute an das Meer, wo sie Kimon, der mit den Seinigen schon ausgestiegen war und in einen benachbarten Wald zu flüchten gedachte, mit Iphigenie und allen andern gefangennahmen und sie zusammen nach dem erwähnten Landhause führten. Als aber Pasimundas von dem Geschehenen Kunde erhalten hatte, beklagte er sich beim Senat von Rhodos, und auf dessen Beschluß kam Lysimachos, der in jenem Jahr bei den Rhodiern die höchste Würde bekleidete, mit einem großen Geleit von Kriegsmännern aus der Stadt hinaus und führte Kimon und seine Gefährten ins Gefängnis.

Auf solche Weise verlor der arme liebende Kimon seine Iphigenie, die er kurz zuvor erst gewonnen, ohne ihr mehr als einen Kuß genommen zu haben. Iphigenie dagegen wurde von vielen rhodischen Damen empfangen, die ihr Trost wegen der erlittenen Gefangenschaft und der auf dem stürmischen Meer ausgestandenen Angst zusprachen und sie bis zu dem Tage bei sich behielten, der für die Hochzeit festgesetzt worden war. Dem Kimon und seinen Gefährten wurde indes mit Rücksicht darauf, daß sie tags zuvor die jungen Rhodier freigelassen hatten, das Leben geschenkt, obwohl Pasimundas bemüht gewesen war, ihr Todesurteil zu bewirken. Freilich wurden sie dafür [399] zu ewiger Gefangenschaft verurteilt, und wie traurig, wie ohne Hoffnung, je wieder eine Freude zu erfahren, sie diese ertrugen, läßt sich leicht denken.

Während indes Pasimundas die Vorbereitungen zur bevorstehenden Hochzeit soviel wie möglich beschleunigte, bereitete das Glück, als wäre ihm das Unrecht, das es dem Kimon so plötzlich angetan hatte, wieder leid geworden, ein neues Ereignis zu seiner Rettung vor. Pasimundas hatte einen zwar an Jahren, aber nicht an Trefflichkeit geringeren Bruder, der Hormisdas hieß und sich lange Zeit um die Hand eines schönen und adeligen Mädchens jener Stadt, das Kassandra hieß und Lysimachos auf das feurigste liebte, beworben hatte; doch war die Verlobung um verschiedener Umstände willen schon mehrfach rückgängig gemacht worden. Wie nun Pasimundas das große Fest überdachte, mit dem er seine Hochzeit würde feiern müssen, hielt er es für ratsam, den Hormisdas gleichfalls heiraten zu lassen, um ähnlichen Kosten und Gastereien für die Zukunft zu entgehen. Zu diesem Zwecke nahm er die Verhandlung mit Kassandras Eltern wieder auf und führte sie so weit zum Ziele, daß am selben Tag, an dem er sich mit Iphigenie verbände, auch Hormisdas seine Hochzeit mit Kassandra feiern sollte.

Dem Lysimachos mißfiel dieser Entschluß, der ihm alle seine Hoffnungen zu rauben schien, ausnehmend, denn er hatte bisher immer gedacht, wenn Hormisdas sie nicht erhalte, werde sie ihm noch zuteil werden. Verständig aber, wie er war, verbarg er seinen Unmut und dachte vielmehr darüber nach, wie er die Ausführung jener Pläne vielleicht noch hindern könne, doch wußte er keinen möglichen Ausweg zu erkennen als den, sie zu rauben. Dies zu tun, schien ihm freilich vermöge seines Amtes besonders leicht; auf der andern Seite dünkte es ihn aber gerade wegen jener Würde desto unschicklicher. Endlich trug indes nach langem innerem Kampfe die Liebe den Sieg über die Schicklichkeit davon, und er beschloß, was immer daraus entstehen möchte, Kassandra zu rauben.

Während er noch über die Gehilfen, die er sich erwählen mußte, und über die Art der Ausführung nachdachte, erinnerte er sich des Kimon, den er mit seinen Gefährten im Gefängnis hielt, und es leuchtete ihm ein, daß er in dieser Angelegenheit [400] keinen besseren und treueren Gehilfen als eben den Kimon finden könnte. Er ließ ihn daher in der nächsten Nacht heimlich in sein Zimmer rufen und begann folgendermaßen zu ihm zu sprechen: »Kimon, wie die Götter ihre Gaben gütig und freigebig unter den Menschen verteilen, so wissen sie auch die Tugenden der Sterblichen auf das genaueste zu prüfen und würdigen alsdann diejenigen, die sie bei allen Wechselfällen des Schicksals standhaft und unerschütterlich finden, ihres höheren Wertes wegen auch der Gelegenheit, sich noch höhere Verdienste zu erwerben. Auch von deinen Tugenden haben sie gewichtigere Proben verlangt, als du innerhalb der Mauern deines väterlichen Hauses, das, wie ich hörte, an Reichtümern Überfluß hat, deren abzulegen imstande gewesen wärest. Zu Anfang haben sie dich, wie man sagt, durch die Stachel der Liebe vom unvernünftigen Tiere zum Menschen gemacht. Dann aber prüften sie, ob zuerst die Unglücksfälle und nun der plagende Kerker deinen Mut im Vergleich zu der Zeit, wo du für wenige Augenblicke deiner gewonnenen Beute froh warst, herabstimmen konnten. Bist du aber noch der, welcher du warst, so sind sie jetzt bereit, dir etwas zu schenken, wogegen alles, was sie dir bisher gewährten, verblaßt. Und was dies ist, das will ich dir jetzt sagen, damit du deine gewohnte Kraft wiedergewinnst und guten Mutes wirst. Wisse, derselbe Pasimundas, dessen höchste Freude dein Unglück ist, beschleunigt jetzt, so sehr er kann, seine Verbindung mit deiner Iphigenie, um der Beute froh zu werden, die das Glück dir erst freundlich gewährt hatte, um sie dir dann im schnellen Wechsel seiner Laune wieder wegzunehmen. Wie sehr dich das aber schmerzen muß, wenn anders du so liebst, wie ich es annehme, das empfinde ich an mir selbst; denn Hormisdas, des Pasimundas Bruder, will mir bei Kassandra, die ich über alles liebe, am selben Tage die gleiche Kränkung antun. Um nun so hartem Geschick und so schwerem Unrecht zu entgehen, hat das Glück uns, wie mir scheint, nur den einen Weg offen gelassen, den die Tapferkeit, unser Mut und unser Schwert, dir zum zweiten, mir zum ersten Raube unserer beiderseitigen Damen bahnen soll. Ist dir also deine Dame lieb – ich sage nicht deine Freiheit, denn ich vermute, daß dir ohne den Besitz Iphigeniens [401] an jener wenig gelegen ist –, so haben jetzt die Götter dein Schicksal in deine eigenen Hände gelegt, wenn du dich meinem Unternehmen anschließen willst.«

Diese Worte gaben dem Kimon seinen verlorenen Mut vollständig wieder, und er antwortete, ohne sich lange zu besinnen: »Lysimachos, wenn ich auf diesem Wege das erlangen soll, wovon du mir sprichst, so kannst du zu deinem Unternehmen weder einen mutigeren noch einen zuverlässigeren Gefährten finden. Bestimme mir also nur, was mir zu übertragen du für gut befinden wirst, und du sollst sehen, daß ich es mit mehr als natürlicher Kraft ausführen werde.« Darauf erwiderte Lysimachos: »Übermorgen werden die neuvermählten Frauen ihren ersten Einzug in das Haus ihrer Männer halten. Wir aber werden uns gegen Abend, du mit den Deinigen und ich mit einer Anzahl völlig zuverlässiger Gefährten, beiderseits bewaffnet, dort einschleichen, die beiden Bräute mitten aus dem Feste rauben und sie zu dem Schiffe führen, das ich schon heimlich habe zurüsten lassen. Jeder aber, der sich uns zu widersetzen wagt, ist des Todes.« Kimon war mit diesen Anordnungen zufrieden und kehrte bis zu der bestimmten Zeit ruhig in sein Gefängnis zurück.

Glänzend und kostbar war am Hochzeitstage das Gepränge, und überall im Hause der beiden Brüder herrschte festliche Heiterkeit. Als die Zeit nun dem Lysimachos gelegen schien, versammelte er Kimon und dessen Gefährten sowie seine eigenen Freunde, die sämtlich unter den Kleidern Waffen trugen, und teilte sie, nachdem er sie zuvor mit vielen Worten zur Unternehmung angefeuert hatte, in drei Haufen. Den einen hieß er sich vorsichtig im Hafen aufstellen, damit niemand, wenn es erst so weit gekommen wäre, sie am Besteigen des Schiffes hindern könnte. Den zweiten ließ er an der Haustür, um sicher zu sein, daß sie nicht etwa eingeschlossen würden oder man ihnen den Eingang verwehrte. Er selbst endlich ging mit Kimon und den übrigen die Treppe hinauf, geradenwegs in den Speisesaal, wo sich die beiden Bräute mit noch vielen anderen Damen schon in geziemender Ordnung zu Tisch gesetzt hatten. Keck traten die jungen Männer heran, stürzten die Tische um, nahmen ein jeder die Seinige und übergaben sie den [402] Armen ihrer Gefährten, damit diese sie augenblicklich auf das segelfertige Schiff brächten. Die beiden Bräute begannen zwar zu weinen und zu schreien und die übrigen Damen und die Diener nicht minder, so daß das ganze Haus alsbald von Lärm und Klagen erfüllt war. Kimon und Lysimachos aber zogen ihre Schwerter und bahnten sich, ohne daß jemand ihnen zu widerstehen gewagt hätte, den Weg zur Treppe. Als sie diese nun hinunterstiegen, begegnete ihnen Pasimundas, der auf den Lärm hin mit einem großen Knüppel bewaffnet herbeigeeilt war. Kimon traf ihn indes mit seinem Schwert so gewaltig auf den Kopf, daß er ihn wohl halb herunterhieb und Pasimundas ihm tot zu Füßen fiel. Ebenso tötete den armen Hormisdas, der seinem Bruder zur Hilfe eilte, ein zweiter Hieb des Kimon, und noch mehrere andere, die herbeispringen wollten, wurden von Lysimachos' und Kimons Gefährten siegreich zurückgeschlagen. Diese aber gelangten von dem Hause, das sie voll Blut, Geschrei, Wehklagen und Trauer hinter sich ließen, dicht zusammengedrängt und ohne auf ein Hindernis zu stoßen, mit ihrer Beute glücklich zu dem Schiffe, hießen ihre Damen schnell hineinsteigen, folgten ihnen selbst mit all den Ihrigen nach und ruderten dann mit allen Kräften glücklich ihren Hoffnungen entgegen, im Angesicht zahlreicher Bewaffneter, die sich schon am Ufer versammelt hatten, um die Damen zu befreien.

In Kreta, wo sie von ihren vielen Freunden und Verwandten aufs beste empfangen wurden, feierten sie schnell unter großen Festlichkeiten die Verbindung mit ihren beiderseitigen Damen und erfreuten sich dann herzlich ihrer schönen Beute. In Zypern und in Rhodos wurde noch lange Zeit viel Lärm über diese kecke Tat gemacht, und an beiden Orten waren ernstliche Unruhen die Folge. Endlich aber legten sich hier wie dort die beiderseitigen Freunde und Verwandten ins Mittel und brachten es glücklich dahin, daß nach einigen Jahren des Exils Kimon sowohl mit Iphigenie nach Zypern als auch Lysimachos mit Kassandra nach Rhodos zurückkehren durfte, wo dann beide Paare noch lange glücklich miteinander in ihrer Heimat lebten.

[403] Zweite Geschichte

Costanza liebt Martuccio Gomito. Auf die Nachricht von seinem Tode bin überläßt sie sich verzweifelt und allein einem Kahne, den der Wind nach Susa treibt. In Tunis findet sie den Geliebten lebendig wieder und gibt sich ihm, der inzwischen durch klugen Ratschlag die Gunst des Königs erworben hat, zu erkennen. Er heiratet sie und kehrt mit ihr als reicher Mann nach Lipari zurück.


Als die Königin gewahr wurde, daß die Geschichte des Panfilo zu Ende sei, sagte sie viel zu ihrem Lobe und trug dann Emilia auf, mit einer anderen Erzählung fortzufahren. Diese aber begann folgendermaßen:

Billigerweise soll ein jeder sich über die Ereignisse freuen, in denen die Wünsche entsprechend belohnt werden. Da nun aber die Liebe auf die Dauer viel mehr Freude als Betrübnis verdient, so werde ich durch meine Erzählung über den jetzt aufgegebenen Gegenstand bei weitem lieber der Königin gehorchen, als ich es in meiner vorigen dem König tat.

Wisset denn, o zärtliche Mädchen, daß nicht weit von Sizilien eine kleine Insel, Lipari genannt, gelegen ist, auf welcher vor nicht gar langer Zeit eine wunderschöne Jungfrau lebte, die Costanza hieß und angesehener Leute Tochter war. In diese verliebte sich ein junger Mann von derselben Insel, namens Martuccio Gomito, der mit feinen Sitten und gefälligem Benehmen große Geschicklichkeit in seinem Gewerbe verband. Nicht minder war aber auch das Mädchen für ihn entbrannt, so daß es keinen glücklichen Augenblick hatte, als wenn es ihn sah. Martuccio, der sie zur Frau begehrte, ließ bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten. Dieser antwortete indes, Martuccio sei arm, und darum wolle er sie ihm nicht geben.

Tief gekränkt, daß er seiner Armut wegen verschmäht worden war, verschwor Martuccio sich nun mit einigen Freunden und Verwandten, nie anders als reich nach Lipari zurückzukehren. In dieser Absicht segelte er von seiner Heimat ab und ging an den Küsten der Berberei gegen jeden, der schwächer war als er, auf Seeräuberei aus. Dabei wäre ihm dann auch das Glück gar günstig gewesen, hätte er es über sich gewinnen können, seinen Erfolgen ein Ziel zu setzen. Weil er aber, so [404] wenig wie die Seinigen, sich mit den erworbenen großen Schätzen begnügen wollte und übermäßigen Reichtum zu gewinnen begehrte, geschah es, daß sie eines Tages von mehreren sarazenischen Schiffen überfallen und nach langem Widerstande sämtlich gefangen wurden. Die Mehrzahl der Männer ward von den Sarazenen ins Meer geworfen und das Schiff versenkt. Martuccio selbst aber wurde nach Tunis geführt und dort in langem Elend gefangengehalten. Inzwischen kam die Nachricht, daß alle, die sich mit Martuccio auf jenem Schiffe befunden, ertränkt worden seien, nicht etwa nur durch ein oder zwei Personen, sondern auf vielen verschiedenen Wegen nach Lipari.

Costanza aber, die schon über die Abreise ihres Geliebten unmäßig traurig gewesen war, weinte nun lange Zeit, als sie vernahm, daß er mit den andern umgekommen sei, und beschloß, nicht länger zu leben. Da es ihr jedoch an Mut fehlte, sich selbst auf irgendeine Weise gewaltsam umzubringen, erdachte sie ein neues Mittel, sich den Tod zu geben. Eines Nachts nämlich schlich sie sich heimlich aus dem Hause ihres Vaters zum Hafen, wo sie zufällig in einiger Entfernung von den übrigen einen Fischerkahn fand, der, weil seine Besitzer ihn eben erst verlassen hatten, mit Mast, Segeln und Rudern noch vollständig versehen war. Diesen bestieg sie sogleich und spannte, sobald sie sich mit den Rudern ein wenig ins Meer hinausgearbeitet hatte, vermöge ihrer seemännischen Tüchtigkeit, die sie mit der Mehrzahl der Inselbewohnerinnen teilte, die Segel auf, warf Steuer und Ruder fort und überließ sich dann dem Winde in der Überzeugung, daß das unbelastete und steuerlose Fahrzeug notwendig entweder umschlagen oder auf einen Felsen geworfen und zerschmettert würde, wo sie dann, selbst wenn sie sich retten wollte, es nicht zu tun vermöchte, sondern in jedem Falle ertrinken müßte. Darauf hüllte sie den Kopf in ihren Mantel und legte sich weinend auf den Boden des Nachens nieder.

Aber alles kam ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Da nämlich der Wind gerade aus Norden blies und ziemlich schwach war, auch das Meer durchaus nicht hoch ging, blieb das Schiffchen unversehrt und wurde an dem Tag, der auf die [405] Nacht folgte, als das Mädchen vom Lande gestoßen war, gegen Abend wohl hundert Meilen von Tunis entfernt, nicht weit von einer Stadt namens Susa, ans Land getrieben. Costanza, welche die ganze Zeit den Kopf um keines Anlasses willen gehoben hatte und auch ferner so zu tun gedachte, wurde nicht gewahr, daß sie sich nun wieder an Land statt auf der See befand. Zufällig war aber, gerade als der Kahn ans Ufer stieß, dort ein armes Weib am Strande, das die zum Trocknen ausgebreiteten Netze der Schiffer, deren Magd sie war, wieder auflas. Als die Alte den Kahn erblickte, wunderte sie sich, daß man ihn mit aufgezogenem Segel habe ans Land laufen lassen. Da sie jedoch vermutete, daß die Fischer darin schliefen, ging sie hin, um sie aufzuwecken. Sie fand aber niemand als das Mädchen, das in festem Schlafe lag und erst nach vielem Rufen wieder zu sich kam.

Inzwischen hatte das Fischerweib Costanza schon an ihren Kleidern als Christin erkannt und fragte des halb auf italienisch, wie sie so allein in dem Nachen angekommen sei. Als das Mädchen die italienischen Worte vernahm, fürchtete es, der Wind möchte sich gedreht und sie nach Lipari zurückgeführt haben. Schnell richtete sie sich auf, blickte umher, und als sie sich am Lande sah und dennoch die Gegend nicht kannte, fragte sie das gute Weib, wo sie denn sei. »Meine Tochter, du bist nicht weit von Susa in der Berberei«, entgegnete die Alte.

Costanza betrübte sich bei dieser Nachricht sehr, daß Gott ihr nicht den Tod hatte senden wollen. Zugleich fürchtete sie sich aber auch vor Schande, setzte sich völlig ratlos bei ihrem Kahn nieder und weinte. Die gute Alte erbarmte dieser Anblick, und sie redete dem Mädchen zu, bis dieses ihr in ihre kleine Hütte folgte und ihr dort nach vielem Bitten erzählte, auf welche Weise es an jenes Ufer gekommen war. Da sie nun durch diese Erzählung erfuhr, jene sei noch nüchtern, trug sie ihr von ihrem harten Brote und ein wenig Fisch und Wasser auf und brachte es durch langes Zureden endlich dahin, daß sie ein wenig davon zu sich nahm. Dann fragte Costanza, wer sie sei, daß sie so gut italienisch rede. Diese antwortete, sie sei von Trapani, heiße Carapresa und diene hier einigen christlichen Fischern. So betrübt Costanza war und sowenig sie [406] selbst sich über das Gefühl Rechenschaft zu geben vermochte, nahm sie doch den Namen Carapresa, sobald sie ihn gehört hatte, für ein gutes Zeichen, fing, ohne zu wissen worauf, doch wieder zu hoffen an und ließ in ihrem Todesverlangen ein wenig nach. Dem guten Weibe entdeckte sie indes weder ihren Namen noch den Ort, von dem sie kam, sondern bat sie nur auf das herzlichste, um Gottes willen Erbarmen mit ihrer Jugend zu haben und ihr Rat zu geben, wie sie der Schande entgehen könne, der sie in diesem Lande ausgesetzt sei.

Carapresa, die ein wackeres Weib war, ging nach diesen Worten, während das Mädchen in der Hütte blieb, schnell die Netze heimzuholen und führte dann Costanza, die sich ganz in einen Mantel der Alten einhüllen mußte, nach Susa. Hier angelangt, sagte sie: »Costanza, ich werde dich in das Haus einer trefflichen Sarazenin bringen, die mir oft allerhand Besorgungen aufträgt. Sie ist alt und mitleidigen Gemüts. Ihr werde ich dich empfehlen, so sehr ich nur weiß und kann, und ich bin gewiß, daß sie dich mit Freuden aufnehmen und wie eine Tochter behandeln wird. Du aber mußt dich, solange du bei ihr bleiben wirst, nach Kräften bemühen, ihre Zuneigung durch deine Dienste zu gewinnen, bis Gott dir einst ein besseres Los bereitet.« Das gute Weib tat, wie es gesagt. Als die Sarazenin, die nachgerade bei Jahren war, ihre Worte vernommen hatte, betrachtete sie die Züge des Mädchens und begann zu weinen. Dann küßte sie Costanzas Stirn, ergriff sie bei der Hand und führte sie in ihr Haus ein, in welchem sie mit mehreren andern Frauenzimmern ohne männliche Gesellschaft wohnte und gemeinschaftlich mit jenen mancherlei Handarbeiten in Seide, Palmblättern und Leder verfertigte. In wenigen Tagen eignete sich das Mädchen diese Fertigkeiten an, so daß sie an den Arbeiten der übrigen teilnehmen konnte, und nicht allein gewann sie die Zuneigung und die herzliche Liebe der andern in erstaunlichem Maße, sondern sie lernte auch, von ihren Gefährtinnen unterwiesen, in kurzer Zeit die Sprache des Landes.

Während nun das Mädchen, das man inzwischen in Lipari schon als verloren und gestorben beweint hatte, noch in Susa verweilte, geschah es, daß ein junger Fürst von Granada, der [407] große eigene Mittel und eine angesehene Verwandtschaft besaß, unter dem Vorwand, daß das Königreich Tunis ihm zukomme, ein sehr zahlreiches Heer rüstete und mit diesem den damals regierenden König von Tunis, der Mariabdela hieß, kriegerisch überzog, um ihn aus seinem Reiche zu vertreiben. Als diese Kunde dem Martuccio Gomito, der die Sprache der Berber wohl verstand, in seinem Gefängnis zu Ohren kam, und als er vernahm, welche große Zurüstungen der König von Tunis zu seiner Verteidigung machte, sagte er zu einem der Leute, die ihn und seine Leidensgenossen bewachten: »Könnte ich nur mit dem König reden, so getraute ich mich wohl, ihm einen Rat zu geben, der ihn zum Sieger in diesem Kriege machen sollte.«

Der Gefangenenwärter sagte diese Worte seinem Befehlshaber, und dieser berichtete sie alsbald dem König. Der König aber befahl, daß Martuccio deswegen vor ihn gebracht werde, und fragte ihn alsdann, was für einen Rat er zu erteilen habe. »Herr«, erwiderte dieser, »habe ich zu andern Zeiten, als ich mich hier in Eurem Lande umtat, Eure Art zu kämpfen wohl begriffen, so wendet Ihr in Euren Schlachten die Bogenschützen mehr als irgendeine andere Waffe an. Könnte man also ein Mittel ausfindig machen, daß die Schützen Eures Feindes Mangel an Pfeilen litten, während die Eurigen noch hinreichend damit versehen wären, so meine ich, müßte diese Schlacht für Euch gewonnen werden.« »Ohne Zweifel«, entgegnete der König, »hielte ich, wenn sich das bewerkstelligen ließe, mich des Sieges für gewiß.« Darauf antwortete Martuccio: »Mein Gebieter, wenn Ihr wollt, so läßt sich das allerdings erreichen, und vernehmt nur, wie: Ihr müßt für Eure Schützen die Bogensehnen um vieles dünner machen lassen, als sie sonst allgemein gebräuchlich sind. Dazu laßt Ihr dann Pfeile anfertigen, deren Kerben sich nur bei so dünnen Sehnen gebrauchen lassen. Das alles muß aber so geheim geschehen, daß Eurem Feinde nichts davon zu Ohren kommt und er daher keine Vorkehrungen treffen kann. Der Zweck aber, den ich durch diese Anstalten erreichen will, ist folgender: Wenn die Schützen Eures Feindes ihre Pfeile abgeschossen haben werden und ebenso Eure die ihrigen, müssen, wie Ihr wißt, im weiteren Verlauf der Schlacht [408] die Feinde die Geschosse aufsammeln, welche die Eurigen versandt haben, und dagegen die Eurigen die Pfeile der Feinde. Dann aber werden Eure Gegner die Pfeile, welche die Euren abgeschossen haben, nicht gebrauchen können, weil die dicken Sehnen ihrer Bogen die kleinen Kerben Eurer Pfeile nicht zu fassen imstande sind, während umgekehrt den Eurigen bei ihren feinen Sehnen die weitgekerbten Pfeile des Feindes treffliche Dienste leisten werden. So werden dann also Eure Schützen reichliches Geschoß haben, während die andern schon vollkommenen Mangel daran leiden.«

Dem König, der ein verständiger Herr war, leuchtete der Rat des Martuccio ein, und in der Tat trug er durch dessen genaue Befolgung den Sieg über seine Feinde davon. Natürlich gelangte Martuccio dadurch in seine besondere Gunst und gewann Ansehen und Reichtümer.

Das Gerücht von diesen Ereignissen ging durch das Land, und auch zu Costanzas Ohren kam die Nachricht, daß Martuccio, den sie lange tot geglaubt hatte, noch am Leben sei. Da entzündete sich die Liebe für ihn, die schon in ihrem Herzen minder heftig zu brennen begonnen hatte, plötzlich zu neuen, gewaltigen Flammen und erweckte die schon verblichene Hoffnung aus ihrem Todesschlummer. Deshalb entschloß sie sich, der trefflichen Frau, bei der sie wohnte, ihr ganzes Schicksal zu erzählen, und sagte ihr dabei, wie sie nach Tunis zu reisen wünsche, um dort die Augen an dem Anblick zu sättigen, zu dem durch die vernommene Kunde die Ohren ihr Verlangen aufs neue geweckt hätten. Die wackere Dame billigte ihren Entschluß, machte sich mit der Sorgsamkeit einer Mutter zu Schiff mit ihr nach Tunis auf den Weg, und dort wurden beide im Hause einer Verwandten ehrenvoll aufgenommen.

Kaum angelangt, sandte Costanza die Carapresa aus, von der sie sich ebenfalls hatte begleiten lassen, um Nachrichten über Martuccio einzuziehen. Als nun diese schnell die Kunde von seinem Leben und dem großen Ansehen, in dem er stand, zurückbrachte, ließ die edle Sarazenin es sich nicht nehmen, dem Martuccio die erste Nachricht zu geben, daß seine Costanza nach Tunis gekommen sei, um ihn zu suchen. So ging sie denn eines Tages in die Wohnung des jungen Mannes und [409] sagte zu ihm: »Martuccio, einer von deinen Dienern aus Lipari ist bei mir eingekehrt und wünscht insgeheim mit dir zu reden. Und weil ich, seinen Wünschen gemäß, es niemand anderm anvertrauen wollte, bin ich selbst gekommen, um dir die Nachricht zu bringen.« Martuccio dankte ihr für ihre Gefälligkeit und suchte sie bald danach in ihrer Wohnung auf. Als das Mädchen den Geliebten wiedersah, fehlte wenig, daß es nicht vor Freude gestorben wäre. Ihrer selbst nicht mehr mächtig, fiel sie ihm mit offenen Armen um den Hals. Das Nachgefühl der vergangenen Leiden und das gegenwärtige Glück machten sie stumm, so daß sie in einen Strom von Tränen ausbrach. Auch der Jüngling schwieg beim Anblick des Mädchens eine Weile vor Staunen, dann aber sagte er mit einem Seufzer: »Ach, meine Costanza, so bist du denn noch am Leben! Schon lange Zeit ist es her, seit ich hörte, du seiest verschwunden und man wisse auch in unserer Heimat nicht, was aus dir geworden sei.« Und mit diesen Worten umarmte und küßte er sie unter heißen Tränen. Costanza erzählte ihm darauf alle ihre Schicksale und berichtete, mit welcher Aufmerksamkeit sie von der Dame, bei der sie die Zeit über gewohnt hatte, behandelt worden war.

Sobald Martuccio sich endlich nach einem langen Gespräch von seiner Geliebten getrennt hatte, ging er zum König, seinem Herrn, berichtete ihm alles, was ihm und dem Mädchen begegnet war, und fügte hinzu, wie er sie, seine Zustimmung vorausgesetzt, nach christlichem Brauche zu heiraten gedenke. Der König, über die vernommenen Ereignisse nicht wenig erstaunt, ließ das Mädchen zu sich rufen, und als es ihm die Erzählung des Martuccio völlig bestätigte, sagte er: »Nun, so hast du ihn dir wohl zum Manne verdient.« Darauf mußten auf seinen Befehl köstliche und erlesene Geschenke herbeigebracht werden, die er unter Martuccio und Costanza verteilte, wobei er ihnen zugleich freie Hand ließ, über ihr ferneres Los nach Wohlgefallen zu entscheiden.

Martuccio erwies der trefflichen Dame, die Costanza so lange bei sich beherbergt hatte, noch viel Ehrerbietung. Sie schieden von ihr nicht ohne viele Tränen Costanzas und nicht ohne seinen angelegentlichen Dank für alle Freundschaft und [410] Liebe, die sie dem Mädchen erwiesen, wobei er seine Dankbarkeit teils in Worten, teils in Geschenken, wie sie sich für sie geziemten, ausdrückte. Dann bestiegen sie, mit des Königs Urlaub und von Carapresa begleitet, ein kleines Schiff und kehrten mit günstigem Winde heim nach Lipari, wo sie mit größerer Freude aufgenommen wurden, als sich in Worten beschreiben ließe. Hier nun feierte Martuccio bald seine Vermählung mit großen Festlichkeiten. Dann aber genossen beide in Frieden und Freude noch lange die Seligkeit ihrer Liebe.

Dritte Geschichte

Pietro Boccamazza flieht mit Agnolella und stößt auf Räuber. Das Mädchen flüchtet sich in einen Wald und wird von dort zu einer Burg geführt. Pietro fällt gefangen in die Hände der Räuber, entgeht ihnen aber wieder und gelangt endlich, nachdem er noch andere Gefahren überstanden hat, in dieselbe Burg, wo Agnolella sich befindet. Dort vermählt er sich mit ihr, und beide kehren nach Rom zurück.


Es gab keinen in der ganzen Gesellschaft, der nicht Emilias Geschichte Beifall gespendet hätte. Die Königin aber wandte sich, als sie jene am Ziele sah, zu Elisa und gebot ihr, fortzufahren. Elisa gehorchte willig und begann also:

Holde Damen, ich entsinne mich einer traurigen Nacht, die ein junges Paar durch seinen Leichtsinn erleben mußte. Weil dieser Nacht aber viele frohe Tage nachfolgten, will ich euch die Geschichte, als unserer Aufgabe entsprechend, kurz erzählen.

Es ist noch nicht lange her, da lebte in Rom, das, wie es einst das Haupt der Welt war, nun ihr niedrigstes Ende ist, ein junger Mann namens Pietro Boccamazza, der zu einer der angeseheneren römischen Familien gehörte. Dieser verliebte sich in ein wunderschönes und reizendes junges Mädchen, das Agnolella hieß und die Tochter eines gewissen Gigliuozzo Saullo war, der, wenngleich von geringer Herkunft, sich doch bei den Römern großer Beliebtheit erfreute. Auch wußte der Verliebte sich auf so gefällige Weise um ihre Gunst zu bewerben, daß [411] die junge Schöne ihn nicht weniger zu lieben begann, als sie von ihm geliebt ward. Endlich fühlte sich Pietro von seiner glühenden Liebe so überwältigt, daß er unfähig zu sein glaubte, den Qualen des Verlangens nach dem Gegenstand seiner Leidenschaft länger zu widerstehen, und um die Hand des Mädchens anhielt.

Als aber seine Verwandten Nachricht von diesem Schritt erhalten hatten, bestürmten sie ihn alle und tadelten ihn laut wegen seines Entschlusses. Auf der andern Seite ließen sie auch dem Gigliuozzo Saullo sagen, er solle den Worten des Pietro auf keine Weise Gehör schenken. Wenn er es aber dennoch tue, würden sie ihn niemals als Freund oder Verwandten anerkennen. Da Pietro sich auf solche Weise den Weg verschlossen sah, auf dem allein er ans Ziel seiner Wünsche kommen zu können geglaubt hatte, wünschte er sich vor Gram den Tod. Gern hätte er, wenn nur Gigliuozzo eingewilligt hätte, dessen Tochter auch gegen den Willen aller seiner Verwandten geheiratet. Aber selbst ohne das nahm er sich vor zu erreichen, was er begehrte, wenn nur das Mädchen wollte. Und als er durch einen Dritten erforscht hatte, das Mädchen willige ein, verabredete er mit ihr, aus Rom zu entfliehen.

Nachdem alles zu diesem Zwecke vorbereitet war, verließ Pietro eines Morgens, lange vor Tag, seine Wohnung und schlug mit seiner Geliebten, als beide zu Pferde gestiegen waren, den Weg nach Anagni ein, wo Pietro Freunde hatte, auf die er sich in jeder Hinsicht glaubte verlassen zu können. Unterwegs ließ ihnen die Furcht, daß man sie verfolgen möchte, keine Zeit, ihre Hochzeit zu vollziehen, und so konnten sie unter fortwährenden Gesprächen über ihre Liebe nichts tun als zuweilen einander küssen.

Weil nun aber Pietro mit dem Wege nicht allzu bekannt war, geschah es, daß sie, nachdem sie vielleicht acht Meilen von Rom aus zurückgelegt hatten, dort, wo sie sich rechts hätten halten sollen, einen Weg nach links hin einschlugen. Und kaum waren sie auf diesem weiter als zwei Meilen geritten, so befanden sie sich in der Nähe eines befestigten Hauses, von welchem aus man sie kaum gesehen hatte, als auch schon ein Dutzend Bewaffneter herauskam, um ihnen den Weg zu [412] versperren. Das Mädchen, das sie zuerst, jedoch nicht eher gewahrte, als bis sie ihnen schon ganz nahe waren, rief laut: »Pietro, retten wir uns, wir werden überfallen!« Und mit diesen Worten trieb sie ihr Pferd, so schnell sie nur konnte, einem benachbarten großen Walde zu und drückte dabei, während sie sich an den Sattelknopf klammerte, dem Rosse die Sporen so tief in den Leib, daß dieses sie, vom Schmerz beflügelt, im schnellsten Laufe durch den Wald dahintrug. Da indes Pietro seine Augen mehr auf die Züge der Geliebten als auf den Weg gerichtet hatte, erblickte er den bewaffneten Haufen, der auf sie zukam, nicht so rechtzeitig wie Agnolella. Daher wurde er, während er sich noch umsah, von welcher Seite die Räuber kämen, von ihnen überfallen, gefangen und seines Pferdes beraubt.

Als er ihnen sodann auf ihre Frage seinen Namen genannt hatte, hielten sie untereinander Rat über ihn, und der eine sagte zum andern: »Der gehört zu den Freunden unserer Feinde. Was können wir Besseres mit ihm anfangen, als daß wir seine Kleider und das Pferd behalten und ihn dann den Orsinis zum Verdruß an eine dieser Eichen hängen?« Alle stimmten diesem Vorschlag zu und befahlen daher dem Pietro, sich zu entkleiden. Während aber dieser in der Todesangst sich anschickte, ihren Befehlen zu gehorchen, geschah es, daß ein Hinterhalt von wohl einem Viertelhundert Bewaffneter plötzlich mit dem Rufe: »Ihr seid des Todes!« über jene ersteren herfiel. Diese ließen nun, durch den Überfall in Schrecken versetzt, den Pietro los und wandten sich gegen die Angreifer, vor deren offenbarer Überzahl sie jedoch alsbald die Flucht ergriffen, auf der jene sie verfolgten.

Als Pietro sich auf diese Weise frei sah, suchte er sich seine Sachen wieder zusammen, bestieg sein Pferd und jagte, so schnell er nur konnte, nach der Seite hin, wo er das Mädchen hatte verschwinden sehen. Da er aber in dem Walde weder Weg noch Steg, noch auch die Huftritte eines Pferdes entdecken konnte, begann er, sobald er sich den Händen derer, die ihn gefangen, als auch der andern, die jene überfallen, erst sicher entronnen glaubte, zu weinen und war übermäßig traurig, weil er sein Mädchen nicht wiederfand. In allen Richtungen rief er durch den Wald hin nach ihr, doch niemand gab ihm [413] Antwort. Zurückzukehren getraute er sich nicht, und doch wußte er auch nicht, wohin er geraten könne, wenn er vorwärts ginge. Zugleich aber erschreckten ihn die wilden Tiere, die sich in den Wäldern aufzuhalten pflegten, sowohl um seiner selbst als um seines Mädchens willen, das er in Gedanken jeden Augenblick von einem Wolf oder Bär erwürgt werden sah. So trieb der unglückliche Pietro sich den ganzen Tag über unter Rufen und Wehklagen in dem Walde umher, wobei es denn oft geschah, daß er in die Richtung zurückritt, von der er gekommen war, während er vorwärts zu reiten wähnte. Endlich fühlte er sich von dem lauten Rufen, dem Weinen, der ausgestandenen Angst und dem langen Fasten so angegriffen, daß er nicht mehr von der Stelle konnte. Als nun die Nacht anbrach, stieg Pietro, der sich anders nicht zu raten und zu helfen wußte, vom Pferde, band es an eine hohe Eiche und kletterte dann, um nicht von den wilden Tieren zerrissen zu werden, auf die Äste. Bald danach ging der Mond auf, und der Himmel war klar und hell. Pietro aber enthielt sich aus Furcht, herunterzustürzen, des Schlafs, obgleich ihn auch in der sichersten und bequemsten Stellung sein Gram und seine Sorgen um das Mädchen nicht hätten schlafen lassen, so daß er unter Seufzern, Tränen und Verwünschungen seines Mißgeschicks wachend die ganze Nacht verbrachte.

Inzwischen war das Mädchen, wie wir schon oben erzählt haben, ohne einer andren Richtung zu folgen als der, auf welcher sie das Pferd nach eigener Lust davontrug, so weit in den Wald geflohen, daß sie die Stelle, wo sie hineingekommen war, nicht mehr erkennen konnte. Und so verbrachte denn auch sie, bald verweilend, bald umherirrend, bald rufend und bald ihr Unglück mit tausend Tränen beweinend, den ganzen Tag in dieser waldigen Wildnis. Als sie nun Pietro, da es schon Abend ward, noch immer nicht kommen sah, schlug sie einen kleinen Pfad ein, den sie gewahr geworden war. Das Pferd verfolgte die Spur, und als sie etwas über zwei Meilen weit geritten war, erblickte sie in der Ferne ein kleines Häuschen. Sie beeilte sich, dies so schnell wie möglich zu erreichen, und fand es von einem wackeren Manne, der hoch in den Jahren war, und von seiner ebenfalls betagten Frau bewohnt.

[414] Als diese sahen, daß sie allein war, sagten sie: »Ach, Tochter, was tust du um diese späte Stunde so allein hier draußen?« Das Mädchen erwiderte weinend, wie es den Gefährten im Walde verloren habe, und fragte dann, wie weit es noch bis Anagni sei. »Meine Tochter«, antwortete der gute Mann, »hier geht der Weg nach Anagni nicht vorüber, und es sind mehr als ein Dutzend Meilen bis dahin.« Darauf sagte das Mädchen: »Sind denn nicht wenigstens Häuser in der Nähe, wo man beherbergt werden kann?« Der gute Mann aber entgegnete: »Keines so nahe, daß du es noch bei Tage erreichen könntest.« »Wenn ich denn nirgends anders unterkommen kann«, erwiderte das Mädchen, »wäret Ihr dann so freundlich, mich diese Nacht aus Barmherzigkeit bei Euch zu behalten?« Darauf antwortete der gute Mann: »Mein Kind, es soll uns lieb sein, wenn du diese Nacht bei uns bleibst. Doch wollen wir dir im voraus sagen, daß übelgesinnte Heerhaufen beider Parteien bei Tag und Nacht diese Gegend zu durchstreifen pflegen und uns gar häufig großen Schaden und Verdruß antun. Würden wir nun zum Unglück, während du hier bist, von einer solchen Bande heimgesucht, so täten sie dir um deiner Jugend und Schönheit willen gewiß Schaden und Schande an, ohne daß wir dich im mindesten zu schützen vermöchten. Das haben wir dir im voraus sagen müssen, damit, wenn es wirklich geschehen sollte, du dich nachher nicht über uns beschweren könntest.« Sosehr die Worte des alten Mannes Agnolella erschreckten, sagte sie dennoch, die späte Stunde erwägend: »Gott wird, wenn es ihm gefällt, Euch und mich vor solchem Unglück schützen. Ist es aber über uns verhängt, so ist es immer noch besser, von den Menschen mißhandelt, als im Walde von den wilden Tieren zerrissen zu werden.«

Mit diesen Worten stieg sie vom Pferde, trat in das Haus des armen Mannes ein und teilte das spärliche Abendessen der guten Leute. Dann legte sie sich, angekleidet wie sie war, mit ihnen auf ihr Lager und fand die ganze Nacht über kein Ende, zu seufzen und neben ihrem eigenen Unglück das des Pietro zu beweinen, über dessen Schicksal sie sich ja auch nur den schlimmsten Vermutungen hingeben konnte.

Als es schon Morgen werden wollte, hörte sie die Tritte zahlreicher [415] Leute immer näher kommen. Besorgt vor der drohenden Gefahr ging sie in den weiten Hofraum, der hinter dem Häuschen lag, und verbarg sich dort in einem großen Heuhaufen, den sie in dem einen Winkel liegen sah, um nicht so bald gefunden zu werden, auch wenn jene Leute dorthin kommen sollten. Kaum hatte sie sich indes versteckt, als jene, die einen großen Heerhaufen bösen Raubgesindels bildeten, auch schon bei dem Häuschen angelangt waren und sich die Tür öffnen ließen. Wie sie nun eintraten und das Pferd des Mädchens noch völlig gesattelt und gezäumt fanden, fragten sie, wer denn da sei. Da der gute Mann das Mädchen nicht mehr sah, antwortete er: »Niemand als wir selber. Jenes Pferd aber, das Gott weiß wem entlaufen sein mag, hat sich gestern abend hier eingefunden, und da haben wir es ins Haus geführt, damit es die Wölfe nicht fressen sollten.« »Wenn es denn keinen Herrn hat«, sagte der Älteste jenes Gesindels, »so wird es gut für uns sein.« Nach diesen Worten verteilten sie sich, um das ganze kleine Haus zu durchsuchen. Andere besichtigten den Hof und legten der größeren Bequemlichkeit wegen Spieße und Schilde ab. Dabei geschah es aber, daß einer, ohne zu wissen, was er tat, seine Lanze in jenen Heuhaufen warf und dadurch um ein Haar den Tod des verborgenen Mädchens oder doch wenigstens seine Entdeckung herbeigeführt hätte; denn die Lanze drang noch mit solcher Kraft bis in die Gegend ihrer linken Brust, daß die eiserne Spitze die Kleidungsstücke durchschnitt und das arme Mägdlein aus Furcht, verwundet zu werden, schon im Begriff war, einen lauten Schrei zu tun, als es noch rechtzeitig bedachte, wo es sei, und sich hinlänglich zusammennahm, um stillzuschweigen.

Als nun das Gesindel, der eine hier, der andere da, die Zicklein und allerlei anderes Fleisch gebraten, gegessen und dazu getrunken hatte, ging es seinen ferneren Unternehmungen nach und führte das Roß des Mädchens mit sich hinweg. Erst nachdem sie schon eine gute Strecke weit entfernt waren, fragte der gute Mann seine Frau: »Was ist denn aber nur aus dem Mädchen geworden, das gestern abend bei uns einkehrte? Ich habe es doch heute morgen, seit wir aufgestanden sind, nicht mehr gesehen.« Die Frau erwiderte, sie wisse es nicht, [416] und ging, um sich nach ihr umzutun. Das Mädchen aber hatte sich inzwischen überzeugt, daß jene abgezogen waren, und schlüpfte wieder aus dem Heu hervor. Der gute Mann freute sich sehr, daß sie dem Gesindel nicht in die Hände gefallen war, und sagte, da es schon zu dämmern begann: »Nun, da der Tag anbricht, wollen wir dich, wenn es dir recht ist, zu einer Burg geleiten, die nicht weiter als fünf Meilen von hier gelegen ist und dir völlige Sicherheit bieten wird. Du wirst den Weg aber schon zu Fuß machen müssen, da das böse Volk, das eben hier war, dein Pferd mitgenommen hat.« Das Mädchen beruhigte sich leicht über diesen Verlust und bat die guten Leute, sie um Gottes willen zu jener Burg zu führen. Sofort machten sie sich auf den Weg und kamen noch vor der zweiten Tagesstunde dort an. Die Burg gehörte aber einem Anverwandten der Orsini namens Liello von Campo di Fiore, und es traf sich, daß seine Frau, eine vortreffliche und fromme Dame, eben um jene Zeit dort war. Als diese das Mädchen erblickte, erkannte sie es sogleich, empfing es auf das freundlichste und verlangte den ganzen Zusammenhang der Ereignisse, die es dorthin geführt hatten, zu hören. Das Mädchen erzählte ihr alles, und die Dame, der auch Pietro als ein Freund ihres Mannes bekannt war, betrübte sich über diesen Unfall, da sie aus der Beschreibung des Ortes, wo er gefangen worden war, mit Gewißheit glaubte schließen zu müssen, daß man ihn umgebracht habe. Deshalb sagte sie zu dem Mädchen: »Da du nun doch nicht weißt, was aus Pietro geworden ist, so bleibe hier bei mir, bis ich Gelegenheit finde, dich auf sichere Weise nach Rom zu schicken.«

Während indes Pietro, grenzenlos betrübt, noch auf seiner Eiche saß, sah er um die Zeit, wo andere Leute kaum eingeschlafen zu sein pflegen, wohl zwanzig Wölfe durch den Wald herantraben, welche sich sämtlich an sein Pferd machten, sobald sie dessen ansichtig geworden waren. Als das Pferd sie witterte, zerriß es gewaltsam die Zügel, mit denen es angebunden war, und suchte zu entfliehen. Da die Wölfe es aber von allen Seiten umringten und die Flucht ihm verwehrten, verteidigte es sich eine lange Weile mit Hufen und Zähnen, bis es am Ende dennoch von ihnen zu Boden geworfen, [417] erwürgt und sogleich in Stücke zerrissen ward. Die Wölfe verschlangen das Fleisch, ohne etwas anderes als Knochen zurückzulassen, und liefen dann wieder weiter. Pietro, der das Pferd als seinen Leidensgefährten betrachtet hatte, der seine Mühsal erleichtern half, entsetzte sich nicht wenig über diesen Anblick und gab nachgerade alle Hoffnung auf, aus diesem Walde herauszukommen.

Wie er sich nun immer wieder forschend umsah, erblickte er, schon gegen die Morgendämmerung, in der Entfernung von etwa einer Meile ein großes Feuer. Kaum erwartete er nach dieser Entdeckung den hellen Tag, um, wenn auch nicht ohne große Angst, von seiner Eiche herabzusteigen und die Richtung des Feuers zu verfolgen. Als er es endlich erreicht hatte, fand er Hirten ringsumher gelagert, die fröhlich ihr Frühstück verzehrten und ihn mitleidig aufnahmen. Sie hießen ihn mitessen und sich wärmen, worauf er ihnen sein Mißgeschick berichtete und erzählte, wie er allein dorthin geraten sei. Dann fragte er sie, ob es denn kein Landgut oder keine Burg in der Nähe gebe, wohin er sich wenden könne. Die Hirten sagten ihm, daß etwa drei Meilen von da eine Burg des Liello von Campo di Fiore sei, auf der sich eben die Frau des Besitzers befinde. Erfreut über diese Nachricht bat Pietro, daß jemand von ihnen ihn bis zur Burg begleiten möge, und sogleich fanden ihrer zwei sich gern dazu bereit.

Während Pietro, sobald er auf der Burg angelangt war, durch ein paar Bekannte, die er dort antraf, noch zu bewirken suchte, daß das Mädchen im Walde gesucht würde, ließ die Frau des Hauses ihn zu sich rufen. Er verfehlte nicht, sogleich zu gehorchen, und unbeschreiblich groß war seine Freude, als er Agnolella bei ihr fand. Kaum wußte er sich zu bezwingen, daß er ihr nicht gleich um den Hals fiel, und nur die Scheu vor der Dame vermochte ihn daran zu hindern. War aber er voller Freude, so fühlte das Mädchen sich nicht weniger glücklich. Als nun die Dame ihn mit vieler Höflichkeit bei sich aufgenommen und alles, was sich zugetragen, von ihm gehört hatte, tadelte sie ihn sehr, daß er sich gegen den Willen seiner Angehörigen vermählen wolle. Da sie jedoch gewahr ward, daß er durch dies alles in seinem Entschluß nicht wankend wurde [418] und auch das Mädchen gleiche Wünsche hegte, sagte sie: »Was gebe ich mir viel Mühe? Sie lieben sich, sie kennen sich, beide sind gleichmäßig mit meinem Manne befreundet, ihre Wünsche sind der Sittsamkeit nicht zuwider, und ich muß wohl glauben, daß Gott seine Einwilligung dazu gegeben hat, da er den einen vom Galgen, die andere vom Lanzenstich und beide vor den wilden Tieren gerettet hat. So möge es denn in Gottes Namen geschehen.« Darauf fügte sie, zu den beiden gewandt, hinzu: »Ist es denn noch immer euer Wille, Mann und Frau zu wer den, so ist es auch der meine, und die Hochzeit soll hier auf Liellos Kosten gefeiert werden. Dann werde ich euch auch mit euren Angehörigen wieder aussöhnen.« Pietro war entzückt über diesen Entschluß, und Agnolella war es womöglich noch mehr.

Die Hochzeit, welche die edle Dame so festlich gerichtet hatte, wie es sich dort im Gebirge tun ließ, wurde auf der Burg gefeiert, wo denn die beiden Liebenden mit unbeschreiblicher Lust die ersten Freuden der Liebe kosteten. Einige Tage darauf stieg die Dame mit den beiden zu Pferd und ritt unter guter Bedeckung mit ihnen zusammen nach Rom zurück, wo sie die Angehörigen Pietros zwar über alles, was er getan hatte, sehr erzürnt fand, wo es ihr aber dennoch bald gelang, den Frieden wiederherzustellen. Und von der Zeit an lebte Pietro mit seiner Agnolella in Ruhe und Freuden bis in ihrer beider Alter.

Vierte Geschichte

Ricciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei dessen Tochter angetroffen. Er heiratet das Mädchen und söhnt sich mit ihrem Vater wieder aus.


Als Elisa schwieg und den Lobsprüchen lauschte, welche die Gefährtinnen ihrer Geschichte zollten, hieß die Königin Filostrato mit einer neuen Erzählung fortfahren. Dieser aber begann lachenden Mundes also:

Fast alle habt ihr mich gescholten, daß ich durch die von [419] mir gestellte Aufgabe Geschichten traurigen Inhalts herbeigerufen habe, über die ihr weinen mußtet. Um euch einigermaßen für jene Schmerzen zu entschädigen, will ich mir selbst auferlegen, euch mit etwas zu unterhalten, das euer Zwerchfell ein wenig erschüttert. Zu diesem Ende denke ich in einem kurzen Geschichtchen euch von einer Liebe zu erzählen, die, ohne anderes Ungemach als vorübergehende Seufzer und ein wenig mit Scham verbundene Angst erfahren zu haben, zu fröhlichem Ende gediehen ist.

Es ist nämlich noch gar nicht lange her, ihr edlen Damen, daß in der Romagna ein gar wackerer und wohlgesitteter Ritter, Messer Lizio da Valbona genannt, lebte, den seine Ehefrau, Madonna Giacomina, als er schon ziemlich bejahrt war, noch mit einer Tochter beschenkte, welche, wie sie heranwuchs, schöner und anmutiger wurde als alle anderen Mädchen in der ganzen Umgegend. Auch hatten Vater und Mutter, weil ihnen nur dies einzige Kind geblieben war, es über die Maßen lieb und bewachten es mit unglaublicher Sorgfalt, in der Meinung, dereinst noch einen gar vornehmen Schwiegersohn zu bekommen.

Nun besuchte ein junger Mann von schönem und frischem Aussehen, der zu der Familie Manardi in Brettinoro gehörte und Ricciardo hieß, häufig das Haus des Herrn Lizio und verweilte oft längere Zeit. Vor diesem aber hüteten weder Messer Lizio noch seine Frau das Mädchen mit größerer Vorsicht, als sie es vor ihrem eigenen Sohn getan hätten. Nachdem das Mädchen nun erwachsen geworden war, wurde der junge Mann gar wohl gewahr, wie schön, anmutig, gesittet und wohlerzogen es war, und verliebte sich in es auf das feurigste, hielt jedoch seine Liebe sehr sorgfältig verborgen. Dennoch erriet die junge Maid schnell seine Gefühle, und weit entfernt, sie abzulehnen, entsprach sie denselben zu Ricciardos größter Freude durch gleiche Gegenliebe.

Schon oft hatte er von seiner Liebe zu ihr sprechen wollen, und immer hatte er aus Scheu wieder geschwiegen. Endlich nahm er eines Tages seine Zeit wahr, faßte sich ein Herz und sagte zu ihr: »Caterina, ich bitte dich, laß mich nicht vor Liebe sterben.« Das Mädchen antwortete sogleich: »Wollte [420] Gott, du tätest es mir nicht noch ärger an.« Diese Antwort freute und ermutigte den Ricciardo so sehr, daß er erwiderte: »An mir soll es gewiß nie liegen, alles zu tun, was dir willkommen ist. Du aber vermagst die Mittel herauszufinden, die uns beiden das Leben wiedergeben können.« »Ricciardo«, entgegnete das Mädchen, »du siehst wohl, wie sehr ich bewacht werde. Ich weiß nicht, wie es anzustellen wäre, daß du zu mir kommen könntest. Weißt du aber ein Mittel, wie es ohne Schande für mich geschehen könnte, so will ich gern tun, was du verlangst.« Was das betraf, so hatte Ricciardo schon allerhand überdacht und antwortete nun sogleich: »Meine süße Caterina, auch ich weiß kein Mittel außer dem, daß du in dem Erker schliefest, der auf den Garten deines Vaters hinausgeht, oder wenigstens nachts dorthin kommen könntest. Wüßte ich dann, daß du da wärest, so sähe ich schon zu, so hoch es auch bis dort hinauf sein mag, daß ich hinaufkäme.« Darauf erwiderte Caterina: »Wenn du dich getraust hinaufzukommen, so denke ich, soll es mir auch gelingen, daß ich dort schlafen darf.« Nachdem Ricciardo das noch einmal bejaht hatte, küßten sich beide ein einziges Mal gar flüchtig und trennten sich alsdann.

Nun war der Mai schon nahe, und am andern Tag fing das Mädchen an, sich der Mutter gegenüber gewaltig zu beklagen, daß es in der vergangenen Nacht vor übermäßiger Hitze nicht habe schlafen können. »Wie, meine Tochter«, erwiderte die Mutter, »warm wäre es gewesen? Im Gegenteil, es war ja eher kühl.« Caterina aber antwortete: »Mutter, Ihr solltet lieber reden wie ich, und dann sagtet Ihr wohl die Wahrheit. Auf alle Fälle aber solltet Ihr bedenken, daß junge Mädchen mehr innere Wärme haben als bejahrte Frauen.« Darauf sagte die Mutter: »Darin hast du freilich recht, mein Kind. Doch kann ich nun einmal nicht nach Belieben warm und kalt machen, wie es dir vielleicht willkommen wäre. Das Wetter muß man schon ertragen, wie es die Jahreszeit eben mit sich bringt. Möglich, daß es in der nächsten Nacht kühler wird, und dann wirst du ja besser schlafen.« »Wollte Gott«, entgegnete Caterina, »aber es pflegt nicht gerade zu geschehen, daß die Nächte gegen den Sommer hin kühler werden.« »Was verlangst du denn aber, das[421] man tun soll?« sagte die Mutter. Caterina erwiderte: »Wenn es meinem Vater und Euch nicht unlieb wäre, ließe ich mir gern auf dem Erker, der an seine Stube stößt und nach seinem Garten hinausgeht, ein Bettchen machen und schliefe da. Gewiß, da hätte ich es beim Gesang der Nachtigall und bei größerer Kühle viel besser als in Eurem Schlafgemach.« Darauf sagte die Mutter: »So beruhige dich denn, meine Tochter. Ich werde es deinem Vater sagen, und was er beschließen wird, das werden wir tun.«

Als indes Messer Lizio, der vielleicht wegen seines Alters etwas eigensinnig war, diese Dinge vernahm, sagte er: »Was ist das für eine Nachtigall, bei deren Gesang sie schlafen will? Ich will sie lehren, beim Gesang der Heuschrecken einzuschlafen.« In der nächsten Nacht schlief Caterina, weniger vor Hitze als vor Ärger über die abschlägige Antwort ihres Vaters, nicht nur selber nicht, sie ließ auch, unter beständigem Klagen über die Wärme, ihre Mutter zu keinem Schlafe kommen. Am Morgen nach dieser übel verbrachten Nacht suchte die Mutter Messer Lizio auf und sagte zu ihm: »In der Tat, mein Gemahl, Ihr scheint unsere Tochter nicht besonders liebzuhaben. Was kann es Euch denn verschlagen, wenn sie die Nacht auf dem Erker schläft? Sie hat sich diese ganze Nacht vor Hitze nicht zu lassen gewußt. Und wie könnt Ihr Euch nur wundern, daß sie Gefallen daran findet, die Nachtigall singen zu hören? Ist sie doch noch ein halbes Kind, und junge Leute ergötzen sich nun einmal an den Dingen, die ihnen gleichen.« Als Messer Lizio diese Vorwürfe angehört hatte, sagte er: »Nun, meinetwegen, so laßt ihr denn ein Bett zurechtmachen, das klein genug ist, um auf dem Erker Platz zu finden. Sorge auch, daß ringsherum Vorhänge gespannt sind, und dann mag sie in Gottes Namen dort schlafen und die Nachtigall singen hören, soviel es ihr beliebt.«

Sobald die Maid die Einwilligung ihres Vaters vernommen hatte, ließ sie sogleich ihr Bett auf dem Erker aufschlagen, um schon die nächste Nacht dort schlafen zu können. Dann lauerte sie so lange, bis sie den Ricciardo zu sehen bekam und ihm das verabredete Zeichen geben konnte, das er auch sogleich verstand. Als Messer Lizio nun am Abend hörte, das Mädchen [422] sei zu Bett gegangen, verschloß er die Tür, die von seinem Zimmer aus auf jenen Erker führte, und legte sich dann gleichfalls schlafen. Ricciardo aber erkletterte, sobald alles im Hause still geworden war, zuerst mit einer Leiter eine Mauer. Dann arbeitete er sich an den Vorsprüngen einer anderen, anstoßenden Mauer mit unsäglicher Mühe und großer Gefahr herunterzustürzen, bis zu dem Erker vor, wo sein Mädchen ihn in aller Stille, aber voller Entzücken empfing.

Nach tausend ausgetauschten Küssen legten sich beide nieder und genossen fast die ganze Nacht hindurch alle Lust, die Liebende einander gewähren können, wobei sie denn begreiflicherweise die Nachtigall gar vielmals schlagen ließen. Nun geschah es aber, da ihre Freuden groß, die Nächte aber damals kurz waren und sie den Tag nicht so nahe vermuteten, wie er es wirklich war, daß sie beide, von der warmen Luft sowohl als auch von ihren Liebesspielen erhitzt, völlig unbedeckt einschliefen und daß Caterina, die den rechten Arm unter Ricciardos Hals gelegt hatte, mit der linken Hand das Ding festhielt, das ihr Mädchen euch, zumal vor Männern, zu nennen scheut.

Während sie noch so fortschliefen, überfiel sie der Tag, ohne sie zu wecken. Inzwischen war Messer Lizio aufgestanden, und da ihm eben einfiel, daß seine Tochter auf dem Erker schlief, sagte er bei sich selbst: »Sehen wir doch einmal nach, ob die Nachtigall diese Nacht Caterina einen besseren Schlaf geschenkt hat.« Damit ging er leise auf den Erker hinaus, hob den Vorhang auf, der um das Bett gespannt war, und erblickte sie nackt und bloß und so mit Ricciardo vereint, wie es vorhin beschrieben worden ist, schlafen. Sobald Messer Lizio vollkommen sicher war, daß es Ricciardo sei, schlich er sich wieder fort, ging in das Schlafgemach seiner Frau und weckte diese mit folgenden Worten: »Hurtig, Frau, steh auf und komm geschwind, um anzuschaun, wie deine Tochter an der Nachtigall so viel Wohlgefallen gefunden, daß sie diese gefangen hat und noch in den Händen hält.« »Wie wäre denn das zugegangen?« sagte die Frau. »Komm nur schnell«, erwiderte Messer Lizio, »und du wirst schon selbst sehen.«

Madonna Giacomina zog sich in aller Eile an und folgte [423] dann stillschweigend ihrem Gemahl zum Bette ihrer Tochter, wo sie dann allerdings, als dieser die Vorhänge auseinanderschlug, deutlich sah, wie Caterina die Nachtigall, die sie so gern singen hörte, gefangen hatte und noch festhielt. Hocherzürnt, daß Ricciardo sie so hintergangen hatte, wollte Madonna Giacomina schon Lärm schlagen und den jungen Mann schelten. Messer Lizio aber hielt sie zurück und sagte: »Frau, so dir meine Liebe wert ist, so hüte dich, den Mund aufzutun; denn wahrlich, da sie ihn nun einmal eingefangen hat, so soll sie ihn auch haben. Ricciardo ist von gutem Hause und dabei ein wohlhabender junger Mann. Die Verwandtschaft mit ihm kann uns nur Ehre bringen. Und will er im guten aus meinem Hause entlassen werden, so muß er sich zuvor mit ihr versperchen, damit er dann die Nachtigall in seinen eigenen Bauer gesteckt hat und nicht in einen fremden.«

Madonna Giacomina beruhigte sich, als sie ihren Mann über das Geschehene so wenig erzürnt sah, und war am Ende ganz zufrieden, daß ihre Tochter eine glückliche Nacht gehabt, gut geschlafen und obendrein die Nachtigall gefangen habe. Auch dauerte es nach diesem Gespräch nicht mehr lange, so erwachte Ricciardo. Als er sah, daß der helle Tag schon angebrochen war, hielt er sich für verloren, weckte Caterina und sagte: »Was soll nun aus uns werden, mein Herz? Der Tag ist schon gekommen, und ich bin noch hier?« Bei diesen Worten trat Messer Lizio hinzu, hob den Vorhang auf und sagte: »Wir werden es schon machen.« Als Ricciardo diesen erblickte, war es ihm nicht anders, als würde ihm das Herz aus dem Leibe gerissen. Sogleich setzte er sich im Bette auf und sagte: »Ach, Herr, um Gottes willen, ich bitte Euch um Gnade. Ich erkenne, daß ich als ein nichtswürdiger, böser Mensch den Tod verdient habe. Macht also mit mir, was Euch immer beliebt. Dennoch aber bitte ich Euch, wenn es sein kann, mir das Leben aus Gnade zu schenken und mich nicht umzubringen.« Darauf antwortete Messer Lizio: »Ricciardo, das habe ich mit der Liebe und dem Vertrauen, das ich zu dir hegte, nicht um dich verdient. Da es nun aber einmal so ist und deine Jugend dich zu einem solchen Vergehen verleitet hat, so nimm nun, um dich vor dem Tode, mich aber vor der Schande zu retten, Caterina [424] zu deiner rechtmäßigen Gemahlin, und dann mag sie so, wie sie heute nacht die Deine gewesen ist, ihr ganzes Leben über es bleiben. Auf diese Weise allein kannst du mich wieder versöhnen und dir selbst dein Leben retten. Bist du aber nicht gesonnen, so zu tun, dann beeile dich, deine Seele Gott zu befehlen.«

Während dieses Gespräches hatte Caterina die Nachtigall fahren lassen und sich zugedeckt. Nun aber weinte sie bitterlich und bat zum einen ihren Vater, dem Ricciardo zu vergeben, zum andern aber auch den letzteren zu tun, was Messer Lizio verlangte, damit sie dann noch lange dergleichen Nächte in allem Frieden genießen könnten. Indes bedurfte es dazu nicht erst vieler Bitten. Scham wegen des begangenen Fehltritts und der Wunsch, ihn wiedergutzumachen, Furcht vor dem Tode und das Verlangen nach Rettung und endlich die glühende Liebe und die sehnliche Lust, den geliebten Gegenstand zu besitzen, bewogen ihn insgesamt, sich aus freien Stücken und ohne langes Besinnen zu allem bereit zu erklären, was Messer Lizio begehrte. Darauf ließ dieser sich von Madonna Giacomina einen Ring leihen, mit dem Ricciardo in beider Gegenwart gleich an Ort und Stelle sich der Caterina ehelich verloben mußte. Erst nachdem dies geschehen war, ließen Messer Lizio und seine Gemahlin die Neuvermählten allein, und zwar mit den Worten: »Ruht euch nun aus, denn das wird euch vielleicht wohler tun, als aufzustehen.«

Kaum waren jene beiden fortgegangen, so umarmten sich die jungen Leute aufs neue und fügten zum Beschluß der ersten Tagereise den sechs Meilen, die sie während der Nacht zurückgelegt hatten, noch zwei andere hinzu, ehe sie aufstanden. Nachdem darauf Ricciardo sich mit Messer Lizio noch ausführlicher besprochen hatte, vermählte er sich wenige Tage später nach hergebrachter Sitte und in Gegenwart der Freunde und Verwandten abermals mit Caterina, führte sie mit vielen Festlichkeiten in seine Heimat, wo er eine prächtige, ehrenvolle Hochzeit ausgerichtet hatte, und ging dann in Ruhe und Freuden, bei Tag und bei Nacht, soviel es ihm nur beliebte, noch lange mit ihr auf den Nachtigallenfang.

[425] Fünfte Geschichte

Guidotto von Cremona vertraut sterbend dem Giacomino von Pavia seine Pflegetochter an. Giannole di Severino und Minghino di Mingole verlieben sich zu Faenza beide in sie und werden darüber miteinander handgemein. Endlich wird entdeckt, daß das Mädchen eine Schwester des Giannole ist, und Minghino erhält sie zur Frau.


Über die Geschichte von der Nachtigall hatten die Mädchen, während Filostrato erzählte, so sehr gelacht, daß sie auch nun, da er zu reden aufgehört hatte, des Lachens kein Ende finden konnten. Nachdem sie aber ihrer Lachlust eine Weile freien Lauf gelassen hatten, sagte endlich die Königin: »Wahrlich, betrübtest du uns gestern, so hast du uns heute zu solchem Lachen gekitzelt, daß sich keine mit gutem Grund mehr über dich beschweren kann.« Darauf richtete sie ihre Worte an Neifile und gebot ihr fortzufahren. Diese aber begann mit freundlichem Munde also zu reden:

Da Filostrato uns in seiner Geschichte nach der Romagna geführt hat, so beliebt es auch mir, in meiner Erzählung jene Landschaft lustwandelnd ein wenig zu durchstreifen.

Wisset nämlich, daß vorzeiten in der Stadt Fano zwei Lombarden wohnten, Guidotto von Cremona und Giacomino von Pavia genannt, die zwar beide schon bejahrt, in ihrer Jugend aber fast beständig das Waffenhandwerk als rüstige Krieger betrieben hatten. Als nun Guidotto sterben wollte und weder einen Sohn noch sonst einen Freund oder Verwandten besaß, dem er mehr getraut hätte als dem Giacomino, so hinterließ er diesem, nachdem er ihm noch mancherlei über seine Angelegenheiten gesagt hatte, neben allem, was er besaß, seine etwa zehnjährige Tochter und starb alsdann.

Um dieselbe Zeit geschah es aber, daß die Stadt Faenza, die lange von Krieg und Mißgeschick heimgesucht worden war, sich einigermaßen wieder erholte, und daß allen denen, die wieder dorthin zurückkehren wollten, Erlaubnis dazu erteilt ward. Deswegen zog auch Giacomino, der früher dort gewohnt und an dem Aufenthalt Gefallen gefunden hatte, mit allem, was ihm gehörte, wieder nach Faenza und nahm dabei das Mädchen, [426] welches Guidotto ihm hinterlassen und das er wie seine eigene Tochter liebte und pflegte, mit hinüber.

Als das Mädchen allmählich heranwuchs, wurde es ausnehmend schön, wie damals kaum ein anderes in jener Stadt zu finden war, und mit seiner Schönheit hielt seine Sittsamkeit und sein Anstand gleichen Schritt. Da fanden sich denn begreiflicherweise man che Liebhaber ein, unter denen jedoch vor allem zwei Jünglinge, die beide wohlerzogen und gut geartet waren, ihr gleichmäßig die innigste Liebe zuwandten und darüber aus Eifersucht den bittersten Haß gegeneinander faßten. Von diesen Jünglingen hieß der eine Giannole di Severino und der andere Minghino di Mingole, und keiner von den beiden hätte, als das Mädchen fünfzehn Jahre alt war, einen Augenblick gezögert, sie zur Frau zu nehmen, hätten ihre Angehörigen es zugelassen. Da sie aber sahen, daß man ihren Wünschen mit Gründen begegnete, die sie nicht aus dem Wege zu räumen vermochten, beschloß ein jeder von ihnen, sich auf was immer für eine Weise in ihren Besitz zu setzen.

Nun hatte Giacomino eine alte Magd und einen Diener im Hause, der Crivello hieß und ein lustiger und gar umgänglicher Kauz war. Mit diesem befreundete sich Giannole und entdeckte ihm, als er glaubte, daß es an der Zeit sei, seine Liebe mit der Bitte, ihm zu helfen, daß er ans Ziel seiner Wünsche gelange, wobei er ihm, wenn er willfährig sei, eine große Belohnung versprach. Darauf erwiderte ihm Crivello: »Ich sehe nicht, wie ich dir in dieser Angelegenheit anders behilflich sein könnte als dadurch, daß ich dich selbst, sobald Giacomino einmal zum Abendessen ausgehen sollte, in ihr Zimmer führe; denn wollte ich ihr nur das mindeste von dir sagen, so schenkte sie mir gewiß kein Gehör. Ist dir nun damit gedient, so verspreche ich es dir und werde mein Wort halten. Dann sieh du aber zu, was du tun willst, um dein Ziel zu erreichen.« Giannole versicherte, weiter nichts zu verlangen, und mit dieser Verabredung gingen sie auseinander.

Auf der anderen Seite hatte Minghino die alte Magd gewonnen und sich so sehr geneigt gemacht, daß sie schon mehrfach Bestellungen an das Mädchen besorgt und dieses beinahe für ihn entflammt hatte. Überdies aber hatte sie ihm auch versprochen, [427] daß sie ihn zu seiner Geliebten führen wolle, sobald Giacomino einmal einen Abend außerhalb des Hauses zubrächte.

Nun geschah es aber – nicht gar lange, nachdem die verschiedenen Parteien sich auf solche Weise verabredet hatten –, daß Giacomino einmal, wie es Crivello eingefädelt hatte, bei einem seiner Freunde zu Abend aß. Der Diener verfehlte nicht, es Giannole wissen zu lassen, und verabredete mit ihm, daß er auf ein gewisses Zeichen kommen und die Haustür offen finden solle. Zugleich unterrichtete aber auch die Magd, die von alldem nichts wußte, den Minghino, daß Giacomino nicht zu Hause esse, und sagte ihm, er möge sich nur in der Nähe des Hauses bereit halten, um, sobald er das verabredete Zeichen erblicken werde, zu kommen und zu seiner Geliebten zu gehen.

Als der Abend herankam, zogen die beiden Verliebten, ohne voneinander zu wissen, obgleich ein jeder den andern wegen seiner Absichten in Verdacht hatte, beide mit bewaffneter Begleitung aus, um vom Gegenstand ihrer Wünsche Besitz zu ergreifen. Minghino versteckte sich mit den Seinigen im nahegelegenen Haus eines seiner Freunde, um dort das Zeichen der Magd abzuwarten. Giannole dagegen hielt sich mit seinen Gefährten in einiger Entfernung von dem Hause.

Inzwischen suchten Crivello und die Magd, sobald Giacomino fortgegangen war, einer den andern auf jede erdenkliche Weise zu entfernen. Crivello sagte zur Magd: »Warum gehst du denn noch nicht schlafen? Was in aller Welt hast du dich noch im Hause herumzutreiben?« »Ich möchte nur wissen«, entgegnete die Magd, »warum du deinen Herrn nicht holen gehst. Warum wartest du denn, nun du gegessen hast?« Und so gelang es keinem, den andern von der Stelle zu bringen. Als aber endlich die Stunde herangekommen war, die Giannole mit Crivello verabredet hatte, sagte dieser bei sich selbst: »Was habe ich mich um die Alte zu kümmern? Will sie nicht still sein, so kann sie noch ihr Teil abkriegen.« Damit machte er das verabredete Zeichen und ging, um die Tür zu öffnen. Sogleich traten Giannole, der schon herbeigeeilt war, und zwei seiner Begleiter in das Haus und ergriffen das Mädchen, das sie im Saale fanden, um es fortzuschleppen.

[428] Das Mädchen aber schrie und wehrte sich, was es nur konnte, und die Magd schrie nicht minder. Minghino vernahm das Geschrei und eilte mit den Seinigen rasch dahin, von wo er es kommen hörte. Wie diese nun das Mädchen schon zur Tür herauszerren sahen, zogen sie sämtlich ihre Schwerter und riefen: »Ihr Verräter, ihr seid des Todes! Das soll euch nicht gelingen! Was ist das für ein Unfug?« Mit diesen Worten schlugen sie auf jene los, und über dem Lärm kamen denn auch die Nachbarn mit Lichtern und Waffen herbeigelaufen und tadelten nicht allein den versuchten Frevel, sondern standen auch dem Minghino tätig bei. So gelang es dem letzteren nach langem Kampfe, das Mädchen dem Giannole wieder abzunehmen und es in die Wohnung des Giacomino zurückzubringen. Das Handgemenge hatte aber nicht eher ein Ende, als bis die Lanzenknechte des Stadthauptmanns dazugekommen waren, die viele der Anwesenden und unter diesen namentlich den Minghino, den Giannole und den Crivello festnahmen und ins Gefängnis brachten.

Erst nachdem der ganze Lärm vorüber war, kam Giacomino nach Hause und war im Anfang äußerst ungehalten über das Geschehene. Als er aber bei genauerer Untersuchung des Vorfalls sich überzeugte, daß das Mädchen dabei vollkommen schuldlos war, beruhigte er sich ein wenig und nahm sich im stillen vor, es so bald wie immer möglich zu verheiraten, damit dergleichen sich nie mehr wiederholen könne.

Als die Angehörigen beider Parteien am andern Morgen der Wahrheit gemäß gehört hatten, was geschehen war, sahen sie wohl ein, welche üblen Folgen die Sache für die beiden jungen Leute haben konnte, wenn Giacomino diejenigen Schritte tat, zu denen er völlig berechtigt war. Deshalb gingen sie zu ihm und baten ihn mit guten Worten, daß er weniger auf die Beleidigung sehen möge, welche die jungen Männer in ihrer Unbesonnenheit ihm zugefügt hätten, als auf die Liebe und das Wohlwollen, das er, wie sie glaubten, für sie, die Bittenden, hege, wobei sie sich selber zu jeder Buße bereit erklärten, die zu fordern ihm beliebte, und dasselbe zugleich im Namen der beiden Anstifter anboten.

Giacomino, der in seinen Tagen mancherlei erlebt hatte und [429] ein Mann von wohlmeinender Gesinnung war, erwiderte mit wenig Worten: »Werte Herren, wäre ich auch hier in meiner Heimat, wie ich in der eurigen bin, so hegte ich dennoch viel zu viel Freundschaft für euch, um in dieser Sache anders als nach euren Wünschen zu verfahren. Um so mehr aber muß ich mich eurem Verlangen fügen, da ihr durch das Geschehene niemand als euch selbst zu nahe getreten seid. Wisset nämlich, daß das Mädchen, um das es sich handelt, nicht, wie die meisten glauben mögen, aus Cremona oder Pavia gebürtig, sondern eine Faentinerin ist, wenn auch weder ich noch sie selbst noch der, von dem ich sie erhalten habe, anzugeben wissen, wessen Tochter sie ist. Darum soll denn in der Angelegenheit, um derentwillen ihr mich bittet, alles so geschehen, wie ihr selbst bestimmen werdet.«

Als die guten Männer vernahmen, das Mädchen sei aus Faenza, wunderten sie sich nicht wenig und baten deshalb den Giacomino, nachdem sie ihm zuvor für seine wohlwollende Antwort gedankt hatten, daß er ihnen doch sagen möge, wie das Mädchen in seine Hände gekommen sei und wie er erfahren habe, daß sie aus Faenza stamme. Giacomino erwiderte ihnen: »Guidotto von Cremona, der mein Freund und Waffengefährte gewesen ist, sagte mir auf seinem Totenbette, daß er, als diese Stadt von Kaiser Friedrich eingenommen und dabei geplündert wurde, mit einigen seiner Gefährten in ein Haus eingedrungen sei, das sie zwar voller Sachen, aber von den Einwohnern verlassen gefunden hätten. Nur ein Kind von etwa zwei Jahren sei zurückgeblieben und habe ihm, wie er die Treppen hinaufgekommen sei, ›Vater‹ entgegengerufen. Dadurch zum Mitleid bewogen, habe er das kleine Mädchen nebst den übrigen Sachen, die er dort im Hause vorgefunden, mit sich nach Fano genommen. Dasselbe Mädchen nun hinterließ er mir bei seinem Tode mit allem, was er hatte, und trug mir auf, es zu verheiraten, wenn die Zeit dafür gekommen sei, und ihm alsdann alles, was sein gewesen, zur Mitgift zu geben. Nun wäre sie zwar alt genug, um zu heiraten, noch aber habe ich keinen gefunden, der mir genehm gewesen wäre. Doch käme ich gern bald dazu, damit Vorfälle wie die von gestern abend sich nicht wiederholen können.«

[430] Unter den Anwesenden war ein gewisser Guiglielmo aus Medicina, der sich genau erinnerte, was für ein Haus es gewesen war, das Guidotto ausgeplündert hatte. Und da er den Eigentümer desselben ebenfalls dort gegenwärtig sah, trat er zu ihm und sagte: »Bernabuccio, hörst du wohl, was Giacomino da sagt?« »Freilich«, erwiderte Bernabuccio, »und eben denke ich genauer über die Sache nach; denn ich erinnere mich sehr wohl, daß ich in der damaligen Verwirrung eine Tochter gerade in dem Alter, das Giacomino angab, verlor.« »Gewiß, das muß sie sein«, entgegnete Guiglielmo, »denn ich habe selbst einmal gehört, wie Guidotto das Haus beschrieb, wo er zu jener Zeit geplündert habe, und daraus ganz deutlich entnommen, daß es das deinige gewesen ist. Besinne dich also, ob du sie an keinem Zeichen wiederzuerkennen weißt, und dann schicke nach ihr, und du wirst ohne Zweifel finden, daß sie deine Tochter ist.«

Bernabuccio sann eine Weile nach und entsann sich am Ende wirklich, daß sie über dem linken Ohr eine kreuzförmige Narbe haben müsse, die entstanden war, als er ihr kurz vor jenem Ereignis dort ein kleines Gewächs hatte ausschneiden lassen. So ging er denn, ohne weiter zu zögern, auf Giacomino zu, der noch anwesend war, und bat ihn, daß er ihn mit sich nach Hause nehmen und ihm das Mädchen zeigen möge. Giacomino war gern dazu bereit und ließ das Mädchen rufen, sobald sie in sein Haus gekommen waren. Als Bernabuccio sie aber zu sehen bekam, war es ihm, als sähe er die Züge der Mutter, die noch eine schöne Frau zu nennen war, leibhaftig vor sich. Ohne sich indes damit zu beruhigen, bat er Giacomino um die Erlaubnis, ihr die Haare über dem linken Ohr ein wenig aufheben zu dürfen, was dieser auch gestattete. Bernabuccio trat zu dem Mädchen, das verlegen und beschämt dastand, und hatte ihm kaum mit der rechten Hand die Haare ein wenig gelüftet, als er auch schon das Kreuz erblickte und sich durch dieses Zeichen völlig überzeugte, daß es wirklich seine Tochter sei. Sogleich umarmte er sie unter vielen Tränen, wie sehr sie sich auch sträuben mochte, und sagte, zu Giacomino gewandt: »Teuerster Bruder, das Mädchen ist meine Tochter; das Haus, das Guidotto geplündert hat, war das meinige, in dem meine Frau bei dem plötzlichen Schrecken das Kind vergessen hatte, und[431] bis heute haben wir alle geglaubt, es sei an jenem Tage, wo mein Haus verbrannte, ebenfalls ein Raub der Flammen geworden.«

Als das Mädchen diese Worte vernahm, maß es ihnen Glauben bei, teils weil es den Sprecher schon bei Jahren sah, teils weil sich in seinem Herzen eine verborgene Stimme regte, und es fing, von nicht minderer Rührung ergriffen, gleichfalls zu weinen an. Bernabuccio schickte schnell nach ihrer Mutter und den andern Frauen der Verwandtschaft, sowie nach den Schwestern und Brüdern, zeigte sie ihnen allen, erzählte ihnen, was geschehen war, und führte sie dann nach tausend Umarmungen unter großen Festlichkeiten und mit voller Zustimmung des Giacomino in sein Haus.

Als diese Neuigkeiten dem Stadthauptmann, der ein wohlgesinnter Mann war, bekannt wurden, beschloß er, dem Giannole, den er noch gefangenhielt und der als Bernabuccios Sohn des Mädchen leiblicher Bruder war, sein Vergehen für diesmal ungestraft hingehen zu lassen. Daher redete er dem Bernabuccio wie dem Giacomino zu und brachte es glücklich dahin, daß dem Giannole wie dem Minghino verziehen und dem letzteren zu größerer Freude der Anverwandten das Mädchen, welches Agnesa hieß, verlobt wurde, worauf er dann auch den Crivello und die an dern, die um der gleichen Angelegenheit willen eingesperrt waren, mit ihnen zugleich freiließ.

Minghino aber feierte bald darauf mit großem Aufwand fröhliche Hochzeit, führte seine Braut heim und lebte noch viele Jahre glücklich und in Frieden.

[432] Sechste Geschichte

Gian von Procida wird bei seiner Geliebten, die inzwischen dem König Friedrich geschenkt worden war, überrascht und mit ihr an einen Pfahl gebunden, um verbrannt zu werden. Ruggieri dell' Oria erkennt und rettet ihn, und er wird ihr Gemahl.


Als die Geschichte der Neifile, die den Damen gar wohlgefallen hatte, beendigt war, befahl die Königin der Pampinea, daß sie sich rüsten möge, um eine neue zu erzählen. Pampinea erhob ihr klares Antlitz und begann sofort also:

Gewaltig, ihr munteren Mädchen, sind die Kräfte der Liebe, und zu den kühnsten Unternehmungen, zu übermäßigen und unglaublichen Gefahren leihen sie den Liebenden Mut, wie aus mehreren der Beispiele entnommen werden kann, die heute und an den vorigen Tagen bereits erzählt worden sind. Dennoch aber bin ich gesonnen, euch in der Geschichte eines verliebten jungen Mannes einen neuen Beweis dafür zu liefern.

Ischia ist eine Insel nahe bei Neapel, auf der vor einiger Zeit unter andern ein gar schönes und munteres Mädchen lebte, das Restituta hieß und die Tochter eines Edelmannes jener Insel, namens Marin Bolgaro, war. Diese nun liebte ein Jüngling von der benachbarten kleinen Insel Procida, der Gianni genannt wurde, mehr als sein Leben, und sie ihn nicht minder. Nicht allein, daß er bei Tag nach Ischia zu kommen und dort zu verweilen pflegte, um sie zu sehen, er war auch schon oftmals bei Nacht, wenn er eben keinen Kahn gefunden hatte, von Procida nach Ischia hinübergeschwommen, um, wenn auch nichts weiter, so doch wenigstens die Mauer ihrer Wohnung zu erblicken.

Während aber diese glühende Liebe noch bestand, geschah es, daß das Mädchen, als es eines Tages zur Sommerszeit ganz allein am Meeresufer lustwandelte und mit einem Messer Seemuscheln von den Steinen losbrach, sich von Fels zu Fels bis zu einer zwischen Klippen verborgenen Bucht verstieg, wo sich eben eine Anzahl junger Sizilianer, die von Neapel zurückkamen, angelockt vom kühlen Schatten und von der Annehmlichkeit einer eiskalten Quelle, mit ihrem Ruderschiffchen [433] ausruhten. Als diese die Schönheit des Mädchens sahen und zugleich gewahr wurden, daß es allein war und sie noch nicht bemerkt hatte, beschlossen sie, es festzuhalten und mit sich fortzuführen. Gesagt, getan; sie schleppten das Mädchen, wie sehr es auch schreien mochte, in ihr Fahrzeug und fuhren mit ihm davon.

Als sie in Kalabrien landeten und miteinander zu verhandeln anfingen, wem sie zufallen solle, begehrte jeder einzelne sie für sich allein. Wie sie sich nun gar nicht einigen konnten und wohl sahen, daß sie um des Mädchens willen noch miteinander in üble Händel kommen und ihre übrigen Angelegenheiten zugrunde richten könnten, kamen sie endlich dahin überein, sie dem König Friedrich von Sizilien, der um jene Zeit noch jung war und an schönen Frauen großes Gefallen fand, zum Geschenk zu machen. So taten sie denn auch wirklich, sobald sie nach Palermo gekommen waren.

Der König fand sie schön und nahm das Geschenk mit Freuden an. Da er aber eben ein wenig kränkelte, befahl er, daß sie, bis er sich wieder kräftiger fühlte, ein schönes Gebäude in einem königlichen Garten, der die Cuba genannt wird, beziehen und dort gehörig gepflegt werden solle. Und so geschah es.

Inzwischen war ganz Ischia wegen des geraubten Mädchens in der größten Bewegung, und was die Angehörigen dabei noch am meisten schmerzte, war, daß sie nicht herausbringen konnten, wer die Räuber gewesen wären. Gianni indes, dem mehr als einem andern daran gelegen war, genügende Auskunft zu erlangen, wollte nicht abwarten, bis der Zufall ihm in Ischia Nachrichten zuführte, sondern rüstete, sobald er erfahren hatte, nach welcher Seite jenes Fahrzeug sich gewandt habe, selbst ein Schiff aus und befuhr mit diesem, so schnell er konnte, die ganze Küste vom Minerva-Vorgebirge bis nach Scalea in Kalabrien. Überall forschte er nach Kunde von seiner Geliebten, und wirklich wurde ihm in Scalea berichtet, wie sizilianische Schiffer sie nach Palermo geführt hätten. Sogleich schiffte Gianni nach Palermo und suchte lange Zeit nach seinem Mädchen. Als er aber endlich erfuhr, sie sei dem König geschenkt worden und werde für diesen in der Cuba bewacht, betrübte er sich gar sehr und gab fast alle Hoffnung auf, sie nur noch einmal wiederzusehen, [434] geschweige denn, sie jemals zu besitzen. Weil ihn aber dennoch die Liebe festhielt, schickte er sein Schiffchen heim und ging, da er sicher war, daß niemand ihn kannte, bei seinem längeren Verweilen häufig an der Cuba vorüber.

Da traf es sich denn eines Tages so glücklich, daß er seine Restituta an einem Fenster erblickte und sie ihn ebenfalls gewahr wurde, worüber beide sich unsäglich freuten. Gianni aber, welcher sah, wie einsam und abgelegen die Gegend war, näherte sich dem Fenster, soviel er konnte, redete seine Geliebte an und ging nicht eher wieder von dannen, als bis sie ihm gesagt hatte, wie er es anzustellen habe, um mehr in der Nähe mit ihr zu sprechen, und er sich selbst die Örtlichkeiten sehr genau betrachtet hatte.

Als nun die Nacht gekommen und schon zum Teil verstrichen war, kehrte er zurück und kletterte über eine Mauer, die so glatt war, daß kein Specht sich daran hätte festhalten können, glücklich in den Garten hinüber. Hier fand er eine Stange, lehnte sie bei dem Fenster, welches das Mädchen ihm bezeichnet hatte, an die Wand und gelangte auf diese Weise ziemlich leicht hinauf. Das Mädchen aber meinte bei sich selbst, seine Jungfräulichkeit, um derentwillen es bis dahin gegen den Geliebten ein wenig streng gewesen war, sei nun doch verloren und es könne sich zumindest niemand ergeben, der seiner würdiger sei als eben er. Auch hoffte sie ihn zu bewegen, daß er sie entführe, und aus allen diesen Gründen hatte sie, entschlossen, ihm alles zu gewähren, was er von ihr wünschen könnte, das Fenster offengelassen, damit er gleich ohne weiteres in das Zimmer gelangen könne.

So schlüpfte denn Gianni leise durch das offene Fenster ins Zimmer und legte sich sofort zu dem Mädchen, das noch wach war. Bevor sie jedoch weiteres vornahmen, offenbarte ihm Restituta alle ihre Wünsche und bat ihn auf das inständigste, daß er sie von dort befreien und mit sich nehmen möge. Gianni erwiderte ihr darauf, daß ihm selbst nichts erwünschter sein könne. Auch versprach er ihr, sobald er sie verlassen hätte, alles so vorzubereiten, daß er sie mitnehmen könne, wenn er das nächste Mal wieder zu ihr komme. Nachdem sie diese Verabredungen miteinander getroffen hatten, umarmten sie sich [435] voller Entzücken und genossen das Vergnügen, das Amor selbst durch kein größeres zu überbieten vermag. Einige Male wiederholten sie diese Genüsse und schliefen endlich, ohne es selbst gewahr zu werden, einer in des andern Armen ein.

Inzwischen erinnerte sich der König der Maid, die ihm gleich beim ersten Anblick besonders wohlgefallen hatte, und da er sich wieder vollkommen gesund fühlte, beschloß er, obgleich es schon gegen Morgen war, sich eine Weile mit ihr zu ergötzen. Von einigen seiner Diener begleitet, machte er sich in der Stille nach der Cuba auf, ging in das Wohnhaus und trat, nachdem er sich die Türe leise hatte öffnen lassen, mit einer brennenden Wachsfackel in das Zimmer, in dem das Mädchen schlief. Gleich beim ersten Blick auf das Bett aber sah er sie, wie sie nackt und schlafend in Giannis Armen lag. Im ersten Augenblick waren sein Unmut und sein Zorn über diese Entdeckung so groß, daß wenig daran fehlte, so hätte er, ohne ein Wort zu sagen, beide mit einem Messer, das er bei sich trug, auf der Stelle erstochen. Dann aber überlegte er, wie die Ermordung zweier Nackender im Schlafe jedermann, geschweige denn einen König, schändete, und er bezwang sich deshalb in der Absicht, sie öffentlich und zwar durchs Feuer, hinrichten zu lassen. Darauf sagte er zu dem einzigen Begleiter, der bei ihm war: »Was hältst du von diesem verworfenen Geschöpf, auf das ich bisher meine Hoffnung gerichtet hatte?« Dann fragte er ihn weiter, ob er den jungen Menschen kenne, der keck genug gewesen sei, ihm, dem Könige, in seinem eigenen Hause Schimpf und Kränkung zuzufügen. Der Gefragte erwiderte indes, daß er sich nicht erinnere, ihn jemals gesehen zu haben.

Darauf verließ der König in großer Erbitterung das Zimmer und befahl, daß die beiden Liebenden, nackend wie sie waren, gefangen und gebunden und, sobald es heller Tag wäre, nach Palermo geführt würden. Dort solle man sie dann auf dem großen Platz, die Rücken gegeneinandergekehrt, an einen Pfahl binden und, nachdem sie bis zur dritten Stunde den Augen aller in diesem Zustande bloßgestellt worden wären, verbrennen, wie sie es verdient hätten. Nachdem er dies alles angeordnet, kehrte er, noch immer gar zornig, nach Palermo in [436] seine Gemächer zurück. Kaum aber war der König fortgegangen, so fielen die Diener in großer Anzahl über die Liebenden her und erweckten sie nicht allein aus ihrem Schlafe, sondern fingen und banden sie auch alsbald ohne jedes Mitleid.

Wie erschrocken und traurig die Liebenden bei alldem waren, das sie mit sich geschehen sahen, und wie sehr sie unter Tränen und Wehklagen für ihr Leben zitterten, erkennt wohl jeder, ohne daß ich davon spreche. Wie der König befohlen hatte, so wurden sie nach Palermo geführt und auf dem Platze an einen Pfahl gebunden. Dann ward vor ihren Augen Scheiterhaufen und Feuer gerüstet, um sie zu der vom König angeordneten Stunde zu verbrennen. Binnen kurzem zog die Neugier, die beiden Liebenden zu sehen, alle Männer und Frauen Palermos auf jenen Platz. Die Männer strömten herbei, um den Anblick des Mädchens zu genießen, und ebenso wie sie ihre vollkommene und in allen Teilen gleiche Schönheit priesen, versicherten die Frauen, die alle herbeikamen, um den Jüngling zu sehen, einstimmig, daß auch er durchaus schön und wohlgebaut sei. Die beiden Unglücklichen aber standen, beide voller Scham, in steter Erwartung des grausamen Feuertodes mit gesenktem Haupte und beweinten ihr Mißgeschick.

Während sie aber noch also bis zur bestimmten Stunde ausgestellt standen und ihr Vergehen von Mund zu Munde ging, gelangte die Nachricht auch zu Ruggieri dell' Oria, einem Manne von unschätzbarer Tapferkeit, der damals Admiral des Königs war. Gleich den übrigen ging auch er zu dem Platze, wo sie gebunden standen, und beschaute, wie er dort angelangt war, zuerst das Mädchen und lobte ihre Schönheit gar sehr. Als er aber darauf den jungen Mann betrachtete, erkannte er ihn mit leichter Mühe, trat deshalb näher zu ihm heran und fragte ihn, ob er Gianni von Procida sei. Als Gianni das Gesicht erhob und den Admiral erkannte, erwiderte er: »Mein guter Herr, wohl war ich der, um den Ihr mich befragt; bald aber werde ich aufgehört haben, es zu sein.« Darauf fragte ihn der Admiral, was ihn denn in solche Lage gebracht habe, und Gianni antwortete ihm: »Die Liebe und des Königs Zorn.«

Der Admiral ließ sich die ganze Geschichte ausführlicher erzählen und wollte, wie er alles gehört hatte, von dannen [437] gehen. Gianni aber rief ihn zurück und sagte: »Ach, edler Herr, wenn es Euch möglich ist, so erwirkt mir eine Gnade von dem, um dessentwillen ich hier so stehen muß.« Ruggieri fragte: »Was denn für eine?« Gianni aber antwortete: »Ich sehe wohl, daß ich hier und binnen kurzem sterben muß. Nun erbitte ich mir aber als Gnade, daß ich, ebenso wie ich jetzt mit dem Rücken gegen das Mädchen stehe, das ich mehr als mein Leben geliebt habe, und sie mich nicht minder, ihr das Gesicht zukehren darf und sie mir, auf daß ich noch im Tode im Anblick ihrer Züge Trost und Frieden finden möge.« Ruggieri erwiderte lächelnd: »Das will ich gern tun und will es schon dahin bringen, daß du sie noch bis zum Überdrusse sehen sollst.« Damit verließ er ihn und gebot denjenigen, die beauftragt waren, jene Hinrichtung ins Werk zu setzen, nichts weiter zu tun, bevor nicht neue Befehle vom König einträfen.

Dann aber ging er geradenwegs zum König und scheute sich nicht, so sehr er ihn auch erzürnt sah, ihm über das, was er soeben erfahren hatte, unverhohlen seine Meinung zu sagen. »Mein König«, begann er, »wodurch hat das junge Paar, das auf deinen Befehl dort unten auf dem Platze verbrannt werden soll, dich beleidigt?« Der König gab ihm Auskunft, und Ruggieri fuhr darauf also fort: »Das Vergehen, dessen sie sich schuldig gemacht, verdient allerdings solche Strafe, nicht aber von dir; denn wie den Missetaten Strafen gebühren, so auch den Wohltaten Belohnungen, von Gnade und Erbarmen gar nicht einmal zu reden. Weißt du denn auch, wer die beiden sind, die du verbrennen lassen willst?« »Nein«, erwiderte der König. »So sollst du es denn erfahren«, sagte Ruggieri darauf, »damit du erkennen mögest, wie wohlgetan es war, dich von den Aufwallungen deines Zornes so hinreißen zu lassen. Der junge Mann ist ein Sohn des Landolfo von Procida, der selbst ein leiblicher Bruder eben jenes Messer Gian von Procida ist, durch dessen Hilfe du König dieser Insel bist. Das junge Mädchen aber ist eine Tochter des Marin Bolgaro, dessen Ansehen du es allein zu danken hast, wenn deine Herrschaft über Ischia noch anerkannt wird. Überdies sind das zwei junge Leute, die schon seit langem einander lieben und nur von der Gewalt der Liebe bezwungen, keineswegs aber, um deine Majestät zu kränken, [438] sich jenes Vergehens schuldig ge macht haben, wenn es ein Vergehen genannt werden kann, wozu die Liebe junge Menschen führt. Warum also schickst du die in den Tod, die du mit erlesenen Aufmerksamkeiten und Geschenken ehren solltest?«

Als der König diese Rede vernahm und deutlich erkannte, daß Ruggieri die Wahrheit sagte, stellte er nicht nur sein grausames Verfahren ein, sondern bereute auch, was er bis dahin getan hatte. Alsbald befahl er, daß die beiden jungen Leute vom Pfahle losgebunden und vor ihn gebracht werden sollten. Und so geschah es. Dann aber sann er darauf, wie er, da ihm nun alle ihre Umstände bekannt geworden waren, durch Ehrenbezeigungen und Geschenke das ihnen angetane Unrecht wiedergutmachen könnte. Zu diesem Ende ließ er sie zunächst auf das anständigste bekleiden und feierte dann, da er hörte, daß beide in ihren Wünschen übereinstimmten, die Verlobung zwischen Gianni und dem jungen Mädchen. Doch erst als er ihnen auch noch prachtvolle Geschenke gegeben hatte, schickte er sie zu ihrer großen Zufriedenheit in ihre Heimat zurück, in der sie mit lautem Jubel empfangen wurden und dann noch lange in Lust und Freuden miteinander lebten.

Siebente Geschichte

Theodor verliebt sich in Violante, die Tochter des Messer Amerigo, seines Herrn, schwängert sie und wird deshalb zum Strange verurteilt. Während er mit Geißelhieben zur Hinrichtung geführt wird, erkennt und befreit ihn sein Vater, und er vermählt sich mit Violante.


Als die Damen, die mit Bangigkeit erwartet hatten, ob die beiden Liebenden verbrannt würden oder nicht, vernahmen, daß sie gerettet wurden, dankten sie Gott dafür und freuten sich alle. Die Königin aber übertrug, als die Geschichte zu Ende war, Lauretta die Pflicht weiterzuerzählen, und diese begann fröhlichen Mutes also:

Schöne Damen, zu der Zeit, als der gute König Wilhelm Sizilien beherrschte, wohnte auf jener Insel ein Edelmann, [439] namens Amerigo Abate von Trapani, der unter andern zeitlichen Gütern auch mit Kindern reichlich gesegnet war. Weil er nun deshalb einer zahlreichen Dienerschaft bedurfte, kaufte er, als eines Tages genuesische Korsaren auf ihren Galeeren aus der Levante zurückkamen, wo sie, an den Küsten Armeniens kreuzend, viele Kinder gefangen hatten, einige von diesen, die er für Türken hielt.

Unter ihnen befand sich aber ein Knabe namens Theodor, der sich, während alle übrigen Hirtenkinder zu sein schienen, durch ein vornehmeres und adliges Aussehen von ihnen unterschied. Als dieser mit der Zeit älter wurde, wuchs er, obgleich er für einen Knecht galt, mit des Messers Amerigo Kindern im Hause auf und nahm dabei, mehr von seiner inneren Natur geleitet als von der Lage, in welche der Zufall ihn versetzt, ein so gefälliges Betragen und so gute Sitten an, daß Messer Amerigo ihn wegen des Wohlgefallens, das er an ihm fand, aus der Knechtschaft freiließ. Dann ließ er ihn, in der Annahme, daß er ein Türke sei, auf den Namen Pietro taufen, machte ihn zu seinem Haushofmeister und vertraute ihm in allen Stücken.

Während aber die übrigen Kinder des Messer Amerigo heranwuchsen, kam auch eine seiner Töchter, die Violante genannt ward und ein gar schönes und zierliches Mädchen war, zur Reife, und da der Vater eine Weile zögerte, sie zu verheiraten, wollte der Zufall, daß sie sich in Pietro verliebte. So sehr sie ihn aber auch liebte und so hohe Meinung sie von seinen Sitten und seiner Tapferkeit hegte, scheute sie sich dennoch, ihm ihre Neigung zu offenbaren.

Indes, binnen kurzem tat Amor es an ihrer Stelle. Denn nachdem auch Pietro sie einige Male aufmerksam betrachtet hatte, verliebte er sich so in sie, daß er sich unglücklich fühlte, solange er nicht mit ihr zusammen war. Auch er aber fürchtete sich, daß irgend jemand diese Liebe, die er selbst für eine unerlaubte hielt, gewahr werde. Das Mädchen jedoch erriet, weil es ihn liebhatte, bald seine Gesinnung, und um ihm Mut zu machen, zeigte es sich, wie es auch wirklich war, über seine Aufmerksamkeiten ausnehmend erfreut. Dennoch währte es lange Zeit, daß sie beide, so großes Verlangen sie auch danach [440] trugen, sich nicht getrauten, das mindeste über ihre Neigung zueinander zu sagen. Endlich wußte der Zufall, während sich beide, in den gleichen Liebesflammen entbrannt, verzehrten, als wenn er alle Umstände absichtlich zu diesem Zwecke herbeigeführt hätte, Mittel und Wege zu finden, durch welche sie über die scheue Furcht, die sie befangen machte, hinwegkamen.

Messer Amerigo hatte, kaum eine Meile von der Stadt entfernt, eine gar schöne Besitzung, welche seine Gattin mit ihrer Tochter und mit anderen Damen oft zur Erholung zu besuchen pflegte. Eines Tages nun, als sie den Pietro mitgenommen hatten und dort verweilten, traf es sich, wie wir es häufig im Sommer geschehen sehen, daß der Himmel sich plötzlich mit finsteren Wolken umzog. Um von dem Unwetter nicht dort draußen überfallen zu werden, machte die Dame sich mit ihrer Gesellschaft, so rasch sie nur konnte, auf den Rückweg nach Trapani. Pietro und das Mädchen aber überholten, weil sie beide jung waren, die Mutter und die anderen Gefährtinnen, die bei ihr blieben, um vieles, und vielleicht war es ebensowohl die Liebe als die Furcht vor dem Gewitter, welche ihre Schritte beflügelte.

Schon waren die beiden jungen Leute der übrigen Gesellschaft so weit voraus, daß sie kaum mehr gesehen werden konnten, als es so heftig zu donnern und ein so dichter und schwerer Hagel zu fallen begann, daß die Dame mit ihrer Begleitung nur eben noch imstande war, sich in ein Bauernhaus zu flüchten. Pietro und das Mädchen aber suchten, weil sie in der Eile keinen andern Zufluchtsort finden konnten, Schutz in einem alten und fast ganz verfallenen Hause, das von niemand mehr bewohnt wurde. Das Dach dieses Hauses war so beschädigt, daß nur ein kleiner Teil davon noch vorhanden war und die beiden jungen Leute, die sich unter diesen Rest flüchteten, durch die Enge des geschützten Raumes einander zu berühren genötigt waren.

So nahe Berührung ermutigte die Liebenden, sich ihre liebevollen Wünsche zu gestehen, und Pietro begann zuerst: »Wollte nur Gott, daß dieser Hagel nie ein Ende nähme, wenn ich, solange er dauert, so wie jetzt bleiben dürfte.« »Ach, das wäre [441] ich wohl auch zufrieden«, sagte darauf das Mädchen, und von solchen Reden gingen sie dazu über, einander bei der Hand zu nehmen und zu drücken, dann umarmten und küßten sie sich, und derweil hagelte es noch immer fort. Um aber nicht alle Einzelheiten zu erzählen, sage ich nur: das Wetter heiterte sich nicht eher auf, als bis sie einander die höchsten Freuden der Liebe gelehrt und sich auch schon verabredet hatten, wie sie sich in Zukunft miteinander erfreuen wollten.

Nachdem sich das schlechte Wetter verzogen hatte, warteten die beiden jungen Leute am Eingang der Stadt, bis wohin sie nicht mehr weit hatten, die Mutter ab und gingen mit ihr nach Hause. Hier kamen sie später unter wohlgetroffenen Vorsichtsmaßregeln und zu ihrer großen Lust mehr als einmal ganz im Verborgenen zusammen, und so geschah es am Ende, daß das Mädchen schwanger wurde. Das war nun beiden Teilen freilich alles andere als lieb, weshalb sie es denn auch nicht an allerhand Mitteln fehlen ließen, damit Violante gegen die Ordnung der Natur ihrer Leibesfrucht ledig werde; doch alles blieb umsonst. Da glaubte sich nun Pietro seines Lebens nicht mehr sicher und sagte zu seiner Geliebten, daß er zu fliehen gedenke. Sie aber antwortete ihm: »Wenn du mich verläßt, werde ich mir ein Leid antun.« Pietro war dem Mädchen von ganzer Seele gut und sagte: »Liebes Herz, wie kannst du nur wollen, daß ich bleiben soll? Deine Schwangerschaft wird unseren Fehltritt ans Licht bringen. Du erhältst dann wohl leichter Vergebung, ich Armer aber werde zugleich für deine und meine Schuld die Buße tragen müssen.« Das Mädchen erwiderte: »Pietro, mein Vergehen wird freilich an den Tag kommen. Das deinige aber, verlasse dich darauf, soll gewiß niemand erfahren, dem du es nicht selbst sagst.« »Wohlan denn«, entgegnete Pietro, »weil du mir das gelobst, so will ich bleiben. Denke mir aber an dieses Versprechen.«

Obgleich das arme Mädchen seinen Zustand verborgen gehalten hatte, solange es nur immer möglich gewesen war, fühlte es am Ende selbst, daß das Anschwellen des Leibes fernere Heimlichkeit unmöglich machte, und gestand eines Tages unter tausend Tränen und Bitten um Erbarmen der Mutter den Zustand, in dem es sich befand. Die Mutter kannte sich kaum vor [442] Zorn und verlangte mit den härtesten Worten, daß sie ihr gestehen solle, wie alles sich zugetragen. Um indes ihrem Pietro keine Ungelegenheiten zu bereiten, erfand sich das Mädchen eine Fabel, die es der guten Dame statt der Wahrheit aufband. Diese glaubte auch wirklich, was ihr erzählt wurde, und schickte die Tochter, um ihren Fehltritt geheimzuhalten, fort auf eines ihrer Güter.

Als nun aber die Zeit der Niederkunft herangekommen war und die Wöchnerin eben in den Wehen schrie, traf es sich, daß in einem Augenblick, wo die Mutter sich dessen am wenigsten versah, Messer Amerigo, der dieses Landhaus bis dahin fast noch niemals besucht hatte, bei der Heimkehr vom Vogelstellen an dem Zimmer vorüberritt, wo seine Tochter kreißend lag, und voll Erstaunen über ihr Geschrei plötzlich eintrat, um nach der Ursache zu fragen. Als die Mutter sich so von ihrem Gatten überrascht sah, erhob sie sich betroffen und erzählte ihm, was sich mit ihrer Tochter zugetragen. Messer Amerigo aber antwortete, minder leichtgläubig als seine Frau es gewesen war, es könne nicht an dem sein, daß das Mädchen nicht wissen sollte, von wem es schwanger sei. Er verlange durchaus die Wahrheit zu wissen, aufrichtiges Bekenntnis sei das einzige Mittel zur Verzeihung. Ohne das könne sie sicher sein, daß sie ohne Barmherzigkeit sterben müsse. Zwar gab die Mutter sich alle Mühe, ihrem Mann die Fabel, die sie ihm erzählt hatte, einzureden, doch half ihr das zu nichts. Vielmehr stürzte er im höchsten Zorn mit bloßem Degen über das Mädchen her, welches, während ihn die Mutter noch mit Worten hingehalten, von einem Knaben entbunden worden war, und rief: »Gestehe, wer des Kindes Vater ist, oder stirb auf der Stelle!« Da machte die Todesfurcht Violante wortbrüchig gegen ihren Pietro, und sie bekannte alles, was zwischen ihm und ihr vorgefallen war.

Der Ritter geriet bei diesem Bericht in so unmäßige Wut, daß er sich kaum enthalten konnte, die Tochter umzubringen. Als er ihr aber alles gesagt hatte, was der Zorn ihm eingab, ritt er eilig nach Trapani zurück und verklagte den Pietro bei Messer Currado, dem königlichen Hauptmann, wegen des Schimpfes, den jener ihm angetan. Der Hauptmann ließ Pietro, [443] der auf nichts dergleichen gefaßt war, alsbald gefangennehmen und brachte ihn auf der Folter schnell zum völligen Geständnis, worauf er nach wenigen Tagen verurteilt ward, erst durch die ganze Stadt gepeitscht und dann gehängt zu werden.

Damit nun dieselbe Stunde dem Leben der beiden Liebenden und dem ihres Kindes ein Ende mache, mischte Messer Amerigo, dessen Zorn durch das Todesurteil, das er dem Pietro bereitet, noch nicht abgekühlt war, Gift und Wein in einem Becher zusammen. Dann gab er ihn nebst einem blanken Dolch und mit folgenden Worten einem seiner Diener: »Gehe mit diesen Dingen zu Violante und sage ihr in meinem Namen, sie solle sich schnell zu einer von diesen beiden Todesarten, Dolch oder Gift, entschließen. Widrigenfalls ließe ich sie, wie sie es verdient hat, angesichts aller Einwohner unserer Stadt verbrennen. Wenn du das besorgt hast, nimm den Knaben, den sie vor wenigen Tagen zur Welt gebracht, schleudere ihn mit dem Schädel an die Wand und wirf ihn dann den Hunden zum Fraße vor.« Diesen grausamen Befehl des lieblosen Vaters nahm der Diener nicht eben mit milderer Gesinnung entgegen und machte sich auf den Weg.

Während inzwischen der zum Tode verurteilte Pietro zum Galgen gepeitscht wurde, kam er, weil die Henkersknechte an der Spitze des Zuges ihn so führten, zufällig an einem Gasthaus vorbei, in welchem drei Edelleute aus Armenien wohnten. Es waren nämlich diese drei vom König von Armenien als Gesandte nach Rom geschickt worden, um mit dem Papst wegen eines neu zu unternehmenden Kreuzzuges wichtige Angelegenheiten zu verhandeln. Jetzt aber hatten sie sich einige Tage in Trapani aufgehalten, um sich auszuruhen und zu stärken, und waren von den vornehmeren Einwohnern der Stadt, besonders aber von Messer Amerigo, auf das ehrenvollste aufgenommen und bewirtet worden.

Als nun die drei Edelleute den Zug vorübergehen hörten, in dem Pietro gebracht ward, traten sie ans Fenster, um zuzusehen. Pietro war vom Gürtel an völlig entkleidet und hatte die Hände auf den Rücken gebunden, und so konnte denn der eine dieser drei Gesandten, der Phineus hieß und ein bejahrter Mann von großem Ansehen war, auf des jungen Mannes Brust[444] deutlich einen großen brennend roten Fleck wahrnehmen, der nicht von vorübergehender Färbung herrührte, sondern von Natur aus der Haut selbst innewohnte, der mit andern Worten ein Muttermal war, wie wir es nennen. Beim ersten Anblick dieses Males gedachte Phineus sogleich seines Sohnes, der ihm nun bereits vor fünfzehn Jahren am Strand von Lajazzo durch die Korsaren geraubt worden war, ohne daß er je weitere Nachricht von ihm erhalten hätte. Und wenn er das Alter des Unglücklichen, der da gepeitscht wurde, überschlug, so deuchte es ihm, daß sein Sohn, wenn er noch am Leben wäre, jetzt in denselben Jahren sein müßte. Dies alles bestärkte ihn in der Vermutung, die jenes Mal zuerst in ihm erregt hatte. Weil er aber meinte, daß der junge Mensch, wenn es wirklich sein Sohn sei, sich gewiß seines eigenen sowohl als auch des väterlichen Namens und der armenischen Sprache erinnern werde, rief er, als der Verurteilte ihm ganz nahe gekommen war: »Theodor!« Kaum hatte Pietro diesen Namen vernommen, so blickte er auf. Phineus aber fragte ihn auf armenisch: »Woher stammst du, und von welchem Vater?« Die Schergen hielten aus Rücksicht für den angesehenen Frager inne, so daß Pietro antworten konnte: »Ich stamme aus Armenien, mein Vater hieß mit Namen Phineus, und ich wurde als kleines Kind hierher geschleppt, von welchem Volke weiß ich nicht.«

Als Phineus diese Antwort vernahm, erkannte er in dem jungen Mann zuverlässig den einst verlorenen Sohn. Sofort eilte er weinend mit seinen Gefährten die Treppe hinab und umarmte sein Kind mitten unter den Henkersknechten. Dann aber hüllte er den Sohn in den Mantel von kostbarem Stoff, mit dem er selbst bekleidet war, und bat den Schergen, der ihn zum Tode führen sollte, daß er ihm zuliebe so lange verziehen möge, bis ihm befohlen würde, den Verurteilten weiterzuführen. Der Scherge war gern bereit zu warten. Phineus aber, der schon zuvor durch das Gerücht, welches die ganze Stadt durchlief, erfahren hatte, um welcher Ursache willen der Jüngling zum Tode geführt werde, begab sich eilig mit seinen Gefährten und der ganzen Dienerschaft zu Messer Currado und sprach zu ihm: »Herr, der Mensch, den Ihr da als einen Knecht zum Tode schickt, ist ein freier Mann und mein Sohn. Auch ist [445] er gern bereit, das Mädchen, dem er, wie man sagt, die Jungfernschaft genommen hat, zur Frau zu nehmen. Laßt denn also die Hinrichtung so lange verschieben, bis man Erkundigungen eingezogen hat, ob das Mädchen ihn zum Manne haben will. Denn wolltet Ihr diesen Aufschub verweigern und sie erklärte sich nachher bereit, so hättet Ihr den Gesetzen zuwider gehandelt.«

Die Nachricht, daß der Verurteilte ein Sohn des Phineus sei, überraschte Messer Currado nicht wenig, und er schämte sich, daß der Zufall ihn einen so harten Spruch hatte tun lassen. Da er aber gestehen mußte, daß Phineus mit dem recht hatte, was er behauptete, hieß er ihn sogleich nach Hause gehen und berichtete dann dem Messer Amerigo, den er inzwischen zu sich berufen, was er soeben erfahren hatte. Messer Amerigo, der nicht anders glaubte, als Tochter und Enkel seien schon umgebracht, bereute seine Grausamkeit über alle Maßen, denn es leuchtete ihm wohl ein, daß ohne jenen Mord alles Geschehene hätte wiedergutgemacht werden können. Nichtsdestoweniger sandte er in größter Eile hinaus zu der Tochter, damit sein Befehl, wenn es nicht schon zu spät sei, nicht mehr ausgeführt würde. Der Bote fand den Diener, den Messer Amerigo zuvor hinausgesandt, wie er Violante, die sich nicht so bald hatte entschließen können, zwischen Gift und Dolch zu wählen, die härtesten Worte sagte und sie mit Gewalt zwingen wollte, mit einem von beiden ihrem Leben ein Ende zu machen. Kaum aber hatte er den Willen seines Herrn vernommen, so ließ er das Mädchen in Ruhe und kehrte zu jenem zurück, um ihm über den Hergang der Sache Bericht zu erstatten.

Voller Freude über diese Kunde suchte Messer Amerigo alsbald den Phineus auf, entschuldigte sich schier unter Tränen, so gut er nur wußte und konnte, wegen des Geschehenen und versicherte, wenn Theodor seine Tochter zur Frau nehmen wolle, sei er gern bereit, sie ihm zu geben. Phineus nahm jene Entschuldigung willig auf und erwiderte dann: »Meine Meinung ist, daß mein Sohn Eure Tochter zur Frau nehmen soll, und daß, wenn er es nicht tun will, das über ihn verhängte Urteil vollstreckt werden müßte.«

Nachdem Phineus und Messer Amerigo auf solche Weise [446] übereingekommen waren, fragten sie den Theodor, der zugleich vor Todesfurcht zitterte und sich freute, seinen Vater wiedergefunden zu haben, was er in jener Angelegenheit zu tun gedenke. Als dieser vernahm, daß Violante, wenn er wolle, nun seine Gemahlin würde, war seine Freude so groß, daß ihm nicht anders zumute war, als sei er aus der Hölle ins Paradies gesprungen; und er versicherte beiden, wenn sie es nur zufrieden wären, bedeutete es für ihn das größte Glück.

Ebenso schickte man zu Violante, um ihren Willen zu erfahren. Als diese, die in beispielloser Traurigkeit nichts als den Tod vor Augen sah, vernahm, was sich mit Theodor zugetragen hatte und was ferner noch in Erfüllung gehen sollte, maß sie den Worten erst nach geraumer Zeit einigen Glauben bei und konnte sich doch nur halb freuen. Dann aber sagte sie, wenn ihre Wünsche wahr werden sollten, könne sie freilich nichts glücklicher machen, als Theodors Frau zu sein. In jedem Falle aber werde sie tun, was ihr Vater von ihr verlange.

So wurde denn mit allgemeiner Zustimmung die Verlobung des Mädchens gefeiert und dabei zu großer Freude der Einwohner von Trapani eine glänzende Festlichkeit angerichtet. Violante ward ihres Lebens wieder froh und ließ ihren Knaben von einer Amme stillen, und so dauerte es auch nicht lange, daß sie wieder schön und schöner wurde denn je zuvor.

Als die Zeit ihrer Wochen vorüber und auch Phineus wieder von Rom zurückgekehrt war, bezeigte sie ihm alle Ehrfurcht, die einem Vater gebührt. Er aber feierte, hocherfreut über eine so schöne Schwiegertochter, unter Jubel und Festlichkeiten ihre Hochzeit und nahm sie für jetzt und alle Zukunft gleich einer eigenen Tochter an. Wenige Tage darauf bestieg er mit dem Sohne, mit ihr und dem kleinen Enkel eine Galeere, auf der sie glücklich insgesamt in Lajazzo anlangten, wo die beiden Liebenden sich, solange sie am Leben blieben, ruhig und friedlich aneinander erfreuten.

[447] Achte Geschichte

Nastagio degli Onesti bewirbt sich um die Liebe einer Dame aus dem Hause Traversari und bringt, ohne Gegenliebe zu finden, dabei sein ganzes Vermögen durch. Auf die Bitten der Seinigen geht er eines Tages nach Chiassi und sieht dort, wie ein junges Mädchen von einem Ritter gejagt, getötet und dann von zwei Hunden gefressen wird. Darauf lädt er seine Familie, die Dame und ihre Angehörigen zu einem Mittagessen dorthin, und der Anblick des zerfleischten Mädchens und die Furcht vor einem ähnlichen Schicksal erschrecken die Spröde so sehr, daß sie Nastagio zum Manne nimmt.


Als Lauretta schwieg, hub Filomena auf der Königin Geheiß also zu reden an:

So wie mitleidige Gesinnung an uns gelobt wird, ihr holden Damen, ahndet die göttliche Gerechtigkeit eine grausame auf das strengste, wo sie dergleichen unter uns antrifft. Um euch davon ein Beispiel zu geben und euch dadurch zu bewegen, daß ihr der Hartherzigkeit völlig entsagt, bin ich gesonnen, euch eine Geschichte zu erzählen, die nicht weniger euer Mitgefühl erwecken als euch ergötzen wird.

In Ravenna, einer uralten Stadt der Romagna, lebte einst eine Menge adeliger und vornehmer Leute, und unter diesen befand sich ein junger Mann namens Nastagio degli Onesti, der durch den Tod seines Vaters und eines Onkels über die Maßen reich geworden war. Dieser nun verliebte sich, wie es nichtverheirateten jungen Leuten zu geschehen pflegt, in die Tochter des Messer Paolo Traversari. Obwohl ihre Familie von viel älterem und besserem Geschlecht war als die seinige, hoffte er doch, durch seine Bemühungen, ihr zu dienen, allmählich ihre Gunst zu gewinnen. So unermüdlich, löblich und großartig aber auch die letzteren waren, brachten sie ihm doch keinerlei Nutzen, sondern es schien vielmehr, als ob sie ihm schadeten, so hart, unerfreulich und widerwillig erwies sich ihm das geliebte Mädchen, welches vielleicht um der eigenen vorzüglichen Schönheit und um des eigenen Adels willen so hochmütig und ungefüge geworden war, daß es weder ihn, noch was ihm irgend lieb war, leiden mochte.

[448] Diese Gesinnung der Geliebten wußte Nastagio so wenig zu ertragen, daß er nach vielen Klagen mehr als einmal im Begriff war, sich aus Schmerz das Leben zu nehmen. Wenn er sich aber dennoch einer solchen Tat enthielt, nahm er sich oft vor, jene Spröde völlig aufzugeben oder sie, wo möglich, ebenso zu hassen, wie sie ihn haßte. Alle diese Vorsätze blieben indes eitel; denn es war nicht anders, als ob seine Liebe im selben Maße wüchse, in dem seine Hoffnung abnahm.

Wie nun der junge Mann auf solche Weise beharrlich seine Liebe verfolgte und in seiner maßlosen Verschwendung fortfuhr, meinten einige seiner Angehörigen und Freunde, daß er dabei bald sich selbst und sein Vermögen aufgezehrt haben werde. Deshalb rieten sie ihm mehrmals und baten ihn, Ravenna zu verlassen und sich eine Zeitlang an einem andern Orte aufzuhalten, weil, wie sie glaubten, auf solche Art seine Liebe und seine Ausgaben abnähmen. Nastagio spottete zwar öfter über diesen Rat; da er jedoch auf ihre vielen Ermahnungen hin nicht immer nein sagen konnte, gab er ihnen endlich nach und ließ auch in der Tat keine geringeren Reisevorkehrungen treffen, als ob er nach Frankreich, Spanien oder sonst einem entfernten Lande hätte ziehen wollen. Als er dann aber zu Pferde gestiegen war und, von seinen zahlreichen Freunden begleitet, Ravenna verlassen hatte, ritt er nach Chiassi, einem vielleicht drei Meilen von der Stadt entfernten Orte, ließ Gezelte mancher Art herbeibringen und aufschlagen und erklärte denen, die ihm das Geleit gegeben, sie möchten nach Ravenna heimkehren, weil er hier zu verweilen gesonnen sei.

Unter diesen Zelten nun führte Nastagio wieder ein ebenso glänzendes und herrliches Leben wie je zuvor und lud nach alter Gewohnheit bald diese und bald jene zum Mittag- oder Abendessen. Eines Tages aber, ziemlich zu Anfang des Maien und bei wunderschönem Wetter, geschah es, daß Nastagio, ganz in Gedanken an die grausame Geliebte versunken, allen sei nen Leuten befahl, ihn allein zu lassen, um ungestörter seinem Trübsinn nachhängen zu können. So irrte er zweck- und ziellos umher, bis er zum großen Pinienwalde gelangte.

Schon war die Mittagsstunde beinahe herangekommen und Nastagio, unbekümmert um Speise, Trank und andere Dinge, [449] wohl eine halbe Meile weit in den Wald eingedrungen, als ihn plötzlich das laute Weinen und das verzweifelte Wehklagen eines Weibes, das er zu vernehmen glaubte, aus seinen süßen Träumereien schreckte. Da er nun aufblickte, ward er nicht allein zu seinem Erstaunen gewahr, daß er mitten im Pinienhaine sei, sondern er sah nach wenigen Augenblicken auch, wie gerade vor ihm, aus einem dichtverwachsenen Gebüsch von Strauchwerk und Dornen hervor, ein wunderschönes nacktes Mädchen mit fliegenden Haaren und von Stacheln und Ästen zerkratztem Leibe in vollem Laufe unter lautem Weinen und Rufen um Gnade der Stelle zueilte, an der er sich befand. Zu beiden Seiten folgten ihr zwei riesige und wütende Jagdhunde auf den Fersen und packten sie oft und unbarmherzig, wo sie sie erreichten. Hinterher aber jagte auf schwarzem Pferde und in dunkler Rüstung ein Ritter, dessen Gesicht vor Zorn glühte, den Degen in der Faust, und drohte mit entsetzlichen, schmähenden Worten, sie zu morden.

Nastagio wurde bei diesem Anblick zugleich von Staunen und Abscheu ergriffen. Dann aber weckte das Mitleid mit dem unglücklichen Weibe den Wunsch in ihm, wenn er es irgend vermöchte, ihre Qualen zu endigen und sie dem Tode zu entreißen. In Ermangelung einer Waffe griff er zu einem Baumast, mit dem er, statt eines Stockes, den Hunden und dem Ritter entgegenging. Der Ritter aber rief ihm, sobald er dies gewahr wurde, von weitem zu: »Laß ab, Nastagio, und überlasse mir und meinen Hunden, daß wir vollbringen, was dieses ruchlose Weib verdient hat.« Und nachdem er so gesprochen, packten die Hunde das Mädchen mit aller Kraft an den Weichen und hielten es fest. Während aber der Ritter hinzukam und vom Pferde sprang, trat auch Nastagio heran und sagte: »Obgleich ich nicht weiß, wer du bist, der du mich so gut zu kennen scheinst, kann ich dir doch soviel sagen, daß es eine höchst schmähliche Tat ist, wenn ein gewappneter Ritter ein nacktes Weib morden will und es von den Hunden packen läßt, als wäre es ein wildes Tier. Darum werde ich diese verteidigen, solange ich irgend kann.«

Darauf erwiderte der Ritter: »Nastagio, ich stamme aus der gleichen Stadt wie du, und du warst noch ein kleines Kind, als [450] ich, den man Messer Guido degli Anastagni nannte, in dies Mädchen hier wahrlich noch viel verliebter war, als du es jetzt in die Traversari bist. Ihr Hochmut aber und ihre Härte stürzten mich in solches Unglück, daß ich mich endlich mit dem Degen, den du hier in meiner Hand siehst, als ein Verzweifelter entleibte und deshalb zur ewigen Pein verdammt bin. Nicht lange darauf starb auch sie, die sich unmäßig über meinen Tod gefreut hatte, und wegen der Sünde der Hartherzigkeit und der Lust an meinen Qualen, welche sie im Wahn, nichts Ungerechtes, sondern etwas Verdienstvolles getan zu haben, nie bereute, wurde sie gleichfalls zu den Strafen der Hölle verurteilt. Als sie nun dorthin gelangte, wurde ihr und mir zur Strafe auferlegt, daß sie vor mir fliehen, ich aber sie, die einst so heiß Geliebte, nicht wie den Gegenstand meiner Liebe, sondern wie meine Todfeindin verfolgen muß. Sooft ich sie alsdann erreiche, so oft durchbohre ich sie mit diesem selben Degen, mit dem ich einst mich umgebracht, öffne ihr, wie du sogleich gewahren wirst, mit dem Messer die Seite, reiße das harte kalte Herz, in das weder Liebe noch Mitleid den Eingang zu finden wußten, samt den übrigen Eingeweiden aus ihrem Leibe und werfe es den Hunden hier zum Fraße vor. Dann vergehen nur wenige Augenblicke, und sie ersteht nach Gottes gerechtem Ratschluß durch seine Allmacht nicht anders vom Boden, als ob sie nie getötet worden wäre, und danach beginnen die klägliche Flucht und die Verfolgung durch mich und die Hunde von neuem. Da geschieht es denn, daß ich sie jeden Freitag um diese Stunde an diesem Platz einhole und so mißhandle, wie du sehen wirst. Doch wähne ja nicht, daß wir an den anderen Tagen ruhen, sondern wisse, daß ich sie dann an andern Punkten, wo sie Grausamkeiten gegen mich ersann oder vollführte, verfolge und erreiche. Weil ich nun aus einem zärtlich Liebenden ihr Feind geworden bin, muß ich sie ebenso viele Jahre in dieser Weise verfolgen, wie sie Monate hartherzig gegen mich gewesen ist. Laß mich also den Befehl der göttlichen Gerechtigkeit vollziehen und versuche keinen Widerstand gegen das, was du nicht hindern kannst.«

Von diesen Worten ganz eingeschüchtert, trat Nastagio, dem sich jedes Haar am Leibe sträubte, zurück und harrte angstvoll, [451] die Augen auf das unglückliche Mädchen gerichtet, was der Ritter vornehmen werde. Dieser aber stürzte am Ende seiner Rede wie ein wütender Hund auf das Mädchen los, welches, von den zwei Rüden festgehalten, auf den Knien lag und um Gnade rief, und rannte ihm mit aller Macht den Degen mitten durch die Brust, daß er zum Rücken wieder herausfuhr. Weinend und winselnd fiel die Ärmste von diesem Stoß zu Boden. Der Ritter aber griff zu einem Messer, klappte es auf und öffnete ihr damit die Seite. Dann weidete er ihr das Herz und alles, was um dieses herum lag, aus und warf es den Hunden vor, die es heißhungrig verschlangen. Doch dauerte es gar nicht lange, so erhob sich das Mädchen, als sei nichts von alledem geschehen, und begann in der Richtung auf das Meer zu die Flucht aufs neue. Hinter ihr her stürmten abermals die Hunde, die nicht abließen, sie zu zerfleischen. Auch der Ritter saß, den Degen in der Faust, wieder zu Pferde, und so schnell stürmten Flucht und Verfolgung dahin, daß nach wenigen Augenblicken Nastagio nichts mehr von allem gewahr ward.

Noch lange verweilte er, nachdem dieses Schauspiel an ihm vorübergezogen war, zwischen Mitleid und Furcht schwankend. Dann aber gedachte er plötzlich, wie dieses Ereignis, da es sich alle Freitage wiederhole, geeignet sei, ihn in seinen Wünschen wesentlich zu fördern. Darum merkte er sich die Stelle und ließ, zu seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort heimgekehrt, mehrere seiner Angehörigen und Freunde aus Ravenna zu sich entbieten. »Wohlan«, sagte er zu ihnen, als sie gekommen waren, »schon lange habt ihr mich gedrängt, daß ich von der Liebe zu jener meiner Feindin ablassen und meiner Verschwendung Einhalt gebieten möge. Jetzt bin ich bereit, es zu tun, jedoch unter der Bedingung, daß ihr zuvor noch Messer Paolo Traversari dazu bewegt, mit Frau und Tochter und allen Damen seiner Verwandtschaft am nächsten Freitag zusammen mit euch und den andern Damen, die ihr wählen möget, das Mittagessen hier bei mir einzunehmen. Warum ich dies verlange, werdet ihr alsdann erfahren.« Jene achteten dies für kein großes Begehren und luden, nach Ravenna zurückgekehrt, als es ihnen an der Zeit schien, die im voraus verabredeten [452] Personen. War es nun auch nichts Leichtes, das von Nastagio geliebte Mädchen zur Einwilligung und Teilnahme zu bestimmen, so kam sie doch mit den übrigen zum Feste.

Nastagio ließ ein verschwenderisches Mittagsmahl herrichten und die Tafel unter den Pinienbäumen rings um die Stelle ordnen, wo er die Strafe des hartherzigen Weibes mit angesehen hatte. Dann wies er Männern und Frauen ihre Plätze an, wobei er den Sitz seiner Geliebten so gewählt hatte, daß der Fleck, an dem er die Wiederholung jenes Schauspiels erwartete, ihr gerade gegenüber war.

Schon war man bis zum letzten Gang gediehen, als das Geschrei des gejagten Mädchens zu aller Ohren zu dringen begann. Alle befremdeten diese angstvollen Laute, jeder fragte, woher sie rührten, aber keiner vermochte Auskunft zu geben. Aufgeschreckt erhoben sich alle und blickten unverwandt nach der Seite, von der das Geräusch kam. Da gewahrten sie das jammernde Mädchen, den Ritter und die Hunde, und alsbald waren diese alle mitten unter den Gästen. Mit heftigen Scheltworten wehrten diese sowohl dem Ritter als auch den Hunden, und viele traten vor, um dem Mädchen beizustehen. Die Erzählung des Ritters, die er ihnen fast in denselben Worten wiederholte, mit denen er früher zu Nastagio gesprochen hatte, ließ sie indes nicht nur von ihrem Vorhaben abstehen, sondern erfüllte sie mit Staunen und Entsetzen. Unter den anwesenden Damen waren viele dem wehklagenden Mädchen, andere dem Ritter verwandt und erinnerten sich seiner Liebe und seines Todes. Als aber dieser sein grausames Beginnen so wie kürzlich vollführte, weinten alle ebenso bitterlich, als wäre ihnen dasselbe am eigenen Leibe geschehen.

Als nun alles zu Ende gebracht und der Ritter verschwunden war, sprachen die, welche dem Schauspiel zugesehen hatten, noch viel und mancherlei darüber. Am meisten aber vor allen andern hatte Nastagios spröde Geliebte sich entsetzt; denn da sie der Grausamkeit gedachte, die sie stets gegen jenen geübt hatte, fühlte sie wohl, daß alles, was sie mit Auge und Ohr deutlich wahrgenommen, keinen der Anwesenden näher angehe als eben sie, und es war ihr nicht anders, als jage jener sie schon ergrimmt durch den Wald und die Hunde packten sie in [453] den Weichen. Und so groß war die Furcht vor diesem Schicksal, daß sie in schnellem Wechsel von Haß zu Liebe die Zeit nicht erwarten konnte, eine vertraute Dienerin insgeheim zu Nastagio zu senden und ihn um seinen Besuch bitten zu lassen, da sie bereit sei, alles zu tun, was ihm gefallen werde. Und die Gelegenheit dazu bot sich noch am selben Abend. Darauf ließ ihr Nastagio erwidern, die Botschaft sei ihm sehr willkommen, er gedenke aber, wenn es ihr gefalle, nur in Ehren ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen, indem er sich ehelich mit ihr vermähle.

Die junge Dame wußte wohl, daß es nur an ihr gelegen hatte, wenn sie nicht schon längst Nastagios Gemahlin geworden war. Sie antwortete daher, sie sei dessen wohl zufrieden. Dann meldete sie als ihre eigene Botin ihrem Vater und ihrer Mutter, daß sie jetzt den Nastagio zu heiraten bereit sei. Beide waren darüber sehr erfreut, und schon am nächsten Sonntag wurde das junge Paar feierlich verlobt. Dann hielten sie Hochzeit und lebten miteinander noch lange Jahre glücklich. Es hatte aber jenes Ereignis nicht nur diese eine glückliche Folge, sondern alle Damen Ravennas wurden dadurch so eingeschüchtert, daß sie den Wünschen der Männer seitdem um vieles geneigter geworden sind als zuvor.

Neunte Geschichte

Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden, und verzehrt in ritterlichem Aufwand sein ganzes Vermögen, so daß ihm nur ein einziger Falke bleibt. Den setzt er, da er nichts anderes hat, seiner Dame, die ihn zu besuchen kommt, zum Essen vor. Sie aber ändert, als sie dies vernommen, ihre Gesinnung, nimmt ihn zum Manne und macht ihn reich.


Kaum hatte Filomena zu reden aufgehört, als die Königin wahrnahm, daß außer Dioneo und ihr niemand mehr zu erzählen hatte, und so begann sie heiter:

So ist es denn nun an mir, zu erzählen, und ich genüge gern meiner Pflicht, indem ich euch eine Geschichte mitteile, die der [454] vorigen einigermaßen ähnlich ist. Ich tue dies nicht nur, damit ihr erkennt, welche Macht eure Anmut über edle Herren auszuüben vermag, sondern damit ihr auch daraus entnehmt, wie ihr eure Gunstbezeigungen da, wo es sich geziemt, von selbst gewähren solltet, statt euch vom Glücke leiten zu lassen, welches nicht nach verständiger Wahl, sondern wie es sich eben trifft, in den meisten Fällen ohne jedes rechte Maß seine Gaben zu verleihen pflegt.

Wisset also, daß in jüngster vergangener Zeit in unserer Stadt ein Mann namens Coppo di Borghese Domenichi lebte und vielleicht heute noch lebt, der sich bei allen eines großen und ehrenvollen Ansehens erfreute und um seiner Tugenden und erlesenen Sitten willen mehr noch als wegen seines adeligen Blutes gefeiert wurde und allgemeinen Ruhmes würdig war. Dieser fand in seinen späten Jahren Gefallen daran, sowohl seinen Nachbarn als auch Fremden oftmals von vergangenen Ereignissen zu erzählen, wie er denn solches geordneter, mit schönen Worten und treuerem Gedächtnis zu tun verstand als irgendein anderer.

Unter andern schönen Geschichten pflegte er namentlich auch zu erzählen, daß einst in Florenz ein junger Edelmann gewesen sei, Federigo di Messer Filippo Alberighi genannt, den man in ritterlichen Übungen und adeligen Sitten höher gehalten habe als irgendeinen seiner Standesgenossen in Toskana. Wie es nun edlen Jünglingen zu widerfahren pflegt, so verliebte sich auch Federigo in eine adelige Dame namens Monna Giovanna, welche zu jener Zeit für eine der holdseligsten und schönsten in Florenz gehalten ward. Um ihre Liebe zu gewinnen, scheute er in Turnieren und Kampfspielen keinerlei Aufwand, richtete Feste her und teilte Geschenke aus, ohne seines Vermögens irgend zu achten. Die Dame aber, die ebenso sittsam wie schön war, kümmerte sich so wenig um dies alles, das zu ihren Ehren geschah, wie um denjenigen, von dem es ausging.

Da Federigo jedoch über seine Kräfte hinaus große Summen vertat und nichts erwarb, verfiel er binnen kurzem in solche Armut, daß er von allen seinen Besitztümern nichts behielt als ein kleines Bauerngut, dessen Einkünfte ihm kümmerlichen Unterhalt gewährten, und einen Falken, wie es kaum einen [455] edleren auf der Welt geben mochte. Inzwischen war seine Liebe nur noch glühender geworden; da er jedoch als Städter nicht mehr so leben zu können glaubte, wie es ihm wünschenswert erschien, zog er sich aufs Land zurück und ertrug dort auf seinem Gütchen, ohne jemand um Hilfe anzugehen, unter Vogelstellen geduldig seine Armut.

Während nun Federigos Vermögensumstände sich so sehr verschlechtert hatten, geschah es, daß der Gemahl der Monna Giovanna schwer erkrankte. Als er gewahr wurde, daß es mit ihm zu Ende ging, machte er ein Testament, in welchem er sein schon ziemlich herangewachsenes Söhnlein zum Erben seiner großen Reichtümer ernannte und für den Fall, daß der Knabe ohne rechtmäßigen Erben versterben sollte, Monna Giovanni, die er auf das zärtlichste geliebt hatte, zur Nachfolgerin bestimmte. Bald darauf starb er, und die hinterbliebene Witwe zog, wie es unter den hiesigen Frauen üblich ist, für den Sommer dieses Jahres aufs Land, nach einer ihrer Besitzungen, welche Federigos Gütchen ziemlich nahe gelegen war. So trug es sich denn zu, daß jener Knabe, der an Hunden und Vögeln seine Freude hatte, mit Federigo vertraut wurde. Als er dessen Falken öfter hatte fliegen sehen, fand er an ihm so überschwengliches Gefallen, daß ihn zu besitzen sein höchster Wunsch ward. Doch traute er sich nicht darum zu bitten, da er wohl sah, wie wert er dem Federigo war.

Um diese Zeit ereignete es sich, daß der Knabe erkrankte. Die Mutter, die nur dies eine Kind hatte und es von ganzer Seele liebte, betrübte sich unsäglich, und wie sie den ganzen Tag um den Kranken geschäftig war und ihm guten Mut einflößte, fragte sie ihn unter dringenden Bitten, ob er denn nicht vielleicht nach irgend etwas Verlangen hege. Wenn es nur irgend möglich sei, werde sie es ihm verschaffen. Schon mehrmals hatte der kranke Knabe dieses Anerbieten vernommen, als er endlich antwortete: »Mutter, könnt Ihr machen, daß ich Federigos Falken erhalte, so glaube ich in kurzem wieder gesund zu werden.« Nachdem die Edeldame diese Worte vernommen hatte, blieb sie eine Zeitlang in sich gekehrt und erwog, was sie tun sollte. Sie wußte wohl, daß Federigo sie lange geliebt hatte, ohne von ihr jemals auch nur einen Blick [456] erlangt zu haben. Daher sagte sie bei sich selber: »Wie darf ich zu Federigo um diesen Falken senden oder gar selbst deshalb zu ihm gehen, da, wie ich höre, dieser Falke der edelste ist, der je einem Jäger diente, und da er noch überdies seinem Herrn in solcher Weise den Lebensunterhalt gewährt? Und wie könnte ich so rücksichtslos sein, einem Edelmann, dem sonst keine Freude mehr geblieben ist, diese seine einzige rauben zu wollen?«

Obgleich sie gewiß war, den Falken zu erhalten, sobald sie darum bäte, antwortete sie daher, von jenen Gedanken bestrickt, nichts auf das Verlangen ihres Söhnleins und schwieg. Endlich aber trug die Liebe zu dem Knaben dennoch den Sieg davon, und um ihn zufriedenzustellen, entschloß sie sich, was auch immer die Folge davon wäre, nicht zu Federigo zu senden, sondern selbst zu ihm zu gehen und den Falken zu holen. Deshalb sagte sie: »Mein Kind, gib dich zufrieden und sorge nur, daß du gesund wirst; denn ich verspreche dir, daß morgen früh mein erster Gang des Falken wegen sein wird, und ich bin gewiß, daß ich ihn dir bringen werde.« Schon diese Antwort erfreute den Knaben so sehr, daß noch am selben Abend eine leichte Besserung an ihm zu beobachten war.

Am nächsten Morgen nahm Monna Giovanna eine andere Dame zum Geleit und lustwandelte mit dieser bis zu Federigos kleinem Häuschen. Zum Vogelstellen war es nicht die Zeit, und schon seit mehreren Tagen war er deshalb nicht ausgegangen. So geschah es, daß, als sie nach ihm fragte, er in seinem Garten verweilte und dort gewisse kleine Arbeiten besorgen ließ. Als er vernahm, daß sie an seiner Tür sei und nach ihm verlange, erstaunte er sehr und eilte ihr mit ehrfurchtsvollem Gruße freudig entgegen. Sie aber erhob sich, ihn mit freundlicher Anmut zu begrüßen, und sprach: »Guten Morgen, Federigo!« Dann fügte sie hinzu: »Ich bin gekommen, um dich für alles Ungemach zu entschädigen, das du seither um meinetwillen erduldet hast, weil du mich leidenschaftlicher liebtest, als dir dienlich gewesen wäre. Die Entschädigung aber besteht darin, daß ich mit dieser meiner Begleiterin heute vertraulich bei dir zu Mittag zu essen gedenke.« Hierauf antwortete Federigo in Demut: »Madonna, ich weiß von keinem Ungemach, [457] das mir je durch Euch zuteil geworden wäre, wohl aber von so vielem Heile, daß ich, wenn je an mir irgend etwas Lob verdiente, dies nur Eurer Trefflichkeit und meiner Liebe zu Euch verdanke. Und wahrlich, dieser Euer Besuch, den Ihr mir aus freier Güte gewährt, ist mir, wenngleich Ihr zu einem dürftigen Wirte gekommen seid, unendlich viel lieber, als wenn mir die Schätze zurückgegeben worden wären, die ich zur der Zeit besaß, wo ich einst den größten Aufwand machte.« Nach diesen Worten führte er sie schüchtern in sein Haus und von diesem in den Garten. Weil er aber sonst niemand hatte, der ihr Gesellschaft hätte leisten können, sagte er: »Madonna, da kein anderer hier ist, so wird dies gute Weib, die Frau des Mannes, der hier meinen Acker bestellt, Euch zur Gesellschaft bleiben, während ich den Tisch besorgen lasse.«

Wie groß auch seine Armut war, so hatte er bis dahin eigentlich noch nicht empfunden, daß sein ungeordnetes Verschwenden der früheren Reichtümer ihn Mangel leiden ließ. Diesen Morgen aber, als es ihm an allem gebrach, um die Dame zu ehren, der zuliebe er einst Unzählige bewirtet und geehrt hatte, erkannte er zuerst seine Dürftigkeit. In der peinlichsten Herzensangst lief er wie außer sich hin und wider und verwünschte sein Schicksal, als er weder Geld vorfand noch irgend etwas, das er hätte verpfänden können. Inzwischen war die Stunde schon vorgerückt, und so groß auch sein Verlangen war, die edle Dame wenigstens einigermaßen zu bewirten, so konnte er sich doch nicht entschließen, irgend jemand, nicht einmal seinen Bauern, um etwas anzusprechen.

Da fiel ihm sein guter Falke in die Augen, der im Eßzimmer auf seiner Stange saß, und wie er sonst nirgends einen Ausweg zu entdecken vermochte, faßte er ihn und erachtete das edle Tier, als er es wohlgenährt fand, für eine Speise, die einer solchen Dame würdig sei. Und ohne sich weiter zu besinnen, drehte er ihm den Hals um und ließ ihn dann eilig von seiner Magd gerupft und hergerichtet an den Spieß stecken und sorgsam zubereiten. Dann breitete er schneeweiße Tücher, deren ihm noch einige geblieben waren, über den Tisch und ging mit frohem Gesicht wieder hinaus zu seiner Dame, um ihr zu sagen, daß das Mittagessen, so gut er es zu bieten vermöge, [458] bereit sei. So erhoben sich denn die Dame und ihre Begleiterin, gingen zu Tisch und verzehrten, ohne zu wissen, was sie aßen, mit Federigo, der sie mit der größten Sorgfalt bediente, den guten Falken.

Als sie darauf vom Tische aufgestanden waren und noch einige Zeit in freundlichen Gesprächen mit ihm verbracht hatten, schien es der Dame an der Zeit, das zu sagen, um dessentwillen sie gekommen war, und freundlichen Blickes zu Federigo gewandt, begann sie also: »Federigo, gedenkst du deiner früheren Schicksale und meiner Sittenstrenge, die du vermutlich für Härte und Grausamkeit erachtet hast, so zweifle ich nicht, daß du über meine Dreistigkeit staunen wirst, wenn du vernimmst, warum ich eigentlich hierhergekommen bin. Hättest du aber Kinder oder hättest du deren besessen, so daß du die Liebe, die man für sie hegt, zu erkennen vermöchtest, so glaube ich mit Zuversicht, daß ich dir wenigstens zum Teil entschuldigt erschiene. Du besitzt kein Kind, ich aber, die ich einen Sohn habe, vermag mich dem Gesetz, dem alle Mütter unterworfen sind, nicht zu entziehen, und dieses Gesetz zwingt mich gegen meine Neigung, ja gegen Anstand und Pflicht, dich um ein Geschenk zu bitten, von dem ich weiß, wie teuer es dir ist. Auch hast du allen Grund, es so wert zu halten, da die Ungunst des Schicksals dir keine andere Freude, keine Zerstreuung, keinen Trost als diesen einen gelassen hat. Dieses Geschenk aber ist dein Falke, nach welchem mein Knabe so unmäßiges Verlangen trägt, daß ich fürchten muß, die Krankheit, an welcher er daniederliegt, werde sich um vieles verschlimmern, wenn er ihn nicht erhält, ja vielleicht sogar eine Wendung nehmen, durch die ich ihn verliere. So beschwöre ich dich denn, nicht bei der Liebe, die du für mich hegst – denn um deretwillen hast du gegen mich keinerlei Verpflichtung –, sondern bei deiner adeligen Gesinnung, welche du in höfischer Sitte und Freigebigkeit mehr als irgendein anderer bewährt hast, daß es dir gefallen möge, mir deinen Falken zu schenken, damit ich sagen könne, du habest mir durch diese Gabe das Leben meines Sohnes erhalten, und damit er immerdar in deiner Schuld bleibe.«

Federigo vernahm, was die Dame begehrte, und als er [459] sich dabei bewußt ward, ihr nicht genügen zu können, da er ihr den Falken zur Mahlzeit vorgesetzt hatte, begann er in ihrer Gegenwart, bevor er noch ein Wort der Erwiderung vorbringen konnte, bitterlich zu weinen. Zuerst glaubte die Dame, diese Tränen rührten von dem Schmerze her, sich von dem guten Falken trennen zu sollen, und schon war sie im Begriff zu sagen, daß sie ihn lieber nicht haben wolle. Doch bezwang sie sich und erwartete Federigos Antwort, welcher, nachdem er seine Tränen bemeistert, also sprach: »Madonna, seit es Gott gefallen hat, daß ich Euch meine Liebe zuwendete, habe ich bei vielen Gelegenheiten das Schicksal mir feindlich gefunden und über seine Ungunst mich zu beschweren gehabt. Dies alles aber war nur gering im Vergleich zu dem, was mir jetzt widerfährt. Denn wie sollte ich mich wohl je wieder mit meinem Geschick aussöhnen, wenn ich bedenke, daß ich durch seine Tücke außerstande gesetzt bin, Euch jetzt, da Ihr zu meinem verarmten Hause gekommen seid, welches Ihr, solange es reich war, nie Eures Besuches gewürdigt, das kleine Geschenk zu geben, das Ihr begehrt. Warum ich dies aber nicht vermag, will ich Euch kurz berichten. Als ich vernahm, Ihr wolltet – Dank sei Eurer Güte – bei mir zu Mittag essen, glaubte ich, Eures Adels und Eurer Trefflichkeit gedenkend, es sei würdig und angemessen, Euch, soweit meine Kräfte reichten, durch eine wertvollere Speise zu ehren, als diejenigen sind, mit welchen man andere Gäste zu bewirten pflegt. Da gedachte ich des Falken, den Ihr jetzt von mir begehret, und wie vorzüglich er sei und hielt ihn für eine Speise, die Euer würdig wäre. So habt Ihr ihn denn heute mittag gebraten auf der Schüssel gehabt, und ich glaubte, ihm die beste Stätte bereitet zu haben. Nun aber sehe ich, daß Ihr ihn in anderer Weise begehrt, und mein Schmerz, Euren Wunsch nicht erfüllen zu können, ist so heftig, daß ich nicht glaube, mich je wieder darüber beruhigen zu können.« Nach diesen Worten ließ er ihr zum Beweise des Gesagten Federn, Fänge und Schnabel des Falken vorzeigen.

Als die Dame dies alles hörte und sah, tadelte sie ihn anfangs, daß er zur Bewirtung eines Weibes einen so edlen Falken getötet habe. Dann aber bewunderte sie im stillen die Größe seiner Gesinnung, welche die bittere Armut nicht abzustumpfen [460] vermocht hatte und die ihm auch in diesem Augenblicke geblieben war. Da ihr jedoch alle Hoffnung, den Falken zu besitzen, geraubt war und Befürchtungen wegen der Genesung des Knaben in ihr aufstiegen, schied sie voller Betrübnis und kehrte zu ihrem Sohne zurück.

War es nun die Wirkung des Verdrusses, daß er den Falken nicht haben konnte, oder war die Krankheit von der Art, daß sie auch ohne das zu einem solchen Ende führen mußte – genug, nur wenige Tage verstrichen, als er zum größten Leidwesen seiner Mutter aus dem Leben schied. Infolge dieses Verlustes blieb sie zwar geraume Zeit in Tränen und Traurigkeit; da sie aber noch jung und in den Besitz eines glänzenden Vermögens gelangt war, drängten ihre Brüder sie vielfach, eine zweite Ehe einzugehen. Obwohl sie sich nun dessen am liebsten enthalten hätte, so gedachte sie doch bei solchem Drängen der Trefflichkeit Federigos und seines letzten Beweises hochherziger Gesinnung, den er ihr gegeben, indem er einen solchen Falken, nur um sie zu ehren, getötet hatte. Darum sagte sie zu ihren Brüdern: »Am liebsten ließe ich, wolltet ihr es gestatten, meinen Witwenstuhl unverrückt. Ist es aber euer Begehren, daß ich zu einer zweiten Ehe schreite, so werde ich wahrlich keinem andern mich vermählen, wenn ich Federigo degli Alberighi nicht erhalte.« Auf diese Rede hin verhöhnten sie ihre Brüder und sprachen: »Törichte, was schwatzest du da! Wie kannst du ihn nehmen wollen, der nichts auf dieser Welt hat?« Sie aber antwortete: »Meine Brüder, wohl weiß ich, daß es sich so verhält, wie ihr sagt. Ich aber ziehe den Mann, der des Reichtums entbehrt, dem Reichtume vor, der des Mannes entbehrt.«

Als die Brüder diese ihre Gesinnung vernahmen und sich überzeugten, daß Federigo trotz seiner Armut ein höchst ehrenwerter Mann war, gewährten sie ihm, Giovannas Wünschen entsprechend, diese samt allen ihren Reichtümern. Er aber beschloß, im Besitze einer so trefflichen und von ihm so überschwenglich geliebten Gattin, überdies noch in dem Besitz eines außerordentlichen Vermögens, nach langen Jahren freudig seine Tage.

[461] Zehnte Geschichte

Pietro di Vinciolo geht aus, um anderwärts zu Nacht zu essen. Seine Frau läßt ihren Buhlen kommen; Pietro kehrt aber heim, und die Frau versteckt den Liebhaber unter einem Hühnerkorbe. Pietro erzählt, daß im Hause Ercolanos, bei dem er gespeist, ein Jüngling, den die Frau verborgen, gefunden worden sei, worüber Pietros Frau die des Ercolano heftig tadelt. Zum Unglück tritt ein Esel dem Burschen unter dem Korbe auf die Finger, so daß er schreien muß. Pietro läuft hinzu, sieht ihn und erkennt die Falschheit seiner Frau, ist aber niederträchtig genug, sich am Ende doch wieder mit ihr auszusöhnen.


Die Erzählung der Königin war zu ihrem Ende gediehen, und alle hatten Gott gepriesen, daß er dem Federigo würdigen Lohn verliehen, als Dioneo, der einen Befehl nicht erst zu erwarten pflegte, also begann:

Ich weiß nicht, ob ich es einen merkwürdigen Fehler nennen soll, der erst infolge späterer Sittenverderbnis die Sterblichen befallen hat, oder ob es in der ursprünglichen Natur des Menschen liegt, daß wir lieber schlechte Streiche belachen, als über gute Werke uns freuen, und ersteres vorzugsweise so lange, wie wir nicht selbst davon betroffen werden. Weil nun aber einmal die Bemühung, der ich mich schon früher unterzogen habe und der ich mich jetzt aufs neue zu unterziehen im Begriff stehe, keinen anderen Zweck hat, als eure üble Laune zu zerstreuen und euch zu Lachen und Freude zu bewegen, so will ich euch, ihr liebevollen Mädchen, die nachfolgende Geschichte immerhin erzählen, die zwar mitunter nicht eben anständig genannt werden kann, aber geeignet ist, euch Ergötzen zu bereiten. Ihr aber mögt, indem ihr dieselbe mit anhöret, so verfahren, wie ihr in den Gärten zu tun pflegt, die ihr besucht, wo ihr die Rosen brechet und die Dornen unberührt laßt. So überlaßt denn auch hier den ehrlosen Ehemann seiner eigenen Schmach, belacht in Heiterkeit den verliebten Trug seiner Frau und hegt, wo sich der Anlaß dazu bietet, Mitleid mit fremdem Unglück.

In Perugia lebte vor nicht gar langer Zeit ein reicher Mann namens Pietro di Vinciolo, welcher, weit mehr wohl um andere [462] zu täuschen und den üblen Ruf einzudämmen, in welchem er bei allen Peruginern stand, als aus innerem Verlangen danach, ein Weib nahm. Dabei gab ihm das Schicksal eine Ehegenossin, die seinen Neigungen nicht sonderlich entsprach. Das Weibchen, das er freite, war ein untersetztes junges Ding mit rotem Haar und warmem Blut, das am liebsten zwei Männer auf einmal genommen hätte, während es nun einem Menschen in die Hände geriet, der zu ganz anderen Sachen Lust hatte, als es zu umarmen. Daß es sich so verhielt, wurde sie nur allzu bald gewahr, und wenn sie dann daran dachte, wie jung und frisch sie sei, und sich dabei voller Kraft und Lebenslust fühlte, so übermannte sie anfangs nicht selten der Zorn, und es gab häufig anzügliche Reden gegen ihren Mann, immer aber ein gar schlechtes Einvernehmen.

Als sie sich indessen überzeugte, daß sie auf diesem Wege eher sich selber verzehren, als der Abscheulichkeit ihres Mannes irgendwie steuern werde, sagte sie bei sich selbst: »Dieser Elende kümmert sich nicht um mich, weil er in seiner Ruchlosigkeit nur säen will, wo sich nicht ackern läßt. So will ich denn sorgen, daß ein anderer das Erdreich bestelle, wo es locker ist. Ich habe ihn zum Manne genommen und ihm eine gute Mitgift zugebracht, weil ich voraussetzte, daß er ein Mann sei und begehre, wonach die Männer von Natur aus Verlangen zu tragen angewiesen sind. Hätte ich ihn nicht für einen Mann gehalten, wahrlich, so hätte ich ihn nicht geheiratet. Warum nahm er, da er doch wußte, daß ich ein Weib bin, mich aber zur Frau, wenn ihm die Weiber zuwider waren? Wahrhaftig, das ist nicht zu ertragen. Hätte ich mich von der Welt zurückziehen wollen, so wäre ich ins Kloster gegangen. Nun wollte ich aber in der Welt leben und lebe darin. Soll ich jedoch warten, bis dieser Mensch mir Lust und Vergnügen gewährt, so werde ich über dem fruchtlosen Warten wohl alt und grau werden. Will ich meine Reue bis dahin verschieben, so werde ich umsonst bejammern, daß ich meine Jugend unbenutzt gelassen habe. Ist er mir doch selbst der beste Lehrmeister, von dem ich lernen kann, womit ich mich zu trösten habe. Er sucht seine Vergnügungen eben da, wo auch ich sie zu finden habe und wo sie für mich löblich, für ihn aber die ärgste Schmach sind. Folge [463] ich meinem Verlangen, so handele ich nur den bürgerlichen Gesetzen zuwider, während er die Ordnung der Natur und die Gesetze zugleich übertritt.«

Als das gute Weibchen diese Betrachtungen bei sich angestellt und vielleicht mehr als einmal wiederholt hatte, zog sie, um insgeheim zur Verwirklichung ihrer Wünsche zu gelangen, eine ältere Frau ins Vertrauen, die so fromm schien wie die heilige Verdiana, welche die Schlangen fütterte. Denn zu jedem Ablaß ging sie, den Rosenkranz in der Hand, und redete nie von etwas anderm als vom Leben der heiligen Kirchenväter oder von den Wundmalen des heiligen Franziskus. Drum galt sie auch fast allgemein für eine halbe Heilige. Dieser nun eröffnete unser Weibchen, als es ihr an der Zeit schien, ihr Verlangen ohne allen Rückhalt. Die Alte aber antwortete: »Gott, der alle Dinge kennt, weiß, daß du sehr wohl daran tun wirst. Und wäre es aus keinem anderen Grunde, so müßtest du und gleich dir müßten alle anderen jungen Weiber also verfahren, damit ihr die Zeit eurer Jugend nicht ungenutzt verstreichen laßt. Wahrlich, für jeden Einsichtigen gibt es keinen größeren Schmerz als den, seine Zeit verloren zu haben. Und zu was, zum Teufel, sind wir denn, wenn wir einmal alt geworden sind, noch zu brauchen, als etwa die Asche in der Kohlenpfanne zu hüten? Ich weiß davon mitzureden, wenn keine andere es könnte oder wollte; denn nun, da ich alt bin, erkenne ich mit schwerer, bitterer, leider aber vergeblicher Reue, wie schlecht ich meine Zeit genutzt habe. Zwar so ganz und gar habe ich auch meine Jugendzeit nicht verloren – ich möchte ja nicht, daß du glaubst, ich sei eine dumme Gans gewesen –, doch tat ich bei weitem nicht, was ich hätte tun können. Sehe ich mich nun an, wie ich gegenwärtig aussehe, daß kein Mensch mehr zu bewegen wäre, mir Feuer zu schlagen, und erinnere ich mich, was ich versäumt habe, so weiß Gott am besten, wie sehr ich mich gräme.

Mit den Männern ist das anders. Die Männer sind zu tausenderlei Dingen bestimmt, nicht bloß zu diesem einen, und die Mehrzahl taugt im Alter viel mehr als in der Jugend. Wir Weiber aber kommen nur zu diesem Zwecke und um Kinder zu gebären auf die Welt; nur um dessentwillen schätzt man [464] uns. Vermöchtest du dies aus nichts anderem zu erkennen, so müßte es dir schon dadurch klar werden, daß wir Weiber jeden Augenblick zu jener Sache bereit sind, während das bei den Männern keineswegs der Fall ist. Überdies kann ein Weib zehn Männer von Kräften bringen, noch so viele Männer aber vermögen nicht, ein Weib zu ermüden. Du siehst also, wir sind dazu geboren, und so wiederhole ich dir denn, daß du ganz recht tust, wenn du mit dem Maße, mit dem dein Mann dir gemessen, ihm wieder missest. Enthältst du dich dessen, so muß ich fürchten, daß einst im Alter deine Seele dem Fleisch über das Versäumte Vorwürfe machen wird. Von dieser Welt hat ein jeder gerade so viel, als er sich davon zunutze macht. Das gilt mehr noch als von den andern von uns Weibern, und so müssen wir denn die Gelegenheit, solange sie sich uns bietet, weit sorgfältiger wahrnehmen als die Männer. Sieh doch nur selber, wie es geht: sind wir erst alt geworden, so mag weder der Ehemann noch sonst jemand uns vor Augen haben. In die Küche jagen sie uns, damit wir die Katze unterhalten oder uns mit dem Zählen von Töpfen und Schüsseln die Zeit vertreiben. Ja, was noch schlimmer ist, sogar zum Spott werden wir. Da heißt es: ›Den Jungen Konfekt und Wein, den Alten das Zipperlein‹, und was solcher schlechten Reden noch mehr sind. Doch was soll ich dich jetzt mit Worten noch länger hinhalten. Soviel kann ich dir sagen: du konntest niemandem deine Gesinnung offenbaren, der besser als ich dir zum Ziele zu helfen vermocht hätte; denn kein Mann ist so eitel und geschniegelt, daß ich mich nicht getraute, ihm das Nötige zu sagen, und keiner so ungehobelt und tölpelhaft, daß ich ihn nicht kirre zu machen und dahin zu bringen wüßte, wo ich ihn haben will. So beschreibe mir nur, wen du willst, und überlasse dann das Weitere mir. Um eins aber muß ich dich noch bitten, meine Tochter, vergiß mich nicht und bedenke, daß ich eine arme Frau bin. Dafür sollst du aber auch von heute an teilhaben an jedem Ablasse, den ich bekomme, und jedem Vaterunser, das ich sage, damit der liebe Gott sie als Kerzen und Lampen für deine verstorbenen Angehörigen aufnehme.«

Mit diesen Worten schloß die Alte. Das junge Weibchen aber einigte sich mit ihr dahin, daß die Alte das ihrige tun [465] werde, sobald sie einen jungen Menschen zu sehen bekäme, der öfter durch die Straße gehe, und den jene ihr nach vielen Merkmalen genau bezeichnete. Dann gab sie ihr ein Stück Salzfleisch und entließ sie mit Gott.

Erst wenige Tage waren seitdem vergangen, als die Alte ihr auch schon den jungen Menschen, den sie ihr beschrieben hatte, heimlich in die Kammer brachte, und bald darauf einen zweiten und so fort, je nachdem der jungen Frau ein neues Gelüste ankam. Diese aber ließ, wiewohl sie sich dauernd vor ihrem Mann fürchtete, keine Gelegenheit ungenutzt, die sich ihr in dieser Beziehung darbot.

So geschah es denn, daß eines Tages das Weibchen, als ihr Mann bei einem seiner Freunde, namens Ercolano, zu Abend essen sollte, der Alten auftrug, einen jungen Burschen zu ihr zu bestellen, der zu den schönsten und muntersten von Perugia gehörte. Diese tat alsbald, wie ihr geheißen war. Kaum aber hatten das Weibchen und der junge Bursche sich zu Tische gesetzt, um das Abendbrot zu verzehren, als Pietro an der Haustür rief, daß ihm aufgemacht werde. Das Weibchen hielt sich für verloren, als sie seine Stimme erkannte; doch wollte sie, wenn immer möglich, ihren Buhlen verbergen. Indes hatte sie nicht Besinnung genug, ihn fortzuschaffen oder zu verstecken. Sie hieß ihn also, sich auf dem Hausflur, der an das Zimmer stieß, in dem sie speisten, unter einen Hühnerkorb ducken. Dann warf sie Leinwand von einer Matratze darüber, die sie am selben Tage hatte ausleeren lassen, und als auch dies geschehen war, ließ sie dem Manne eilig die Tür aufmachen.

»Nun«, sagte sie, als er ins Haus getreten war, »ihr habt ja das Abendessen gewaltig schnell heruntergeschluckt.« »Wir haben es gar nicht einmal gekostet«, antwortete Pietro. »Wie ist denn das zugegangen?« sagte die Frau. Darauf erwiderte Pietro: »Das will ich dir sagen: Ercolano, seine Frau und ich, wir saßen schon bei Tische, da hörten wir es plötzlich ganz in unserer Nähe niesen. Das erste und das zweite Mal kümmerten wir uns nicht darum. Als aber jener Unsichtbare ein drittes, ein viertes und noch viele andere Male zu niesen fortfuhr, wunderten wir uns alle. Ercolano war ohnehin nicht gut auf seine Frau zu sprechen, weil sie uns, ohne aufzutun, eine Weile vor [466] der Tür hatte stehen lassen. In größter Heftigkeit rief er also: ›Was soll das heißen? Wer ist das, der hier so niest?‹ Damit sprang er vom Tische auf und ging auf eine nach jener Richtung liegende Treppe zu. Unter dem ersten Absatz dieser Treppe war ein Bretterverschlag, wie man dergleichen alle Tage zur Bequemlichkeit der Bewohner in den Häusern herrichten sieht, um dort etwas aus der Hand legen zu können. In diesem Bretterverschlag aber war ein Türchen, und kaum hatte Ercolano, der das Niesen in dieser Richtung wohl glaubte vernommen zu haben, es aufgerissen, als der unleidlichste Schwefelqualm daraus hervordrang.

Schon früher hatten wir diesen Schwefelgeruch gespürt und uns darüber beklagt, worauf die Frau uns gesagt hatte, sie hätte ihre Schleier vorhin mit Schwefel gebleicht und die Kohlenpfanne, auf die sie ihn zum Räuchern gestreut, unter jene Treppe gestellt, so daß der Geruch sich von dorther verbreite. Als Ercolano nun das Türchen geöffnet hatte und hineinguckte, nachdem der Qualm ein wenig abgezogen war, sah er den, der geniest hatte und noch immerfort nieste, weil der Schwefeldampf ihn in die Nase biß. Noch nieste er zwar, doch hatte der Schwefel ihm die Luftröhre schon so zusammengezogen, daß es nur ein paar Augenblicke später mit dem Niesen und mit allem andern auf immer für ihn vorbeigewesen wäre. Als Ercolano dies gewahr ward, rief er: ›Weib, nun sehe ich wohl, warum du eben zuvor, als wir kamen, uns so lange vor der Tür hast stehen lassen, ohne aufzutun. Aber ich will doch nie wieder froh werden, wenn ich dich dafür nicht gründlich bezahle.‹ Bei diesen Worten entfloh die Frau, die ihr Vergehen entdeckt sah, ohne zu ihrer Entschuldigung ein Wort zu sagen, von der Mahlzeit, und was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. Ercolano aber, der die Flucht seiner Frau gar nicht bemerkt hatte, befahl dem Niesenden wiederholt, herauszukommen. Dieser war jedoch in einem solchen Zustande, daß er sich nicht zu regen vermochte, was Ercolano auch redete. Da faßte er ihn bei einem Bein und zog ihn heraus und lief dann nach einem Messer, um ihn totzustechen. Weil ich aber fürchtete, durch diese Geschichte selbst vor den Richter zu kommen, sprang ich auf und litt nicht, daß er ihn tötete oder ihm sonst ein Leid [467] zufügte. Vielmehr verteidigte ich ihn und schrie so lange, bis Nachbarn herbeikamen und den jungen Menschen, der sich schon verloren gab, fortbrachten, wohin, weiß ich nicht. So war denn unser Abendessen gestört, und ich habe es, wie ich dir sagte, nicht einmal gekostet, geschweige denn, wie es meine Absicht war, zu mir genommen.«

Als das Weibchen diese Geschichte vernahm, erkannte sie wohl, daß andere Frauen nicht minder verständig waren als sie, daß aber auch hin und wieder einmal ein Unglück dazwischenkomme. So hätte sie denn die Frau des Ercolano gern mit deutlichen Worten verteidigt. Da sie indes durch den Tadel eines fremden Fehltritts den Verdacht von dem ihrigen besser abzulenken gedachte, begann sie folgendermaßen zu reden: »Nun, das sind mir schöne Geschichten. Eine rechte Tugendheldin und saubere Heilige muß das ja sein. So kann man sich auf den Schein der Ehrbarkeit verlassen! Wäre ich doch selbst bei ihr zur Beichte gegangen, so fromm und sittsam konnte sie tun. Und was noch schlimmer ist, sie ist nachgerade bei Jahren und gibt den jüngeren Frauen solch ein Beispiel! So soll doch die Stunde vermaledeit sein, in der sie zur Welt kam, und sie selbst nicht minder, daß sie in dieser Welt fortlebt als ein so ehrvergessenes, verworfenes Geschöpf, als eine gemeinsame Schmach und Schande für alle Frauen in dieser ganzen Stadt! Den Anstand tritt sie mit Füßen und alle Ehre vor der Welt und bricht die Treue, die sie ihrem Manne gelobt hat, einem wackeren Manne und ehrenwerten Bürger, der so gut gegen sie war, und scheut sich nicht, wegen solch eines Kerls sich selbst und zugleich auch noch ihren Mann zu brandmarken. So wahr mir Gott helfe, mit solchen Weibsbildern sollte man gar kein Mitleid haben. Umbringen sollte man sie, lebendig mitten ins Feuer stecken, bis sie zu Asche verbrannt wären.«

Inzwischen gedachte sie aber wieder ihres Liebhabers, den sie dort in nächster Nähe unter dem Hühnerkorb versteckt hatte, und darum fing sie an, dem Pietro zuzureden, daß er doch zu Bett gehen möge, da es schon Schlafenszeit sei. Pietro jedoch hatte mehr Lust zum Essen als zum Schlafen und fragte deshalb, ob nichts zum Abendbrot da sei. Die Frau aber antwortete: »Abendbrot! Da hat sich was mit Abendbrot! Als ob [468] wir gewohnt wären, ein Abendessen zu besorgen, wenn du nicht daheim bist! Ja, wenn ich Ercolanos Frau wäre! Geh nur, geh und sieh für heute abend, daß du einschläfst. Es ist das beste, was du tun kannst.«

Nun traf es sich, daß an eben jenem Abend einige Arbeitsleute des Pietro mit Sachen für ihn vom Lande gekommen waren und ihre Esel, ohne sie getränkt zu haben, in einen Stall neben jenem Hausflur eingestellt hatten. Einer dieser Esel, der an unmäßigem Durste litt, hatte indessen den Kopf aus dem Halfter gezogen und den Weg aus dem Stall nach dem Flur gefunden, wo er jetzt alles beroch, ob er nicht vielleicht Wasser fände. Bei dieser Gelegenheit stieß er auch auf den Korb, unter dem der junge Bursche steckte. Dieser mußte auf allen vieren kauern, so daß die Finger seiner einen Hand ein wenig unter dem Korb hervorkamen. Zu seinem Glück oder Unglück, wie wir es nehmen wollen, geschah es nun, daß der Esel ihm auf die Finger trat, weshalb er über den heftigen Schmerz, den er empfand, laut aufschrie. Als Pietro das hörte, wunderte er sich und erkannte wohl, daß dies im Hause selbst gewesen sei. Während indes jener nicht aufhörte zu wehklagen, da der Esel seinen Fuß immer noch nicht von den Fingern weggenommen hatte, sondern sie fortwährend heftig quetschte, ging Pietro mit dem Rufe: »Wer ist da?« aus dem Zimmer gerade auf den Hühnerkorb zu. Als er diesen emporhob, sah er den jungen Burschen, der jetzt noch, von den schmerzenden Fingern abgesehen, welche der Esel ihm gequetscht hatte, vor Furcht zitterte, daß Pietro ihm ein Leid antun möchte. Pietro hatte ihn indes als einen von denen erkannt, welchen er seinen lasterhaften Neigungen zufolge schon lange Zeit nachgegangen war, und so fragte er nur: »Was machst du hier?« worauf der junge Mensch nichts antwortete, sondern nur um Gottes willen bat, daß er ihm nichts tun möge.

Pietro erwiderte: »Steh auf und fürchte nicht, daß ich dir irgend etwas zu Leide tue. Sage mir aber, wie und zu welchem Zwecke du hierhergekommen bist.« Der junge Mensch sagte ihm alles. Pietro war aber ebenso zufrieden, ihn gefunden zu haben, wie die Frau betrübt darüber, daß dies geschehen war. Infolgedessen nahm er ihn bei der Hand und führte ihn in das [469] Zimmer, in welchem die Frau ihn mit der größten Angst von der Welt erwartete. Dann setzte er sich ihr gegenüber und sagte: »Erst eben verwünschtest du die Frau des Ercolano und meintest, man müsse sie als eine Schande für euch alle verbrennen. Warum sagtest du denn nicht dasselbe von dir? Oder wenn du dazu nicht geneigt warst, wie konntest du dich dann erfrechen, auf sie zu schelten, da du dir bewußt warst, das gleiche wie sie getan zu haben? Wahrlich, nichts anderes bewog dich dazu, als daß von euch die eine so schlecht ist wie die andere und jede ihren Fehler mit fremder Schuld zu verdecken strebt. So möchte doch Feuer vom Himmel fallen, um euch alle zu verzehren, ruchlose Brut, die ihr seid.«

Als das Weibchen gewahr wurde, daß ihr Mann auf den ersten Anhieb weiter nichts Böses getan hatte, als daß er schimpfte, und als sie zu bemerken glaubte, daß er sich vor Kitzel, so einen hübschen Burschen bei der Hand zu haben, nicht zu lassen wußte, faßte sie Mut und sagte: »Freilich glaube ich, daß du wünschest, ein Feuer möge vom Himmel fallen und uns alle verzehren, denn ich weiß wohl, du hast uns Weiber so lieb wie der Hund den Knüttel. Aber beim Kreuze Gottes, so gut soll dir's nicht werden. Wenn du indes einmal abrechnen willst, dann möchte ich doch wissen, über was du dich beschweren kannst. Willst du mich mit Ercolanos Frau vergleichen, so kann ich mir das wohl gefallen lassen. Das ist eine alte Betschwester und Heuchlerin, und ihr Mann gewährt ihr, was sie haben will, und hält sie, wie eine Frau gehalten werden muß. Mit mir aber verhält es sich anders. Gesetzt auch, ich wäre gut gekleidet und beschuht, so weißt du selbst am besten, wie es um das andere steht und wie lange es her ist, daß du nicht bei mir gelegen hast. Wollte ich doch lieber in Lumpen und barfuß gehen, wenn ich nur im Bett gut von dir behandelt würde, als all das zu haben und so traktiert zu werden, wie du es tust. Vernimm aber, was ich dir sage, Pietro: ich bin ein Weib so gut wie die andern und habe die gleiche Lust wie diese. Sorge ich also, ihr Genüge zu schaffen, wenn du es nicht tust, so trifft mich darum kein Vorwurf. Wenigstens halte ich noch so weit auf deine Ehre, daß ich mich nicht mit Gassenbuben und Grindköpfen einlasse.«

[470] Pietro sah wohl ein, daß es mit solchen Reden die ganze Nacht kein Ende nähme, und überdies war es ihm gar wenig um seine Frau zu tun. Darum sagte er: »Frau, nun schweige still. Ich sage dir, daß ich dich in diesem Punkte schon zufriedenstellen will. Recht lieb aber wäre es von dir, wenn du sorgen wolltest, daß wir etwas zum Nachtessen bekämen, da ich vermute, daß dieser junge Mensch so wenig wie ich selbst zu Abend gegessen hat.« »Freilich nicht«, sagte die Frau, »freilich hat er noch kein Abendbrot erhalten; denn als du zu ungelegener Stunde nach Hause kamst, hatten wir uns eben zu Tisch gesetzt, um zu essen.« »Nun«, erwiderte der Mann, »so geh denn und sorge für unser Nachtessen. Nachher will ich die Sache schon so einrichten, daß du keinen Grund haben wirst, dich zu beschweren.« Als das Weibchen den Herrn Gemahl begütigt sah, stand sie auf und ließ den Tisch gar schnell wieder herrichten und das Essen auftragen, das sie früher bereitet hatte. Dann speiste sie mit ihrem sündhaften Manne und dem jungen Menschen heiter zur Nacht.

Was Pietro nach dem Abendessen ersonnen hat, um alle drei Teile zufriedenzustellen, ist mir leider entfallen. Nur so viel weiß ich, daß am andern Morgen auf seinem Heimweg der junge Bursche bis auf den Markt noch nicht mit sich einig geworden war, ob der Mann oder die Frau ihm eifriger Gesellschaft geleistet hatte.

Drum, werte Damen, sag ich euch zum Schluß: »Was einer dir tu, das tut ihm wieder, und geht's nicht gleich, so merke dir's, bis es einmal geht, damit es dabei bleibt: wie man in den Wald schreit, so schallt es wieder heraus.«


Als die Geschichte des Dioneo beendet und von den Damen nicht aus mangelndem Vergnügen, sondern allein aus Schamhaftigkeit weniger belacht worden war, erkannte die Königin, daß das Ende ihres Regiments gekommen sei. Darum erhob sie sich von ihrem Sitze, nahm die Lorbeerkrone ab und setzte sie mit Anmut auf Elisas Haupt, indem sie dabei sagte: »Madonna, nun ist's an Euch zu befehlen.« Elisa tat, nachdem die Würde ihr zugefallen war, wie ihre Vorgängerinnen getan hatten, und erteilte zunächst dem Seneschall alle Aufträge, die für [471] die Zeit ihrer Herrschaft erforderlich waren. Dann aber sagte sie unter Zustimmung der ganzen Gesellschaft: »Wir haben bisher schon vielfach vernommen, wie es durch gute Einfälle, treffende Antworten und rasche Entschlüsse gar manchem gelungen ist, fremden Zähnen ein verdientes Gebiß anzulegen, sie stumpf zu machen oder drohende Gefahren zu verscheuchen. Da dies ein wahrhaftig schöner Gegenstand ist und auch von Nutzen sein kann, so will ich, daß morgen unsere Geschichten sich mit Gottes Hilfe um dies bemühen, was heißen soll, daß von denen erzählt werde, die durch ein geschicktes Wort fremde Neckereien zurückgegeben haben oder durch kühnes Erwidern und schnellen Entschluß einem Verlust, einer Gefahr oder Kränkung entgangen sind.«

Diese Aufgabe wurde von allen sehr gelobt. Die Königin aber erhob sich und entließ sie sämtlich bis zur Stunde des Abendessens. Als die löbliche Gesellschaft ihre Königin aufgestanden sah, erhob auch sie sich, und nach dem bisherigen Brauche unternahm ein jeder das, wovon er sich am meisten Vergnügen versprach. Nachdem aber die Grillen zu zirpen aufgehört hatten, wurden alle zusammengerufen, und man ging zu Tische. Zum Schlusse der Mahlzeit, bei der festliche Heiterkeit geherrscht hatte, begannen alle zu singen und zu spielen. Emilia führte nach dem Wunsche der Königin einen Tanz an, und dem Dioneo wurde befohlen, ein Lied dazu zu singen. Sofort begann er: »Frau Trude, Frau Trude, schließt zu Eure Bude; was Großes hab ich zu berichten.« Die Damen lachten alle, am meisten aber die Königin, die ihm befahl, ein anderes Lied zu singen. Dioneo sagte: »Hätt ich nur ein Tamburin, so säng ich: ›Hebt auf die Röcke, Monna Lappa‹ oder ›Unterm Ölbaum ist ein Rasen‹, oder sollt ich vielleicht singen: ›Ach, wie macht des Meeres Welle mir so übel und so weh‹? Ich habe nun aber einmal kein Tamburin. Drum müßt ihr schon sehen, was euch sons für eines gefällt. Möchtet ihr etwa: ›Kommst du raus, ich hau dich um, wie den Maibaum in dem Busch‹?« »Nein doch«, sagte die Königin, »sing uns ein anderes Lied.« »So werd ich denn singen: ›Monna Simona, füllt ein, füllt ein, und noch ist es nicht Kelterzeit‹«, sagte Dioneo, und die Königin antwortete lachend: »Ei, zum Kuckuck, sing uns ein [472] ordentliches Lied, denn das mögen wir auch nicht.« Dioneo sprach: »Gut, Madonna, werdet nur nicht böse und wählt nach Eurem Belieben, denn ich weiß mehr als tausend Liedchen. Wollt Ihr: ›Mein Schneckchen ist wohl klein, doch will's gekitzelt sein‹, oder ›Mach's nur sachte, liebes Männchen‹ oder ›Für hundert Lire kauft' ich einen Hahn‹?«

Obwohl die andern alle lachten, wurde die Königin jetzt doch etwas ungehalten und sagte: »Dioneo, laß deine Späße und singe uns ein hübsches Lied, sonst könntest du erfahren, daß ich ernstlich böse werden kann.« Als Dioneo das vernahm, hörte er auf mit jenen Dummheiten und hub also zu singen an:


Amor, das holde Licht,
Das mir aus ihren schönen Augen lacht,
Hat mich zum Knecht von dir und ihr gemacht.
Aus ihrem Auge leuchtete der Strahl,
Der deine Flamm in mir zuerst entzündet,
Als ihn die meinen sahn.
Wie du so reich an Preisen ohne Zahl,
Ihr holdes Angesicht hat mir's verkündet,
Wohl ist's um mich getan;
Denn ihr nur untertan
Ist jede Kraft, wenn ich an sie gedacht,
Die neue Seufzer in mir angefacht.
So bin ich denn von deiner Macht gefangen,
O teurer Herr, erwarte nur von dir,
Daß Lohn mich einst erfreue.
Ist aber wohl mein glühendes Verlangen,
Das du entzündet hast, gekannt von ihr,
Und jene feste Treue,
Die einzig ich ihr weihe?
Verschmäh ich doch, weil ganz in ihrer Macht,
Sogar den Frieden, den nicht sie gebracht.
Kennt sie es nicht, o süßer Herr, so bitt ich,
Daß du's ihr schilderst, und ein Fünkchen Glut
[473]
Ihr leihst, mit mir im Bunde.
Du weißt es ja, mich selbst verzehrend litt ich
Schon lange herbe Qual; es rinnt mein Blut
Aus immer offner Wunde.
Und dann zu guter Stunde
Sei ihr mich zu empfehlen du bedacht. –
Wie gern hätt ich den Weg mit dir gemacht!

Als das Schweigen des Dioneo anzeigte, daß sein Lied zu Ende war, ließ zwar die Königin noch viele andere singen, erteilte aber Dioneos Lied großes Lob. Inzwischen war schon ein Teil der Nacht verstrichen, und da die Königin wahrnahm, daß nunmehr die Nachtfrische der Wärme des Tages obsiegte, befahl sie, daß bis zum andern Morgen ein jeder nach seinem Gefallen zur Ruhe gehe.

[474]

Sechster Tag

[Einleitung]
[477]

Der Mond, der an des Himmels Mitte stand, hatte seine Strahlen verloren, und der anbrechende neue Tag erhellte unsere Welt in jedem ihrer Teile, als die Königin sich von ihrem Lager erhob und ihre Gesellschaft zusammenrufen ließ. Langsamen Schrittes auf dem tauigen Grase lustwandelnd, entfernten sich alle unter mannigfachen Gesprächen ein wenig von dem schönen Hügel. Bald stritten sie über den größeren oder geringeren Wert der erzählten Geschichten, bald belachten sie aufs neue die verschiedenen Zufälle, die in jenen berichtet worden waren. Weil aber inzwischen die Sonne schon hoch gestiegen war und die Wärme beschwerlich zu werden begann, schien es ihnen ratsam, wieder heimzukehren, und so lenkten sie ihre Schritte, die sie bald zu ihrem Aufenthaltsorte führten, zurück.

Hier fanden sie die Tische bereits gedeckt und den Fußboden mit wohlriechenden Kräutern und schönen Blumen ganz übersät, worauf sie nach dem Geheiß der Königin sich alsbald zu Tische setzten, bevor die Hitze noch weiter zunahm. Als das heitere Mahl beendet war und die Gesellschaft noch ein paar schöne und ergötzliche Liedlein gesungen hatte, legte der eine sich schlafen, und der andere vertrieb sich mit Schach- oder Brettspiel die Zeit; Dioneo aber und Lauretta fingen von Troilus und Chryseis zu singen an.

Zu der Stunde, um die man sich wieder zu versammeln pflegte, ließ die Königin einen jeden herbeirufen, und alle setzten sich in der gewohnten Weise rings um die Quelle. Eben wollte die Königin den Befehl zum Beginn der ersten Geschichte erteilen, als geschah, was noch niemals sich zugetragen hatte; zu aller Ohren drang nämlich von der Küche her ein gewaltiger Lärm, den die Mägde und Diener miteinander vollführten. Der Seneschall, der herbeigerufen und über die Ursache [477] des Lärms befragt ward, sagte, es sei ein Zank zwischen Licisca und Tindaro; doch wisse er den Grund selbst nicht anzugeben, da er, um Ruhe zu gebieten, erst eben hinzugekommen sei, als er den Befehl erhalten, vor der Gesellschaft zu erscheinen.

Die Königin hieß ihn Licisca und Tindaro sofort herbeiholen und fragte beide, nachdem sie erschienen waren, nach der Ursache ihres Zankes. Tindaro wollte antworten; Licisca aber, die nicht mehr jung und ziemlich unverträglich war, sich auch über dem Streite etwas erhitzt hatte, warf ihm einen verächtlichen Blick zu und fiel ihm also in die Rede: »Seht mir doch den unverschämten Gesellen, der sich untersteht, wo ich bin, vor mir sprechen zu wollen. Schweig und laß mich reden!« Dann aber sagte sie, zur Königin gewandt: »Madonna, dieser Mensch will mich die Frau des Sykofantes kennen lehren und, als ob ich nie mit ihr verkehrt hätte, gerade mir weismachen, in jener Nacht, wo Sykofantes das erste Mal bei ihr geschlafen, sei Junker Mauernbrecher nur mit Gewalt und Blutvergießen in Schwarzburg eingedrungen. Ich aber sage, daß das gelogen ist und daß er seinen Einzug ganz friedlich und mit vollem Einverständnis der Besatzung gehalten hat. Solch ein Einfaltspinsel ist Tindaro, daß er sich einbildet, die Mädchen seien dumm genug, ihre Zeit zu verlieren und auf die Erlaubnis ihrer Väter und Brüder zu warten, die unter sieben Malen sechsmal ihre Verheiratung drei oder vier Jahre länger verschieben, als sie sollten. Mein Schatz, da wäre schön für sie gesorgt, wenn sie so lange zögern wollten. Nein, wahrlich, beim wahrhaftigen Glauben – und wenn ich schwöre, dann weiß ich, was ich rede –, unter allen meinen Bekannten ist auch nicht eine, die als Jungfrau ins Ehebett gestiegen wäre, und wie oft und wie arg die Verheirateten ihren Männern Hörner aufsetzen, davon weiß ich auch ein Lied zu singen. Dieses Erzschaf aber will mich Weiber kennen lehren, als ob ich gestern erst zur Welt gekommen wäre.«

Während Licisca noch also redete, verführten die Damen solch lautes Gelächter, daß man ihnen hätte bequem sämtliche Zähne ausziehen können. Wohl sechsmal gebot die Königin der Schwatzenden Stillschweigen; doch war es umsonst, und sie ruhte nicht eher, als bis sie alles, was sie sagen wollte, gesagt[478] hatte. Da sie aber endlich von selbst zu reden aufhörte, sagte die Königin lächelnd, zu Dioneo gewendet: »Dioneo, das ist nun deine Sache. Sorge also, wenn unsere Geschichten für heute beendet sein werden, daß du endgültig unter den Streitenden entscheidest.« Hierauf antwortete sofort Dioneo: »Madonna, der Urteilsspruch ist gefällt, ohne daß ich mehr zu hören brauche, denn ich erkläre, daß Licisca recht hat, und halte dafür, daß Tindaro, ganz so wie sie gesagt hat, ein Einfaltspinsel ist.« Sobald Licisca diese Entscheidung vernahm, begann sie zu lachen und sagte zu Tindaro gewandt: »Geh, geh mit Gott, guter Freund. Du denkst dich klüger als mich und bist noch nicht trocken hinter den Ohren! Nun, Gott sei Dank, umsonst habe ich nicht gelebt ...« Und hätte ihr die Königin nicht zürnenden Blickes Stillschweigen auferlegt und weiteres Lärmen und Gerede bei Strafe des Staupbesens verboten, so hätten sie den ganzen Tag nichts anderes getan als ihr Geschwätz anhören. So aber hieß sie beide sich entfernen, und als sie gegangen waren, gebot sie Filomena, mit dem Erzählen zu beginnen, und diese fing fröhlich zu reden an:

Erste Geschichte

Ein Edelmann sagt zu Madonna Oretta, er wolle ihr den Weg durch eine Geschichte so sehr verkürzen, daß sie glauben werde, sie sitze zu Pferde. Als er sie darauf ungeschickt erzählt, bittet sie ihn, daß er sie wieder absteigen lasse.


Wie in hellen Nächten die Sterne der Schmuck des Himmels und im Frühling die Blumen die Zierde der grünen Wiesen und die neubelaubten Bäume der Schmuck der Hügel sind, so, ihr jungen Mädchen, gereichen glückliche Einfalle den lobenswerten Sitten und verständigen Reden zu besonderer Zier. Weil aber ein Witzwort seiner Natur nach kurz ist, so kleidet es uns Frauen in eben dem Maße besser, in dem viel zu sprechen uns weniger als den Männern ziemt. Wahr ist freilich, daß zur gemeinsamen Schande für uns alle (möge nun die Schuld in der [479] Dürftigkeit unseres Verstandes oder in einer besonderen Ungunst der Gestirne, die über unser Jahrhundert verhängt ist, zu suchen sein) jetzt nur wenig Frauen zu finden sind, ja vielleicht keine, die zur rechten Zeit einen guten Einfall zu sagen, oder wenn ein anderer dergleichen gehabt, ihn gehörig aufzufassen vermöchte. Weil indes Pampinea darüber früher schon hinlänglich gesprochen hat, so denke ich nichts weiter darüber zu sagen. Wohl aber will ich, um euch zu zeigen, wieviel Hübsches in einem guten Einfall zur rechten Stunde liegt, berichten, wie eine Dame geschickt einem Edelmann Stillschweigen zu gebieten wußte.

Wie manche von euch aus eigener Erfahrung oder doch vom Hörensagen wissen mag, weilte vor noch nicht langer Zeit in unserer Stadt eine Edeldame, die von erlesenen Sitten und der Rede kundig war. Da ihre rühmlichen Eigenschaften nicht verdienen, daß ihr Name verschwiegen werde, will ich euch berichten, daß sie Madonna Oretta hieß und des Messer Geri Spina Gemahlin war. Nun geschah es zufällig, als sie einmal, so wie auch wir eben tun, auf dem Lande verweilte, daß sie mit mehreren anderen Damen und Edelleuten, die sie an jenem Tage bewirtet hatte, zu ihrem Vergnügen von einem Orte zum andern lustwandelte. Da indes die Entfernung zwischen ihrem Ausgangsort und dem Ziel, das sie sämtlich zu Fuß erreichen wollten, vielleicht etwas groß war, sagte ein Edelmann aus der Gesellschaft: »Madonna Oretta, beliebt es Euch, so will ich Euch einen großen Teil des Weges, den wir noch vor uns haben, durch eine wunderschöne Geschichte so sehr verkürzen, daß Ihr glauben sollt, Ihr säßet zu Pferde.« Darauf antwortete die Dame: »Nicht nur beliebt es mir, ich bitte Euch sogar darum, und es soll mir höchst willkommen sein.«

Der Herr Ritter, der seinen Degen im Streit wohl auch nicht besser zu führen wußte als zum Erzählen seine Zunge, fing nach dieser Erlaubnis eine Geschichte an, die in der Tat an sich gar schön war, die er aber jämmerlich verdarb, da er bald das gleiche Wort vier- und fünfmal wiederholte, bald auf das schon Gesagte zurückkam, bald sich mit dem Ausruf: »Nein, das hab ich falsch erzählt!« unterbrach, bald endlich die Namen falsch sagte oder untereinander verwechselte, ganz zu schweigen, daß [480] seine Worte weder dem Charakter der Personen noch den erzählten Ereignissen irgend entsprachen.

Der Madonna Oretta brach über diesem Erzählen der Angstschweiß aus, und es wurde ihr beklommen ums Herz, als wäre sie krank. Endlich aber konnte sie es nicht mehr aushalten, und da sie gewahr wurde, daß der Edelmann in die Tinte geraten war und nicht wieder herausfand, sagte sie scherzhaft: »Messer, Euer Pferd hat einen harten Trab. Drum bitt ich Euch, laßt mich wieder absteigen.« Der Edelmann, der zum Glück geschickter im Verstehen als im Erzählen war, fühlte den Stachel und kehrte ihn zu Scherz und Heiterkeit. Dann aber wendete er sich andern Geschichten zu und ließ die eine, die er begonnen und schlecht ausgeführt hatte, unbeendigt.

Zweite Geschichte

Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Antwort Messer Geri Spina wegen eines unbescheidenen Begehrens zur Einsicht.


Die Mädchen und Jünglinge erteilten dem Einfall der Madonna Oretta großes Lob. Die Königin aber gebot Pampinea in gleicher Weise fortzufahren, worauf diese also begann:

Ich für mein Teil wüßte nicht zu entscheiden, ihr schönen Mädchen, wen von beiden größerer Tadel trifft, ob die Natur, wenn sie einer edlen Seele einen mißgestalteten Körper verleiht, oder Fortuna, wenn sie einem Körper, in dem eine edle Seele wohnt, ein niedriges Gewerbe zuweist, was wir an unserem Mitbürger Cisti und an manchen anderen haben wahrnehmen können. Obgleich nämlich Cisti mit einem hohen Sinne begabt war, hatte Fortuna ihn doch nur zum Bäcker gemacht. In der Tat verwünschte ich deshalb Natur und Fortuna zugleich, wüßte ich nicht, daß die Natur in allen Dingen verständig ist, und Fortuna, wenngleich die Törichten sie blind darzustellen pflegen, dennoch tausend Augen hat. So glaube ich denn, daß beide in jenem Falle sehr weise zu Werke gehen, wie selbst Sterbliche, wenn sie Ungewißheit der Zukunft ahnen und ihre [481] wertvollsten Dinge zu besserer Sicherheit an den unscheinbarsten Orten ihres Hauses als den unverdächtigsten vergraben, um sie bei dringendem Bedürfnis hervorzuholen – in welchem Fall jener verachtete Ort besser zur Verwahrung diente, als das schönste Gemach es getan hätte; ebenso verbergen die zwei Dienerinnen der Welt häufig ihre wertvollsten Gegenstände unter dem Schatten der wenig geachteten Gewerbe, damit ihr Glanz um so leuchtender erscheine, wenn jene sie im Notfall hervorholen. Wie Cisti, der Bäcker, dies in einer geringfügigen Sache dargetan und Herrn Geri Spina die Augen vernünftiger Einsicht eröffnet hat, gedenke ich euch in einem Geschichtchen zu erzählen, das mir bei dem eben über Madonna Oretta mitgeteilten in den Sinn kam, weil Madonna Oretta die Gemahlin jenes Geri war.

Ich sage also, daß Papst Bonifaz gewisser wichtiger Angelegenheiten wegen einige Edelleute als seine Gesandten nach Florenz geschickt hatte und diese im Hause des Messer Geri Spina, der beim Papst in sehr hohem Ansehen stand, abstiegen und mit ihm über die Geschäfte ihres Auftraggebers verhandelten. Dabei geschah es aus irgendeinem Grunde, daß Messer Geri und die Abgesandten des Papstes fast jeden Morgen zu Fuß an der Kirche Santa Maria Ughi vorüberkamen, neben der Cisti, der Bäcker, seine Backstube hatte und in eigener Person seinem Handwerk oblag.

Obgleich nun Fortuna diesem Manne ein gar bescheidenes Gewerbe beschieden hatte, war sie ihm doch gewogen gewesen, so daß er mehr als reich geworden war und deshalb, ohne sein Geschäft gegen irgendein anderes vertauschen zu wollen, mit ziemlichem Aufwand lebte. Besonders aber führte er neben andern guten Dingen stets die besten weißen und roten Weine, die in Florenz und Umgebung nur irgend zu finden waren.

Da nun Cisti jeden Morgen Messer Geri und die Gesandten des Papstes vor seiner Tür vorübergehen sah, meinte er, daß es bei der großen Hitze eine willkommene Aufmerksamkeit wäre, wenn er ihnen von seinem guten Weißwein zu trinken gäbe. Zugleich aber gedachte er des Unterschiedes zwischen seinem und des Messer Geri Stande, und so schien es ihm wieder nicht ziemlich, ihnen den Trunk anzubieten. Er ersann sich daher ein Mittel, das Messer Geri bewegen sollte, sich selbst einzuladen.

[482] Zu dem Ende setzte er sich jeden Morgen um die Stunde, zu welcher er Messer Geri mit den Gesandten glaubte erwarten zu können, mit einer schneeweißen Jacke und einer frischgewaschenen Schürze bekleidet, so daß er eher einem Müller als einem Bäcker ähnlich sah, vor seine Haustür und ließ einen neuen verzinnten Eimer voll frischen Wassers und ein kleines, gleichfalls neues Bologneser Krüglein seines guten weißen Weines nebst zwei Bechern, so blank, daß sie von Silber schienen, vor sich hinstellen. Wenn er sie dann kommen sah, spülte er sich ein- oder zweimal den Mund und begann darauf mit einem solchen Ausdruck des Behagens von seinem Wein zu trinken, daß er wohl selbst einem Toten Appetit darauf gemacht hätte. Nachdem dies Messer Geri den ersten und den zweiten Morgen mit angesehen hatte, sagte er am dritten: »Nun, Cisti, wie ist er? Ist er gut?« Cisti erhob sich sogleich und antwortete: »Herr, gut ist er. Wie gut aber, kann ich Euch nicht deutlich machen, wenn Ihr ihn nicht versuchen wollt.«

Sei es nun, daß die Beschaffenheit des Wetters in Messer Geri Durst erweckt hatte, oder daß eine mehr als gewöhnliche Anstrengung oder auch nur das behagliche Trinken Cistis die Ursache sein mochte, genug, er sagte, zu den Botschaftern gewendet, mit Lächeln: »Ihr Herren, es wird gut sein, daß wir den Wein dieses wackeren Mannes versuchen. Vielleicht finden wir ihn von einer Güte, daß wir es nicht zu bereuen haben.« Und somit gingen sie gemeinsam zu Cisti. Dieser aber ließ aus der Backstube eine saubere Bank herbeibringen und lud die Herren zum Sitzen. Zu ihren Dienern indes, die sich schon daran machen wollten, die Becher zu waschen, sagte er: »Freunde, bleibt mir davon weg und überlaßt es mir, diesen Dienst zu besorgen. Ich verstehe mich ebenso gut dar auf, Wein in die Becher zu schenken, wie Brot in den Ofen zu schieben. Und macht euch keine Hoffnung, einen Tropfen zu kosten.« Während er so sprach, schwenkte er selbst vier schöne und neue Becher aus, ließ ein Krüglein seines guten Weines bringen und schenkte Herrn Geri und seinen Gefährten fleißig zu trinken ein.

Alle erkannten den Wein für den besten, den sie seit langer Zeit getrunken, und lobten ihn aus vollem Halse, weshalb denn [483] auch Messer Geri, solange die Gesandten verweilten, fast jeden Morgen dorthin zum Trunke ging. Als aber diese ihre Geschäfte beendet hatten und wieder abreisen sollten, richtete Messer Geri noch ein glänzendes Festmahl her, zu dem er viele der angesehensten Bürger bat. Auch den Cisti hatte er laden lassen; doch wollte dieser auf keine Weise der Einladung folgen. Da hieß Messer Geri einen seiner Diener um eine Flasche jenes Weines zu Cisti gehen, so daß auf jeden Gast ein halbes Glas voll käme, das beim ersten Gericht gereicht werden sollte. Der Diener, den es vielleicht verdroß, daß er von dem Weine noch nie hatte zu trinken bekommen, nahm eine große Flasche mit auf den Weg. Als Cisti diese gewahr ward, sagte er: »Mein Sohn, Messer Geri schickt dich nicht zu mir.« Zwar versicherte der Diener wiederholt, daß es sich wirklich so verhalte; da er indes von Cisti keine andere Antwort erlangen konnte, kehrte er zu Messer Geri zurück und berichtete ihm Cistis Worte. Messer Geri erwiderte: »Gehe nur noch einmal hin und sage, daß ich allerdings dich schicke, und wenn er dir dann wieder so antwortet, so frage ihn, wohin denn sonst ich dich schicken möchte.« Zu Cisti zurückgekommen, sagte der Diener: »Gewiß doch, Cisti, Messer Geri schickt mich zu dir.« Hierauf antwortete Cisti: »Gewiß, mein Sohn, er tut es nicht.« »Nun«, sagte der Diener, »wohin schickt er mich denn sonst?« »Zum Arno«, entgegnete Cisti.

Der Diener berichtete diese Antwort dem Messer Geri, und sobald dieser sie vernahm, ging ihm ein Licht auf, und er sagte zum Diener: »Laß mich doch die Flasche sehen, die du hingetragen hast.« Als er sie gesehen hatte, fügte er hinzu: »Cisti spricht die Wahrheit.« Dann schalt er den Diener und ließ ihn eine angemessenere Flasche nehmen. Kaum erblickte Cisti diese, so sprach er: »Nun sehe ich wohl, daß er dich zu mir schickt«, und füllte sie ihm bereitwillig. Noch am selben Tage aber ließ er ein Fäßlein dieses Weines in der Stille dem Messer Geri ins Haus tragen. Bald darauf ging er dann selber zu ihm und sagte: »Herr, es wäre mir nicht lieb, daß Ihr glaubtet, die große Flasche von heute morgen hätte mich erschreckt. Es schien mir nur, als ob Ihr vergessen hättet, was ich Euch durch meine Krüglein früher angedeutet hatte, daß dies nämlich kein Gesindewein [484] sei, und darum wollte ich Euch heute früh daran erinnern. Weil ich aber nicht mehr der Wächter meines Weines zu sein gedenke, habe ich meinen ganzen Vorrat Euch zugeschickt; nun tut damit in Zukunft, was Euch beliebt.«

Messer Geri hielt das Geschenk des Cisti äußerst wert. Er dankte ihm so herzlich, wie es sich für eine solche Gabe ziemte, und achtete ihn von da an stets als einen Ehrenmann und Freund.

Dritte Geschichte

Monna Nonna de' Pulci gebietet durch eine treffende Antwort den unschicklichen Reden des Bischofs von Florenz Schweigen.


Als Pampinea ihre Geschichte beendet hatte und sowohl die Antwort als auch die Freigebigkeit des Cisti von allen sehr gelobt worden waren, beliebte es der Königin, daß Laurettas Erzählung folgte. Diese nun begann freudigen Mutes also zu reden:

Ihr holdseligen Mädchen, wie früher Filomena hat eben jetzt Pampinea sehr wahr gesprochen, wenn sie beide unseren Mangel an Talent und die Schönheit eines witzigen Wortes hervorhoben. Wenn deshalb hierauf zurückzukommen nicht mehr nötig scheint, so will ich euch, was auch immer schon von Witzworten gesagt, nur noch an dies eine erinnern: daß sie für den Hörer zwar beißend sein müssen, aber nur als bisse ein Lamm, und nicht ein Hund; denn bissen sie gleich einem Hunde, so wären sie nicht mehr ein Witzwort, sondern eine Grobheit. Und dem genügten vollkommen sowohl die Worte Madonna Orettas als auch die Antworten Cistis. Wird indessen ein solcher Einfall als Antwort gegeben, erscheint alsdann der Antwortende, obgleich bissig wie ein Hund, nicht zu tadeln, wenn er zuvor selber von einem Hunde gebissen war, obwohl ihn hätte Tadel treffen müssen, hätte er ohne solchen Anlaß auf diese Weise geredet. Darum soll man wohl acht haben, wie, wann und mit wem, nicht minder aber auch wo man sich auf Scherzreden einläßt. Diese Rücksichten beachtete einst ein Prälat [485] unserer Stadt so wenig, daß er keinen geringeren Hieb empfing, als er austeilte, wie ich euch dies in einer kleinen Geschichte erzählen will.

Um die Zeit, als Messer Antonio d' Orso, ein weiser und ehrenwerter Kirchenfürst, Bischof von Florenz war, kam ein katalanischer Edelmann, Messer Diego della Ratta genannt, als Marschall König Roberts nach Florenz. Schön von Gestalt, wie er war, dabei ein arger Weiberjäger, fand er unter den Frauen von Florenz besonders an einer Behagen, die ein schönes Weib und die Enkelin des Bruders jenes Bischofs war. Als er nun vernahm, daß ihr Mann, obwohl aus gutem Hause, ein schmutziger Geizhals und von niedriger Gesinnung sei, einigte er sich mit ihm, daß er ihm fünfhundert Goldgulden geben, dieser ihn dagegen eine Nacht bei seiner Frau schlafen lassen solle.

Obwohl es nun wider den Willen der Frau geschah, so schlief er doch bei ihr. Dann aber gab er dem Mann fünfhundert Silbergroschen, wie sie damals im Umlauf waren, die er inzwischen hatte vergolden lassen. In kurzem kam dies zu aller Ohren, und jener elende Wicht hatte Schande und Spott zugleich zu ertragen. Der Bischof aber, als ein verständiger Mann, stellte sich, als ob er von der Geschichte nichts wisse.

Inzwischen verkehrten der Bischof und der Marschall viel miteinander, und so geschah es, daß sie an einem Johannistage beide auf der Straße, wo das Wettrennen stattfindet, nebeneinander ritten und die Damen beschauten, wobei der Bischof eine junge Frau bemerkte, welche uns erst vor kurzem die gegenwärtige Pest geraubt. Ihr Name war Monna Nonna de' Pulci, eine Base des Messer Alessio Rinucci, und ihr alle mögt sie gekannt haben. Zu jener Zeit nun war sie eine jugendfrische und schöne Frau, die nicht auf den Mund gefallen war und das Herz auf dem rechten Fleck hatte, auch war sie erst vor kurzem in die Nähe der Porta San Piero verheiratet worden.

Schon von ferne zeigte der Bischof sie dem Marschall; als sie aber näher gekommen waren, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Nonna, was hältst du von diesem hier? Getrautest du dich, mit ihm fertig zu werden?« Nonna war der Meinung, daß diese Worte ihre Sittsamkeit antasteten und [486] geeignet seien, sie in der Meinung derer, welche sie gehört hatten – und es waren viele –, zu beflecken. Indes hielt sie es für geraten, nicht jenen Makel von sich abzuwaschen, sondern Stich mit Stich zu vergelten, und antwortete sogleich: »Herr, vielleicht würde er nicht mit mir fertig werden. Jedenfalls aber müßte er mir gutes Geld geben.«

Als Marschall und Bischof diese Antwort vernahmen, fühlten sich beide getroffen: der eine wegen der Unsittlichkeit, deren er sich gegen die Enkelin des Bruders des Bischofs schuldig gemacht hatte; der andere, weil ihm diese Schmach in der Enkelin des eigenen Bruders angetan worden war. Und so ritten sie beide, ohne einander anzuschauen, schweigsam und beschämt ihres Weges, ohne jenen Tag über weiter zu reden.

Der jungen Dame aber gereichte es nicht zum Vorwurf, daß sie, nachdem man sie angegriffen hatte, den Angriff durch einen beißenden Einfall abwehrte.

Vierte Geschichte

Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, verwandelt durch einen schnellen Einfall den Zorn des Currado in Gelächter und rettet sich vor dem Unheil, mit dem dieser ihn schon bedroht hatte.


Schon schwieg Lauretta, und die Nonna war von allen auf das höchste gelobt worden, als die Königin der Neifile fortzufahren gebot. Diese also begann zu sprechen:

Ihr liebreichen Mädchen, obwohl ein schneller Verstand oft dem Redenden je nach den Umständen treffende und kluge Einfälle an die Hand gibt, so kommt doch das Glück zu Zeiten auch den Furchtsamen zu Hilfe und legt ihnen plötzlich Worte auf die Zunge, welche der Sprechende in ruhigen Augenblicken hätte nie zu ersinnen vermocht. Davon denke ich euch durch meine Geschichte ein Beispiel zu geben.

Currado Gianfigliazzi war, wie jede von euch gesehen und gehört haben mag, stets ein gar freigebiger und gastfreier adeliger Bürger unserer Stadt, der – seiner wichtigeren Leistungen [487] für jetzt zu schweigen – ein ritterliches Leben führte und sich stets mit Hunden und Beizvögeln vergnügte. Als dieser nun eines Tages unfern von Peretola mit einem seiner Falken einen Kranich getötet und diesen jung und fett gefunden hatte, schickte er ihn seinem guten Koch, der Chichibio hieß und ein Venezianer war, und ließ ihm sagen, daß er ihn zum Abendessen braten und wohl zubereiten solle. Chichibio, der wie ein Bruder Leichtfuß aussah und auch wirklich einer war, rupfte den Kranich, steckte ihn an den Spieß und begann ihn sorgsam zu braten. Fast war er schon gar und verbreitete einen prächtigen Wohlgeruch, als ein Dirnchen aus der Umgegend, das Brunetta hieß und in das Chichibio gewaltig verliebt war, in die Küche trat. Kaum roch sie den Duft des Bratens und sah den Kranich am Spieß, so gab sie dem Chichibio die besten Worte, daß er ihr einen Schenkel davon abschneiden möchte. Chichibio antwortete singend: »Ihr kriegt ihn nicht, Donna Brunetta, Ihr kriegt ihn nicht von mir.« Darüber wurde denn das Dirnchen ganz zornig und sagte: »Nun, so wahr wie Gott lebt, gibst du mir nicht einen Schenkel, so kriegst du von mir nicht das mindeste, wozu auch immer du Lust haben magst.« Am Ende löste Chichibio, um sein Mädchen nicht böse zu machen, wirklich einen Schenkel ab und gab ihn ihr.

Als indes dem Currado und seinen paar Gästen der Kranich mit einem Schenkel vorgesetzt ward, ließ jener voll Erstaunen den Chichibio rufen und fragte ihn, was mit dem andern Schenkel geworden sei. Der lügenhafte Venezianer antwortete sogleich: »Herr, die Kraniche haben nur einen Schenkel und ein Bein.« Zornig erwiderte Currado: »Was, zum Teufel, sie hätten nur einen Schenkel und ein Bein? Als ob das der erste Kranich wäre, den ich zu sehen bekomme!« Chichibio aber blieb dabei und sprach: »Herr, es ist so, wie ich Euch sage, und beliebt es Euch, so werde ich es Euch an den lebendigen zeigen.« Currado wollte mit Rücksicht auf die Fremden, die er bei sich hatte, den Wortwechsel nicht weiter fortsetzen; darum antwortete er: »Weil du denn sagst, daß du mir an den lebendigen Vögeln zeigen willst, was ich allerdings noch nie gesehen oder von andern gehört habe, so will ich mir morgen früh die Sache ansehen. Aber beim Leibe Christi, das schwöre ich dir, [488] wenn es sich anders verhält, so lasse ich dich zurichten, daß du mich dein Leben lang in schlechter Erinnerung behalten sollst.«

So endete der Streit für diesen Abend. Am andern Morgen aber erhob sich Currado bei Tagesanbruch noch gar zornig, denn der Ärger hatte ihn nicht schlafen lassen, und gebot, daß die Pferde vorgeführt würden. Dann ließ er den Chichibio auf ein Rößlein aufsitzen und ritt mit ihm nach einer Niederung, wo man am Flußufer in der Morgenfrühe Kraniche anzutreffen pflegte. Im Reiten aber sagte er: »Nun werden wir ja sehen, wer gestern gelogen hat, ich oder du.«

Als Chichibio merkte, daß Currados Zorn noch andauerte und er seiner Lüge überführt werden sollte, ritt er in der größten Angst von der Welt hinter Currado her und wäre gern geflohen, wenn es sich hätte tun lassen. Da sich aber dazu keine Gelegenheit bot, blickte er bald vor-, bald rückwärts, bald nach beiden Seiten, und alles, was ihm vor die Augen kam, schien ihm auszusehen wie Kraniche, die auf zwei Beinen standen. Endlich, als sie schon in die Nähe des Flusses gelangt waren, erblickte er, früher als einer der übrigen, am Ufer wohl ein Dutzend Kraniche, die sämtlich, wie diese Vögel schlafend zu tun pflegen, auf einem Beine standen. Da zeigte er sie schleunigst dem Messer Currado und rief: »Herr, nun könnt Ihr deutlich erkennen, daß ich Euch gestern abend die Wahrheit gesagt habe, wenn ich behauptete, die Kraniche hätten nur einen Schenkel und ein Bein. Seht nur die alle, die dort stehen.« Als Currado sie gewahr wurde, sagte er: »Warte nur, ich will dir schon zeigen, daß sie ihrer zweie haben.« Und indem er ein wenig näher heranritt, rief er: »Ho, ho!« Aufgeschreckt durch diesen Ruf, ließen die Kraniche alsbald den andern Fuß nieder und flogen nach wenigen Schritten alle davon. Da wandte sich Currado zu Chichibio und sprach: »Nun, du Naschmaul, was meinst du jetzt? Glaubst du nun, daß sie zwei Beine haben?« Chichibio war ganz bestürzt, und ohne selbst zu wissen, woher ihm die Antwort zufiel, entgegnete er: »Freilich, Herr, freilich, aber dem Kranich von gestern habt Ihr nicht ›Ho, ho!‹ zugerufen; denn hättet Ihr das getan, hätte er sicher das andere Bein ebenso ausgestreckt, wie vorhin diese hier.«

Den Currado ergötzte diese Antwort so sehr, daß all sein [489] Zorn sich in Scherz und Lachen verkehrte, und er antwortete: »Chichibio, du hast recht, das hätte ich freilich tun sollen.« So also entging Chichibio durch eine schnelle und scherzhafte Erwiderung dem Unheil und wendete den Zorn seines Herrn von sich ab.

Fünfte Geschichte

Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der Maler, die beide von Mugello zurückkommen, machen sich gegenseitig über ihr unscheinbares Aussehen lustig.


Als Neifile schwieg und die Damen an der Antwort des Chichibio noch viel Gefallen geäußert hatten, begann Panfilo nach dem Gebot der Königin also zu reden:

So wie zuweilen Fortuna die größten Fähigkeiten und Verstandeskräfte unter einem bescheidenen Gewerbe verbirgt, geschieht es auch oft, daß die Natur die erstaunlichsten Geistesgaben mit den abschreckendsten Körperformen paart. Dies wird an zweien unserer Mitbürger deutlich, von denen ich euch sogleich zu erzählen gedenke.

Der eine von ihnen, welcher Messer Forese da Rabatta genannt ward, war von so kleinem mißgestaltetem Wuchse und hatte ein so plattgedrücktes Gesicht mit aufgeworfener Nase, daß der Häßlichste unter den Baronci es für eine Schmach gehalten haben würde, mit ihm zu tauschen. Dennoch war er in allen Gesetzesfragen mit so tiefer Einsicht begabt, daß er von vielen kundigen Männern eine Fundgrube der Rechtsgelehrsamkeit genannt wurde.

Der Name des andern war Giotto, und er war mit so vorzüglichen Talenten begabt, daß die Natur, welche die Mutter aller Dinge ist, deren fortwährendes Gedeihen durch das unablässige Kreisen der Himmel bewirkt wird, nichts hervorbringt, was er mit Griffel, Feder oder Pinsel nicht dem Urbild so ähnlich darzustellen gewußt hätte, daß es nicht als ein Abbild, sondern als die Sache selbst erschienen wäre, weshalb denn der Gesichtssinn der Menschen nicht selten irregeleitet [490] ward und für wirklich hielt, was nur gemalt war. Mit Recht kann man ihn als einen der ersten Sterne des florentinischen Ruhmes bezeichnen, denn er ist es gewesen, der die Kunst wieder zu neuem Lichte erhoben hat, nachdem sie Jahrhunderte lang wie begraben unter den Irrtümern derer lag, die durch ihr Malen mehr die Augen der Unwissenden zu kitzeln, als der Einsicht der Verständigen zu genügen, bestrebt waren. Und man kann dies um so mehr, mit je größerer Bescheidenheit er sich diesen Ruhm erwarb, indem er, obwohl er ein Meister aller derer war, welche diesen Beruf ausübten, es standhaft ablehnte, Meister genannt zu werden. Und je größer die Gier war, mit der diejenigen, welche viel weniger von der Kunst verstanden als er oder seine Schüler, sich die von ihm abgelehnte Bezeichnung anmaßten, mit desto hellerem Glanze schmückte sie ihn. So groß nun aber auch seine Kunst war, so war er doch in Gestalt und Gesichtszügen um nichts schöner als Messer Forese.

Um jedoch auf meine Geschichte zu kommen, sage ich: Messer Forese und Giotto hatten beide ihre Besitzungen in Mugello. Nun war jener um die Zeit, da die Gerichte ihre Sommerferien halten, dorthin gereist, um nach dem Rechten zu sehen, und als er zufällig auf einem unscheinbaren Rößlein heimwärts ritt, traf er auf den schon erwähnten Giotto, der gleichfalls seine Güter besichtigt hatte und nun nach Florenz zurückkehrte. Giotto aber war in keinem Stücke besser beritten oder bekleidet als jener, und so setzten sie denn, wie es zwei bejahrten Leuten geziemt, langsamen Schrittes miteinander ihre Reise fort. Da geschah es, wie sich dies im Sommer oftmals zuträgt, daß ein plötzlicher Regen sie überfiel, so daß sie sich, so schnell sie vermochten, in das Haus eines Bauern flüchteten, der mit ihnen beiden bekannt und befreundet war. Inzwischen sah es aber nicht so aus, als ob der Regen nachlassen wollte, und da beide noch am selben Tag nach Florenz wollten, liehen sie sich von dem Bauern zwei alte Mäntel, wie man sie in der Romagna trägt, desgleichen, da keine besseren zu haben waren, auch noch zwei Hüte, die vor Alter ganz abgetragen waren, und mit diesen machten sie sich auf den Weg.

Nachdem sie eine Weile geritten waren, hatte der Regen sie völlig durchnäßt; auch waren durch das Gespritze der Pferdehufe [491] bei dem nassen Wetter ihre Anzüge ganz beschmutzt, und beides trug nicht viel dazu bei, ihren Aufzug anständiger erscheinen zu lassen. Mittlerweile hatte aber das Wetter sich ein wenig aufgehellt, und sie begannen, nachdem sie lange Zeit schweigsam nebeneinander geritten waren, sich zu unterhalten.

Als nun Messer Forese des Weges ritt und dem Giotto zuhörte, der trefflich zu reden wußte, betrachtete er ihn von der Seite her vom Kopf bis zu den Füßen und um und um, und wie er ihn in allen Stücken so unscheinbar und häßlich fand, begann er, ohne zu bedenken, welche Figur er selbst machte, zu lachen und sagte: »Giotto, wenn jetzt ein Fremder, der dich nie gesehen hätte, uns hier entgegenkäme – kannst du dir denken, daß er dich als den ersten Maler der Welt, der du doch bist, erkennen würde?« Sofort antwortete Giotto: »Messer, ich glaube wohl, daß er mich als solchen erkennen würde, sobald er, nachdem er Euch besehen, glaubte, daß Ihr das Abc könntet.«

Messer Forese erkannte aus dieser Antwort sein Unrecht und sah sich mit einer Münze bezahlt, die der von ihm verkauften Ware völlig entsprach.

Sechste Geschichte

Michele Scalza beweist einigen jungen Leuten, daß die Baronci das adeligste Geschlecht in der Welt und in der Maremma sind, und gewinnt damit eine Mahlzeit.


Noch lachten die Damen über Giottos treffliche Antwort, als die Königin der Fiammetta fortzufahren gebot, und diese folgendermaßen zu reden begann:

Daß Panfilo vorhin die Baronci erwähnte, die ihr, liebe Mädchen, vielleicht kennt, hat mir eine Geschichte ins Gedächtnis zurückgerufen, welche, ohne von unserer Aufgabe abzuweichen, dartut, wie alt ihr Adel ist, und die ich euch nun zu erzählen gedenke.

Noch ist es nicht lange her, daß in unserer Stadt ein junger Mann, mit Namen Michele Scalza, lebte, welcher der spaßhafteste [492] und ergötzlichste Gesell von der Welt war und immer die absonderlichsten Einfälle bei der Hand hatte. Deshalb sahen die jungen Florentiner, sooft sie eine muntere Gesellschaft veranstalteten, es besonders gern, wenn sie ihn dafür gewinnen konnten. Als er nun eines Tages mit einigen andern zu Mont' Ughi war, geschah es, daß sich unter ihnen ein Streit entspann, welches von den Florentiner Geschlechtern wohl das edelste und älteste sei. Einige sagten die Uberti, andere die Lamberti, der nannte die Familie und jener eine andere, ein jeder, wie er es eben verstand.

Während Scalza ihnen zuhörte, begann er zu lächeln und sagte: »Geht doch, geht, ihr Tröpfe, die ihr seid. Ihr wißt alle nicht, was ihr redet. Das edelste Geschlecht und das älteste, nicht nur in Florenz, sondern in der ganzen Welt und auch noch in der Maremma, sind die Baronci, und darüber sind die Philosophen und jeder andere, der sie so kennt, wie ich sie kenne, schon lange einig. Damit ihr aber nicht denkt, ich rede von jemand anderem, so sage ich euch, daß ich die Baronci von Santa Maria Maggiore meine, die eure Nachbarn sind.« Die jungen Leute hatten wirklich geglaubt, daß er von andern rede. Bei diesen letzten Worten aber lachten sie ihm ins Gesicht und sprachen: »Du willst uns zum Narren haben, als ob wir die Baronci nicht ebensogut kennten wie du.« »Nein«, sagte Scalza, »bei den heiligen Affenkehlen, das will ich nicht. Ich sage die Wahrheit, und wenn einer unter euch Lust hat und will eine Mahlzeit wetten für sechs Tischgäste, die der Gewinner nach Belieben bestimmen kann, so setze ich gern dagegen. Und noch mehr will ich tun: ich will mich dem Schiedsspruch eines jeden, den ihr haben wollt, unterwerfen.« Da sagte einer von den andern, der Neri Mannini hieß: »Nun, ich bin's zufrieden, die Mahlzeit zu gewinnen.« Hierauf einigten sich beide, daß Piero di Fiorentino, in dessen Hause sie sich eben befanden, Schiedsrichter sein solle, und gingen sofort zu ihm hin. Die andern aber folgten ihnen alle, um zu sehen, wie Scalza die Wette verlöre, und ihn dann zum besten zu haben.

Nachdem sie dem Piero ihre Wette erzählt hatten, hörte dieser, der ein verständiger junger Mann war, sich zuerst an, [493] was Neri vorzubringen hatte, und wandte sich sodann mit den Worten an Scalza: »Nun, wie willst du jetzt beweisen, was du behauptest?« Scalza antwortete: »Wie? Mit solchen Gründen will ich es beweisen, daß nicht nur du, sondern jeder, der es jetzt leugnet, selbst zugestehen soll, daß ich die Wahrheit sage. Ihr wißt, je älter die Geschlechter sind, desto adeliger sind sie, und das war ja auch vorhin euer aller Meinung. Sind nun die Baronci älter als irgendein anderes Geschlecht, so sind sie auch am adeligsten. Wenn ich euch also beweise, daß sie die älteste Familie sind, so habe ich ohne Zweifel die Wette gewonnen.

Ihr müßt wissen, daß unser Herrgott die Baronci zu einer Zeit gemacht hat, wo er erst angefangen hat, malen zu lernen. Alle anderen Menschen sind aber erst geschaffen worden, als er das Malen schon konnte. Um zu sehen, daß ich die Wahrheit sage, so gebt nur einmal auf die Baronci und auf andere Leute acht. Während ihr alle andern mit wohlgebildeten Gesichtern, in denen die einzelnen Teile im richtigen Verhältnis zueinander stehen, seht, könnt ihr wahrnehmen, daß unter den Baronci der eine ein übermäßig langes und schmales Gesicht hat, während dafür das des andern über alle Maßen breit ist. Dieser hat eine gewaltige lange Nase, jener eine kurze; das Kinn eines dritten steht weit vor und ist nach oben gekrümmt, die großen Kinnbacken aber gleichen denen eines Esels. Ja es gibt deren, die ein großes und ein kleines Auge haben, und das eine höher stehend als das andere. Kurz, ihre Gesichter sehen ganz so aus wie die, welche die Kinder machen, wenn sie erst eben anfangen, zeichnen zu lernen. So ergibt sich denn, wie ich euch sagte, gar deutlich, daß unser Herrgott sie gemacht hat, als er erst malen lernte. Daraus folgt aber, daß sie älter sind als die andern Geschlechter und mithin auch adeliger.«

Daß die Baronci wirklich so aussehen, war sowohl dem Piero, der Schiedsrichter sein sollte, als auch dem Neri, der um die Mahlzeit gewettet hatte, und jedem der andern erinnerlich. Daher fingen sie denn bei der spaßhaften Begründung, die Scalza vorbrachte, sämtlich zu lachen an und versicherten wie aus einem Munde, Scalza habe recht, die Mahlzeit gehöre ihm und die Baronci seien ohne jeden Zweifel das adeligste und [494] älteste Geschlecht, das man nicht nur in Florenz, sondern in der ganzen Welt, die Maremma eingeschlossen, finden könne.

Und darum hat Panfilo vorhin, als er die Häßlichkeit von Messer Foreses Gesicht beschreiben wollte, mit Recht sagen dürfen, daß es selbst einen von den Baroncis noch verunziert hätte.

Siebente Geschichte

Madonna Filippa wird vor Gericht gefordert, weil ihr Gatte sie mit ihrem Geliebten erwischt hat. Durch ihre geschickte und lustige Antwort kommt sie aber frei und veranlaßt eine Abänderung des Stadtrechts.


Fiammetta schwieg, und noch lachte jeder über den wunderlichen Grund, durch welchen Scalza den Adel der Baronci über den aller andern erhoben hatte, als die Königin dem Filostrato zu erzählen gebot. Dieser begann also zu reden:

Gut reden zu können, ihr ehrenwerten Damen, ist bei jeder Gelegenheit ein schönes Ding, am schönsten aber dünkt mich diese Redegabe, wenn sie sich da bewährt, wo die Notwendigkeit sie dringend erfordert. Dies Geschick besaß eine Edelfrau, von der ich euch zu erzählen gedenke, in solchem Maße, daß sie nicht nur in ihren Zuhörern Lachen und Heiterkeit erweckte, sondern, wie ihr vernehmen werdet, sich selbst aus den Schlingen eines schimpflichen Todes befreite.

In der Stadt Prato bestand einst das in Wahrheit ebenso grausame wie tadelnswerte Gesetz, daß eine Ehefrau, die ihr Gatte im Ehebruch mit einem Geliebten antraf, ohne den geringsten Unterschied genau so verbrannt werden sollte wie diejenige, welche dabei ertappt wurde, daß sie sich dem ersten besten für Geld preisgab. Während dieses Gesetz noch in Kraft war, geschah es, daß eine adelige und schöne Frau, die Madonna Filippa hieß und verliebter war als irgendeine andere, eines Nachts in ihrem eigenen Schlafgemach von Rinaldo dei Pugliesi, ihrem Gatten, in den Armen des Lazzarino de Guazzagliotri, eines jungen und schönen Edelmannes aus derselben Stadt, gefunden wurde, den sie liebte wie ihr eigenes Leben. [495] Bei diesem Anblick geriet Rinaldo so außer sich, daß er sich kaum bezwingen konnte, nicht über sie herzufallen und sie zu töten; und wäre er nicht wegen der Folgen besorgt gewesen, so hätte er dem Ungestüm seines Zornes gehorcht und also getan. So enthielt er sich zwar dieses Verlangens, begehrte aber statt dessen von dem grausamen Prateser Gesetze den Tod seiner Frau, den zu vollstrecken ihm selbst verboten war.

Da er nun ein ziemlich ausreichendes Zeugnis hatte, um den Fehltritt seiner Frau zu beweisen, verklagte er sie, ohne besseren Rat anzunehmen, sobald es Tag geworden war, und ließ sie vor das Gericht fordern. Die Frau, die gar kühnen Mutes war, wie man dies bei allen zu finden pflegt, die in wahrhafter Liebe entbrannt sind, beharrte, so nachdrücklich ihr auch von vielen Freunden und Verwandten abgeraten wurde, auf ihrem Vorsatz, zu erscheinen und lieber mit dem Geständnis der Wahrheit starken Geistes zu sterben, als nach feiger Flucht in der Verbannung zu leben und sich dadurch eines so edlen Geliebten unwert zu erweisen, wie es der war, in dessen Armen sie die vorige Nacht verlebt hatte.

Sie erschien also mit einem stattlichen Gefolge von Damen und Männern, die ihr alle zu leugnen rieten, vor dem Podesta und fragte diesen mit furchtlosem Blick und fester Stimme, was er von ihr begehre. Als der Podesta sie ins Auge faßte und gewahrte, wie schön sie war und wieviel edlen Anstand sie besaß, und als er ihren Worten zugleich entnahm, welch hohen Sinn sie hegte, fing er an, Mitleid mit ihr zu empfinden und sich zu sorgen, daß sie Dinge bekennen möchte, um derentwillen er durch seine Ehre genötigt wäre, sie zum Tode zu verurteilen. Deshalb sagte er zu ihr, da er doch nicht umhin konnte, sie über das zu befragen, dessen man sie beschuldigte: »Madonna, wie Ihr seht, ist Rinaldo, Euer Gatte, hier anwesend und beklagt sich über Euch, die er mit einem andern Manne im Ehebruch betroffen zu haben behauptet. Er begehrt nun, daß ich Euch, einem bestehenden Gesetze zufolge, dafür mit dem Tode bestrafe. Ich kann dies aber nur dann tun, wenn Ihr selbst Euch schuldig bekennt. Habt denn also wohl acht, wie Ihr antwortet, und sagt mir, ob das wahr ist, dessen Euer Gatte Euch beschuldigt.«

[496] Hierauf antwortete die Dame, ohne die Fassung im geringsten zu verlieren, mit heiterer Stimme: »Messer, es ist vollkommen wahr, daß Rinaldo mein Ehemann ist und mich in der vergangenen Nacht in Lazzarinos Armen gefunden hat, in denen ich, wie ich niemals leugnen werde, aus wahrer und inniger Liebe, die ich für ihn hege, oftmals geweilt habe. Nun wißt Ihr aber auch, daß die Gesetze gemeinsam sein und unter Zustimmung derer beschlossen werden müssen, die sie betreffen. So verhält es sich aber nicht mit diesem Gesetze, das allein den armen Weibern Zwang auferlegt, obwohl sie doch weit besser als die Männer mehreren zugleich zu genügen imstande sind. Außerdem hat, als dieses Gesetz erlassen wurde, weder eine Frau ihre Einwilligung dazu gegeben, noch ist auch nur eine darum befragt worden. Mit Recht kann man es aus diesen Gründen ein arges Gesetz nennen. Wollt Ihr indes, meinem Leben und Eurem Gewissen zum Schaden, Euch dazu hergeben, dessen Vollstrecker zu sein, so steht dies in Eurem Belieben. Bevor Ihr jedoch weiter vorschreitet und irgendein Urteil fällt, ersuche ich Euch, daß Ihr mir die kleine Gunst erweist, meinen Gatten zu fragen, ob ich ihm jedesmal und sooft es ihm beliebte, ohne einmal nein zu sagen, seine volle Lust an mir gewährt habe oder nicht.«

Ohne die Frage des Podesta abzuwarten, antwortete Rinaldo hierauf, daß die Frau ihm allerdings auf jedes Begehren volle Befriedigung seiner Wünsche gestattet habe. »Wohlan denn«, fuhr sogleich die Dame fort, »so frage ich Euch, Herr, was ich, wenn er zu jeder Zeit sich genommen hat, wessen er bedurfte und wonach ihn gelüstete, mit dem machen sollte oder noch soll, das er übrigläßt? Soll ich es vielleicht den Hunden vorwerfen? Oder ist es nicht besser, es einem Edelmann zu gewähren, der mich mehr liebt als sich selbst, statt es verlorengehen und umkommen zu lassen?«

Zu diesem Verhör einer so ausgezeichneten und bekannten Dame waren fast sämtliche Bewohner von Prato herbeigekommen. Als sie nun diese ergötzliche Frage vernahmen, riefen sie alle nach vielem Gelächter wie aus einem Munde, daß die Dame recht habe und wohl spreche. Noch bevor sie auseinandergingen, änderten sie auf Anraten des Podesta jenes unbillige Gesetz [497] und bestimmten, daß es in Zukunft nur für die Frauen gelten solle, welche sich für Geld gegen ihre Männer vergingen.

So verließ denn Rinaldo, beschämt über sein törichtes Unternehmen, das Gericht, die Dame aber kehrte fröhlich und frei, als wäre sie vom Scheiterhaufen erstanden, siegreich in ihr elterliches Haus zurück.

Achte Geschichte

Fresco rät seiner Nichte, niemals in den Spiegel zu sehen, wenn ihr der Anblick unausstehlicher Leute so widerwärtig sei, wie sie behaupte.


Die Geschichte, die Filostrato erzählt hatte, erregte anfangs in den Herzen der zuhörenden Mädchen ein wenig Scham, was die sittsame Röte bewies, die ihre Wangen färbte. Allmählich aber schielte eine nach der andern, und sie hörten dem Verlauf der Geschichte lächelnd zu, sich des lauten Lachens nur mit Mühe enthaltend. Als endlich der Erzähler zum Schluß gediehen war, wendete die Königin sich an Emilia und gebot ihr fortzufahren. Diese aber begann tief aufatmend, nicht anders, als ob sie eben erst vom Schlaf erwachte:

Ihr holden Mädchen, da eine Reihe von Gedanken, die gar vieles in sich begriffen, mich eine lange Weile weit von hier entrückt hat, werde ich, unserer Königin gehorchend, mich mit einer viel kürzeren Geschichte auslösen, als ich es vielleicht getan hätte, wenn mein Geist hier gegenwärtig gewesen wäre. In dieser Geschichte aber will ich euch von der törichten Verkehrtheit eines Mädchens erzählen, das aus einem beißenden Einfall seines Oheims eine Lehre hätte ziehen können, hätte es hinlänglich Einsicht gehabt, ihn zu verstehen.

Ein Mann also, der Fresco da Celatico hieß, hatte eine Nichte, die man der Kürze halber nur Cesca rief. Sie war zwar recht hübsch von Gestalt und Gesicht, doch konnte man sie nicht zu jenen Engelsbildern zählen, denen wir nicht selten begegnen. Dennoch hielt sie sich für so hoch und erlesen, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, Männer und Frauen und[498] was immer ihr unter die Augen kam zu tadeln, ohne daß sie sich selbst dabei richtig einzuschätzen gewußt hätte. Dadurch wurde sie denn mehr als irgendeine andere unbequem, widrig und mehr als lästig, da es unmöglich war, ihr irgend etwas recht zu machen. Bei alledem war sie so hochmütig, daß, selbst wenn sie zum Stamme Karls des Großen gehört hätte, es dennoch zuviel gewesen wäre. Und wenn sie über die Straße ging, war ihr jeden Augenblick etwas nicht gelegen, so daß sie nicht aufhörte, die Nase zu rümpfen, als ob von jedem, den sie sah oder der ihr begegnete, unleidlicher Gestank sie anwehte.

Von ihren andern mißliebigen und widerwärtigen Sitten zu schweigen, geschah es eines Tages, daß sie voll von ihren Unleidlichkeiten nach Hause zurückkehrte und, während sie sich dort neben Fresco niedersetzte, in einem fort vor Ärger schnaufte. Darum sagte Fresco: »Was hat das zu bedeuten, Cesca, daß du heute am Festtag schon so früh nach Hause zu rückgekehrt bist?« Sie aber antwortete mit der albernsten Ziererei: »Ja, freilich bin ich früh gekommen, denn ich glaube sicherlich, daß in dieser Stadt noch niemals so viele widerwärtige und unausstehliche Männer und Frauen beisammengewesen sind, als ich deren heute getroffen habe. Da geht doch auch nicht einer über die Straße, der mir nicht zuwider wäre wie das Fieber. Weil ich aber fest überzeugt bin, daß es auf der ganzen Welt kein Mädchen gibt, dem es so verhaßt wäre, unausstehliche Leute zu sehen, wie mir, bin ich früh nach Hause gekommen, um diesem Anblick zu entgehen.«

Fresco, dem das hochfahrende Wesen seiner Nichte gründlich mißfiel, antwortete: »Mein Kind, wenn die unausstehlichen Leute dir so widerwärtig sind, so besieh dich ja, wenn du deines Lebens froh bleiben willst, niemals im Spiegel.« Sie aber, die hohler war als ein Schilfrohr und an Weisheit dem Salomo zu gleichen vermeinte, begriff den Stich des Fresco nicht besser, als es ein Widder getan hätte, und erwiderte, sie gedenke sich ebensogut im Spiegel zu besehen wie die andern. Und so verharrte sie denn weiterhin in ihrer Einfalt und tut es noch heute.

[499] Neunte Geschichte

Guido Cavalcanti sagt einigen Florentiner Edelleuten, die ihn überrascht haben, in versteckter Weise die Wahrheit.


Als die Königin gewahr wurde, daß nunmehr, da Emilia ihrer Pflicht nachgekommen war, mit Ausnahme dessen, der das Vorrecht genoß, seine Geschichten bis zuletzt aufzusparen, nur ihr noch zu erzählen oblag, begann sie also zu sprechen:

Obgleich mir von euch, ihr anmutigen Mädchen, heute schon zwei oder mehr Geschichten weggenommen sind, von denen ich die eine oder andere zu erzählen gedachte, so ist mir doch eine übriggeblieben, deren Schluß ein bitteres Wort enthält, wie bis jetzt vielleicht noch keines von so tiefem Sinn mitgeteilt ward.

Ihr müßt nämlich wissen, daß vor Zeiten in unserer Stadt allerlei schöne und lobenswerte Gebräuche bestanden, von denen uns leider kein einziger geblieben ist, weil sie vom Geize, der sich bei uns mit den Reichtümern fortwährend gemehrt hat, einer nach dem andern vertrieben wurden. So war es unter anderm Sitte, daß in den verschiedenen Vierteln von Florenz die angesehenen Bürger der umliegenden Straßen sich versammelten und untereinander Gesellschaften von bestimmter Anzahl bildeten. Dabei hatte man acht, nur solche aufzunehmen, welche die Kosten füglich bestreiten konnten, und heute hielt der eine für die ganze Gesellschaft offene Tafel, morgen der andere, und so der Reihe nach weiter, daß jeden sein Tag traf. Häufig erwiesen sie bei diesen Zusammenkünften auch ausgezeichneten Fremden eine Ehre, wenn solche nach Florenz kamen, oder sie luden auch wohl Einheimische dazu. Auch hielten sie wenigstens einmal im Jahre, gleichförmig gekleidet, einen Umzug und ritten an den bedeutenden Festtagen gemeinsam durch die Stadt. Zuzeiten veranstalteten sie Waffenspiele, so namentlich an den Hauptfesten, oder wenn die Nachricht von einem Sieg oder sonst einem frohen Ereignis eingetroffen war.

Unter diesen Gesellschaften war auch die des Messer Betto Brunelleschi, und sowohl Messer Betto als auch seine Gefährten hatten sich vielfach und nicht ohne Grund bemüht, Guido, den Sohn des Messer Cavalcante de' Cavalcanti, zum Mitglied zu [500] gewinnen. Denn abgesehen davon, daß Guido einer der besten Denker auf der Welt und ein vorzüglicher Kenner der Naturphilosophie war – Eigenschaften, um welche diese Gesellschaft sich wenig bekümmerte –, galt er auch als ergötzlicher Gesellschafter von vorzüglichen Sitten und ausgezeichneter Redegabe, und was immer sich für einen Edelmann schickte, wußte er auch, wenn er es unternahm, besser zu machen als irgendein anderer. Dabei war er sehr reich, und wenn er sich überzeugt hatte, daß einer es wert sei, wußte er ihn mehr zu ehren, als sich mit Worten sagen läßt. Dem Messer Betto hatte es indes nie gelingen wollen, ihn für ihre Gesellschaften zu gewinnen, und er und seine Gefährten sahen den Grund dafür darin, daß Guido, nicht selten ganz in seine Gedanken vertieft, den Umgang mit Menschen mied. Und weil er sich ein wenig zu der Meinung der Epikuräer hingezogen fühlte, sagten die gemeinen Leute, all sein Nachdenken sei nur darauf gerichtet, zu beweisen, daß kein Gott sei.

Eines Tages war nun Guido von Orto San Michele ausgegangen, hatte den Corso degli Adimari, wie dies öfter sein Weg zu sein pflegte, bis San Giovanni verfolgt und weilte nun zwischen mehreren großen Marmorsärgen (deren einige jetzt in Santa Reparata sind, viele andere aber noch um San Giovanni stehen), zwischen den dort befindlichen Porphyrsäulen und der Pforte von San Giovanni, die damals verschlossen war. Da kam von ungefähr Messer Betto mit seiner Gesellschaft zu Pferde über den Platz der Santa Reparata, und wie sie den Guido unter jenen Grabmälern gewahr wurden, sagten sie zueinander: »Gehen wir, ihm ein wenig zuzusetzen.« Mit diesen Worten gaben sie ihren Pferden die Sporen und waren nach Art eines scherzhaften Überfalls um ihn her, fast ehe er sie bemerkt hatte. Darauf sagten sie zu ihm: »Guido, du verschmähst es, an unserer Gesellschaft teilzunehmen. Wenn du nun aber herausgebracht hast, daß kein Gott ist, was wirst du dann davon haben?«

Sofort antwortete Guido, der sich ganz von ihnen eingeschlossen sah: »Ihr Herren, hier, in eurem Hause, muß ich mir wohl gefallen lassen, daß ihr mir sagt, was euch gutdünkt.« Und mit diesen Worten stützte er die Hand auf eines jener [501] Grabmäler von beträchtlicher Größe, und leicht wie er war, schwang er sich mit einem Satz auf die andere Seite und eilte, ihnen so entschlüpft, schnell von dannen.

Die Zurückgebliebenen sahen eine Weile einer den andern an und meinten, Guido müsse wohl nicht recht bei sich gewesen sein, denn was er ihnen da geantwortet habe, komme auf gar nichts heraus. Wo sie jetzt eben seien, hätten sie ja kein Haar mehr zu sagen als alle andern Bürger und Guido nicht weniger als irgendeiner von ihnen. Messer Betto aber wandte sich zu ihnen und sagte: »Ihr seid es, die nicht recht bei sich sind, wenn ihr ihn nicht verstanden habt. Denn in wenig Worten und ohne den Anstand zu verletzen, hat er uns die größte Grobheit von der Welt gesagt. Diese Grabmäler sind ja, wenn ihr wohl aufmerken wollt, die Häuser der Toten; denn in sie legt man die Toten und in ihnen weilen sie. Diese nun nennt er unsere Wohnung, um anzudeuten, daß wir und alle andern ungelehrten und unwissenden Leute im Vergleich mit ihm und den übrigen Gelehrten für geringer als Tote zu achten sind. Darum sagte er, wenn wir uns hier befänden, seien wir zu Hause.«

Nun erst verstand ein jeder, was Guido hatte sagen wollen, und so beschämt fielen sie ihm nie mehr zur Last. Den Messer Betto aber hielten sie in Zukunft für einen einsichtigen und klugen Edelmann.

Zehnte Geschichte

Bruder Cipolla verspricht den Bewohnern eines Landstädtchens, ihnen eine Feder des Engels Gabriel zu zeigen. Da er aber an deren Stelle Kohlen findet, sagt er, sie seien von denen, mit welchen der heilige Laurentius geröstet ward.


Da jeder von der Gesellschaft seine Geschichte erzählt hatte, erkannte Dioneo, daß die Reihe nun an ihm sei. Ohne daher eine feierliche Aufforderung abzuwarten, gebot er denen Stillschweigen, welche noch die tiefsinnige Antwort des Guido zu loben fortfuhren, und begann mit folgenden Worten:

[502] Obgleich, ihr reizenden Damen, mir das Vorrecht gewährt ist zu erzählen, was mir gefällt, gedenke ich mich doch heute nicht von dem Gegenstand zu entfernen, den ihr sämtlich in euren Geschichten gar angemessen behandelt habt. Vielmehr will ich euch, in eure Fußstapfen tretend, erzählen, wie geschickt einer der Mönche des heiligen Antonius durch eine schnell ersonnene Auskunft der Verhöhnung entging, die zwei junge Leute ihm zu bereiten gedachten. Laßt es euch dabei nicht verdrießen, wenn ich, um die Geschichte gehörig zu erzählen, etwas ausführlich werde; denn wollt ihr nach der Sonne sehen, so werdet ihr bemerken, daß sie noch auf halber Höhe steht.

Wie ihr vielleicht gehört haben werdet, ist Certaldo ein Burgflecken der Florentiner Landschaft, im Elsatal gelegen, und obwohl es an Umfang nur klein ist, war es doch einst von adeligen und wohlhabenden Leuten bewohnt. Weil er nun hier vorzügliche Weide traf, pflegte ein Mönch des heiligen Antonius, der Bruder Cipolla hieß, lange Zeit hindurch jährlich einmal hier vorzusprechen, um die Almosen einzusammeln, welche die kurzsichtigen Leute jenen Mönchen gewähren. Vielleicht war er nicht weniger um seines Namens willen als wegen sonstiger Frömmigkeit hier willkommen, da die Umgegend jenes Städtchens jene Gewächse hervorbringt, die durch ganz Toskana berühmt sind und denen er seinen Namen verdankt: die Zwiebeln nämlich.

Bruder Cipolla war untersetzter Gestalt, rötlichen Haares und munteren Gesichts, dabei der abgefeimteste Spitzbube der Welt, und obwohl er keinerlei Unterricht genossen hatte, wußte er doch trefflich und ohne langes Besinnen zu reden, so daß, wer ihn nicht kannte, ihn nicht allein für einen großen Redekünstler gehalten, sondern ihn dem Cicero selbst oder dem Quinctilian an die Seite gesetzt hätte. Auch war er von allen in der Umgegend Gevatter oder Freund oder guter Bekannter. Eines Tages nun, als er im Augustmonat seiner Gewohnheit zufolge nach Certaldo gekommen war und als alle guten Männer und Weiber der umliegenden Dörfer sich zur Messe in der Pfarrkirche versammelt hatten, trat er, als es ihm an der Zeit schien, hervor und sagte:

»Ihr Herren und ihr Frauen! Wie ihr wißt, ist es euer Brauch, [503] alljährlich den armen Dienern des hochadeligen heiligen Herrn Antonius von eurem Korn und eurem Weizen zu spenden, der eine wenig, der andere viel, je nach dem Vermögen und der Frömmigkeit eines jeden, damit dieser gebenedeite Heilige eure Ochsen und eure Esel, eure Schweine und eure Schafe in seinen Schutz nehme. Außerdem pflegt ihr, insbesondere aber pflegen diejenigen unter euch, welche bei unserer Bruderschaft eingeschrieben sind, den kleinen Beitrag zu entrichten, den man einmal im Jahr zu bezahlen hat. Um nun das eine und das andere einzufordern, bin ich von meinem Oberen, nämlich dem Herrn Abt, hierher gesandt. So mögt ihr denn zu diesem Zweck unter dem Segen Gottes heute nachmittag nach drei Uhr, wenn ihr das Glöcklein läuten hört, euch außerhalb der Kirche versammeln, woselbst ich die gewohnte Predigt halten und euch das Kreuz zum Kusse reichen werde. Außerdem aber will ich, da mir bekannt ist, welch inbrünstige Verehrer des hochadeligen heiligen Herrn Antonius ihr seid, euch zu besonderer Gunst eine schöne und hochheilige Reliquie zeigen, die ich vor Zeiten selbst aus dem Heiligen Lande von jenseits des Meeres hergebracht habe. Dieses ist nämlich eine der Federn des Erzengels Gabriel, welche er in der Stube der Jungfrau Maria verloren hat, als er nach Nazareth zu ihr kam, um ihr zu verkündigen.« Mit diesen Worten schwieg er und las seine Messe weiter.

Unter den vielen andern aber, die sich in der Kirche befanden, während Bruder Cipolla diese Sachen vorbrachte, waren auch ein Paar junge Leute, von denen der eine Giovanni del Bragoniera, der andere aber Biagio Pizzini genannt ward, beides durchtriebene Käuze. Als diese über die Reliquie des Bruders Cipolla eine Weile miteinander gelacht hatten, nahmen sie sich vor, dem Mönche, obwohl sie gut mit ihm befreundet waren und viel mit ihm verkehrten, in bezug auf diese Feder einen Streich zu spielen. Sie hatten erfahren, daß Bruder Cipolla an jenem Morgen auf der Burg bei einem seiner Freunde speiste. Sobald sie ihn also dort zu Tisch wußten, gingen sie hinunter nach der Landstraße, wo das Wirtshaus lag, in dem jener abgestiegen war. Hier sollte nach ihrer Abrede Biagio sich mit dem Diener des Bruders Cipolla in ein Gespräch einlassen, während Giovanni unter den Sachen des Mönchs nach [504] der Feder suchen und sie, was immer für ein Ding es auch sein möchte, mitnehmen wollte, damit sie sähen, wie er sich nachher vor dem Volke herausredete.

Bruder Cipolla hatte einen Diener, den einige Guccio Trampeltier, andere Guccio Schmutzfink, noch andere aber Guccio Schweinigel nannten. Dieser war ein so jämmerlicher Wicht, daß es gelogen ist, wenn man sagt, Lippo Topo habe jemals ebenso einfältige Streiche gemacht. Bruder Cipolla pflegte oft im Bekanntenkreise Witze über ihn zu reißen und dann zu sagen: »Mein Diener hat neun Eigenschaften, die so beschaffen sind, daß eine von ihnen, gleichgültig welche, wenn sie sich an Salomo, Aristoteles oder Seneca fände, hinreichte, um deren Tugend, Weisheit und heiligen Wandel völlig wertlos zu machen. Denkt euch also, welch ein Mensch der sein muß, in dem sich, obwohl er weder Tugend noch Weisheit noch heiligen Wandel besitzt, jene Eigenschaften alle neun beieinander finden.«

Da man ihn nun nicht selten fragte, was für neun Eigenschaften das denn seien, so hatte er einen Vers daraus gemacht, der also lautet:


Ein Lügenmaul
Ist er und faul,
Verstockt in Trutz
Und reich an Schmutz.
Stets voll Verdacht
Und unbedacht;
Ein Feind der Pflicht,
Ein grober Wicht,
Und was er soll,
Das tut er nicht.

»Außerdem«, pflegte Bruder Cipolla zu sagen, »hat er noch einige andere Fehlerchen, doch die wollen wir mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. Was indes an seinen seltsamen Manieren das Spaßhafteste ist: in jedem Dorf, wohin er gerät, will er ein Weib nehmen und ein Haus mieten, und so lang und schwarz und schmutzig auch sein Bart ist, bildet er sich dennoch ein, so schön und anmutig zu sein, daß seiner Meinung nach alle Frauenzimmer, die wir zu Gesicht kriegen, in ihn sich verlieben, und ließe man ihn gewähren, so liefe er [505] allen nach und verlöre Gürtel und Kragen. Einräumen muß ich indes, daß er mir vielfach sehr behilflich ist, denn so geheim auch jemand mit mir zu reden haben mag, ist er doch immer zur Stelle, um sich sein Teil davon abzulauschen, und wenn ich, wie es vorkommt, etwas gefragt werde, so ist er so besorgt, ob ich auch auf die Antwort gerüstet sei, daß er sich jedesmal vordrängt und alsbald ja oder nein für mich antwortet, wie es ihm angebracht scheint.«

Diesen hatte Bruder Cipolla im Wirtshaus zurückgelassen und ihm angelegentlich befohlen, darüber zu wachen, daß niemand seine Sachen, besonders aber seinen Quersack anrühre, weil sich darin heilige Gegenstände befänden. Guccio Schmutzfink indes weilte in der Küche noch lieber als die Nachtigall auf ihrem grünen Zweige, am liebsten aber, wenn er dort irgendeine Magd witterte. Nun hatte er in der Wirtsküche solch ein Frauenzimmer zu sehen bekommen, das dick und fett und klein und mißgestaltet war, ein Paar Brüste hatte wie zwei Mistkörbe, ein Gesicht, als gehörte sie zur Familie der Baronci, und dabei verschwitzt, schmierig und eingeräuchert war.

An diese machte er sich nun heran, nicht anders als der Geier an das Aas, und ließ die Stube des Bruders Cipolla und dessen sämtliche Sachen im Stich. Obwohl es August war, setzte er sich zu ihr, die Nuta hieß, ans Feuer, fing ein Gespräch mit ihr an und erzählte ihr, daß er ein Edelmann in geheimen Auftrag sei und daß er Gulden hätte, mehr wie lügenmaltausend, die noch nicht einmal gerechnet, die er andern schuldig sei, deren eher mehr wäre als weniger, und daß er soviel könne und verstehe wie der Tausendsasa in Person. Obwohl nun seine Kapuze so schmierig und fettig war, daß sie ausgereicht hätte, um den großen Suppenkessel von Altopascia zu würzen; obwohl sein Wams zerrissen und geflickt war und um den Hals und unter den Achseln so glänzend vor Schmutz, mit Flecken und so vielerlei Farben übersät, daß tatarische und indische Stoffe nie buntere Farben zeigten; obwohl seine Schuhe völlig zerrissen und seine Strümpfe vielfach durchlöchert waren: so kümmerte ihn dies alles nicht im mindesten, vielmehr versicherte er der Magd, nicht anders als wäre er der gnädige Herr von Castiglione, daß er sie neu bekleiden und ausstatten, jener [506] Knechtschaft, wo sie fremden Leuten dienen müsse, ohne sich groß etwas erwerben zu können, entheben und ihr Aussichten auf glücklichere Umstände eröffnen wolle. Mit so vielem Nachdruck er aber auch dies alles und noch viel mehr vorbrachte, so war es doch, wie es immer bei seinen Unternehmungen zu geschehen pflegte, nicht anders, als hätte er in den Wind gesprochen, und seine Beredsamkeit blieb ohne Erfolg.

Die zwei jungen Leute fanden sonach den Guccio Schweinigel mit der Nuta beschäftigt. Höchlichst zufrieden darüber, da sie nun halbe Mühe zu haben glaubten, gingen sie, ohne von jemand angehalten zu werden, in Bruder Cipollas Zimmer, das offen stand, und das erste, worüber sie sich hermachten, um es zu durchsuchen, war der Quersack des Mönches, in dem die Feder stecken mußte. Wirklich fanden sie hier in einem großen, vielfach mit Zindeltaffet umwickelten Bündel ein kleines Kästchen, und in diesem, nachdem sie es geöffnet hatten, eine der Schwanzfedern eines Papageien, von der sie mit Recht vermuteten, daß es dieselbe sein werde, die er den Certaldesen zu zeigen versprochen hatte. In der Tat konnte er zu jener Zeit dergleichen dem Volke wohl weismachen, denn noch waren die glänzenden Spielereien aus Ägypten nur zu einem kleinen Teil nach Toskana herübergebracht worden, während sie später zum größten Unheil von ganz Italien in unzähliger Menge bei uns eingeführt wurden. Waren sie damals überhaupt noch wenig bekannt, so wußten die Bewohner jenes Landstädtchens so gut wie nichts von ihrem Dasein, und solange die anspruchslose Einfalt unserer Altvorderen bestand, hatte dort wohl die große Menge nie den Namen eines Papageien nennen gehört, geschweige denn einen solchen gesehen.

Zufrieden, die Feder gefunden zu haben, nahmen sie die zwei jungen Leute zu sich und füllten das Kästchen, um es nicht leer zu lassen, mit einigen Kohlen, die sie in einer Zimmerecke liegen sahen. Dann verschlossen sie es, brachten alles wieder in denselben Zustand, wie sie es gefunden hatten, und kehrten, ohne von jemand bemerkt worden zu sein, vergnügt mit ihrer Feder nach Hause zurück, wo sie voller Neugier erwarteten, was Bruder Cipolla sagen werde, wenn er statt der Feder die Kohlen fände.

[507] Inzwischen gingen die Männer und die einfältigen Weiblein, die in der Kirche gewesen waren und vernommen hatten, daß sie nachmittags um drei Uhr eine Feder des Engels Gabriel zu sehen bekommen sollten, nach beendeter Messe wieder heim, und ein Nachbar teilte dem andern, eine Gevatterin der nächsten die Nachricht mit. So strömten denn, nachdem alle zu Mittag gegessen hatten, im sehnsüchtigen Verlangen, die Feder zu sehen, so viele Männer und Weiber in dem Burgflecken zusammen, daß sie kaum darin Platz fanden. Bruder Cipolla erhob sich indes, nachdem er gut zu Mittag gespeist und darauf ein wenig geschlafen hatte, bald nach drei Uhr von seinem Lager und ließ auf die Nachricht hin, daß schon eine große Menge von Landleuten herbeigeströmt sei, um die Feder zu sehen, dem Guccio Schmutzfink sagen, er möge mit dem Glöcklein hinaufkommen und den Quersack mitbringen. Nur mit Mühe vermochte dieser sich von der Küche und der Nuta loszureißen. Doch tat er es und langte keuchend und außer Atem, weil das viele Wassertrinken ihm den Leib so aufgetrieben hatte, mit den begehrten Gegenständen oben an. Dann stellte er sich auf das Geheiß des Bruders Cipolla an die Kirchentür und läutete sein Glöcklein nach Kräften. Bruder Cipolla aber begann, wie er das Volk beisammen sah, ohne zu bemerken, daß jemand über seinen Sachen gewesen war, die Predigt und sagte gar vielerlei, das ihm für seine Absichten dienlich schien. Als es nun endlich so weit war, daß er die Feder des Engels Gabriel zeigen sollte, sprach er zuerst mit großer Feierlichkeit das Confiteor, dann ließ er zwei Wachsfackeln anzünden, nahm die Kapuze ab, wickelte langsam den Taffet auf und zog das Kästchen hervor. Hierauf sagte er noch einige Worte zu Lob und Preis des Engels Gabriel und seiner Reliquie und öffnete alsdann das Kästchen.

Da er dieses nun mit Kohlen angefüllt sah, fiel ihm nicht etwa ein, daß Guccio Trampeltier ihm das könnte getan haben; denn er wußte gut genug, daß er zu so etwas nicht Witz genug hatte. Auch verwünschte er ihn nicht, daß er das Kästchen nicht besser vor den Händen anderer, von denen dieser Streich ausgegangen war, behütet hatte. Auf sich selbst aber fluchte er im stillen, daß er die Obhut seiner Sachen dem Guccio anvertraut [508] hatte, von dem er doch selbst wußte, wie er war; ›unbedacht, ein Feind der Pflicht, ein fauler Wicht, und was er soll, das tut er nicht.‹ – Ohne indes die Farbe zu wechseln, erhob Bruder Cipolla Augen und Hände gen Himmel und sagte, so daß ihn alle vernahmen: »O Gott, gepriesen sei immerdar deine Allmacht!« Dann machte er das Kästchen wieder zu und sagte, zum Volk gewandt:

»Ihr Herren und ihr Frauen, ihr müßt wissen, daß ich zu einer Zeit, da ich noch sehr jung war, von meinem Obern in jene Länder geschickt wurde, wo die Sonne aufgeht. Dabei war mir der ausdrückliche Auftrag erteilt, den Porzellanprivilegien nachzuforschen, welche stempeln zu lassen zwar nichts kostet, die aber dennoch andern Leuten von weit größerem Nutzen sind als uns. Zu diesem Zweck machte ich mich von Venedig aus auf den Weg, passierte die Vorstadt Griechenland und ritt dann durch das Königreich Algarbien über Bagdad nach Parione, von wo ich nicht ohne beträchtlichen Durst nach Sardellien gelangte. Doch wozu soll ich euch die Länder, die ich durchreist habe, einzeln aufzählen? Genug, ich setzte über den Arm des heiligen Georg und kam nach Lügeland und Trügeland, welche Gegenden von zahlreichen Völkern dicht besiedelt sind. Von hier aus erreichte ich Täuschenhausen, woselbst ich viele von unseren Klostergeistlichen und eine Menge von Mönchen anderer Orden antraf, welche um Gottes willen sämtliches Ungemach mieden und, solange sie nur ihren Vorteil dabei fanden, sich um fremde Mühseligkeiten wenig kümmerten, auch in jenen Ländern nie anderes Geld ausgaben als falsches.

Darauf gelangte ich in das Land der Abruzzen, wo Männer und Frauen in Holzschuhen auf die Berge klettern und die Schweine in ihre eigenen Kaldaunen wickeln. Nur wenig weiterhin traf ich Leute, welche das Brot an Stöcken und den Wein in Säcken trugen. Von diesen kam ich dann in das Wurmgebirge, wo alles Wasser abwärts fließt, und in kurzem drang ich dort so weit vor, daß ich nach pastinakisch Indien kam, wo, wie ich bei dem Gewand, das ich trage, euch zuschwöre, man das Federvieh in der Luft fliegen sah, was allerdings für jeden, der es nicht selbst gesehen hat, kaum glaublich ist. Daß ich euch indes darin keine Unwahrheit sage, das kann mir Maso del Saggio bezeugen, [509] der ein großer Kaufmann ist und den ich dort antraf, wie er Nüsse knackte und die Schalen nach der Elle verkaufte.

Da ich indes nicht finden konnte, was ich eigentlich suchte, indem man von dort aus zu Wasser weiterreisen muß, so kehrte ich wieder um und kam in jenes heilige Land, wo das alte Brot in einem Sommerjahr vier Heller gilt, das frische aber umsonst gegeben wird. Hier fand ich den ehrwürdigen Vater Messer Tumirnichts Wennsbeliebtius, den verdienstvollen Patriarchen von Jerusalem. Dieser wollte aus Ehrerbietung für das Gewand des hochadeligen heiligen Herrn Antonius, das ich von jeher getragen, mich alle heiligen Reliquien sehen lassen, die er bei sich führte. Deren waren nun so viele, daß ich, wenn ich sie euch alle herzählen wollte, auf mehrere Meilen weit nicht fertig würde. Um euch indes durch mein Schweigen nicht zu sehr zu betrüben, will ich euch wenigstens von einigen berichten. Zuvörderst zeigte er mir den Finger des heiligen Geistes, der noch so frisch und unverwest war wie je zuvor. Sodann die Locken des Seraphs, der dem heiligen Franziskus erschien, den Fingernagel eines Cherubs und eine der Rippen des heiligen Hocestporcus. Ferner einige Kleidungsstücke des heiligen eatholischen Glaubens, ein paar Strahlen des Sterns, der den drei Weisen im Morgenlande erschien, ein Fläschchen von dem Seuweiß, den der heilige Michael vergossen, als er mit dem Teufel kämpfte, eine Kinnbacke des Todes, an dem der heilige Lazarus gestorben ist, und noch vieles andere.

Weil ich mich nun gefällig gegen ihn erwies und ihm einen der Abhänge des Monte Morello in italienischer Übersetzung und einige Kapitel des Capretium abließ, die er schon lange zu haben gewünscht, so teilte er auch mir von seinen heiligen Reliquien mit. Er schenkte mir einen der Zähne des heiligen Kreuzes, ferner in einem zierlichen Fläschchen ein wenig Glockenklang vom Tempel Salomos, sodann die Feder des Engels Gabriel, von der ich euch schon gesagt habe, und einen der Holzschuhe des heiligen Gherardo von Villamagna, den ich erst ganz vor kurzem in Florenz dem Gherardo von Bonsi, der eine große Ehrfurcht davor empfand, gegeben habe. Endlich aber schenkte er mir einige von den Kohlen, mit denen der hochheilige Märtyrer Sankt Laurentius geröstet wurde.

[510] Alle diese heiligen Gegenstände führe ich nun andächtig bei mir und habe sie auch sämtlich hier am Orte. Indessen hat mein Oberer bis jetzt und bis ihre Echtheit erwiesen wäre, mir niemals gestattet, sie vorzuweisen. Jetzt aber hat er sich teils durch einige Wunder, die sie bewirkt haben, teils durch Briefe, die er von dem Patriarchen empfangen, überzeugt, daß sie sind, wofür sie mir gegeben wurden, und mir deshalb die Erlaubnis erteilt, sie zu zeigen. Und so sehr hüte ich mich, sie einem andern anzuvertrauen, daß ich sie überallhin mitnehme. Namentlich verwahre ich die Feder des Engels Gabriel, damit sie keinen Schaden nehmen, in einem Kästchen und die Kohlen, mit denen der heilige Laurentius gebraten ward, in einem andern. Nun sind diese beiden Kästchen einander so ähnlich, daß ich schon öfter das eine mit dem andern verwechselt habe, und so ist mir denn auch heute geschehen. Während ich glaubte, das Kästchen mitgebracht zu haben, in welchem sich die Feder befindet, habe ich das andere mit den Kohlen des heiligen Laurentius ergriffen. Aber ich halte dafür, daß dies keineswegs ein zufälliger Irrtum, sondern daß es vielmehr sicherlich eine Fügung Gottes war, welcher meine Hände das Kästchen mit den Kohlen ergreifen ließ, um mich dadurch zu erinnern, daß in zwei Tagen das Fest des heiligen Laurentius sei. Darum nämlich ließ Gott mich statt der Feder, die ich mit mir nehmen wollte, die gebenedeiten Kohlen, die durch den Saft, der von jenem hochheiligen Leibe niedertroff, ausgelöscht wurden, ergreifen, weil es seine Absicht war, daß ich, indem ich euch die Kohlen, mit denen er einst geröstet ward, vorzeige, in eurem Herzen die fromme Verehrung, die ihr diesem Märtyrer schuldig seid, neu entzünde.

Darum, meine Kinder, die Gott segnen möge, nehmt eure Mützen ab und tretet in Ehrfurcht und Andacht alle heran, diese Kohlen zu schauen. Vorher aber sollt ihr wissen, daß, wer mit diesen Kohlen in dem Zeichen des Kreuzes berührt ist, während des ganzen folgenden Jahres sicher sein darf, daß kein Feuer ihn brennen kann, ohne daß er es fühle.«

Nachdem er also gesprochen und einen Lobgesang auf den heiligen Laurentius angestimmt hatte, öffnete er das Kästchen und zeigte die Kohlen. Eine Zeitlang beschaute sie die einfältige [511] Menge mit ehrfurchtsvollem Erstaunen. Bald aber drängten sie sich ungestüm um den Bruder Cipolla und verlangten unter viel größeren Opfern, als sie sonst zu geben gewohnt waren, inständig, daß er einen jeden mit den heiligen Kohlen berühre.

Diesen Bitten zufolge nahm Bruder Cipolla eine jener Kohlen nach der anderen zur Hand und malte ihnen auf ihre Jacken und weißen Hemden und den Weibern auf ihre Kopftücher so große Kreuze, als nur irgend darauf Platz hatten. Dabei versicherte er ihnen, daß, wie er schon oftmals erfahren, ebensoviel, wie von diesen Kohlen durch das Aufmalen der Kreuze abgerieben werde, in dem Kästchen von selbst wieder nachwüchse.

So machte Bruder Cipolla nicht ohne erheblichen Nutzen für sich die Bewohner von Certaldo zu Kreuzrittern; denjenigen aber, die ihm einen Possen zu spielen gedachten, indem sie ihm seine Feder wegnahmen, spielte er durch seine Geistesgegenwart einen ebenso großen. Beide waren in der Predigt, und als sie hörten, wie geschickt er sich aus der Verlegenheit zu ziehen wußte und wie weit er dazu ausholte und mit was für Redensarten, gerieten sie in ein solches Lachen, daß sie fürchten mußten, die Maulsperre zu bekommen. Nachdem aber die Volksmenge sich verlaufen hatte, gingen sie zu ihm, entdeckten ihm unter dem größten Jubel der Welt, was sie getan hatten, und gaben ihm seine Feder zurück. Diese trug ihm im folgenden Jahr nicht weniger ein als im heurigen die Kohlen.


Diese Geschichte hatte der ganzen Gesellschaft ungemeines Vergnügen und Ergötzen gewährt, und allgemein hatte man über den Bruder Cipolla und besonders über seine Pilgerfahrt und die Reliquien gelacht, die er teils gesehen, teils mitgebracht hatte. Als die Königin wahrnahm, daß die Geschichte und mit dieser ihr Regiment ein Ende genommen hatte, erhob sie sich von ihrem Sitze, nahm sich den Lorbeerkranz vom Haupte und setzte ihn auf Dioneos Haupt, indem sie lächelnd sprach: »Zeit ist es, o Dioneo, daß du auf eine Weile erfährst, was es heißen will, Weiber lenken und regieren zu müssen. Sei denn nun König und führe dein Regiment so, daß wir es bei seinem Ende[512] loben können.« Lachend empfing Dioneo den Kranz und antwortete: »Wertere Könige als mich werdet ihr freilich schon manchmal gesehen haben, die Schachkönige mit eingerechnet. Wahrlich aber, wolltet ihr mir gehorchen, wie es einem echten Könige zu gehorchen Pflicht ist, so wollte ich euch Freuden genießen lassen, ohne die jeder Lustbarkeit etwas zum vollen Ergötzen fehlt. Besser indessen, ich schweige davon. Genug, ich will regieren, so gut ich es vermag.«

Hierauf ließ er, wie es üblich geworden war, den Seneschall herbeikommen und gebot ihm in der gehörigen Reihenfolge, was er zu tun habe, solange sein Regiment dauerte. Dann aber sagte er: »Schon auf mancherlei Weise, ihr verehrten Damen, ist vom menschlichen Scharfsinn und von den mannigfachen Geschicken gesprochen worden, so daß ich fürchten mußte, lange Zeit zu brauchen, um eine solche Aufgabe zu finden, wäre nicht Frau Licisca vor kurzer Zeit hierher gekommen, um mir durch ihr Gerede für die morgigen Erzählungen einen Gegenstand an die Hand zu geben. Wie ihr vernommen habt, hat sie behauptet, daß keine aus ihrer Bekanntschaft als Jungfrau zu ihrem Gatten gekommen sei, und ferner hinzugefügt, daß sie wohl wisse, wie zahlreich und arg die Streiche seien, die auch die Ehefrauen ihren Männern spielen. Wenn wir nun auch die erste Hälfte dieser Behauptung auf sich beruhen lassen – denn das sind nur Kindereien –, so halte ich doch dafür, daß über die zweite ergötzlich zu sprechen sei. Aus diesem Grunde ist denn mein Wille, weil Frau Licisca uns einmal darauf gebracht hat, daß morgen von den Streichen erzählt werde, welche, sei es aus Liebe oder um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, Frauen ihren Männern gespielt haben, mögen diese es nun gewahr geworden sein oder nicht.«

Einige von den Damen meinten, daß es sich nicht recht für sie schicke, solch einen Gegenstand in ihren Erzählungen zu behandeln, und baten daher den König, daß er die bereits gestellte Aufgabe wieder abänderte. Er aber antwortete ihnen: »Meine Damen, wie meine Aufgabe beschaffen ist, weiß ich nicht minder gut als ihr. Dennoch konnten die Gründe, die ihr gegen sie anführt, mich nicht bewegen, davon abzugehen; denn ich bin der Überzeugung, daß in den jetzigen Zeitläuften Männern [513] wie Frauen gestattet ist zu reden, was ihnen beliebt, wenn sie nur darauf achten, in ihren Handlungen ehrbar zu bleiben. Wißt ihr etwa nicht, daß infolge der bösen Geißel, die uns heimgesucht, die richterlichen Beamten ihre Gerichtsstätten verlassen haben, daß die göttlichen sowohl als auch die menschlichen Gesetze schweigen und jedem die Befugnis, sein Leben zu schützen, im weitesten Umfange gewährt ist? Wenn also eure Sittsamkeit in den Gesprächen ein wenig von ihrer Strenge verliert, keineswegs, um infolgedessen in Handlungen die kleinste Unziemlichkeit zu gestatten, sondern nur, um euch selbst und anderen Unterhaltung zu gewähren, so sehe ich nicht ein, mit welchem irgend stichhaltigen Grund euch deshalb jemand tadeln könnte. Zudem hat diese eure Gesellschaft vom ersten Tage bis zur gegenwärtigen Stunde die strengste Ehrbarkeit bewahrt und sich, was immer auch der Inhalt der Erzählung gewesen sein möge, nicht durch die kleinste Unziemlichkeit befleckt, wie sie das auch in Zukunft mit Gottes Hilfe nicht tun wird. Und wem wäre denn eure Sittsamkeit nicht zur Genüge bekannt, welche weder die heiteren Gespräche noch, wie ich überzeugt bin, die Schrecken des Todes auf Abwege zu locken vermöchten? Die Wahrheit zu sagen, glaube ich vielmehr umgekehrt, daß, wolltet ihr euch weigern, an solchen Scherzreden gelegentlich teilzunehmen, ein Böswilliger eher den Verdacht äußern könnte, daß ihr euch in solchen Dingen schuldig fühltet und deshalb euch davon zu reden scheutet. Schließlich gereichte es mir zu geringer Ehre, wenn, nachdem ich jedem meiner Vorgänger gehorsam war, ihr mich zwar zum König macht und mir dadurch die Befugnis, euch Gesetze zu geben, erteilt, es aber gleichzeitig ablehnen wolltet, so zu erzählen, wie ich es bestimmt habe. Laßt also jene Besorgnis fahren, die schuldbewußten Gemütern mehr ansteht als den euren, und seid vielmehr alle miteinander besorgt, uns, wenn das Glück gutgesinnt, eine recht schöne Geschichte zu erzählen.«

Als die Damen dies vernommen hatten, sagten sie, so möge es denn bleiben, wie er bestimmt habe. Der König aber gestattete jedem, bis zur Stunde des Abendessens seinem Vergnügen nach Gutdünken nachzugehen. Da indes die Erzählungen dieses Tages besonders kurz gewesen, stand die Sonne noch hoch am [514] Himmel; als daher Dioneo mit den zwei anderen jungen Männern sich zum Brettspiel niedergesetzt hatte, rief Elisa die Damen beiseite und sagte zu ihnen: »Schon so lange, wie wir hier sind, habe ich gewünscht, euch nach einem gar nicht weit von hier gelegenen Platze zu führen, an dem, wie ich vermute, noch keine von euch jemals gewesen ist und der das Frauental heißt. Bis jetzt konnte ich noch keine Gelegenheit dazu finden; heute aber steht die Sonne noch hoch. Beliebt es euch also, mit mir zu kommen, so zweifle ich nicht, daß es euch keineswegs gereuen wird, seid ihr erst einmal dort gewesen.« Die Damen erwiderten, sie seien bereit, und so machten sie sich, ohne den Männern ein Wörtlein zu sagen, nur von einer herbeigerufenen Dienerin begleitet, auf den Weg.

Nach einem Weg von wenig mehr als einer Meile gelangten sie zu dem Frauental, in das ein ziemlich schmaler Fußpfad, auf dessen einer Seite ein kristallheller Bach ihnen entgegenrieselte, führte. Es erschien ihnen dies Tal, besonders zu jener Tageszeit, wo die Hitze noch groß war, so ergötzlich und schön, wie man es sich nur immer zu erdenken vermag. Wie eine jener Damen mir später berichtet hat, war die ebene Talsohle so rund, als wären sie mit dem Zirkel abgemessen, obwohl man leicht erkannte, daß sie ein Kunstwerk der Natur und keines von Menschenhand sei. Der Umkreis jener Ebene aber betrug wenig mehr als eine halbe Meile, und rings umher erhoben sich sechs Hügel von mäßiger Höhe, auf deren Gipfel je ein Landhaus, dessen Bau sich einer schönen Burg fast vergleichen ließ, zu sehen war. Die Abhänge dieser Hügel stiegen stufenweise bis zur Ebene nieder, wie wir in den Theatern die Sitzreihen von der höchsten bis zur niedrigsten Umkränzung angeordnet sehen, so nämlich, daß ihre Weite sich nach unten stets verminderte. Soweit diese Hänge nach der Mittagsseite abfielen, waren sie von Weinreben, Oliven, Mandel- und Kirschbäumen, Feigen und vielen andern fruchtbringenden Bäumen ganz überdeckt, ohne daß nur eine Spanne unbelaubt geblieben wäre. Die Abhänge aber, welche den mitternächtigen Wagen anschauten, strotzten und grünten so dicht, wie es der Raum nur zuließ, von Eichen-, Eschen- und allerlei anderm Gebüsch. Die Talebene dagegen, die außer dem einen Eingang, durch [515] den die Damen gekommen waren, keinen zweiten besaß, war mit Edeltannen, Zypressen, Lorbeerbäumen und einigen dazwischengestreuten Pinien in so wohlverteilten und geordneten Gruppen bewachsen, als hätte der für solche Anlagen geschickteste Künstler sie gepflanzt. Durch dieses Laubdach vermochten die Strahlen der Sonne, auch wenn sie hoch stand, entweder gar nicht oder doch nur sehr sparsam auf den Boden zu dringen, der eine einzige Wiese des kürzesten grünen Grases bildete, zwischen dem unzählige purpurfarbene und andere Blumen sprossen.

Was aber außerdem nicht minder erfreute als alles übrige, war ein Bächlein, das aus einem Tale, welches zwei jener Hügel trennte, über mehrere Felsstufen niederfloß, im Fallen ein dem Ohr angenehmes Rauschen hervorrief und in so glänzenden Wasserstaub sich zerschlug, daß man von ferne Quecksilber zu sehen glaubte, welches infolge eines Druckes in kleinen Tröpfchen aus einem Behältnis hervorspritzt. Auf dem Boden des kleinen Tales angelangt, sammelte sich das Wasser in einem schmalen Bette, durch das es eilig bis zur Mitte der Ebene dahinfloß, um dort ein Teichlein zu bilden, nicht größer als die Weiher sind, welche die Städter, wo die Gelegenheit sich dazu bietet, in ihren Gärten anzulegen pflegen. Dieser kleine Teich war nicht tiefer, als um einem Manne bis an die Brust zu reichen, und da das Wasser ohne die leiseste Trübung war, gestattete es in seiner Klarheit, genau zu erkennen, daß der Grund aus dem feinsten Kiese bestand, und hätte jemand die Muße dazu gehabt, er wäre imstande gewesen, die einzelnen Steinchen zu zählen. Aber wer auf das Wasser sah, erblickte nicht nur den Grund, sondern zugleich so viele hin und her schießende Fische, daß es, neben dem Vergnügen, Staunen erregte. Kein anderes Ufer umschloß dieses Wasserbecken als allein der Rand jener Wiese, die um so schöner grünte, je näher sie sich zu dem Teiche niedersenkte und je mehr sie von seiner Feuchtigkeit erfrischt ward. Alles Wasser, das im Umfang dieses Beckens keinen Raum fand, wurde von einem zweiten Bett aufgenommen, durch welches es aus dem Tale geleitet in das tiefer gelegene Land abfloß.

Als die jungen Damen nun hier angelangt waren und sich [516] nach allen Richtungen umgeblickt hatten, lobten sie zuerst auf das lebhafteste die Schönheit des Ortes; dann aber weckten die große Hitze und der Anblick des kleinen Sees, der vor ihnen lag (und da sie sicher waren, von niemand belauscht zu werden), in ihnen die Lust, sich zu baden. So befahlen sie denn ihrer Dienerin, auf dem Wege, durch den man in das Tal gelangte, Wache zu halten und, im Falle jemand sich nähern sollte, ihnen ein Zeichen zu geben, und alle sieben entkleideten sich. Das Wasser, in das sie nun niederstiegen, verbarg ihre schneeweißen Körper nicht mehr, als ein zartes Glas eine Rose verbirgt. Auch wurde das klare Wasser durch ihre Bewegungen nicht im mindesten getrübt, so daß sie Gefallen daran fanden, den Fischen, die sich nirgends zu verstecken wußten, nachzujagen, so gut es gelang, und zu versuchen, ob sie einige mit den Händen zu fangen vermöchten. Wirklich erhaschten sie unter allgemeinem Jubel ein paar; und da sie eine Zeitlang im Wasser geweilt hatten, stiegen sie heraus und kleideten sich an.

Dem Lobe, das sie diesem schönen Orte bereits erteilt hatten, noch größeres hinzuzufügen, vermochten sie nicht. Da es ihnen indes an der Zeit schien, nach Hause zurückzukehren, machten sie sich unter Gesprächen über die Schönheit dieses Spaziergangs langsamen Schrittes auf den Weg. Ziemlich früh wieder beim Palast angelangt, fanden sie die jungen Männer noch, wie sie sie verlassen hatten, mit dem Spiel beschäftigt. Pampinea sagte lächelnd zu ihnen: »Heute haben auch wir euch angeführt.« »Wie?« antwortete Dioneo, »fangt ihr an zu tun, wovon ihr nachher erzählen sollt?« »Allerdings, Herr König«, entgegnete Pampinea und erzählte ihm ausführlich, woher sie kämen, wie jener Ort beschaffen und wie wenig entfernt er sei, und was sie dort vorgenommen hätten.

Die Erzählung von der Schönheit jenes Platzes erregte in dem Könige das Verlangen, ihn zu sehen. Er ließ daher schnell das Abendessen auftragen, und nachdem dies in gemeinsamer Heiterkeit beendet war, verließen die drei jungen Männer die Damen und gingen mit ihren Dienern zu dem Tale, das auch von ihnen noch keiner zuvor betreten hatte. Aufmerksam betrachteten sie alle seine Schönheiten und erklärten es zu einer der anmutigsten Stellen auf der Welt. Dann badeten sie sich, [517] kleideten sich aber bald wieder an und kehrten, weil es schon spät war, nach Hause zurück, wo sie die Damen zu einem Liede, das Fiammetta sang, einen Reigen tanzend, fanden. Nach dem Ende des Tanzes unterhielten sie sich mit den Damen über die Schönheit des Frauentals und sagten viel zu seinem Lobe. Daher ließ denn der König den Seneschall herbeirufen und befahl ihm, Sorge zu tragen, daß am nächsten Morgen einige Ruhebetten hergerichtet und dort aufgestellt würden, im Fall der eine oder andere vielleicht Gefallen daran fände, dort während der Mittagsstunden zu schlafen oder auszuruhen. Dann aber ließ er Lichter, Wein und Zuckerwerk herbeibringen und gebot der Gesellschaft, nachdem sie sich ein wenig erquickt hatte, zum Tanze anzutreten. Panfilo führte auf des Königs Verlangen den Tanz an; dieser aber sagte, zu Elisa gewandt, freundlich: »Schöne Maid, du übertrugst mir heute die Ehre der Krone, so will ich dir für diesen Abend die des Liedes übertragen. Singe uns also eines, wie es dir am besten gefällt.« Elisa erwiderte lächelnd, daß sie gern dazu bereit sei und begann mit süßer Stimme in folgender Weise:


Kann deiner Klau ich, Amor, mich entwinden,
So hoff ich sicherlich,
Kein andrer Hamen soll mich fürder binden.
Als Kind schon ward ich dein mit Leib und Blut,
Den Frieden, dacht ich, solltest du mir spenden,
Und wie bei innigstem Vertraun man tut,
Warf alle Waffen selbst ich aus den Händen.
Doch du, Tyrann, wie eiltest du, zu wenden
Die Waffen gegen mich
Und mich mit schwerer Kette zu umwinden.
Kaum aber, daß sie mich gefesselt hat,
Gibst du mich auch, an Tränen fast erstickend,
Dem Mann, der mir zum Tod ins Leben trat
Und der mir noch gebeut, den Sinn berückend.
So schwer ist seine Tyrannei, so drückend,
Daß sie kein Haar breit wich
Den Seufzern, die mein Leid, verzehrend, künden.
[518]
Mein Flehen all, die Winde streun's umher,
Er hört's nicht, horcht ihm nicht, wenn sie's ihm böten,
Drum wächst mein Leiden auch je mehr und mehr.
Das Leben haß ich, weiß mich nicht zu töten,
Erbarm dich meiner, Herr, in diesen Nöten.
Du kannst es ja, nicht ich.
Laß ihn, von dir für mich besiegt, mich finden.
Verweigerst du mir dies, so wolle nun
Das Band, das Hoffnung einst geknüpft, zerhauen.
Inständig bitt ich, Herr, dich das zu tun.
Tust du's, so heg ich sicheres Vertrauen,
So schön mich wieder, als ich war, zu schauen.
Und froh zu sehn, wie sich
Die Rosen meiner Wangen neu entzünden.

Als Elisa ihr Lied mit einem gar kläglichen Seufzer beendet hatte, wunderten sich zwar alle über diese Worte; keiner unter ihnen vermochte aber zu entdecken, was sie für einen Anlaß hatte, also zu singen.

Inzwischen ließ der König, der in der besten Laune war, den Tindaro herbeirufen und befahl ihm, seine Sackpfeife zu bringen, bei deren Klang nach seiner Anordnung noch zahlreiche Tänze aufgeführt wurden. Erst als ein beträchtlicher Teil der Nacht bereits verstrichen war, hieß er einen jeden schlafen gehn.

[519][521]

Siebenter Tag

[Einleitung]
[523]

Schon war jeder Stern aus dem östlichen Himmel entflohen, den Morgenstern ausgenommen, den wir den Lichtbringer nennen und der allein noch durch den weißlichen Schimmer der Morgenröte glänzte, als der Seneschall sich erhob und mit schwerer Last sich in das Frauental verfügte, um hier alles nach dem vom Gebieter erhaltenen Auftrag und Befehl einzurichten.

Nicht lange nach diesem Aufbruch erhob sich auch der König, den das Lärmen der Aufladenden und der Saumtiere geweckt hatte, und hieß ebenso die Damen und die jungen Männer aufstehen. Noch waren die Strahlen der Morgensonne nicht ganz hervorgebrochen, als die ganze Gesellschaft sich auf den Weg begab, und nie war ihnen der fröhliche Gesang der Nachtigallen und der übrigen Vögel so reizend vorgekommen wie an diesem Morgen. Von ihren Liedern begleitet, erreichten sie das Tal der Frauen, wo sie von vielen anderen Sängern dieser Art, die sich ihrer Ankunft zu freuen schienen, empfangen wurden. Sie durchstreiften das Tal, sahen alles von neuem genau an, und es schien ihnen um soviel schöner wie den Tag zuvor, da die jetzige Tageszeit seiner Schönheit entsprechender war. Nachdem sie sich mit einigem Zuckerwerk und gutem Wein erquickt hatten, fingen sie, um im Gesang von den Vögeln des Haines nicht übertroffen zu werden, gemeinsam an zu singen, und mit ihnen das Tal, welches immer dieselben Lieder, die sie anstimmten, wiederholte: ein Wettgesang, dem die Vögel, gleichsam als wollten sie nicht besiegt sein, neue süßere Töne hinzufügten.

Als die Tafelstunde gekommen war, deckte man die Tische unter grünen Bäumen und anderem schönen Laubwerk nahe am Teiche, nahm in der Reihe Platz, wie es dem König beliebt hatte, und betrachtete unterm Essen die Fischlein, welche in großen Scharen durch das Wasser schwammen. Und der Anblick [523] ergötzte nicht nur die Augen, sondern bot zuweilen auch ihren Gesprächen Stoff. Nach beendeter Tafel wurden Speisen und Tische hinweggeräumt, und der Gesang begann aufs neue noch fröhlicher als zuvor. Inzwischen hatte der verständige Seneschall hier und da in dem kleinen Tal Betten aufstellen und sie mit bunten Stoffen und Teppichen verhängen und überdachen lassen. Manche benutzten mit des Königs Urlaub diese Gelegenheit und legten sich schlafen. Wer sich aber nicht schläfrig fühlte, konnte sich nach Belieben in der herkömmlichen Weise erlustigen. Als indes die Stunde gekommen war, wo alle sich erhoben, um sich zum Erzählen zu versammeln, ließ der König nicht fern von der Stelle, wo sie gespeist hatten, Teppiche über das Gras breiten. Dann ließen sie sich am Ufer des kleinen Sees zum Sitzen nieder, und der König gebot Emilia, den Anfang zu machen. Diese begann heiter und lächelnd also zu reden:

Erste Geschichte

Gianni Lotteringhi hört des Nachts an seiner Tür klopfen, weckt seine Frau und läßt sich von dieser weismachen, es sei ein Gespenst. Beide machen sich daran, dies mit einem Gebet zu beschwören, und das Klopfen hört auf.


Herr König, mir wäre es lieb gewesen, wenn Ihr jemand anders als eben mich berufen hättet, um die erste Geschichte über den schönen Gegenstand, den wir heute behandeln sollen, zu erzählen. Da es aber Euer Wille ist, daß ich allen übrigen besseren Mut einflößen soll, bin ich gern bereit. Und zugleich will ich mir Mühe geben, euch, ihr lieben Mädchen, etwas zu erzählen, was euch für die Zukunft nützlich sein kann. Seid ihr andern nämlich so furchtsam wie ich, fürchtet ihr euch vor allem so vor Gespenstern, vor denen wir alle die gleiche Angst zu haben pflegen, obgleich ich weder weiß, was sie sind, noch irgendwen kenne, der es zu sagen wüßte, so könnt ihr doch aus meiner Geschichte einen frommen und wohlbewährten Spruch lernen, um sie zu verscheuchen, wenn sie euch jemals heimsuchen sollten.

[524] Vor Zeiten wohnte zu Florenz in der Straße San Pancrazio ein Wollenweber, der Gianni Lotteringhi hieß und in seinem Handwerk wohlerfahren war, in andern Dingen aber der Weisheit so ziemlich entbehrte. Er schlug nämlich etwas in die Gattung frommgläubiger Pinsel über, war häufig Anführer der singenden Brüder von Santa Maria Novella und hatte die Aufsicht über ihren Betsaal und andere ähnliche Ämtchen, die ihn nicht wenig mit sich selbst zufrieden machten. Das alles geschah aber, weil er als wohlhabender Mann den Mönchen gar vielmals treffliche Mahlzeiten gab. Wie nun aber überdies der eine ihm Strümpfe, der andere Kragen, der dritte Skapuliere mehrfach abzuschwatzen wußten, lehrten sie ihn allerhand schöne Gebete und gaben ihm das Vaterunser auf italienisch, das Lied des heiligen Alexius, den Klagegesang des heiligen Bernhard, das Loblied der Donna Mathilde und anderes ähnliches Gewäsch, das er sehr hoch hielt und zum Heil seiner Seele sorgfältig aufhob.

Nun hatte dieser Gianni ein bildhübsches und munteres Weib, welches Monna Tessa hieß und eine Tochter des Manuccio della Cuculia war, eine äußerst gescheite und umsichtige Frau. Die Einfalt ihres Mannes war ihr bekannt, und da sie in Federigo di Neri Pegolotti, einen schönen und blühenden Jüngling, so wie er in sie, verliebt war, so ließ sie mit Hilfe einer Dienerin Federigo wissen, daß er nach einem schön gelegenen Weinberg kommen möge, den Gianni in der Camerata besaß, um mit ihr zu sprechen. Dort pflegte sie den ganzen Sommer über zu wohnen; Gianni aber kam nur zuweilen heraus, um zu Abend zu essen und zu übernachten, und ging am andern Morgen in seine Werkstätte zurück und bisweilen zu seinen Betbrüdern. Federigo, dem nichts erwünschter sein konnte, verfügte sich am bezeichneten Tag gegen Abend hinauf, wo er, da Gianni die ganze Nacht nicht erschien, gemächlich und in großer Lust mit der Geliebten speiste und bei ihr herbergte, indes sie in seinem Arme ruhte und ihn die Nacht hindurch wohl sechs von den Lobgesängen ihres Mannes lehrte. Da nun weder sie noch er diese erste Nacht die letzte bleiben zu lassen gedachten, so verabredeten sie, damit die Magd ihn nicht immer erst zu bestellen brauchte, für ihre künftigen Zusammenkünfte [525] Folgendes: Sooft Federigo nach einer kleinen Besitzung, die er etwas weiter den Berg hinauf hatte, ginge, oder sooft er von dort zurückkäme, sollte er auf einen Eselskopf achten, der nahe bei Giannis Haus auf einen Rebpfahl gesteckt war. Wäre der Eselskopf mit der Schnauze nach Florenz gekehrt, so möchte er denselben Abend bei Einbruch der Dunkelheit ohne Scheu zu ihr kommen und, fände er etwa die Tür verschlossen, nur dreimal leise klopfen, worauf sie ihm schon öffnen werde. Sähe aber der Eselskopf mit der Schnauze nach Fiesole hin, so möchte er fortbleiben, weil dann Gianni draußen übernachtete.

Auf solche Weise verschafften sich die zwei manche Zusammenkunft. Einmal aber, als Federigo mit Monna Tessa zu Nacht essen wollte und sie deshalb zwei fette Kapaune hatte bereiten lassen, geschah es, daß Gianni gegen alle Abrede spät abends herauskam. Der Frau kam dies gar ungelegen. Sie ließ denn ihrem Manne ein wenig Salzfleisch, das sie nebenher hatte kochen lassen, vorsetzen und befahl der Magd, die beiden Kapaune nebst einer Anzahl frischer Eier und einer Flasche guten Weines in ein weißes Tischtuch einzuschlagen und im Garten am Fuße eines Pfirsichbaumes, der am Rande eines kleinen Wiesenflecks stand, niederzulegen. In diesen Garten aber, in dem sie schon öfter mit Federigo zu Abend gegessen hatte, konnte man gelangen, ohne durch das Haus zu gehen. So ärgerlich aber war sie, daß sie ganz vergaß, der Magd zu sagen, sie solle dort warten, bis Federigo gekommen wäre, um ihm zu sagen, daß Gianni gekommen sei, er aber solle essen, was im Garten läge.

Nun war sie gar nicht lange mit Gianni zu Bett gegangen und die Magd desgleichen, als Federigo ankam und einmal leise an die Tür klopfte, welche der Schlafkammer so nahe war, daß Gianni es augenblicklich vernahm und seine Frau ebenso; doch um in Gianni womöglich keinen Argwohn zu wecken, tat sie, als schliefe sie fest. Federigo wartete einen Augenblick und pochte zum zweiten Male. Darüber verwunderte sich Gianni, stieß die Frau an und sagte: »Tessa, hörst du nichts? Mir ist's, als würde an unsere Tür geklopft.« Die Frau, die es nur allzu gut gehört, tat, als erwache sie aus tiefem Schlafe und fragte: »Was sagst du?« »Ich sage«, antwortete Gianni, »daß es mir [526] vorkommt, als werde an unsere Tür geklopft.« »Geklopft?« fragte die Frau, »weh mir, liebster Gianni, weißt du nicht, was das ist? Das Gespenst ist es, vor dem ich all die Nächte her die entsetzliche Angst ausgestanden habe. Sobald ich es nur klopfen hörte, habe ich den Kopf unter das Bett gesteckt und nicht eher den Mut gehabt, ihn herauszuziehen, als bis es hellichter Tag war.« Darauf sprach Gianni: »Frau, laß nur gut sein und fürchte dich nicht, wenn es auch das Gespenst ist. Ich habe vorhin das ›Te lucis‹ und das ›Intemerata‹ gesprochen und viele andere Gebete, als wir zu Bette gingen, und habe das Bett auch von einer Ecke zur andern im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes gesegnet, und darum hast du nichts zu fürchten; denn, wie schlimm auch das Gespenst sein mag, uns kann es nicht schaden.«

Die Frau sorgte sich indes, daß Federigo anderweitigen Verdacht schöpfen und sich mit ihr überwerfen möchte. Daher beschloß sie, jedenfalls aufzustehen und ihm begreiflich zu machen, daß Gianni anwesend sei. Deshalb antwortete sie ihrem Gatten: »Schon recht. Du hast gut reden. Aber ich werde weder Ruhe noch Frieden finden, bevor wir nicht das Gespenst beschworen haben, da du nun einmal hier bist.« »Beschwören?« sagte Gianni, »wie soll man das aber anstellen?« »Ich verstehe mich auf das Beschwören«, antwortete die Frau. »Neulich, als ich zum Ablaß nach Fiesole ging, klagte ich meine Angst einer von jenen Klausnerinnen. Ach, Gianni, wie fromm die sind, das laß dir von Gott selbst sagen, denn ich vermag es nicht. Nun, die hatte Mitleid mit mir und lehrte mich einen heiligen und trefflichen Spruch, von dem sie, wie sie sagte, mehrmals Gebrauch gemacht, solange sie noch in der Welt gelebt, und ihn immer wirksam befunden hatte. Aber Gott weiß es, für mich allein hätte ich mich nie getraut, die Sache zu versuchen. Nun aber, da du hier bist, wollen wir hingehen und das Gespenst beschwören.«

Gianni sagte, das sei ihm ganz recht, und somit standen sie auf und gingen leise miteinander bis zu der Tür, vor der Federigo, in welchem schon allerhand böse Gedanken aufzusteigen anfingen, immer noch stand. Hier angelangt, sagte die Frau zu Gianni: »Nun gib acht, daß du ausspuckst, wenn ich's sage.«[527] »Schon recht«, sagte Gianni, und nun begann die Frau ihren Spruch folgendermaßen:


Du Gespenst, das nachts umgeht,
Wie du kamst, gehobnen Schweifes,
So geh heim! Kannst du, begreif es.
Wo der große Pfirsich steht,
Findest du, davon zu schmausen,
Innen Fettes, Fettes draußen,
Auch was Hennen abgegangen,
Und zur Flasche magst du langen.
Dann geh heim und laß in Ruh
Meinen Gianni, mich dazu.

Als sie so gesprochen hatte, sprach sie zu ihrem Gatten: »Nun spucke, Gianni!« und Gianni spuckte.

Federigo, welcher draußen stand und dies hörte, war mit einem Male aller Eifersucht ledig und fühlte trotz seines Trübsinns so herzliche Lust zum Lachen, daß er sich nicht halten konnte, und sprach, als Gianni ausspuckte, leise: »Spucke die Zähne aus!« – Als die Frau das Gespenst auf diese Weise dreimal beschworen hatte, ging sie wieder mit ihrem Manne zu Bett.

Federigo, der sich auf das Abendessen mit seiner Tessa gefreut hatte und dessen Magen leer war, verstand die Worte des Spruches wohl, ging in den Garten, nahm die beiden Kapaune, die Eier und den Wein mit nach Hause und aß dort in guter Ruhe zur Nacht. Über jene Beschwörung aber lachte er noch manchesmal mit der Frau, sooft er sie wieder besuchte.

Übrigens will ich nicht verschweigen, daß, wie einige wissen wollen, die Frau den Eselskopf allerdings mit der Schnauze nach Fiesole gewendet hatte, daß aber ein Arbeiter, der durch den Weinberg ging, zufällig mit seinem Stock daran geschlagen, so daß der Kopf sich mehrmals um und um drehte und zuletzt gen Florenz gekehrt blieb, weshalb Federigo im Glauben, daß dies Zeichen ihn rufe, gekommen sei. Die nun die Geschichte so erzählen, behaupten, der Spruch, den die Frau gesagt, habe so gelautet:


[528]
Geh fort, Gespenst, das in der Nacht umgeht,
Den Eselskopf, den hab ich nicht umgedreht.
Wer es getan, den möge Gott bestrafen.
Laß mich und meinen Gianni ruhig schlafen.

Hiernach hätte also Federigo ohne Herberge und Nachtessen heimgehen müssen.

Nun hat mir eine meiner Nachbarinnen, eine schon hochbetagte Frau, versichert, wie sie in ihrer Kindheit erfahren habe, seien beide Geschichten wahr. Nur sei die letzte nicht dem Gianni Lotteringhi, sondern einem gewissen Gianni di Nello begegnet, der am Tor von San Piero wohnte und kein geringerer Einfaltspinsel war.

So steht es denn in eurer Wahl, ihr werten Frauen, welchen von den beiden Sprüchen ihr als richtig gelten lassen wollt. Ihre Wirkung ist in solchen Fällen erprobt, wie ihr aus meiner Erzählung gehört habt; lernt sie drum, und sie können euch noch nützen.

Zweite Geschichte

Peronella versteckt, als ihr Gatte plötzlich nach Hause kommt, ihren Geliebten in einem Weinfaß. Der Mann sagt ihr, er habe das Faß verkauft, sie antwortet aber, daß sie den Handel schon mit einem andern abgeschlossen habe, der eben hineingekrochen sei, um seine Festigkeit zu prüfen. Nun kommt dieser heraus, läßt das Faß noch vom Gatten ausschaben und dann in sein Haus tragen.


Mit vielem Lachen wurde Emilias Geschichte vernommen und vor allem der Spruch der Tessa als wirksam und fromm gelobt. Am Ende dieser Erzählung aber hieß der König den Filostrato fortfahren, und dieser begann:

So zahlreich, ihr lieben Damen, sind die Streiche, welche die Männer, besonders aber die Ehemänner, euch spielen, daß ihr, wenn es einmal einer Frau gelingt, ihren Mann anzuführen, euch billigerweise nicht nur erfreuen solltet, daß dies geschehen oder euch von irgendwem erzählt worden ist; ihr solltet es vielmehr darauf anlegen, dergleichen aller Welt zu erzählen, damit [529] die Männer erfahren, daß, wenn sie schlau sind, die Weiber ihnen an Pfiffigkeit nicht nachstehen. Solche Erkenntnis aber kann euch nur zum Vorteil gereichen, denn wer sich der Pfiffigkeit des andern bewußt ist, wird es sich zweimal überlegen, ehe er es unternimmt, diesen zu betrügen. Kein Zweifel, wenn die Männer erfahren sollten, was heute hier über diesen Gegenstand erzählt wird, legte dies ihrem Hang, euch anzuführen, einen wirksamen Zügel an, weil sie sich sagen müßten, daß, wenn ihr nur wolltet, ihr sie ebensogut hinters Licht führen könntet. Aus diesem Grund gedenke ich euch zu berichten, was für einen Streich ein junges Weibchen, obwohl von niederem Stande, fast in einem Augenblick zu ihrer Rettung ihrem Manne zu spielen wußte.

Vor gar nicht langer Zeit hatte in Neapel ein armer Mann ein hübsches und munteres Mädchen, namens Peronella, zur Frau genommen, und mit dem wenigen, das er durch sein Handwerk als Maurer, sie aber durch Spinnen verdiente, lebten sie kümmerlich genug von der Hand in den Mund. Nun geschah es, daß eines Tages ein junger Kavalier Peronella sah; und da sie ihm wohlgefiel, verliebte er sich in sie und umwarb sie so lange, bis er mit ihr vertraut ward. Um nun aber öfter beieinander sein zu können, trafen sie die Abrede, daß Giannello Strignario – denn so hieß Peronellas Geliebter – sich am Morgen in der Nachbarschaft aufhalten solle, um zu beobachten, ob ihr Ehemann, der in der Frühe auf Arbeit oder Arbeitsuche ging, wirklich das Haus verlasse. Geschehe dies, so solle Giannello, da ihre Straße, die Avorio hieß, sehr einsam und abgelegen sei, geradewegs zu ihr ins Haus kommen. Und so fügte es sich denn auch oft.

Eines Morgens aber trug es sich zu, als der gute Mann ausgegangen und Giannello gekommen war und sich mit Peronella ergötzte, daß plötzlich jener, der den ganzen Tag über nicht heimzukehren pflegte, vor der Zeit nach Hause kam und die Tür von innen verschlossen fand. Er klopfte, und als er eine Weile geklopft hatte, sagte er bei sich selbst: »Nun, Gott, dir sei noch immerdar Preis und Dank! Armut freilich hast du mir beschieden, dafür hast du mich aber mit diesem ehrbaren jungen Weibe gesegnet. Hat sie doch, als ich kaum vom Hause [530] weg war, gleich die Tür verriegelt, damit niemand, der ihr zu schaffen machte, hereinkommen könne.«

Als Peronella ihren Mann gleich an der Art des Klopfens erkannte, rief sie: »Weh mir, mein Giannello, ich bin des Todes! Da ist mein Mann, den der Kuckuck holen möge, schon wiedergekommen. Gott weiß, was das zu bedeuten hat, da er doch um diese Stunde noch nie nach Hause kam. Hat er dich gar gesehen, als du ins Haus kamst? Aber mag es sein, wie es will, verbirg dich hier in dem Faß; dann kann ich ihm aufmachen gehen, und wir werden ja hören, was seine Heimkehr so früh am Morgen zu bedeuten hat.«

Giannello schlüpfte flink in das Faß; Peronella aber ging nach der Tür, öffnete ihrem Mann und sagte mit zorniger Miene: »Nun, was ist denn das für eine neue Art, daß du heute so früh heimkommst? Das sieht ja geradeso aus, als wolltest du heute müßig gehen, da du dein Handwerkszeug mitbringst. Wenn du es aber so treibst, wovon sollen wir dann leben, wo sollen wir Brot herkriegen? Meinst du etwa, ich würde mir's gefallen lassen, daß du mir den Rock vom Leibe versetzest und mein bißchen Wäsche aufs Pfandhaus trägst? Tag und Nacht tue ich nichts als spinnen, daß mir das Fleisch sich ganz von den Nägeln löst, nur um soviel Öl zu verdienen, wie wir in unserer Lampe brennen. Mann, Mann, alle Nachbarinnen können sich nicht darüber beruhigen, wie sauer ich mir's werden lasse, und machen sich lustig über mich. Und du kommst am frühen Morgen armeschlenkernd nach Hause, wo du bei der Arbeit sein solltest!« Als sie so gesprochen hatte, fing sie zu weinen an und fuhr dann fort:

»Ach, ich Unglücklichste, ach, ich Ärmste, zu meinem Elend bin ich geboren! Wäre ich lieber gar nicht auf die Welt gekommen. Solch einen wackeren Burschen hätte ich haben können und wollte nicht, nur um diesen Menschen zu heiraten, der gar nicht begreift, was er an mir hat. Ja, andere Weiber, die machen sich eine gute Zeit mit ihren Liebhabern. Da ist nicht eine, die ihrer nicht zwei, drei hätte, und ihren Männern reden sie ein, wenn der Mond scheint, es sei die Sonne. Aber ich Ärmste, weil ich so gut bin und nichts wissen will von solchen Geschichten, habe ich nichts davon als Unglück und Verdruß. [531] Wahrhaftig, ich weiß nicht, warum ich mir nicht auch so einen Liebsten nehmen soll wie die andern. Damit du es nur weißt, Mann, es fänden sich genug Liebhaber, wenn ich nur wollte. Ich weiß genug, und vornehme Bewerber dazu, die mich liebhaben und mir nachgehen, die mir schon Geld in Menge haben bieten lassen oder Kleider oder Schmucksachen, mein Herz hat es nimmer zugegeben, denn ich bin keines Weibes Kind dafür, und nun kehrst du mir nach Hause zurück, indes du an der Arbeit sein solltest.«

»Aber Frau, um Himmels willen, ereifere dich darüber nicht so sehr«, sagte der Mann. »Glaube mir doch, daß ich recht gut weiß, was ich an dir habe, und du hast mir's eben nur noch deutlicher gemacht. Wahr ist's, daß ich vorhin auf Arbeit ausging. Du wußtest aber ebensowenig wie ich, daß heute St. Galeonsfest ist. Arbeit gibt es da nicht, und darum kehre ich zu dieser Stunde zurück. Aber trotzdem habe ich vorgesorgt, daß wir Brot für länger als einen Monat haben werden. Ich habe nämlich diesem Manne, den du hier bei mir siehst, das Faß, das du kennst und das uns schon lange im Wege steht, verkauft, und er gibt mir fünf Liliendukaten dafür.«

Darauf entgegnete Peronella: »Nun ärgere ich mich erst recht. Du bist ein Mann, du kommst unter die Leute und solltest dich auf geschäftliche Dinge verstehen, und nun verkaufst du das Faß für fünf Liliendukaten, während ich armes Weib, das fast nimmer vor die Haustür kommt, für das Faß, das uns doch nur zur Last ist, sieben Dukaten lösen konnte. Eben, als du nach Hause kamst, war ich um den Preis mit einem Menschen, der jetzt hineingekrochen ist, um zu sehen, ob es fest ist, handelseins geworden.«

Als der Mann dies hörte, war er mehr als zufrieden und sagte zu dem, welcher mit ihm gekommen war: »Guter Freund, geht mit Gott! Du hörst, daß meine Frau das Faß für sieben Dukaten verkauft hat, wo du nur fünfe geben wolltest.« »Meinethalben«, sagte der Biedermann und ging seiner Wege. Peronella aber sagte zu ihrem Mann: »Nun du einmal da bist, gehe selbst hin und mache die Sache mit dem Menschen richtig.«

Giannello, der die ganze Zeit über die Ohren gespitzt hatte, um zu erfahren, wie die Sache abliefe und was er wohl zu tun [532] hätte, sprang bei Peronellas Worten rasch aus dem Fasse und sagte, als wüßte er nichts von der Heimkehr des Gatten: »Nun, gute Frau, wo seid Ihr?« Der Mann, der eben hereinkam, sagte: »Hier bin ich, was begehrst du?« »Wer seid denn Ihr?« sagte Giannello. »Ich suche die Frau, mit der ich den Handel wegen des Fasses schloß.« Darauf sagte jener: »Macht es nur mit mir richtig; ich bin ihr Mann.« »Fest ist das Faß schon«, antwortete Giannello, »doch Ihr müßt wohl Hefe darin gehabt haben. Es ist ja inwendig mit etwas so Zähem überzogen, daß ich es mit den Nägeln nicht abkratzen kann. Ich kann es aber nur brauchen, wenn es rein ist.« »Nun«, sagte Peronella, »darum braucht der Handel nicht rückgängig gemacht zu werden. Mein Mann wird das Faß schon gehörig säubern.« »Warum auch nicht?« entgegnete ihr Mann, legte sein Werkzeug aus der Hand und zog die Jacke aus. Darauf ließ er sich ein Licht anzünden, kroch in das Faß und machte sich ans Schaben. Peronella aber beugte sich übers Faß, steckte, als wollte sie nach seiner Arbeit sehen, Kopf, Arm und Schulter durch das Spundloch, das eben weit genug dazu war, und sagte dabei: »Kratze hier und hier und auch dort drüben«, und »Sieh, hier hast du noch ein bißchen übriggelassen.«

Während sie aber so stand, ihrem Gatten zusprach und ihn anwies, verfiel Giannello, der an diesem Morgen, als der Ehemann heimkehrte, noch nicht vollkommen sein Verlangen befriedigt hatte und wohl einsah, daß er für diesmal nicht so konnte, wie er seine Sache abtun wollte, auf den Einfall, sein Ziel so zu erreichen, wie es eben ging. So trat er dicht hinter sie und befriedigte seine Jugendlust in derselben Art, wie in den weiten Steppen die zügellosen und brünstigen Rosse über die Stuten Parthiens herzufallen pflegen, und vollendete sie fast im selben Augenblick, da das Faß ausgeschabt. Dann machte er sich zurück, Peronella zog den Kopf aus dem Faß, und ihr Mann schlüpfte heraus. Nun sprach die Frau zu Giannello: »Nimm das Licht, guter Freund, und leuchte hinein, ob dir's rein genug ist.« Giannello sah hinein und sagte, es sei gut und er sei schon zufrieden. Dann bezahlte er die sieben Liliendukaten und ließ sich das Faß nach seinem Hause tragen.

[533] Dritte Geschichte

Bruder Rinaldo schläft bei seiner Gevatterin. Der Mann überrascht sie in der Kammer, und man macht ihm weis, daß jener seinem Patenkind die Würmer besprochen habe.


Filostrato hatte nicht so dunkel von den parthischen Rossen sprechen können, daß die hellhörigen Damen ihn nicht sollten verstanden und darüber gelacht haben; doch taten sie, als lachten sie über etwas anderes. Als aber der König seine Erzählung geendet sah, befahl er Elisa weiterzureden, und diese, zu gehorchen bereit, begann sogleich:

Anmutige Mädchen, die Beschwörung von Emilias Gespenst hat mir eine andere Beschwörungsgeschichte ins Gedächtnis zurückgerufen. Obgleich sie nicht so schön ist wie jene, will ich sie euch erzählen, da mir nicht gleich eine andere Erzählung über unseren Gegenstand einfällt.

Ihr müßt also wissen, daß in Siena einst ein junger Mensch, hübsch und von angesehener Familie, lebte, der Rinaldo hieß. Dieser liebte eine äußerst schöne Dame seiner Nachbarschaft, die Frau eines reichen Mannes. Und da er hoffte, wenn er sie nur einmal ohne Verdacht zu sprechen Mittel fände, von ihr gewinnen zu können, was er wünschte, so beschloß er, da er keinen andern Weg hierzu sah und die Frau eben guter Hoffnung war, ihr Gevatter zu werden. Er machte sich daher an ihren Mann heran, trug ihm dies auf die Weise, die ihm die anständigste schien, vor, und es geschah.

Als Rinaldo nun so der Gevatter der Frau Agnese geworden war und dadurch einen unauffälligen Vorwand hatte, mit ihr zu verkehren, faßte er Mut und gab ihr sein Verlangen, das sie schon am Ausdruck seiner Augen erraten hatte, zu verstehen; doch nützte ihm das wenig, obgleich der Dame nicht eben mißfiel, was sie von ihm vernommen hatte.

Nicht lange danach ereignete es sich, daß Rinaldo aus irgendeinem Grunde Mönch wurde, und mochte er nun dabei auf seine Kosten kommen oder nicht, genug, er blieb es. Um die Zeit, wo er Geistlicher ward, mochte er wohl die Liebe zu seiner Gevatterin und allerhand Eitelkeiten der Welt ein wenig beiseite gesetzt haben, allein im Verlauf der Zeit, und ohne[534] darum seine Kutte abzulegen, nahm er sie doch alle wieder auf. Er fing wie früher an, sich in glänzender Kleidung und feinen Stoffen zu gefallen, in allen seinen Sachen zierlich und geschmückt zu erscheinen, Canzonen, Sonette und Balladen zu dichten, Lieder zu singen und lauter ähnliche Dinge zu treiben.

Doch was rede ich von unserm Bruder Rinaldo, von dem wir hier sprechen? Wo sind die Mönche, die es nicht ebenso treiben? O Schmach unserer verdorbenen Welt! Sie scheuen sich nicht mehr, dick und fett und hochrot im Gesicht zu erscheinen, weichlich in ihrer Kleidung und in allen anderen Dingen aufzutreten und nicht wie Tauben, sondern wie stolze Hähne mit erhobenem Kamme und aufgeblasener Brust einherzuschreiten. Und was noch schlimmer ist – denn wir wollen hier übergehen, daß sie ihre Zellen voll von Büchslein mit Latwergen und Salben haben, voll von Schachteln mit mancherlei Konfekt, voll Karaffen und Phiolen mit wohlriechenden Wassern und Ölen, voll von Krügen, die von Malvasier, griechischen und anderen kostbaren Weinen schier überlaufen, so daß diese weniger Mönchszellen den Spezerei- und Salbenläden gleichen, sieht man sie – was also noch schlimmer ist als dies: sie scheuen sich nicht mehr, daß andere erfahren, wie sie die Gicht haben, und glauben zuversichtlich, kein Mensch wisse, daß Fasten, einfache und mäßige Speisen und ein nüchternes Leben den Menschen mager, beweglich und meist gesund erhalten und daß, wenn ja einer davon krank wird, er wenigstens nicht an Gicht leidet, gegen die man als Kur Enthaltsamkeit und was sonst zu der Lebensweise eines demütigen Mönchs gehört, vorzuschreiben pflegt. Sie glauben, die Welt wisse nicht, daß außer der Mäßigkeit auch lange Nachtwachen, Gebet und Geißelung den Menschen blaß und nieder geschlagen machen, und wahrlich weder Sankt Dominikus noch Sankt Franziskus vier Kappen für eine besaßen und sich nicht in hochfeine und köstlich gefärbte Tücher kleideten, sondern in solche von grober Wolle und natürlicher Farbe, um sich vor der Kälte zu schützen und nicht um zu glänzen. Allen diesen Verirrungen möge Gott steuern, wie es der Seele der Toren, die sie nähren, not tut.

So war denn unser Bruder Rinaldo zu seinen früheren Wünschen zurückgekehrt, fing wieder an, die Gevatterin häufig zu [535] besuchen und sie, als ihm der Mut wuchs, mit heftigerem Dringen als zuvor um das zu ersuchen, was er von ihr wünschte. Die gute Frau, welche sich so bedrängt sah und welcher Bruder Rinaldo jetzt vielleicht besser gefiel als zuvor, nahm eines Tages, als sie sich wieder sehr von ihm verfolgt sah, ihre Zuflucht zu dem, wohin alle flüchten, die den Wunsch haben, das, worum sie gebeten, zu bewilligen, und sprach: »Wie, Bruder Rinaldo, tun denn auch Mönche dergleichen?« Hierauf entgegnete der Pater: »Madonna, werfe ich nur die Kutte von mir, so scheine ich Euch gewiß ein Mensch wie jeder andere und wahrlich kein Mönch mehr.« Die Frau spitzte den Mund, als wollte sie lachen, und erwiderte: »Ich Ärmste, Ihr seid ja mein Gevatter, wie ginge das an? Es wäre gar übel getan, und ich habe oft gehört, daß auch diese Sünde allzu schwer ist. Wäre das nicht, fürwahr, ich täte, was Ihr wollt.« »Ihr seid eine Törin«, entgegnete Rinaldo hierauf, »wenn Ihr es nur darum nicht tun wollt. Ich sage nicht, daß es nicht sündhaft sei; aber Gott vergibt größere Fehler, wenn man sie bereut. Nun aber sagt mir, wer ist näher mit Eurem Sohne verwandt, ich, der ihn über die Taufe hielt, oder Euer Mann, der ihn erzeugte?« Die Frau erwiderte: »Mein Gatte ist ihm allerdings näher verwandt.« »Ihr sagt die Wahrheit«, erwiderte der Mönch, »schläft nun etwa Euer Mann nicht bei Euch?« »Allerdings tut er es«, erwiderte die Frau. »Nun denn«, sprach der Mönch, »so kann auch ich, der ich mit Eurem Sohn viel weniger verwandt bin als Euer Mann, bei Euch schlafen, so gut wie dieser.«

Die Frau, welche wenig Logik verstand und überdies nur noch geringer Überredung bedurfte, glaubte oder tat wenigstens, als glaubte sie, was der Mönch sagte, und entgegnete: »Wer wüßte auf Eure klugen Reden wohl zu antworten?« Dann ergab sie, der Gevatterschaft zum Trotz sich darein, zu tun, was er begehrte, und nicht nur für dieses ein Mal fingen sie damit an, sondern von dem Deckmantel der Gevatterschaft gemächlich geschützt – da ja hierdurch der Argwohn geringer ward –, fanden sie sich mehr und öfter zusammen.

Doch einmal unter andern geschah es, daß Bruder Rinaldo, als er zu dem Hause der Frau kam, niemand dort antraf als deren junge Magd, die ganz hübsch und zutraulich war, und [536] seinen Begleiter mit ihr nach dem Taubenschlag schickte, damit er ihr dort das Vaterunser beibringe, während er mit der Frau, die ihren kleinen Sohn an der Hand hatte, in eine Kammer trat, sich darin einschloß und auf einem Ruhebett, das dort stand, mit ihr seinen Scherz zu treiben anfing. Während sie aber so miteinander ihre Lust hatten, begab es sich, daß der Gevatter heimkehrte und, ohne von jemand gehört worden zu sein, bis an die Kammertür gelangte, dort anklopfte und seine Frau rief.

Als Frau Agnese dies hörte, rief sie aus: »Ich bin verloren! Da ist mein Mann, und sicher wird er jetzt gewahr, was der Grund unserer Vertraulichkeit ist.« Bruder Rinaldo war entkleidet, das heißt ohne Kutte und Skapulier im bloßen Unterkleide. »Ihr habt recht«, entgegnete er, als er dies hörte, »wäre ich nur angekleidet, so fänden wir wohl irgendein Mittel; doch öffnet Ihr ihm und er findet mich so, gibt es keine Ausflüchte.« Die Frau, von einem plötzlichen Einfall erleuchtet, erwiderte: »Zieht Euch nur an, und wenn Ihr damit fertig seid, nehmt Euer Patenkindchen auf den Arm und gebt wohl acht, was ich sagen werde, so daß Eure Reden mit den meinen übereinstimmen; dann aber laßt mich nur machen.«

Der gute Mann hatte noch nicht aufgehört zu klopfen, als die Frau ihm antwortete: »Ich komme ja schon.« Dann stand sie auf, trat mit einem freundlichen Gesicht an die Kammertür, öffnete sie und sprach: »Liebster Mann, denk dir nur, Bruder Rinaldo, unser Gevatter, ist gekommen, und gewiß von Gott uns zugeschickt; denn wahrhaftig, wäre er heute nicht dazugekommen, hätten wir unseren Sohn verloren.« Als der gute Pinsel dies hörte, geriet er fast außer sich und rief: »Was sagst du da?« »Ach ja, lieber Mann«, sprach die Frau, »vorhin ist er mir plötzlich so schwach geworden, daß ich schon glaubte, er wäre tot. Ich hätte ja nicht gewußt, was tun oder sagen, wäre unser Gevatter Rinaldo nicht dazugekommen. Der nahm ihn gleich auf den Arm und sagte: ›Gevatterin, das sind nur die Würmer, die er im Leibe hat, die ihm ans Herz herankriechen und ihn leicht umbringen könnten. Aber macht Euch keine Sorge, ich will sie ihm besprechen und sie alle totmachen. Ehe ich von hinnen gehe, sollt Ihr Euer Söhnlein wieder so gesund [537] sehen wie jemals.‹ Nun hätten wir dich gebraucht, um einen Teil der Beschwörung zu sprechen. Da die Magd dich aber nicht zu finden wußte, ließ er seinen Gefährten zur höchsten Stelle unseres Hauses hinaufsteigen und dort beten, während er und ich hier hineintraten. Und weil kein anderer als die Mutter des Kindes dabeisein darf, schlossen wir uns hier ein, damit uns niemand störe, und du siehst, noch hat er unser Kind im Arm. Ich denke, er wartet nur, daß sein Genosse mit Beten fertig ist; aber das muß er wohl schon sein, denn der Knabe ist schon wieder bei sich.«

Der arme Pinsel glaubte alle diese Dinge, und so sehr umstrickte ihn die Liebe zu dem Kinde, daß er keine Ahnung von dem Betrug hatte, den die Frau mit ihm trieb. Vielmehr stieß er einen mächtigen Seufzer aus und sprach: »Laß mich hineingehen und ihn sehen.« »Beileibe, gehe nicht hinein«, sprach die Frau, »du verdürbest nur, was gut gemacht ist. Doch warte, ich will sehen, ob du kommen darfst; ich will dich dann rufen.«

Pater Rinaldo, der alles mit angehört und sich ganz gemächlich wieder angezogen hatte, nahm nun, als alles in gehöriger Ordnung war, das Kind auf den Arm und rief: »Gevatterin, höre ich nicht den Gevatter dort?« »Jawohl, Herr«, antwortete der Pinsel, und der Mönch sagte: »So kommt nur her.« Der einfältige Geselle trat ein. »Hier nehmt Euren Sohn«, sprach Bruder Rinaldo zu ihm, »den die Gnade des Herrn wieder gesund gemacht hat, obwohl ich eben noch glaubte, Ihr sähet ihn noch vor dem Abend verblichen. Und nun laßt ein Wachsbild von der Größe des Kindes zum Lobe des Herrn vor der Bildsäule des heiligen Ambrosius aufstellen; denn um dessen Verdienste willen hat Gott Euch diese Gnade erwiesen.«

Als der Knabe den Vater erblickte, lief er auf ihn zu und liebkoste ihn, wie kleine Kinder zu tun pflegen. Dieser nahm ihn auf den Arm, vergoß Freudentränen, nicht anders, als wenn er ihn eben aus dem Grabe zurückerhalten hätte, und fing dann an, ihn zu küssen und seinem Gevatter, der ihn geheilt hatte, zu danken.

Kaum hatte Bruder Rinaldos Gefährte – der unterdessen der kleinen Magd nicht ein, sondern vielleicht mehr als vier Paternoster beigebracht und ihr eine kleine Börse von weißem [538] Zwirn geschenkt hatte, welche er von einer Nonne, die auch sein Beichtkind geworden war, erhalten – den frommen Pinsel an der Tür seiner Frau rufen hören, als er leise herbeikam und sich so stellte, daß er alles sehen und hören konnte, was vorging und geschah. Als er die Sache in gutem Geleise sah, kam er ganz herab, trat in die Kammer und sprach: »Bruder Rinaldo, die vier Gebete, die Ihr mir aufgegeben habt, habe ich alle gesprochen.« »Mein Bruder«, entgegnete der Mönch hierauf, »du mußt guten Atem haben und hast deine Sache trefflich gemacht. Ich meinerseits hatte erst zwei gesagt, als der Gevatter kam, aber der Herr hat uns um deiner und meiner Anstrengung willen Gnade erwiesen, und der Knabe ist geheilt.«

Der betrogene Kauz ließ nun guten Wein und Backwerk herbeibringen und bewirtete seinen Gevatter und dessen Gefährten mit diesen Dingen, nach denen ihnen mehr der Sinn stand als nach irgend etwas anderem. Dann begleitete er sie aus dem Hause und empfahl sie dem Himmel. Das Wachsbild aber ließ er ohne Aufschub machen und neben den andern vor der Bildsäule des heiligen Ambrosius, doch nicht zu Mailand, aufhängen.

Vierte Geschichte

Tofano sperrt eines Nachts seine Frau aus dem Hause aus. Da sie auf ihre Bitten hin keinen Einlaß erhält, tut sie, als stürze sie sich in einen Brunnen, indem sie einen großen Stein hineinwirft. Tofano kommt hierauf aus dem Hause, die Frau schleicht sich hinein und sperrt nun ihn aus, wobei sie ihn zugleich ausschilt und verhöhnt.


Als der König Elisas Geschichte geendet sah, wandte er sich ohne Zögern zu Lauretta und deutete ihr dadurch an, daß sie erzählen möge. So begann sie ohne Aufschub:

O Liebe, wie groß und gewaltig ist deine Macht! Wie mannigfach sind deine Ratschläge und Erfindungen! Welcher Weise, welcher Künstler könnte jemals solche Listen, Ausflüchte und Eingebungen ersinnen, wie du sie denen, die deinen Spuren folgen, plötzlich darbietest? Fürwahr, jede andere Unterweisung [539] ist langsam und schwerfällig im Vergleich zu der deinen, wie jeder aus den Geschichten ersehen kann, die euch schon erzählt wurden. Zu diesen, ihr liebevollen Mädchen, will auch ich noch eine List hinzufügen, zwar von einer einfachen Frau angewendet, aber der Art, daß ich nicht wüßte, wer anders als die Liebe ihr diese hätte eingeben können.

In Arezzo also lebte einst ein reicher Mann, welcher Tofano hieß und eine schöne Frau, deren Name Monna Ghita war, zum Weibe erhalten hatte, auf die er alsbald, ohne zu wissen warum, höchst eifersüchtig wurde. Als es die Frau gewahr ward, verdroß es sie, und nachdem sie ihn mehrmals nach den Gründen seiner Eifersucht gefragt und er keine andern anzuführen gewußt hatte als ganz allgemeine und belanglose, faßte sie den Entschluß, ihm das Gift wirklich zu reichen, vor dem er ohne Grund solche Furcht hatte.

Sie hatte bemerkt, daß ein junger Mann, nach ihrer Meinung sehr achtbar, sie mit liebendem Auge beobachtete, und fing nun vorsichtig an, sich mit ihm zu verständigen. Schon waren die Sachen zwischen ihm und ihr so weit gediehen, daß nichts mehr übrig war, als mit der Tat den Verabredungen Wirkung zu geben, da dachte die Frau darauf, wie sie auch hierzu Mittel fände. Unter den üblen Gewohnheiten ihres Mannes hatte sie erkannt, daß er an dem Trunke sehr großes Vergnügen fand. Sie fing daher an, ihm diesen nicht allein zu empfehlen, sondern ihn auch gar häufig auf listige Weise zum Trinken herauszufordern. Und das war denn bald so sehr Gewohnheit bei ihm, daß sie ihn fast jedesmal, wenn es ihr genehm war, bis zum Rausche verleitete. Sobald sie ihn aber gehörig betrunken sah, schickte sie ihn zu Bett und fand sich alsdann mit ihrem Liebhaber zusammen, was sie auch später sicher und häufig fortsetzte. Ihr Vertrauen auf die Räusche ihres Mannes war so groß, daß sie nicht allein den Mut hatte, den Geliebten in ihr Haus zu führen, sondern selbst zuweilen einen großen Teil der Nacht in seinem Hause, das von ihrem nicht weit entfernt war, zubrachte.

Indem nun das verliebte Weib in dieser Weise zu leben fortfuhr, bemerkte ihr jämmerlicher Gemahl doch, daß sie bei aller Trinkerei, zu der sie ihn aufforderte, selbst niemals trank. [540] Hieraus schöpfte er Verdacht, es könnte sich so verhalten, wie es ja auch war, daß nämlich die Frau ihn nur berauscht machen wollte, um dann, während er schlief, ihrem Vergnügen nachzugehen. Entschlossen zu erproben, ob dem so wäre, stellte er sich eines Abends, ohne am Tag getrunken zu haben, in Sprache und Benehmen wie der betrunkenste Mensch, der je auf der Welt war. Die Frau glaubte dies, und da sie annahm, daß er nicht mehr zu trinken brauche, um gut zu schlafen, steckte sie ihn schnell ins Bett. Dies getan, eilte sie, wie es schon öfter geschehen war, aus dem Hause zu ihrem Liebhaber, bei dem sie bis zur Mitternacht verweilte.

Als Tofano seine Frau im Hause nicht mehr vorfand, stand er schnell auf, ging zur Tür, schloß diese von innen zu und trat ans Fenster, um sie zurückkehren zu sehen und ihr dann zu zeigen, daß er ihre Künste durchschaut habe. Und so lange blieb er, bis die Frau heimkehrte. Als diese an das Haus kam und sich ausgeschlossen sah, war sie sehr bestürzt und begann zu versuchen, die Tür mit Gewalt zu öffnen.

Nachdem Tofano dies ein Weilchen mit angesehen hatte, rief er hinab: »Frau, du mühst dich umsonst, denn hier hinein kommst du nicht. Geh und kehre dahin zurück, wo du bis jetzt gewesen bist, und sei überzeugt, daß du nicht eher hier hereinkommst, als bis ich dir in Gegenwart deiner Verwandten und Nachbarn die Ehre, die du so sehr verdienst, erwiesen habe.« Nun fing die Frau an, ihn um Gottes Liebe willen zu bitten, daß er so gut sein möchte, ihr aufzutun; denn sie käme nicht von daher, von wo er glaubte, sondern sie habe bei einer Nachbarin gewacht, die in den langen Nächten nicht schlafen könne und sich scheue, allein im Hause aufzubleiben. Ihre Bitten jedoch halfen ihr nichts; denn jener rohe Tölpel war entschlossen, daß alle Einwohner von Arezzo ihre Schmach, welche bis dahin niemand wußte, erfahren sollten.

Als die Frau sah, daß alles Bitten nichts half, nahm sie zum Drohen ihre Zuflucht und sprach: »Öffnest du nicht, so will ich dich zum unglücklichsten Menschen der Welt machen.« »Was kannst du mir schon tun?« entgegnete ihr Tofano. Die Frau, welcher Amor bereits den Geist geschärft hatte, erwiderte ihm aber: »Ehe ich die Schmach dulde, die du mir unverdient antun [541] willst, stürze ich mich in den Brunnen, der hier nahebei ist, und wenn ich dann tot darin gefunden werde, so wird niemand etwas anderes glauben, als daß du in deiner Trunkenheit mich hineingestürzt hast; dann wirst du entweder fliehen müssen und verlieren, was du besitzt, und in der Verbannung leben, oder man wird dir als meinem Mörder, wie du es dann wirklich gewesen sein wirst, den Kopf abschlagen.«

Doch auch diese Worte brachten Tofano nicht von seinem törichten Entschluß ab. Deshalb rief die Frau denn aus: »Nun, ich kann dein widerwärtiges Beginnen nicht länger ertragen. Gott verzeihe dir. Laß meinen Spinnrocken wegnehmen, ich lasse ihn hier.« Dies gesagt, ging sie durch die Nacht, welche so finster war, daß man einander auf der Straße kaum sehen konnte, zu dem Brunnen hin, ergriff einen mächtigen Stein, der unten an der Einfassung lag, rief noch einmal: »Gott, verzeihe mir!« und ließ den Stein in den Brunnen hinabfallen. Als Tofano das gewaltige Geräusch hörte, das der Stein machte, da er auf das Wasser prallte, glaubte er zuversichtlich, seine Frau habe sich hineingestürzt. Schnell ergriff er daher Strick und Eimer und rannte, um sie zu retten, aus dem Hause und zum Brunnen.

Die Frau, welche sich unterdessen nahe der Haustür versteckt gehalten hatte, schlüpfte, sobald sie ihn auf den Brunnen zueilen sah, leise in das Haus, schloß sich darin ein, trat dann ans Fenster und sagte: »Wasser soll man zugießen, solange man trinkt, nicht hinterdrein in der Nacht.« Als Tofano das hörte, erkannte er den Possen, den sie ihm gespielt, und kehrte zur Türe zurück. Da er jedoch nicht ins Haus konnte, begann er der Frau zuzurufen, daß sie ihm öffnen möchte. Sie aber hörte jetzt auf, leise zu sprechen, wie sie erst getan, und erwiderte ihm mit lauter Stimme und fast schreiend: »Gottes Kreuz, widerwärtiger Trunkenbold, du kommst diese Nacht nicht ins Haus. Ich kann deine schlechten Manieren nicht länger ertragen. Jedermann soll nun erfahren, was du für einer bist und zu welcher Nachtstunde du nach Hause kommst.«

Tofano, nicht weniger erzürnt, fing nun seinerseits zu lärmen an und die Frau zu schmähen. Die Nachbarn, Männer und Frauen, standen über dem Lärm auf, stürzten an die Fenster [542] und fragten, was es denn gäbe. Nun begann die Frau zu weinen und rief: »Der Schändliche ist's, der mir jeden Abend betrunken nach Hause kommt oder in den Schenken schläft und dann zu dieser Stunde heimkehrt. Lange genug hab ich's ertragen. Weil es aber nichts geholfen hat, habe ich ihm die Schande machen müssen, ihn auszusperren, um zu sehen, ob ihn das nicht bessern wird.« Tofano, der Tölpel, erzählte seinerseits, wie die Sache wirklich gewesen war, und drohte nur heftig. Aber die Frau rief ihren Nachbarn zu: »Nun seht nur, was das für ein Mensch ist! Was sagtet ihr wohl, wenn ich auf der Straße stünde wie er und er im Hause wäre wie ich? Gottestreu, ich zweifle nicht, daß ihr glaubtet, er sagte die Wahrheit. Daran aber könntet ihr seinen Sinn erkennen. Gerade behauptet er, daß ich getan hätte, was er getan haben mag. Er wollte mich schrecken, indem er, ich weiß nicht was, in den Brunnen warf; aber wollte Gott, er hätte sich wirklich hineingestürzt und wäre darin ertrunken. Wäre doch dann der Wein, den er zuviel getrunken, gehörig gewässert worden.«

Nun fingen alle Nachbarn, Männer und Frauen, an, auf Tofano zu schelten, ihm unrecht zu geben und ihn dessentwegen laut zu schmähen, was er gegen seine Frau vorbrachte. Kurz, so rasch stieg der Lärm und verbreitete sich das Gerücht von Nachbar zu Nachbar, daß es endlich zu den Verwandten der Frau gelangte. Diese eilten herbei und nahmen, nachdem sie die Sache von einem und dem andern Nachbarn vernommen hatten, den armen Tofano in die Mitte und prügelten ihn so herzhaft, daß ihm fast die Glieder zerbrachen. Dann traten sie ins Haus, nahmen die Sachen der Frau, führten sie mit sich hinweg und drohten Tofano noch Schlimmeres an.

Tofano sah nun wohl, daß er übel angekommen war, und erkannte, wohin seine Eifersucht ihn geführt. Mit Mühe nur gewann er, da er seine Frau von Herzen liebte, einige vermittelnde Freunde und brachte es endlich dahin, daß er in Frieden die Frau in sein Haus zurückbekam. Dieser gelobte er nun, nie wieder eifersüchtig zu sein, und gestattete ihr überdies, ganz ihrem Vergnügen nachzugehen, jedoch so vorsichtig, daß er es nicht gewahr würde. Und so verfuhr er nach dem Sprichwort: »Der dumme Bauersmann nimmt erst die Prügel und verträgt [543] sich dann.« Unter uns aber lebe die Liebe, und es sterbe der Krieg mit der ganzen Sippschaft!

Fünfte Geschichte

Ein Eifersüchtiger hört, als Priester verkleidet, seiner Frau die Beichte. Sie macht ihm weis, sie liebe einen Geistlichen, der jede Nacht zu ihr komme. Während der Eifersüchtige diesem an der Tür auflauert, läßt die Frau ihren Liebhaber über das Dach zu sich kommen und vergnügt sich mit ihm.


Lauretta hatte ihre Erzählung beendet, und jeder billigte das Verfahren der Frau, die recht gehandelt und dem gemeinen Wicht angetan hatte, was ihm gebührte. Doch schon wandte sich der König, um keine Zeit zu verlieren, an Fiammetta und übertrug ihr freundlich das Amt des Erzählers, worauf diese folgendermaßen begann:

Edle Damen, die vorhergehende Geschichte legt mir gleichsam die Pflicht auf, ebenfalls von einem Eifersüchtigen zu erzählen, weil ich der Meinung bin, was die Frauen solchen Männern antun, besonders aber denen, die ohne Grund eifersüchtig sind, sei wohlgetan. Hätten die Gesetzgeber alles wohl erwogen, so hätten sie, wie ich glaube, für dieser Frauen Tun keine anderen Strafen festsetzen dürfen, als sie die treffen, welche, um sich selbst zu verteidigen, jemanden verletzen. Denn in der Tat stellen die Eifersüchtigen dem Leben ihrer jungen Frauen nach und tun alles, um deren Tod herbeizuführen. Die ganze Woche sitzen die Frauen eingeschlossen zu Hause und verlangen, ewig mit den Bedürfnissen des Hauswesens und der Familie beschäftigt, wenigstens an den Festtagen etwas Freude und Ruhe zu finden und auch ihrerseits ein Vergnügen zu genießen, wie es den Arbeitern auf dem Felde, den Handwerkern in den Städten und den Lenkern der Gerichtshöfe zuteil wird, ja, wie Gott selbst es getan, als er am siebenten Tag von allen seinen Mühen ausruhte, und wie sowohl die heiligen als auch die bürgerlichen Gesetze es verlangen, die zur Ehre Gottes und [544] zum gemeinen Besten eines jeden die Tage der Arbeit von denen der Ruhe unterschieden haben.

Dem aber widersetzen sich gerade die Eifersüchtigen; ja sie wählen sogar die Tage, die allen andern zur Freude sind, aus, um ihre Frauen, die sie dann nur noch fester verschlossen und eingekerkert halten, desto unglücklicher und trostloser zu machen. Wie traurig und welcher Gipfel des Unglücks dies aber für die Ärmsten ist, das können nur die wissen, die es selbst erfahren haben. Darum, zum Beschluß, sollte man gewiß das, was eine Frau ihrem mit Unrecht eifersüchtigen Gemahl zum Possen tut, nicht verdammen, sondern ihm vielmehr Beifall zollen.

Einstmals also lebte in Rimini ein Kaufmann, reich an Besitzungen und Geld, welcher auf die wunder schöne Frau, die er zur Gattin hatte, über die Maßen eifersüchtig ward. Hierzu hatte er jedoch keinen andern Grund als den, daß er sie sehr liebte, sie sehr schön fand und wußte, daß sie sich alle Mühe gab, ihm zu gefallen. Eben darum meinte er aber auch, daß jeder andere sie lieben müsse, daß sie jedem andern schön erscheine, und endlich, daß sie sich auch jedem andern so zu gefallen bemühe wie ihm: die Schlußfolge eines schlechten Gemütes und ein Beweis geringen Verstandes.

Eifersüchtig wie er nun war, hielt und hütete er sie so streng, daß viele zum Tod Verurteilte in den Gefängnissen minder streng gehütet werden als sie. Abgesehen davon, daß es ihr weder zu einer Hochzeit noch zu einem Feste oder in die Kirche zu gehen verstattet war, durfte sie unter keinerlei Vorwand den Fuß aus dem Hause setzen, ja sie wagte es nicht einmal, an ein Fenster zu treten oder um irgendeines Anlasses willen hinauszublicken. Ihr Leben war daher äußerst traurig, und um so ungeduldiger ertrug sie diese Pein, je unschuldiger sie sich fühlte.

Als sie nun sah, wie ihr schuldlos solches Unrecht von ihrem Gatten angetan wurde, verfiel sie darauf, zu ihrem Troste Mittel zu ersinnen, daß ihr solche Härte wenigstens mit Recht erwiesen würde. Ans Fenster treten durfte sie nicht, und so konnte sie freilich niemandem, der im Vorübergehen zu ihr aufgeblickt hätte, zu erkennen geben, daß seine Huldigung ihr angenehm wäre. Allein sie wußte, daß in dem Haus, welches [545] an das ihre stieß, ein schöner und anmutiger junger Mann wohnte, und dachte nun, wenn nur in der Mauer, die das Haus von dem ihrigen trennte, eine Öffnung wäre, wollte sie so lange hindurchschauen, bis sie den jungen Mann sähe, ihn sprechen und ihm ihre Liebe schenken könnte, wenn er sie nur annehmen wollte. Danach hoffte sie Mittel zu finden, mit ihm zusammenzutreffen und so ihr trauriges Leben zu erheitern, bis ihrem Gatten der Satan aus dem Leibe führe und er zur Einsicht gelangte.

Lange spähte sie, wenn ihr Gatte nicht zu Hause war, bald hier und bald dort an der Mauer umher und entdeckte endlich, daß an einer ziemlich verborgenen Stelle die Wand von einem kleinen Spalt durchbrochen war. Sie schaute hindurch, und obschon sie wenig von dem erkennen konnte, was auf der andern Seite war, erkannte sie doch, daß sie der Spalt in ein Zimmer sehen ließ, und sprach zu sich selbst: »Wenn dies Filippos, des jungen Nachbarn Zimmer wäre, so hätte ich halb gewonnen.« Und vorsichtig ließ sie nun von einer Magd, die Mitleid mit ihr hatte, danach spähen und erfuhr so, daß der junge Mann wirklich in diesem Zimmer ganz allein schlief. Daher trat sie nun häufiger an den Spalt, warf, wenn sie den Jüngling dort hörte, kleine Steinchen oder Holzstückchen hin durch und fuhr damit so lange fort, bis der Jüngling, um zu sehen, was dies wäre, herantrat. Leise rief sie ihn beim Namen, und er, der ihre Stimme erkannte, antwortete ihr. Da sie nun eine Gelegenheit gefunden hatte, eröffnete sie ihm in kurzen Worten ihr ganzes Gemüt. Der junge Mann, welcher hierüber äußerst erfreut war, sorgte dafür, daß von seiner Seite das Loch größer gemacht wurde, immer jedoch so, daß niemand es bemerken konnte. Hier sprachen sie sich denn häufig und reichten sich die Hände; allein weiter konnten sie bei der strengen Wache des Eifersüchtigen nicht gelangen.

Darüber nahte das Weihnachtsfest, und die Frau sagte zu ihrem Gatten, wenn es ihm gefalle, wolle sie am Morgen des Festtages zur Kirche gehen, beichten und kommunizieren, wie alle übrigen Christen es täten. »Und was für Sünden hast du denn begangen«, entgegnete ihr der Eifersüchtige, »daß du beichten willst?« »Wie«, erwiderte die Frau, »glaubst du, ich[546] sei eine Heilige, weil du mich so eingekerkert hältst? Du weißt wohl, daß ich meine Sünden so gut habe wie jeder andere, der auf Erden lebt; aber dir will ich sie nicht sagen, denn du bist kein Priester.«

Aus diesen Worten schöpfte der Eifersüchtige Argwohn und überlegte sich, wie er wohl erfahren könnte, was für Sünden sie begangen hätte. In der Tat fiel ihm das Mittel ein, wie es ihm gelingen möchte, und er er widerte, daß er's zufrieden sei; doch solle sie zu keiner andern Kirche gehen als zu ihrer Kapelle, und zwar morgens ganz früh. Dort solle sie dann bei ihrem Kaplan oder bei einem andern Priester, den er ihr zuweisen werde, beichten, nicht aber bei einem dritten, und danach solle sie gleich nach Hause zurückkehren. Die Frau glaubte ihn zur Hälfte verstanden zu haben und versprach, ohne mehr zu entgegnen, daß sie es so halten wolle.

In der Frühe des hohen Festtages stand die Frau mit der Morgenröte auf, kleidete sich an und ging in die von ihrem Gatten bezeichnete Kirche. Ebenso stand auch der Eifersüchtige auf und begab sich zur selben Kirche, wo er vor ihr eintraf. Und da er mit dem Kaplan schon verabredet hatte, was er tun wolle, warf er sich schnell eines der Gewänder des Priesters um, das eine große Kapuze mit Backen hatte, wie wir die Priester tragen sehen, zog sich die Kapuze vorn über die Stirn und setzte sich dann im Chore nieder.

Als die Frau die Kirche betrat, ließ sie nach dem Kaplan fragen. Dieser kam und sagte ihr auf ihr Begehren, ihm zu beichten, er könne ihr jetzt nicht die Beichte hören, würde ihr aber einen seiner Genossen schicken. Dann ging er fort und schickte ihr den eifersüchtigen Gatten zu dessen Unstern. Dieser erschien gravitätisch, und obschon es noch nicht heller Tag war und er sich die Kapuze ganz über die Augen gezogen hatte, konnte er sich nicht so verstellen, daß die Frau ihn nicht augenblicklich erkannt hätte. Als diese ihn so sah, sprach sie bei sich selbst: »Gott sei Dank, der ist nun aus einem Eifersüchtigen zu einem Priester geworden! Doch gemach, ich will ihn schon finden lassen, was er sucht.«

Sie tat daher, als kenne sie ihn nicht, und setzte sich sogleich ihm zu Füßen nieder. Der eifersüchtige Herr hatte ein paar [547] kleine Steinchen in den Mund genommen, damit ihn diese etwas im Sprechen hinderten und er von seiner Frau nicht an der Stimme erkannt würde. In allen übrigen Stücken indes glaubte er sich so völlig entstellt, daß er es nicht für möglich hielt, von ihr erkannt zu werden. Als es nun zur Beichte kam, sagte die Frau, nachdem sie ihm berichtet hatte, daß sie verheiratet sei, unter andern Dingen, die sie ihm bekannte, daß sie in einen Geistlichen, der sie jede Nacht besuche und bei ihr schlafe, verliebt sei.

Als der Eifersüchtige dies hörte, war es ihm, als würde sein Herz von einem Messerstiche durchbohrt, und hätte ihn nicht der Wunsch festgehalten, noch mehr zu hören, so hätte er die Beichte Beichte sein lassen und wäre davongerannt. Indes bezwang er sich und fragte die Frau: »Wie, schläft denn Euer Mann nicht bei Euch?« »Freilich, Herr«, erwiderte die Frau. »Nun«, sagte der Eifersüchtige, »wie kann dann auch der Priester bei Euch liegen?« »Herr«, entgegnete die Frau, »mit welcher Zauberei er es treibt, weiß ich nicht; aber im ganzen Hause ist keine Tür so fest verschlossen, daß sie sich nicht öffnete, sobald er sie nur berührt, und kommt er dann, wie er mir sagte, zu meiner Kammertür, so spricht er, ehe er sie öffnet, gewisse Worte, die bewirken, daß mein Gatte sogleich in tiefen Schlaf verfällt. Wird er dann gewahr, daß dieser schläft, öffnet er die Tür, tritt ein und verweilt bei mir – und das trügt nie.«

»Madonna«, erwiderte der Eifersüchtige, »das ist sehr übel getan, und durchaus müßt Ihr davon lassen.« »Herr«, erwiderte die Frau, »das glaube ich nimmer zu können, so sehr liebe ich ihn.« »Dann«, sprach der Eifersüchtige, »kann ich Euch nicht lossprechen.« »Das betrübt mich sehr«, entgegnete die Frau. »Ich bin nicht hierhergekommen, um Euch Unwahrheiten zu erzählen, und wenn ich glaubte, ich vermöchte zu tun, was Ihr verlangt, so sagte ich's Euch.« »Wahrhaftig, Madonna«, sprach der Eifersüchtige hierauf, »Ihr tut mir leid, denn ich sehe, wie Ihr um dieser Sünde willen Eure Seele ins Verderben stürzt. Doch will ich zu Eurer Rettung keine Mühe scheuen und meine besonderen Gebete in Eurem Namen zum Himmel schicken; vielleicht, daß sie Euch helfen. Nicht minder will ich von Zeit zu Zeit einen jungen Geistlichen zu Euch senden, dem Ihr[548] sagen mögt, ob jene Gebete Euch geholfen haben oder nicht, und wenn sie Euch Beistand leisten, so wollen wir weiter zusehen.« Hierauf antwortete die Frau: »Herr, tut das beileibe nicht. Mein Mann ist so eifersüchtig. Erführe er davon, dann brächte ihm die ganze Welt den Gedanken nicht aus dem Kopf, daß jener aus unlauteren Gründen komme, und keine leidliche Stunde im ganzen Jahr hätte ich mehr mit ihm.« »Madonna, fürchtet das nicht«, entgegnete der Eifersüchtige hierauf, »denn ich will schon Mittel und Wege finden, daß Ihr darüber nie ein Wort von ihm hören sollt.« »Nun«, sprach die Frau, »wenn Ihr Euch das zutraut, so bin ich zufrieden.«

Als nun die Beichte geschlossen, die Buße übernommen und die Frau wieder aufgestanden war, ging sie fort, die Messe zu hören. Der Eifersüchtige aber schnaubte über sein Mißgeschick und kehrte, sobald er das Priestergewand abgelegt hatte, nach Hause zurück, begierig, den Geistlichen und die Frau beisammen zu finden und beiden ein böses Spiel zu bereiten.

Als die Frau von der Kirche heimkehrte, sah sie an den Mienen ihres Gatten wohl, daß sie ihm ein schlimmes Festgeschenk gemacht hatte. Er aber bemühte sich, so gut er konnte, vor ihr zu verbergen, was er getan hatte und was zu wissen er sich einbildete. Bei sich aber hatte er beschlossen, in der folgenden Nacht an der Haustüre Wache zu halten und zu warten, bis der Priester käme. So sagte er zu seiner Frau: »Ich muß diesen Abend auswärts essen und schlafen. Du wirst daher die Haustür sowie die Tür auf der Treppenmitte und deine Zimmertür wohl verschließen und zu Bett gehen, wenn es dir an der Zeit scheint.« »In Gottes Namen«, antwortete die Frau, und sobald sie nun Zeit fand, ging sie an den Spalt und gab das gewohnte Zeichen, worauf Filippo, sobald er es hörte, herbeikam. Ihm erzählte sie nun, was sie diesen Morgen getan und was der Gatte ihr nach dem Essen gesagt hatte, und fügte hinzu: »Ich bin gewiß, daß er nicht aus dem Hause gehen, sondern unten die Tür hüten wird. Darum sieh zu, diese Nacht über das Dach herüberzukommen, damit wir zusammen sein können.« Der Jüngling, der hiermit zufrieden war, sagte: »Laßt mich nur machen, Madonna.«

Als nun die Nacht kam, schlich der eifersüchtige Mann sich [549] heimlich mit seinen Waffen in ein Zimmer des Erdgeschosses, und nachdem die Frau alle Türen und besonders die auf der Treppenmitte hatte verschließen lassen, so daß ihr Mann durchaus nicht zu ihr kommen konnte, kam der Jüngling vorsichtig herüber, worauf sie miteinander, als es an der Zeit schien, zu Bett gingen und sich in aller Muße aneinander freuten, bis der Tag gekommen war und der junge Mann wieder in sein Haus zurückkehrte.

Der Eifersüchtige wartete indes trostlos, ohne Abendessen und halb tot vor Kälte fast die ganze Nacht mit seinen Waffen neben der Tür, daß der Priester käme. Erst als der Tag nahe war und er nicht länger wachen konnte, legte er sich im Erdgeschoß zum Schlafe nieder. Von hier erhob er sich erst um die neunte Morgenstunde, als die Haustür schon geöffnet war, tat dann, als käme er woanders her, schlüpfte in seine Wohnung und frühstückte.

Nicht lange darauf ließ er einen Knaben kommen, als wäre es der Gehilfe des Geistlichen, der seiner Frau die Beichte gehört hatte, und ließ sie fragen, ob der, von dem sie wüßte, wiedergekommen sei. Die Frau, die den Boten wohl kannte, antwortete, diese Nacht sei er nicht gekommen, und wenn es so bliebe, könnte sie ihn vielleicht vergessen, obschon sie gar nicht wünschte, daß dies geschähe.

Was soll ich euch noch weiter erzählen? Der eifersüchtige Tor verbrachte viele Nächte damit, den Priester an der Haustür ertappen zu wollen, während die Frau sich mit ihrem Liebhaber fort und fort eine gute Zeit machte. Endlich jedoch hielt der Eifersüchtige es nicht länger aus, und mit erzürnter Miene fragte er die Frau, was sie dem Priester am Morgen ihrer Beichte bekannt habe. Die Frau antwortete, sie wolle es ihm nicht sagen, denn das sei weder recht noch geziemend. »Abscheuliches Weib«, erwiderte der Eifersüchtige, »dir zum Trotz weiß ich, was du ihm bekannt hast. Ich will und muß wissen, wer der Priester ist, in den du verliebt bist und der durch seine Zauberkünste jede Nacht bei dir schläft – oder, fürwahr, ich schneide dir den Hals ab.« Die Frau entgegnete, es sei gar nicht wahr, daß sie in einen Geistlichen verliebt sei. »Wie«, sprach der Eifersüchtige, »sagtest du nicht so und so zu dem [550] Priester, der dir die Beichte abnahm?« Darauf antwortete die Frau: »Meinetwegen kann er es dir wiedergesagt haben, ebensogut wie wenn du selbst dabeigewesen wärest. Ja, allerdings habe ich ihm das gesagt.« »Nun also«, sprach der Eifersüchtige, »sag mir, wer der Priester ist, und das auf der Stelle.«

Da lächelte die Frau und sagte: »Ich habe meine Herzensfreude daran, wenn ein kluger Mann von einer einfachen Frau am Narrenseil geführt wird, wie man einen Hammel bei den Hörnern zur Schlachtbank führt, obschon du solch ein kluger Mann nicht bist oder wenigstens von der Stunde an nicht warst, da du diesen bösen Geist der Eifersucht in deinem Herzen sich einnisten ließest, ohne zu wissen warum. Je törichter und tölpischer du aber bist, desto mehr vermindert sich mein Verdienst. Glaubst du denn, mein lieber Mann, daß ich mit den leiblichen Augen so blind bin wie du mit den geistigen? Fürwahr nicht! Ich sah und erkannte, wer der Priester war, der mir die Beichte hörte, und weiß recht gut, daß du es warst. Aber ich nahm mir vor, dir zu geben, was du suchtest, und ich habe dir's treulich gegeben. Wärest du aber so weise gewesen, wie du dich dünktest, so hättest du nicht versucht, auf solche Weise in die Geheimnisse deiner guten Frau einzudringen, und ohne falschen Verdacht zu hegen, hättest du erkannt, daß das, was sie dir beichtete, die Wahrheit war, ohne daß sie darum im geringsten gesündigt hätte. Ich sagte dir, daß ich einen Priester liebte, und hattest du, den ich so unverdient liebe, dich nicht zum Priester gemacht? Ich sagte dir, daß keine Tür meines Hauses vor ihm verschlossen zu halten wäre, wenn er bei mir schlafen wollte, und welche Tür im Hause wurde dir je versperrt, wenn du zu mir kommen wolltest? Ich sagte dir, daß der Priester jede Nacht bei mir schliefe, und wann hattest du das nicht getan? Und sooft du deinen jungen Meßhelfer zu mir schicktest, ließ ich dir antworten, da du ja nicht bei mir gewesen warst, der Priester sei nicht bei mir gewesen. Welcher Unbedachte außer dir, der sich von Eifersucht verblenden ließ, hätte alles das nicht verstanden? Und im Hause hast du dich versteckt, um die Nacht über die Tür zu hüten, und mich wähntest du glauben zu machen, du seist zum Essen und zur Herberge ausgegangen! Komm endlich zur Besinnung und werde wieder [551] der Mann, der du zu sein pflegtest, und laß dich nicht von denen auslachen, die deine Art kennen wie ich. Vor allem aber unterlaß dieses peinliche Wachehalten, das du ausübst; denn ich schwöre dir beim Himmel, wenn mich die Lust ankäme, dir Hörner aufzusetzen, und hättest du hundert Augen statt ihrer zwei, so getraute ich mich, meine Lust zu stillen, ohne daß du etwas davon gewahr würdest.«

Der eifersüchtige Pinsel, welcher bis dahin geglaubt hatte, das Geheimnis seiner Frau gar schlau erkundet zu haben, hörte dies nicht sobald, als er sich angeführt erkannte. Ohne etwas zu entgegnen, hielt er fortan seine Frau für gut und verständig, und gerade nun, da seine Eifersucht not tat, legte er sie ebenso ab, wie er sie angetan hatte, als er ihrer nicht bedurfte. Daher konnte denn die kluge Frau fast ungestört ihren Wünschen leben und ihren Liebhaber, anstatt ihn nach Katzenart übers Dach kommen zu lassen, vorsichtig durch die Tür einlassen und sich noch oft mit ihm eine frohe Stunde und ein heiteres Leben bereiten.

Sechste Geschichte

Während Madonna Isabella den Lionetto bei sich hat, wird sie von Lambertuccio, der sie ebenfalls liebt, besucht. Da ihr Gatte zurückkehrt, schickt sie den Lambertuccio mit einem Dolch in der Hand aus dem Hause, worauf ihr Mann den Lionetto heimbegleitet.


Fiammettas Erzählung hatte allen ausnehmend gefallen, und jeder behauptete, die Frau habe so recht getan, wie es ein törichter Mann verdiente. Da die Geschichte jedoch zu Ende war, befahl der König Pampinea fortzufahren. Und diese begann:

Es gibt viele, welche einfältig genug behaupten, daß die Liebe den Menschen der Überlegung beraube und den Liebenden unbedacht mache. Diese Meinung finde ich töricht, und die erzählten Geschichten zeigen es zur Genüge; dennoch will auch ich dies zu beweisen versuchen.

[552] In unserer Stadt, die an allen Gütern reich ist, lebte eine anmutige, junge und schöne Frau, die Gattin eines tapferen und achtbaren Ritters. Wie es aber häufig geschieht, daß der Mensch nicht immer mit einer Speise zufrieden ist und zuweilen zu wechseln begehrt, so verliebte sich die Dame, der ihr Mann nicht genügte, in einen jungen Menschen, der Lionetto hieß und anmutig und gesittet war, obgleich keineswegs von hoher Geburt; und er verliebte sich gleichermaßen in sie. Und wie ihr wißt, daß selten unausgeführt bleibt, was beide Teile wollen, so währte es nicht lange, daß sie ihrem Liebeswunsche Erfüllung gaben.

Zugleich aber geschah es, daß sich in diese schöne und reizende Frau ein Ritter namens Lambertuccio heftig verliebte. Ihr war er jedoch so unangenehm und widerwärtig, daß sie sich um alles in der Welt nicht entschließen konnte, ihn zu lieben. Umsonst verfolgte er sie mit seinen Gesandtschaften; da er aber ein mächtiger Mann war, so begann er ihr mit öffentlicher Schande zu drohen, falls sie ihm nicht zu Willen wäre. Dies nun fürchtete die Frau über alles, und da sie seine Art kannte, ergab sie sich endlich seinem Verlangen.

Die Dame nun, welche Madonna Isabella hieß, war, wie es im Sommer unsere Gewohnheit ist, auf ein schönes Landgut gezogen, wo es eines Morgens geschah, daß, weil ihr Gatte über Land geritten war und mehrere Tage wegbleiben sollte, sie nach Lionetto schickte, damit er unterdessen zu ihr komme. Und unverweilt und voller Freude machte er sich auf den Weg.

Auch Herr Lambertuccio hatte indes vernommen, daß der Gatte der Dame fort sei. So stieg er ganz allein zu Pferde, eilte zu ihr und klopfte an die Tür. Die Magd der Dame sah ihn kommen und lief sogleich zu ihr, die mit Lionetto im Schlafzimmer war. »Madonna«, rief sie ihr zu, »unten ist Herr Lambertuccio ganz allein.« Als die Frau dies hörte, meinte sie, das unglücklichste Weib auf Erden zu sein. Allein sie fürchtete ihn so sehr, daß sie Lionetto bat, er möge es nicht übelnehmen und so lange hinter dem Vorhang des Bettes verborgen bleiben, bis Herr Lambertuccio wieder fort sei. Lionetto, der nicht geringere Furcht vor ihm hatte als die Dame, versteckte sich eilig, worauf sie der Magd befahl, dem Lambertuccio zu öffnen.

[553] Als die Tür ihm aufgetan und er im Hofe von seinem Pferd gestiegen war, band er dies an einer Krampe fest und eilte hinauf. Die Dame machte ein freundliches Gesicht, kam ihm bis an die Treppe entgegen, empfing ihn so liebenswürdig sie konnte und fragte, was ihn hergeführt habe. Der Ritter umarmte und küßte sie und sprach: »Mein süßes Leben, ich hörte, daß Euer Mann nicht hier ist, und bin gekommen, ein Weilchen bei Euch zu bleiben.« Nach diesen Worten traten sie in die Kammer, schlossen sich darin ein, und Lambertuccio begann sich mit ihr zu vergnügen.

Während sie so verweilten, kehrte wider alles Erwarten der Gatte der Dame zurück. Als die Magd diesen schon nahe bei dem Schlosse sah, lief sie schnell zur Kammer ihrer Gebieterin und rief: »Madonna, eben kommt der Herr zurück. Ich glaube, er ist schon unten im Hofe.« Wie die Dame dies vernahm und bedachte, daß sie zwei Männer im Hause hatte, von denen der Ritter seines Pferdes wegen nicht zu verbergen war, hielt sie sich für verloren. Nichtsdestoweniger sprang sie augenblicklich aus dem Bett, faßte ihren Entschluß und sagte zu Herrn Lambertuccio: »Herr, wenn Ihr mich nur irgend liebhabt und mich vorm Tode retten wollt, so tut, was ich Euch sage. Nehmt Euren blanken Dolch in die Hand, eilt mit zornigem und wütendem Gesicht die Treppe hinunter und ruft: ›Bei Gott, ich werde ihn schon noch anderswo zu fassen bekommen.‹ Wenn dann mein Gatte Euch aufhalten oder irgend etwas fragen sollte, so erwidert ihm durchaus nichts anderes, als was ich Euch gesagt habe, schwingt Euch auf Euer Pferd und laßt Euch auf keine Weise mit ihm ein.«

Herr Lambertuccio sagte gerne zu. Schnell zog er seinen Dolch, und mit einem Gesicht, das teils von der bestandenen Anstrengung, teils vor Zorn über die Heimkehr des Ritters ganz entflammt war, tat er alles, was die Dame ihn geheißen. Der Gatte wunderte sich, als er im Hofe abgestiegen war, über das Pferd, und als er nun die Treppe hinaufgehen wollte, sah er Lambertuccio wütend herunterstürzen. Erstaunt über seine Worte und sein zorniges Gesicht rief er ihn an: »Nun, Herr, was hat das zu bedeuten?« Doch Lambertuccio setzte den Fuß in den Steigbügel, schwang sich hinauf und erwiderte nichts [554] anderes als: »Beim Kreuze Gottes, ich will ihn schon anderswo erwischen.« Und damit jagte er davon.

Unterdessen stieg der Edelmann die Treppe hinauf und fand seine Frau am oberen Ende ganz erschrocken und zitternd vor Furcht. »Was ist denn das?« fragte er sie. »Wen sucht Herr Lambertuccio so wütend und drohend?« Die Dame näherte sich sacht der Kammer, damit Lionetto sie hören könne, und erwiderte dann: »Herr, in meinem Leben habe ich keine solche Angst ausgestanden. Ein junger Mensch, den ich nicht kenne, flüchtete sich hier herein, und Herr Lambertuccio verfolgte ihn mit dem Messer in der Hand. Zufällig fand jener diese Kammer offen und bat mich zitternd: ›Madonna, um Gottes willen helft mir, daß ich nicht in Euren Armen sterben muß.‹ Ich erhob mich, und wie ich ihn noch fragen wollte, wer er wäre und was es gäbe, stürzte Herr Lambertuccio herein und rief: ›Wo bist du, Verräter?‹ Ich vertrat ihm an der Kammertür den Weg und hielt ihn auf, während er eindringen wollte. Endlich aber nahm er soviel Rücksicht auf mein Verbot, die Kammer zu betreten, daß er nach vielen Worten davonstürzte, wie Ihr ihn wohl gesehen habt.«

Darauf sagte der Mann: »Frau, du hast recht getan. Es wäre eine arge Schmach gewesen, hätte man jemand hier im Hause ermordet; Herr Lambertuccio hat sehr unrecht getan, daß er jemand verfolgte, der sich hier hereingeflüchtet.« Dann fragte er, wo der junge Mensch sei. »Herr«, erwiderte die Dame, »ich weiß nicht, wo er sich verborgen hat.« Nun rief der Ritter: »Wo bist du? Komm nur getrost hervor.«

Lionetto, der all dies mit angehört hatte, trat ganz furchtsam, wie er denn Angst genug ausgestanden hatte, aus seinem Verstecke hervor. Da sagte der Ritter zu ihm: »Was hattest du mit Herrn Lambertuccio?« »Herr«, entgegnete der Jüngling, »nichts in der Welt, daß ich wüßte, und darum glaube ich fest, daß er entweder nicht recht bei Sinnen ist oder mich mit jemand anderem verwechselt haben muß. Denn als er mich nicht fern von Eurem Schloß auf der Landstraße erblickte, legte er die Hand ans Schwert und rief: ›Verräter, du bist des Todes!‹ Ich hatte nicht Zeit zu fragen, warum, sondern floh, so schnell ich konnte, und gelangte hierher, wo ich – Gott und dieser [555] edlen Dame sei Dank – Rettung gefunden habe.« »Nun denn«, sprach der Ritter, »so lege alle Furcht ab. Ich werde dich gesund und sicher in dein Haus bringen; du magst dann erforschen, was er mit dir vorhat.«

Als sie darauf zusammen gegessen hatten, ließ er ihn ein Pferd besteigen, brachte ihn nach Florenz und setzte ihn vor seinem Hause ab. Der Jüngling aber sprach noch am selben Abend nach der Anweisung, die er von der Dame erhalten hatte, heimlich mit Herrn Lambertuccio und einigte sich mit ihm, daß, soviel auch nachher noch von der Sache gesprochen wurde, der Ritter niemals hinter den Streich kam, den seine Frau ihm gespielt hatte.

Siebente Geschichte

Lodovico offenbart Madonna Beatrice seine Liebe. Sie schickt Egano, ihren Gatten, in ihren Kleidern in den Garten, während Lodovico sie beschläft. Dann steht dieser auf und verprügelt im Garten den Egano.


Jeder in der Gesellschaft fand den Ausweg, den Madonna Isabella in Pampineas Geschichte ersonnen hatte, bewundernswert. Filomena aber, die der König aufgefordert hatte, fortzufahren, sprach:

Liebreiche Damen, irre ich mich nicht, so werde ich euch eine List erzählen, die nicht weniger geschickt ersonnen war. Hört nur selbst.

Ihr müßt wissen, daß einst in Paris ein Florentiner Edelmann lebte, der aus Armut Kaufmann geworden und in seinen Unternehmungen so glücklich gewesen war, daß er bald großen Reichtum gesammelt hatte. Von seiner Frau hatte er einen einzigen Sohn, der Lodovico hieß. Damit dieser nun nach dem Adel und nicht nach der Kaufmannschaft seines Vaters sich bilde, hatte er ihn in keinen Laden tun wollen, sondern zu andern Edelleuten in den Dienst des Königs von Frankreich gegeben, wo der Jüngling denn auch feine Sitten und andere gute Dinge in Menge lernte.

Als nun Lodovico und seine Gefährten eines Tages über [556] französische, englische und andere Schönheiten aus allen Weltgegenden sprachen, begab es sich, daß einige Ritter, die eben vom Heiligen Grabe heimgekehrt waren, dazukamen, und einer von ihnen, nachdem er dem Gespräch eine Zeitlang zugehört hatte, sagte, so weit er auch in der Welt herumgekommen sei und so viele Frauen er auch gesehen habe, so habe er doch keine erblickt, die an Schönheit der Gattin des Egano de' Galuzzi in Bologna, Madonna Beatrice geheißen, geglichen hätte. Und alle seine Gefährten, die mit ihm in Bologna gewesen waren, pflichteten ihm völlig bei.

Als Lodovico, der noch niemals ein Weib geliebt hatte, dies alles vernahm, entbrannte er in solchem Verlangen, sie zu sehen, daß er unfähig war, an anderes zu denken. Entschlossen, um ihretwillen nach Bologna zu gehen und dort zu verweilen, falls sie ihm gefalle, gab er seinem Vater gegenüber vor, er wolle das Heilige Grab besuchen, und erlangte mit vieler Mühe die Erlaubnis dazu.

So kam er denn unter dem angenommenen Namen Anichino nach Bologna und war glücklich genug, schon am folgenden Tag bei einem Fest jene Dame zu sehen, die ihm in der Wirklichkeit noch unendlich viel schöner erschien, als sie in seiner Phantasie gewesen war. Auf das glühendste in sie verliebt, beschloß er, Bologna nicht zu verlassen, bevor er nicht ihre Liebe erworben hätte. Indem er nun überlegte, welchen Weg er zu seinem Ziele einschlagen sollte, glaubte er, wenn er ein Diener ihres Mannes werden könnte – welcher deren viele hielt –, wohl am ehesten zu erreichen, was er begehrte. In dieser Absicht verkaufte er seine Pferde, brachte seine Leute unauffällig unter und befahl ihnen, sich so zu stellen, als kennten sie ihn nicht. Dann besprach er sich mit seinem Wirte und sagte ihm, daß er gern bei einem anständigen Herrn als Diener unterkäme, wenn er einen solchen zu finden wüßte. Darauf erwiderte der Wirt: »Du solltest einem Edelmann hier in Bologna, namens Egano, als Diener eben willkommen sein; denn er hält deren viele, und jeder muß gut aussehen, wie du es tust. Ich werde mit ihm sprechen.« Wie gesagt, so getan. Noch ehe der Wirt Egano verließ, hatte er den Anichino bei ihm untergebracht, worüber sich dieser unsagbar freute.

[557] Als er nun im Hause war und die Geliebte sehen konnte, sooft er wollte, wußte er es Egano in allen Stücken recht zu machen, so daß dieser ihn liebgewann, nichts ohne ihn tun mochte und sich und alle seine Angelegenheiten nur von ihm leiten ließ.

Eines Tages, während Egano auf die Jagd gegangen und Anichino zurückgeblieben war, begab es sich, daß Madonna Beatrice sich mit ihm zum Schachspiele niedersetzte. Sie hatte noch keineswegs seine Liebe zu ihr entdeckt, obgleich sie ihn und seine guten Sitten betrachtete, ihn im stillen lobte und Gefallen an ihm fand. Anichino nun ließ sich im Verlangen, sie zu erfreuen, auf sehr geschickte Art besiegen, und die schöne Frau war ganz glücklich darüber.

Da die Dienerinnen Beatrices, als sie beide spielen sahen, sich entfernt und sie allein gelassen hatten, stieß Anichino einen lauten Seufzer aus. Die Schöne sah ihn an und sagte: »Was fehlt dir, Anichino? Ist dir's so leid, daß ich gewinne?« »Madonna«, antwortete Anichino, »es war etwas viel Ernsteres, um das ich seufzte.« »Nun«, erwiderte sie, »so sage mir's, wenn du mich liebhast.« Als Anichino vernahm, wie sie, die er über alles liebte, ihn bei seiner Liebe zu ihr beschwor, seufzte er wohl noch lauter als zuvor. Die Dame bat ihn erneut, ihr zu sagen, was der Grund seiner Seufzer sei. Anichino antwortete aber: »Madonna, ich fürchte sehr, wenn ich es sage, möchte es Euch mißfallen, und dann sorge ich, daß Ihr es wiedererzählen würdet.« Die Dame erwiderte: »Ich werde es gewiß nicht übel aufnehmen, und niemand wird von dem, was auch immer du mir sagst, mehr erfahren, als du selbst wünschest.«

»Wohlan denn«, sagte Anichino, »weil Ihr mir das versprecht, so will ich's Euch gestehen.« Und nun erzählte er ihr, schier mit Tränen in den Augen, wer er war, was er von ihr gehört, wie er sich in sie verliebt hatte und warum er ihres Gatten Diener geworden war. Dann aber bat er sie demütig, es möge ihr gefallen, Mitleid mit ihm zu haben und sein geheimes und glühendes Verlangen zu erfüllen, wenn sie es irgend vermöchte. Wollte sie aber nicht, so möge sie ihm dennoch erlauben, so wie bisher zu bleiben, und gestatten, daß er sie liebe.

O wunderbare Huld des bolognesischen Blutes! Wie warst [558] du immerdar in solcher Drangsal zu preisen! Nie begehrtest du nach Seufzern und Tränen. Zu allen Zeiten warst du für Bitten empfänglich und ergabst dich willig den Wünschen der Liebe. Genügte mein Lob, um dich würdig zu preisen, nie sollte meine Zunge dessen müde werden.

Während Anichino sprach, blickte die schöne Frau ihn an und schenkte seinen Worten volles Vertrauen; und seine Bitten entfachten in ihrem Herzen die Liebe zu ihm mit so plötzlicher Gewalt, daß nun sie zu seufzen begann und nach einigen Seufzern antwortete: »Mein süßer Anichino, sei guten Mutes. Niemals vermochten Geschenke, Versprechungen und Huldigungen von Rittern, Herren und wem immer – denn viele trugen und tragen mir ihre Liebe an – so viel über mich, daß ich je einen von ihnen geliebt hätte; doch während deiner kurzen Rede bin ich mehr dein als mein Eigen geworden. Ich erkenne, daß du meine Liebe zur Genüge verdient hast, und so schenke ich sie dir und verspreche, dir ihre Früchte zu gewähren, noch ehe die nächste Nacht ganz vergangen ist. Und damit dies wirklich geschehe, so richte dich ein, daß du um Mitternacht in mein Schlafgemach kommst. Die Tür werde ich offen lassen. Auf welcher Seite im Bett ich liege, weißt du. Dahin komme, und sollte ich schlafen, so rüttle mich, bis ich wach werde, und dann will ich dich trösten für die lange Zeit, da du Verlangen nach mir getragen hast. Damit du mir aber auch glaubst, so nimm diesen Kuß als Unterpfand.« Dabei schlang sie den Arm um seinen Hals und küßte ihn voller Liebe, und er sie.

Nach diesem Gespräch verließ Anichino die Dame und ging seinen Geschäften nach, wobei er mit höchster Lust die Nacht erwartete. Egano kam von der Jagd zurück, und müde wie er war, ging er nach dem Abendessen zu Bett, wohin seine Frau ihm folgte und nicht vergaß, ihrem Versprechen gemäß die Tür offen zu lassen.

Anichino kam zur bestimmten Stunde, und nachdem er leise eingetreten war und den Riegel hinter sich zugeschoben hatte, ging er nach der Seite des Bettes, wo die Dame lag. Als er ihren Busen berührte, spürte er, daß sie nicht schlief. Sie aber ergriff, als sie seine Ankunft gewahr ward, seine Hand mit ihren beiden und warf sich dann, sie immer festhaltend, so lange im [559] Bette hin und her, bis Egano davon aufwachte; worauf sie also zu ihm sprach: »Gestern abend wollte ich mich nicht äußern, denn du schienst mir müde; aber jetzt sage mir einmal, Egano, wen du in vollem Ernst von allen Dienern im Hause für den besten, rechtschaffensten und dir am treuesten ergebenen hältst.« Egano erwiderte: »Frau, was soll's, daß du mich so fragst? Weißt du's denn nicht? Ich habe und hatte nie zu einem soviel Vertrauen und Liebe wie zu meinem Anichino. Doch weshalb fragst du danach?«

Als Anichino den Egano wach sah und von sich reden hörte, fürchtete er, von der Dame betrogen zu sein, und versuchte oftmals, die Hand zurückzuziehen und zu entfliehen, allein sie hielt ihn so fest, daß er sich auf keine Weise losmachen konnte. Inzwischen antwortete sie ihrem Gatten: »Das will ich dir sagen. Ich glaubte, daß es sich wirklich so verhielte, wie du sprichst, und er dir treuer wäre als irgendein anderer; aber mich hat er eines anderen belehrt. Während du heute auf der Jagd warst, blieb er hier, und als die Zeit ihm günstig schien, scheute er sich nicht, von mir zu begehren, daß ich ihm zu Willen sei. Damit ich dir nun diese Sache nicht erst lange zu beweisen brauchte, damit du sie mit Händen greifen könntest, antwortete ich ihm, ich wär es zufrieden und erwartete ihn heute nach Mitternacht in unserem Garten unter dem Pinienbaum. Ich für mein Teil gedenke nun freilich nicht hinauszugehen; solltest du aber Lust haben, die Treue deines Dieners kennenzulernen, so kannst du's leicht haben. Du brauchst dir nur eines meiner Oberkleider anzuziehen, einen Schleier umzutun und dort unten abzuwarten, ob er kommt; denn ich wette, er tut es.«

Kaum hatte Egano dies gehört, so sprach er: »Nun, wahrlich, das muß ich sehen.« Damit stand er auf und zog sich, so gut es im Dunkeln gehen wollte, ein Kleid seiner Frau an, tat einen Schleier über den Kopf, ging in den Garten und fing an, unter der Pinie auf Anichino zu warten.

Als aber die Dame Egano aufstehen und fortgehen gehört hatte, stieg sie aus dem Bett und riegelte die Tür von innen ab. Anichino hatte in der ganzen Zeit die schrecklichste Angst ausgestanden und sich nach Kräften bemüht, den Händen der [560] Dame zu entgehen. Zu Anfang hatte er wohl hunderttausendmal sie und seine Liebe und sich selbst verwünscht, weil er so übereilt gewesen; als er aber sah, wie sie zuletzt tat, war er der Glücklichste aller Sterblichen. Wie nun seine Geliebte wieder ins Bett gestiegen war, entkleidete er sich ihrem Wunsche gemäß wie sie, und beide genossen aneinander eine gute Weile alle Lust und Freude.

Als die Schöne endlich glaubte, Anichino dürfe nicht länger verweilen, hieß sie ihn aufstehen und sich ankleiden und sprach: »Nun, mein süßes Herz, geh in den Garten und nimm einen tüchtigen Stock mit. Tue, als hättest du mich nur versuchen wollen, schelte den Egano aus, als hieltest du ihn für mich, und laß den Stock wacker auf seinem Rücken tanzen. Das soll uns noch unmäßige Freude und Ergötzen bringen.«

Als Egano den Anichino, der aufgestanden war und mit einem Weidenstecken in der Hand herunter in den Garten kam, von ferner erblickte, erhob er sich und ging ihm zum freundlichen Empfang einige Schritte entgegen. Anichino aber rief: »O du verworfenes Weib, bist du also wirklich gekommen und hast glauben können, ich wollte an meinem Herrn freveln? Alles Unheil tausendfach über dich!« Und damit hob er den Stock und begann den Egano zu bearbeiten. Als dieser ihn so sprechen hörte und den Stock spürte, lief er davon, ohne ein Wort zu sagen. Anichino indessen war hinter ihm her und rief immerzu: »Lauf, du liederliches Weibsstück, und alle Teufel über dich! Morgen früh erzähle ich wahrhaftig alles deinem Gatten.« Egano lief, was er konnte, um die Kammer zu gewinnen, mußte aber, bevor er sie erreichte, einige wohlgesalzene Hiebe einstecken.

Die Schöne fragte ihren Gemahl, ob Anichino in den Garten gekommen sei. »Wäre er lieber nicht gekommen«, antwortete Egano; »denn weil er mich für dich hielt, hat er mich mit seinem Stock übel verbleut und mich ärger gescholten, als je eine schlechte Dirne ausgeschimpft ward. Es hätte mich auch sehr gewundert, wenn er mir zur Unehre derlei Reden gegen dich geführt haben sollte; aber weil er dich immer so aufgeweckt und scherzend sieht, hat er dich einmal prüfen wollen.« »Gottlob«, sagte die Dame, »daß er mich nur mit Worten, dich aber [561] durch die Tat geprüft hat, und ich glaube, er wird mir nachrühmen, daß ich die Worte geduldiger ertrage als du die Tat. Aber weil er dir so treu ist, muß man ihn wohl liebhaben und ihm Ehre erweisen.« Egano antwortete: »Wahrlich, du hast recht«; und auf Grund dieses Ereignisses glaubte er fest, die keuscheste Gattin und den treuesten Diener zu haben, die je ein Edelmann besesssen.

Obgleich sie noch oft über diesen Vorfall lachten, verdankten Anichino und seine Dame ihm, solange es dem Jüngling gefiel, bei Egano in Bologna zu verweilen, größere Freiheit, das zu tun, woran sie Lust und Gefallen fanden, als ihnen sonst vermutlich gewährt worden wäre.

Achte Geschichte

Ein Ehemann wird eifersüchtig auf seine Frau. Sie wickelt sich einen Bindfaden um die Zehe, um gewahr zu werden, wann ihr Geliebter kommt. Der Mann merkt es. Während er aber den Liebhaber verfolgt, legt die Dame an ihrer Statt eine andere ins Bett, die vom Manne geprügelt wird und die Haare abgeschnitten bekommt. Dann eilt er zu ihren Brüdern, die ihn ausschelten, als sie finden, daß alles unwahr sei.


Der Streich, den Madonna Beatrice ihrem Manne gespielt, schien allen von ausgesuchter Bosheit zu sein, und jeder versicherte, daß Anichinos Furcht fürwahr nicht gering gewesen sein müsse, als er, von der Dame festgehalten, sie von seinen Liebesanträgen erzählen hörte. Als nun der König Filomena schweigen sah, wandte er sich zu Neifile und sprach: »Nun mögt Ihr fortfahren.« Diese begann, nachdem sie gelächelt:

Schöne Mädchen, ich habe eine schwere Aufgabe, wenn ich euch mit einer ebenso schönen Geschichte zufriedenstellen soll, wie die bisher erzählten es waren; doch mit Gottes Hilfe hoffe ich mich der Bürde leidlich zu entledigen.

Ihr müßt also wissen, daß einst in unserer Stadt ein reicher Kaufmann, namens Arriguccio Berlinghieri, lebte, der törichterweise, wie wir noch heute täglich Kaufleute tun sehen, durch [562] eine Frau zum Edelmann zu werden hoffte. Er hatte daher ein Edelfräulein geehelicht, das schlecht zu ihm paßte und Monna Sismonda hieß. Diese verliebte sich, da ihr Gatte, wie Kaufleute zu tun pflegen, viel umherzog und wenig bei ihr verweilte, in einen jungen Mann namens Ruberto, der ihr schon lange den Hof gemacht hatte. Nachdem sie nun mit ihm vertraut geworden war und sich bei dem großen Gefallen, das sie an diesem Umgang fand, vielleicht nicht allzu vorsichtig benahm, geschah es, daß Arriguccio, mochte er nun Wind davon bekommen haben, oder wie es sonst zugehen mochte, der eifersüchtigste Mensch von der Welt wurde, seine Reisen und seine Geschäfte vernachlässigte und fast seine ganze Sorgfalt nur darauf richtete, sie wohl zu hüten. Nimmer wäre er eingeschlafen, ehe er sie nicht hätte ins Bett kommen hören.

Dies nun geschah zum großen Leidwesen der Dame, da sie jetzt ihren Ruberto auf keine Weise mehr sehen konnte. Nach vielerlei Überlegungen, wie sie mit ihm, der sie ebenfalls heftig darum anging, zusammen sein könne, verfiel sie endlich auf folgenden Ausweg: da ihr Schlafgemach nach der Straße zu lag und sie oft bemerkt hatte, daß Arriguccio sehr schwer einschlummerte, allein dann auch um so fester schlief, beschloß sie, Ruberto um Mitternacht an die Haustür kommen zu lassen, ihm diese leise zu öffnen und, während der Gatte fest schlief, mit ihm zu verweilen. Damit sie nun, ohne daß es sonst jemand merkte, gewahr würde, wenn er käme, hängte sie einen Bindfaden zum Kammerfenster hinaus, der mit dem einen Ende bis auf die Straße hinabreichte, dessen anderes Ende aber über den Fußboden hinweg zu ihrem Bett führte, wo sie es, unter den Linnen versteckt, nach dem Zubettgehen an ihrer großen Zehe zu befestigen gedachte. Davon erzählte sie Ruberto und hieß ihn, wenn er käme, an dem Faden zu ziehen, worauf sie, wenn der Gatte schlief, den Faden losließe und ihm öffnete. Schlief Arriguccio aber nicht, so hielte sie den Faden fest und zöge ihn an sich, damit Ruberto nicht zu warten brauche.

Dem Ruberto gefiel diese Einrichtung überaus, und er ging oft hin. Bisweilen gelang es ihm, mit ihr zusammen zu sein, bisweilen auch nicht. Zuletzt jedoch, nachdem sie dieses Kunststück lange genug fortgesetzt hatten, geschah es in einer Nacht, [563] daß Arriguccio, während die Frau schlief, den Fuß im Bett ausstreckte und den Faden entdeckte. Sogleich griff er mit der Hand danach, und als er ihn an der Zehe seiner Frau befestigt fand, sagte er zu sich selbst: »Da muß irgendein Trug dahinterstecken.« Als er nun weiter bemerkte, daß der Faden zum Fenster hinausging, zweifelte er nicht mehr, schnitt ihn deshalb heimlich von der Zehe seiner Frau ab, befestigte ihn an seine Zehe und wartete nun aufmerksam, um zu erfahren, was dies zu bedeuten hätte.

Es dauerte auch nicht lange, bis Ruberto sich einfand. Er zog am Faden, wie er's gewohnt war, und Arriguccio fühlte es. Da er aber den Faden nicht fest genug angeknüpft hatte und Ruberto stark zog, gab der Bindfaden nach und kam dem Liebhaber in die Hand, weshalb er glaubte, warten zu müssen und dies auch tat. Arriguccio indessen stand schnell auf, ergriff seine Waffen und eilte zur Tür, um zu sehen, wer es wäre, und ihm dann übel aufzuspielen. Arriguccio war nun trotz seiner Kaufmannschaft ein heftiger und starker Mann. Als er daher zur Tür kam und sie keineswegs leise auftat, wie die Frau es zu tun pflegte, argwöhnte Ruberto, der draußen wartete und ihn kommen hörte, daß es der Ehemann sein könnte, der öffnete, so daß er aufs schnellste die Flucht ergriff; und Arriguccio lief hinter ihm her. Zuletzt jedoch, nachdem Ruberto schon eine große Strecke geflohen war und Arriguccio ihn zu verfolgen nicht nachließ, zog auch jener, da er gleichfalls bewaffnet war, das Schwert, wandte sich um, und sie begannen aufeinander loszuhauen.

Indes war die Frau, als Arriguccio die Kammertür öffnete, erwacht, und da sie fand, daß der Faden ihr von der Zehe geschnitten war, begriff sie sogleich, daß ihre List entdeckt war. Sie erriet auch, daß Arriguccio den Ruberto verfolgte, und stand daher schnell auf. Sie rief, da ihr bewußt ward, was weiter daraus folgen werde, ihre Magd, die um alles wußte, redete so lange auf sie ein, bis diese sich an ihrer Statt ins Bett legte, und bat sie zugleich, sich nicht zu erkennen zu geben und die Streiche ruhig auszuhalten, die Arriguccio ihr geben möchte. Dafür versprach sie der Magd reichlich Vergeltung, so daß sie sich darüber nicht sollte zu beschweren haben. Dann löschte sie[564] das Licht aus, das in der Kammer brannte, verließ diese und verbarg sich in einem andern Teil des Hauses, der Dinge harrend, die da kommen sollten.

Unterdes ging der Streit zwischen Arriguccio und Ruberto fort, so daß die Anwohner der Straße den Lärm vernahmen, aufstanden und die Kämpfenden zu schelten anfingen. Aus Furcht, erkannt zu werden, sah sich Arriguccio endlich genötigt – ohne erfahren zu haben, wer der junge Mensch war und ohne ihn irgendwie verletzen zu können –, den Kampf zornig und wütend abzubrechen und nach Hause zurückzukehren. Wieder in seiner Kammer angelangt, rief er zornsprühend aus: »Wo bist du, verruchtes Weib? Hast du das Licht ausgelöscht, damit ich dich nicht finden soll? Da hast du dich aber getäuscht!«

Damit trat er an das Bett, ergriff die Magd, in welcher er seine Frau zu fassen glaubte, und gab ihr, so gut er Hände und Füße nur rühren konnte, so viel Püffe und Tritte, daß er ihr das ganze Gesicht verunstaltete. Zuletzt schnitt er ihr gar die Haare ab und sagte ihr die ärgsten Schmähungen, die je einem schlechten Weibsbild gesagt wurden. Die Magd weinte heftig, wie sie denn Anlaß dazu genug hatte, und obschon sie mehrmals ausrief: »Wehe mir, Gnade, um Gottes willen!« oder »Höret auf!« wurde ihre Stimme doch so vom Weinen erstickt oder Arriguccio so von seinem Zorn betäubt, daß er nicht erkannte, daß es nicht seiner Frau Stimme war.

Nachdem er sie so nach Herzenslust zerbleut und ihr, wie berichtet, die Haare abgeschnitten hatte, sprach er: »Weiter will ich dich nicht anrühren, du schurkisches Weib. Aber zu deinen Brüdern will ich gehen und ihnen deine schönen Taten erzählen. Dann mögen sie kommen, dich abholen und mit dir machen, was sie glauben, daß ihre Ehre erheischt. Mitnehmen aber sollen sie dich, denn fürwahr, in diesem Hause sollst du nimmermehr bleiben.« Mit diesen Worten verließ er die Kammer, verschloß diese von außen und ging ganz allein davon.

Als Monna Sismonda, die alles mit angehört hatte, den Gatten sich entfernen hörte, öffnete sie das Schlafgemach, zündete das Licht wieder an und fand die Magd ganz zerschlagen und heftig weinend. Sie tröstete sie, so gut sie konnte, und schaffte sie in die Mägdekammer, wo sie sie in aller Stille warten und[565] pflegen ließ und sie auf Arriguccios Kosten so reichlich entschädigte, daß das Mädchen ganz zufrieden war. Sobald sie nun die Magd in der Kammer eingerichtet hatte, eilte sie, um das Bett in ihrer eigenen wieder zurecht zu machen und alles darin so in Ordnung zu bringen, als wenn diese Nacht kein Mensch darin gelegen hätte. Dann zündete sie die Lampe an, bekleidete sich, richtete ihr Haar, als wäre sie noch gar nicht zu Bett gegangen, setzte sich mit einem Licht und ihren Linnen oben an die Treppe und fing an zu nähen und zu warten, wie die Geschichte wohl ausginge.

Arriguccio war, so schnell er konnte, zum Hause seiner Schwäger geeilt, wo er so lange klopfte, bis er gehört wurde und man ihm öffnete. Die drei Brüder der Frau und ihre Mutter hörten kaum, daß es Arriguccio sei, als sie alle aufstanden, Lichter anzünden ließen und ihm entgegenkamen, um zu fragen, was er zu dieser Stunde und so allein begehre. Arriguccio nun erzählte ihnen alles, von dem Faden an, den er an der Zehe der Monna Sismonda befestigt gefunden, bis zu dem letzten, was er entdeckt und getan hatte; um aber diese Tatsachen vollständig zu beweisen, übergab er ihnen die Haare, welche er der Frau abgeschnitten zu haben glaubte, und fügte hinzu, sie möchten nun kommen, sie zu holen, um mit ihr zu machen, was sie ihrer Ehre angemessen glaubten; denn er seinerseits wolle sie nicht länger in seinem Hause dulden.

Heftig erzürnt über alles, was sie gehört hatten, und sehr aufgebracht, weil sie der Wahrheit dieses Berichts über ihre Schwester vollen Glauben schenkten, ließen die Brüder Fackeln anzünden, machten sich mit Arriguccio auf den Weg und gingen in der Absicht, ihr übel mitzuspielen, mit ihm zu seinem Hause. Als die Mutter dies sah, folgte sie ihnen weinend und beschwor bald den einen, bald den andern, sie möchten doch nicht alles sofort glauben, ohne mehr von der Sache zu sehen oder zu wissen. Der Mann könne ja aus andern Gründen gegen sie aufgebracht sein, ihr Unrecht getan haben und ihr jetzt zu seiner Entschuldigung solche Dinge zur Last legen. Überdies, fügte sie hinzu, könne sie nicht begreifen, wie das zugegangen sein solle, da sie ihre Tochter von klein auf erzogen habe und gut kenne, und so fort.

[566] Unter solchen Reden gelangten sie zu Arriguccios Haus, traten ein und stiegen die Treppe hinauf. Als Monna Sismonda sie kommen hörte, rief sie: »Wer ist da?« Einer der Brüder antwortete hierauf: »Das sollst du schon erfahren, schuldiges Weibsbild, wer da ist.« Hierauf entgegnete Monna Sismonda: »Was soll denn das bedeuten? Der Herr steh uns bei!« Dann stand sie auf und sprach: »Meine Brüder, seid mir willkommen, was führt euch alle drei zu dieser Stunde hierher?«

Als diese sie so beim Nähen sahen und in ihrem Gesicht keine Spuren von Schlägen entdeckten, während Arriguccio ihnen erzählt hatte, daß er sie weidlich zerbleut habe, wunderten sie sich gleich zu Anfang schon sehr und zügelten ihren ungestümen Zorn. Darauf fragten sie die Schwester, wie das zugegangen sei, worüber Arriguccio sich beklage, und drohten ihr heftig, wenn sie ihnen nicht alles genau sage. »Ich weiß nichts«, sprach die Frau, »was ich euch sagen soll, noch worüber Arriguccio sich beklagt haben kann.« Arriguccio, der sie nun erst genauer ansah, betrachtete sie wie ein Irrer. Er wußte, daß er ihr vielleicht tausend Faustschläge ins Gesicht gegeben, sie zerkratzt und ihr alles erdenkliche Übel der Welt angetan hatte; jetzt aber sah er sie so vor sich, als ob gar nichts von alldem vorgefallen wäre. Die Brüder indes teilten in der Kürze mit, was Arriguccio erzählt hatte, von dem Faden, den Schlägen und allem übrigen.

Darauf sprach die Frau, zu Arriguccio gewendet: »Wehe mir, Mann, was muß ich hören? Warum gibst du mich zu deiner eigenen Schmach für ein verworfenes Weib aus, das ich nicht bin; warum dich selbst für schlecht und grausam, ohne daß du es bist? Wann warst du denn diese Nacht zu Hause, geschweige denn bei mir? Wann schlugst du mich? Ich besinne mich auf nichts.« »Wie«, begann Arriguccio, »du schlechtes Weib, gingen wir nicht mitsammen zu Bett? Kehrte ich nicht dahin zurück, nachdem ich hinter deinem Buhlen hergelaufen war? Gab ich dir nicht unzählige Faustschläge? Schnitt ich dir nicht die Haare ab?«

»In diesem Hause«, antwortete die Frau, »hast du dich gestern abend nicht schlafen gelegt. Doch lassen wir alles andere, das ich doch nur durch meine wahrhaftigen Worte bezeugen [567] könnte, und kommen wir zu dem, was du vom Schlagen und Haarabschneiden sagst. Mich hast du nicht geschlagen, und ihr alle, die ihr anwesend seid, du selbst mit, seht mich an, ob ich an meinem ganzen Körper irgendein Zeichen von Schlägen habe. Auch wollte ich dir die Verwegenheit, Hand an mich legen zu wollen, nicht raten, denn beim Kreuze Gottes, ich kratzte dir die Augen aus. Auch kein Haar hast du mir abgeschnitten, daß ich es gefühlt oder gesehen hätte. Aber vielleicht hast du es getan, ohne daß ich es bemerkt? Laß sehen, ob meine Haare abgeschnitten sind!« Und nun nahm sie die Schleier vom Haupte und zeigte allen, daß ihr Haar nicht beschnitten, sondern unversehrt war.

Als die Brüder und die Mutter dies alles sahen und hörten, sprachen sie zu Arriguccio: »Was kannst du darauf sagen, Arriguccio? Das paßt fürwahr nicht zu dem, was du uns erzählt hast, und wir wissen nun nicht, wie du das übrige beweisen willst.« Arriguccio stand wie ein Träumender und wollte reden; aber da er sah, daß selbst das, was er beweisen zu können glaubte, sich anders verhielt, wagte er kein Wort mehr vorzubringen. Die Frau aber wandte sich nun zu ihren Brüdern und sprach:

»Ich sehe, meine Brüder, daß mein Mann danach gestrebt hat, daß ich tue, was ich niemals tun wollte, euch nämlich seinen schnöden Lebenswandel und seine Schlechtigkeit zu erzählen, und so will ich es denn tun. Ich glaube fest, daß ihm das, was er euch erzählt hat, wirklich begegnet ist und er es so getan hat, wie er sagt. Aber höret nun, wie. – Dieser Ehrenmann, dem ihr zu meinem Unglück mich zur Gattin gabt, der sich einen Kaufmann nennt und auch dafür gelten will, der mäßiger als ein Geistlicher und gesitteter als ein Mädchen sein sollte, dieser Mann läßt selten einen Abend hingehen, ohne daß er sich in den Schenken betränke, sich dann mit dieser oder jener schlechten Weibsperson einließe und mich bis Mitternacht, zuweilen auch bis zum Morgengeläut, so wie ihr mich gefunden habt, auf sich warten ließe. Nun bin ich überzeugt, daß er, wieder gehörig betrunken, sich zu irgendeinem seiner Weibsbilder ins Bett legte, beim Erwachen den Faden an ihrem Fuße fand und darauf alle die Heldentaten verübte, die er erzählt. [568] Er kehrte wohl noch einmal zurück, schlug sie und schnitt ihr die Haare ab, um dann, von seinem Rausch noch nicht ganz erwacht, sich einzubilden, daß er all dies mit mir vorgenommen habe. Und seht ihr ihm nur recht ins Gesicht, so werdet ihr erkennen, daß er noch jetzt halb betrunken ist. Jedenfalls aber dürft ihr alles, was er von mir auch gesagt hat, nur als die Rede eines Trunkenbolds betrachten, und wenn ich ihm vergebe, so vergebt auch ihr ihm.«

Als ihre Mutter diese Worte hörte, schlug sie Lärm und sagte: »Nein, mein Kind, beim Kreuze Gottes, das sollte nicht geschehen. Eher sollten wir diesen widerwärtigen und undankbaren Hund totschlagen, der wahrhaftig nicht wert war, ein Mädchen zu bekommen, wie du eines bist. Das fehlte nur noch! Ja, wenn er dich aus dem Schmutz aufgelesen hätte! Die Pest über ihn, wenn du dir die faulen Reden solch eines Eselsabschaums gefallen lassen sollst, eines Krämers, der vom Dorf und Gott weiß von welcher Beutelschneiderbande hereinkommt, in grobes Tuch gekleidet und mit hängendem Hosenboden, die Schreibfeder am Hintern, einer von denen, die, sobald sie drei Dreier besitzen, gleich die Töchter von Edelleuten und vornehmen Frauen heiraten wollen und sich Wappen zulegen und sprechen: ›Ich bin aus dem und dem Hause, und meine Ahnen haben es so und so gemacht.‹ Traun, ich wollte, meine Söhne wären meinem Rat gefolgt und hätten dich, wie sie konnten, in der Familie der Grafen Guidi an bescheidenere Mitgift verheiratet. Aber sie wollten dich nun einmal diesem Ausbund von Trefflichkeit überliefern, der sich nicht scheut, dich, das keuscheste Weib in ganz Florenz, um Mitternacht eine Metze zu schelten, als kennten wir dich nicht! Aber bei Gottes Treue, ging es nach mir, sie gäben ihm dafür solche Prügel, daß es ihm gründlich in den Leib führe.«

Dann wandte sie sich zu den Söhnen und fuhr fort: »Ich sagte es euch wohl, meine Kinder, daß das nicht sein konnte. Habt ihr jetzt gehört, wie euer trefflicher Schwager euere Schwester behandelt, so ein Windelkrämer mit vier Hellern, der er ist? Und wäre ich wie ihr und er hätte von ihr gesagt, was er gesagt hat, und triebe es so, wie er es treibt, wahrhaftig, ich wäre nicht zufrieden und beruhigt, bis ich ihn aus der Welt[569] geschafft hätte; und wäre ich ein Mann, wie ich ein Weib bin, ich ließe fürwahr keinen andern sich damit befassen. Herrgott, laß es ihm heimzahlen, dem jämmerlichen Trunkenbold, der keine Scham und Schande im Leib hat!«

Nun überhäuften auch die jungen Männer, die das alles mitangesehen und angehört hatten, den Arriguccio mit den schmählichsten Reden, die je einem üblen Manne gesagt wurden. Zuletzt aber sprachen sie: »Wir verzeihen dir diesen Streich als einem Trunkenen. Aber nimm dich bei deinem Leben von jetzt an in acht, daß wir nicht wieder solche Geschichten von dir hören; denn wahrlich, wenn uns dergleichen je wieder zu Ohren kommt, so sollst du doppelt bezahlen.« Und nach diesen Worten gingen sie davon.

Arriguccio stand da, als hätte er den Kopf verloren, ohne selbst zu wissen, ob das, was er getan hatte, wirklich geschehen sei oder ob er es nur geträumt habe. Ohne je wieder ein Wort darüber zu reden, ließ er die Frau fortan in Frieden. Diese aber war durch ihre Schlauheit nicht nur der drohenden Gefahr entgangen, sie hatte sich auch die Bahn geöffnet, um in Zukunft alles tun zu können, was sie wünschte, ohne sich dabei im geringsten vor ihrem Manne zu fürchten.

Neunte Geschichte

Lydia, die Gattin des Nikostratus, liebt den Pyrrhus. Um an ihre Liebe glauben zu können, fordert er drei Dinge von ihr, die sie alle vollbringt. Überdies ergötzt sie sich in Anwesenheit des Nikostratus mit ihm und macht diesem weis, es sei nicht wahr, was er mit eigenen Augen gesehen.


Neifiles Geschichte hatte allen so gefallen, daß die Damen nicht aufhören konnten, sie zu belachen und darüber zu sprechen, obschon der König mehrere Male Stillschweigen gefordert und dem Panfilo geboten hatte, seine Geschichte zu erzählen. Als sie endlich schwiegen, begann Panfilo folgendermaßen:

Ich glaube nicht, verehrte Damen, daß es irgend etwas gibt, wie schwer und bedenklich es auch sei, das der feurig Liebende [570] sich nicht zu unternehmen getraute. Obwohl uns dies in gar vielen Geschichten bewiesen worden ist, so glaube ich doch, es euch in noch höherem Maße durch eine Geschichte darlegen zu können, die ich euch vortragen will. Ich werde euch von einer Frau berichten, der bei ihren Unternehmungen weit mehr ihr gutes Glück als ihr besonnener Verstand zu Hilfe kam, weshalb ich keiner von euch raten möchte, in die Fußstapfen jener Frau zu treten, von der ich euch zu erzählen gedenke, denn nicht immer ist das Glück so gut gelaunt, und nicht alle Männer in der Welt sind so verblendet, wie dieser es war.

In Argos, einer sehr alten Stadt in Achaia, weit mehr durch ihre alten Könige als durch ihre Größe berühmt, lebte einst ein edler Mann, welcher Nikostratus hieß und dem das Glück, als er dem Alter schon nahe war, eine angesehene Frau gewährte, die nicht weniger unternehmend als schön war und Lydia hieß. Als edler und reicher Mann hielt er eine zahlreiche Dienerschaft, dazu Hunde und Beizvögel, und vergnügte sich häufig an der Jagd. Unter seinen übrigen Dienern aber hatte er einen namens Pyrrhus, einen anmutigen Jüngling, zierlich und schön von Gestalt und zu allem geschickt, was er unternehmen wollte. Ihn liebte Nikostratus vor allen andern und vertraute ihm mehr als jedem andern.

Eben in diesen Pyrrhus verliebte sich Lydia so, daß sie weder bei Tag noch bei Nacht ihre Gedanken anderswohin zu richten vermochte als auf ihn. Sei es nun, daß Pyrrhus diese Liebe nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte, genug, er zeigte sich unbekümmert darum. Dies erfüllte die Seele der Dame mit unerträglichem Schmerz. Weil sie aber fest entschlossen war, ihm ihre Liebe zu offenbaren, rief sie eine ihrer Frauen, die Lusca hieß und der sie gänzlich vertraute, zu sich und sprach zu ihr:

»Lusca, die Wohltaten, die ich dir erwiesen habe, müssen dich mir gehorsam und treu machen. Darum hüte dich, daß von dem, was ich dir jetzt sagen werde, niemand etwas erfährt als der, für den ich dir diesen Auftrag geben werde. Du siehst, Lusca, ich bin jung und frisch und reichlich mit allem versehen, was ein Weib begehren kann. Nur über einen Punkt habe ich mich zu beklagen, daß eben mein Mann zu viel Jahre zählt, hältst du sie meinen gegenüber. So tut er mir in dem, woran [571] junge Frauen am meisten Gefallen finden, wenig Genüge. Da ich aber, gleich allen andern, Begehren danach trage, habe ich mir längst vorgenommen, wenn schon das Schicksal mir darin ungünstig war und mir einen so alten Mann gab, doch nicht dermaßen meine eigene Feindin zu sein, daß ich nicht Mittel und Wege zu meinem Vergnügen und Heile zu finden wüßte. Damit nun aber hierin wie in allem andern meine Wünsche erfüllt werden, habe ich beschlossen, daß unser Pyrrhus, als der würdigste, sie mit seinen Umarmungen erfülle. Meine Liebe zu ihm ist so groß, daß ich mich nicht wohlfühle, wenn ich ihn nicht sehe, und finde ich mich nicht bald und ohne Aufschub mit ihm zusammen, so fürchte ich wahrlich, daran zu sterben. Darum, wenn dir mein Leben lieb ist, entdecke ihm so, wie es dir am geeignetsten erscheint, meine Liebe und bitte ihn in meinem Namen, daß er zu mir kommen möge, sobald ich nach ihm schicken werde.«

Die Dienerin sagte dies gern zu, und sobald ihr Ort und Zeit gelegen schienen, zog sie Pyrrhus beiseite und richtete ihm, so gut sie konnte, die Botschaft ihrer Gebieterin aus. Als Pyrrhus sie vernahm, erstaunte er sehr, weil er in der Tat noch nie etwas dergleichen wahrgenommen hatte, und fürchtete, die Frau lasse ihm dies nur sagen, um ihn zu versuchen. Deshalb erwiderte er sofort in barschem Tone: »Lusca, ich kann nicht glauben, daß diese Worte von meiner Gebieterin kommen, und deshalb habe wohl acht, was du sagst. Ja, kämen sie auch von ihr, so kann ich nicht glauben, daß sie ihr von Herzen kämen, und wäre selbst dies der Fall, so erweist mir mein Herr doch mehr Ehre, als ich verdiene, und bei meinem Leben möchte ich ihm diese Schmach nicht antun. Daher hüte dich, mir je wieder ein Wort von solchen Dingen zu sagen.«

Lusca ließ sich indes durch so rauhe Worte nicht einschüchtern, sondern entgegnete ihm: »Pyrrhus, von diesen wie von allen andern Dingen, die meine Gebieterin mir aufträgt, werde ich dir so oft sprechen, wie sie es befiehlt, mag es dir nun zur Freude oder zum Leide gereichen. Doch du bist ein Tölpel.«

Etwas aufgebracht über die Antwort des Pyrrhus kehrte Lusca damit zur Gebieterin zurück, die sich den Tod wünschte, als sie diese vernahm. Einige Tage darauf sprach sie jedoch [572] wiederum zu der Dienerin: »Du weißt, daß auf den ersten Streich die Eiche nicht fällt. Darum dächte ich, du kehrtest noch einmal zu dem zurück, der zu meinem Verderben so pflichtgetreu sein will, offenbartest ihm zu gelegener Zeit meine ganze Glut und bemühtest dich auf alle Weise, daß die Sache Erfolg habe; denn geschähe dies nicht, so müßte ich gewiß sterben. Er aber glaubte sich verspottet, und wir ernteten, wo wir seine Liebe begehrten, seinen Haß.«

Die Dienerin sprach der Dame Trost zu, suchte den Pyrrhus auf, fand ihn fröhlich und guter Dinge und sprach zu ihm: »Vor wenigen Tagen, Pyrrhus, sagte ich dir, wie deine und meine Gebieterin von der Liebe, die sie für dich empfindet, verzehrt wird, und jetzt beteuere ich dir dasselbe noch einmal, damit du gewiß sein kannst, daß ihr Leben nur noch von kurzer Dauer sein wird, so du länger bei deiner Widerspenstigkeit bleibst. Darum bitte ich dich, gib ihrem Verlangen nach; denn bleibst du hartnäckig bei deiner Weigerung, so müßte ich dich, dem ich bisher große Klugheit beimaß, für einen entschiedenen Narren halten. Wie mußt du dich geehrt fühlen, daß eine solche Dame, so schön, so anmutig, dich über alles liebt, wie verpflichtet mußt du dich dem Glücke fühlen, wenn du erwägst, welche Gabe es dir bietet, wie sehr diese deinen jugendlichen Wünschen zusagen muß, welche Möglichkeiten sich dir dadurch auftun. Wen unter deinesgleichen kennst du, für dessen Vergnügen besser gesorgt wäre als für dich, wenn du verständig bist? Welcher andere könnte wohl an Waffen, Rossen, Gewand und Geld so gehalten werden, wie du es sein wirst, wenn du ihr deine Liebe gewähren willst? Öffne dein Herz meinen Worten und besinne dich! Erinnere dich, daß den Menschen nur einmal und nie wieder das Glück mit heiterer Miene und offenem Schoße entgegentritt und daß einer, der es dann nicht aufzunehmen weiß, sich hinterher, wenn er arm und entblößt dasteht, nur über sich, nicht aber über Fortuna zu beklagen hat. Was überdem die Treue angeht, die der Diener seinem Herrn schuldig ist, so ist sie nicht dieselbe wie die zwischen Freunden und Verwandten; vielmehr sollen die Diener ihre Herren, soweit sie es können, ebenso behandeln, wie sie von ihnen behandelt werden. Glaubst du denn wirklich,[573] falls du eine schöne Frau, Mutter, Tochter oder Schwester hättest, die dem Nikostratus gefiele, daß dieser dir die Treue so hielte, wie du sie ihm gegenüber seiner Frau bewahren willst? Ein Tor bist du, wenn du das glaubst! Sei vielmehr gewiß, daß er, wenn Bitten und Schmeichelreden nicht ausreichten, Gewalt anwendete, was auch immer deine Meinung sei. Behandeln wir also sie und die Ihrigen so, wie sie uns und die Unsrigen behandeln. Nutze die Gabe des Glücks und verscheuche es nicht, sondern geh ihm entgegen und empfange es willig, wenn es zu dir kommt. Fürwahr, tust du das nicht, so wirst du, abgesehen von dem Tode deiner Gebieterin, der ohne Zweifel daraus folgen wird, das Geschehene später noch so oft bereuen, daß auch du wirst sterben wollen.«

Pyrrhus, der über die früheren Mitteilungen der Lusca schon öfter nachgedacht hat, war bereits entschlossen, ihr, wenn sie wiederkäme, eine andere Antwort zu geben und den Wünschen seiner Gebieterin Gehör zu geben, sobald er nur sicher wußte, daß er nicht auf die Probe gestellt werde. Deshalb erwiderte er nun: »Sieh, Lusca, alles, was du mir sagst, erkenne ich als wahr an. Auf der andern Seite kenne ich aber auch meinen Herrn als einen gar klugen und umsichtigen Mann, und da er mir alle seine Angelegenheiten anvertraut, so besorge ich sehr, daß Lydia mit seinem Wissen und Willen dies alles nur tue, um mich zu prüfen. Will sie jedoch, damit ich Sicherheit erlange, drei Dinge tun, die ich von ihr begehren werde, so soll sie mir nachher wahrlich nichts gebieten, das ich nicht sofort zu erfüllen bereit wäre. Die drei Dinge aber, die ich verlange, sind folgende: erstlich, daß sie in des Nikostratus Gegenwart seinen guten Falken töte; dann, daß sie mir eine Locke aus dem Bart des Nikostratus schicke und zuletzt einen von seinen Zähnen, und zwar der besten einen.«

Schienen diese Forderungen der Lusca hart, so dünkten sie ihrer Gebieterin noch härter. Doch die Liebe, welche die Zaghaftesten mutig und die Einfältigsten verschmitzt macht, gab ihr Gedanken ein, wie sie zu jenem Ziel gelangen könne. So ließ sie ihm denn durch ihre Dienerin bestellen, was er gefordert habe, solle bald und vollständig erfüllt werden. Überdies aber wolle sie noch, da er den Nikostratus für so klug [574] halte, sich in dessen Gegenwart mit Pyrrhus ihrer Liebe freuen und jenem weismachen, daß dies nicht wahr sei.

So begann denn Pyrrhus zu erwarten, was die Edeldame beginne. Als Nikostratus nun einige Tage darauf ein großes Gastmahl gab, wie er dergleichen öfter zu geben pflegte, trat Lydia, als die Tische schon aufgehoben waren, in grünen Samt gekleidet und reich geschmückt in den Saal, wo die Gäste versammelt waren, ging vor den Augen des Pyrrhus und aller andern zu der Vogelstange, auf welcher der Falke saß, den Nikostratus so werthielt, machte ihn los, als wollte sie ihn auf die Faust nehmen, ergriff ihn bei den Fesseln und schlug ihn gegen die Wand, bis er tot war.

Nikostratus rief ihr da zu: »Wehe, Weib, was hast du getan?« Sie aber antwortete ihm nicht, sondern wandte sich zu den Edelleuten, die mit ihm gegessen hatten, und sprach: »Ihr Herren, wie sollte ich mich wohl an einem König rächen, der mir Schmach antäte, wenn ich nicht den Mut hätte, an einem Falken Rache zu nehmen? Wisset, daß dieser Vogel mir schon lange all die Zeit geraubt hat, welche die Männer dem Vergnügen ihrer Frauen widmen sollen. Sobald nur die Morgenröte naht, steht Nikostratus auf, steigt zu Pferde und eilt mit dem Falken auf der Hand hinaus in die weiten Ebenen, nur um ihn fliegen zu sehen. Mich läßt er, wie ihr hier seht, einsam und traurig in meinem Bette zurück. Darum gedachte ich schon öfter, das auszuführen, was ich heute getan habe, und nichts anderes hielt mich zurück als die Absicht, es in Gegenwart von Männern zu tun, die – so wie ich es von euch glaube – gerechte Richter meiner Beschwerde wären.«

Die Edelleute, die dies hörten und überzeugt waren, daß ihre Liebe zu Nikostratus nicht anders beschaffen sei, als ihre Worte tönten, lachten alle und sagten zu Nikostratus, der immer noch erzürnt war: »Oh, wie recht tat die Dame, ihre Kränkung durch den Tod des Falken zu rächen!« Schließlich verwandelten sie, während die Dame schon längst in ihr Gemach zurückgekehrt war, unter mancherlei Scherzen auch des Nikostratus Zorn in Lachen. Pyrrhus aber, der dies mit ansah, sagte zu sich selbst: »Hochherzigen Anfang zu beglückender Liebe hat die Dame gemacht. Wolle Gott, daß sie ausharre.«

[575] Wenige Tage waren vergangen, seit Lydia den Falken getötet hatte, als sie, während Nikostratus bei ihr in ihrer Kammer weilte, ihn zu liebkosen und mit ihm zu schwatzen anfing. Da er sie im Scherz ein wenig an den Haaren gezogen hatte, nahm sie dies zum Anlaß, die zweite Forderung des Pyrrhus zu erfüllen. Schnell nämlich ergriff sie ein kleines Büschel Barthaare und zog unter Lachen so stark daran, daß sie ihm die Haare ganz aus dem Kinn riß. Nikostratus schalt darüber; sie aber sprach: »Nun, was gibt es denn, daß du solch ein Gesicht machst? Etwa gar weil ich dir sechs Haare aus dem Bart gezogen habe? Das hat dir lange nicht so weh getan wie mir, als du mich an den Haaren zogst.« Und während sie so von einer Rede zur anderen ihren Scherz fortsetzte, hob sie die Locke, die sie ihm aus dem Barte gezupft hatte, sorgfältig auf und schickte sie noch am selben Tage ihrem teuren Geliebten.

Die dritte Forderung machte der Dame größere Sorge. Doch feinen Verstandes, wie sie war, und durch die Liebe noch mehr gewitzigt, wußte sie einen Weg ausfindig zu machen, auf dem sie auch dieser Forderung genügen zu können hoffte. Nikostratus hatte nämlich zwei Knaben bei sich, die ihm von ihren Vätern übergeben worden waren, damit sie, ihrer adeligen Abkunft gemäß, in seinem Hause gute Sitten lernen möchten. Wenn Nikostratus speiste, schnitt der eine ihm vor, der andere aber reichte ihm zu trinken. Diese beiden ließ sie rufen, redete ihnen ein, daß sie aus dem Mund röchen, und wies sie an, den Kopf soweit sie könnten zurückzuziehen, wenn sie Nikostratus bedienten. Doch sollten sie mit niemand darüber sprechen.

Die Knaben, welche ihr glaubten, fingen nun an so zu tun, wie ihnen geheißen war. Die Frau aber fragte eines Tages den Nikostratus: »Hast du bemerkt, was jene Knaben tun, wenn sich dich bedienen?« »Freilich«, sprach er, »auch habe ich sie schon fragen wollen, warum sie so tun.« »Tue das ja nicht«, antwortete die Frau, »denn ich kann es dir sagen, und wenn ich es dir die ganze Zeit her verschwiegen habe, so geschah es, um dich nicht zu verletzen. Das geschieht dir nur, weil du gar stark aus dem Munde riechst, und ich weiß nicht, woran das liegt, da es doch sonst nicht so zu sein pflegte. Für dich aber ist das verdrießlich, da du mit adeligen Leuten umzugehen [576] hast. Drum sollten wir zusehen, ob dem nicht abzuhelfen ist.« Darauf sprach Nikostratus: »Was könnte das nur sein? Sollte ich vielleicht einen faulen Zahn im Munde haben?« »Vielleicht«, antwortete Lydia.

Damit führte sie ihn an ein Fenster, ließ ihn den Mund aufmachen, und nachdem sie auf beiden Seiten nachgesehen hatte, rief sie aus: »O Nikostratus, wie hast du das nur so lange ausgehalten! Hier auf dieser Seite hast du einen Zahn, der, wie mir scheint, nicht nur schadhaft, sondern ganz faul ist. Wenn du ihn länger im Munde behältst, verdirbt er gewiß die, welche ihm zur Seite stehen. Darum rate ich dir, tue ihn heraus, bevor die Sache schlimmer wird.« »Da es dir so scheint, so bin ich's zufrieden«, antwortete Nikostratus; »schicke denn unverzüglich zu einem Zahnarzt, der ihn mir ausziehe.« Darauf jedoch antwortete die Frau: »Gott bewahre, daß deshalb ein Arzt herkomme. Der Zahn scheint mir so zu stehen, daß ich ihn ohne Arzt sehr gut allein ausziehen kann. Auch sind diese Leute bei diesem Geschäft so unbarmherzig, daß mein Herz es in keiner Weise ertragen könnte, dich unter ihren Händen zu sehen oder zu wissen. Darum will ich es auf jeden Fall selber tun. Wenigstens kann ich, wenn es dich zu sehr schmerzt, sogleich nachlassen, was der Zahnarzt nicht täte.«

So ließ sie denn das Werkzeug zu diesem Dienst herbeiholen und schickte jeden mit Ausnahme der Lusca, die sie bei sich behielt, aus dem Zimmer. Dann verschloß sie die Tür von innen, hieß den Nikostratus sich auf dem Tisch ausstrecken, ergriff mit der Zange, die sie ihm in den Mund steckte, einen seiner Zähne und zog daran, wie sehr er auch vor Schmerz schreien mochte, während Lusca ihn festhielt, so lange, bis sie ihm mit aller Gewalt einen Zahn herausgezogen hatte. Diesen brachte Lydia beiseite, holte einen andern, ganz verfaulten, den sie schon in der Hand hielt, hervor und zeigte diesen dem wehklagenden, schier halbtoten Gatten. »Sieh«, sagte sie, »was du nun schon so lange im Munde gehabt hast.« In der Überzeugung, daß sie die Wahrheit spreche, kam er sich trotz der ausgestandenen Schmerzen und obgleich er noch immer viel jammerte, dennoch wie geheilt vor, nachdem der Zahn einmal heraus war. Durch allerhand stärkende Mittel gekräftigt, verließ [577] er, als der Schmerz nachzulassen begann, das Gemach. Die Frau aber nahm den Zahn und schickte ihn alsbald ihrem Geliebten, der nun, von ihrer Liebe fest überzeugt, sich zu allem bereit erklärte.

In dem Verlangen, ihn in dieser Überzeugung noch mehr zu bestärken, wollte die Dame, der jede Stunde länger schien als deren tausend, nun auch das noch erfüllen, was sie ihm zuletzt versprochen hatte. Zu diesem Zwecke stellte sie sich krank, und als Nikostratus sie eines Tages nach dem Essen, nur von Pyrrhus begleitet, besuchte, bat sie ihn, daß sie beide ihr zur Linderung ihrer Leiden in den Garten hinabhelfen möchten. So faßte sie Nikostratus an der einen, Pyrrhus an der andern Seite und trugen sie in den Garten, wo sie sie auf einer kleinen Wiese am Fuß eines schönen Birnbaumes niedersetzten.

Eine Weile hatten sie hier gesessen, als die Dame, welche den Pyrrhus schon unterrichtet hatte, was er zu tun habe, zu diesem sagte: »Pyrrhus, ich trage großes Verlangen nach einigen von diesen Birnen. Steige denn hinauf und wirf mir ein paar herunter.« Schnell kletterte Pyrrhus hinauf und fing an, Birnen herunterzuwerfen. Doch während er so warf, begann er zu rufen: »Ei, Herr, was macht Ihr denn? Und Ihr, Madonna, schämt Ihr Euch denn nicht, das in meinem Beisein zu gestatten! Glaubt Ihr etwa, ich sei blind? Erst eben wart Ihr ja so krank; wie seid Ihr nun so schnell genesen, daß Ihr solche Dinge treibt? Steht Euch nun einmal der Sinn danach, so habt Ihr doch schöne Gemächer genug; warum geht Ihr nicht in eines derselben? Das wäre doch anständiger, als solche Geschichten hier in meiner Gegenwart zu tun!«

Die Frau wandte sich zu ihrem Gatten und sprach: »Was schwatzt Pyrrhus? Ist er toll geworden?« »Ich bin nicht toll«, erwiderte Pyrrhus, »Madonna, glaubt Ihr denn, ich könnte nicht sehen?« Nikostratus wunderte sich nun auch und sagte: »Wahrhaftig, Pyrrhus, ich glaube, du träumst.« »Herr«, entgegnete dieser, »ich träume keineswegs. Ihr träumt aber auch nicht; vielmehr rührt Ihr Euch so eifrig, daß keine einzige Birne oben bliebe, wenn dieser Birnbaum es auch so machte.« Nun sprach die Frau: »Was kann das nur sein? Könnte es sein, daß er das wirklich zu sehen glaubt, was er behauptet? Weiß Gott, wäre [578] ich so gesund wie ich war, ich müßte hinauf, um zu sehen, was das für Wunder sind, die er zu erblicken versichert.«

Pyrrhus auf dem Birnbaum ließ indes nicht ab, von diesen Geschichten weiter zu reden. Da rief Nikostratus: »Steig herab!« Und er tat es. Nun fragte jener: »Was willst du also gesehen haben?« »Haltet Ihr mich denn für närrisch oder schlaftrunken?« sprach Pyrrhus. »Sah ich Euch etwa nicht auf Eurer Frau, da ich es doch einmal sagen soll, und sah ich nicht, daß Ihr aufstandet, als ich herabstieg, und Euch dorthin setztet, wo Ihr jetzt sitzt?« »Gewiß«, sprach Nikostratus, »du warst nicht bei Sinnen; denn seit du auf den Birnbaum stiegst, haben wir uns nicht mehr von der Stelle gerührt, als wie du uns eben jetzt siehst.« Hierauf entgegnete Pyrrhus: »Was streiten wir darüber? Ich habe Euch doch gesehen, und sah ich Euch, so sah ich Euch auf dem Eurigen.«

Nikostratus wunderte sich immer mehr, bis er endlich sprach: »Nun, so will ich doch sehen, ob dieser Birnbaum behext ist, und ob der, der sich auf ihm befindet, solche Wunder sieht.« Und er stieg hinauf. Sobald er oben war, fingen die Dame und Pyrrhus an, sich miteinander zu ergötzen. Als Nikostratus das sah, rief er aus: »Wehe, du schändliches Weib, was tust du? Und du, Pyrrhus, auf den ich so vertraute?« Unter solchem Schelten begann er wieder hinabzusteigen. »Wir sitzen hier ganz still«, sprachen die Frau und Pyrrhus, und da sie ihn herabsteigen sahen, setzten sie sich wieder ebenso, wie er sie verlassen hatte.

Als Nikostratus unten angelangt war und sie wieder da fand, wo er sie verlassen hatte, begann er sie zu schmähen. Pyrrhus aber entgegnete: »Nikostratus, jetzt erkenne ich in Wahrheit, daß ich mich, so wie Ihr gesagt habt, täuschte, als ich auf dem Birnbaum war, und das erkenne ich an nichts anderem als daran, daß ich gesehen und erfahren habe, wie sehr Ihr Euch eben getäuscht habt. Daß ich aber wahr spreche, werdet Ihr einsehen, sobald Ihr erwägen wollt, daß Eure Gattin, von ihrer hohen Sittsamkeit und großen Klugheit abgesehen, doch wahrlich, wenn sie Euch solchen Schimpf antun wollte, dies nicht vor Euren eigenen Augen täte. Von mir will ich nicht erst reden. Lieber ließe ich mich vierteilen, als an dergleichen [579] nur zu denken, geschweige denn, es in Eurer Gegenwart zu tun. Gewiß also muß die Hexerei dieser Täuschung von dem Birnbaum ausgehen, denn die ganze Welt könnte mir nicht ausreden, daß Ihr hier Eurer Gattin beigewohnt habt, wenn ich Euch nun nicht behaupten hörte, ich hätte dasselbe getan, was ich doch sicherlich weder gedacht noch getan habe.«

Die Dame, die sich gar zornig stellte, stand nun auf und sprach: »Möge dich der Himmel strafen, weil du mich für so einfältig hältst, solche Schlechtigkeiten, wenn ich mich schon darauf einlassen wollte, hier vor deinen Augen zu begehen, wie du behauptest. Bekäme ich Lust auf so etwas, dann sei gewiß, daß ich dazu nicht hierher kommen, sondern es in einer unserer Kammern schon so einzurichten wüßte, daß es wunderlich zuginge, wenn du es je erführest.«

Nikostratus, der für wahr hielt, was beide beteuerten, daß sie sich nie getraut hätten, dergleichen vor seinen Augen zu tun, ließ nun von solcherlei Rede und von seinen Vorwürfen ab und begann über das seltsame Ereignis und das Wunder dieser Täuschung zu sprechen. Die Frau aber, die sich noch immer der Meinung wegen, die Nikostratus von ihr gehegt hatte, beleidigt stellte, sprach: »Wahrlich, soweit ich es hindern kann, soll dieser Birnbaum dergleichen Schande weder mir noch einer andern Frau jemals wieder bereiten. Darum, Pyrrhus, geh rasch und hole ein Beil und räche dich und mich zugleich an ihm, obgleich eigentlich Nikostratus verdient hätte, daß man ihm das Beil auf den Kopf schlüge, weil er sich ohne Überlegung so rasch die Augen des Geistes hat verblenden lassen. Denn wenn du auch mit leiblichen Augen zu sehen glaubtest, was du behauptest, so hättest du als verständiger Mensch ihnen doch nie beistimmen und annehmen sollen, daß es sich wirklich so verhalte.«

Pyrrhus lief nun eilig nach dem Beil und hieb den Birnbaum um. Als ihn die Frau am Boden sah, sprach sie zu Nikostratus: »Nun, da ich den Feind meines guten Rufes gefällt sehe, ist auch mein Zorn dahin.« Dann verzieh sie dem Nikostratus auf seine Bitte freundlich seine Schuld, machte ihm aber zur Bedingung, nie wieder von ihr, die ihn mehr als sich selbst liebe, so Arges zu glauben.

[580] So kehrte der arme betrogene Gemahl mit ihr und ihrem Liebhaber in den Palast zurück, wo die beiden später noch oft und mit größerer Gemächlichkeit Lust und Freude aneinander fanden. Möge der Himmel auch uns dergleichen bescheren!

Zehnte Geschichte

Zwei Sieneser lieben eine Frau, die des einen Gevatterin ist. Der Gevatter stirbt, erscheint, seinem Versprechen gemäß, dem Gefährten und berichtet ihm, wie es dort im Jenseits zugeht.


Die Pflicht zu erzählen blieb nur noch dem König übrig. So begann er, als er die Damen, die den unschuldig gefällten Birnbaum bedauerten, etwas beruhigt sah, folgendermaßen:

Es ist offenkundig, daß jeder gerechte König der vornehmste Hüter der von ihm erlassenen Gesetze sein soll; denn tut er anders, so muß man ihn für einen Strafe verdienenden Sklaven, nicht aber für einen König erkennen. Dennoch bin ich, euer König, schier genötigt, dieser Schuld und diesem Tadel zu verfallen. Es verhält sich ja so, daß ich gestern, als ich den Gegenstand unserer heutigen Erzählungen bestimmte, die Absicht hatte, mich an diesem Tage meines Vorrechts nicht zu bedienen, sondern mich der gleichen Vorschrift wie ihr unterwerfen und vom selben Gegenstande sprechen wollte, von dem ihr alle gesprochen habt. Allein, nun ist nicht nur das, was ich zu erzählen gedachte, bereits erzählt worden, sondern man hat auch noch über unsere Sache so viel anderes und Schöneres gesagt, daß ich, soviel ich auch in meiner Erinnerung krame, mich auf nichts besinnen kann, was dem schon Erzählten gleichkäme. Da ich sonach gegen das von mir selbst gegebene Gesetz sündigen muß, erbiete ich mich im voraus zu jeder Buße, die mir auferlegt wird, nehme aber dafür mein gewohntes Vorrecht in Anspruch.

Ich sage euch also, vielgeliebte Damen, daß Elias Geschichte vom Gevatter und der Gevatterin und nächstdem die Albernheiten der Sieneser so große Macht über mich ausüben, daß ich [581] die Streiche beiseite lasse, welche törichten Männern von ihren verständigen Frauen gespielt wurden, und mich statt dessen gemüßigt sehe, euch eine Geschichte zu erzählen, die zwar manches enthält, was man nicht glauben soll, dennoch aber zum Teil ergötzlich und angenehm anzuhören sein wird.

Es lebten also in Siena einst zwei Jünglinge aus dem Volke, von denen der eine Tingoccio Mini und der andere Meuccio di Tura hieß. Sie wohnten am Salajatore und hatten, da sie fast mit niemand umgingen als miteinander, sich dem Anschein nach sehr lieb. Sie gingen, wie die Menschen zu tun pflegen, in Kirchen und Predigten und hatten oft von der Herrlichkeit und dem Elend gehört, die den Seelen der Verstorbenen in der andern Welt je nach ihren Verdiensten zuteil würden. In dem lebhaften Verlangen, hierüber sichere Kunde zu haben, gelobten sie einander, da sie keinen andern Weg dazu wußten, daß der, welcher zuerst stürbe, dem lebend Zurückgebliebenen, wenn er könne, erscheinen und die Botschaft bringen solle, nach der er so sehr verlangte. Dies versprachen sie sich mit einem Eidschwur.

Nach diesem Gelöbnis geschah es, daß Tingoccio, während die beiden fortfuhren, so miteinander zu verkehren, wie wir gesagt haben, der Gevatter eines gewissen Ambrogio Anselmini wurde, der in Campo Reggi wohnte und dem seine Frau, die Monna Mita hieß, einen Sohn geboren hatte. Da nun Tingoccio die Gevatterin, die eine gar schöne und muntere Frau war, zuweilen mit Meuccio besuchte, so verliebte er sich trotz der Gevatterschaft in sie, und ebenso Meuccio, dem sie auch ausnehmend gut gefiel und der sie von Tingoccio so sehr rühmen hörte. Diese Liebe verbargen sie jedoch sorgfältig voreinander, wenngleich aus verschiedenem Grunde.

Tingoccio hütete sich, sie dem Meuccio zu entdecken, weil er sich einer Sünde schuldig zu machen glaubte, wenn er seine Gevatterin liebte, und weil er sich geschämt hätte, wenn jemand darum gewußt hätte. Meuccio aber schwieg nicht deshalb, sondern weil er schon bemerkt hatte, daß sie dem Tingoccio gefiel. »Entdecke ich ihm dies«, sprach er zu sich selbst, »so wird er eifersüchtig auf mich werden, und da er als ihr Gevatter so oft mit ihr reden kann, wie er will, wird er mich nach [582] Kräften bei ihr anschwärzen, und ich werde nie etwas von ihr erlangen, das ich mir wünsche.«

Während nun die beiden jungen Leute in solcher Weise fortlebten, geschah es, daß Tingoccio, der mehr Gelegenheit hatte, seine Wünsche der Frau zu offenbaren, mit Wort und Tat es so weit zu bringen wußte, daß diese ihm alles gewährte, wonach er Verlangen trug. Dies ward Meuccio wohl gewahr; sosehr es ihm aber auch mißfiel, stellte er sich doch, in der Hoffnung, ebenfalls dereinst ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen, als bemerkte er es nicht, damit Tingoccio nicht Grund und Anlaß hätte, ihm seine Sache zu verderben und ihm Hindernisse in den Weg zu legen. So liebten denn die beiden Gesellen, der eine glücklicher als der andere, und Tingoccio, der in den Besitzungen der Gevatterin das Erdreich angenehm zu bestellen fand, grub und arbeitete so lange, bis er darüber in eine Krankheit verfiel. Diese wurde nach wenigen Tagen so schwer, daß er ihr nicht zu widerstehen vermochte und aus diesem Leben schied.

Drei Tage nach seinem Tode erschien er – vielleicht weil er nicht früher gekonnt hatte – seinem Versprechen gemäß nachts in Meuccios Kammer und rief diesen, der in tiefem Schlafe lag. Meuccio erwachte und fragte: »Wer bist du?« Jener antwortete: »Ich bin Tingoccio, der, wie versprochen, zu dir zurückkehrt, um dir Kunde aus der andern Welt zu bringen.« Meuccio erschrak wohl ein wenig, als er ihn sah; doch faßte er sich und sagte: »Sei mir willkommen, Bruder.« Danach fragte er ihn, ob er verloren sei. »Verloren«, antwortete Tingoccio, »sind Dinge, die man nicht wiederfindet, und wie könnte ich denn hier sein, wenn ich verloren wäre?« »Ach«, sagte Meuccio, »so meine ich es nicht; ich frage dich, ob du unter den verdammten Seelen im peinigenden Höllenfeuer bist?« Hierauf antwortete ihm Tingoccio: »Das nicht; wohl aber befinde ich mich um meiner begangenen Sünden willen in großer Qual und Angst.«

Nun fragte Meuccio den Geist ausführlich, welche Strafe für jede einzelne der auf Erden begangenen Sünden dort gegeben würde, und Tingoccio beschrieb sie ihm alle. Weiter erkundigte er sich, ob er nicht diesseits irgend etwas für ihn tun könne, worauf Tingoccio es bejahte: er möge doch Messen für ihn lesen lassen, Gebete sprechen und Almosen geben, Dinge, welche [583] den Seelen im Jenseits sehr nützlich wären. Meuccio versprach, dies gern zu tun. Als aber Tingoccio eben von ihm scheiden wollte, erinnerte er sich noch der Gevatterin. »Gut, Tingoccio«, sagte er deshalb, indem er den Kopf ein wenig hob, »daß mir noch die Gevatterin einfällt, bei der du so oft geschlafen hast, als du noch hier weiltest. Welche Buße ist dir denn dafür auferlegt?«

Tingoccio erwiderte: »Bruder, als ich dort ankam, war einer da, der alle meine Sünden auswendig zu wissen schien. Der befahl mir, an einen Ort zu gehen, wo ich in großer Pein meine Schuld beweinte und gar viel Gefährten fand, die zur selben Buße verurteilt waren wie ich. Als ich nun so unter ihnen weinte und an das, was mit der Gevatterin geschehen war, dachte und eine noch viel schwerere Strafe erwartete als die mir zugeteilte, zitterte ich vor Furcht, obwohl ich mich mitten in einem großen, heftig brennenden Feuer befand. Einer, der neben mir stand, sah dies und sprach: ›Was hast du denn Schlimmeres getan als die andern, die hier sind, daß du mitten im Feuer zitterst?‹ ›Oh!‹ sprach ich, ›guter Freund, ich fürchte mich so vor dem Richterspruch, den ich einer großen Sünde wegen erwarte, die ich einst beging.‹ Nun fragte er mich, was für eine Sünde das gewesen sei. ›Sie war der Art‹, antwortete ich ihm, ›daß ich bei meiner Gevatterin schlief, und zwar so oft, daß ich mich dadurch zugrunde richtete.‹ Darauf lachte er mich aus und sagte: ›Geh, du Narr, und fürchte nichts, denn hier hält man keine Rechnung über die Gevatterinnen.‹ Als ich dies hörte, beruhigte ich mich.«

Da nun der Tag nahte, sprach er nach diesen Worten: »Leb wohl, Meuccio, ich kann nicht länger bei dir weilen«, und verschwand sogleich. Als Meuccio nun gehört hatte, daß man dort keine Rechnung über die Gevatterinnen führte, lachte er sich selbst wegen der Torheit aus, daß er schon auf einige Gevatterinnen verzichtet hatte, und wurde, nachdem er über seine Unwissenheit belehrt worden war, für die Zukunft klüger. Wäre Bruder Rinaldo in dieser Sache ebenso unterrichtet gewesen, dann hätte er es nicht nötig gehabt, seine gute Gevatterin durch Trugschlüsse zu gewinnen.

[584] Schon hatte, da die Sonne dem abendlichen Horizont zueilte, der leichte Zephir sich erhoben, als der König schloß, und da niemand mehr zum Erzählen übriggeblieben war, nahm er sich den Kranz vom Haupte, drückte ihn Lauretta auf die Stirn und sprach: »Madonna, ich kröne Euch mit dem Reis, das Eurem Namen entspricht, zur Königin unserer Gesellschaft. Befehlt nun als Herrscherin alles, was uns Eurer Meinung nach zum Vergnügen und zur Freude gereicht.« Mit diesen Worten setzte er sich nieder.

Lauretta, die neue Königin, ließ den Seneschall rufen und befahl ihm, etwas früher als zur gewohnten Stunde die Tafeln in dem anmutigen Tale herzurichten, damit man nachher mit Gemächlichkeit zum Schlosse zurückkehren könne. Außerdem ordnete sie an, was er, solange ihre Herrschaft dauerte, zu tun habe. Dann wandte sie sich wieder zur Gesellschaft und sprach: »Dioneo gebot uns gestern, von den Streichen zu sprechen, wie sie die Frauen ihren Männern spielen. Müßte ich nicht fürchten, dem Geschlecht jener Kläffer zugerechnet zu werden, die sich immer auf der Stelle rächen wollen, so würde ich sagen, daß morgen von den Possen gesprochen werde, welche die Männer ihren Frauen spielen. Doch ich unterlasse dies und fordere nur, daß jeder sich bereit halte, von Streichen zu erzählen, wie sie täglich eine Frau dem Mann, ein Mann der Frau oder auch ein Mann dem andern spielt. Dabei wird sich, wie ich hoffe, nicht weniger Ergötzliches zu berichten finden als heute.«

Als sie so gesprochen hatte, stand sie auf und beurlaubte die Gesellschaft bis zur Essensstunde. Frauen und Männer erhoben sich nun gleichfalls. Einige von ihnen begannen unbeschuht mit den Füßen im klaren Wasser zu plätschern, andere aber ergötzten sich, unter den schönen schlanken Bäumen auf dem grünen Wiesengrunde umherzuwandeln. Dioneo und Fiammetta sangen eine Weile zusammen von Archytas und Palämon, und so verbrachten sie die Zeit bis zum Abendessen unter mancherlei Ergötzen heiter und vergnügt. Als diese gekommen war und sie nun längs dem kleinen See an ihren Tischen saßen, unter dem Gesang von tausend Vögeln, von der milden Abendbrise umfächelt, die stetig von den Bergen herabwehte, und von keiner Mücke gestört, speisten sie ruhig und fröhlich.

Als die Tafel aufgehoben war und die Gesellschaft das [585] anmutige Tal noch ein wenig durchstreift hatte, begaben sich alle nach der Königin Geheiß, während die Sonne noch hoch am Abendhimmel stand, langsamen Schrittes auf den Weg zu ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Unter Scherzen und Geplauder über tausenderlei Dinge, teils über solche, die heute erzählt worden waren, teils über andere, gelangten sie bei Einbruch der Dunkelheit zu dem schönen Palaste zurück. Nachdem man hier die Mühe des kleinen Weges mit kühlen Weinen und Backwerk verscheucht hatte, begann man in der Nähe des schönen Springbrunnens Reigentänze, bald nach dem Ton von Tindaros Schalmei, bald nach anderer Musik aufzuführen. Endlich aber gebot die Königin der Filomena, einen Gesang anzustimmen, und diese begann also:


Wird seliges Gelingen
Zum Ort der Freude nie ein zweites Mal,
Von dem ich weinend schied, zurück mich bringen?
Ich weiß den Weg nicht, so bin ich befangen
Vom Sehnen meiner Brust,
Dorthin, wo ich geweilt in schönern Tagen.
Mein süßes Glück, du Ziel für mein Verlangen,
Des Herzens einz'ge Lust,
Sei du mir Führer. Wen sollt ich sonst fragen,
Und wie könnt ich's nur wagen?
Gib, mein Geliebter, mir der Hoffnung Strahl,
Leih dem erstorbnen Mute neue Schwingen!
Wie glichen Worte wohl dem süßen Glücke,
An dem ich so entbrannt,
Daß Tag und Nacht mein Herz nicht Ruhe findet.
Es haben so Gefühl wie Ohr und Blicke
Mit Kräften, nie gekannt,
Ein jedes neue Glut in mir entzündet,
Daß alle Kraft mir schwindet.
Nur du hast Trost für mich und meine Qual
Und kannst mit neuer Kraft mein Herz durchdringen.
Sag an, ob jemals ich und wann aufs neue
Dich treff an jenem Ort,
[586]
Wo ich geküßt den Quell der Liebespfeile?
Sag, Trauter, mir's zum Lohn für meine Treue,
Wann bist du wieder dort?
Und mich zu trösten, sag es mir in Eile,
Kurz sei bis dann die Weile
Und reich der Stunden deines Bleibens Zahl,
In dem mir Jahre Tagen gleich vergingen.
Ich bin, sollt ich dich jemals wieder fassen,
So töricht nicht jetzund,
Wie ich gewesen, als ich dich ließ ziehen.
Was auch erfolg, ich will dich nicht mehr lassen,
An deinem süßen Mund
Die Flammen kühlen, die mich jetzt durchglühen,
Dir keine Gunst entziehen.
Komm bald, mich zu umarmen, mein Gemahl!
Denk ich nur dran, so muß ich jubelnd singen.

Das Lied ließ die ganze Gesellschaft vermuten, daß Filomena von einer neuen und beglückten Liebe gefesselt werde, und weil ihre Worte zu verraten schienen, daß sie mehr als den bloßen Augenblick gekostet habe, pries man sie glücklich, und einige unter den Anwesenden beneideten sie darum. Doch als ihr Gesang beendet war, sagte die Königin mit Rücksicht darauf, daß der folgende Tag ein Freitag war, freundlich zu allen: »Ihr wißt, edle Damen und Herren, daß morgen der Tag ist, der dem Leidensandenken unseres Heilandes gewidmet ist; ein Tag, den wir, wenn ihr euch recht erinnert, als Neifile Königin war, andächtig feierten, indem wir mit unseren heiteren Geschichten aussetzten. Gleiches taten wir am darauffolgenden Samstag. So will ich denn dem guten Beispiel folgen, das Neifile uns gab, da auch ich es für geziemend halte, daß wir morgen und am folgenden Tag auf unser ergötzliches Erzählen verzichten und uns dafür an das erinnern, was an diesen Tagen zum Heile unserer Seelen geschah.«

Allen gefiel die fromme Rede ihrer Königin. Als aber diese sie nun beurlaubte, war bereits ein großer Teil der Nacht verstrichen, weshalb sich alle zur Ruhe begaben.

[587][589]

Achter Tag

[Einleitung]
[591]

Schon erschienen am Sonntagmorgen auf den Gipfeln der höchsten Berge die Strahlen der aufgehenden Sonne, jeder Schatten schwand, und man erkannte deutlich die Dinge umher, als die Königin mit ihrer Gesellschaft aufstand. Erst gingen sie ein wenig im tauigen Grase umher und besuchten dann um die Mitte der zweiten Tagesstunde ein nahes Kirchlein, hörten dort den Gottesdienst und begaben sich hierauf nach Hause zurück.

Nachdem man fröhlich und heiter gespeist hatte, sang und tanzte man eine Zeitlang, worauf sich mit Urlaub der Königin zur Ruhe niederlegen konnte, wer da wollte. Doch als die Sonne bereits den Mittagskreis überschritten hatte, eilten alle, wie es der Königin gefiel, sich an dem schönen Springbrunnen zum gewohnten Erzählen niederzusetzen, und auf Befehl der Königin begann Neifile also:

Erste Geschichte

Wolfhart leiht von Gasparruolo Geld und wird mit dessen Frau einig, für die gleiche Summe bei ihr zu schlafen. Er gibt es ihr und sagt in ihrer Gegenwart zu Gasparruolo, daß er ihr's gegeben hat, und sie muß einräumen, daß es wahr ist.


Da es dem Himmel einmal gefallen hat, daß ich am heutigen Tag mit meiner Erzählung den Anfang machen soll, so schicke ich mich denn darein. Darum, ihr liebreichen Damen, beliebt es mir, euch, denen nun schon so viele Possen vorgetragen wurden, welche den Männern von Frauen gespielt wurden, einen Streich zu erzählen, der einer Frau von einem Manne gespielt [591] ward. Doch tue ich es nicht, um ihn deshalb zu tadeln oder zu behaupten, daß der Frau nicht ganz recht geschehen sei, sondern im Gegenteil, um den Mann zu loben und die Frau zu tadeln und um euch zu zeigen, daß auch die Männer die anzuführen wissen, die ihnen allzusehr vertrauen, wie sie von denen betrogen werden, denen sie blindlings Glauben schenken; weshalb denn eigentlich das, was ich vortragen will, nicht ein Possen, sondern ein wohlverdienter Lohn zu nennen wäre.

Wir wissen, daß jede Frau durchaus ehrbar sein und ihre Keuschheit wie ihr Leben hüten, auch aus keinem Grunde diese zu beflecken sich gestatten soll, was sich bei der Schwachheit unserer Natur freilich nicht so vollständig beobachten läßt, wie es sein sollte. Dennoch behaupte ich, daß diejenige des Feuers würdig ist, welche sich um Geldes willen dazu verleiten läßt. Die Frau aber, welche aus Liebe, deren allmächtige Gewalt sie erkennt, dahin gelangt, verdient von jedem nicht zu strengen Richter Vergebung, wie uns vor einigen Tagen Filostrato am Beispiel der Madonna Filippa aus Prato zeigte.

Es lebte also einst in Mailand ein Deutscher im Kriegsdienst, der Gulfardo oder Wolfhart hieß, ein tapferer Mann und denen, in deren Dienst er stand, sehr ergeben und treu war, was bei den Deutschen selten der Fall zu sein pflegt. Weil dieser alles, was er borgte, genauestens wiedererstattete, so hätte er genug Handelsleute gefunden, die ihm für geringen Vorteil jede beliebige Geldsumme vorgestreckt hätten.

Dieser Mann widmete nun, während er in Mailand weilte, seine Liebe einer schönen Frau, welche Donna Ambruogia hieß und die Gattin eines reichen Kaufmanns war, der sich Gasparruolo Cagastraccio nannte und ein naher Bekannter und Freund von ihm war. Indes er sie mit aller Vorsicht liebte, ohne daß ihr Mann oder sonst jemand etwas davon gewahr ward, schickte er eines Tages zu ihr und ließ sie bitten, ihn mit ihrer Gegenliebe zu beglücken, indem er seiner seits bereit sei, alles zu tun, was sie ihm geböte. Nach vielem Hin- und Herreden kam die Frau zu dem Schluß, daß sie geneigt wäre, zu tun, was Wolfhart begehrte, jedoch unter zwei Bedingungen: erstens dürfe er es nie jemand offenbaren, zweitens müsse er ihr, da er ein reicher Mann sei, zweihundert Goldgulden geben, die sie gerade [592] für einen bestimmten Zweck brauche; so wäre sie dann immer bereit, sich seinen Wünschen zu fügen.

Als Wolfhart diesen Beweis ihres Geizes vernahm, erzürnte ihn ihre niedere Gesinnung, und seine Liebe für sie, die er bisher für eine edle Frau gehalten, verwandelte sich nahezu in Haß. Nun sann er darauf, sie zu überlisten, und ließ ihr daher antworten, er sei gern bereit, dies wie alles andere zu tun, was in seinen Kräften stehe. Daher möge sie nur schicken und ihm sagen lassen, wann er zu ihr kommen solle. Er wolle ihr dann das Geld bringen, und niemand solle von dieser Sache wissen, einer von seinen Kameraden ausgenommen, dem er völlig vertrauen könne und der bei allem, was er tue, sein Begleiter sei. Als die Frau, oder vielmehr das schlechte Weib, dies hörte, war sie zufrieden und ließ ihm zurücksagen, ihr Mann Gasparruolo müsse in einigen Tagen Geschäfte halber bis nach Genua reisen. Sie lasse es ihn dann wissen und schicke zu ihm.

Nun ging Wolfhart, als es ihm an der Zeit schien, zu Gasparruolo und sagte zu ihm: »Ich stehe im Begriff, ein Geschäft abzuschließen, zu dem ich zweihundert Goldgulden nötig habe. Diese möchte ich von dir zum selben Zinssatz leihen, wie du mir andere Summen zu leihen pflegtest.« »Gern«, antwortete Gasparruolo und zählte ihm sogleich das Geld auf.

Wenige Tage darauf reiste der Kaufmann wirklich nach Genua ab, wie die Frau verheißen hatte. Sie schickte deshalb zu Wolfhart mit der Botschaft, daß er zu ihr kommen und die zweihundert Goldgulden mitbringen möchte. Wolfhart nahm seinen Gefährten mit sich, ging zu dem Hause der Frau, und da sie ihn schon erwartete, war das erste, was er tat, daß er ihr in Gegenwart seines Kameraden die zweihundert Goldgulden in die Hand gab, indem er also zu ihr sprach: »Madonna, nehmt hier dieses Geld und übergebt es Eurem Mann, sobald er zurückgekehrt sein wird.« Die Frau nahm sie und wurde nicht gewahr, aus welchem Grunde Wolfhart so sprach; vielmehr glaubte sie, er täte es, damit sein Gefährte nicht bemerke, daß dies der Kaufpreis für sie selbst sei. Darum sprach sie: »Ich will es gern tun; doch zuvor will ich sehen, wieviel es sind.« Und nachdem sie die Münzen auf einen Tisch geschüttet und gefunden hatte, daß es zweihundert waren, legte sie, innerlich[593] sehr zufrieden, diese beiseite und kehrte zu Wolfhart zurück, den sie in ihre Kammer führte und dort nicht nur eine Nacht, sondern viele andere Nächte, bis ihr Mann von Genua zurückkehrte, mit ihrem Leibe zufriedenstellte.

Als Gasparruolo endlich von Genua heimkehrte, begab sich Wolfhart, der es so abgepaßt hatte, daß jener mit seiner Frau zusammen war, sogleich zu ihm und sprach in ihrer Gegenwart: »Das Geld, Gasparruolo, die zweihundert Goldgulden nämlich, die du mir neulich geliehen hast, haben mir nicht dienen können, weil ich das Geschäft, zu dem sie gedacht waren, nicht zu Ende bringen konnte. Ich habe sie darum sogleich deiner Frau gebracht und sie ihr zurückgegeben. Tilge deshalb meine Schuld.« Gasparruolo wandte sich zu der Frau und fragte, ob sie die Gulden empfangen habe. Diese, die den Zeugen mit anwesend sah, konnte nicht leugnen und sprach: »Allerdings habe ich sie empfangen, ich habe nur noch nicht daran gedacht, es dir zu sagen.« Nun sprach Gasparruolo: »Ich bin zufrieden, Wolfhart. Geht mit Gott, und Eure Rechnung will ich schon richtig machen.«

Wolfhart ging, und das überlistete Weib lieferte ihrem Mann den schmachvollen Preis ihrer Schande aus, nachdem ihr verschlagener Liebhaber so ohne Kosten die habsüchtige Schöne genossen hatte.

Zweite Geschichte

Der Pfarrer von Varlungo schläft bei Frau Belcolore und läßt ihr zum Pfand seinen Mantel zurück. Dann borgt er einen Mörser von ihr, schickt diesen zurück und fordert seinen verpfändeten Mantel wieder, den die gute Frau mit spitzigen Worten zurückgibt.


Männer und Frauen lobten einmütig Wolfharts Betrug an der habsüchtigen Mailänderin, als die Königin, zu Panfilo gewendet, ihm lächelnd fortzufahren gebot, worauf er anfing:

Schöne Damen, mir fällt eine Geschichte zum Erzählen ein, die sich gegen jene richtet, die uns fortwährend verletzen, ohne [594] von uns verletzt werden zu können, gegen die Priester nämlich, welche gleichsam gegen alle unsere Frauen auf den Kreuzzug ausgehen und die es dünkt, als hätten sie Ablaß und Sündenvergebung für alle ihre Schuld erworben, wenn sie eine von ihnen unterkriegen können, nicht anders, als hätten sie den Sultan selbst gefesselt von Alexandrien nach Avignon geschleppt. Dies alles können ihnen die armen Laien nicht vergelten, wenngleich sie ihren Zorn an deren Müttern, Schwestern, Freundinnen und Töchtern mit nicht geringerem Eifer rächen, als jene sich auf ihre Frauen stürzen. Deshalb denke ich euch von einer bäurischen Liebschaft zu erzählen, die um ihres Ausgangs willen mehr zum Lachen als wortreich und lang ist. Zugleich könnt ihr daraus die nützliche Lehre ziehen, wie auch den Priestern nicht alles aufs Wort zu glauben sei.

Ich sage euch also, daß zu Varlungo, einem Flecken nicht weit von hier, wie jeder weiß oder doch gehört hat, einst ein rüstiger und im Weiberdienst vielvermögender Priester lebte, der zwar nicht gut lesen konnte, doch mit vielen guten und heiligen Worten sonntags am Fuß der Ulme seine Gemeinde erbaute und besonders fleißig die Frauen besuchte, wenn ihre Männer irgendwohin gegangen waren, wobei er ihnen eifriger als irgendein anderer Priester, der vorher an diesem Platze gewesen war, Festkuchen und geweihtes Wasser, bisweilen auch ein Endchen geweihter Kerze bis ins Haus brachte und ihnen seinen Segen gab.

Diesem geistlichen Herrn nun gefiel unter seinen Bauernweibern, welche ihm der Reihe nach gefallen hatten, besonders eine, die Monna Belcolore hieß. Sie war die Frau eines Landmanns, der sich Bentivegna del Mazzo nennen ließ, und in der Tat eine muntere, frische, braungebrannte und kernige Bäuerin, die zum Mehlmahlen besser taugte als irgendeine andere. Außerdem aber war sie es auch, die im Dorf die Zimbeln am besten schlug und am besten zu singen verstand: »Das Wasser läuft ins Zwiebelfeld«, und die beim Tanz die Ridda und den Ballonchio mit ihrem schönen und feinen Schnupftuch in der Hand besser anzuführen wußte als irgendeine Nachbarin. Um aller dieser Dinge willen verliebte sich denn unser geistlicher Herr so heftig in sie, daß er fast rasend wurde und den ganzen Tag [595] über nichts zu tun wußte, als umherzustreichen und Maulaffen feilzubieten, bloß um sie sehen zu können. Und wenn er sie am Sonntagmorgen in der Kirche wußte, so quälte er sich beim Singen seines Kyrie und Sanktus so sehr, sich als großer Meister im Gesang zu zeigen, daß man einen schreienden Esel zu hören glaubte, während er, wenn er sie nicht sah, leicht genug darüber hinwegging. Bei alledem wußte er es jedoch so einzurichten, daß weder Bentivegna del Mazzo noch irgendeiner seiner Nachbarn etwas davon gewahr wurde.

Um nun aber das Zutrauen der Monna Belcolore mehr und mehr zu gewinnen, beschenkte er sie von Zeit zu Zeit und schickte ihr bald einen Bund frischen Knoblauchs, den er am schönsten in der ganzen Gegend in seinem von ihm eigenhändig bestellten Garten zog, bald einen Korb voll grüner Bohnen und bisweilen eine Mandel voll frischer Maizwiebeln oder Schalotten, und wenn er seine Zeit abpassen konnte, blickte er sie erst ein wenig von der Seite an und machte ihr dann verliebte Vorwürfe. Sie jedoch ging immer, indem sie tat, als verstünde sie ihn nicht, scheu und fremd vorüber, weshalb denn der geistliche Herr auf keine Weise mit ihr zurechtkommen konnte.

Nun geschah es aber eines Tages, als der liebesieche Pfaffe in der brennenden Mittagshitze untätig im Felde umherstrich, daß er dem Bentivegna del Mazzo begegnete, der einen Esel voller Sachen vor sich hertrieb. Diesen redete er an und fragte, wohin er ginge. »Gottstreu«, entgegnete Bentivegna, »bei meiner Seele, Herr, ich gehe nach der Stadt um einer bestimmten Angelegenheit willen und bringe diese Dinge hier dem Herrn Bonaccorri da Ginestreto, daß er mir aus einer Geschichte helfe, um die ich von dem Herrn Perikulator von Gerichtswegen im Parentorio zu erscheinen geladen bin.« Froh erwiderte der Priester hierauf: »Du tust recht, mein Sohn; geh nur mit meinem Segen auf den Weg und kehre bald heim, und wenn dir der Lapuccio oder Naldino begegnet, so vergiß nicht, ihnen zu sagen, sie möchten mir bald die Riemen zu meinen Dreschflegeln bringen.« Bentivegna antwortete, das solle geschehen.

Während nun der Bauer so nach Florenz zu wanderte, fiel dem Priester ein, jetzt sei es Zeit, zur Belcolore zu gehen und sein Glück bei ihr zu versuchen. Schnell nahm er nun den Weg [596] unter die Beine und ging, ohne anzuhalten, bis zu ihrem Hause. Hier trat er ein und sprach: »Gott segne uns – ist niemand daheim?« Die Belcolore, die auf den Boden gegangen war, hörte ihn und antwortete: »O Herr, seid willkommen. Was wandert Ihr denn aber so müßig in der Hitze umher?« »So wahr mir Gott helfe«, antwortete der Priester, »ich kam, um ein Weilchen bei dir zu bleiben, da ich deinen Mann nach der Stadt unterwegs fand.« Nun stieg die Belcolore herab, setzte sich nieder und fing an, den Kohlsamen auszulesen, den ihr Mann kurz vorher gedroschen hatte. Der Pfaffe aber begann das Gespräch: »Nun wohl, Belcolore, willst du mich denn immer auf diese Art vor Liebe verschmachten lassen?« Belcolore fing an zu lachen und sprach: »Was tu ich Euch denn?« »Nichts tust du mir«, sagte der Priester, »aber du läßt mich auch nicht tun, was ich dir gern tun möchte und was der Himmel geboten hat.« »Geht, geht«, sprach Belcolore, »tun denn die geistlichen Herrn auch dergleichen?« »Besser als andere Menschen tun wir es«, versetzte der Priester; »und warum auch nicht? Ich sage dir, wir leisten weit bessere Arbeit als andere, und weißt du auch, warum? Weil wir mit aufgestautem Wasser mahlen. Aber wahrhaftig, dein Schaden soll's nicht sein, wenn du reinen Mund hältst und mich machen läßt.« Nun sprach die Belcolore: »Und inwiefern soll's mein Schaden nicht sein? Seid ihr nicht allesamt knauseriger als der Gottseibeiuns?« »Ich wüßte nicht«, sprach der Pfarrer hierauf. »Fordere nur. Willst du ein Paar neue Schuhe oder ein Stirnband oder ein schönes Stück feines Tuch oder was willst du sonst?« Nun erwiderte die Belcolore: »Schon gut, Herr, dergleichen Dinge habe ich auch. Aber wenn Ihr mich doch so lieb habt, warum erweist Ihr mir dann nicht einen Dienst, wofür ich täte, was Ihr wollt?« »Sprich nur«, sagte der Priester, »sag, was du verlangst, und gern will ich es tun.«

Darauf sagte die Belcolore: »Am Sonnabend muß ich nach Florenz gehen und die Wolle, die ich gesponnen habe, abgeben und meine Spindel ausbessern lassen; und wenn Ihr mir nun fünf Lire borgt, da ich weiß, daß Ihr sie habt, so kann ich meinen schwarzblauen Rock beim Pfandleiher wieder einlösen und meinen ledernen Festtagsgurt mit der Schnalle dazu, den ich meinem Mann in die Ehe gebracht habe. Denn wie Ihr seht, [597] kann ich fürwahr nicht mehr in die Kirche gehen noch sonst irgendwohin, wenn ich ihn nicht habe. Ich will dann auch immer tun, was Ihr haben wollt.« »So wahr mir Gott eine gute Zeit beschere«, antwortete der Pfaffe, »ich habe nicht so viel Geld bei mir. Aber verlaß dich darauf, ehe der Samstag kommt, will ich machen, daß du die fünf Lire haben sollst, und das gern.« »Ja«, sprach die Belcolore, »im Versprechen seid ihr alle groß, aber hinterher haltet ihr keinem Menschen euer Wort. Denkt Ihr's mir zu machen wie der Biliuzza, die Ihr mit leeren Worten heimschicktet? Gottstreu nicht, denn die ist ohnehin eine Hure geworden. Habt Ihr keine fünf Lire bei Euch, so geht und holt sie.« »Ach«, sprach der Priester, »schick mich nicht jetzt bis nach Hause; denn du siehst, ich halte das Glück eben jetzt fest, und kein Mensch ist da. Kehre ich dann zurück, kommt uns vielleicht jemand, der uns hindert, in die Quere, und ich weiß dann nicht, wann's mir wieder so gut glückt wie eben jetzt.« »Schon recht«, entgegnete sie, »wollt Ihr gehen, so geht; wollt Ihr nicht, so haltet aus.«

Der Pfarrer, der sie nicht geneigt sah, ihm ohne das »salvum me fac« seinen Willen zu tun, sagte nun, da er es doch gern »sine custodia« tun wollte: »Sieh, du glaubst mir also nicht, daß ich sie dir bringe? Damit du mir traust, will ich dir diesen meinen blauen Mantel zum Pfande lassen.« Da blickte die Belcolore hoch auf und sprach: »Nun, den Mantel – was ist denn der wohl wert?« »Wie«, sprach der Priester, »was der wert ist? Du mußt wissen, daß er von niederländischem Tuch ist, ins mittelländische übergeht, und daß ihn mancher unter uns für oberländisches hält. Noch sind's nicht vierzehn Tage her, daß er mich beim Trödler Lotto gute sieben Lire kostete, und ich habe ihn noch um fünf Soldi zu wohlfeil gekauft, wie mir Buglietto sagte, der, wie du weißt, sich auf solche farbigen Tuche versteht.« »Wahrhaftig?« rief die Belcolore. »Nun, bei Gott, das hätt ich nimmermehr geglaubt. Doch erst gebt ihn einmal her.«

Der Herr Pfarrer, welcher die Armbrust gespannt hatte, zog sich den Mantel ab und gab ihn ihr. Sie aber legte ihn weg und sagte dann: »Nun, Herr, laßt uns in den Speicher gehen; denn dahin kommt kein Mensch.« Und so taten sie. Hier erfreute [598] sich denn der Pfaffe geraume Zeit an ihr mit den süßesten Schmätzchen der Welt und machte sie zur Verwandtin des Himmels. Dann ging er ohne Mantel weg, als habe er bei einer Hochzeit offiziert, und kehrte zu seiner Kirche heim.

Hier rechnete er nun nach, daß, wie viele Lichterchen er auch im ganzen Jahr an Opfern sammelte, diese doch nicht die Hälfte von fünf Liren wert waren. Nun erkannte er, daß er falsch gehandelt hatte, und es reute ihn so sehr, seinen Mantel zurückgelassen zu haben, daß er über Mittel nachdachte, ihn ohne Auslagen wiederzuerlangen. Und weil er von Natur ziemlich boshaft war, entdeckte er leicht genug, was er zu tun hatte, um ihn wiederzuerhalten, und es gelang ihm in der Tat.

Am folgenden Tag nämlich, einem Festtag, schickte er einen kleinen Knaben aus der Nachbarschaft zu Monna Belcolores Haus und ließ sie bitten, sie möchte doch so gut sein, ihm ihren Steinmörser zu leihen, denn diesen Morgen äßen Binguccio dal Poggio und Nuto Buglietto bei ihm, und er wünsche ihnen eine Brühe zu machen. Die Belcolore schickte ihm den Mörser. Als es nun um die Essenszeit war, paßte der Priester es ab, daß Bentivegna del Mazzo und seine Frau zusammen aßen, rief seinen Chorknaben und sagte zu ihm: »Nimm den Mörser, trag ihn zu Frau Belcolore zurück und sprich: der Herr Pfarrer sagt Euch großen Dank, und Ihr möget ihm doch seinen Mantel wiederschicken, den der Knabe Euch als Pfand zurückgelassen habe.« Der Chorknabe ging mit dem Mörser nach dem Haus der Belcolore und fand sie mit Bentivegna am Tisch beim Mittagessen sitzen. Hier setzte er den Mörser nieder und richtete die Bestellung aus. Als die Bäuerin sich den Mantel abfordern hörte, wollte sie antworten; aber Bentivegna sprach mit zorniger Miene: »Also nimmst du ein Pfand von unserm Herrn Pfarrer an? Beim Leib Christi, ich schwöre dir, daß ich Lust habe, dir eine tüchtige Maulschelle zu versetzen. Daß dich der Henker! Mach, gib ihm den Mantel zurück und nimm dich in acht, daß du ihm nicht versagst, was immer er fordere, und begehre er selbst unseren Esel, geschweige denn etwas anderes.«

Brummend stand die Belcolore nun auf, ging zum Bettschrank hin, zog den Mantel hervor und gab ihn dem Chorknaben, indem sie sagte: »Sprich in meinem Namen so zu dem [599] geistlichen Herrn: die Belcolore gelobt zu Gott, daß Ihr nie wieder eine Brühe in ihrem Mörser stoßen sollt, weil Ihr ihr mit dieser so wenig Ehre gemacht habt.« Dann ging der Knabe mit dem Mantel fort und richtete die Botschaft aus. Lächelnd sagte der Priester zu ihm: »Sag ihr, wenn du sie siehst: wenn sie mir den Mörser nicht mehr borgen will, wollte ich ihr auch den Stößel nicht mehr leihen; eins mag für's andre gehen.«

Bentivegna aber glaubte, die Frau ließe ihm das sagen, weil er sie gescholten hatte, und kümmerte sich nicht weiter darum. Aber Belcolore blieb mit dem Pfarrer auf sehr gespanntem Fuß und maulte mit ihm bis zur Weinlese. Doch als ihr der Pfarrer gedroht hatte, sie geradewegs dem größeren Luzifer in den Rachen zu schicken, söhnte sie sich aus lauter Furcht zwischen Most und heißen Kastanien mit ihm wieder aus, und sie trieben öfter noch ihr lustiges Leben. Statt der fünf Lire aber ließ der Pfarrer ihre Zimbel mit neuem Pergament überziehen und ein Glöcklein daran hängen, und damit war sie zufrieden.

Dritte Geschichte

Calandrino, Bruno und Buffalmacco suchen im Flußbett des Mugnone nach dem Wunderstein Heliotrop, und Calandrino glaubt ihn gefunden zu haben. Mit Steinen beladen kehrt er nach Hause zurück. Die Frau schilt ihn aus. Erzürnt prügelt er sie und erzählt seinen Gefährten, was diese besser wissen als er.


Als Panfilos Geschichte, über welche die Damen so viel gelacht hatten, daß sie wohl noch lachen, beendet war, befahl die Königin der Elisa fortzufahren. Diese begann lachenden Mundes:

Ich weiß nicht, anmutige Mädchen, ob es mir gelingen wird, euch mit meiner kleinen Erzählung, die nicht weniger wahr als spaßhaft ist, so sehr zum Lachen zu bringen, wie es Panfilo mit seiner getan hat; doch will ich mir wenigstens alle Mühe geben.

In unserer Stadt, die immer an wechselnden Sitten und sonderbaren Käuzen reich gewesen ist, lebte vor noch nicht langer Zeit ein Maler namens Calandrino, ein einfältiger Mensch von [600] wunderlichen Sitten, welcher zumeist mit zwei andern Malern umging, von denen der eine Bruno und der andere Buffalmacco hieß, sehr spaßhafte Leute, im übrigen aber aufgeweckt und verständig. Diese verkehrten mit Calandrino vor allem deshalb, weil sein Benehmen und seine Einfalt ihnen oft großen Spaß bereiteten.

Zur gleichen Zeit lebte in Florenz ein junger Mann, dem alles gelang, was er unternahm, dabei lustigen und einnehmenden Wesens war und Maso del Saggio hieß. Dieser hatte etwas von der Einfalt Calandrinos läuten hören und nahm sich nun vor, seinen Scherz mit ihm zu treiben, indem er ihm irgendeinen Streich spielen oder ihm einen Bären aufbinden wollte. Eines Tages nun fand er ihn durch Zufall in der Kirche San Giovanni, und da er ihn aufmerksam vor den Gemälden und Schnitzwerken des Tabernakels, welcher erst kurz vorher über dem Altar dieser Kirche aufgestellt worden war, sitzen und sie betrachten sah, glaubte er, daß Zeit und Ort seinem Unternehmen günstig seien. Nachdem er seinen Begleiter unterrichtet hatte, was er tun wollte, näherten sie sich beide der Stelle, wo Calandrino sich allein befand, und indem sie taten, als bemerkten sie ihn nicht, begannen sie von der Wunderkraft vieler Steine zu sprechen, wobei Maso so eindringlich davon erzählte, als wäre er ein berühmter und großer Steinkundiger gewesen.

Calandrino spitzte bei diesem Gespräch die Ohren, und da er hörte, daß es keine Heimlichkeit war, stand er nach einiger Zeit auf und trat zu ihnen heran. Dies war dem Maso ganz nach Wunsch, und da er nun in seinen Erzählungen fortfuhr, fragte ihn Calandrino bald, wo denn diese so wunderkräftigen Steine eigentlich gefunden würden. Nun erwiderte ihm Maso, die Mehrzahl würde in Plapperstadt, einer Gegend des Baskenlandes, gefunden, in einem Landstrich, der Wohlbekomm's genannt würde, ebenda, wo man auch die Weintrauben mit Bratwürsten anbände und eine Gans für einen Dreier bekäme und ein Gänschen obendrauf. Dort wäre ein Berg aus geriebenem Parmesankäse, auf dem Menschen ständen, die nichts anderes machten als Makkaroni und Eierklöße, die sie in Kapaunenbrühe kochten und dann den Berg hinunterkollern ließen, und [601] wer unten die meisten auffinge, der hätte die meisten. Und nicht weit davon liefe auch ein Bach, ganz von Vernacciawein, vom besten, den man trinken könnte und in dem kein Tropfen Wasser wäre. »Ho, ho!« sprach Calandrino, »das ist ja ein herrliches Land; aber sag mir, was fängt man mit all den Kapaunen an, welche diese Menschen kochen?« »Die essen die Basken alle auf«, sprach Maso. »Bist du jemals dort gewesen?« sprach Calandrino nun. »Du fragst mich, ob ich da gewesen bin?« entgegnete Maso. »Einmal so gut wie tausendmal.« Nun sprach Calandrino: »Und wie viele Meilen sind es bis dahin?« »Mehr als tausend, die ganze Nacht durchsausend«, antwortete Maso. »Nun, so muß es ja weiter sein als die Abruzzen«, entgegnete Calandrino. »Ei, freilich«, versetzte Maso, »ein bißchen weiter ist es schon.«

Da der einfältige Calandrino sah, daß Maso all dies mit ernstem Gesicht und ohne zu lachen berichtete, schenkte er ihm den Glauben, den man nur der sichersten Wahrheit schenken kann. Er hielt alles für zuverlässig und sprach: »Das ist für mich zu weit. Aber wahrhaftig, wenn es näher wäre, ich sage dir, ich ginge einmal mit dir hin, nur um zu sehen, wie die Makkaroni herunterkollern, und mir eine Schüssel voll davon zu holen, woran ich genug hätte. Aber sage mir, du mögest gesegnet sein, findet man denn in unserer Gegend hier keinen von diesen Wundersteinen?« »Ei freilich«, entgegnete Maso, »zwei Steinarten von gar großer Kraft werden hier gefunden. Die ersten sind die Grauwacken von Settignano und Montisci, durch deren Zauberkraft, wenn man sie in Mühlsteine verwandelt hat, das Mehl gemacht wird. Darum sagt man denn auch in jenen Ländern dort drüben: ›Von Gott kommen die Gnaden und von Montisci die Mühlsteine.‹ Aber von diesen Grauwacken gibt es eine solche Menge, daß sie bei uns so wenig geschätzt werden wie dort die Smaragde, von welchen größere Berge vorhanden sind als der Morello und die um Mitternacht so glänzen, daß dich Gott behüte. Und du mußt wissen: wer die fertigen Mühlsteine in Ringe fassen ließe, ehe man das Loch hindurchmacht, und sie so dem Großsultan brächte, der könnte von ihm erlangen, was er begehrte. Die andere Art ist ein Stein, den wir Steinkundigen Heliotrop nennen, ein Stein von gewaltiger [602] Kraft; denn wisse: wer immer ihn trägt, wird, solange er ihn bei sich hat, von niemand dort gesehen, wo er nicht ist.« Nun sagte Calandrino: »Das sind wohl große Zauberkräfte; aber wo wird dieser zweite Stein gefunden?« Maso erwiderte: »Man pflegt sie im Mugnone zu finden.« »Und von welcher Größe ist dieser Stein«, fragte Calandrino, »und welche Farbe hat er?« »Die Größen sind verschieden«, antwortete Maso, »einer ist größer, der andere ist kleiner, aber von Farbe sind sie alle miteinander schwarz.«

Calandrino merkte sich das alles aufs beste, tat dann, als hätte er etwas anderes zu tun, schied von Maso und nahm sich fest vor, nach diesem Stein zu suchen. Doch beschloß er, dies nicht ohne Vorwissen des Bruno und des Buffalmacco, die er besonders liebte, zu tun. Er machte sich also auf die Suche nach den beiden, um ohne Aufschub und vor jedem andern nach jenem Steine auszugehen, und brachte den Rest des Morgens damit zu, ihnen nachzujagen. Zuletzt, als die Mittagsstunde schon längst vorüber war, erinnerte er sich, daß jene im Kloster der Nonnen von Faenza arbeiteten, und wie groß auch die Hitze war, ließ er dennoch jedes andere Geschäft im Stich, eilte schier im Trabe zu ihnen, rief sie herbei und sprach: »Kameraden, wollt ihr mir glauben, so können wir die reichsten Leute von Florenz werden; ich habe nämlich von einem glaubwürdigen Manne soeben gehört, daß sich im Mugnonetal ein Stein findet, welcher den, der ihn an sich trägt, für jedermann unsichtbar macht. Mir scheint daher, daß wir ohne Aufschub und bevor noch jemand anders dahin kommt, eilen müssen, den Stein zu suchen. Gewiß werden wir ihn finden, denn ich kenne ihn. Haben wir ihn aber einmal gefunden, was haben wir dann weiter nötig, als ihn in die Tasche zu stecken und zu den Tischen der Wechsler hinzugehen, die, wie ihr wißt, immer mit Groschen und Guldenstücken beladen sind, und uns soviel davon zu nehmen, wie wir nur immer wollen? Kein Mensch sieht uns dabei, und so können wir in kurzer Zeit reich werden, ohne daß wir nötig hätten, den ganzen Tag nach Art der Schnecken die Wände zu beschmieren.«

Als Bruno und Buffalmacco ihn so reden hörten, fingen sie bei sich zu lachen an und sahen einander an, stellten sich dann [603] aber sehr verwundert und priesen Calandrinos Vorhaben. Buffalmacco fragte ihn jedoch, wie denn dieser Wunderstein hieße. Dem Calandrino, der aus ziemlich grobem Teig geknetet, war der Name bereits entfallen; deshalb versetzte er: »Was kümmert uns der Name, wenn wir nur seine Kraft kennen. Mich dünkt, wir gehen ihn ohne allen Aufschubsuchen.« »Wohlan«, sprach Bruno, »wie aber sieht er aus?« »Es gibt ihn in vielerlei Gestalten«, sagte Calandrino, »aber alle sind fast schwarz. Darum denke ich, wir sammeln alle schwarzen Steine, die wir finden, so lange, bis wir auf diesen treffen. Laßt uns denn keine Zeit verlieren, sondern uns fort auf die Suche machen.«

»Warte noch«, sagte Bruno. Dann fügte er, zu Buffalmacco gewandt, hinzu: »Calandrino scheint mir ganz recht zu haben; doch meine ich, daß die jetzige Stunde wenig dazu geeignet ist, denn die Sonne steht hoch und scheint gerade in das Mugnonetal hinein und trocknet die Steine alle ab, so daß selbst die weiß erscheinen, welche am Morgen, ehe die Sonne sie getrocknet, schwarz aussehen. Außerdem sind heute auch aus verschiedenen Gründen viele Menschen in dem Tal; denn heute ist Werktag, und wenn die uns sehen, könnten sie leicht erraten, was wir dort machten, und es uns nachtun. Der Wunderstein könnte ihnen in die Hände fallen, und wir hätten das Gewisse für das Ungewisse verloren. Drum dünkt mich, wenn auch ihr der Meinung seid, daß dies ein Geschäft für die Morgenstunde sei, wo man die schwarzen Steine besser von den weißen unterscheidet, und dazu für einen Festtag, da dann niemand dort ist, der uns sehen kann.« Buffalmacco lobte den Vorschlag des Bruno, Calandrino stimmte zu, und sie verabredeten daher, am nächsten Sonntagmorgen alle drei zusammen nach diesem Wunderstein zu suchen. Vor allem aber beschwor sie Calandrino, ja keinem Menschen in der Welt etwas zu sagen, da ihm die Sache als ein Geheimnis anvertraut worden sei. Danach erzählte er ihnen noch, was er von dem Schlaraffenland Wohlbekomm's gehört habe, und bekräftigte seine Erzählung mit mehreren Eiden.

Als Calandrino fort war, verabredeten die beiden, was sie nun in dieser Sache zu tun hätten. Calandrino erwartete unterdes mit Sehnsucht den Sonntagmorgen. Der Morgen kam, und er stand bei der ersten Morgenröte auf und rief seine Gefährten [604] herbei. Alle drei gingen sie zum San-Gallo-Tor hinaus, stiegen in die Schlucht hinab und gingen nun, nach dem Wunderstein suchend, immer tiefer hinunter. Calandrino, als der Ungeduldigste, ging voran, sprang behende bald hierhin, bald dorthin, warf sich, sobald er irgendeinen schwarzen Stein erblickte, über ihn, raffte ihn auf und steckte ihn in seine Brusttasche. Seine Genossen folgten ihm und hoben bald den einen, bald den andern Stein auf. Calandrino jedoch war noch nicht weit gekommen, als er schon die Brust voll Steine hatte, weshalb er seine Rockschöße aufhob, einen weiten Sack daraus machte und, nachdem er die Zipfel auf allen Seiten am Gurte befestigt hatte, auch diesen bald so vollfüllte, daß er nach kurzer Zeit aus seinem Mantel noch eine weitere Tasche bilden mußte und diese gleichfalls mit Steinen füllte.

Als Buffalmacco und Bruno den Calandrino so beladen sahen und die Essensstunde herangekommen war, begann Bruno, nach der unter ihnen getroffenen Verabredung, zu Buffalmacco: »Aber wo ist denn Calandrino?« Buffalmacco, der ihn dicht vor sich sah, wandte sich um, blickte hier und dort umher und antwortete: »Ich weiß gar nicht. Er war doch eben erst noch ganz dicht vor uns.« Bruno erwiderte: »Freilich war er das, doch bin ich fast gewiß, daß er jetzt zu Hause beim Essen sitzt, und uns läßt er hier wie die Idioten im Mugnone schwarze Steine suchen.« »Wahrhaftig, er hat es recht gemacht«, sprach Buffalmacco, »daß er uns zum besten gehabt und im Stich gelassen hat. Warum waren wir solche Narren, ihm zu glauben! Traun, wer außer uns wäre auch so einfältig gewesen, daran zu glauben, daß sich im Mugnonetal ein so kostbarer Wunderstein fände?«

Als Calandrino diese Reden hörte, war er überzeugt, daß der gewünschte Stein ihm in die Hände gefallen wäre und infolge seiner Wirkung jene ihn nicht sähen. Dieses Glückfalls wegen über alle Maßen erfreut, beschloß er, ohne ihnen eine Silbe zu antworten, rasch nach Hause umzukehren, und schlich sich mit heimwärtsgewendeten Schritten fort. Als Buffalmacco dies sah, sprach er zu Bruno: »Was sollen wir tun? Warum gehen wir nicht auch heim?« »Laß uns gehen«, antwortete Bruno. »Aber ich schwöre bei Gott, daß mir Calandrino keinen [605] solchen Streich wieder spielen soll; und hätte ich ihn jetzt so nahe, wie ich ihn diesen ganzen Morgen gehabt habe, ich wollte ihm eins mit diesem Kiesel auf die Hacken versetzen, daß er wohl einen Monat lang an diesen Spaß denken sollte.« Und dies sagen und ausholen und den Kiesel dem Calandrino auf die Hacken schleudern, war eins. Calandrino fühlte den Schmerz, hob das Bein hoch und fing zu prusten an: doch bezwang er sich und ging schweigend weiter. Indes nahm auch Buffalmacco einen der Steine, die er gesammelt hatte, in die Hand und sprach zu Bruno: »Sieh, was für ein herrlicher Kiesel! Ich wollte, er führe dem Calandrino in die Seite.« Und damit ließ er ihn fliegen und traf jenen tüchtig an die Hüfte. Und kurz, bald mit der einen, bald mit der andern Stichelrede fuhren sie fort, ihn den Mugnone hinauf bis zum San-Gallo-Tor zu steinigen. Hier warfen sie die Steine, die sie gesammelt hatten, auf die Erde und sprachen einen Augenblick lang mit den Zollwächtern, welche, vorher von ihnen unterrichtet, so taten, als sähen sie den Calandrino nicht, und ihn unter dem herzhaftesten Lachen der Welt vorübergehen ließen.

Dieser setzte ohne anzuhalten seinen Weg nach seinem Hause fort, welches nahe beim Canto alla Macina lag. Und so sehr unterstützte das Glück freundlich diesen Spaß, daß, während Calandrino über den Fluß und dann durch die Stadt ging, niemand ihn anredete. In der Tat begegneten ihm nur wenige, da fast jedermann bei Tische war.

So langte denn Calandrino schwer beladen in seinem Hause an. Zufällig stand seine Frau, die Monna Tessa hieß und eine schöne und wackere Frau war, oben an der Treppe. Da sie ihn kommen sah, begann sie, über sein langes Ausbleiben etwas erzürnt, ihn auszuschelten: »Nun, mein Schatz, führt dich der Teufel endlich heim? Alle Welt hat schon gegessen, wenn du zur Mahlzeit nach Hause kommst!« Als Calandrino das hörte und bemerkte, daß er gesehen wurde, fing er wütend vor Zorn und Verdruß an: »Weh mir, schlechtes Weib, mußt du gerade hier sein? Du hast mich ruiniert. Aber so wahr Gott lebt, du sollst es mir büßen!«

Hierauf sprang er in den Vorsaal, schüttete die große Menge Steine aus, welche er herbeigeschleppt hatte, stürzte dann [606] wütend auf die Frau los, ergriff sie bei den Haaren, warf sie nieder und gab ihr, soviel er Arme und Füße rühren konnte, Stöße und Tritte über den ganzen Körper, ohne ihr ein Haar auf dem Kopf und ein Knöchlein übrigzulassen, das er ihr nicht mürbe gemacht hätte. Und wie sehr sie ihn auch mit gefalteten Händen um Erbarmen anflehte, es nützte sie nichts.

Nachdem Buffalmacco und Bruno mit den Torwächtern noch eine Weile gelacht hatten, folgten sie langsamen Schrittes und etwas von ferne dem Calandrino und hörten nun, als sie an die Schwelle seiner Tür gelangten, die heftigen Prügel, die er seiner Frau verabreichte. Sie taten, als kämen sie eben erst an, und riefen ihm zu. Schweißtriefend, blutrot und atemlos trat Calandrino ans Fenster und bat sie, zu ihm heraufzukommen.

Die beiden stellten sich etwas ärgerlich, gingen hinauf, fanden den Saal voller Steine und in einer Ecke desselben die Frau mit zerrauftem Haar, braun und blau geschlagen, wund und geschwollen im Gesicht und heftig weinend; auf der andern Seite aber saß Calandrino mit gelöstem Gürtel, stöhnend und wie ein todmüder Mensch. Als sie dies eine Zeitlang mit angesehen hatten, sprachen sie: »Was bedeutet das, Calandrino? Willst du mauern, daß wir hier so viele Steine sehen?« Und fügten hinzu: »Und was fehlt Monna Tessa? Es scheint, du hast sie geschlagen. Was sind das für Geschichten?«

Calandrino, erschöpft von der Last der Steine und von der Wut, mit der er seine Frau geschlagen hatte, und von dem Verdruß über das Glück, das er verloren zu haben glaubte, brachte nicht Atem genug für eine zusammenhängende Erwiderung auf. Als er so zu reden zögerte, begann Buffalmacco von neuem: »Calandrino, wenn du andere Ursachen zum Zorn hattest, so hättest du uns nicht zum Narren haben brauchen, wie du getan hast. Denn nachdem du uns hinaufgeführt hattest, um mit dir nach dem köstlichen Stein zu suchen, hast du uns, ohne ›Gott befohlen‹ oder ›Geht zum Henker‹ zu sagen, wie ein paar Maulaffen draußen in der Schlucht stehen lassen und bist nach Hause gegangen, was wir dir sehr übelnehmen. Aber wahrhaftig, es ist das letzte Mal, daß du uns solche Streiche spieltest.«

Bei diesen Worten tat sich Calandrino Gewalt an und antwortete: [607] »Kameraden, seid nicht böse, die Sache steht anders, als ihr denkt. Ich Unglücklicher hatte diesen Stein wirklich gefunden. Und wollt ihr sehen, ob ich euch die Wahrheit sage? Als ihr euch einander fragtet, war ich nicht zehn Ellen weit von euch entfernt, und da ich sah, daß ihr eures Weges ginget, ohne mich zu sehen, kehrte ich in die Stadt zurück und bin immer dicht vor euch hergegangen.« Und nun erzählte er ihnen vom Anfang bis zum Ende, was sie getan und gesagt, zeigte ihnen seinen Rücken und seine Fersen, wie sie dieselben mit ihren Kieseln zugerichtet hatten, und fuhr dann fort: »Und ich sage euch, als ich mit all diesen Steinen auf der Brust, die ihr hier seht, durch das Tor ging, wurde mir kein Wort gesagt, und ihr wißt doch, wie unangenehm und plagend sonst diese Torhüter sind und wie sie alles sehen wollen. Außerdem habe ich auf der Straße Gevattern und Freunde genug angetroffen, die mich sonst immer anreden und zum Trinken einladen. Doch keiner war unter ihnen, der mir auch nur ein einziges, ja nur ein halbes Wort sagte, denn sie sahen mich natürlich nicht. Da komme ich denn hier im Hause an. Der Teufel von einem verdammten Weib tritt mir in den Weg und sieht mich. Wie ihr aber wißt, rauben die Weiber jedem Dinge die Kraft, und so bin ich, der ich mich den glücklichsten Menschen von Florenz nennen konnte, durch sie zum unglücklichsten geworden, und darum habe ich sie zerbleut, solange ich die Hände habe rühren können, und noch weiß ich nicht, warum ich mich beherrsche und ihr nicht die Adern aufschneide; denn verdammt sei die Stunde, wo ich sie zuerst sah und wo sie mir ins Haus kam.«

Und von neuem von Zorn ergriffen, wollte er aufstehen, um sie abermals zu prügeln. Während nun Buffalmacco und Bruno dies alles mit anhörten, stellten sie sich höchst erstaunt, und indem sie oft bestätigten, was Calandrino sagte, hatten sie so große Lust zu lachen, daß sie fast herausplatzten. Als sie ihn aber wütend aufspringen sahen, um seine Frau von neuem zu schlagen, traten sie ihm entgegen, hielten ihn zurück und versicherten ihm, daran habe die Frau durchaus keine Schuld, sondern er allein, da er wisse, daß die Frauen allen Dingen die Kraft raubten und ihr doch nicht gesagt habe, daß sie sich hüten möge, ihm an diesem Tage zu begegnen. Diese Voraussicht [608] aber habe ihm Gott geraubt, entweder weil ihm dies Glück nicht zuteil werden sollte, oder weil er die Absicht gehabt habe, seine Gefährten zu täuschen, welchen er es hätte mitteilen sollen, als er gewahr ward, daß er den Stein gefunden hatte. Und als sie nach vielem Hin-und Widerreden die weinende Frau nicht ohne große Mühe wieder mit ihm ausgesöhnt hatten, schieden sie, indem sie ihn trübsinnig in seinem Hause voller Steine zurückließen.

Vierte Geschichte

Der Propst von Fiesole liebt eine Witwe, von der er nicht wiedergeliebt wird. Während er bei ihr zu schlafen glaubt, beschläft er ihre Magd, mit der ihn die Brüder der Frau von seinem Bischof ertappen lassen.


Elisa war mit ihrer Geschichte, die sie nicht ohne großes Ergötzen der ganzen Gesellschaft erzählt hatte, zu Ende. Die Königin wandte sich nun zu Emilia und deutete ihr dadurch an, daß sie nun ihr zu erzählen gebiete. Diese begann daher schnell in folgender Art:

Wie sehr, ihr wackeren Mädchen, die Priester und die Mönche und überhaupt alle Geistlichen Versucher unserer Gemüter sind, wurde euch, wie ich mich erinnere, schon durch mehr als eine Geschichte bewiesen. Aber weil man nie so viel davon erzählen kann, daß nicht noch mehr davon zu sagen wäre, so gedenke ich euch zu jenen anderen noch eine Geschichte von einem Propst zu erzählen, welcher der ganzen Welt zum Trotz es durchsetzen wollte, daß eine edle Frau ihn liebe, mochte sie nun wollen oder nicht. Diese aber behandelte ihn, weil sie klug war, gerade so, wie er es verdiente.

Wie jede von euch weiß, war Fiesole, dessen Berg wir von hier aus sehen können, eine alte und sehr bedeutende Stadt, die, obgleich jetzt fast zerstört, darum doch nie aufgehört hat, ihren Bischof zu besitzen und ihn noch besitzt. Hier nun, nahe beim Dom, wohnte einst eine Witwe von guter Familie, namens Monna Piccarda, auf ihrem Gute in einem nicht allzu großen[609] Hause. Da sie nicht eben die reichste Frau auf Erden war, so verlebte sie hier den größten Teil des Jahres, und mit ihr zwei von ihren Brüdern, wackere junge Leute von Anstand und Sitte.

Während die Dame den Dom oft besuchte, geschah es, weil sie noch jung, schön und anmutig war, daß der Propst dieser Kirche sich so heftig in sie verliebte, daß er bald nicht mehr aus noch ein wußte. Nach einiger Zeit wuchs ihm der Mut so sehr, daß er selbst der Dame seine Wünsche offenbarte und sie beschwor, seine Liebe anzunehmen und ihn wiederzulieben, wie er sie. Dieser Propst war in den Jahren schon vorgerückt, aber dabei noch von jugendlicher Gemütsart, unternehmend und keck, daneben höchst eingenommen von sich selbst und von so geziertem und unangenehmem Betragen, daß niemand im Ort war, der ihm wohlwollte. Und gab es ja jemand, der ihn einigermaßen leiden mochte, so war es doch nicht unsere Dame, der er verhaßter war als Kopfschmerzen. Deshalb antwortete sie ihm denn als eine kluge Frau: »Herr, daß Ihr mich liebt, kann mir nur sehr angenehm sein, und auch ich muß und werde Euch gern lieben. Allein in Eure wie in meine Liebe darf sich nichts Unehrbares einschleichen. Ihr seid mein geistlicher Vater, seid Priester und dem Alter schon nahe. Alle diese Dinge müssen Euch ehrbar und züchtig machen. Auf der andern Seite bin ich aber selbst kein junges Mädchen mehr, dem dergleichen Liebschaften noch anständen. Ich bin Witwe, und Ihr wißt, welche Ehrbarkeit man von Witwen verlangt. Darum haltet mich denn für entschuldigt, wenn ich Euch so, wie Ihr begehrt, nie lieben werde, noch von Euch ferner so geliebt sein will.«

Da der Herr Propst für diesmal keine andere Antwort von ihr erlangen konnte, machte er es nicht wie einer, der auf den ersten Streich abgeschreckt wird oder sich besiegt fühlt, sondern, seine unverschämte Zudringlichkeit fortsetzend, ließ er nicht ab, sie häufig mit Briefen und Bestellungen, ja auch persönlich, sooft er sie in der Kirche sah, zu behelligen. Diese beständige Plage schien der Dame endlich so lästig und unerträglich, daß sie darüber nachsann, ihn sich auf solch eine Weise vom Halse zu schaffen, wie er sie verdiente. Doch wollte sie nichts unternehmen, was sie nicht vorher mit ihren Brüdern besprochen [610] hätte. Sie sagte ihnen daher, wie der Propst sich ihr gegenüber benähme, auch was sie zu tun gesonnen sei, und nachdem sie ihre volle Zustimmung erhalten hatte, ging sie einige Tage darauf wieder in die Kirche, wie sie gewohnt war.

Sobald der Propst sie kommen sah, eilte er zu ihr und fing nach seiner Gewohnheit mit vertraulichen Worten ein Gespräch mit ihr an. Sie blickte, schon als sie ihn kommen sah, nach ihm hin, machte ihm ein freundliches Gesicht und ging dann mit ihm beiseite. Nachdem der Propst ihr nun in seiner üblichen Art vielerlei gesagt hatte, sprach sie nach einem lauten Seufzer: »Herr, ich habe schon oft gehört, es sei keine Burg so fest, daß sie nicht, wenn sie täglich bestürmt wird, endlich doch einmal eingenommen werde. Dies habe ich nun auch an mir selbst erfahren. So sehr habt Ihr mir bald mit süßen Worten, bald mit dieser, bald mit jener Aufmerksamkeit zugesetzt, daß Ihr mich meinen Vorsatz aufzugeben bewogen habt. Und da ich Euch nun einmal so sehr gefalle, bin ich entschlossen, die Eurige zu werden.«

Der Propst, ganz außer sich vor Freude, erwiderte hierauf: »Großen Dank, Madonna! Euch die Wahrheit zu gestehen, so habe ich mich nicht wenig gewundert, daß Ihr Euch so lange gehalten habt; denn ich bedachte, daß mir dies nie bei einer andern begegnet ist. Vielmehr habe ich öfter behauptet, daß, wenn die Weiber von Silber wären, sie nicht zum Gelde taugten, weil keine von ihnen den Hammer aushielte. Doch lassen wir das jetzt beiseite und sagt mir lieber, wann und wo wir zusammentreffen können.« Hierauf versetzte die Frau: »Mein süßer Herr, das Wann kann stattfinden, sobald es uns gefällt, denn ich habe keinen Gatten, dem ich Rechenschaft von meinen Nächten geben müßte; allein das Wo weiß ich nicht zu ersinnen.« »Nicht?« sprach der Propst; »warum nicht in Eurem Hause?« »Herr«, entgegnete die Frau, »Ihr wißt, daß ich zwei junge Brüder habe, welche bei Tag und Nacht mit ihrer Gesellschaft in das Haus kommen. Weil aber mein Haus nicht groß ist, wäre einer darin nur sicher, wenn er sich wie ein Stummer, ohne ein Wort oder einen Laut von sich zu geben, zu verhalten und wie ein Blinder im Finstern umherzutappen [611] wüßte. Wollten wir das tun, könnten wir es; denn in meine Kammer kommen sie niemals. Allein die ihrige ist dieser so nahe, daß man darin kein Wörtchen so leise sprechen kann, daß es dort nicht gehört würde.« »Nun«, sprach der Propst, »Madonna, darum wollen wir es nicht noch einige Nächte aufschieben; unterdes werde ich darüber nachdenken, wo wir mit mehr Gemächlichkeit anderwärts zusammensein können.« »Das ist Eure Sache, Herr«, sprach die Dame. »Aber um dies eine bitte ich Euch, daß alles geheim bleibe und nie ein Wort davon verraten werde.« Hierauf erwiderte der Propst: »Fürchtet nichts, Madonna, und kann es sein, so macht, daß wir noch diesen Abend zusammentreffen.« »Das bin ich auch zufrieden«, sagte die Dame. Dann gab sie ihm Anweisungen, wie und wann er zu kommen habe, trennte sich von ihm und kehrte nach Hause zurück.

Nun hatte diese Dame eine Magd, die nicht mehr allzu jung war und das häßlichste und entstellteste Gesicht besaß, das man sehen konnte. Ihre Nase war breitgedrückt, der Mund stand schief, die Lippen waren dick, die Zähne groß und schlecht zusammengefügt; sie schielte, nie waren ihre Augen gesund, und ihre Haut sah so grün und gelb aus, daß es schien, als hätte sie den Sommer nicht in Fiesole, sondern in Sinigaglia zugebracht. Zu alldem war sie auch noch lahm, und ihr rechtes Bein war etwas zu kurz geraten. Ihr Name aber war Ciuta, und weil sie solch ein garstiges Mopsgesicht hatte, wurde sie von jedermann Ciutazza genannt. Doch so widerwärtig sie auch von Gestalt war, so fehlte es ihr doch nicht an einiger Schlauheit.

Diese Magd nun ließ die Dame zu sich rufen und sprach zu ihr: »Ciutazza, wenn du mir diese Nacht einen Dienst erweisen willst, so schenke ich dir ein schönes neues Hemd.« Als Ciutazza das Hemd erwähnen hörte, sagte sie: »Madonna, schenkt Ihr mir ein Hemd, so stürze ich mich für Euch ins Feuer.« »Nun gut«, sprach die Dame, »ich will nur, daß du diese Nacht mit einem Mann in meinem Bett schläfst und ihm Liebkosungen erweist. Du mußt dich nur zu sprechen hüten, damit du nicht von meinen Brüdern gehört wirst, die, wie du weißt, nebenan schlafen; dann will ich dir das Hemd schenken.« [612] Hierauf sprach Ciutazza: »Mit sechsen will ich schlafen, wenn es darauf ankommt, geschweige denn mit einem.«

Als nun der Abend gekommen war, kam auch der Herr Propst, wie ihm geheißen war, und die beiden jungen Männer befanden sich, wie die Dame mit ihnen verabredet hatte, in ihrem Zimmer und ließen sich deutlich vernehmen. Deshalb trat der Propst still und im Finstern in die Kammer der Frau und näherte sich, wie sie ihm gesagt hatte, dem Bett. Von der andern Seite tat die Ciutazza, die von der Frau über alles, was sie zu tun hatte, wohl unterrichtet war, desgleichen. Der Herr Propst glaubte sich nun an der Seite seiner Geliebten, nahm die Ciutazza in den Arm und fing an sie zu küssen, ohne ein Wort zu reden, und sie küßte ihn ebenso. So begann er sich mit ihr zu freuen und von den lange ersehnten Gütern Besitz zu nehmen.

Als die Dame dies geschehen wußte, gebot sie ihren Brüdern, das übrige noch zu tun, was sie verabredet hatten. Diese verließen daher leise ihr Zimmer und gingen zum Marktplatz, wo ihnen das Glück zu ihrem Unternehmen günstiger war, als sie selbst verlangten. Denn da die Hitze groß war, hatte der Bischof der Stadt nach eben diesen beiden jungen Leuten gefragt, um nach ihrem Hause zu lustwandeln und mit ihnen zu trinken. Als er sie nun kommen sah, teilte er ihnen seine Absicht mit, machte sich mit ihnen auf den Weg, trat dann in ihren kühlen Hof, wo viele Lichter brannten, und trank mit großem Vergnügen von ihrem guten Wein.

Nachdem er getrunken hatte, sprachen die Jünglinge zu ihm: »Herr, da Ihr uns so große Güte erwiesen und unser geringes Haus eines Besuchs gewürdigt habt, in das wir Euch einzuladen kamen, so bitten wir Euch auch, daß es Euch gefallen möge, eine Kleinigkeit mit anzusehen, die wir Euch zeigen wollen.« Der Bischof erwiderte, daß er das gern wolle. Nun nahm einer der Jünglinge eine kleine brennende Fackel in die Hand, ging voran, so daß der Bischof und die andern ihm folgten, und wandte sich nach jener Kammer, wo der Herr Propst bei der Ciutazza lag. Dieser, um desto schneller anzukommen, hatte seinem Pferde die Sporen gegeben, so daß er, bevor jene eintraten, schon mehr als drei Meilen zurückgelegt hatte, jetzt[613] aber, etwas ermüdet, der Hitze ungeachtet mit der Ciutazza im Arm ein wenig ruhte.

Als nun der junge Mann mit dem Licht in der Hand die Kammer betreten hatte, und der Bischof und die andern hinterher, sah der letztere den Propst mit der Ciutazza im Arm vor sich. Unterdessen erwachte auch der Herr Propst, sah das Licht und die Gesellschaft um sich her und steckte tief beschämt und voller Furcht den Kopf unter die Decke. Der Bischof aber sagte ihm die härtesten Worte, ließ ihm den Kopf hervorziehen und nachsehen, bei wem er gelegen hatte. Der Propst, der nun den Betrug der Dame gewahr ward, wurde sowohl dieserhalb als auch der Schmach wegen, die er jetzt daraus erntete, plötzlich betrübter als irgendein Mensch, der je gelebt hatte. Der Bischof aber befahl ihm, sich anzukleiden, und ließ ihn unter guter Bewachung nach Hause abführen, um hier eine schwere Buße für die begangene Sünde zu bestehen.

Dann wollte der Bischof wissen, wie es geschehen sei, daß er hierher gekommen, um bei der Ciutazza zu schlafen. Die jungen Leute erzählten ihm alles der Ordnung nach. Als der Bischof dies hörte, lobte er die Frau und auch die jungen Männer sehr, welche, ohne sich mit dem Blut eines Priesters die Hände beflecken zu wollen, ihn doch so behandelt hatten, wie er es verdiente. Vierzig Tage lang ließ ihn der Bischof diese Sünde beweinen. Die Tränen aber, die Liebe und Zorn ihm auspreßten, dauerten wohl mehr als neunundvierzig Tage, abgesehen davon, daß er noch lange Zeit nachher nie über die Straße gehen konnte, ohne daß die Buben mit den Fingern auf ihn wiesen und sagten: »Ei, seht doch den, der bei der Ciutazza geschlafen hat!« Und dies gereichte ihm so zum Ärger, daß er nahe daran war, den Verstand darüber zu verlieren.

Auf diese Art aber hatte sich die treffliche Frau den lästigen Propst für immer vom Halse geschafft, die Ciutazza aber hatte ein Hemd und eine schöne Nacht gewonnen.

[614] Fünfte Geschichte

Drei junge Leute ziehen einem Richter aus der Mark die Hosen herunter, während er in Florenz auf der Gerichtsbank sitzt und Recht spricht.


Emilia hatte ihre Erzählung beendet, und die Witwe war von allen gelobt worden, als die Königin, auf Filostrato blickend, sprach: »Nun ist die Reihe zu erzählen an dir.« Er entgegnete, daß er bereit sei, und begann:

Anmutige Damen, der junge Mensch, dessen Elisa vorhin gedachte, Maso del Saggio nämlich, ist die Ursache, daß ich eine Geschichte, die ich euch erzählen wollte, zurückstelle, um euch eine andere vorzutragen, die von eben diesem Maso und einigen seiner Gefährten handelt und weiter nicht unanständig ist, aber einige Worte enthält, die ihr euch zu gebrauchen scheut. Trotzdem ist sie aber so zum Lachen, daß ich sie euch erzählen will.

Wie ihr alle gehört haben mögt, kommen häufig Gerichtspfleger aus der Mark in unsere Stadt, meist Menschen von niedriger Denkart und so filziger und elender Lebensweise, daß jede ihrer Handlungen wie eine waschechte Knauserei ausschaut. Aus diesem ihnen angebornen Geiz und ihrer Filzigkeit führen sie denn auch meist Richter und Notare mit sich, welche eher das Aussehen von Leuten haben, die man hinter der Pflugschar weggenommen oder aus den Schusterbuden entführt hat, und nicht von Männern, die aus den Rechtsschulen hervorgingen.

Als nun einst ein solcher als Podesta erschien, brachte er unter den zahlreichen Richtern, die mit ihm waren, auch einen mit, der sich Messer Niccola da San Lepidio nennen ließ, ein Mensch, der einem Schlossergesellen aufs Haar glich; und dieser wurde nun mit andern Richtern zur Abhörung der Kriminalklagen eingesetzt. Und wie es zu geschehen pflegt, daß auch Bürger, die nicht das geringste dort zu tun haben, ins Gerichtsgebäude gehen, so ereignete es sich, daß Maso del Saggio eines Morgens auf der Suche nach einem Freund sich dorthin begab. Als er nun zufällig dahin blickte, wo Herr Niccola saß, schien ihm dieser Herr ein so besonderer Vogel, daß er sich die Mühe [615] machte, ihn genauer zu betrachten. Obgleich er die ganz schwarzgeräucherte Pelzmütze auf seinem Haupt, das Schreibzeug an seinem Gürtel, seine Weste, die länger als der Rock war, und viele andere Dinge genau ins Auge faßte, die bei einem ordentlichen und wohlerzogenen Manne schon sonderbar genug gewesen wären, so fiel ihm unter all diesen Seltsamkeiten doch eine auf, die seiner Meinung nach noch bemerkenswerter war als alles übrige: ein Paar Hosen, deren Hinterteil er, da die Oberkleider wegen ihrer Enge sich beim Sitzen vorn ganz auseinandergaben, bis auf die halbe Wade herunterhängen sah.

Ohne sie lange weiter zu betrachten, gab Maso das Suchen nach jenem Freunde auf und begann dafür eine neue Jagd, in deren Verlauf er zwei Kameraden fand, von denen der eine Ribi, der andere Matteuzzo hieß, beides Leute, die nicht weniger zu Schelmenstreichen aufgelegt waren als er selbst. Zu diesen sprach er: »Wenn euch etwas an mir liegt, so kommt mit mir ins Gerichtshaus. Dort will ich euch den seltsamsten Strohkopf zeigen, den ihr je gesehen habt.« Und als er nun mit ihnen das Gebäude erreicht hatte, wies er ihnen den närrischen Richter und seine Hosen. Jene fingen schon von ferne an, über diese Erscheinung zu lachen, und wie sie nun näher zu den Bänken kamen, auf denen der Herr Richter saß, sahen sie, daß man sehr leicht unter diese gelangen konnte, und bemerkten noch überdies, daß das Brett, auf welches der Herr Richter die Beine stützte, durchlöchert war, so daß man ohne große Mühe Hand und Arm hindurchstecken konnte. Nun sprach Maso zu seinen Kameraden: »Laßt uns ihm die Hosen ganz herunterziehen. Ihr seht ja, wie leicht das geht.« Jeder seiner Gesellen hatte nun schon erkannt, wie sie das bewerkstelligen konnten. Sie verabredeten daher, was sie zu tun und zu sagen hätten, und kehrten dann am folgenden Morgen zurück.

Der Gerichtshof wimmelte von Menschen, und Matteuzzo schlich sich, ohne daß jemand es gewahr wurde, unter die Bank und gerade bis zu der Stelle, wo der Richter seine Füße hatte. Nun trat Maso von der einen Seite heran, ergriff den Herrn Richter beim Rockzipfel und Ribi tat von der andern Seite desgleichen, worauf Maso zu reden anhob: »Herr, o Herr, ich beschwöre Euch bei Gott und ehe jener Spitzbube, der Euch [616] zur Seite steht, anderswohin entweicht, daß Ihr mir zu einem Paar Stiefeln wiederverhelft, die er mir gestohlen hat, wenn er's auch leugnet. Ich habe es gesehen, noch ist es keinen Monat her, wie er sie besohlen ließ.«

Ribi schrie von der andern Seite laut: »Glaubt ihm nicht, Herr, er ist ein unverschämter Geselle. Weil er weiß, daß ich gekommen bin, um ein Felleisen zurückzufordern, das er mir gestohlen hat, so drängt er sich nun herbei und erzählt Euch von den Stiefeln, die ich schon seit langem im Hause habe; und wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so kann ich Euch die Hökerin Trecca, meine Nachbarin, und Grassa, die Kuttelhändlerin, und einen Mann zu Zeugen stellen, der den Kehricht bei Santa Maria a Verzaja sammelt und ihn gesehen hat, wie er vom Dorfe zurückkam.«

Maso wiederum ließ den Ribi nicht aussprechen, sondern schrie, und Ribi schrie nicht minder. Und während der Richter nun aufgestanden war und etwas näher zu ihnen hintrat, um sie besser zu verstehen, nahm Matteuzzo den Augenblick wahr, steckte die Hand durch das Loch des Brettes, ergriff den Boden der richterlichen Hosen und zog diese kräftig herunter. Die Hosen fielen sogleich herab, denn der Richter war sehr mager und ohne Hüften. Als dieser es merkte und ohne zu wissen, wie es zuging, die Kleider vorne zusammennehmen, sich bedecken und niedersetzen wollte, hielt ihn Maso von der einen und Ribi von der andern Seite fest und schrien überlaut: »Herr, Ihr versündigt Euch, wenn Ihr mir nicht mein Recht verschafft und mich anhört, statt weggehen zu wollen. Einer solchen Kleinigkeit wegen reicht man ja hierzulande keine schriftliche Klage ein.«

Und mit solchen Worten hielten sie ihn so lange an den Kleidern fest, bis alle, die im Gerichtssaal zugegen waren, gesehen hatten, daß ihm die Hosen heruntergezogen worden waren. Doch nachdem Matteuzzo sie eine Zeitlang festgehalten hatte, ließ er die Hosen los, schlich sich weg und ging fort, ohne gesehen zu werden. Ribi, der nun genug getan zu haben glaubte, rief: »Ich glaube bei Gott, ich werde das Obergericht anrufen!« Auch Maso ließ von der andern Seite den Rock los und rief: »Nein, ich will so lange herkommen, bis ich Euch nicht mehr [617] so beschäftigt finde, wie Ihr es heute morgen zu sein scheint.« Und nun machten sie sich davon, so schnell sie nur konnten: der eine hierhin, der andere dorthin.

Nachdem der Herr Richter, der nun erst gewahr wurde, was geschehen war, sich in Gegenwart aller die Hosen wieder hinaufgezogen hatte, als stände er eben von Schlafe auf, fragte er, wo die Leute hingekommen wären, die über die Stiefel und das Felleisen miteinander gestritten hätten. Als sie aber nirgends zu finden waren, schwor er bei den Eingeweiden Christi ein Mal über das andere, daß er erfahren und wissen müsse, ob es in Florenz Sitte sei, den Richtern die Hosen herunterzuziehen, während sie auf der Gerichtsbank säßen. Nicht minder machte der Podesta, als er von der Geschichte hörte, viel Aufhebens davon. Als ihm jedoch seine Freunde auseinandersetzten, daß dies jenem nur widerfahren sei, um ihm, dem Podesta, zu zeigen, wie die Florentiner wohl wüßten, daß er ihnen statt tauglicher Richter Schafsköpfe gebracht habe, nur um wohlfeileren Kaufes davonzukommen, hielt er es für das beste, zu schweigen, und für diesmal blieb die Sache ohne weitere Folgen.

Sechste Geschichte

Bruno und Buffalmacco entwenden Calandrino ein Schwein und lassen ihn daraufhin den Versuch machen, es durch Ingwerkuchen und Vernacciawein wiederzuentdecken. Ihm aber geben sie hintereinander zwei mit Aloe angemachte Hundekuchen, die er des bitteren Geschmacks wegen ausspuckt, so daß es scheint, als habe er selbst das Schwein gestohlen. Danach lassen sie ihn sich auch noch loskaufen, da er nicht will, daß seine Frau von der Geschichte erfährt.


Kaum war die Geschichte des Filostrato, über die sehr viel gelacht ward, zu Ende, als die Königin Filomena gebot, im Erzählen fortzufahren. Diese begann deshalb:

Anmutige Mädchen, so wie Filostrato durch den Namen Masos veranlaßt wurde, euch die Geschichte zu erzählen, die ihr eben gehört habt, so werde ich durch Calandrinos und [618] seiner Gesellen Namen bewogen, von diesen eine andere Begebenheit zu berichten, die, wie ich denke, euch gefallen wird.

Wer Calandrino, Bruno und Buffalmacco waren, brauche ich euch nicht erst zu sagen, denn ihr habt es vorhin erst ausführlich vernommen. Darum fahre ich denn fort und berichte euch, daß unser Calandrino nicht fern von Florenz ein kleines Gut besaß, das er als Mitgift von seiner Frau bekommen hatte. Neben anderem, das er hier aufzog, pflegte er auch jedes Jahr ein Schwein zu halten, und seine Gewohnheit war es nun, daß er im Dezember mit seiner Frau dorthin ging, um das Tier zu schlachten und einsalzen zu lassen.

Nun geschah es aber einmal, daß Calandrino, weil seine Frau nicht ganz wohl war, allein hinausging, um das Schwein zu schlachten. Als Bruno und Buffalmacco dies hörten und erfuhren, daß seine Frau nicht mitgegangen war, begaben sie sich zu einem Priester, der ihnen sehr befreundet und ein Nachbar Calandrinos war, um bei diesem einige Tage zu verweilen. Gerade am Morgen des Tages, da sie dort eintrafen, hatte Calandrino das Schwein geschlachtet, und als er sie nun bei dem Priester sah, rief er sie zu sich und sprach: »Willkommen, Freunde, ihr müßt sehen, was ich für ein Landwirt bin.« Damit führte er sie in sein Haus und zeigte ihnen das Schwein. Sie sahen es, fanden es vortrefflich und hörten von Calandrino, daß er es für seinen Haushalt einsalzen wolle. Da sagte Bruno zu ihm: »Was bist du dumm! Verkauf es doch lieber, und laß uns das Geld durchbringen. Deiner Frau kannst du ja sagen, es sei dir gestohlen worden.« »Nein«, antwortete Calandrino, »sie glaubte mir nicht und jagte mich zum Hause hinaus. Gebt euch keine Mühe, das tu ich nimmermehr.« Viel Worte wurden noch gewechselt, aber sie führten zu nichts.

Calandrino lud sie darauf mit verdrießlicher Miene zum Abendessen ein, weshalb jene es nicht annehmen wollten und von ihm schieden. Bruno sprach zu Buffalmacco: »Wollen wir ihm diese Nacht das Schwein stehlen?« »Oh, wie könnten wir?« antwortete Buffalmacco. »Das Wie habe ich schon herausgebracht, wenn er es nicht von da wegbringt, wo es eben hing.« »Nun, so tun wir es«, sagte Buffalmacco. »Warum auch sollten wir's nicht tun? Nachher verzehren wir es hier mit dem Domine.« Der Priester [619] sagte, es soll ihm nur lieb sein. Darauf sprach Bruno: »Hier gilt es eine kleine List. Du weißt, Buffalmacco, welch ein Knauser Calandrino ist und wie gern er trinkt, wenn ein anderer die Zeche bezahlt. Kommt, wir wollen ihn in die Schenke führen. Dort mag der Priester dann so tun, als bezahle er alles uns zu Ehren, und ihn nichts bezahlen lassen. Gewiß wird er sich dann ein Räuschchen trinken, und dann wird uns die Sache leicht werden, da er ja ganz allein im Hause ist.«

Und sie taten so, wie Bruno gesagt hatte. Sobald Calandrino sah, daß der Geistliche niemand bezahlen ließ, machte er sich ans Trinken, und obwohl er nicht viel brauchte, so trank er sich doch reichlich voll. Da es nun schon spät in der Nacht war, als er aus der Schenke schied, trat er, ohne weiter Appetit auf ein Abendessen zu haben, in sein Haus, ließ die Tür, die er verschlossen zu haben glaubte, auf und legte sich zu Bett. Buffalmacco und Bruno aber gingen mit dem Priester und machten sich, nachdem sie gegessen hatten, mit allerhand Diebsgerät, das ihnen in Calandrinos Haus Eingang verschaffen sollte, in aller Stille dorthin auf den Weg. Doch da sie die Tür offen fanden, traten sie ohne weiteres ein, machten das Schwein los und trugen es in des Priesters Haus, wo sie es versteckten und dann zur Ruhe gingen.

Calandrino erhob sich am andern Morgen, nachdem der Weindunst aus seinem Kopf verflogen war, kam herunter und fand sein Schwein nicht mehr, dafür aber die Tür offen. Bestürzt fragte er diesen und jenen, ob sie nicht wüßten, wer das Schwein genommen habe; und da er es nicht wiederfand, machte er einen gewaltigen Lärm: ihm Armen, ihm Unglücklichen habe man das Schwein gestohlen.

Als auch Bruno und Buffalmacco aufgestanden waren, gingen sie zu Calandrino, um zu hören, was er von seinem Schwein sagen würde. Sobald er sie kommen sah, rief er sie schier mit Tränen in den Augen herbei und sprach: »Weh mir, ihr Gesellen, mir ist mein Schwein gestohlen worden.« Bruno näherte sich ihm und sagte heimlich: »Fürwahr, ein Wunder, daß du endlich einmal gescheit gewesen bist.« »Weh mir«, rief Calandrino, »ich sage die Wahrheit.« »Sprich nur immer so«, redete ihm Bruno zu, »schrei nur laut, damit es recht so aussieht, als sei es [620] wahr.« Nun schrie Calandrino nur noch lauter und rief: »Beim Leibe Christi, ich sage die Wahrheit; es ist mir wirklich gestohlen worden.« Doch Bruno erwiderte: »Nur zu, nur immer zu, so ist es recht. Schrei gewaltig, daß alle darauf hören und die Sache richtig erscheint.«

»Du könntest mich meine Seele dem bösen Feind verschreiben machen«, sprach Calandrino. »Es scheint, du glaubst mir nicht. Wahrhaftig, ich will an der Gurgel aufgehängt werden, wenn es mir nicht gestohlen worden ist.« »Oh«, entgegnete nun Bruno, »wie kann das möglich sein? Ich sah es ja erst gestern noch hier. Denkst du mir weiszumachen, daß es gestohlen sei?« »Es ist, wie ich dir sage«, sprach Calandrino. »Ach, wäre das möglich?« sagte Bruno nun. »Wahrhaftig, so ist's«, sagte Calandrino. »Das macht mich zum unglücklichsten aller Männer, und ich weiß nicht, wie ich nach Hause zurückkehren soll. Meine Frau wird mir's nicht glauben, und glaubt sie's auch, so werd ich doch das ganze Jahr keine Ruhe vor ihr haben.« »Nun«, sprach Bruno, »so wahr mir Gott helfe, das ist schlimm, so es wahr ist. Aber du weißt, Calandrino, daß ich dir erst gestern den Rat gab, so zu sagen, und ich wollte nicht, daß du zu gleicher Zeit deine Frau und uns zum besten hättest.« Calandrino fing nun wieder an zu schreien und sagte: »Warum wollt ihr mich zur Verzweiflung bringen und machen, daß ich Gott und seine Heiligen und alles, was auf der Welt ist, lästere? Ich sage euch, das Schwein ist mir diese Nacht gestohlen worden.«

»Nun«, versetzte Buffalmacco, »wenn dem wirklich so ist, so müssen wir nach bestem Wissen auf ein Mittel sinnen, um es wiederzuerlangen.« »Und was für ein Mittel«, sagte Calandrino, »können wir da anwenden?« »Nun«, entgegnete Buffalmacco, »aus Indien ist doch gewiß keiner hergekommen, um dir dein Schwein zu stehlen. Einer von deinen Nachbarn muß es sein, und wahrhaftig, wenn du sie nur zusammenbringen könntest, ich verstehe mich auf die Probe mit Brot und Käs, und da sähen wir gleich, wer es genommen hat.« »Ja«, sprach Bruno, »schön kämst du mit deinem Brot und Käse bei gewissen Leuten an, die hierherum wohnen und von denen ich gewiß bin, daß einer das Schwein hat; sie merkten die Sache und kämen nimmermehr [621] hierher.« »Wie ist es anzufangen?« sagte Buffalmacco. »Wir müssen es lieber«, antwortete Bruno, »mit guten Ingwerkuchen und weißem Florentiner Wein versuchen und sie zum Trinken einladen. Dann werden sie nichts gewahr werden und kommen. Die Ingwerkuchen lassen sich ja ebensogut wie Brot und Käse zu solchem Zwecke einsegnen.« »Wahrhaftig, du hast recht«, sagte Buffalmacco. »Und was meinst du dazu, Calandrino? Wollen wir das versuchen?« »Ich beschwöre euch darum bei der Liebe Gottes«, sagte Calandrino, »denn wüßte ich nur, wer das Schwein hat, so wäre ich schon halb getröstet.« »Wohlan denn«, sprach Bruno, »ich bin bereit, dir zuliebe um dieser Sache willen bis nach Florenz zu gehen, wenn du mir nur das Geld gibst.«

Calandrino hatte etwa vierzig Soldi in der Tasche und gab sie ihm. Damit ging Bruno nach Florenz zu einem Apotheker, der sein Freund war, kaufte ein Pfund gute Ingwerkuchen und ließ sich von ihm zugleich zwei Kuchen jener Art bereiten, die man Hundekuchen nennt und die er mit frischer Leberaloe anmachen ließ; dann bestrich der Apotheker auf sein Geheiß auch diese mit demselben Zuckerguß, wie ihn die andern hatten. Damit sie aber nicht vertauscht oder verwechselt würden, ließ er auf diesen beiden ein gewisses Zeichen, an dem er sie leicht erkennen konnte, anbringen. Endlich kaufte er eine Flasche guten Vernacciaweins und kehrte aufs Land zu Calandrino zurück, zu welchem er also sprach: »Nun sorge dafür, daß du morgen früh alle diejenigen zum Trinken bei dir einlädst, auf die du irgend Verdacht hast. Es ist Festtag, und jeder wird gern erscheinen. Ich selbst werde diese Nacht mit Buffalmacco die Beschwörung der Kuchen vornehmen und sie dir morgen früh ins Haus bringen. Aus Liebe zu dir will ich sie dann selbst austeilen und sagen, was dabei zu sagen und zu tun ist.«

Und so tat Calandrino. Nachdem also am folgenden Morgen eine zahlreiche Gesellschaft, teils von jungen Florentinern, die sich auf dem Lande befanden, teils von Landleuten, um die Ulme vor der Kirche versammelt war, kamen Bruno und Buffalmacco mit einer Schachtel voll Kuchen und der Flasche Wein. Sie hießen alle sich in einen Kreis stellen, und Bruno begann: »Ihr Herren, ich muß euch die Ursache sagen, warum [622] ihr hier versammelt seid, damit ihr euch nicht über mich beklagen könnt, wenn sich etwas ergäbe, das euch nicht genehm wäre. Calandrino, der hier steht, wurde gestern nacht sein schönes Schwein gestohlen, und er vermag nicht herauszubringen, wer es hat. Doch weil es ihm nun kein anderer als einer von uns, die wir hier versammelt sind, genommen haben kann, so gibt er euch, um zu ermitteln, wer es hat, diese Kuchen hier, und zwar jedem einen, zu essen und dabei zu trinken. Und nun sollt ihr gleich jetzt wissen: wer das Schwein genommen hat, wird seinen Kuchen nicht hinunteressen können, vielmehr wird er ihm bittrer erscheinen als Gift, und er wird ihn wieder ausspucken müssen. So ist es vielleicht, ehe ihm diese Schande in Gegenwart so vieler Personen widerfährt, am besten, daß derjenige, welcher das Schwein genommen hat, es dem Pfarrer in der Beichte bekenne, und dann stehe ich von diesem Vorhaben ab.«

Alle Anwesenden beteuerten, daß sie gern von den Kuchen essen wollten, weshalb denn Bruno sie in eine Reihe ordnete, den Calandrino mitten unter sie stellte und nun, indem er beim einen Ende anfing, jedem seinen Kuchen gab. Als er aber dem Calandrino gegenüberstand, nahm er einen von den Hundekuchen hervor und gab ihm diesen in die Hand. Calandrino steckte ihn sich schnell in den Mund und begann zu kauen. Sowie aber seine Zunge die Aloe schmeckte, konnte er den bitteren Geschmack nicht ertragen und spuckte den Kuchen wieder aus. Nun schaute einer dem andern ins Gesicht, um zu sehen, wer seinen Kuchen wieder auswürfe; und während Bruno noch nicht mit dem Austeilen fertig war und tat, als wüßte er von nichts, hörte er hinter sich rufen: »Heda, Calandrino! Was soll das bedeuten?« Da wandte er sich schnell um, und als er sah, daß Calandrino den Kuchen ausspuckte, sagte er: »Wartet nur, vielleicht hat er wegen etwas anderem spucken müssen. Da, hier ist ein andrer Kuchen.« Und nun nahm er den zweiten, steckte ihn Calandrino in den Mund und fuhr dann fort, die übrigen auszuteilen, die er noch zu vergeben hatte.

War dem Calandrino nun schon der erste Kuchen bitter vorgekommen, so dünkte ihn dieser noch bitterer; allein da er sich scheute, ihn wieder auszuspucken, hielt er ihn kauend eine [623] Zeitlang im Munde. Und wie er ihn so hielt, fingen die Tränen, groß wie Haselnüsse, an, ihm die Wangen hinabzulaufen. Zuletzt aber konnte er nicht mehr und spuckte auch diesen Kuchen aus, wie er's mit dem ersten getan hatte. Buffalmacco und Bruno ließen indes der Gesellschaft zu trinken geben, und als sie nun zusammen mit den andern den Calandrino so spucken sahen, riefen sie alle, Calandrino habe sich fürwahr das Schwein selbst gestohlen, und einige darunter fingen an, ihn heftig auszuschelten.

Mit der Zeit gingen alle wieder fort, und nur Bruno und Buffalmacco blieben bei Calandrino zurück. Buffalmacco aber sagte: »Ich war immer überzeugt, daß du es selbst genommen hast und uns nur weismachen wolltest, es sei dir gestohlen worden, um uns nicht einmal einen Trunk von dem Geld, das du dafür bekommen hast, zahlen zu müssen.« Calandrino, der die Bitterkeit der Aloe noch immer nicht los war, fing nun an zu schwören, daß er das Schwein nicht habe. Nun sagte Buffalmacco: »Aber was bekamst du, Geselle? Sag's offen, hast du vielleicht sechs Gulden bekommen?« Als Calandrino dies hörte, wollte er verzweifeln.

»Merke wohl auf, Calandrino«, sagte Bruno zu ihm, »es war einer in der Gesellschaft, der mit uns aß und trank; der hat mir verraten, daß du hier oben ein Mädchen hast, das du dir zu deinem Vergnügen hältst und dem du gibst, was du beiseite bringen kannst. Der war überzeugt, daß du ihr das Schwein geschickt hast. Wohl, du hast das Wesen dazu, immer ein Spaßvogel zu sein. Schon einmal hast du uns den Mugnone hinuntergeführt, schwarze Steine zusammenzulesen, und als du uns ohne Schiffszwieback wie auf die Galeere gebracht hattest, machtest du dich davon und wolltest uns dann weismachen, du hättest jenen Stein gefunden. Ebenso glaubst du jetzt, uns mit deinen Beteuerungen aufbinden zu können, daß das Schwein, das du verschenkt oder verkauft hast, dir gestohlen worden sei. Doch wir sind an deine Streiche gewöhnt und kennen sie schon, und in Zukunft führst du uns nicht mehr an. Und weil wir, die Wahrheit zu gestehen, es uns haben sauer werden lassen, jene Beschwörung zu machen, so gib uns nun rasch zwei Paar Kapaune; wo nicht, sagen wir alles der Monna Tessa wieder.« [624] Calandrino, der wohl einsah, daß jene ihm nicht glaubten, und der Ärger genug auf dem Hals hatte, so daß er nicht wünschte, daß auch die Frau noch aufgebracht würde, lieferte notgedrungen die zwei Paar Kapaune aus. Jene salzten nun ihr Schwein ein, schafften es nach Florenz und ließen Calandrino mit Schaden und Spott zurück.

Siebente Geschichte

Ein Gelehrter liebt eine Witwe, die in einen andern verliebt ist und ihn eine Winternacht hindurch im Schnee stehen und ihrer warten läßt. Dafür gibt er ihr einen Rat, der zur Folge hat, daß sie mitten im Juli einen ganzen Tag nackt auf einem Turme zubringen muß, den Fliegen, den Wespen und der Sonnenglut ausgesetzt.


Viel hatten die Damen über den armen Calandrino gelacht, und hätten wohl noch mehr gelacht, wenn es ihnen nicht am Ende leid getan hätte, daß ihm auch noch die Kapaune von denen genommen wurden, die ihm schon das Schwein entwendet hatten. Doch als nun das Ende gekommen war, befahl die Königin Pampinea, ihre Geschichte zu erzählen. Diese begann sogleich folgendermaßen:

Vielgeliebte Mädchen, gar oft geschieht es, daß die List von der List besiegt wird, und darum ist es unverständig, sich zu ergötzen, während man andre zum besten hat. Wir haben bei mehreren Geschichten viel über die Possen gelacht, die einer dem andern gespielt hat. Daß aber einer dieser Possen irgendwie gerächt worden sei, ist uns nicht erzählt worden. So nehme ich mir denn vor, in euch einiges Mitgefühl für eine wohlverdiente Wiedervergeltung zu wecken, die einer unserer Mitbürgerinnen zuteil wurde. Ihr wurde ihr Streich so heimgezahlt, daß er ihr beinahe tödlich aufs eigene Haupt zurückfiel. Dies zu hören, wird für euch nicht ohne Nutzen sein, weil ihr euch hiernach besser hüten werdet, andere zu verhöhnen; und daran werdet ihr klug tun.

Es ist noch nicht viele Jahre her, daß in Florenz eine junge [625] Frau, schön von Gestalt, stolz von Gemüt, adelig von Geburt und mit allen Gütern des Glücks reichlich ausgestattet, lebte, die Helena hieß. Diese war durch den Tod ihres Mannes Witwe geworden und wollte nicht wieder heiraten, da sie sich in einen schönen und liebenswerten jungen Mann, ganz nach ihrer Wahl, verliebt hatte und sich, jeder andern Sorge ledig, durch die Vermittlung einer Dienerin, der sie ganz vertrauen konnte, gar oft und zu ihrer großen Lust frohe Stunden mit ihm machte.

In dieser Zeit geschah es, daß ein junger Mann namens Rinieri, ein Edelmann aus unserer Stadt, von Paris, wo er lange Zeit studiert hatte – nicht etwa um hernach seine Wissenschaft, wie so viele tun, lotweise zu verhandeln, sondern um die Beziehungen der Dinge zueinander und die Ursachen derselben zu ergründen, wie dies einem wahrhaft adeligen Mann gar wohl ansteht –, nach Florenz zurückkehrte und hier, sowohl seines Adels als auch seiner Kenntnisse wegen hoch geehrt, als Bürger lebte. Aber wie es oft geschieht, daß die, bei welchen die Einsicht in die Dinge am tiefsten ist, am leichtesten von der Liebe gefesselt werden, so geschah es auch mit diesem Rinieri.

Eines Tages nämlich, als er lustwandelnd zu einem Feste hinausgegangen war, wurden seine Augen diese Helena gewahr, welche schwarz gekleidet, wie unsere Witwen zu gehen pflegen, seinem Urteil nach solcher Schönheit und Anmut voll erschien, wie er noch nie eine andere zu sehen geglaubt hatte. Selig, so meinte er, müsse der zu nennen sein, dem der Himmel die Gunst verleihe, sie nackt in seinen Armen zu halten. Vorsichtig blickte er sie wieder und wieder an, und da er wußte, daß das Große und Wertvolle niemals ohne Mühe zu erlangen ist, beschloß er bei sich, jede Mühe und Sorgfalt aufzuwenden, um ihr zu gefallen, damit er durch dies Gefallen ihre Liebe und durch diese wiederum ihren Besitz gewinnen möchte.

Die junge Witwe, die ihre Augen keineswegs zur Hölle niedersenkte, sondern ihren eigenen Wert ganz so hoch oder noch höher anschlug als er war, und deshalb auch ihre Blicke sehr geschickt umherschweifen ließ, sah sich öfter um und bemerkte bald jeden, der sie mit Wohlgefallen anschaute. So wurde sie denn auch den Rinieri gewahr und sprach lächelnd bei sich selbst: »Nicht umsonst bin ich heute hierhergekommen, denn [626] irre ich nicht, so habe ich jetzt eben einen Gimpel beim Schnabel gefangen.« Und nun fing sie an, ihn einige Male verstohlen anzublicken, und bemühte sich, ihm, so gut sie konnte, zu zeigen, daß ihr an ihm gelegen sei. Andererseits wähnte sie, je mehr Liebhaber sie anlocke und mit dem Verlangen nach ihrer Gunst fange, desto höher steige der Wert ihrer Schönheit, vor allem auch in den Augen dessen, dem sie diese zugleich mit ihrer Liebe geschenkt hatte.

Der gelehrte Schüler der Weisheit aber ließ nun alle philosophischen Gedanken beiseite, richtete seine ganze Seele nur auf sie und begann, sobald er ihr Haus erkundet, hier häufig vorüberzugehen, in dem Glauben, ihr Wohlgefallen zu erwerben. Für diese Wanderungen wußte er verschiedene Vorwände zu finden. Die Dame, welche sich aus dem schon erwähnten Grunde hierdurch geschmeichelt fühlte, stellte sich, als sähe sie ihn gern. Der Gelehrte aber fand bald Mittel, sich mit ihrer Dienerin zu verständigen, dieser seine Liebe zu entdecken und sie zu bitten, daß sie ihre Gebieterin bewege, ihm ihre Gunst zu schenken. Die Dienerin versprach alles mögliche und erzählte es wieder ihrer Gebieterin, welche sie mit dem größten Gelächter von der Welt anhörte und dann sagte: »Hast du gesehen, wo jener Herr die Weisheit, die er von Paris mitgebracht, eingebüßt hat? Nun wohlan, wir wollen ihm geben, was er sucht. Sobald er dich wieder anspricht, wirst du ihm sagen, daß ich ihn noch viel heftiger liebe als er mich, allein daß ich meinen Ruf in acht nehmen muß, um neben den andern Frauen mit freier Stirn einhergehen zu können. Ist er so weise, wie man sagt, so muß diese Gesinnung mich ihm ja noch viel teurer machen.«

Ach, die Ärmste, die Ärmste! Sie wußte nicht, ihr Mädchen, was es heißt, mit einem gelehrten Manne anzubinden.

Als die Dienerin ihn wieder antraf, richtete sie aus, was ihr von ihrer Herrin aufgetragen war. Froh schritt der glückliche Gelehrte nun zu heißern Bitten, fing an Briefe zu schreiben und Geschenke zu schicken. Alles wurde willig angenommen; indes erfolgten keine anderen Antworten als ganz allgemeine, und so hielt sie ihn lange Zeit vergeblich hin. Inzwischen hatte die Dame ihrem Liebhaber alles entdeckt, und da dieser sich deshalb schon einige Male mit ihr überworfen und etwas Eifersucht [627] gezeigt hatte, schickte sie, um zu beweisen, daß er mit Unrecht solchen Argwohn gegen sie hege, ihre Dienerin zu dem Gelehrten, der sie immer noch mit Bitten zu bestürmen fortfuhr, und ließ ihm in ihrem Namen sagen: zwar habe sie, seit sie seiner Liebe gewiß sei, noch immer keine Gelegenheit finden können, ihm etwas zu Gefallen zu tun, doch hoffe sie, während der bevorstehenden Weihnachtsfestes endlich mit ihm zusammensein zu können. Deshalb möge er, wenn es ihm gefalle, am Abend nach dem Feste nachts in ihren Hof kommen, wo sie, sobald sie nur könne, zu ihm eilen wolle.

Der Gelehrte, glücklicher als je ein Mensch, begab sich zu der ihm bestimmten Zeit nach dem Haus der Witwe, wurde von der Dienerin in den Hof gelassen und darin eingeschlossen, und fing nun an, seine Dame zu erwarten. Diese hatte sich an ebendiesem Abend ihren Liebhaber kommen lassen, erzählte ihm, nachdem sie fröhlich mit ihm gespeist hatte, was sie diese Nacht zu tun gedenke, und setzte dann hinzu: »Und nun sollst du sehen, wie groß und von welcher Art die Liebe ist, die ich für den empfunden habe und noch empfinde, auf den du törichterweise eifersüchtig geworden bist.« Diese Worte vernahm der Geliebte mit großer Seelenfreude und verlangte nun begierig danach, in Werken zu sehen, was die Dame ihm mit Worten versicherte.

Zufällig hatte es am Tag vorher stark geschneit, und alles war mit Schnee bedeckt. Der Schüler der Weisheit hatte daher noch nicht lange im Hofe verweilt, als es ihn heftiger zu frieren begann, als er wünschte; doch ertrug er's geduldig in der Hoffnung, sich bald zu erquicken. Eine Weile darauf sagte die Witwe zu ihrem Liebhaber: »Laß uns in die Kammer gehen. Dort wollen wir von dem kleinen Fenster aus mit ansehen, was der treibt, der dich eifersüchtig gemacht hat, und hören, was er der Magd antworten wird, die ich zu ihm geschickt habe, um mit ihm zu reden.«

Nun gingen sie zu einem Fensterlein, von welchem aus sie herabsehen konnten, ohne gesehen zu werden, und hörten die Magd von einem andern Fenster her mit dem Gelehrten sprechen: »Rinieri, die Madonna ist betrübter, als je eine Frau war; denn eben heute abend ist einer ihrer Brüder eingetroffen, hat [628] sich lange mit ihr unterhalten und verlangte dann mit ihr zu speisen, und noch immer ist er nicht fort. Allein ich glaube, er wird nun bald gehen. Aus diesem Grunde hat sie noch nicht zu Euch kommen können. Sie bittet Euch, daß es Euch nicht leid tun möge zu warten.« Der Gelehrte, der dies alles für wahr hielt, erwiderte: »Sage meiner Dame, sie solle sich um mich keinen Kummer machen, bis sie mit aller Bequemlichkeit zu mir herabkommen könne; allein sie möge es tun, sobald sie irgend kann.«

Nun kehrte die Magd zurück und legte sich zur Ruhe. Die Witwe aber sprach zu ihrem Liebhaber: »Nun, was meinst du jetzt? Glaubst du, wenn ich ihn liebte, wie du fürchtest, ich ließe ihn dort unten frieren?« Nach diesen Worten begab sie sich mit ihrem Buhlen, der schon zum Teil beruhigt war, ins Bett, und sie verbrachten in Freude und Fröhlichkeit eine geraume Zeit, während sie des armen Gelehrten lachten und seiner spotteten.

Dieser schritt indes im Hofe auf und ab und bewegte sich heftig, um sich zu erwärmen, da er keinen Fleck hatte, wo er sitzen oder der Nachtluft entfliehen konnte. Dabei verwünschte er den Bruder, der so lange bei seiner Dame verweilte, und hielt jedes Geräusch, das er vernahm, für eine Tür, welche die Witwe für ihn öffnete. Aber sein Hoffen war immer vergeblich.

Nachdem die Dame sich bis gegen Mitternacht mit ihrem Geliebten erfreut hatte, fragte sie ihn: »Was dünkt dich, geliebte Seele, von unserem Gelehrten? Kommt dir sein Verstand größer vor oder die Liebe, die ich für ihn fühle? Und wird dir der Frost, den ich ihn erproben lasse, die Eifersucht aus der Brust verbannen, welche meine Scherzworte neulich darin erweckten?« »Herz meines Leibes«, antwortete der Liebhaber, »ja, ich sehe nun ein, daß, wie du mein größter Schatz, meine Ruhe, mein Entzücken und meine ganze Hoffnung bist, ich auch für dich dasselbe bin.« »Nun denn«, antwortete die Dame »so küsse mich wohl tausendmal, damit ich erfahre, ob du die Wahrheit sprichst.« Der Liebhaber schloß sie fest in seine Arme und gab ihr nicht tausend, sondern mehr als hunderttausend Küsse.

Nachdem sie in solchem Gespräch noch einige Zeit verbracht [629] hatten, sagte die Dame: »Jetzt laß uns ein wenig aufstehen und zusehen, ob das Feuer, in dem zu brennen mein neuer Verehrer mir alle Tage schriftlich beteuerte, etwas erloschen ist.« So erhoben sie sich, gingen zu dem gewohnten Fenster, von wo sie auf den Hof hinabschauten und den armen Gelehrten zur Musik seiner klappernden Zähne einen Hopser über den andern auf dem Schnee tanzen sahen, und zwar in so geschwindem Zeitmaß und in so schneller Folge, daß sie noch nie dergleichen gesehen hatten. »Nun«, sprach die Dame, »was sagst du dazu, meine süße Hoffnung? Glaubst du jetzt, daß ich mich darauf verstehe, die Männer ohne Trompete und Schalmei tanzen zu machen?« Lächelnd antwortete ihr Liebhaber: »Ja, süße Lust, ich seh es wohl.«

»Jetzt wollen wir bis zur Tür hinuntergehen«, sagte die Dame. »Du bleibst ruhig stehen, und ich werde mit ihm sprechen, damit wir hören, was er sagen wird; vielleicht gewährt uns das nicht weniger Vergnügen als sein Anblick.« Nun öffnete sie die Kammer. Still gingen sie zur Hoftür hinunter, und ohne sie zu öffnen, rief die Witwe ihn durch ein kleines, darin befindliches Loch mit leiser Stimme zu sich. Als der Gelehrte sich gerufen hörte, lobte er Gott, indem er nun gewiß eingelassen zu werden hoffte. Er trat daher an die Tür und antwortete: »Hier bin ich, Madonna. Öffnet um Gottes willen, denn ich sterbe vor Frost.« »Ach Gott«, antwortete ihm die Dame, »ich weiß ja, wie erstarrt du sein mußt. Die Kälte ist gewiß sehr groß, weil hier etwas Schnee gefallen ist, doch weiß ich wohl, daß in Paris viel mehr fällt. Noch kann ich dir nicht aufmachen, weil dieser mein verwünschter Bruder, der gestern abend hierherkam, um mit mir zu essen, noch immer nicht fort ist. Aber er wird nun bald gehen, und dann komme ich gleich, um dir zu öffnen. Nur mit großer Mühe habe ich mich von ihm fortgestohlen, um dir ein wenig Trost zu bringen, damit das Warten dir nicht allzu schwer falle.« »Ach, Madonna«, erwiderte der Gelehrte, »ich bitte Euch um Gott, öffnet mir, damit ich dort drinnen unter Dach und Fach warten kann; denn seit kurzem ist der dichteste Schnee von der Welt gefallen, und noch immer schneit es fort. Drinnen will ich auf Euch warten, solange es Euch gefällt.«

[630] »Weh mir, mein süßes Leben«, entgegnete ihm die Dame, »das kann ich nicht; denn diese Tür macht beim Öffnen solchen Lärm, daß mein Bruder es leicht hören könnte, wenn ich dir öffnete. Aber ich will zu ihm gehen und ihm sagen, daß er sich fortmache, damit ich dann wiederkommen und dir aufmachen kann.« »So gehet denn gleich«, sagte der Gelehrte, »und ich bitte Euch, laßt ein gutes Feuer anmachen, damit ich mich erwärmen kann, sobald ich hineinkomme; denn mein ganzer Körper ist so erstarrt, daß ich kaum noch meine Glieder fühle.« »Das kann nicht gut sein«, entgegnete die Dame, »wenn es wahr ist, was du mir so oft geschrieben hast, nämlich daß du aus Liebe zu mir ganz in Flammen stehst. Ich bin daher gewiß, daß du nur scherzen willst. Doch jetzt gehe ich; warte du und sei guten Mutes.«

Der Liebhaber, der alles zu seinem großen Ergötzen mit anhörte, kehrte hierauf mit ihr ins Bett zurück, wo sie nur wenig schliefen, sondern fast die ganze Nacht in gemeinsamer Lust und mit Spottreden über den Gelehrten verbrachten. Der Ärmste indes, der wie zum Storch geworden war – so laut klapperte er mit den Zähnen –, bemerkte endlich, daß man ihn zum besten habe. Er rüttelte daher mehrere Male an der Tür, ob sie nicht nachgäbe, und suchte umher, daß er anderswo einen Ausgang fände. Allein, da er keine Gelegenheit entdeckte, lief er im Hofe umher wie ein Löwe im Käfig, fluchte des argen Wetters, der Schlechtigkeit der Dame, der Länge der Nacht und zuletzt seiner eigenen Torheit. Von heftigem Unwillen gegen sie ergriffen, verwandelte er die lange und brennende Liebe, die er zu ihr getragen, plötzlich in den wildesten und grausamsten Haß und trug sich mit vielerlei bösen Gedanken, wie er seine Rache an ihr nehmen könne, wonach er nun noch viel heftiger verlangte, als er vorher mit der Geliebten zusammen zu sein begehrt hatte.

Nach vielem und langem Warten näherte sich endlich die Nacht dem Tage, und das Zwielicht begann zu erscheinen. Deshalb stieg denn die wohlunterwiesene Magd der Dame hinunter, öffnete den Hof und sagte, indem sie Mitleid mit ihm heuchelte: »Der Böse soll ihn holen, der uns gestern so in die Quere kam. Uns hat er die ganze Nacht hindurch geärgert und [631] geplagt, Euch aber bald erfrieren lassen. Indes, wißt Ihr was? Tragt es in Geduld, denn was diese Nacht nicht hat sein können, wird ein andermal geschehen. Soviel weiß ich, daß der Madonna nichts hätte begegnen können, was ihr unangenehmer gewesen wäre als eben dies.« So entrüstet unser Gelehrter war, so wußte er doch als ein kluger Mann gar wohl, daß Drohungen nichts anderes sind als Waffen für den Bedrohten. Daher verschloß er still in seiner Brust, was der ungezügelte Wille hinauszustoßen begehrte, und sprach mit leiser Stimme, ohne sich im mindesten erzürnt zu zeigen: »In der Tat, ich habe die schlimmste Nacht bestanden, die ich je gehabt habe; doch habe ich wohl eingesehen, daß deine Gebieterin keinerlei Schuld daran hat, war sie ja so mitleidig, daß sie selbst herunterkam, um sich zu entschuldigen und mich zu trösten. Und wie du sagst, was diese Nacht nicht gewesen ist, kann wohl ein andermal geschehen. Empfiehl mich ihr und geh mit Gott.«

Dann schlich er, vom Frost ganz krumm geworden, nach Hause, so gut er konnte. Hier warf er sich, todmüde wie er war, zum Schlafen auf das Bett, wo er, an Armen und Beinen fast ganz gelähmt, wieder er wachte. Er sandte daher zu einem Arzt, sagte ihm, welchen Frost er ausgestanden hatte, und ließ ihn für seine Gesundheit die nötigen Vorkehrungen treffen. Die Ärzte wandten so kräftige und schnell wirkende Heilmittel an, daß es ihnen, obwohl mit Mühe, nach einiger Zeit gelang, ihn wiederherzustellen und die zusammengezogenen Nerven wieder auszudehnen. Doch wäre er nicht jung gewesen und wäre nicht die warme Jahreszeit dazugekommen, so hätte er noch unsäglich viel auszustehen gehabt. Nachdem er aber wieder frisch und gesund geworden war, verschloß er seinen Haß im Innern und stellte sich verliebter denn je in seine Witwe.

Nun geschah es nach einiger Zeit, daß das Glück dem Gelehrten Gelegenheit bot, seinen Wunsch nach Rache zu befriedigen. Der junge Mann, den die Witwe geliebt hatte, verliebte sich, ohne im geringsten Rücksicht auf ihre Neigung zu nehmen, in eine andere; und wie er nun nichts mehr ihr zu Gefallen sagen oder tun wollte, begann sie sich in Tränen und Kummer zu verzehren. Ihre Magd aber, welche das größte Mitleid mit [632] ihr fühlte und keinen andern Weg sah, ihre Gebieterin vom Schmerz über den verlorenen Liebhaber zu befreien, verfiel, da sie den Gelehrten noch immer nach gewohnter Art durch die Straße gehen sah, auf den törichten Gedanken, daß der Geliebte ihrer Gebieterin durch irgendein Zaubermittel zur gewohnten Liebe zurückgerufen werden könne und der Gelehrte in solchen Dingen ein großer Meister sein müsse. Diesen Gedanken teilte sie ihrer Gebieterin mit, die unverständig genug war, nicht zu bedenken, daß der Gelehrte, wenn er sich auf Zauberei verstanden, diese wohl für sich selbst angewendet hätte. Sie ging daher auf die Reden der Dienerin ein und trug ihr sogleich auf, ihn auszuforschen, ob er es tun wolle, und ließ ihm für gewiß versprechen, daß sie als Lohn dafür alles tun werde, was ihm beliebe.

Die Magd richtete die Botschaft gut und sorgfältig aus. Als der Gelehrte sie hörte, sprach er voller Freude bei sich selbst: »Gott sei gelobt! Die Zeit ist gekommen, wo ich mit deiner Hilfe dieses schändliche Weib für die Beleidigung strafen kann, die sie mir zum Lohn für meine große Liebe zu ihr angetan hat.« Dann sprach er zur Magd: »Sage meiner Dame, sie solle sich darüber keine Sorge machen; denn wäre ihr Liebhaber auch in Indien, so will ich ihn doch zwingen, daß er zu ihr komme und sie für alles um Vergebung bitte, was er gegen ihr Gefallen getan hat. Den Weg aber, den sie dazu einzuschlagen hat, gedenke ich ihr selbst zu beschreiben, wann und wo es ihr genehm ist. Dies bestelle ihr und tröste sie in meinem Namen.«

Diese Antwort richtete die Magd aus, und es wurde verabredet, daß sie in Santa Lucia del Prato zusammenkommen sollten. Als nun die Witwe und der Gelehrte hier allein miteinander sprachen, gedachte sie nicht, wie sie ihn fast dem Tode preisgegeben hatte, sondern eröffnete ihm alle ihre Angelegenheiten und alles, was sie wünschte, und beschwor ihn, ihr zu helfen.

»Madonna«, entgegnete ihr der Gelehrte, »es ist wahr, daß unter andern Dingen, die ich in Paris erlernte, auch die Schwarze Kunst ist, und ich weiß von ihr in der Tat soviel, als sie zu lehren vermag. Weil sie aber Gott sehr zum Mißfallen gereicht, habe ich geschworen, sie nie weder für mich noch für andere zu [633] üben. Doch ist in der Tat die Liebe, die ich für Euch empfinde, von solcher Gewalt, daß ich nicht weiß, wie ich Euch etwas abschlagen soll, was Ihr mir zu tun gebietet. Ich bin darum, selbst wenn ich deswegen dem Teufel verfallen sollte, bereit, es zu tun, weil Ihr es wollt. Doch ich mache Euch darauf aufmerksam, daß die Sache schwerer ist, als Ihr vielleicht glaubt, und besonders dann, wenn eine Frau einen Mann zu ihrer Liebe zurückführen will oder der Mann eine Frau. Dies kann nur durch die eigene Person dessen geschehen, um den es sich handelt. Ferner gehört dazu, daß, wer es unternimmt, starken Gemütes sei; denn es muß des Nachts an einsamen Orten und ohne jede Begleitung geschehen. Dies alles sind aber Dinge, von denen ich nicht weiß, ob und inwieweit Ihr entschlossen seid, sie zu unternehmen.« Hierauf antwortete die Dame, die mehr verliebt war als verständig: »Die Liebe treibt mich so, daß es nichts gibt, was ich nicht unternähme, um den wiederzuerlangen, der mich mit Unrecht verlassen hat. Gefällt es dir drum, so sage mir, in was ich so fest sein muß.«

Der Gelehrte, der, auf Rache sinnend, Arges im Schilde führte, sprach hierauf: »Madonna, ich habe Euch ein Bild aus Zinn zu machen, das denjenigen darstellt, den Ihr wiederzuerlangen wünscht. Wenn ich Euch dies geschickt haben werde, müßt Ihr kurz vor dem Neumond Euch mit jenem Bilde nackt und ganz allein in einem fließenden Wasser zur Zeit des ersten Schlafes siebenmal baden, dann, so nackt wie Ihr seid, auf einen Baum oder auf irgendein unbewohntes Haus hinaufsteigen und mit dem Bilde in der Hand gen Norden gewendet siebenmal gewisse Worte sprechen, die ich Euch geschrieben geben werde. Wenn Ihr diese gesagt habt, werden zwei Jungfrauen, so schön wie die schönsten, die Ihr je gesehen, zu Euch kommen, Euch begrüßen und Euch freundlich fragen, was Ihr wünscht, daß geschehe. Diesen müßt Ihr Euere Wünsche genau und vollständig kundtun, und hütet Euch wohl, daß Ihr dabei nicht etwa ein Wort oder einen Namen mit dem andern verwechselt. Habt Ihr ihnen das gesagt, so werden sie verschwinden, und Ihr könnt dann dorthin zurückgehen, wo Ihr Eure Kleider gelassen habt, Euch wieder anziehen und nach Hause zurückkehren. Alsdann wird die folgende Nacht gewiß noch nicht zur Hälfte verstrichen[634] sein, da Euer Liebhaber weinend zu Euch kommen und Euch um Gnade und Mitleid anflehen wird. Und wisset, daß er von da ab Euch nie mehr um einer andern willen verlassen wird.«

Als die Dame dies hörte, vertraute sie so fest darauf, daß sie schon ihren Geliebten wieder in den Armen zu halten wähnte, und halb erheitert sprach sie: »Sorge nicht, ich will dies alles gar wohl vollbringen, denn ich habe die beste Gelegenheit dazu. Ich besitze ein Gut gegen das obere Arnotal hin, das ganz nahe am Ufer des Flusses liegt. Auch ist es jetzt Juli, und das Baden wird mir ein Vergnügen sein. Überdies erinnere ich mich, daß sich nicht weit vom Flusse ein kleiner Turm befindet, der völlig unbewohnt ist; und nur zuweilen steigt ein Hirt auf einer Leiter von Kastanienholz, die sich dort befindet, zum Söller hinauf, um sich von jenem einsamen und abgelegenen Orte aus nach seinem verirrten Vieh umzusehen. Dort will ich hinaufsteigen, und so gedenke ich auf die beste Art von der Welt das auszuführen, was Ihr mir auferlegt habt.«

Der Gelehrte, der das Gut der Dame und den kleinen Turm hinlänglich kannte und zufrieden war, über ihren Entschluß unterrichtet zu sein, antwortete: »Madonna, ich war nie in jener Gegend, und so kenne ich weder Euer Gut noch den Turm. Jedoch, wenn es sich so verhält, wie Ihr sagt, so kann es sich ja nirgendwo auf der Welt besser treffen. Ich will Euch darum, sobald es an der Zeit sein wird, Bild und Beschwörung schicken. Zugleich aber bitte ich Euch angelegentlich, daß, wenn demnächst Euer Verlangen erfüllt ist und Ihr erkannt haben werdet, wie wohl ich Euch gedient habe, Ihr Euch auch meiner erinnert und nicht vergeßt, das mir gegebene Versprechen zu halten.« Das werde sie ohne jeden Zweifel tun, entgegnete ihm hierauf die Dame, nahm Abschied und kehrte nach Hause zurück.

Froh, daß sein Plan in Erfüllung zu gehen versprach, ließ der Gelehrte nun das Bild mit seinen Zauberzeichen verfertigen, schrieb irgendeine Erfindung als Beschwörungsformel auf und schickte diese, als es ihm an der Zeit schien, der Witwe, indem er ihr zugleich sagen ließ, daß sie ohne Aufschub in der folgenden Nacht vollbringen möge, was er ihr gesagt habe. [635] Dann aber begab er sich mit einem Diener heimlich zu dem Hause eines seiner Freunde, das nahe bei dem kleinen Turm lag, um hier sein Vorhaben zu Ende zu führen. Die Dame machte sich ihrerseits mit ihrer Dienerin ebenfalls auf den Weg und verfügte sich nach ihrem Gute.

Als die Nacht gekommen war, tat sie, als wolle sie zu Bett gehen und schickte die Dienerin schlafen. Allein zur Stunde des ersten Schlafs schlich sie sich heimlich aus dem Hause und schritt zum Ufer des Arno, nahe bei dem kleinen Turm. Hier blickte sie sich erst nach allen Seiten um, und da sie niemand sah oder hörte, entkleidete sie sich, verbarg ihre Kleider unter einem Strauch, badete sich siebenmal mit dem Bilde und begab sich dann nackend und mit dem Bilde in der Hand zum Turme. Der Gelehrte, der bei Anbruch der Nacht sich mit seinem Diener unter Weiden und anderen Bäumen in der Nähe des Turmes versteckt und von hier aus dies alles mit angesehen hatte, fühlte etwas Mitleid, als sie so nackend hart an seiner Seite vorüberging und er sah, wie die Dunkelheit der Nacht durch die Weiße ihres Leibes besiegt ward; noch mehr aber, als er ihren Busen und die andern Teile ihres Körpers beschaute, sie durchaus schön fand und bei sich dachte, was binnen kurzer Zeit aus all dem würde. Auch überfiel ihn plötzlich der Stachel des Fleisches und hieß ihn, indem er einen Schlafenden zur Auferstehung weckte, aus seinem Versteck hervorbrechen und seine Lust an ihr kühlen; und wenig fehlte, so hätte er sich von seinen Gefühlen besiegen lassen. Als ihm aber wieder einfiel, wer er selbst war und von welcher Art die Schmach gewesen, die er empfangen, und warum und von wem, entflammte von neuem sein Zorn, so daß Mitleid und Lust verschwanden. Er blieb in seinem Vorsatz standhaft und ließ sie vorübergehen.

Die Witwe stieg indes den Turm hinauf, wandte sich gen Norden und fing an, die Worte herzusagen, welche der Gelehrte ihr gegeben hatte. Währenddessen schlich sich dieser bald nach ihr in den Turm, hob ganz leise die Leiter weg, die auf den Söller hinaufführte, auf dem die Dame sich befand, und erwartete dann, was sie sagen und tun würde. Nachdem sie siebenmal ihre Beschwörungsformel hergesagt hatte, fing sie an, [636] die beiden Jungfrauen zu erwarten. So lange aber mußte sie ihrer harren, daß sie, von der Kühle zu schweigen, die sie bald stärker empfand, als sie gewünscht hätte, endlich die Morgenröte erscheinen sah. Betrübt darüber, daß nicht erfolgt war, was der Gelehrte ihr versprochen hatte, sagte sie daher zu sich selbst: »Fast fürchte ich, daß jener mir hat eine Nacht verschaffen wollen, wie ich sie ihm gab. Hat er indes in dieser Absicht gehandelt, so hat er es schlecht verstanden, sich zu rächen; denn nicht den dritten Teil so lang ist diese Nacht gewesen, wie die seine es war, ungerechnet, daß damals die Kälte wohl von schlimmerer Art war.«

Damit nun der Tag sie nicht überrasche, wollte sie vom Turme herabsteigen; allein sie fand die Leiter nicht mehr. Da verließ sie der Mut, als wäre die Welt plötzlich unter ihren Füßen verschwunden, und verzweifelt fiel sie auf den Estrich des Turmes nieder. Als ihre Lebenskräfte zurückkehrten, begann sie bitterlich zu weinen und zu wehklagen. Sie erkannte wohl, daß dies das Werk des Gelehrten sein müsse, und klagte sich laut an, zunächst, daß sie ihn beleidigt, dann aber auch, daß sie dem vertraut habe, den sie wohl für ihren Feind halten mußte. Lange Zeit verbrachte sie in diesen Klagen. Dann blickte sie umher, ob irgendeine Möglichkeit herabzusteigen vorhanden wäre, und da sie diese nicht fand, begann sie von neuem ihre Klagen. Mit bittren Gedanken sprach sie zu sich selbst: »O du Unglückliche, was werden deine Brüder sagen, deine Verwandten, deine Nachbarn und überhaupt ganz Florenz, wenn man erfahren wird, du seist hier nackt gefunden worden? Deine Ehrbarkeit, die so groß geschienen, wird als falsch erkannt werden, und erfändest du auch lügnerische Ausreden, wie es deren vielleicht noch geben mag, so wird der verwünschte Gelehrte, der alle deine Angelegenheiten kennt, dir nicht zu lügen erlauben. O Unglückliche, die du zu gleicher Zeit den Jüngling, den du dir zum Unheil liebtest, und deine eigene Ehre verloren hast!« Und ein solcher Schmerz kam über sie, daß sie fast im Begriff war, sich vom Turme hinabzustürzen.

Indes hatte sich die Sonne bereits erhoben und die Witwe sich der Brustwehr des Turmes auf der einen Seite genähert, [637] um zu sehen, ob nicht irgendein Knabe, den sie zu ihrer Dienerin schicken könne, mit seinem Vieh nahe wäre. Da geschah es, daß der Gelehrte, der unter einem Gesträuch ein wenig geschlafen hatte, erwachte, sie erblickte, und auch von ihr gesehen wurde. »Guten Tag, Madonna«, rief er ihr zu, »sind die Jungfrauen noch nicht gekommen?« Als die Witwe ihn sah und hörte, fing sie abermals heftig zu weinen an und beschwor ihn, daß er in den Turm komme, damit sie ihn sprechen könne. Hierin war der Gelehrte ihr vollkommen willfährig. Die Dame legte sich nun lang auf den Estrich hin, streckte nur den Kopf über die Öffnung des Bretterbodens und sprach unter Tränen: »Gewiß, Rinieri, wenn ich dir eine üble Nacht verschaffte, so hast du dich wohl an mir gerächt; denn ist es gleich Juli, so habe ich, nackt wie ich bin, in dieser Nacht doch zu erstarren geglaubt. Überdies aber habe ich den Trug, den ich gegen dich beging, und die Torheit, mit der ich dir vertraute, so bitter beweint, daß es ein Wunder ist, wie meine Augen mir noch im Kopf geblieben sind. Und darum beschwöre ich dich, nicht bei deiner Liebe zu mir, die du nicht lieben kannst, sondern bei dir selbst, der du ein Edelmann bist, daß dir als Rache für die Schmach, die ich dir erwies, genüge, was du mir bis jetzt getan hast. Lasse mir meine Kleider reichen, damit ich von hier herabsteigen kann, und raube mir nicht meine Ehre, die du mir nachher nicht wiedergeben kannst, auch wenn du es möchtest. Raubte ich dir auch die Freude, jene Nacht bei mir zu sein, so kann ich ja, sobald es dir gefällt, dir diese eine Nacht tausendmal wiedergeben. Laß es genug sein und wie einem Ehrenmann dir genügen, daß du dich rächen und mir dies beweisen konntest. Gebrauche deine Macht nicht gegen ein Weib; es ist ja für den Adler kein Ruhm, die Taube besiegt zu haben. Deshalb, um Gottes Liebe und deiner eigenen Ehre willen, habe Erbarmen mit mir!«

Der Gelehrte, welcher in harter Seele die empfangene Beschimpfung erwog und nun die Witwe weinen und flehen sah, fühlte zu gleicher Zeit Lust und Leid im Herzen: Lust über die Rache, die er mehr als alles andere begehrt hatte, und Leid, weil ihn seine Menschlichkeit mit der Unglücklichen mitfühlen ließ. Da jedoch die Menschlichkeit nicht vermochte, sein grausames [638] Begehren zu besiegen, antwortete er: »Madonna Helena, wenn meine Bitten – die ich freilich weder so mit Tränen anzufeuchten noch so zu verzuckern wußte, wie du jetzt die deinen – mir jene Nacht, als ich in deinem mit Schnee gefüllten Hofe fast vor Kälte starb, wenigstens dazu verholfen hätten, daß du mich ein wenig unter Dach und Fach hättest treten lassen, so wäre es mir leicht, dein Flehen zu erhören. Ist dir aber jetzt um soviel mehr als in früherer Zeit an deiner Ehre gelegen und ist es dir so entsetzlich, dort oben nackt zu stehen, so wende dein Flehen an den, in dessen Armen nackt zu weilen dir in jener Nacht, deren du dich selbst wohl erinnerst, nicht schwer fiel, indes du mich mit klappernden Zähnen in deinem Hofe umhergehen und den Schnee festtreten hörtest. Von ihm laß dir helfen, von ihm dir deine Kleider reichen und die Leiter, auf der du heruntersteigen kannst, anlegen; in ihm suche das Zartgefühl deiner Ehre zu wecken, für den du dich nicht gescheut hast, es jetzt wie tausend andere Male vorher preiszugeben. Warum rufst du ihn nicht herbei, daß er dir zu Hilfe komme? Wem käme dies mehr zu als ihm? Du bist ja die Seine, und was auf der Welt soll er hüten, wem helfen, wenn er dir nicht hilft? Rufe ihn, Törin, und versuch es, ob die Liebe, die du für ihn hegst, ob seine und deine eigene Klugheit dich vor meiner Torheit erretten können. Du fragtest ihn damals scherzend, ob ihm meine Torheit oder deine Liebe zu ihm größer erscheine. Tue aber jetzt nicht freigebig mit dem, was ich nicht mehr begehre und was du, wenn ich es begehrte, mir nicht verweigern könntest. Spare deinem Buhlen die Nächte auf, wenn es geschehen sollte, daß du lebend von hier fortkommst. Sie seien dein und sein. Ich hatte an einer einzigen genug, und einmal verhöhnt worden zu sein, möge mir genügen. Noch übst du die alte List in deiner Rede; du strebst, mich lobend, meine Großmut zu gewinnen, und nennst mich ehrenwert und einen Edelmann und hoffst in der Stille, daß ich aus Großmut dich für deine Bosheit zu strafen abstehe. Aber deine Schmeicheleien sollen mir jetzt die Augen des Verstandes nicht ebenso umnebeln wie einst deine treulosen Versprechungen. Ich habe mich selbst erkannt, und solange ich auch in Paris verweilte, habe ich nicht soviel über mich selbst [639] gelernt, als du in einer einzigen Nacht mich durch dein Betragen hast erkennen lassen. Doch gesetzt auch, ich wäre großmütig, so gehörst du nicht zu denen, an welchen Großmut zu üben ist. Das Ende der Buße für solche wilden Tiere wie du und das Ende der Rache an ihnen sollte nur der Tod sein. Menschen gegenüber genügt, was du sagtest.

Drum, bin ich auch kein Adler, so scheinst du mir keine Taube, sondern eine giftige Schlange, die ich als uralter Feind mit allem Haß und aller Gewalt zu verfolgen gedenke, obschon alles, was ich gegen dich tue, nicht eigentlich Rache, sondern vielmehr nur Züchtigung ist; denn die Rache übersteigt notwendig die Beleidigung, und die Züchtigung wird sie noch nicht einmal erreichen. Wollte ich mich rächen, so würde, wenn ich dabei den Zustand erwäge, in den du meine Seele versetztest, dein Leben, auch wenn ich es dir rauben wollte, mir nicht genügen und ebensowenig das von hundert andern deinesgleichen; ich tötete ja immer nur ein verächtliches, schlechtes und schuldiges Weiblein. Was, zum Henker, bist du denn, wenn man das bißchen Gesicht wegdenkt, das wenige Jahre mit Runzeln anfüllen und verderben werden? Was bist du mehr als jede andere jämmerliche Magd? Und doch lag es nicht an dir, daß du nicht einen Ehrenmann, wie du mich erst eben nanntest, zum Tode führtest, dessen Leib an einem einzigen Tage der Welt mehr nützen kann, als Hunderttausende deinsgleichen vermögen, solange die Welt stehen wird. Ich will dir also durch diese Züchtigung, die du ausstehst, zeigen, was es heißt, Männer zu verhöhnen, die einige Einsicht besitzen, und was es bedeutet, eines Gelehrten zu spotten, auf daß du in Zukunft, wenn du hier mit dem Leben davonkommst, nie wieder in diese Torheit verfallen mögest. Doch hast du so großes Verlangen, von dort herabzukommen, warum stürzt du dich nicht auf die Erde? Dann wirst du dir, mit Gottes Hilfe, den Hals brechen und dadurch zugleich der Pein, in der du zu sein glaubst, entfliehen und mich zum zufriedensten Menschen von der Welt machen. Nun will ich dir nichts weiter sagen: ich wußte es einzurichten, daß du dort hinaufstiegst; erfinde du jetzt das Mittel herabzusteigen, wie du das erfandest, mich zu verhöhnen.«

Während der Gelehrte so sprach, weinte die unglückliche [640] Witwe ohne Unterlaß, und inzwischen verging die Zeit, und die Sonne stieg immer höher. Doch als sie ihn schweigen hörte, begann sie: »Grausamer Mann, ward dir jene verwünschte Nacht so schwer, und schien dir mein Verschulden so groß, daß dich weder meine jugendliche Schönheit noch meine herben Tränen oder mein demütiges Flehen erweichen können, so laß dich wenigstens dadurch etwas rühren und deine Strenge mindern, daß ich dir von neuem vertraute und dir alle meine Geheimnisse offenbarte und eben hierdurch deinem Verlangen, mich zur Erkenntnis meines Unrechts zu bringen, Gelegenheit bot; denn ohne diese vertrauensvolle Hingebung hättest du nie das Mittel gefunden, dich an mir zu rächen, was du doch mit solcher Begier ersehntest. Drum laß deinen Zorn und vergib mir. Wenn du mir verzeihen und mich von hier hinunterlassen willst, bin ich bereit, den treulosen Jüngling ganz aufzugeben und dich allein als meinen Geliebten und Herrn anzuerkennen, obschon du meiner Schönheit spottest und sie für vergänglich und wenig wert erklärst. Doch wie auch sie und die aller andern Frauen beschaffen sei, so weiß ich doch, daß, wenn schon aus keinem anderen Grunde, sie zumindest deswegen wertgehalten zu werden verdient, weil sie das Verlangen, die Freude und das Ergötzen der jungen Männer ausmacht, und du bist keineswegs alt. Ja, wie grausam ich auch von dir behandelt werde, so kann ich doch nicht glauben, daß du wünschest, mich eines so ehrlosen Todes sterben zu sehen, wie ich ihn fände, wenn ich mich wie eine Verzweifelte von diesem Turm herabstürzte vor deinen Augen, denen ich einst so sehr gefiel, so du nicht schon damals, wie du es jetzt geworden bist, ein Lügner warst. Um Gott, habe Mitleid mit mir und Erbarmen. Die Sonne fängt an heiß zu glühen, und wie mich die Kälte in dieser Nacht gequält hat, so beginnen nun ihre Strahlen mir höchst beschwerlich zu fallen.«

Hierauf entgegnete ihr der Gelehrte, der Gefallen daran fand, sie mit Worten hinzuhalten: »Dein Zutrauen, Madonna, überlieferte dich jetzt meinen Händen nicht aus Liebe, die du für mich fühltest, sondern um den wiederzugewinnen, den du verloren hattest, und verdient darum nichts anderes als größere Strafe. Törichterweise glaubst du, wenn du es glaubst, daß dieser [641] Weg allein und kein anderer mich zu der von mir ersehnten Rache habe führen können. Tausend andere hatte ich dazu, mit tausend Schlingen hatte ich deine Füße dadurch umstrickt, daß ich dich noch immer zu lieben vorgab, und nicht lange hätte es währen können, so hättest du, auch wenn es nicht auf diese Weise geschehen wäre, notwendig in eine derselben fallen müssen. Ja, in keine hättest du geraten können, welche dir nicht zu größerer Strafe und Schmach als diese ausgeschlagen wäre. Diesen Weg aber ergriff ich, nicht um dich zu schonen, sondern um desto früher meiner Rache froh zu werden. Ja, wäre mir auch jeder andere fehlgeschlagen, so wäre mir doch nicht die Feder entgangen, mit der ich solche und so beschaffene Dinge von dir geschrieben hätte und auf solche Art, daß du, wenn du sie wiedererfahren, dir jeden Tag tausendmal gewünscht hättest, niemals geboren zu sein. Die Macht der Feder ist um vieles größer als diejenigen ermessen, welche sie aus Erfahrung noch nicht erprobt haben; und ich schwöre zu Gott – und mag er mich der Rache, die ich jetzt an dir nehme, bis ans Ende froh machen, wie er es mit ihrem Anfang getan hat –, ich hätte Dinge geschrieben, um derentwillen du nicht allein vor andern, sondern auch vor dir selbst schamrot geworden wärest und dir die Augen ausgerissen hättest, um dich nicht mehr zu sehen. Wirf also dem Meer nicht vor, daß es durch den kleinen Bach gewachsen sei.

Aus deiner Liebe und daraus, daß du mein werden willst, mache ich mir, wie gesagt, nicht das mindeste. Gehöre nur immer dem an, dem du gehörtest, wenn du es fernerhin kannst. Ich aber liebe ihn, wie ich ihn einst haßte, weil er nun so gegen dich gehandelt hat. Ihr Weiber verliebt euch und begehrt die Liebe der Jünglinge, weil ihr sie vielleicht mit etwas lebhafterer Gesichtsfarbe und schwärzerem Bart selbstzufrieden einherschreiten, tanzen und turnieren seht. All dies aber besaßen auch diejenigen, die nun etwas älter geworden sind, und überdies wissen sie schon, was jene noch zu lernen haben. Ihr haltet sie für bessere Ritter und glaubt, daß sie mehr Meilen am Tag zurücklegen als die gereifteren Männer. Ich räume selbst ein, daß sie euer Pelzchen mit größerer Kraft striegeln; aber die Gereifteren wissen ihrer Erfahrung zufolge besser die Stellen, [642] wo der Floh nistet, und das wenige aber Schmackhaftere ist dem vielen und Geschmacklosen bei weitem vorzuziehen. Der scharfe Trab schmerzt und ermüdet den Reiter, wie jung er auch sei, während ein bequemer Schritt, wenn auch etwas später, doch behaglich zur Herberge führt.

Ihr seht nicht ein, ihr Wesen ohne Urteil, wieviel Übel sich unter diesem bißchen schöner Außenseite verbirgt. Nicht mit einer Schönen sind die Jünglinge zufrieden, sondern so viele sie sehen, so viele begehren sie, so vieler glauben sie würdig zu sein. Deshalb kann ihre Liebe nicht beständig sein, und du selbst kannst jetzt Zeugnis dafür ablegen. Werden sie von ihren Schönen geehrt und geliebkost, so meinen sie, ihnen geschähe nur, was ihnen gebührt, und einen größeren Ruhm kennen sie nicht, als diejenigen prahlend aufzuzählen, die sie besessen haben; und schon viele Weiber hat diese Sünde den Mönchen zugeführt, die wenigstens nichts weitererzählen. Und wenn du behauptest, daß niemand als deine Dienerin und ich deine Liebe kennen, so weißt du es schlecht und glaubst es zu Unrecht, wenn du es glaubst. Deine ganze Straße sowohl als auch deine Nachbarschaft spricht fast von nichts anderem; aber meistens ist der letzte, dem solche Dinge zu Ohren kommen, gerade derjenige, den sie betreffen. Auch plündern die jungen Fante euch aus, während ihr von den älteren beschenkt werdet.

Wußtest du nun aber einmal so schlecht zu wählen, so gehöre immerhin dem an, dem du dich schenktest, und überlasse mich, den du verhöhntest, andern; denn ich habe eine Geliebte gefunden, unendlich würdiger, als du es bist, eine Geliebte, die mich besser zu erkennen gewußt hat, als du es tatest. Willst du inzwischen über das, wonach meine Augen verlangen, eine richtigere Überzeugung in jene Welt mitnehmen, als meine Worte sie dir in dieser gegeben zu haben scheinen, so eile nur, dich von dort herabzustürzen. Wie ich glaube, wird dann deine Seele, von den Klauen des Teufels schon erfaßt, wahrnehmen, wie wenig mein Auge sich entsetzt, wenn es dich so jählings niederstürzen sieht. Doch fürchte ich, du wirst mir solche Freude nicht machen wollen, und darum ermahne ich dich, wenn die Sonne dich zu brennen anfängt, an den Frost zu denken, den du mich erdulden ließest, und mischst du ihn dann mit der [643] gegenwärtigen Hitze, so wird die Sonne dir ohne Zweifel gemäßigt vorkommen.«

Die untröstliche Witwe sah wohl, daß die Rede des Gelehrten auf ein grausames Ziel hinauslief. Sie fing daher wieder an zu weinen und sprach: »Sieh, da nichts, was mich angeht, dich zum Mitleid mit mir bewegen kann, so lasse dich von der Liebe bewegen, die du für jene Dame hegst, welche du verständiger als mich erachtest und von der geliebt zu sein du versicherst. Um ihrer Liebe willen vergib mir und reiche mir meine Kleider, damit ich mich ankleiden kann, und laß mich von hier herunter.«

Hierauf begann der Gelehrte zu lachen, und da er sah, daß die dritte Morgenstunde schon geraume Zeit vorüber war, versetzte er: »Freilich, jetzt kann ich nicht nein sagen, da du mich bei einer solchen Dame beschworen hast. Sage mir denn, wo sie sind. Ich will danach gehen und dich von dort oben herunterlassen.« Da die Witwe dies glaubte, beruhigte sie sich etwas und beschrieb ihm den Ort, wo die Kleider versteckt waren. Doch als der Gelehrte den Turm verließ, befahl er seinem Diener, sich nicht von dort zu entfernen, sondern in der Nähe zu bleiben und nach allen Kräften zu verhüten, daß jemand hineinkomme, bis er selbst zurückkehren werde. Dann eilte er zum Hause seines Freundes, speiste hier gemächlich und legte sich, als es ihm Zeit schien, zur Ruhe nieder.

Nur kurze Zeit von törichter Hoffnung etwas ermutigt, richtete sich die Witwe, die auf dem Turm über alle Maßen betrübt zurückgeblieben war, wieder auf, drängte sich an die Seite der Mauer, wo sie ein wenig Schatten fand, und wartete unter den bittersten Gedanken. Bald nachsinnend und bald hoffend, bald wieder daran verzweifelnd, daß der Gelehrte mit ihren Kleidern wiederkehren werde, vom einen Gedanken zum andern überspringend, verfiel sie endlich, da sie die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, vom Schmerz überwältigt in Schlaf.

Unterdessen war die Sonne, die in vollster Sommerglut brannte, bis zum Mittag heraufgerückt und traf mit ihren fast senkrechten Strahlen schutzlos den weichen und zarten Körper und den unbedeckten Kopf der Witwe mit solcher Gewalt, daß ihre Glut das Fleisch, soweit es ihr ausgesetzt war, nicht allein[644] verbrannte, sondern dasselbe Stück für Stück bersten machte. So heftigen Schmerz aber verursachte dies, daß die tief Schlafende davon erwachte. Wie sie nun durch den Schmerz des Brandes zusammenzuckte, schien es ihr, als öffnete sich die ganze versengte Haut und reiße in Stücke, wie wir es mit verbranntem Pergament geschehen sehen, sobald man daran zieht. Überdies schmerzte sie, wie es wahrlich kein Wunder war, der Kopf so sehr, daß sie meinte, er müsse zerspringen. Zugleich war auch der Estrich des Turmes so glühend, daß sie weder mit den Füßen noch sonst mit einem Teile ihres Körpers darauf Ruhe finden konnte, weshalb sie, ohne in derselben Lage irgend zu verweilen, sich unter Tränen stets hin- und herwandte. Dazu fanden sich bei der völligen Windstille auch Fliegen und Bremsen in unermeßlicher Zahl ein, welche sich auf ihre gesprungene Haut setzten und sie so heftig stachen, daß ihr jeder Stich von einem Speere herzurühren schien, so daß sie keinen Augenblick abließ, sich mit den Händen zu wehren, während sie dabei sich selbst, ihr Dasein, ihren Liebhaber und den Gelehrten fortwährend verwünschte.

Dann wieder sprang sie plötzlich auf, von der grenzenlosen Hitze, vom Sonnenbrand, von den Fliegen und Bremsen, zugleich auch vom Hunger und noch viel mehr vom Durst, als Zugabe aber von tausend quälenden Gedanken geängstigt, gepeinigt und durchwühlt, und spähte umher, ob sie nicht in der Nähe irgend jemand sähe oder hörte, völlig entschlossen, ihn anzurufen und um Beistand anzusprechen, was auch daraus werden möchte. Doch auch dies hatte das feindliche Geschick ihr versagt. Die Bauern waren der Hitze wegen alle von den Feldern verschwunden, und niemand war an diesem Tage in jener Gegend zur Arbeit ausgegangen, da sie alle bei ihren Häusern das Korn droschen. Darum hörte sie nichts als Heuschrecken und sah nichts als den Arno, der, mit seinen Wassern ihr Verlangen erregend, ihren Durst nicht etwa stillte, sondern nur vermehrte. Auch sah sie an verschiedenen Stellen Büsche, Schatten und Häuser, wel che alle der danach Begehrenden auf gleiche Weise zur Pein wurden. Was sollen wir noch mehr von dem unglücklichen Weibe berichten? Die Sonne von oben, die Glut des Estrichs von unten und die Stiche der Fliegen [645] und Bremsen von der Seite hatten Helena so zugerichtet, daß sie, die noch wenige Stunden zuvor mit der Weiße ihrer Haut die Schatten der Nacht besiegt hatte, jetzt rot wie die Sünde und ganz mit Blut besudelt war und jedem, der sie sah, als das häßlichste Wesen von der Welt erscheinen mußte. So erwartete sie, ohne Rat und Hoffnung, den Tod mehr als irgend etwas anderes.

Inzwischen war die neunte Tagesstunde schon fast herangekommen, als der Gelehrte, vom Schlafe erwachend, der Witwe gedachte und nach dem Turm zurückkehrte, um zu sehen, was aus ihr geworden sei, während er seinen Diener, der noch nüchtern war, zum Essen fortschickte. Als die Unglückliche dies wahrnahm, kam sie schwach und erschöpft von der großen Pein an die Öffnung, setzte sich dort nieder und begann weinend folgendermaßen: »Rinieri, wohl hast du dich jetzt über alles Maß hinaus gerächt, denn wenn ich dich nachts in meinem Hof vor Frost erstarren ließ, so hast du mich bei Tag auf diesem Turm versengen, ja verbrennen und überdies an Hunger und Durst fast sterben lassen. Ich beschwöre dich daher bei dem alleinigen Gott, komme herauf, und da ich nicht den Mut habe, mir selbst den Tod zu geben, so gib du mir ihn, den ich jetzt mehr begehre als alles andere, so groß ist die Qual, die ich empfinde. Willst du mir aber diese Gunst nicht erweisen, so laß mir wenigstens einen Becher Wasser reichen, damit ich mir den Mund anfeuchten kann, da bei der Trockenheit und der Glut, die ich innerlich fühle, meine Tränen nicht genügen wollen.«

Wohl erriet der Gelehrte an der Stimme das Maß ihrer Schwäche, auch sah er zum Teil ihren von der Sonne ganz versengten Leib. Dies sowohl als auch ihr demütiges Flehen erweckte einiges Mitleid in ihm. Nichtsdestoweniger antwortete er ihr: »Schlechtes Weib, von meinen Händen sollst du nicht sterben, stirb von deinen eigenen, wenn du Verlangen danach hast, und Wasser will ich dir ebensoviel zur Linderung deiner Glut reichen, wie ich Feuer von dir zur Linderung des Frostes bekam. Das eine aber beklage ich sehr: während meine Krankheit, welche die Folge jenes Frostes war, durch die Hitze stinkenden Stallmists geheilt werden mußte, wird deine jetzige Glut mit duftigem Rosenwasser gekühlt und geheilt werden; [646] und während ich meine Nerven, ja mein Leben einzubüßen im Begriff war, wirst du nach dieser sengenden Hitze der Schlange gleich, die ihre alte Haut abstreift, wieder schön werden.«

»O weh mir!« entgegnete die Witwe. »So erlangte Schönheit möge Gott denen gewähren, die mir übel wollen! Aber du, der du grausamer bist als irgendein reißendes Tier, wie hast du es vermocht, mich auf diese Weise zu martern? Was hätte ich von dir oder irgendeinem anderen Schlimmeres erwarten können, wenn ich dein ganzes Geschlecht unter den grausamsten Qualen umgebracht hätte? Wahrlich, ich weiß nicht, welche größere Marter man über einen Verräter, der eine ganze Stadt dem Tode geopfert, hätte verhängen können, als die ist, der du mich preisgegeben hast, indem du mich von der Sonne rösten und von den Fliegen aufzehren ließest. Und nun versagst du mir noch einen Becher Wasser, während man selbst den durch Urteil und Recht verdammten Mördern, wenn sie zum Tode gehen, häufig Wein zu reichen pflegt, sobald sie ihn fordern! Wohlan denn, da ich nun sehe, daß du an deinem grausamen Entschluß festhältst und mein Leiden dich in keiner Weise rühren kann, so will ich mich in Geduld anschicken, den Tod zu empfangen, auf daß Gott mit meiner Seele Mitleid habe. Ihn rufe ich an, daß er mit gerechtem Auge dies dein Werk betrachte.«

Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, zog sie sich unter großer Mühe gegen die Mitte des Estrichs zurück und gab schier die Hoffnung auf, dieser brennenden Glut lebendig zu entkommen. Während sie fortwährend heftig weinte und über ihr trauriges Geschick wehklagte, meinte sie nicht nur einmal, sondern tausendmal, außer ihren übrigen Schmerzen, vor Durst den Verstand zu verlieren.

Schon war es Abend geworden, und nun schien es dem Gelehrten, daß er genug getan habe. Er ließ daher von seinem Diener ihre Kleider nehmen und in dessen Mantel einschlagen. Dann begab er sich zu dem Hause der Unglücklichen, wo er ihre Magd trostlos, traurig und ohne Rat an der Tür sitzen fand und also zu ihr sprach: »Wie geht es deiner Gebieterin, gute Frau?« »Herr«, antwortete ihm die Magd, »ich weiß es nicht. Diesen Morgen glaubte ich sie in ihrem Bett zu finden, [647] in das sie sich, wie es mir schien, gestern abend gelegt hatte. Allein ich fand sie weder hier noch anderswo; auch weiß ich nicht, was aus ihr geworden ist, und lebe deshalb in der größten Sorge. Doch Ihr, o Herr, könnt Ihr mir vielleicht etwas von ihr sagen?« Hierauf entgegnete der Gelehrte: »Hätte ich dich nur zusammen mit ihr dort gehabt, wo ich sie hatte, damit ich dich deiner Schuld wegen ebenso hätte züchtigen können, wie ich sie für die ihre gezüchtigt habe. Doch fürwahr, auch du sollst meinen Händen nicht entgehen, bis ich auch dich für deine Taten so gestraft habe, daß du nie mehr einen Mann betrügst, ohne an mich zu denken.« Nach diesen Worten sprach er zu seinem Diener: »Gib ihr die Kleider und heiße sie nach ihrer Herrin gehen, sobald sie will.« Der Diener richtete diesen Befehl aus. Die Magd aber ergriff die Kleider, erkannte sie, und als sie hörte, was ihr gesagt wurde, fürchtete sie, man habe ihre Gebieterin getötet, und es fehlte nicht viel, daß sie laut aufgeschrien hätte. In Tränen eilte sie, sobald der Gelehrte fort war, mit den Kleidern in vollem Laufe hinaus zu dem Turm.

Zufällig waren einem Arbeiter der Witwe an diesem Tag zwei seiner Schweine entlaufen, die er nun suchte und dabei, bald nachdem der Gelehrte weggegangen war, zu dem kleinen Turm gelangte. Während er noch ringsumher nach seinen Schweinen Ausschau hielt, hörte er das Wehklagen der unglücklichen Frau. Er stieg deshalb hinauf und rief, so laut er konnte: »Wer weint dort oben?« Die Witwe erkannte die Stimme ihres Arbeiters, rief ihn beim Namen und sprach: »Eile zu meiner Magd und sorge, daß sie schnell hier zu mir heraufkommt.« Nun erkannte der Arbeiter auch sie und rief: »Weh mir, Madonna, wer brachte Euch dort hinauf? Eure Magd sucht Euch heute schon den ganzen Tag; aber wer hätte glauben können, daß Ihr dort oben wäret!« Dann nahm er die Stangen der Leiter, fing an sie aufzurichten, wie sie stehen mußte, und band daran mit Weidenbast die einzelnen Querhölzer fest.

Indem kam die Magd dazu, und als sie in den Turm trat, konnte sie ihre Stimme nicht länger zurückhalten, sondern fing unter Händeringen zu rufen an: »Weh mir, meine holde Gebieterin, wo seid Ihr?« Als die Witwe sie hörte, rief sie, so laut sie nur konnte: »O meine Schwester, ich bin hier oben. [648] Weine nicht, sondern reiche mir schnell meine Kleider.« Sobald die Magd sie sprechen hörte, stieg sie, schon fast getröstet, schnell die Leiter empor, die der Bauer beinahe ganz zurechtgemacht hatte, und gelangte mit seinem Beistand auf den Söller. Als sie nun aber ihre Gebieterin, kaum einem menschlichen Körper, sondern viel eher einem verkohlten Holzklotz ähnlich, ganz erschöpft, ganz entstellt und nackt auf dem Söller liegen sah, fuhr sie sich mit den Nägeln ins Gesicht und wehklagte nicht anders über sie, als wäre sie tot. Die Dame aber beschwor sie bei Gott, zu schweigen und ihr beim Ankleiden zu helfen. Und nachdem sie von ihr erfahren hatte, daß niemand außer denen, die ihr die Kleider gebracht, und dem anwesenden Arbeiter vernommen hatte, wo sie gewesen sei, tröstete sie sich halbwegs und beschwor sie nur, niemand je etwas hiervon zu sagen.

Nach langem Reden lud der Arbeiter sich die Dame, die nicht gehen konnte, auf die Schulter und trug sie glücklich vom Turme herab. Die unglückliche Magd aber, die zurückgeblieben war, stieg die Leiter weniger vorsichtig hinunter, glitt mit dem Fuß aus und fiel von oben auf die Erde herab, wobei sie sich das Hüftbein brach und wie ein Löwe zu brüllen anfing. Der Arbeiter bettete die Dame auf einen Rasenfleck und ging dann zu sehen, was der Magd widerfahren sei. Als er sie mit gebrochenem Bein fand, trug er sie ebenfalls zum Rasen hin und legte sie neben ihrer Gebieterin nieder. Da diese nun noch ein solches Unglück zu all dem übrigen Mißgeschick hinzukommen sah und jetzt die Dienerin mit gebrochenem Bein erblickte, von der sie mehr als von irgend jemand anderm Hilfe erwartet hatte, ward sie über die Maßen traurig und fing von neuem so bitterlich zu weinen an, daß ihr Arbeiter sie nicht zu trösten vermochte, sondern selbst zu weinen anhub.

Doch da die Sonne schon tief stand, begab er sich auf den Wunsch der untröstlichen Dame, um hier nicht von der Nacht überrascht zu werden, nach seinem Hause, rief zwei seiner Brüder und seine Frau herbei und kehrte in deren Begleitung mit einem Brett zurück, auf das man die Magd legte und sie so nach Hause trug. Die Witwe aber stärkte er mit frischem Wasser und mit guten Worten, nahm sie dann auf seine Schulter [649] und trug sie in ihre Kammer. Die Frau des Arbeiters gab ihr geröstetes Brot zu essen, kleidete sie aus und brachte sie zu Bett. In der folgenden Nacht aber trug der Arbeiter Sorge, daß die Dame und ihre Magd nach Florenz getragen wurden.

Die Witwe, die unerschöpflich an allerhand Listen war, ersann hier eine fabelhafte Geschichte, die mit dem wirklich Geschehenen nichts gemein hatte, und machte dadurch ihren Brüdern, Schwestern und jedem andern weis, daß dies alles ihr selbst und der Magd allein durch Zauberkünste und Teufelsspuk zugestoßen sei. Ärzte waren zur Hand, welche die Witwe, der mehr als einmal die ganze Haut am Bettlaken kleben blieb, nicht ohne viel Angst und Trübsal von einem heftigen Fieber und andern Begleitumständen, die Magd aber von ihrem Beinbruch heilten. Um aller dieser Dinge willen vergaß jene ihren Liebhaber und hütete sich fortan wohlweislich sowohl vor dem Verhöhnen als auch vor dem Verlieben.

Als der Gelehrte von dem Beinbruch der Magd hörte, meinte er, hinreichende Rache genommen zu haben, und ließ nun, zufrieden und ohne weiterzugehen, die Sache auf sich beruhen. So also erging es der törichten Frau mit ihrem Spotte, indem sie einen Gelehrten ebenso leicht anführen zu können glaubte wie einen anderen, und nicht wußte, daß diese, wenn auch nicht alle, so doch zum größten Teil wissen, wo der Teufel den Schwanz hält. Und darum, geliebte Damen, hütet euch, jemand betrügen zu wollen, doch besonders die Gelehrten.

[650] Achte Geschichte

Zwei Freunde verkehren miteinander. Der eine schläft bei der Frau des anderen; dieser merkt es und nötigt seine Frau, ersteren in eine große Truhe zu sperren, auf der er nun, während jener darin ist, mit dessen Frau sein Spiel treibt.


Schwer und schmerzlich waren Helenas Unglücksfalle den Damen anzuhören gewesen, allein, weil sie der Meinung waren, sie seien zum Teil mit Recht über sie gekommen, hatten sie dieselben mit gemäßigterem Mitgefühl angehört, obwohl sie den Gelehrten einen harten und unerbittlichen, ja einen grausamen Mann nannten. Doch als Pampinea nun zu Ende gekommen war, gebot die Königin der Fiammetta fortzufahren, und diese sprach, bereit zu gehorchen, also:

Anmutige Mädchen, weil es mir so vorkommt, als sei die Strenge des beleidigten Gelehrten euch doch etwas zu Herzen gegangen, scheint es mir schicklich, die schmerzlich bewegten Geister wieder etwas aufzuheitern. Darum gedenke ich euch eine kleine Geschichte von einem jungen Mann zu erzählen, der mit ruhigerer Seele eine Beleidigung hinnahm und diese gemäßigter vergalt. Aus dieser Geschichte könnt ihr lernen, daß es jedem genügen muß, wenn der Esel wiederbekommt, wie er gegen die Wand schlug, und daß man, um die erlittene Unbill zu rächen, nicht darauf ausgehen soll, die Gegner mit einer über die Gebühr gesteigerten Rache zu verletzen, während man nur eine Beleidigung rächen wollte.

Wie ich gehört habe, lebten einst in Siena zwei junge Leute, die wohlbegütert waren und aus guten Bürgerhäusern stammten. Der eine hieß Spinelloccio Tanena, der andere Zeppa di Mino, und sie waren beide Hausnachbarn in der Straße Camollia. Diese jungen Männer lebten beständig miteinander und schienen sich ihrem ganzen Benehmen nach mehr zu lieben, als wenn sie Brüder gewesen wären, und jeder von ihnen hatte eine ganz hübsche Frau zur Gattin. Nun begab es sich aber, daß Spinelloccio, der viel in Zeppas Haus verkehrte, mochte dieser da sein oder nicht, sich so mit Zeppas Frau befreundete, daß er anfing, bei ihr zu schlafen, und dies setzten sie beide geraume Zeit fort, ehe jemand etwas davon gewahr ward.

[651] Im Verlaufe der Zeit geschah es jedoch, daß Zeppa eines Tages zu Hause war, während die Frau es nicht wußte und Spinelloccio ihn abzuholen kam. Als die Frau entgegnete, er sei nicht zu Hause, kam Spinelloccio schnell herauf, und da er die Frau im Vorsaal fand und sonst niemand darin erblickte, umarmte und küßte er sie, und sie ihn. Dies sah Zeppa; allein er sagte kein Wort, sondern hielt sich verborgen, um zu sehen, wie dies Spiel enden würde. In der Tat sah er seine Frau und Spinelloccio Arm in Arm nach seiner Kammer gehen und sich dort einschließen. Dies entrüstete ihn natürlich sehr. Da er jedoch einsah, daß durch Lärmen und dergleichen seine Beleidigung nicht geringer, vielmehr die Schmach nur noch vergrößert würde, so beschränkte er sich darauf, darüber nachzudenken, wie er Rache nehmen könne, die, ohne daß andere davon erführen, sein Gemüt vollständig befriedigte.

Nach langem Nachsinnen glaubte er endlich den Weg dazu gefunden zu haben und hielt sich nun solange verborgen, wie Spinelloccio bei seiner Frau verweilte. Sobald dieser fort war, trat er in die Kammer, wo er die Frau noch damit beschäftigt fand, sich das Kopftuch wieder zurechtzumachen, das Spinelloccio ihr im Scherze abgenommen hatte. »Weib«, sagte er, »was treibst du?« »Nun, siehst du es nicht?« entgegnete die Frau. »Jawohl«, sagte Zeppa, »und ich habe auch noch anderes gesehen, das ich nicht gesehen zu haben wünschte.« Nun sprach er mit ihr über das Geschehene, und nach vielen Ausreden gestand sie ihm in größter Angst, was sie von ihrem Verkehr mit Spinelloccio nicht gut leugnen konnte. Darauf begann sie ihn weinend um Vergebung zu bitten. Zeppa antwortete ihr: »Sieh, Weib, du hast ein Unrecht begangen, und wenn du willst, daß ich dir dieses Unrecht verzeihe, so habe acht, vollständig auszuführen, was ich dir gebieten werde. Dies aber besteht darin: ich will, daß du dem Spinelloccio sagen läßt, er solle morgen um die dritte Tagesstunde irgendeinen Vorwand finden, sich von mir loszumachen, und hierher zu dir kommen. Wenn er dann hier sein wird, werde ich zurückkommen, und sobald du mich hören wirst, sieh zu, daß er in diese Truhe kriecht und schließe ihn darin ein. Wenn du dies vollbracht hast, werde ich dir das übrige, was du zu tun hast, schon sagen. Bei dem[652] allem brauchst du keine Furcht zu haben; denn ich verspreche dir, daß ich ihm nichts zuleide tun werde.«

Um ihn zu besänftigen, sagte die Frau, sie wolle es tun, und so geschah es auch. Am folgenden Tag, als Zeppa mit Spinelloccio um die dritte Morgenstunde zusammen war, sprach der letztere, welcher der Frau verheißen hatte, um diese Stunde zu ihr zu kommen, zum Zeppa: »Ich muß heute morgen mit einem Freund essen, den ich nicht warten lassen mag, und darum Gott befohlen.« »Es ist ja jetzt nicht Essenszeit«, sprach Zeppa. »Schadet nichts«, antwortete Spinelloccio, »ich habe auch mit ihm über eine Sache zu sprechen und muß darum zeitig dort sein.«

Nachdem Spinelloccio sich von Zeppa losgemacht hatte, ging er mit einem kleinen Umweg zu der Frau des letzteren, und wie sie beide in der Kammer waren, dauerte es nicht lange, so kehrte Zeppa heim. Als die Frau ihn hörte, stellte sie sich sehr erschrocken und hieß ihren Liebhaber sich in der Truhe verbergen, die ihr Gatte ihr bezeichnet hatte, schloß ihn darin ein und verließ dann die Kammer. Zeppa kam herauf und rief: »Frau, ist es nicht Essenszeit?« »Jawohl«, antwortete ihm diese, »viel fehlt nicht mehr.« Nun fuhr Zeppa fort: »Spinelloccio ist heute morgen zu einem Freund zum Essen gegangen und hat seine Frau allein gelassen. Geh also ans Fenster und rufe sie und sag ihr, sie soll zu uns zum Essen kommen.« Die Frau, die immer noch für sich selbst fürchtete und darum ganz gehorsam geworden war, tat, was der Mann ihr befahl.

Spinelloccios Frau erschien auf die dringlichen Bitten der Frau des Zeppa, als sie hörte, daß ihr Mann nicht zu Hause essen würde. Zeppa empfing sie mit der größten Zuvorkommenheit, ergriff sie vertraulich bei der Hand, und indem er seiner Frau heimlich befahl, in die Küche hinabzugehen, führte er sie in die Kammer, die er, sobald sie eingetreten waren, von innen verschloß. Als die Frau ihn die Kammertür verschließen sah, rief sie: »Weh mir, Zeppa, was soll dies bedeuten? Darum also habt Ihr mich herüberkommen lassen? Ist dies die Liebe, die Ihr dem Spinelloccio beweist, und die treue Freundschaft, die Ihr mit ihm haltet?« Hierauf entgegnete ihr Zeppa, indem er sich der Truhe, worin ihr Mann eingeschlossen war, näherte [653] und sie festhielt: »Ehe du mir Vorwürfe machst, höre, was ich dir sagen werde. Ich habe den Spinelloccio geliebt und liebe ihn noch wie meinen Bruder. Doch gestern habe ich, obgleich er noch nichts davon weiß, entdeckt, wie das Vertrauen, das ich auf ihn gesetzt habe, dahin geführt hat, daß er bei meiner Frau schläft wie bei dir. Nun aber will ich, eben weil ich ihn liebe, meine Rache an ihm so nehmen, wie die Beleidigung gewesen ist. Er hat meine Frau besessen, und ich beabsichtige, dich ebenso zu besitzen. Willst du dies nicht, wahrlich, so muß ich ihn anders fassen, und weil ich diesen Schimpf durchaus nicht ungestraft zu lassen gedenke, so muß ich ihm dann ein Spiel machen, daß weder du noch er je wieder froh sein werdet.«

Als die Frau dies hörte und es nach vielen Beteuerungen Zeppas glaubte, sprach sie: »Lieber Zeppa, da nun deine Rache auf mich fallen soll, so bin auch ich damit zufrieden, wenn du nur Sorge trägst, daß ich wegen dessen, was wir tun sollen, mit deiner Frau in Frieden bleibe, wie ich, trotz allem, was sie mir angetan, mit ihr in Frieden zu bleiben gedenke.« Hierauf sprach Zeppa: »Gewiß, das will ich schon machen. Überdies aber schenke ich dir auch einen so kostbaren und schönen Edelstein, wie keine andere als du ihn haben soll.« Und nach diesen Worten umarmte er sie, fing an sie zu küssen, streckte sie dann auf die Truhe hin, in der ihr Mann eingeschlossen war und ergötzte sich hier mit ihr und sie mit ihm, solange es ihm gefiel.

Spinelloccio, der in der Truhe steckte und dieses ganze Gespräch, sowohl was Zeppa gesagt, als auch was seine Frau geantwortet, mit angehört und dann den Trevisaner Tanz über seinem Kopf vernommen hatte, fühlte lange Zeit solchen Schmerz darüber, daß er zu sterben meinte, und hätte er sich nicht vor Zeppa gefürchtet, so hätte er seiner Frau ein schlimmes Wort zugerufen und ihr, eingeschlossen wie er war, die ärgsten Sachen gesagt. Zuletzt bedachte er jedoch, daß der Schimpf von ihm ausgegangen war und Zeppa recht hatte zu tun, was er tat, ja daß er sich menschlich und wie ein Freund gegen ihn benahm, und deshalb versprach er sich selbst, mehr noch als zuvor Zeppas Freund sein zu wollen, wenn dieser es begehrte. Nachdem jener, solange er wollte, mit der Frau verweilt, stieg er von der Truhe herunter, und da die Frau den [654] versprochenen Edelstein von ihm forderte, öffnete er die Kammer und ließ seine Frau kommen, welche weiter nichts sagte als: »Madonna, Ihr habt mir Gleiches mit Gleichem vergolten.« Und auch dies sagte sie lächelnd. »Nun«, sprach Zeppa zu ihr, »mach die Truhe auf.« Und so tat sie. Er aber zeigte jener darin ihren Spinelloccio.

Es läßt sich schwer entscheiden, wer von beiden sich mehr schämte, Spinelloccio, als er den Zeppa erblickte, von dem er wußte, daß ihm bekannt war, was er getan hatte, oder die Frau, als sie ihren Mann sah und nun erkannte, daß er gehört und gefühlt habe, was sie auf der Truhe getrieben. Doch Zeppa sagte zu ihr: »Sieh, hier ist der Edelstein, den ich dir schenke.« Spinelloccio indes sprang aus der Truhe und sagte, ohne viel Umstände zu machen: »Zeppa, wir sind quitt, und darum ist es gut, daß wir, wie du vorhin zu meiner Frau gesagt hast, Freunde bleiben, wie wir waren; ja daß, wie bisher nichts unter uns geschieden war als die Frauen, wir auch diese fortan zwischen uns teilen.« Zeppa war damit einverstanden, und im besten Frieden von der Welt aßen sie alle viere zusammen. Von nun an aber hatte jede dieser beiden Frauen zwei Männer, und jeder Mann zwei Frauen, ohne daß deshalb jemals ein Streit oder Gezänk zwischen ihnen entstand.

Neunte Geschichte

Meister Simon, der Arzt, wird von Bruno und Buffalmacco, welche ihn in eine Gesellschaft, die kursieren geht, aufzunehmen versprochen, nachts an einen Ort geschickt, von Buffalmacco in eine Dunggrube gestoßen und darin gelassen.


Nachdem die Damen noch eine Zeitlang über die von den beiden Sienesern eingeführte Weibergemeinschaft geschwatzt hatten, begann die Königin, der allein noch zu erzählen übrigblieb, wenn sie das Vorrecht des Dioneo nicht schmälern wollte, folgendermaßen:

Allerdings, ihr liebevollen Mädchen, hatte Spinelloccio den [655] Streich verdient, welchen Zeppa ihm spielte, und deshalb glaube ich nicht – wie Pampinea uns vor kurzem zeigen wollte –, daß derjenige bitter zu tadeln sei, welcher dem einen Possen spielt, der dies entweder selbst herbeiführt oder der es verdient. Spinelloccio verdiente es; ich aber beabsichtige, euch von einem andern zu erzählen, der sich zu einem solchen Possen gleichsam einlud, und bin dabei der Meinung, daß die, welche ihm diesen Streich spielten, keineswegs zu tadeln, sondern zu loben sind. Der aber, dem dieser Streich gespielt wurde, war ein Arzt, der als ein Schafskopf von Bologna zurückkehrte, obgleich er mit edlem Pelzwerk von oben bis unten verbrämt war.

Wie wir's täglich erleben, kehren unsere Stadtkinder, der eine als Richter, der andere als Arzt, der dritte als Notarius von Bologna mit langen und faltigen Röcken heim, mit Scharlach und Pelzverbrämungen und mit allerhand anderm stattlichem Aufputz, und welche Erfolge dem entsprechen, sehen wir gleichfalls alle Tage. Unter diesen kam vor nicht langer Zeit ein gewisser Meister Simone da Villa, ein Mann, der an Erbgütern reicher war als an Wissenschaft, prächtig in Scharlach gekleidet und mit großem Mantelkragen und seiner Versicherung nach als Doktor der Medizin, zu uns wieder heim und nahm seine Wohnung in der Straße, welche wir heute die Via del Cocomero nennen.

Dieser Meister Simon nun, der, wie erzählt, eben erst in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, hatte unter andern merkwürdigen Gewohnheiten auch die, jeden, der bei ihm war, unablässig zu fragen, wer jeder einzelne Mensch sei, den er über die Straße gehen sah, wobei er – just als ob er aus den Handlungen der Menschen die Medikamente für seine Kranken zusammenzusetzen hätte – auf alles acht gab und sich alles genau merkte. Unter andern, auf die er mit besonderer Aufmerksamkeit seine Augen geworfen hatte, befanden sich auch zwei Maler, von denen heute schon zweimal hier erzählt worden ist, Bruno und Buffalmacco, die in stetem Verkehr miteinander lebten und seine Nachbarn waren. Es schien ihm, daß diese beiden sich weniger Sorgen machten und fröhlicher lebten als irgend jemand auf der Welt – wie sie es denn auch wirklich [656] taten –, und er erkundigte sich daher bei mehreren anderen nach ihren Verhältnissen. Da er nun von allen hörte, sie seien arme Leute und Maler, setzte sich bei ihm der Gedanke fest, sie könnten unmöglich so fröhlich von ihrer Armut leben. Vielmehr hielt er dafür, sie müßten, da sie, wie er gehört hatte, gar schlaue Gesellen wären, von irgendeiner den Leuten unbekannten Seite her große Einnahmen beziehen.

Daraus nun entstand in ihm das Verlangen, wenn es sich machen ließe, mit beiden oder wenigstens mit einem von ihnen vertraut zu werden, und in der Tat gelang es ihm, mit Bruno näheren Umgang anzuknüpfen. Als Bruno wenige Male mit ihm zusammen gewesen war, erkannte er in dem Doktor einen Dummkopf, und er fing an, sich mit ihm unter stets neuen Einfällen den größten Spaß von der Welt zu machen, und der Doktor fand gleichfalls an Brunos Umgang die größte Freude.

Nachdem er ihn mehrere Male zu sich zum Essen geladen hatte und deshalb meinte, nun ganz vertraulich mit ihm sprechen zu können, erzählte er ihm, wie sehr er sich über ihn und Buffalmacco gewundert habe, daß sie als arme Leute ein so lustiges Leben führten, und bat ihn, ihm zu sagen, wie sie das eigentlich anstellten.

Als Bruno den Doktor hörte und diese Frage ihm wieder so eine von seinen vielen törichten und albernen zu sein schien, fing er an zu lachen und nahm sich vor, ihm so zu antworten, wie es seine Einfalt verdiente. Darum sprach er: »Meister, ich würde es nicht vielen sagen, wie wir das anfangen; doch nehme ich keinen Anstand, es Euch zu gestehen, der Ihr mein Freund seid und von dem ich weiß, daß Ihr es niemand weitersagen werdet. In der Tat ist es richtig, daß mein Kamerad und ich so fröhlich und wohlgemut leben, wie es Euch scheint, und eher noch fröhlicher. Von unserer Kunst oder von irgendeinem andern Ertrag, den wir aus unseren Besitzungen ziehen, könnten wir allerdings nicht einmal das Wasser bezahlen, das wir verbrauchen. Doch darum müßt Ihr nicht glauben, daß wir stehlen gehen, sondern wir gehen nur kursieren, und daraus ziehen wir, ohne einem dritten zu schaden, alles und jedes, was zu unserem Vergnügen oder Bedürfnis dient. Daraus allein entspringt die heitere Lebensweise, die Ihr uns führen seht.«

[657] Als der Doktor dies hörte und alles glaubte, ohne zu wissen, was es bedeutete, wunderte er sich über alle Maßen. Zugleich aber überkam ihn auch das heftigste Verlangen zu erfahren, was dies Kursierengehen bedeute, und er bat daher den Bruno auf das inständigste, es ihm zu sagen, wobei er beteuerte, daß er es gewiß und wahrhaftig niemals jemandem wiedersagen würde. »Weh mir«, erwiderte Bruno, »Meister, was verlangt Ihr von mir? Es ist ein gar zu großes Geheimnis, das Ihr von mir zu wissen begehrt, und eine Geschichte, die mich unglücklich machen und aus der Welt, ja geradezu dem Luzifer von San Gallo in den Rachen jagen kann, wenn ein dritter es wiedererführe. Aber so groß ist die Liebe, die ich zu Eurer qualitativen Pinselhaftigkeit von Legnaja hege, so groß das Vertrauen, das ich in Euch setze, daß ich Euch nichts abschlagen kann, was Ihr begehrt. Drum will ich es Euch sagen, unter der Bedingung jedoch, daß Ihr mir beim Kreuz von Mon Tesone schwört, es niemals jemandem wiederzuerzählen, wie Ihr versprochen habt.« Der Meister beteuerte, daß er es nicht tun wolle.

»Ihr müßt also wissen«, sprach Bruno, »mein zuckersüßer Meister, wie es noch gar nicht lange her ist, seit in dieser Stadt ein großer Zauberkünstler und Meister der Schwarzen Kunst weilte, welcher Michael Scotto hieß, weil er aus Schottland war, und von vielen adeligen Männern, von denen jetzt nur noch wenige leben, große Ehre empfing. Als dieser nun von hier abreisen wollte, ließ er auf ihre Bitten hin zwei seiner einsichtigsten Schüler zurück. Diesen trug er auf, beständig zu jedem Wunsch dieser edlen Herren, welche ihn so geehrt hatten, bereit und gewärtig zu sein. Diese dienten nun den eben erwähnten Edelleuten in mehreren kleinen Liebessachen und anderen Stücken willig. Zuletzt aber, da ihnen die Stadt und die Sitten der Einwohner gefielen, entschlossen sie sich, für immer hierzubleiben, und befreundeten sich eng mit einigen Bürgern, ohne darauf zu achten, wer diese wären, ob von Adel oder nicht von Adel, ob reich oder arm, nur vorausgesetzt, daß es Leute waren, die zu ihren Sitten paßten.

Um nun ihren so gewonnenen Freunden gefällig zu sein, stifteten sie eine Gesellschaft von etwa fünfundzwanzig Männern, [658] welche sich wenigstens zweimal im Monat an einem von ihnen bestimmten Orte versammeln. Sind sie hier beieinander, sagt ein jeder ihnen seinen Wunsch, und sie verschaffen ihm diesen sogleich für die Nacht. Mit diesen beiden stehen nun ich und Buffalmacco in besonderer und vertrauter Freundschaft, und wir wurden daher von ihnen in jene Gesellschaft aufgenommen und sind noch darin. Und ich sage Euch, sooft wir uns versammeln, ist es etwas Wunderbares, die Wandverkleidungen rings im Saal zu sehen, in dem wir speisen, und die königlich bedienten Tische, und die Menge edler und schöner Diener, sowohl Frauen als Männer, zur Freude jedes Mitgliedes dieser Gesellschaft, und die schönen Becken, die Weinkrüge und Flaschen, die Becher und das übrige Gerät von Gold und Silber, von dem wir essen und trinken; und außerdem die vielen und verschiedenen Gerichte, welche, je nachdem ein jeder sie begehrt, aufgetragen werden, jede Schüssel zu ihrer gehörigen Zeit. Aber nie könnte ich Euch beschreiben, wie mannigfach und von welcher Art die süßen Töne unzähliger Instrumente und die melodienreichen Gesänge sind, die man hier vernimmt. Ebensowenig könnte ich Euch erzählen, wie groß die Masse der Wachskerzen ist, die bei diesen Gastmahlen brennen, noch welche Menge von Konfekt hier verzehrt wird, oder wie kostbar die Weine sind, die dabei getrunken werden. Und ich möchte nicht, mein Salzkürbislein, daß Ihr etwa glaubtet, wir wären dort mit den Kleidern und in dem Gewand, das Ihr jetzt an uns sehet. Nein, keiner ist dort so schlecht gekleidet, daß er nicht einem Kaiser gliche, mit so kostbaren Stoffen und so herrlichen Sachen sind wir geschmückt. Doch über alle Freuden, die wir dort finden, geht die Lust an den schönen Frauen, welche augenblicklich, sowie es nur einer wünscht, uns aus der ganzen Welt herbeigeschafft werden. Dort könnt Ihr die Beherrscherin der Bartnicker, die Königin der Basken, die Gemahlin des Großsultans, die Kaiserin von Usbecchien, Frau Schwatzin aus dem Mondenlande, die Großmogulin von Plapperheim und Frau Trulle von Nasenheim sehen. Doch was zähle ich Euch diese einzeln auf? Dort könnt Ihr alle Königinnen der Welt finden, bis zur Chinchimurra des Priesterkönigs Johannes, welche die Hörner mitten auf dem Hintern trägt.

[659] Nun seht Ihr wohl! Haben wir getrunken, uns mit Backwerk gestärkt und ein oder zwei Tänzchen gemacht, so begibt sich jede von diesen mit dem, auf dessen Wunsch sie erschienen ist, in eine besondere Kammer. Und wissen müßt Ihr, daß diese Kammern wie ein wahres Paradies anzusehen sind, so schön sind sie, und nicht weniger duftend als die Arzneibüchsen in Eurem Apothekerladen, wenn Ihr gerade Kümmel stoßen laßt; und Betten gibt es da, die Euch schöner dünken würden als das des Dogen von Venedig, und in diese legt sich jedes Paar zum Schlafen nieder. Und wie dann jene Weberinnen die Tritte rühren und den Einschlag an sich ziehen, um das Tuch recht dicht zu weben, das könnt Ihr Euch selbst ausmalen. Doch zu denen, die am besten dran sind, gehören meiner Meinung nach Buffalmacco und ich; denn Buffalmacco läßt sich meist die Königin von Frankreich kommen, während ich die von England vorziehe, welche beiden wohl die schönsten Frauen auf Erden sind, und wir haben uns so bei ihnen einzuschmeicheln gewußt, daß sie für niemand anders mehr ein Auge im Kopf haben als eben für uns. Deshalb könnt Ihr denn wohl ermessen, ob wir nicht mehr als die andern Menschen lustig und guter Dinge leben und sein können und müssen, wenn Ihr bedenkt, daß wir die Liebe zweier solcher Königinnen besitzen, abgesehen davon, daß wir, wenn wir ein- oder zweitausend Goldstücke von ihnen begehren, sie nicht bekommen. Dies eben nennen wir kursieren gehen; denn wie die Korsaren die Besitztümer eines jeden sich aneignen, so machen auch wir es, mit dem Unterschied jedoch, daß jene sie niemals, wir sie aber zurückgeben, sobald wir sie gebraucht haben. Und so habt Ihr, mein allervortrefflichster Meister, nun gehört, was wir kursieren gehen nennen. Allein, wie sehr dies alles geheim bleiben muß, das seht Ihr wohl selbst ein, und darum sage ich nichts mehr darüber und bitte Euch nicht erst weiter darum.«

Der Doktor, dessen Wissenschaft sich wahrscheinlich nicht weiter erstreckte, als kleinen Kindern den Grind zu kurieren, schenkte Brunos Worten soviel Glauben, als es nur bei irgendeiner ausgemachten Wahrheit angemessen gewesen wäre, und er ward von solchem Verlangen, in diese Gesellschaft aufgenommen zu werden, entflammt, wie er sich von keinem andern [660] wünschenswerten Ding hätte entflammen lassen können. Deshalb antwortete er Bruno: freilich sei es ihm nun kein Wunder mehr, wenn sie fröhlich und guter Dinge lebten. Nur mit großer Mühe zügelte er sich so weit, daß er die Bitte, ihn in jene Gesellschaft aufnehmen zu lassen, verschob, bis er dem Bruno noch mehr Ehre erwiesen hätte, um alsdann seinen Antrag mit größerer Zuversicht vorbringen zu können. Er überwand sich jedoch und setzte den Umgang mit ihm fleißig fort, lud ihn abends und morgens zu Tisch und bezeigte ihm überhaupt eine übermäßige Liebe.

Bald ward diese Vertraulichkeit so groß und anhaltend, daß es schien, als könnte der Doktor ohne Bruno nicht mehr sein oder leben. Bruno, der sich dabei ganz wohl befand, hatte dem Doktor, um für alle Ehre, welche dieser ihm erwies, nicht undankbar zu scheinen, in seinem Speisesaal die Fasten gemalt und ein Agnus Dei über den Eingang seines Zimmers, über die Haustür aber ein Uringlas gepinselt, damit die, welche seines Rats bedürften, ihn vor andern zu erkennen wüßten. In einer offenen Halle aber malte er ihm den Kampf der Mäuse mit den Katzen, welches Gemälde der Doktor für ein wunderschönes Werk hielt. Außerdem aber sagte er gelegentlich zum Meister, wenn er gerade nicht bei ihm zu Abend gegessen hatte: »Diese Nacht war ich in unserer Gesellschaft, und da ich der Königin von England ein wenig überdrüssig bin, so habe ich mir heute Frau Gumedra, die Gemahlin des Großmoguls von Tarisi, kommen lassen.« »Was bedeutet Gumedra?« fragte der Doktor. »Ich verstehe alle diese Namen nicht.« »O mein liebster Meister«, antwortete Bruno, »darüber wundere ich mich gar nicht. Ich habe oft sagen hören, daß Hippengras und Achwieschön nichts davon berichten.« »Du meinst wohl«, erwiderte der Meister, »Hippokrates und Avicenna?« »Meiner Treu, ich weiß nicht«, entgegnete Bruno, »ich verstehe mich auf Eure Namen ebenso schlecht wie Ihr Euch auf die meinigen. Aber Gumedra bedeutet in der Sprache des Großmoguls soviel wie Kaiserin in der unseren. Oh, wie würde Euch das Weibsbild gefallen! Ich sage Euch, sie machte Euch Medikamente und Klistiere und Pflaster und alles andere vergessen!«

Durch solche Erzählungen brachte er ihn von Zeit zu Zeit [661] noch mehr in die Hitze, und in der Meinung, daß er den Bruno nun durch allerhand Ehrenbezeigungen genügend für sich eingenommen habe, entschloß sich der Doktor eines Abends, als er lange aufblieb und dem Bruno das Licht hielt, während er an der Mäuse- und Katzenschlacht malte, diesem seine Wünsche zu eröffnen. Sie waren allein, und er begann: »Bruno, Gott weiß, jetzt lebt kein Mensch, für den ich alles so tun könnte wie für dich, und wenn du mir jetzt sagtest, gehe nach Peretola, ich glaube, wenig fehlte daran, so ginge ich. Darum mußt du dich denn nicht wundern, wenn ich ganz vertraulich und mit aller Zuversicht dich um etwas bitte. Wie du weißt, ist es noch nicht lange her, daß du mir von der Art und Weise eurer lustigen Gesellschaft erzählt hast. Mich aber hat ein so großes Verlangen ergriffen, zu dieser zu gehören, daß niemals von irgendwem etwas anderes so heftig begehrt worden ist. Daß ich aber dazu guten Grund habe, würdest du bald sehen, wenn es mir gelänge, in sie aufgenommen zu werden. Denn gleich jetzt will ich dir das Recht geben, daß du mich zum Narren halten sollst, wenn ich nicht das schönste Mägdlein, das du seit langer Zeit gesehen hast, dorthin kommen lasse, das ich erst im vorigen Jahr in Kackenwinkel gesehen und dem ich mein ganzes Herz geschenkt habe. Beim Leibe Christi, ich wollte der Kleinen damals zehn bolognesische Groschen geben, wäre sie mir zu Willen gewesen, allein sie wollte nicht. Und so bitte ich dich denn, so sehr ich nur kann, sag mir, was hab ich zu tun, um hinkommen zu können. Und mach und wirke, daß ich dort aufgenommen werde; wahrhaftig, ihr sollt an mir einen guten, getreuen und ehrenwerten Kameraden haben. Zuvörderst siehst du, daß ich ein ganz hübscher Mann bin und die Beine mir gut zu Leibe stehen; und ein Gesicht habe ich wie eine Rose, und außerdem bin ich Doktor der Medizin, dergleichen ich nicht glaube, daß ihr unter euch habt, und viele prächtige Geschichten weiß ich und schöne Lieder, und gleich will ich dir eines singen.« Und damit sang er los.

Bruno hatte solch ein Verlangen zu lachen, daß er sich fast nicht halten konnte; doch bezwang er sich. Als das Lied zu Ende war, sprach der Doktor: »Nun, was hältst du davon?« »Wahrhaftig«, entgegnete Bruno, »gegen Euch können nicht [662] einmal die Strohfiedeln aufkommen, so wundersambarlicher Weise könnt Ihr singen und übersingen.« »Nicht wahr«, sagte der Meister, »ich sage dir, du hättest mir's nicht geglaubt, wenn du mich nicht selbst gehört hättest.« »Gewiß, Ihr sagt die Wahrheit«, entgegnete Bruno. »Oh, ich weiß noch viele andere«, erwiderte der Meister, »aber lassen wir das jetzt. So wie du mich hier siehst, war mein Vater ein Edelmann, obschon er auf dem Dorf wohnte, und von Mutterseite her stamme ich aus dem Geschlecht der Herren von Valecchio. Und wie du hast sehen können, habe ich schönere Bücher und bessere Kleider als irgendein Arzt in ganz Florenz. Gottestreu, ich habe Sachen, die, alles gerechnet, mich fast hundert Lire in Hellern kosteten, und die habe ich schon seit mehr als zehn Jahren. Drum beschwöre ich dich, soviel ich kann, mach, daß ich dort aufgenommen werde. So wahr Gott lebt, wenn du das fertigbringst, so sei krank, soviel du Lust hast, nie werde ich dir einen Dreier für meine Bemühungen abnehmen.«

Als Bruno dies hörte und erkannte, was er schon oft festgestellt hatte, daß nämlich der Doktor ein Einfaltspinsel sei, rief er: »Meister, leuchtet einmal ein wenig hierher und geduldet Euch, bis ich diesen Mäusen hier die Schwänze gemalt habe; dann will ich Euch antworten.«

Als die Schwänze fertig waren, tat Bruno, als wenn dieser Antrag ihn sehr in Verlegenheit setzte, und sprach: »Liebster Meister, freilich sind das gar große Dinge, die Ihr für mich zu tun bereit seid, und ich erkenne das wohl an. Doch bei alledem ist, was Ihr von mir verlangt, so klein es auch im Vergleich zu der Größe Eures Gehirns ist, für mich eine gar große Sache. Ich kenne keinen Menschen auf der Welt, für den ich – die Möglichkeit es zu tun vorausgesetzt – mich dazu entschlösse, wenn ich es nicht für Euch tue. Ich will es teils tun, weil ich Euch so liebe, wie es Euch zukommt, teils Eurer Worte wegen, die so mit Weisheit gewürzt sind, daß sie die Betschwestern aus den Wasserstiefeln ziehen und mich von meinem Vorsatz abbringen können, und je länger ich mit Euch umgehe, um so weiser kommt Ihr mir vor. Ja, auch das will ich Euch sagen: wenn ich keine anderen Gründe hätte, Euch liebzuhaben, so tät ich es schon darum, weil Ihr Euch in etwas so [663] Schönes, von dem Ihr eben sprachet, verliebt habt. Leider aber muß ich Euch gestehen, daß ich in diesen Dingen weniger vermag, als Ihr glaubt, und darum kann ich für Euch nicht soviel tun, wie nötig wäre. Doch wenn Ihr mir bei Eurer festen und vielverbrüchlichen Treue versprecht, das Geheimnis zu bewahren, so will ich Euch den Weg anzeigen, den Ihr einschlagen müßt, und dann halte ich es für gewiß, daß es Euch, die Ihr so schöne Bücher und andere Dinge besitzt, von denen Ihr mir gesagt habt, notwendig gelingen muß.«

»Sprich nur dreist«, entgegnete der Meister. »Ich sehe wohl, du kennst mich noch nicht recht und weißt nicht, wie ich Geheimnisse zu bewahren verstehe. Traun, es waren wenig Dinge, die Messer Gasparruolo da Saliceto unternahm, solange er Richter des Podesta von Forlimpopuli war, die er mich nicht wissen ließ, weil er an mir einen so guten Geheimtuer fand. Und willst du sehen, ob ich dir die Wahrheit sage? Ich war der erste Mensch, dem er sagte, daß er im Begriff stand, die Bergamina zu heiraten. Nun siehst du wohl!«

»Vortrefflich«, sagte Bruno, »wenn der sich Euch anvertraute, so kann ich es wohl auch tun. Der Weg also, den Ihr einschlagen müßt, ist der: Wir haben in unserer Gesellschaft immer einen Hauptmann und zwei Räte, welche alle sechs Monate wechseln, und gewiß wird am nächsten Ersten Buffalmacco Hauptmann werden und ich Rat; denn das ist schon beschlossen. Wer nun Hauptmann ist, der vermag gar viel, um hineinzubringen und aufnehmen zu lassen, wen er will. Darum scheint mir das beste, wenn Ihr Buffalmaccos Vertrauen möglichst zu gewinnen sucht und ihm Ehre erweist. Wenn er sieht, wie weise Ihr seid, wird er Euch sogleich gern haben, und wenn Ihr ihn dann mit Eurem Verstand und mit all den guten Dingen, die Ihr besitzt, ein wenig gewonnen haben werdet, dann könnt Ihr ihn darum bitten, und er wird Euch nicht nein sagen können. Ich habe ihm bereits von Euch gesprochen, und er ist Euch schon jetzt überaus zugetan, und habt Ihr nur erst all das vollbracht, dann laßt nur mich das Weitere mit ihm abmachen.«

Hierauf entgegnete der Meister: »Was du mir sagst, gefällt mir ungemein; und ist er ein Mann, der am Umgang mit verständigen [664] Männern Gefallen findet, und läßt er sich nur ein wenig mit mir ins Gespräch ein, so will ich's schon einrichten, daß er mich immer wieder aufsuchen soll; denn an Geist habe ich so viel übrig, daß ich eine ganze Stadt damit versorgen könnte und doch noch klug genug bliebe.«

Nachdem sie sich also geeinigt hatten, erzählte Bruno dem Buffalmacco alles der Reihe nach. Dieser konnte den Augenblick nicht erwarten, dem Meister Einfalt zu gewähren, was dieser so begierig erstrebte. Der Doktor, der über alle Maßen danach verlangte, mit kursieren zu gehen, ließ nicht locker, bis er Buffalmaccos Freund wurde, was ihm gar leicht gelang. Er fing damit an, ihm die schönsten Abendessen und die herrlichsten Imbisse von der Welt zu geben und dem Bruno mit ihm. Sie aber machten ihm mit ihrem Schwatzen den Kopf ganz verdreht, und während sie sich seine trefflichen Weine, die fetten Kapaune und andere gute Dinge in Menge wohlschmecken ließen, auch stets um ihn her waren und ohne lange Einladungen bei ihm zu Gaste blieben, sagten sie ihm, wie die gnädigen Herren wohl manchmal zu sagen pflegen, immer erneut, daß sie dies mit keinem andern Menschen auf der Welt täten.

Als es dem Doktor an der Zeit schien, trug er, wie Bruno ihm gesagt hatte, dem Buffalmacco endlich sein Begehren vor. Dieser zeigte sich darüber sehr bestürzt und begann Bruno auf das heftigste anzufahren, indem er rief: »Beim Herrgott von Pasignano schwöre ich, ich kann mich kaum zurückhalten, daß ich dir nicht eins auf den Kopf versetze, daß dir die Nase auf die Fersen rutscht, du Verräter, der du bist! Denn niemand anders wie du hat alle diese Dinge dem Meister hier offenbart.« Indes entschuldigte ihn der Doktor lebhaft, schwor und beteuerte, er hätte es von anderer Seite erfahren, und beschwichtigte ihn endlich durch viele weise Reden seiner gewohnten Art.

Buffalmacco aber wandte sich dem Doktor zu und rief: »Lieber Meister, man sieht wohl, daß Ihr in Bologna gewesen seid und einen reinen Mund mit in diese Stadt gebracht habt, ja noch mehr sage ich Euch: man sieht, daß Ihr das Abc nicht an Äpfeln gelernt habt, wie die Dummköpfe zu tun pflegen, sondern an Kürbissen, weil es so lang ist, und irre ich mich [665] nicht, so seid Ihr am Sonntag getauft. Obwohl Bruno mir gesagt hat, daß Ihr dort Medizin studiert habt, so denke ich meinesteils doch, Ihr habt studiert, die Menschen für Euch einzunehmen; denn wahrlich, das versteht Ihr mit Eurem Geist und mit Euren guten Einfällen besser als irgendein Mensch, den ich je gesehen habe.«

Der Doktor schnitt ihm das Wort am Munde ab und sagte, zu Bruno gewandt: »Da sieht man, was es heißt, mit klugen Leuten reden und umgehen. Wer hätte jede Eigentümlichkeit meiner Gesinnung so bald erkannt wie dieser treffliche Mann? Du hast das nicht so bald gemerkt und nicht so schnell wie er gesehen, was ich wert bin. Aber nun sag ihm auch, was ich geantwortet habe, als du mir sagtest, daß Buffalmacco sich im Umgang mit weisen Leuten gefiele! Gibst du zu, daß ich das getan habe, he?« »Und wie!« antwortete Bruno.

Darauf sagte der Doktor zu Buffalmacco: »Noch ganz anders sprächest du, hättest du mich in Bologna gesehen. Da war weder groß noch klein, weder Professor noch Student, der mir nicht so wohlgesonnen gewesen wäre, wie einem nur auf der Welt geschehen kann; so wußte ich alle mit meinen Reden und meinem Geist zu befriedigen. Ja, mehr will ich dir sagen, nie habe ich dort ein Wort gesprochen, das nicht jedermann lachen gemacht hätte, so sehr gefiel es ihnen. Als ich fortging, da vergossen sie alle die bittersten Tränen und verlangten sämtlich, daß ich doch bleiben sollte, ja man ging so weit, daß man mich allein die Vorlesungen über Medizin für alle Studenten halten lassen wollte, wenn ich nur bliebe; allein ich wollte nicht und zog es vor, wieder hierher zu den großen Erbgütern zu kommen, welche ich hier besitze und welche schon immer meinen Vorfahren gehört haben. Und so tat ich denn auch.«

»Was meinst du nun?« sagte Bruno zu Buffalmacco. »Du wolltest mir's nicht glauben, als ich dir's erzählte. Beim Evangelium, es gibt in der ganzen Stadt keinen Doktor, der sich so auf den Eselurin versteht wie dieser hier, und gewiß und wahrhaftig, du findest keinen wie ihn von hier bis vor die Tore von Paris. Geh nun und widersteh ihm einmal, wenn du kannst, und tue nicht, was er will.«

Hierauf entgegnete der Doktor: »Bruno sagt die Wahrheit; [666] doch ich werde hier nicht erkannt. Ihr seid eher Leute von grobem Schlage; aber ich wollte nur, ihr sähet mich unter Doktoren, welchen Platz ich da einnehme.«

»Wahrhaftig, Meister«, erwiderte Buffalmacco, »Ihr versteht die Schliche besser als ich je geglaubt hätte, und darum rede ich zu Euch, wie man zu einem so weisen Manne, wie Ihr es seid, zu reden hat, und sage Euch mit geziemender Konfusion, ich werde Sorge tragen, daß Ihr ohne Fehl in unsere Gesellschaft aufgenommen werden sollt.«

Nach diesem Versprechen verdoppelten sich die Aufmerksamkeiten, welche der Doktor ihnen erwies, und sie ließen ihn in ihrem Übermut dafür den Bock des tollsten Unsinnes von der Welt reiten und versprachen, ihm die Gräfin von Latrinien als Gattin zu verschaffen, welche das schönste Wesen sei, das im ganzen Hinternreich des menschlichen Geschlechts zu finden wäre. Nun fragte der Doktor, wer diese Gräfin sei. »Mein Samengürkchen«, antwortete ihm Buffalmacco, »das ist eine gar große Dame, und wenig Häuser gibt es in der Welt, wo sie nicht etwas zu sagen hätte, von den andern nicht zu reden; selbst die Minoritenbrüder huldigen ihr und bringen ihr Tribut beim Schall der Heerpauken. Auch kann ich Euch sagen: wenn sie einmal umhergeht, weiß sie sich wohl bemerkbar zu machen, wie verschlossen sie auch gehalten werden mag. Noch ist's nicht lange her, daß sie nachts an meiner Tür vorüberging, um sich am Arno die Füße abzuspülen und ein wenig frische Luft zu schöpfen; doch ihre gewöhnliche Wohnung ist im Laterin. Gleichwohl gehen ihre Knechte häufig im Lande umher und tragen als Zeichen ihrer Herrlichkeit das Besenreis und die Bleischnur. Ihre Vasallen sieht man überall, wie zum Beispiel den Herrn Schildwache vom Torweg, Don Häuflein, Herrn von Würstchen, Frau Katharina Schnelle und viele andere, die alle, wie ich glaube, auch Euch befreundet sind, ohne daß Ihr Euch ihrer jetzt erinnert. Einer so vornehmen Dame wollen wir Euch, wenn Ihr Eure Geliebte von Kackenwinkel im Stiche laßt und unsere Pläne uns nicht mißraten, in die holden Arme führen.« Der Doktor, welcher in Bologna erzogen und aufgewachsen war, verstand alle diese Worte nicht und erklärte sich mit dieser Dame vollkommen zufrieden.

[667] Nicht lange nach diesen Geschichten hinterbrachten ihm die beiden Maler, er solle aufgenommen werden. Als nun der Tag erschienen war, an dessen Abend man sich versammeln sollte, lud der Meister beide zum Imbiß zu sich, und nachdem man gespeist hatte, fragte er sie, wie er sich zu benehmen habe, um zu dieser Gesellschaft zu kommen. »Seht, Meister«, sprach Buffalmacco zu ihm, »vor allem müßt Ihr frohen Mutes sein. Denn wäret Ihr nicht sehr sicher und mutig, so könnte die Sache mißraten, und Ihr könntet uns alle in großen Schaden stürzen. Das aber, wobei Ihr vor allem den größten Mut beweisen müßt, sollt Ihr jetzt von mir erfahren. Zuerst müßt Ihr heute abend um die Zeit des ersten Schlafs Euch auf einem jener erhöhten Grabmäler einfinden, die erst vor kurzem außerhalb von Santa Maria Novella aufgerichtet wurden, und zwar in einem Eurer besten Gewänder, damit Ihr zum ersten Mal anständig vor der Gesellschaft erscheint, und auch darum, weil Ihr nach dem, was uns berichtet ist, denn mit angesehen haben wir es nicht, ein Edelmann seid, weshalb die Gräfin Euch auf ihre Kosten zum gebadeten Ritter machen will. Dort müßt Ihr so lange warten, bis derjenige kommen wird, den wir nach Euch senden werden. Und damit Ihr von allem gehörig unterrichtet seid, so wißt, daß Euch ein schwarzes Tier mit Hörnern, jedoch nicht allzu groß, heimsuchen und auf dem Platz vor Euch ein gewaltiges Schnaufen und Umherspringen vollführen wird, um Euch zu erschrecken. Doch wenn es sehen wird, daß Ihr Euch nicht fürchtet, wird es sich langsam Euch nähern; und wenn es neben Euch steht, so steigt nur ohne Furcht von dem Grabmal herunter und setzt Euch getrost darauf, ohne Gott und die Heiligen anzurufen. Habt Ihr Euch darauf zurechtgesetzt, so schlagt die Arme übereinander und legt, ohne das Tier weiter zu berühren, die Hände auf die Brust. Dies wird sich dann langsam in Bewegung setzen und Euch zu uns bringen. Aber gleich jetzt muß ich Euch sagen: wenn Ihr Gott oder die Heiligen anriefet oder Furcht fühltet, dann könnte es Euch leicht abwerfen oder Euch wohin stürzen, so daß Ihr danach übel röchet. Darum, wenn Ihr den Mut nicht fühlt, ganz herzhaft zu bleiben, so kommt lieber gar nicht, denn Ihr würdet Euch nur Schaden bereiten, ohne uns den geringsten Nutzen zu verschaffen.«

[668] Hierauf antwortete der Doktor: »Freunde, ihr kennt mich noch nicht. Vielleicht habt ihr Bedenken, weil ich Handschuhe trage und lange Röcke. Wüßtet ihr aber, was ich in Bologna bei der Nacht, wenn ich zuweilen mit meinen Kameraden auf Weiber ausging, für Geschichten gemacht habe, so stauntet ihr. Gottes Treu, es war einmal eine Nacht, da hab ich eine, die nicht mit uns kommen wollte, solch ein kümmerliches Ding und kaum eine Spanne hoch, nachdem ich ihr erst eine gute Portion Faustschläge gegeben, beim Kragen genommen und sie wohl bald einen Pfeilschuß weit fortgeschleppt, und so habe ich es durchgesetzt, daß sie mitkommen mußte, mochte sie wollen oder nicht. Ein andermal, erinnere ich mich, als niemand bei mir war als einer von meinen Dienern, ging ich abends kurz nach dem Ave-Maria beim Kirchhofe der Minoriten vorüber, wo erst am selben Tag eine Frau begraben worden war, und doch hatte ich keine Furcht. Drum sorgt nicht, denn Zuversicht und Mut habe ich eher allzuviel. Und ich sage euch, um an Anstand nichts fehlen zu lassen, werde ich meinen Scharlachrock anziehen, in dem man mich zum Doktor gemacht hat, und dann sollt ihr sehen, ob die Gesellschaft sich freuen wird, wenn sie mich erblickt, und ob ich nicht mit der Zeit zum Hauptmann ernannt werde. Kurz, ihr werdet schon sehen, wie die Sache läuft, wenn ich nur erst einmal dagewesen bin; hat ja jene Gräfin, ohne mich noch gesehen zu haben, sich doch schon so in mich verliebt, daß sie mich zum gebadeten Ritter machen will. Vielleicht wird mir die Ritterschaft schlecht stehen, und ich werde sie schlecht zu behaupten wissen, vielleicht aber auch umgekehrt. Drum laßt mich nur machen.«

»Ihr habt vollkommen recht«, sagte Buffalmacco hierauf. »Aber hütet Euch nur, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen, indem Ihr etwa nicht kämt oder nicht gefunden würdet, wenn wir nach Euch schicken. Und dies sage ich darum, weil es kalt ist und ihr Herren Ärzte euch gewöhnlich vor der Kälte sehr in acht nehmt.« »Gott bewahre«, sagte der Doktor hierauf. »Ich gehöre ganz und gar nicht zu den Frostigen und mache mir nichts aus der Kälte. Selten geschieht es, wenn ich nachts um der Notdurft willen aufstehen muß, wie es einem jeden bisweilen begegnet, daß ich mir mehr als meinen Pelz [669] über das Wams werfe; und darum seid unbesorgt, ich werde gewiß zur Stelle sein.«

Damit schieden sie, und als es Nacht zu werden begann, brachte der Doktor zu Hause bei seiner Frau allerhand Ausreden vor, suchte heimlich seinen Scharlachrock hervor, zog ihn an, als es ihm an der Zeit schien, und stieg dann auf eines jener Grabmäler. Da die Kälte groß war, kauerte er sich auf dem Marmor zusammen und fing an, das Kommen des Untiers zu erwarten. Buffalmacco, der groß und kräftig von Gestalt war, hatte sich indes eine jener Masken besorgen lassen, die man bei gewissen, jetzt aus der Übung gekommenen öffentlichen Spielen zu gebrauchen pflegte, und warf sich dann einen schwarzen Pelz über, die Haare nach außen gekehrt, so daß er aussah wie ein Bär, nur daß er einen Teufelskopf mit Hörnern hatte. So angetan, begab er sich, um zu sehen, wie die Sache ablaufen würde, nach dem neuen Platz von Santa Maria Novella, und Bruno folgte ihm in geringer Entfernung. Sobald er gewahrte, daß der Herr Meister dort war, fing er an, Sprünge zu machen und ein gewaltiges Lärmen auf dem Platz zu erheben, zu prusten, zu heulen und zu schnaufen, als wenn er besessen wäre. Als der Doktor dies hörte und sah, stellte sich ihm jedes Haar auf dem Leibe zu Berg, und er fing zu zittern an, wie er denn in der Tat feiger und furchtsamer war als ein Weib; und in jenem Augenblick hätte er sich lieber zu Hause gesehen als an jener Stelle. Nichtsdestoweniger nahm er sich zusammen, weil er doch einmal gekommen war, und zwang sich zu einigem Mut; so sehr trieb ihn das Verlangen, die Wunder zu schauen, von denen jene ihm erzählt hatten.

Nachdem Buffalmacco noch eine Zeitlang in jener Weise fortgewütet hatte, stellte er sich, als würde er ruhiger, näherte sich dem Grabmal, auf welchem der Doktor saß, und blieb stehen. Der Meister zitterte vor Furcht und wußte nicht, was er beginnen sollte, ob aufsteigen oder davonbleiben. Da er jedoch zu fürchten anfing, daß ihm das Ungetüm etwas zuleide tun möchte, wenn er nicht aufstiege, verscheuchte er endlich die erste Furcht durch die zweite und verließ das Grabmal, indem er leise sprach: »Gott steh mir bei!« Dann stieg er auf, setzte sich wohl zurecht und legte, am ganzen Leibe zitternd, [670] die Hände auf der Brust zusammen, wie ihm befohlen worden war.

Nun fing Buffalmacco an, sich leise nach Santa Maria della Scala hinzuwenden, und trug ihn, immer auf allen vieren kriechend, bis nahe zu den Nonnen von Ripole. Um jene Zeit aber befanden sich in dieser Gegend Gruben, in welche die Besitzer der benachbarten Felder die »Gräfin von Latrinien« ausschütten ließen, um damit ihr Land zu düngen. Als Buffalmacco zu diesen Gruben gelangt war, näherte er sich dem Rande einer Grube, ergriff mit der einen Hand im rechten Augenblick einen Fuß des Doktors, riß ihn herab und schleuderte ihn richtig kopfüber in die Grube, indem er zugleich laut zu knurren, zu springen und zu toben anfing und dann vor Santa Maria della Scala vorüber nach Prato d'Ognissanti eilte, wo er Bruno fand, der geflohen war, weil er das Lachen nicht länger hatte halten können. Beide freuten sich nun des gelungenen Spaßes und stellten sich von ferne auf die Lauer, um zu sehen, was der eingeteigte Doktor jetzt begänne.

Als dieser gewahr ward, an welchem abscheulichen Ort er sich befand, strebte er, sich wieder aufzurichten und emporzuarbeiten, um herauszukommen. Doch erst nachdem er bald hier, bald dort wieder hingefallen, von Kopf bis Fuß ganz eingeteigt war und etliche Drachmen dabei geschluckt hatte, gelangte er jammernd und wutentbrannt wieder hinaus, wobei er seinen Mantelkragen zurückließ. Nun schabte er sich mit den Händen den Teig ab, so gut es gehen wollte, und kehrte, da er nichts anderes anzufangen wußte, nach Hause zurück, wo er so lange klopfte, bis ihm aufgemacht ward.

Doch kaum war er so stinkend eingetreten und die Tür hinter ihm geschlossen, als auch Bruno und Buffalmacco zur Stelle waren, um zu hören, wie der Meister von seiner Frau empfangen würde. Während sie nun lauschten, vernahmen sie die Frau die schrecklichsten Schimpfreden, die je dem ärgsten Schurken gesagt wurden, gegen ihn ausstoßen. »Ha«, rief sie, »wie recht ist dir geschehen! Gewiß warst du zu irgendeinem Weibsbild gegangen und wolltest in deinem Scharlachrock recht stattlich vor ihr erscheinen. Genügte ich dir etwa nicht? Mein Schatz, einem ganzen Volke könnte ich genügen, geschweige denn dir![671] O hätten sie dich nur drin ersäuft, als sie dich dort hineinwarfen, wohin du mit Recht gehörst! Ei, seht mir doch den ehrenwerten Doktor! Eine Frau zu haben und nachts auf fremde Weiber ausgehen!«

Mit solchen und ähnlichen Redensarten hörte sie bis Mitternacht nicht auf, ihn zu quälen, während der Doktor sich über und über waschen und reinigen ließ.

Nachdem Bruno und Buffalmacco sich am folgenden Morgen die Haut unter den Kleidern allerwegs mit blauen Striemen bemalt hatten, wie Püffe und Schläge sie zu bewirken pflegen, begaben sie sich ins Haus des Doktors, den sie schon aufgestanden antrafen. Als sie bei ihm eintraten, stank ihnen alles entgegen, denn noch hatte man ihn nicht so vollständig reinigen können, daß es nicht fortwährend gerochen hätte. Der Doktor nun hörte sie kommen, ging ihnen entgegen und bot ihnen einen guten Tag. Doch Bruno und Buffalmacco erwiderten ihm, wie sie untereinander verabredet hatten, mit zornigem Gesicht: »Den geben wir Euch nicht zurück! Im Gegenteil bitten wir den Himmel, daß er Euch als dem treulosesten und abscheulichsten Verräter, der lebt, so viel arge Zeit schicke, daß Ihr eines üblen Todes sterbet. Wahrlich, an Euch hat es nicht gelegen, daß wir, die wir uns bemühten, Euch Ehre und Freude zu verschaffen, nicht gleich Hunden totgeschlagen sind. Eurer Treulosigkeit wegen haben wir diese Nacht so viele Stöße und Püffe bekommen, daß mit wenigeren ein Esel von hier bis Rom zu treiben wäre, abgesehen davon, daß wir in Gefahr schwebten, aus der Gesellschaft gestoßen zu werden, in welche wir Euch hatten aufnehmen lassen wollen. Und glaubt Ihr uns nicht, so seht hier unsere Haut, wie sie aussieht.« Und nun öffneten sie im Zwielicht ihre Kleider und zeigten ihm ihre bemalte Brust, knöpften aber gleich wieder zu.

Der Doktor wollte sich entschuldigen und von seinem Mißgeschick erzählen und wie und wo er abgeworfen worden sei. Aber Buffalmacco sprach: »Ich wollte, das Tier hätte Euch von der Brücke in den Arno geworfen! Warum mußtet Ihr auch Gott anrufen oder die Heiligen? War es Euch nicht vorhergesagt worden?« »So wahr Gott lebt«, sprach der Doktor, »ich habe dergleichen nicht angerufen.« »Wie«, rief Buffalmacco, [672] »Ihr hättet nicht? Freilich, Ihr werdet Euch nicht erinnern, denn unser Bote hat uns wohl berichtet, daß Ihr am ganzen Leib gezittert habt wie Espenlaub und nicht gewußt habt, wo Ihr waret. Ihr habt es schon recht gemacht, das mag sein; aber kein Mensch soll uns mehr solch einen Streich spielen, und Euch wollen wir schon noch die Ehre erweisen, die Euch dafür gebührt.«

Darauf begann der Doktor sie um Vergebung zu bitten und sie bei Gott zu beschwören, sie möchten ihn nicht in Schande bringen, und suchte mit den schönsten Worten, die er nur wußte, sie zu beschwichtigen. Vor Furcht aber, daß sie seine Schmach weiterverbreiten könnten, fing er an, wenn er sie schon vorher geehrt hatte, sie durch Einladungen und auf andere Weise noch viel mehr zu ehren und wertzuhalten.

So also, wie ihr eben gehört habt, macht man diejenigen klug, die dies in Bologna noch nicht gelernt haben.

Zehnte Geschichte

Eine Sizilianerin nimmt einem Kaufmann alles, was er nach Palermo gebracht hat, mit meisterhafter Geschicklichkeit ab; dieser stellt sich darauf, als sei er noch mit viel größeren Warenvorräten als zuvor nach Palermo zurückgekehrt, nimmt ihr das Geld durch Borg wieder ab und läßt ihr nichts als Wasser und Werg.


Man braucht nicht zu fragen, wie sehr verschiedene Stellen in der Geschichte der Königin die Damen zum Lachen gereizt hatten. Keiner unter ihnen waren vor unmäßigem Gelächter weniger als ein dutzendmal die Tränen in die Augen gekommen. Als die Königin jedoch geendet hatte, nahm Dioneo, der wohl wußte, daß nun die Reihe an ihm sei, das Wort:

Anmutige Damen, es ist offenbar, daß Schlauheit und List desto mehr gefallen, je schlauer derjenige ist, der durch sie kunstvoll hinter's Licht geführt wird. Deshalb gedenke ich – so schöne Sachen ihr alle uns auch berichtet habt –, euch dennoch eine Geschichte zu erzählen, die euch um so viel mehr als jede [673] andere, die wir gehört haben, gefallen muß, als diejenige, welche in ihr betrogen ward, selbst eine größere Meisterin im Betrügen war als irgendein andrer von den Betrogenen, von denen ihr uns bis jetzt berichtet habt.

Es war und ist vielleicht noch heute in allen Städten, die Seehäfen haben, der Brauch, daß die Kaufleute, welche mit Waren dort ankommen, dieselben, sobald sie ausgeladen sind, in eine Niederlage bringen, welche an vielen Orten Dogana genannt wird und entweder von der Stadtgemeinde oder vom Landesherrn unterhalten wird. Hier übergibt der Kaufmann den dazu bestellten Beamten ein schriftliches Verzeichnis sämtlicher Waren und ihres Preises, worauf diese ihm einen Lagerspeicher anweisen, wo er seine Ware unterbringt und verschließt. Die genannten Zollwächter aber tragen auf Rechnung des Kaufmanns die gesamte Ware in das Zollbuch ein und erheben danach von dem Kaufmann die Gebühren, entweder für die ganze Ladung oder für einen Teil der Ware, so wie er diese aus der Dogana entnimmt. Aus diesen Zollbüchern unterrichten sich häufig die Makler über die Güte und den Betrag der Waren, die dort niedergelegt sind, sowie über die Namen der Kaufleute, die sie feilbieten, und mit denen sie dann, wie es sich trifft, Wechsel- oder Tauschgeschäfte, Verkäufe oder andere Arten von Umsatz abschließen.

Dieser Brauch bestand, wie an vielen andern Orten, auch zu Palermo in Sizilien, wo sich zu gleicher Zeit auch Weiber genug aufhielten und noch aufhalten, die ebenso liebreizend wie der Ehrbarkeit abhold sind. Wer sie nicht kennt, möchte sie wohl für vornehme und höchst ehrenwerte Damen halten. Wie sie aber einzig darauf bedacht sind, die Männer nicht nur zu rupfen, sondern völlig auszuplündern, so erblicken sie auch kaum einen fremden Kaufmann, ohne sofort zum Zollbuch zu laufen und sich daraus zu unterrichten, was er dort lagern hat und über wieviel er verfügen kann, und dann sind sie bestrebt, durch gefälliges und liebreiches Betragen oder durch zuckersüße Worte solche Kaufleute an sich zu locken und in ihre Liebesnetze zu ziehen. Schon manchen haben sie darin verstrickt und manchem ein gutes Teil ihrer Waren aus den Händen gelockt, vielen sogar alles. Ja, es hat selbst nicht an solchen [674] gefehlt, die Ladung und Schiff, Fleisch und Knochen bei ihnen gelassen haben, so sauber hat die betreffende Bartschererin das Schermesser zu führen gewußt.

Nun geschah es vor noch nicht langer Zeit, daß einer unserer jungen Florentiner, namens Niccolo da Cignano, der jedoch Salabaetto genannt ward, im Auftrage seines Dienstherrn mit soviel Wollenzeugen dorthin kam, wie ihm auf der Messe von Salerno übriggeblieben waren, wohl an die fünfhundert Goldgulden wert. Nachdem er den Zollwächtern das Verzeichnis der Waren übergeben und die Waren in einen Speicher geschafft hatte, begann er, ohne sich mit dem Verkauf allzusehr zu beeilen, bisweilen lustwandelnd in der Stadt umherzuspazieren.

Er war von heller Gesichtsfarbe, blond und auffallend hübsch, auch war er von schlankem Wuchse, und so geschah es bald, daß eine von jenen Bartschererinnen, die sich Madonna Jancofiore nennen ließ und bereits über seine Vermögensumstände im Bilde war, ihr Auge auf ihn warf. Er bemerkte dies, und da er sie für eine große Dame hielt, der er seiner Schönheit wegen zu gefallen glaubte, so gedachte er diese Liebe gar vorsichtig zu verfolgen, und ohne jemand ein Wort davon zu sagen, begann er vor ihrem Hause vorüberzugehen. Als sie das bemerkte, entflammte sie ihn erst einige Tage lang gehörig mit ihren Augen, dann tat sie, als verzehre sie sich vor Verlangen nach ihm, und endlich sandte sie ihm heimlich eine Frau, welche die Kunst des Kuppelns von Grund auf verstand.

Diese erzählte ihm nach vielen Umschweifen schier mit Tränen in den Augen, wie er durch seine Schönheit und Anmut ihre Gebieterin so gefesselt habe, daß sie weder bei Tag noch bei Nacht Ruhe fände, und wie sie daher, wenn es ihm nur genehm sei, nichts so sehr begehre, als sich mit ihm in einem Bade heimlich zusammenzufinden. Darauf zog sie aus ihrer Tasche einen Ring hervor und überreichte ihm diesen im Auftrag ihrer Herrin. Als Salabaetto dies hörte, dünkte er sich der glücklichste Mensch, der je gelebt. Er nahm den Ring, berührte damit seine Augen, küßte ihn, steckte ihn an den Finger und erwiderte der guten Frau, wenn Madonna Jancofiore ihn liebe, so werde ihr das reichlich vergolten werden; denn er liebe sie[675] mehr als sein eigenes Leben und sei bereit hinzukommen, wo es ihr angenehm sei, und zu jeglicher Stunde.

Bald nachdem die Botin mit dieser Antwort zu ihrer Gebieterin heimgekehrt war, wurde dem Salabaetto das Bad angegeben, in welchem er sie am folgenden Tag nach der Vesper erwarten sollte. Ohne jemand auf der Welt etwas davon zu sagen, begab er sich zu der bezeichneten Stunde eilig dorthin und fand das Bad schon von der Dame bestellt. Es währte nicht lange, so kamen zwei schwer beladene Sklavinnen; die eine trug eine schöne und große Baumwollmatratze auf dem Kopf, die andere aber einen großen Korb voll Wäsche. Die Matratze breiteten sie in einer Kammer des Bades auf einem Bettgestell aus, legten ein paar feine mit Seide besetzte Laken darüber, dann eine schneeweiße Decke von feiner zyprischer Leinwand und endlich zwei wunderschön gearbeitete Kopfkissen. Dann entkleideten sie sich, stiegen in das Bassin und wuschen und kehrten dies auf das sorgfältigste.

Nicht lange darauf erschien die Dame, der zwei andere Sklavinnen folgten. Sobald es sich tun ließ, begrüßte sie den Salabaetto auf das zärtlichste, seufzte wiederholt tief auf und sagte unter vielfachen Umarmungen und Küssen: »Ich weiß nicht, wer außer dir mich hierzu hätte bringen können; allein du, grausamer Toskaner, hast Feuer in meine Seele geworfen.«

Nach diesen Worten stiegen sie beide, wie sie es verlangte, entkleidet in das Bad und zwei der Sklavinnen mit ihnen. Hier wusch sie nun den Salabaetto, ohne ihn von einer andern berühren zu lassen, eigenhändig mit einer Seife aus Moschus und Gewürznelken gar sorgsam und behaglich; dann ließ auch sie sich von den Sklavinnen waschen und reiben. Als dies geschehen war, brachten die Sklavinnen zwei weiße und feine Tücher, aus denen ein solcher Rosenduft hervordrang, daß alles, was dort war, Rosen zu sein schien. In das eine Tuch ward von der einen Sklavin Salabaetto, in das andere von der zweiten die Dame gewickelt. Dann wurden sie auf den Schultern der Mädchen in das vorbereitete Bett getragen. Nachdem hierauf der Schweiß vorüber war, zogen die Sklavinnen die Tücher weg, so daß sie nun nackt auf dem Laken blieben. Nun wurden silberne Fläschchen von erlesener Arbeit aus dem Korbe genommen, [676] das eine voll Rosenwasser, das andere voll Orangenblüten-, das dritte voll Jasminwasser, das vierte mit noch anderem wohlriechenden Wasser gefüllt, und mit all diesen Wassern wurden sie ganz besprengt. Dann brachten die Sklavinnen Schachteln mit Backwerk und köstliche Weine, an denen sie sich ein wenig stärkten.

Salabaetto glaubte nicht anders als im Paradiese zu sein. Schon tausendmal hatte er das Mädchen angeblickt, das in der Tat äußerst schön war, und konnte die Zeit nicht erwarten, bis die Sklavinnen fortgingen und er sie in seine Arme schlösse. Nachdem diese auf Geheiß der Dame eine brennende Kerze in dem Gemach zurückgelassen und sich dann entfernt hatten, umarmte sie den Salabaetto und er sie, und zur großen Lust des jungen Mannes, der meinte, sie verzehre sich in Liebe zu ihm, weilten sie lange beieinander.

Als es aber der Jancofiore Zeit schien sich zu erheben, kleideten sie sich mit der Hilfe der zurückgerufenen Sklavinnen wieder an und stärkten sich abermals mit Wein und Konfekt. Dann wuschen sie sich Gesicht und Hände abermals mit duftendem Wasser. Die Dame aber sprach zu Salabaetto, der nun Abschied nehmen wollte: »Wäre es dir angenehm, so wäre es mir eine große Freude, wenn du diesen Abend zum Essen und zur Nachtherberge zu mir kämst.« Salabaetto, der von ihren Reizen und ihrer kunstvollen Liebenswürdigkeit ganz bestrickt war und sich fest überzeugt hielt, daß sie ihn liebe wie ihr eigenes Herz, erwiderte: »Madonna, jeder Eurer Wünsche ist mir sehr angenehm, und darum gedenke ich nicht nur diesen Abend, sondern immerdar zu tun, was Euch gefällt und was Ihr mir befehlen werdet.«

Das Mädchen kehrte nach Hause zurück, ließ sein Gemach mit Sachen und Geräten ausschmücken, ein prächtiges Abendessen zurichten und erwartete dann Salabaetto. Sobald es etwas dunkel geworden war, begab er sich dorthin, wurde fröhlich empfangen und speiste in großer Lust und wohlbedient zu Abend. Als sie danach in das Schlafgemach traten, wehte ihm ein wunderbarer Duft von Aloeholz entgegen, und er sah das reiche, mit zyprischen Vögeln geschmückte Bett und an den Haken viele schöne neue Kleider. Alle diese Dinge zusammen [677] und jedes für sich ließen ihn glauben, seine Geliebte sei eine große und reiche Dame. Obwohl er über ihren Lebenswandel allerlei Nachteiliges verlauten gehört hatte, wollte er dies doch um keinen Preis der Welt für wahr halten, und selbst wenn er zugegeben hätte, daß sie vielleicht den einen oder andern angeführt habe, so hätte er doch um nichts in der Welt geglaubt, dergleichen werde auch ihm widerfahren. So schlief er denn diese Nacht zu seiner größten Lust bei ihr und entbrannte noch mehr als zuvor. Als der Morgen erschien, schlang sie ihm einen schönen und zierlichen Gürtel von Silber mit einer hübschen Geldtasche um und sprach: »Mein süßer Salabaetto, erhalte mir deine Gunst, und so wie ich selbst dir stets zu Willen bin, so ist auch alles, was du hier siehst und was ich sonst vermag, zu deinem Dienst bereit.« Salabaetto umarmte sie voller Freude, küßte sie und verließ dann ihr Haus, um dahin zu gehen, wo die übrigen Kaufleute zu verkehren pflegten.

Während er nun in solcher Weise ihre Gunst öfter genoß, ohne daß es ihn das mindeste gekostet hätte, und von ihren Reizen immer mehr bestrickt wurde, geschah es, daß er seine Wollzeuge gegen Barzahlung verkaufte und erheblich dabei verdiente. Dies erfuhr die Schöne zwar nicht von ihm, wohl aber von andern sogleich, und als Salabaetto eines Abends wieder bei ihr war, fing sie an mit ihm zu kosen und zu scherzen, ihn zu küssen und zu umarmen, und zeigte sich dabei so heftig für ihn entflammt, daß es schien, als werde sie vor Liebe in seinen Armen vergehen. Dann wollte sie ihm auch zwei schöne silberne Becher verehren, die sie besaß, allein Salabaetto wollte sie nicht annehmen, da er, die einzelnen Geschenke zusammengerechnet, schon so viel von ihr erhalten hatte, daß es an die dreißig Goldgulden ausmachte, ohne daß er sie je hätte bewegen können, auch nur den Wert eines Groschens anzunehmen.

Endlich, nachdem sie ihn durch solche Beweise ihrer Liebe und Freigebigkeit gehörig verliebt gemacht hatte, trat eine ihrer Sklavinnen ein und rief sie, früherer Abrede zufolge, aus dem Zimmer. Sie verließ deshalb das Gemach, verweilte eine kurze Zeit und kam dann weinend zurück, warf sich auf das Bett und stieß die schmerzlichsten Wehklagen aus, die je von einem Weibe ausgestoßen wurden. Salabaetto nahm sie verwundert in [678] seine Arme, begann mit ihr zu weinen und rief: »Weh mir, Herz meines Leibes, was ist Euch so plötzlich zugestoßen? Was ist die Ursache dieses Schmerzes? Ach, sagt sie mir, meine Seele.«

Nachdem das Mädchen sich lange hatte bitten lassen, sprach es: »Oh, mein süßer Herr, ich weiß nicht, was ich tun, noch was ich sagen soll. Soeben empfange ich Briefe von Messina, und mein Bruder schreibt darin, daß ich ihm innerhalb von acht Tagen tausend Goldstücke schicken müsse, sollte ich auch verkaufen und verpfänden, was ich habe, wo nicht, so würde ihm der Kopf abgeschlagen. Nun weiß ich nicht, was ich anfangen soll, um dieses Geld so schnell aufzutreiben. Hätte ich auch nur vierzehn Tage Zeit, so fände ich schon Mittel, es von einem Ort her zu bekommen, wo ich noch viel mehr zu erhalten habe, oder ich verkaufte eine von unseren Besitzungen. Aber da nun beides so schnell nicht geht, so möchte ich lieber tot sein, als diese traurige Nachricht bekommen haben.« Und als sie dies gesagt hatte, fuhr sie mit Weinen fort, als hätte der Kummer sie ganz überwältigt.

Salabaetto, dem die verliebte Glut einen großen Teil der notwendigen Einsicht geraubt hatte und der ihre Tränen für wahr, ihre Worte aber für noch wahrer hielt, antwortete: »Madonna, ich kann Euch freilich nicht mit tausend, aber doch mit fünfhundert Goldgulden dienen, wofern Ihr glaubt, sie mir binnen vierzehn Tagen zurückgeben zu können. Es ist ein Glück für Euch, daß ich eben gestern meine Zeuge verkauft habe. Wäre das nicht, so könnte ich Euch fürwahr nicht einen Groschen borgen.« »Weh mir«, erwiderte hierauf das Mädchen, »so hast du also Mangel an Geld gelitten? Oh, warum hast du nichts von mir gefordert! Denn habe ich auch nicht tausend, so hatte ich doch hundert oder zweihundert, um sie dir zu geben. Nun aber hast du mir allen Mut genommen, den Dienst anzunehmen, den du mir anbietest.«

Salabaetto, den diese Worte nur noch mehr betörten, entgegnete: »Madonna, ich möchte nicht, daß Ihr es darum unterließet; denn wäre ich so in Not gewesen, wie Ihr es seid, so hätte ich Euch wohl um Geld angesprochen.« »Oh, mein Salabaetto«, erwiderte das Mädchen, »jetzt erkenne ich wohl, daß deine Liebe zu mir wahrhaft und vollkommen ist, da du mir, ohne zu erwarten, [679] daß ich darum bitte, mit einer so großen Geldsumme in einer solchen Not edelmütig zu Hilfe kommst. Fürwahr, schon ohne dies war ich völlig die deine; nach dieser Tat aber werde ich es noch mehr sein und nie vergessen, daß ich dir das Leben meines Bruders schulde. Aber Gott weiß es, nur ungern nehme ich das Geld an, wenn ich bedenke, daß du Kaufmann bist und Kaufleute allerwege Geld zu ihren Geschäften brauchen. Doch da die Not mich einmal drängt und ich die gewisse Hoffnung habe, es dir schnell wiederzugeben, so will ich es annehmen und dir für diesen Vorschuß, wenn ich keinen schnelleren Weg finden sollte, alle meine Sachen hier verpfänden.« Und mit diesen Worten sank sie weinend Salabaetto um den Hals. Er begann sie nun zu trösten, und nachdem er die Nacht über bei ihr gewesen war, brachte er ihr, um sich in vollem Maße als freigebiger Diener zu erweisen, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, blanke fünfhundert Goldgulden, die sie mit lachendem Herzen und weinenden Augen hinnahm, während Salabaetto sich mit ihrem bloßen Versprechen begnügte.

Sobald die Schöne das Geld hatte, fing für ihren Umgang mit Salabaetto ein veränderter Kalender an, und während ihm früher der Zutritt in ihr Haus jedesmal freigestanden hatte, wenn er es wünschte, begannen jetzt Hindernisse dazwischenzutreten, derentwillen es ihm unter sieben Malen kaum einmal gelang, Eingang zu finden, und auch dann empfing ihn weder derselbe Willkommen noch dieselbe Zärtlichkeit und Freude wie sonst.

Unterdessen war die Frist, in der er sein Geld wiedererhalten sollte, nicht nur herangekommen, sondern um einen, ja um zwei Monate überschritten, und als er nun mahnte, wurden ihm schöne Worte statt der Bezahlung zuteil. Da sah denn Salabaetto die Hinterlist des betrügerischen Weibes wohl ein und erkannte seine Torheit. Allein, zugleich begriff er auch, daß er in dieser Sache nichts durchsetzen könne, als was ihr selbst beliebte, weil er weder Schrift noch Zeugnis darüber besaß. Andererseits schämte er sich auch, sich bei irgend jemand darüber zu beklagen, zum Teil weil er vorher gewarnt worden war, zum Teil weil er nur den Spott erwarten konnte, den seine [680] Einfalt verdient hatte, und so beweinte er denn, über die Maßen traurig, seinen Unverstand für sich allein. Indes hatte er von seinen Kaufherren mehrere Briefe bekommen, daß er das gelöste Geld in Wechsel eintauschen und ihnen diese schicken möge. Damit nun sein Fehltritt nicht sofort offenbar werde, wenn er dies unterließe, beschloß er eilig abzureisen, bestieg ein kleines Schiff und begab sich damit nicht nach Pisa, wo er hin sollte, sondern nach Neapel.

Hier war zu dieser Zeit unser Landsmann Pietro dello Canigiano Schatzmeister der Frau Kaiserin von Konstantinopel, ein Mann von großer Einsicht und scharfem Verstand und ein enger Freund Salabaettos und seiner Familie. Diesem, als einem höchst zuverlässigen Manne, erzählte nun Salabaetto nach einigen Tagen unter Wehklagen, was er getan habe und welches Unglück ihm begegnet sei, und bat ihn zugleich um Rat und Hilfe, damit er dort sein Leben fristen könne, indem er versicherte, daß er nie mehr nach Florenz zurückzukehren gedenke. Unzufrieden mit dem Geschehenen antwortete ihm Canigiano: »Übel hast du getan, übel hast du dich benommen, schlecht hast du deinen Herrn gehorcht. Allzuviel Geld auf einmal hast du für dein Vergnügen ausgegeben. Doch was ist zu tun? Geschehen ist es nun einmal, und wir müssen uns nach anderem Rat umsehen.«

Und als ein verschlagener Mann hatte er bereits ersonnen, was zu tun war, und teilte dies dem Salabaetto mit. Diesem gefiel die Sache, und er schickte sich sofort an, sein Glück damit zu versuchen. Etwas Geld hatte er noch, und Canigiano lieh ihm einiges dazu, und nun packte er eine Menge Ballen, die wohl gebunden und verschnürt wurden, kaufte an die zwanzig Ölfässer, füllte diese und kehrte, nachdem alles verladen war, damit nach Palermo zurück. Hier übergab er das Verzeichnis der Ballen und ebenso den Preis der Fässer den Zollwächtern, ließ alles auf seine Rechnung schreiben, brachte es in den Magazinen unter und sagte, bis andere Waren ankämen, die er noch erwarte, wolle er nichts von diesen Sachen anrühren.

Hiervon bekam Jancofiore bald Nachricht, und da sie hörte, daß allein die Waren, die er bereits mitgebracht hatte, wohl [681] zweitausend Goldgulden oder mehr wert sein möchten, das ungerechnet, was er noch erwartete, welches mehr als dreitausend wert sei, so schien es ihr, daß sie bis dahin erst den schlechteren Treffer gezogen habe. Sie beschloß daher, ihm seine fünfhundert Gulden wiederzugeben, um ihm hernach ein gutes Teil der fünftausend abzunehmen, und somit schickte sie nach ihm. Salabaetto, der nun gewitzigt war, ging hin. Die Schöne stellte sich, als wisse sie nichts von dem, was er mitgebracht habe, bezeigte ihm unsägliche Freude und rief: »Solltest du böse auf mich geworden sein, weil ich dir dein Geld nicht zur rechten Zeit wiedergab?« Salabaetto fing an zu lächeln und antwortete: »In der Tat, Madonna, es verdroß mich ein wenig, da ich mir das Herz aus dem Leibe risse, um es Euch zu geben, wenn ich glaubte, daß Euch damit ein Gefallen geschähe. Aber nun sollt Ihr hören, wie sehr ich auf Euch erzürnt bin. Meine Liebe zu Euch ist so mächtig und groß, daß ich den größten Teil meiner Besitzungen habe verkaufen lassen. Schon habe ich so viel Ware mit hierher gebracht, daß sie wohl über zweitausend Gulden wert ist, und aus dem Westen erwarte ich noch andere, welche mehr als dreitausend gelten wird. Damit will ich nun in dieser Stadt ein Lager einrichten und hierbleiben, um immer in Eurer Nähe sein zu können, da ich mich in Eurer Liebe glücklicher fühle, als meiner Meinung nach sich je irgendein anderer Verliebter in der seinen gefühlt hat.«

Hierauf entgegnete das Mädchen: »Sieh, Salabaetto, alles was dir recht scheint, ist mir willkommen, da ich dich mehr liebe als mein Leben. Besonders willkommen aber ist mir, daß du mit der Absicht zurückgekehrt bist, hier zu weilen, weil ich hoffe, so noch manche frohe Stunde mit dir zu verleben. Doch ich will mich noch ein wenig bei dir entschuldigen, daß du damals, ehe du fortgingst, einige Male hast zu mir kommen wollen und nicht konntest und andere Male, wenn du kamst, nicht so freundlich empfangen wurdest, wie du es gewohnt warst, und überdies auch noch deswegen, daß ich dir nicht zur versprochenen Frist dein Geld zurückgab. Du mußt wissen, daß ich zu jener Zeit in großem Schmerz und in tiefer Betrübnis war, und wer in dieser Stimmung ist, kann dem Geliebten, wie sehr er ihn auch liebe, nicht immer ein freundliches Gesicht machen [682] und so aufmerksam gegen ihn sein, wie dieser es wohl wünschte. Und dann mußt du auch wissen, daß es einer Frau recht schwer fällt, tausend Goldgulden aufzutreiben. Alle Tage setzt man uns Lügen vor und hält nicht, was man uns versprochen hat, und so sind wir denn genötigt, auch andern gegenüber zu lügen. Hierin allein und nicht in irgendeinem andern Unrecht liegt der Grund, daß ich dir dein Geld nicht wiedergab. Doch bald nach deiner Abreise bekam ich es, und wäre mir nur bekannt gewesen, wohin ich es hätte schicken sollen, so sei überzeugt, ich hätte es dir gesandt. Aber da ich es nicht wußte, so habe ich es dir aufbewahrt.«

Und nun ließ sie eine Börse herbeiholen, in der dieselben Goldstücke enthalten waren, die er ihr gebracht hatte, gab sie ihm in die Hand und sprach: »Zähle, ob es fünfhundert sind.« Nie war Salabaetto froher gewesen. Er zählte sie, fand richtig fünfhundert, steckte sie zu sich und sprach: »Ich sehe nun wohl, Madonna, daß Ihr die Wahrheit sagt. Ihr habt alles getan, was Euch oblag, und ich sage Euch: sowohl deshalb als auch um der Liebe willen, die ich für Euch hege, könnt Ihr keine Summe, die ich zu schaffen vermag, zu welchem Zweck es auch sei, von mir begehren, ohne daß ich Euch sofort damit diente. Und wie ich dazu bereit bin, das mögt Ihr selber erproben.«

Auf diese Weise wurde den Worten nach die frühere Liebe unter ihnen wiederhergestellt, und Salabaetto begann von neuem vertrauten Umgang mit ihr in aller Zärtlichkeit zu pflegen, wobei sie ihm abermals die größte Gunst und Ehre von der Welt antat und ihm ihre grenzenlose Liebe bewies. Salabaetto jedoch, der ihren Trug durch seinen Trug bestrafen wollte, trat eines Tages, da sie zu ihm geschickt hatte, damit er bei ihr speise und über Nacht bleibe, so trübsinnig und traurig bei ihr ein, als wolle er sterben. Jancofiore umarmte und küßte ihn und fing an, ihn zu fragen, was dieser Trübsinn bedeute. Eine lange Weile ließ er sich bitten. Dann sprach er: »Ich bin ein verlorener Mann. Das Schiff, auf dem sich die Ware befand, die ich noch erwartete, ist von Seeräubern aus Monaco genommen worden. Es soll nur für zwölftausend Goldgulden wieder freigegeben werden, von denen auf mich tausend entfallen, und ich habe nicht einen Heller, denn die fünfhundert, [683] die Ihr mir zurückgabt, habe ich sogleich nach Neapel geschickt, um sie in Linnen anzulegen, die man hierher senden soll. Und wollte ich in diesem Augenblick auch die Ware verkaufen, die ich hier habe, so erhielte ich, da jetzt nicht die rechte Zeit ist, kaum den halben Preis dafür. Außerdem aber bin ich hier noch nicht bekannt genug, um jemand zu finden, der mir aus dieser Verlegenheit hülfe. Darum weiß ich nicht, was ich tun oder was ich sagen soll. Und dennoch, schicke ich nicht bald das Geld, so werden die Waren nach Monaco gebracht, und ich bekomme nimmermehr etwas davon zurück.«

Die Schöne war über diese Nachricht sehr bekümmert, da ihre ganze Hoffnung ihr damit vereitelt schien. Indes überlegte sie, welchen Weg sie einzuschlagen habe, daß die Waren nicht nach Monaco gingen, und sagte dann: »Gott weiß, wie leid mir das um deinetwillen tut. Aber was hilft es, sich darüber zu grämen? Hätte ich das Geld, so borgte ich es dir sogleich; aber ich habe nicht so viel. Freilich ist hier jemand, der mir neulich mit den fünfhundert Gulden aushalf, die mir fehlten, doch er verlangt hohen Zins dafür, und zwar nicht weniger als dreißig vom Hundert. Wenn du von diesem das Geld nehmen wolltest, so müßte man ihn durch ein gutes Pfand sicherstellen, und ich für meinen Teil bin bereit, ihm um deinetwillen alle diese Sachen und meine Person selbst für soviel zu verpfänden, wie er darauf leihen will, nur um dir zu dienen. Aber wie willst du für das übrige Sicherheit geben?«

Salabaetto erkannte leicht die Ursache, die jene trieb, ihm diesen Dienst zu leisten, und er zweifelte nicht, daß sie selbst es sei, die das Geld vorschießen wolle. Das war ihm ganz nach Wunsch. Er dankte ihr daher zuerst und sagte dann, daß in seiner Not der unmäßige Zins ihn nicht abschrecken werde. Dann fügte er hinzu, daß er, um jenen durch die Waren sicherzustellen, die er in der Dogana habe, dieselben auf den Namen dessen werde umschreiben lassen, der das Geld vorstrecke. Den Schlüssel aber zu den Magazinen wolle er selbst aufbewahren, teils um die Waren vorzeigen zu können, wenn es gefordert würde, teils damit ihm nichts berührt, vertauscht oder verwechselt werden könne.

Das Mädchen erwiderte hierauf, das sei wohlgesprochen und [684] die Sicherheit vollkommen hinreichend. Als daher der nächste Tag gekommen war, schickte sie zu einem Makler, zu dem sie volles Vertrauen hatte, besprach die Sache mit ihm und übergab ihm tausend Goldgulden, welche der Makler sogleich dem Salabaetto überbrachte und bei der Dogana auf seinen Namen umschreiben ließ, was Salabaetto dort lagern hatte. Und nachdem sie nun Verschreibung und Gegenverschreibung mit beiderseitigem Einverständnis gewechselt hatten, ging ein jeder seinen übrigen Geschäften nach.

Salabaetto aber bestieg sobald wie möglich mit seinen fünfzehnhundert Goldgulden ein Schiff und kehrte zu Pietro dello Canigiano nach Neapel zurück, von wo er gute und vollständige Abrechnung nach Florenz an seine Handelsherren, die ihn mit den Tuchen fortgeschickt hatten, sandte. Nachdem er alsdann Pietro und jeden andern, dem er etwas schuldig war, bezahlt hatte, machte er sich mit dem Canigiano von dem Gewinn, den er durch die Überlistung der Sizilianerin davongetragen hatte, manchen guten Tag. Von hier aber begab er sich, da er nicht länger Kaufmann bleiben wollte, nach Ferrara.

Als Salabaetto in Palermo nicht mehr zu finden war, fing Jancofiore sich zu wundern an und schöpfte allmählich Verdacht. Nachdem sie wohl zwei Monate gewartet hatte und ihn immer noch nicht wiederkommen sah, ließ sie durch ihren Makler die Magazine aufbrechen. Zuerst untersuchte man die Fässer, die voll Öl sein sollten, und fand sie mit Seewasser gefüllt. In jeder Tonne aber schwamm ungefähr ein Nösel Öl obenauf beim Spundloch. Dann öffnete man die Ballen und fand diese, mit Ausnahme von zweien, die Stoffe enthielten, mit Werg gefüllt. Kurz, alles Vorhandene war nicht über zweihundert Gulden wert. Nun erkannte Jancofiore wohl, daß sie betrogen sei, und beklagte lange die fünfhundert Goldgulden, die sie zurückgegeben, noch viel mehr aber die tausend, die sie ihm geborgt hatte, wobei sie oftmals ausrief: »Um mit Toskanern umzugehen, muß man gut auf beiden Augen sehn!« Und so hatte sie denn den Schaden und den Spott zugleich und fand, daß der eine so klug sein könne wie der andere.

[685] Als Dioneo seine Erzählung beendet hatte und Lauretta sah, daß die Frist, die ihrer Herrschaft gesetzt war, zu Ende ging, lobte sie den Anschlag des Pietro Canigiano, der sich als so erfolgreich erwies, und die Schlauheit des Salabaetto, der in dessen Ausführung sich ebenso geschickt gezeigt hatte, nahm dann den Lorbeerkranz vom Haupte und setzte ihn auf Emilias Stirn, indem sie würdevoll sagte: »Madonna, welch gnädige Königin wir an Euch haben werden, weiß ich nicht; aber eine schöne haben wir gewiß. Macht also, daß Eure Handlungen Eurer Schönheit entsprechen.« Und damit nahm sie ihren Sitz wieder ein.

Emilia, die nicht so sehr über ihre Erhebung zur Königin wie darüber ein wenig schamrot geworden war, daß sie sich um dessentwillen öffentlich rühmen hörte, was Frauen vorzüglich zu besitzen wünschen, glich in ihrem Antlitz jungen Rosen in der Morgenröte. Doch nachdem sie die Augen niedergeschlagen hatte, bis jene Röte wieder verschwunden war, besprach sie mit dem Seneschall die für die Gesellschaft zu treffenden Vorkehrungen und begann darauf folgendermaßen zu sprechen:

»Anmutige Mädchen, nachdem die Stiere einen Teil des Tages hindurch, unters Joch gezwungen, gearbeitet haben, sehen wir deutlich, daß sie am Abend von diesem gelöst werden und frei, wohin es ihnen gefällt, in den Büschen zur Weide umhergehen dürfen. Auch sehen wir, daß die Gärten, in denen verschiedene Pflanzen grünen, nicht weniger schön, sondern viel schöner noch als der Hain sind, in dem nur Eichen wachsen. Aus diesen Gründen meine ich: wenn wir erwägen, wie viele Tage wir nun schon von bestimmten Gesetzen eingeschränkt erzählt haben, so wird uns, die wir den gleichen Drang in uns fühlen, ein solches Umherschweifen nicht nur nützlich, sondern auch erwünscht sein, um in der Freiheit für das wiederkehrende Joch Kräfte zu sammeln. Darum denke ich denn das, was morgen im Verlauf eurer ergötzlichen Erzählungen gesprochen werden soll, nicht auf eine bestimmte Aufgabe zu beschränken, sondern will, daß jeder erzählt, was ihm gefällt. Ich bin fest überzeugt, daß die Verschiedenheit der Gegenstände, welche vorgetragen werden, uns nicht weniger erfreuen wird als das Erzählen eines einzigen. Haben wir so getan, dann mag, wer nach mir die [686] Herrschaft antritt, uns neu Gestärkte mit größter Sicherheit wieder ins gewohnte Joch spannen.«

Nachdem sie dies gesagt hatte, gab sie allen Urlaub bis zur Stunde des Mahls. Jeder lobte die Rede der Königin als weise und verständig, und nachdem man aufgestanden war, gab sich der eine dieser, der andere jener Lustbarkeit hin. Die Damen brachten die Zeit bis zur Stunde des Mahls damit zu, Kränze zu flechten und allerlei Kurzweil zu treiben, die jungen Männer aber mit Spiel und Gesang. Als die Essenszeit gekommen war, speiste man neben dem schönen Springbrunnen fröhlich und mit Lust. Nach dem Mahl vergnügte man sich auf herkömmliche Art mit Liedern und Tänzen.

Endlich aber gebot die Königin, um der Sitte ihrer Vorgänger zu folgen, daß Panfilo, obgleich mehrere noch gern von ihren eigenen Liedern eines gesungen hätten, allein einen Gesang anstimmen sollte. Dieser begann nun bereitwillig so:


Weil, Amor, ich dein eigen,
Schenkst du an Freud und Lust und allem Guten
So viel, daß ich frohlock in Feuersgluten.
Das Übermaß des Glückes und der Lust,
Die jetzt zuteil mir werden,
Allein durch Amors Macht,
Es findet keinen Raum in meiner Brust:
Es redet in Gebärden,
Im Mund, der freudig lacht
Und – obwohl schweigend – sagt,
Daß, wer sich Liebe ließ so hoch gemuten,
Sich selig preist, ob Flammen ihn umfluten.
Nicht können diese Fülle meiner Lust
Aussprechen meine Lieder,
Nicht grüb in Erz sie Stahl;
Könnt ich's, müßt ich sie bergen in der Brust.
Erführ es jemand wieder,
So würde Lust zur Qual.
Mein Glück ist solcher Zahl,
[687]
Daß hundert Zungen, wenn sie nimmer ruhten,
Die Wonne nicht erzählten dieser Gluten.
Wer glaubte wohl, daß ich mit diesem Arm
Die an mein Herz gezogen,
Die glühend ich gefaßt,
Daß Wang an Wange, Lipp an Lippe, warm
Sich küssend festgesogen
Zu süßer Liebesrast.
Und weil's denn niemand faßt,
Will ich mich freun der seligen Minuten,
Verschließend in die Brust des Glückes Fluten.

Panfilos Lied war zu Ende, und obgleich alle den Endreim mitgesungen hatten, war doch keiner darunter, der nicht mit besonderer Aufmerksamkeit – und vielleicht mit größerer als sich geziemt hätte – auf die Worte des Gesanges gelauscht und zu erraten versucht hätte, was das sei, wovon jener gesungen hatte, daß er es verbergen müsse. Und obschon man auf vielerlei verfiel, traf doch keiner die Wahrheit. Doch als die Königin den Gesang des Panfilo beendet sah, auch bemerkte, daß die Damen und Herren gern zur Ruhe gingen, gebot sie, daß jeder sich zum Schlafen zurückziehe.

[688]

Neunter Tag

[Einleitung]
[691]

Das Licht, vor dessen Glanz die Nacht entflieht, hatte schon zum achten Male das dunkle Blau des Himmels in Helle verwandelt, und auf den Wiesen begannen die Blumen sich aufzurichten, als Emilia sich erhob und ihre Gefährtinnen und die jungen Männer rufen ließ. Als diese erschienen, folgten sie den langsamen Schritten der Königin und begaben sich so zu einem Wäldchen, nicht weit vom Schlosse. Hier fanden sie verschiedene Tiere, Rehe, Hirsche und andere, die sich bei der drohenden Pestilenz vor dem Jäger so sicher fühlten und sie so zutraulich herankommen ließen, als ob sie aller Furcht ledig und völlig zahm geworden wären. Die Damen und die jungen Männer aber näherten sich bald diesem und bald jenem Tier, als wollten sie es ergreifen, und machten sich ein Vergnügen daraus, es laufen und springen zu lassen.

Als die Sonne jedoch höher stieg, schien es allen an der Zeit, nach Hause zurückzukehren. Jeder war mit Eichenlaub bekränzt und trug wohlriechende Kräuter oder Blumen in den Händen. Wer sie so angetroffen, hätte nicht anders sagen können, als daß sie dem Tode entweder unbesieglich trotzten oder doch heiter und froh von ihm ereilt würden. So Schritt für Schritt lustwandelnd, singend, schwatzend und schäkernd, gelangten sie zum Palast, wo sie alles hübsch geordnet und die Diener froh und munter fanden.

Nachdem man sich hier ein wenig ausgeruht, ging man nicht eher zu Tisch, als bis sechs Lieder, eines immer heiterer als das andere, von den jungen Männern und den Damen gesungen worden waren. Danach ward das Wasser für die Hände gereicht, und der Seneschall setzte sie nach dem Willen der Königin um den Tisch, wo man, nachdem die Speisen aufgetragen waren, fröhlich zur Mahlzeit schritt.

[691] Von dieser aufgestanden, überließ man sich wieder eine Zeitlang dem Gesange und dem Spiel. Dann konnte nach dem Willen der Königin zur Ruhe gehen, wer da wollte. Als jedoch die gewohnte Stunde gekommen war, versammelten sich alle wieder an der bekannten Stelle zum Erzählen. Hier blickte die Königin Filomena an und gebot ihr, mit den Erzählungen dieses Tages zu beginnen. Diese aber fing lächelnd also an:

Erste Geschichte

Madonna Francesca wird von Rinuccio und von Alessandro geliebt. Da sie keinen von beiden wiederliebt, schafft sie sich beide klüglich vom Halse, indem sie dem einen aufträgt, als Toter in ein Grab zu steigen, dem andern aber, jenen als einen Toten daraus hervorzuholen, was beide nicht zustande bringen.


Madonna, es ist mir willkommen, daß ich, weil Ihr es so befehlt, auf diesem offenen und unbeschränkten Felde, welches Eure Großmut uns eingeräumt hat, mit dem Erzählen den Anfang machen und als erste die Bahn durchlaufen soll. Gelingt mir dies wohl, so zweifle ich nicht, daß meine Nachfolger es ebenfalls gut oder noch besser vollbringen werden.

Schon oft, reizende Mädchen, ist uns in unseren Geschichten gezeigt worden, wie groß und von welcher Art die Macht der Liebe ist. Doch ich glaube darum nicht, daß dieser Gegenstand erschöpft sei oder es jemals werden könnte, selbst wenn wir von heute an bis übers Jahr von nichts andrem sprächen. Und weil die Macht der Liebe die Liebenden nicht allein häufig in mannigfache Lebensgefahr führt, sondern sie sogar zwingt, als Tote in die Gräber der Toten hinabzusteigen, so gefällt es mir, euch zu den anderen Geschichten, die schon erzählt worden sind, noch eine zu erzählen, aus welcher ihr nicht allein die Gewalt der Liebe, sondern auch die List kennenlernen könnt, welche eine wackere Frau anwandte, um zwei Liebhaber loszuwerden, die sie gegen ihren Willen mit ihrer Liebe verfolgten.

Ich sage also, daß in der Stadt Pistoja einst eine sehr schöne Witwe lebte, die von zwei Florentinern, die dort in der Verbannung [692] lebten, heftig geliebt wurde, und von denen der eine Rinuccio Palermini, der andere Alessandro Chiarmontesi hieß. Beide von ihrem Reiz gefesselt, und ohne daß einer vom andern etwas wußte, boten sie vorsichtig alles auf, was ein jeder vermochte, um die Gegenliebe der Witwe zu gewinnen. Die edle Dame, deren Name Francesca de' Lazzari war, wurde häufig durch Botschaften und Anträge dieser beiden belästigt. Nachdem sie anfangs denselben unbedachterweise zuweilen ein Ohr geliehen hatte, wollte sie sich jetzt zwar klüglich zurückziehen, wußte aber nicht recht wie. Da kam ihr endlich ein Gedanke, wie sie sich dieser Last entledigen könne: wenn sie nämlich von jedem einen Dienst verlangte, der zwar nicht unmöglich war, dessen Ausführung sie jedoch keinem von beiden zutraute. Vollbrächten sie ihn dann nicht, so meinte sie einen anständigen Vorwand zu haben, um ihre Anträge künftig nicht mehr anzuhören.

Ihr Plan aber war folgender: Es war an dem Tag, an dem ihr dieser Gedanke kam, zu Pistoja ein Mann gestorben, der, obschon seine Vorfahren adelige Leute gewesen waren, doch für einen der schlechtesten Menschen nicht nur dieser Stadt, sondern der ganzen Welt gehalten wurde. Überdies aber war er zu seinen Lebzeiten so mißgestaltet und von so abschreckendem Aussehen gewesen, daß jeder, der ihn nicht gekannt und ihn zum ersten Male gesehen, sich vor ihm gefürchtet hätte. Jener Mensch war in einem Grabmal vor der Kirche der Minoriten beigesetzt worden, und dieser Umstand fügte sich gut zu ihrem Plan. Deshalb sprach sie zu einer ihrer Mägde: »Du kennst die Belästigungen, denen ich täglich durch die Anträge dieser beiden Florentiner Rinuccio und Alessandro ausgesetzt bin. Nun bin ich nicht gesonnen, ihnen meine Liebe zu schenken, und um sie mir endlich vom Halse zu schaffen, habe ich beschlossen, sie wegen ihrer großartigen Beteuerungen in einer Sache auf die Probe zu stellen, die sie meiner Ansicht nach nicht vollbringen werden, und dann werde ich diese Last glücklich los. Höre nun aber, wie. Du weißt, daß erst heute morgen auf dem Kirchhof der Minoriten der Scannadio« – so wurde jener schlechte Mensch genannt, von dem wir oben berichtet haben – »beigesetzt worden ist, vor dem die mutigsten [693] Männer dieses Ortes schon Furcht hatten, solange er noch am Leben war, geschweige denn jetzt, da er tot ist. Nun sollst du heimlich erst zu Alessandro gehen und zu ihm sagen: ›Madonna Francesca schickt mich, um dir zu melden, daß jetzt endlich die Stunde gekommen ist, wo du ihre Liebe gewinnen kannst, nach der du so sehr getrachtet hast. Und zwar kannst du, wenn dir der Sinn danach steht, auf die folgende Weise mit ihr zusammenkommen. Aus einem Grund, den du später erfahren wirst, soll diese Nacht von einem ihrer Verwandten der Leichnam des Scannadio, der heute morgen begraben wurde, in ihr Haus gebracht werden. Nun hat sie Furcht vor ihm, tot wie er ist, und möchte ihn nicht im Hause haben. Darum bittet sie dich, daß du diesen Abend zur Zeit des ersten Schlafes dorthin gehst, dich in das Grabmal legst, in dem Scannadio beigesetzt worden ist, seine Kleider anziehst und so lange still bleibst, als wärest du der Tote, bis man kommen wird, um dich zu holen. Dann aber sollst du dich, ohne etwas zu sagen oder einen Laut von dir zu geben, herausnehmen und nach ihrem Hause tragen lassen. Dort magst du dann bei ihr, die dich empfangen wird, verweilen und wieder fortgehen, wann es dir beliebt, denn wegen alles übrigen überlasse ihr allein die Sorge.‹ – Sagt er nun, er wolle das tun, so ist es gut. Erwidert er aber, er könne das nicht unternehmen, so sag ihm von mir aus, er solle sich nicht mehr blicken lassen, wo ich anzutreffen bin, und wenn er sein Leben liebe, solle er sich hüten, mir weder einen Boten noch irgendeine Bestellung zu schicken. Danach wirst du zum Rinuccio Palermini gehen und zu ihm sagen: ›Madonna Francesca teilt dir mit, daß sie bereit sei, deine Wünsche zu erfüllen, wofern du ihr einen großen Dienst erweist. Dieser besteht darin, daß du heute Mitternacht zu dem Grabmal gehst, in dem heute morgen der Scannadio beigesetzt wurde, ihn, ohne ein Wort zu sagen, was du auch hören oder wahrnehmen mögest, behutsam aus dem Grabe herausnimmst und ihr ins Haus bringst. Dort wirst du sehen, warum sie dies wünscht, und von ihr erlangen, was du nur begehrst. Wolltest du dies aber nicht tun, so sollst du ihr weder Boten noch Briefe mehr schicken.‹«

Die Magd begab sich zu beiden und richtete jedem ihren [694] Auftrag ordentlich aus, wie ihr befohlen war. Vom einen wie vom andern wurde ihr geantwortet, daß sie nicht nur in ein Grab, sondern in die Hölle selbst hinabsteigen wollten, wofern es ihrer Dame gefiele. Diese Antwort brachte die Magd ihrer Gebieterin zurück, und diese wartete nun, ob sie wirklich so töricht wären, jenen Auftrag auszuführen.

Als es nun Nacht geworden war und die Zeit des ersten Schlafes herankam, entkleidete sich Alessandro Chiarmontesi bis auf das Wams und verließ das Haus, um sich an der Stelle des Scannadio in das Grabmal zu legen. Unterwegs kam ihm ein gar zaghafter Gedanke in den Sinn, und er sagte bei sich selbst: »Oh, was für ein Tor bin ich! Wo gehe ich hin? Weiß ich denn, ob nicht ihre Verwandten vielleicht meine Liebe zu ihr bemerkt haben und in der Annahme, daß zutrifft, was nicht der Fall ist, ihr befohlen haben, mir diesen Auftrag zu erteilen, um mich dann in dem Grabmal zu töten? Geschähe das, so hätte ich den Schaden davon, und nichts würde ruchbar, das ihnen Schaden bringen könnte. Oder weiß ich, ob dies nicht irgendein Feind von mir angezettelt hat, dem sie vielleicht, weil sie ihn liebt, damit einen Dienst erweisen will?« Dann sprach er weiter: »Aber gesetzt auch, daß nichts von alledem zutrifft, und ihre Verwandten mich wirklich zu ihr ins Haus tragen sollten, so kann ich doch nicht glauben, daß jene den Leichnam des Scannadio nur begehren, um ihn selbst zu umarmen oder ihn ihr in den Arm zu legen. Vielmehr muß ich vermuten, daß sie ihn nur verlangen, um ihn irgendwie zu schänden, weil er sie vielleicht in irgendeinem Stück verletzt hat. Sie befiehlt mir, daß ich keinen Laut von mir geben soll, was ich auch wahrnehmen möchte. Wie, wenn sie mir nun die Augen ausstächen, oder die Hände abhieben, oder die Zähne ausrissen, oder sonst irgendein solches Spiel mit mir trieben – wie wäre ich dann daran? Könnte ich dazu wohl still sein? Und wenn ich rede, erkennen sie mich entweder und fügen mir vielleicht ein Leid zu, oder wenn sie mir nichts tun, so habe ich alsdann doch nichts ausgerichtet; denn sie werden mich nicht bei ihr lassen, und die Dame selbst wird sagen, ich hätte ihr Gebot übertreten, und nimmermehr tun, wonach ich Verlangen trage.«

[695] Unter diesen Gedanken war er nahe daran, nach Hause zurückzukehren. Dennoch trieb ihn die Macht der Liebe mit entgegengesetzten Gründen vorwärts, die so viel Kraft hatten, daß sie ihn bis zu dem Grabmal führten. Dies öffnete er, stieg hinein, kleidete den Scannadio aus, legte dessen Kleider an und schloß dann das Grab über sich wieder zu. Als er aber nun so an der Stelle des Scannadio dalag und darüber nachzudenken anfing, wer dieser Mann gewesen sei, und ihm einfiel, was er von Dingen gehört hatte, die nicht allein in den Gräbern der Toten, sondern auch anderswo nachts vorgegangen waren, da sträubte sich ihm allmählich jedes Haar am Leibe, und es kam ihm so vor, als müsse Scannadio sich jeden Augenblick aufrichten und ihm hier den Hals abschneiden. Doch die brennende Liebe half ihm wiederum, diese und andere fürchterliche Betrachtungen zu besiegen, und still daliegend, als wäre er selbst der Tote, fing er nun an zu erwarten, was mit ihm geschehen würde.

Als die Mitternacht nahte, verließ auch Rinuccio sein Haus, um ins Werk zu setzen, was seine Dame ihm hatte sagen lassen. Unterwegs aber fiel ihm auch mancherlei ein, was ihm möglicherweise begegnen könnte, wie zum Beispiel, daß er mit dem Körper des Scannadio auf dem Rücken der Obrigkeit in die Hände fallen und als Hexenmeister zum Feuer verdammt werden könnte, oder daß er, wenn man es erführe, sich den Haß der Verwandten des Toten zuziehen möchte, und andere ähnliche Betrachtungen, die ihn beinahe zurückgehalten hätten. Dann aber sagte er sich wieder: »Wie, soll ich in der ersten Sache, welche diese edle Frau, die ich so geliebt habe und noch liebe, von mir verlangt, nein sagen? Und besonders jetzt, wo ich ihre Gunst dadurch gewinnen soll? Nein, und müßte ich ohne Rettung sterben, so kann ich doch nicht umhin, das auszuführen, was ich versprochen habe.«

Nun ging er weiter, gelangte zu dem Grabmal und öffnete es mit leichter Mühe. Als Alessandro öffnen hörte, verhielt er sich ganz still, wie große Furcht er auch empfand. Rinuccio stieg hinein, faßte in der Meinung, den Leichnam des Scannadio zu ergreifen, Alessandro bei den Füßen, zog ihn heraus, lud ihn sich auf die Schultern und machte sich nun mit ihm[696] nach dem Hause der Edelfrau auf den Weg. Während er so weiterschritt, stieß er mit ihm, ohne weiter darauf zu achten, bald hier, bald dort an eine Ecke der Bänke, welche die Straßen säumten, denn die Nacht war so dunkel, daß er nicht zu unterscheiden vermochte, wo er ging.

So war er bis an die Türschwelle der Edelfrau gelangt, die mit ihrer Magd am Fenster stand, um zu hören, ob Rinuccio den Alessandro brächte, und sich schon gerüstet hatte, beide fortzuschicken, als es sich traf, daß die Scharwache, welche in der Straße lauerte, um einen Verbannten zu greifen, das Geräusch vernahm, welches der schwere Gang des Rinuccio verursachte. Schnell zogen sie ein Licht hervor, um zu sehen, was es gäbe und wohin sie sich zu wenden hätten, schlugen ihre Schilde und Speere zusammen und riefen: »Wer da?«

Rinuccio erkannte sie, und da er zu langer Überlegung keine Zeit hatte, ließ er den Alessandro von der Schulter fallen und lief davon, so rasch die Beine ihn tragen wollten. Alessandro aber sprang schnell auf und eilte, obwohl er die Kleider des Toten anhatte und diese gar lang waren, ebenfalls schnell von dannen.

Die Witwe, die bei dem Licht, das die Scharwache mit sich führte, Rinuccio mit dem Alessandro auf dem Rücken wohl erkannt und zugleich gesehen hatte, daß Alessandro das Leichengewand des Scannadio trug, erstaunte nicht wenig über die große Kühnheit beider Liebhaber. Allein allem Staunen zum Trotz mußte sie doch lachen, als sie sah, wie Rinuccio den Alessandro so abwarf und beide dann die Flucht ergriffen. Froh über diesen Ausgang und den Himmel preisend, daß er sie von der Verlegenheit mit diesen beiden erlöst hatte, kehrte sie zurück und begab sich in ihre Kammer, stimmte aber ihrer Magd darin bei, daß beide sie ohne Zweifel sehr liebhaben müßten, weil sie, wie sich nun gezeigt habe, ihren Auftrag ausgeführt hätten.

Wie bekümmert auch Rinuccio war und wie sehr er auch sein Mißgeschick verwünschte, ging er darum doch nicht nach Hause, sondern kehrte, nachdem die Scharwache jene Straße verlassen hatte, dahin zurück, wo er den Alessandro abgeworfen, und begann nun, mit den Händen tappend, nach ihm zu [697] suchen, um, wenn er ihn fände, seine Aufgabe zu vollenden. Als er ihn jedoch nicht fand und nun annehmen mußte, daß die Scharwache ihn weggetragen habe, ging er betrübt nach Hause.

Alessandro, der nichts anderes zu tun wußte und auch den nicht einmal erkannt hatte, der ihn dorthin getragen, ging bekümmert über sein Mißgeschick gleicherweise in seine Wohnung heim.

Als man aber am andern Morgen das Grab des Scannadio öffnete und seine Leiche nicht mehr fand, weil Alessandro sie in die untere Gruft gewälzt hatte, füllte sich ganz Pistoja mit verschiedenartigen Gerüchten, und die Toren meinten, die Teufel hätten ihn davongetragen. Dessenungeachtet benachrichtigte jeder der beiden Liebhaber die Witwe, was er getan habe und was dazwischengekommen sei und ihn ohne seine Schuld gehindert habe, den Auftrag vollständig auszuführen, weshalb denn jeder zum Lohn ihre Gunst und ihre Liebe begehrte. Sie stellte sich beiden gegenüber so, als könne sie dies nicht glauben, und antwortete ihnen entschieden, daß sie nichts für sie tun wolle, da sie ihren Auftrag nicht ausgeführt hätten. Solcherart schaffte sie sich denn beide vom Halse.

Zweite Geschichte

Eine Äbtissin steht eilig im Finstern auf, um eine ihrer Nonnen, die bei ihr verklagt worden ist, mit ihrem Liebhaber im Bett zu überraschen. Da sie aber selbst einen Priester bei sich hat, nimmt sie statt des Schleiers dessen Hosen um. Als die Angeklagte diese erblickt und die Äbtissin darauf aufmerksam macht, wird sie freigelassen und darf ungestört mit ihrem Geliebten verweilen.


Filomena schwieg, und die List der Dame, diese Liebhaber loszuwerden, die sie nicht lieben mochte, wurde von allen gelobt, die Verwegenheit der jungen Männer hingegen nicht für Liebe, sondern für Torheit erklärt. Danach wandte sich die Königin freundlich zu Elisa und sagte: »Fahre nun du fort.« Diese begann rasch:

[698] Geliebte Mädchen, sehr geschickt wußte Madonna Francesca, wie uns erzählt worden ist, sich von ihrer Last zu befreien. Allein auch eine junge Nonne verstand es, sich unter dem Beistand des Glücks von einer drohenden Gefahr durch scherzende Rede zu befreien. Wie ihr wißt, sind diejenigen nicht selten, welche, obwohl selber töricht, sich zu Lehrmeistern und Strafpredigern anderer erheben. Eben diese züchtigt aber, wie ihr aus meiner Geschichte lernen könnt, das Schicksal bisweilen auf die verdiente Art, wie dies der Äbtissin geschah, unter deren Aufsicht die junge Nonne stand, von der ich euch erzählen will.

Ihr müßt also wissen, daß in der Lombardei ein durch Frömmigkeit und Sittenstrenge sehr berühmtes Kloster ist, in dem unter den andern Nonnen auch ein junges Mädchen von edlem Blut und wunderbarer Schönheit weilte, welches Isabetta hieß. Als diese eines Tages zu einem ihrer Verwandten an das Sprechgitter herabgekommen war, verliebte sie sich in einen jungen Mann, welcher diesen begleitete. Da er ihre große Schönheit wahrnahm und ihr Verlangen in ihren Augen gelesen hatte, entflammte er auf gleiche Weise für sie.

Nicht ohne große Schmerzen für beide ertrugen sie diese Liebe eine Zeit hindurch ohne alle Furcht. Zuletzt jedoch, da beide gleichmäßig danach verlangten, fand der junge Mann ein Mittel, heimlich zu seiner Nonne zu gelangen. Auch sie war damit zufrieden, und so besuchte er sie nicht einmal, sondern viele Male zur großen Freude beider.

Als dies jedoch so weiterging, geschah es, von ihm und von ihr unbemerkt, daß er in einer Nacht, als er von Isabetta Abschied nahm und fortging, von einer der Nonnen des Klosters gesehen wurde. Diese teilte es mehreren andern mit. Anfangs gedachten sie Isabetta bei der Äbtissin, welche Madonna Usimbalda hieß und nach der Meinung der übrigen Nonnen und aller, die sie kannten, eine sehr fromme und treffliche Frau war, förmlich anzuklagen. Zuletzt aber zogen sie es vor, sie, damit kein Leugnen möglich sei, mit dem jungen Mann von der Äbtissin auf frischer Tat überraschen zu lassen. So schwiegen sie denn und teilten unter sich die Nachtstunden und die Wache ein, um jene zu ertappen.

[699] Isabetta, die sich vor all dem nicht hüten konnte, ja von all dem nichts wußte, ließ ihren Liebhaber in einer Nacht wiederkommen, was die sogleich wieder erfuhren, die hierauf achtgaben. Diese verteilten sich nun, als es ihnen an der Zeit schien und ein gutes Stück der Nacht schon verstrichen war, in zwei Gruppen, von denen die eine die Tür von Isabettas Zelle bewachte, während die andere in aller Eile zum Schlafzimmer der Äbtissin lief, dort anklopfte und, nachdem sie Antwort erhalten hatte, ihr zurief: »Auf, Madonna, steht schnell auf. Wir haben die Isabetta mit einem jungen Mann in ihrer Zelle ertappt.«

Eben in dieser Nacht hatte die Äbtissin Gesellschaft von einem Priester, den sie oft in einer Truhe zu sich bringen ließ. Als sie nun jene Worte vernahm und fürchtete, die Nonnen möchten in ihrer Eile aus übermäßigem Eifer die Tür aufsprengen, stand sie schnell auf und kleidete sich im Finstern an, so gut sie wußte. Indem sie aber einen gewissen faltigen Schleier zu ergreifen meinte, welchen die Nonnen auf dem Kopf tragen und den sie das Psalterium nennen, faßte sie die Hosen des Priesters. Und so groß war ihre Eile, daß sie, ohne es gewahr zu werden, diese sich über den Kopf warf, hinauseilte und schnell die Tür hinter sich verschloß, indem sie rief: »Wo ist diese von Gott Verwünschte?« Alsbald gelangte sie mit den andern, die so eifrig und begierig darauf waren, Isabetta auf frischer Tat zu ertappen, daß sie nicht bemerkten, was ihre Äbtissin auf dem Haupte trug, zur Tür der Zelle, sprengte diese mit Hilfe der übrigen auf und trat ein. Und nun fand man die beiden Liebenden umschlungen in ihrem Bette.

Diese, von der Überraschung ganz bestürzt, wußten nicht, was sie tun sollten, und blieben ruhig liegen. Die junge Nonne ward jedoch sogleich von den übrigen ergriffen und auf Befehl der Äbtissin in den Kapitelsaal geführt. Der junge Mann war zurückgeblieben, kleidete sich an und erwartete, was die Sache für einen Ausgang nähme. Er war entschlossen, allen Klosterfrauen, die er erreichen könnte, übel mitzuspielen, wenn seiner Geliebten irgend etwas zuleide geschähe, und diese dann mit sich zu nehmen.

[700] Unterdessen begann die Äbtissin, nachdem sie im Kapitel ihren Sitz eingenommen hatte, in Gegenwart aller Nonnen, die immer noch bloß auf die Schuldige blickten, dieser die schwersten Beschimpfungen zu sagen, die je einem Weibe gesagt wurden, wie einer, welche die Heiligkeit, die Ehrbarkeit und den guten Ruf des Klosters mit ihren unziemlichen und schmachvollen Werken, sobald man diese außerhalb erführe, schwer befleckt hätte, und fügte dann den Scheltworten die härtesten Drohungen hinzu. Die Nonne, schüchtern und verschämt wie eine Schuldbewußte, wußte nichts zu antworten, sondern schwieg und erregte dadurch bereits das Mitleid der andern.

Als die Äbtissin jedoch mit zornigen Reden fortfuhr, hob das junge Mädchen zufällig den Kopf und sah, was die Äbtissin auf dem Haupte trug, und wie die Hosenbänder ihr rechts und links herabhingen. Sie erkannte schnell, was es war, und sprach nun kecken Mutes: »Frau Äbtissin, so Euch Gott helfe, bindet Euch doch erst die Haube zu und sagt mir dann, was Ihr wollt.« Die Äbtissin, die sie nicht verstand, entgegnete: »Was Haube, du sündiges Weib! Hast du jetzt noch die Frechheit, Witze zu machen? Scheint dir nach dem, was du getan hast, daß hier Späße an ihrem Orte sind?« Das Mädchen wiederholte zum zweitenmal: »Madonna, ich bitte Euch bloß, bindet Euch die Haube zu, und dann sagt mir, was Euch beliebt.« Nun richteten natürlich auch viele der Nonnen ihre Augen auf den Kopfschutz der Äbtissin, und während sie selbst mit den Händen danach griff, wurden alle gewahr, warum Isabetta so sprach.

Als die Äbtissin den gleichen Fehler an sich er kannte und inneward, daß er allen offenbar und kein Verbergen desselben möglich sei, änderte sie ihre Rede und begann auf einmal ganz anders zu sprechen als zuvor, indem sie damit schloß, daß es unmöglich sei, dem Stachel des Fleisches zu wehren, und hinzufügte, daß jede, wie es bis zu dieser Stunde geschehen sei, sich fortan heimlich ein gute Zeit schaffen möge, sobald sie könne. Die junge Nonne ward nun freigelassen, die Äbtissin kehrte zu ihrem Priester, und Isabetta zu ihrem Liebhaber zurück. Diesen aber ließ sie noch oft zu sich kommen, [701] zum großen Ärger derer, welche sie beneideten. Die andern jedoch, welche noch keinen Liebhaber hatten, versuchten heimlich, so gut sie konnten, ihr Glück.

Dritte Geschichte

Auf Anstiften Brunos, Buffalmaccos und Nellos macht Meister Simon dem Calandrino weis, er sei schwanger. Dieser gibt den Genannten zu seiner Heilung Kapaune und Geld, worauf er ohne Entbindung wieder genest.


Als Elisa ihre Erzählung geschlossen und alle Gott gedankt hatten, daß er die junge Nonne glücklich von den Verfolgungen der neidischen Schwestern befreit hatte, gebot die Königin dem Filostrato fortzufahren, und dieser begann, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten:

Schöne Damen, der liederliche Richter aus der Mark, von dem ich euch gestern erzählte, hinderte mich, eine Geschichte von Calandrino mitzuteilen, die ich euch anfangs zum besten geben wollte. Und weil eben alles, was von ihm erzählt wird, nur den Spaß vermehren kann, will ich euch, obwohl wir schon viel von ihm und seinen Gefährten gesprochen haben, auch diese Geschichte erzählen, die ich gestern im Sinne hatte.

Schon früher habt ihr zur Genüge gehört, wer Calandrino und die andern waren, von denen ich in dieser Geschichte zu sprechen habe. Ohne mehr davon zu erwähnen, berichte ich euch jetzt nur, daß eine Tante des Calandrino gestorben war und ihm zwei hundert Lire in Silbergeld hinterlassen hatte. Nun erzählte Calandrino überall, daß er ein Gut kaufen wolle, und soviele Makler es nur in Florenz gab, mit so vielen fing er an zu unterhandeln, nicht anders, als wenn er zehntausend Goldgulden auszugeben hätte. Allein sobald es zum Preis des verlangten Gutes kam, zerschlug der Handel sich immer wieder.

Bruno und Buffalmacco, die dies erfuhren, hatten ihm schon oft versichert, daß er besser daran täte, das Geld mit ihnen zu verjubeln, als Land zu kaufen, wie wenn er davon Lehmkugeln zu drehen gedächte. Allein weder hierzu, noch selbst dahin [702] hatten sie ihn je zu bringen gewußt, daß er ihnen auch nur einmal etwas zu essen gegeben hätte. Hierüber beklagten sie sich nun einst gegeneinander, und als auch noch einer ihrer Gesellen, ein Maler namens Nello, dazukam, überlegten sie alle drei, wie sie es anzufangen hätten, um sich einmal auf Kosten des Calandrino den Schnabel zu salben.

Ohne damit lange zu zögern, hatten sie unter sich verabredet, was ein jeder zu tun hätte, und paßten am folgenden Morgen auf, bis Calandrino aus seinem Hause trat. Noch war er nicht weit gegangen, als ihm Nello entgegentrat und sagte: »Guten Tag, Calandrino!« Calandrino antwortete, Gott möge ihm einen guten Tag und ein gutes Jahr schenken, worauf Nello scheu ein wenig zurücktrat und ihm lange ins Gesicht sah. »Was schaust du denn?« sprach Calandrino zu ihm. Nello erwiderte: »Ist dir heute nacht etwas gewesen? Du scheinst mir gar nicht mehr derselbe.« Calandrino begann sogleich besorgt zu werden und sprach: »Weh mir, was ist denn? Was denkst du denn, daß mir fehle?« »Nun«, sagte Nello, »ich sage es nicht deshalb, aber du scheinst mir ganz verwandelt; möge es etwas anderes sein.« Und damit ließ er ihn gehen.

Calandrino ging weiter, schon ganz besorgt, obgleich er nicht das geringste spürte. Nun trat ihm Buffalmacco entgegen, der nicht weit entfernt war und gesehen hatte, wie er von Nello fortging, grüßte ihn und fragte, ob er sich denn unwohl fühle. »Ich weiß nicht«, antwortete Calandrino, »aber eben sagte mir auch Nello, daß ich ihm ganz verändert vorkäme. Wär es möglich, daß mir nichts fehlte?« »Wollte Gott«, sagte Buffalmacco, »dir fehlte nichts, lieber als etwas. Du scheinst mir schon halb eine Leiche.« Nun glaubte Calandrino schon, er hätte das Fieber.

Auf einmal kam auch Bruno hinzu, und ehe er ein anderes Wort sagte, sprach er: »Calandrino, wie siehst du aus? Du scheinst mehr tot als lebendig. Wie fühlst du dich?« Als Calandrino sie nun alle so reden hörte, war er fest überzeugt, krank zu sein, und fragte sie ganz erschrocken: »Freunde, was soll ich tun?« »Nun«, sagte Bruno, »am besten gehst du gleich wieder nach Hause, legst dich zu Bett und läßt dich gut zudecken. Dann schickst du dein Wasser zum Meister Simon, der, wie du [703] weißt, unser guter Freund ist. Der wird dir gleich sagen, was du zu tun hast. Wir aber wollen jetzt mit dir kommen, und wenn dir etwas not tut, es besorgen.«

Nello schloß sich ihnen an, und so kehrten sie mit Calandrino in seine Wohnung zurück, wo er ganz erschöpft in seine Schlafkammer trat und zu seiner Frau sagte: »Komm und decke mich gut zu, denn ich fühle mich sehr krank.« Nachdem er sich also niedergelegt hatte, schickte er sein Wasser durch eine kleine Magd zu Meister Simon, der gerade in seinem Laden »Zur Melone« am Mercatovecchio war. Indes sagte Bruno zu seinen Kameraden: »Ihr bleibt hier bei ihm, und ich will gehen, um zu hören, was der Arzt sagen wird, und ihn, wenn es nötig ist, gleich mitbringen.« »Ja, tue das, lieber Freund«, sagte Calandrino zu ihm. »Geh und bring mir Nachricht, wie die Sache steht, denn ich fühle, ich weiß nicht was, in meinem Leibe.«

Nun eilte Bruno zu Meister Simon, wo er früher eintraf als das Mädchen, welches das Wasser trug, und unterrichtete den Meister von der ganzen Sache. Als daher die Magd kam und der Doktor das Wasser sah, sprach er zu ihr: »Lauf und sag dem Calandrino, er solle sich gut warm halten, ich käme sogleich zu ihm und sagte ihm, was ihm fehle und was er zu tun habe.«

Das richtete die Magd aus, und es währte auch nicht lange, so kam Bruno mit dem Doktor. Dieser setzte sich ihm zur Seite, fing an, ihm den Puls zu fühlen, und sprach nach einiger Zeit in Anwesenheit der Frau, welche dabeistand: »Sieh, Calandrino, um wie ein Freund mit dir zu sprechen, dir fehlt nichts weiter, als – du bist schwanger.« Kaum hatte Calandrino dies gehört, da fing er kläglich zu schreien an und rief: »Weh mir, Tessa, das hast du mir angetan, weil du nur immer obenauf liegen willst. Ich habe es dir wohl gesagt.« Als die Frau, die ein sittsames Weib war, ihn so reden hörte, errötete sie über und über, senkte den Kopf und ging aus der Kammer, ohne ein Wort zu erwidern. Nun fuhr Calandrino in seinem Klagegeschrei fort und sprach: »Weh mir Unglücklichem! Was soll ich nur machen? Wie soll ich dieses Kind zur Welt bringen? Wo soll es hinaus? Ich sehe wohl, daß die Raserei meines [704] Weibes mich ums Leben bringt. Möge Gott sie verderben und mich wieder froh machen. Aber wahrhaftig, war ich gesund, wie ich es nicht bin, ich spränge auf und prügelte sie so lange, daß sie kein Glied ganz behielte, obschon mir ganz recht geschieht, weil ich sie nimmer hätte obenauf lassen sollen. Aber wahrlich, komme ich diesmal mit dem Leben davon, so soll sie mir vor Verlangen eher sterben, als daß ich es wieder geschehen lasse.«

Bruno, Buffalmacco und Nello wollten vor Lachen fast bersten, als sie diese Reden des Calandrino hörten, doch hielten sie an sich. Meister Schafskopf jedoch lachte so aus vollem Halse, daß man ihm alle Zähne hätte ausziehen können. Nach einer Weile gab Calandrino dem Doktor die besten Worte und beschwor ihn, in diesem Unglück ihm mit Rat und Hilfe beizustehen. Der Meister aber sagte: »Calandrino, du mußt dich nicht ängstigen; denn, Gott sei Dank, wir haben die Sache schnell erkannt, und ohne viel Mühe und in wenigen Tagen gedenke ich dich zu befreien. Freilich mußt du etwas Geld nicht scheuen.« »Ach ja, teuerster Meister«, entgegnete Calandrino, »um Gottes Barmherzigkeit! Ich habe hier zweihundert Lire, für die ich mir ein Gütchen kaufen wollte. Wenn sie nötig sind, nehmt sie ganz, nur daß ich nicht niederzukommen brauche; denn wahrhaftig, ich begreife nicht, wie ich das machen soll. Ich höre die Weiber, wenn sie gebären sollen, einen so großen Lärm machen, und sie haben die Gelegenheit dazu doch groß genug. Aber ich glaube, wenn ich diesen Schmerz aushalten sollte, ich stürbe, ehe ich niederkäme.«

»Mach dir keine Sorgen«, entgegnete der Doktor. »Ich werde dir einen Trank destillieren lassen, der gar wirksam und zugleich sehr angenehm zu trinken ist. Der löst in drei Morgen alles auf, und du bist dann gesünder als ein Fisch. Doch nachher, sieh zu, daß du verständiger bleibst und nicht wieder in diese Torheiten verfällst. Zu diesem Trank brauchen wir indes drei Paar fette Kapaune, und zum Einkaufen von allem andern, was dazu nötig ist, magst du einem von deinen Freunden hier fünf Lire Silber geben. Das alles laß mir in meinen Laden bringen, und ich werde dir dann morgen in Gottes Namen den destillierten Trank schicken, und du magst damit [705] anfangen, einen tüchtigen Becher auf einmal auszutrinken.« Als Calandrino dies hörte, sprach er: »Laßt es Euch nur recht empfohlen sein, liebster Meister.« Und nachdem er nun dem Bruno die fünf Lire und das Geld für die drei Paar Kapaune gegeben hatte, beschwor er ihn, sich ihm zuliebe in dieser Sache zu bemühen.

Der Arzt ging heim, ließ ihm etwas Gewürzwein zurechtmachen und schickte ihm diesen. Bruno aber kaufte die Kapaune und was außerdem zu einer Schmauserei nötig war und verzehrte alles fröhlich mit dem Doktor und seinen andern Gesellen. Calandrino trank drei Morgen hintereinander von dem Gewürzwein, und der Doktor und seine Kameraden besuchten ihn. Jener fühlte ihm den Puls und sagte: »Calandrino, du bist ohne Fehl hergestellt. Du kannst ruhig heute noch in Geschäften ausgehen und brauchst nicht mehr das Haus zu hüten.«

Calandrino stand fröhlich auf, ging seinen Geschäften nach und lobte überall, wo er nur mit jemand ins Gespräch kam, die schöne Kur, die Meister Simon ihm verordnet und durch die er ihn in drei Tagen ohne allen Schmerz entschwängert habe. Bruno, Buffalmacco und Nello aber waren nicht wenig zufrieden, durch ihre List den geizigen Calandrino hinters Licht geführt zu haben, obschon Monna Tessa, welche die Sache merkte, lange darüber mit ihrem Manne brummte.

Vierte Geschichte

Cecco di Messer Fortarrigo verspielt zu Buonconvento alles, was er hat, und das Geld des Cecco di Messer Angiulieri dazu. Dann läuft er diesem im Hemde nach, läßt ihn unter dem Vorwand, daß jener ihn beraubt habe, von Bauern ergreifen, zieht dessen Kleider an, besteigt sein Pferd und eilt davon, während Angiulieri im Hemd zurückbleibt.


Unter großem Gelächter hatte die ganze Gesellschaft angehört, wie Calandrino seine Frau beschuldigt hatte. Sobald aber Filostrato schwieg, nahm Neifile nach dem Willen der Königin das Wort:

Ehrenwerte Mädchen, fiele es dem Menschen nicht schwerer, [706] andern Leuten Einsicht und Tugend zu zeigen als Torheit und Laster, so bemühten viele sich nicht vergeblich, ihre Zunge im Zaume zu halten. Dies hat euch die Torheit des Calandrino hinreichend bewiesen, der, um von dem Übel zu genesen, das seine Einfalt ihn für wahr halten ließ, durchaus nicht gezwungen war, die heimlichen Gelüste seiner Frau öffentlich bekanntzumachen. Dieser Umstand hat mich an eine dem Sinne nach entgegengesetzte Geschichte erinnert, in der nämlich die Bosheit des einen den Verstand des andern besiegte, zum großen Schaden und Spott des Überwundenen. Diese Geschichte nun denke ich euch zu erzählen.

Es waren also vor noch nicht vielen Jahren in Siena zwei im Alter schon vorgerückte Männer, die beide Cecco hießen, der eine jedoch di Messer Angiulieri, der andere di Messer Forrtarigo mit Zunamen. Obschon sie in vielen andern Stücken schlecht in ihren Sitten zusammenpaßten, stimmten sie doch in einem Stück, darin nämlich, daß beide ihre Väter haßten, so sehr überein, daß sie um dessentwillen Freunde geworden waren und viel miteinander umgingen.

Dem Angiulieri, der ein schöner und wohlgesitteter Mann war, schien es, daß er in Siena von dem Einkommen, welches sein Vater ihm ausgesetzt hatte, nur schlecht leben könne. Da er nun vernahm, daß ein gewisser Kardinal, der sein großer Gönner war, als Legat des Papstes nach der Mark Ancona gekommen sei, entschloß er sich, zu ihm zu gehen, in der Hoffnung, dort seine Lage zu verbessern. Indem er dies seinem Vater mitteilte, einigte er sich mit ihm, daß dieser ihm auf einmal gab, was er ihm sonst in sechs Monaten zu geben hatte, damit er sich davon bekleiden, sich beritten machen und sonst anständig erscheinen könne.

Während er nun noch jemand suchte, den er in seinem Dienst mit sich nehmen könnte, hörte Fortarrigo von der Sache. Sogleich begab er sich zum Angiulieri und bat ihn, so gut er nur wußte und konnte, daß er ihn mit sich nähme, indem er ihm Diener, Begleiter und alles mögliche sein und keinen Lohn außer freier Zehrung fordern wolle. Angiulieri erwiderte ihm, daß er ihn nicht mit sich nehmen werde. Zwar wisse er sehr wohl, daß jener für jeden Dienst tauglich sei, er wisse aber [707] auch, daß er spiele und überdies sich auch bisweilen betrinke. Hierauf entgegnete Fortarrigo, er wolle sich gewiß vor dem einen wie vor dem andern hüten, bekräftigte dies mit so viel Schwüren und fügte so viele Bitten hinzu, daß Angiulieri endlich nachgab und erklärte, er sei es zufrieden.

Beide traten nun eines Morgens ihre Reise an und gingen nach Buonconvento, um dort zu essen. Nach der Mahlzeit ließ Angiulieri, da die Hitze groß war, sich im Gasthof ein Lager zurechtmachen, kleidete sich mit Fortarrigos Hilfe aus und legte sich schlafen, indem er sagte, jener möchte ihn wecken, sobald die neunte Stunde schlüge.

Sobald Angiulieri schlief, schlich Fortarrigo sich in die Schenke, und nachdem er hier einiges getrunken hatte, begann er mit mehreren ein Spielchen. Diese hatten ihm in kurzer Zeit das wenige Geld, das er bei sich hatte, abgenommen und gewannen ihm nun auf die gleiche Weise auch alle Kleider ab, die er auf dem Leibe trug. Begierig, sich wieder herauszureißen, ging er im Hemd, wie er war, dorthin, wo Angiulieri schlief, nahm, als er ihn in tiefem Schlafe fand, aus der Börse alles Geld, das Angiulieri darin hatte, kehrte zum Spiel zurück und verlor auch dies, wie das übrige.

Indes erwachte Angiulieri, stand auf, kleidete sich an und fragte nach Fortarrigo. Da er nirgends zu finden war, meinte Angiulieri, daß er wohl irgendwo seinen Rausch ausschlafen möge, wie er sonst zu tun gewohnt war. Er beschloß deshalb, ihn im Stich zu lassen, ließ Sattel und Felleisen seinem Rosse auflegen und gedachte in Corsignano einen andern Diener anzuwerben. Als er jedoch, im Begriff abzureisen, den Wirt bezahlen wollte, fand er sein Geld nicht. Darüber entstand natürlich großer Lärm, und das ganze Wirtshaus geriet in Aufruhr, als Angiulieri behauptete, er sei darin bestohlen worden, und drohte, er wolle sie alle gefangen nach Siena führen lassen.

Da kam auf einmal Fortarrigo im Hemd angegangen, da er jetzt auch die Kleider nehmen wollte, wie er das Geld schon genommen hatte. Als er den Angiulieri im Begriff erblickte, das Pferd zu besteigen, rief er: »Was soll das bedeuten, Angiulieri? Wollen wir schon wieder fort? Oh, warte nur noch einen Augenblick. Gleich muß einer kommen, der mein Wams für[708] achtunddreißig Soldi zum Pfande hat. Ich bin überzeugt, er gibt es uns für fünfunddreißig zurück, wenn wir ihn gleich bezahlen.«

Während dieser Worte kam einer hinzu, der den Angiulieri dadurch, daß er ihm die Geldsumme angab, die jener im Spiel verloren hatte, überzeugte, Fortarrigo sei es gewesen, der ihm sein Geld genommen habe. Äußerst erzürnt hierüber, überhäufte Angiulieri den Fortarrigo mit den heftigsten Schmähungen, und hätte er sich vor andern nicht mehr als vor Gott gefürchtet, so hätte er ihm Schlimmeres angetan. So aber bestieg er schnell sein Pferd, mit der Drohung, ihn bei der Gurgel aufhängen oder bei Strafe des Galgens aus Siena verbannen zu lassen. Fortarrigo aber sprach immer weiter, als wenn Angiulieri gar nicht zu ihm, sondern zu einem ganz andern gesprochen hätte: »Angiulieri, lassen wir doch in Gottes Namen all dies Gerede, das ja doch zu nichts nütze ist. Merke aber das eine: wenn wir es gleich einlösen, so bekommen wir es gewiß für fünfunddreißig Soldi wieder. Doch zögerst du nur bis morgen, so läßt er nichts von den achtunddreißig ab, die er mir darauf lieh, und er tut mir den Gefallen nur, weil ich eigentlich auf seinen Rat gesetzt habe. Sprich, warum wollen wir die drei Soldi nicht sparen?«

Als Angiulieri ihn so reden hörte, geriet er in Wut, besonders weil er sah, wie alle Umstehenden ihn angafften und zu glauben schienen, daß keineswegs Fortarrigo sein Geld verspielt habe, sondern daß vielmehr er jenem das seinige vorenthalte. »Was habe ich mit deinem Wams zu tun?« rief er aus. »Mögest du am Halse aufgehängt werden, der du mich nicht allein bestohlen und das Meinige verspielt hast, sondern mich jetzt noch in meiner Reise aufhältst und mich zum besten haben willst.«

Doch Fortarrigo ließ sich nicht irremachen und sprach weiter, als sage jener dies alles nicht zu ihm: »Wie? Warum soll ich hier nicht drei Soldi sparen? Glaubst du, daß ich sie dir nicht wieder borgen kann? Tu es doch, wenn du mich lieb hast! Was hast du denn für Eile? Nach Torrenieri kommen wir heute immer noch. Drum mache, hol deine Börse heraus. Wisse, ganz Siena könnte ich durchsuchen und fände doch kein Wams, [709] das mir so gut stände wie dieses. Und dann zu sagen, daß ich es ihm für achtunddreißig Soldi gelassen hätte, da es wohl vierzig und mehr wert ist, so daß du mich auf doppelte Weise in Schaden brächtest.«

Aufs äußerste empört darüber, daß dieser Mensch, nachdem er ihn beraubt, ihn noch mit Worten aufhalten wollte, antwortete ihm Angiulieri nicht weiter, sondern wandte den Kopf des Pferdes um und ritt auf dem Weg nach Torrenieri davon. Fortarrigo aber, dem ein boshafter Einfall in den Sinn kam, fing an, im Hemd, wie er war, hinter ihm herzutraben. Als sie so etwa zwei Meilen zurückgelegt hatten, wobei jener immer wegen des Wamses bettelte und Angiulieri, um sich diese Plage vor den Ohren wegzuschaffen, scharf zuritt, erblickte Fortarrigo gerade vor Angiulieri einige Bauern im nahen Felde an der Straße. Diese rief er laut an und schrie: »Haltet ihn! Haltet ihn!« Sie eilten, der eine mit dem Spaten, der andere mit der Hacke, auf die Straße, versperrten dem Angiulieri den Weg, hielten ihn auf und ergriffen ihn, da sie fest überzeugt waren, daß er jenen andern, der ihm so im Hemde schreiend nachlief, beraubt haben müsse.

Es nutzte ihm nichts, daß er ihnen sagte, wer er sei und wie die Sache sich verhalte, denn bald kam Fortarrigo mit zorniger Miene herbei und rief: »Ich weiß fürwahr nicht, warum ich dich nicht totschlage, treuloser Räuber, der du mit dem Meinigen davongelaufen bist.« Dann fuhr er, zu den Bauern gewandt, fort: »Sehet, ihr Herren, in welchem Aufzug er mich im Gasthof zurückließ, nachdem er vorher seinen letzten Heller verspielt hatte. Wohl kann ich sagen, daß ich durch Gottes und euren Beistand diesen Rest wiedererlangt habe, wofür ich euch immerdar dankbar sein werde.«

Angiulieri antwortete nun zwar, allein seine Worte wurden nicht angehört. Mit Hilfe der Bauern zog ihn vielmehr Fortarrigo vom Pferde zu Boden, entkleidete ihn, zog sich seine Kleider an, stieg dann zu Roß, ließ den Angiulieri im Hemd und ohne Strümpfe zurück und kehrte heim nach Siena, wobei er überall versicherte, er habe dem Angiulieri Pferd und Kleider im Spiel abgewonnen. Jener aber, der gehofft hatte, reich zu seinem Kardinal nach der Mark zu gehen, kehrte nun arm [710] und im Hemd nach Buonconvento zurück und wagte es vorderhand aus Scham nicht, nach Siena zurückzukehren. Nachdem man ihm jedoch Kleider geborgt hatte, bestieg er den Klepper Fortarrigos und begab sich damit zu seinen Verwandten nach Corsignano, bei denen er so lange blieb, bis er aufs neue von seinem Vater Unterstützung erhalten hatte.

So hat Fortarrigos boshafte List den verständigen Plan des Angiulieri zuschanden gemacht, obschon dieser sie, als Zeit und Gelegenheit günstig waren, nicht ungerächt ließ.

Fünfte Geschichte

Calandrino verliebt sich in ein junges Mädchen, und Bruno macht ihm ein Amulett, mit dem er sie berührt, worauf sie mit ihm abseits geht. Hier aber von seiner Frau überrascht, kommt er in schlimme Händel.


Als Neifile ihre nicht lange Geschichte beendet hatte und die Gesellschaft, ohne viel über sie gelacht oder gesprochen zu haben, darüber hinwegging, wandte die Königin sich zu Fiammetta und gebot ihr fortzufahren. Fröhlich antwortete diese, sie sei gern bereit, und begann:

Anmutige Mädchen, wie ich glaube, wißt ihr, daß es nichts gibt, von dem so viel gesagt wäre, daß nichts mehr davon zu sagen übrig sei, wenn derjenige, der davon reden will, Zeit und Ort gebührend zu wählen weiß. Erwäge ich nun den Zweck, zu dem wir hier versammelt sind – der doch allein darin besteht, Freude und gute Zeit zu haben –, so meine ich, daß alles, was Freude und Vergnügen bringen kann, hier nach Ort und Zeit schicklich sei und daß, hätten wir auch schon tausendmal von einem Gegenstand gesprochen, es immer noch Vergnügen machen müsse, aufs neue davon zu reden. Deshalb wage ich es, wie oft wir auch von Calandrinos Streichen schon erzählt haben, euch außer den schon erzählten noch einen mitzuteilen; denn wie Filostrato vorhin sagte, sind sie alle ergötzlich. Zwar hätte ich, wenn ich mich von der Wahrheit der Begebenheit entfernen wollte, euch diese leicht mit anderen Namen [711] vortragen können oder könnte es noch; da jedoch ein Abweichen von der Wahrheit des Geschehenen das Vergnügen der Zuhörer wesentlich verringert, so will ich euch, gestützt auf die angeführten Gründe, die Sache gerade so erzählen, wie sie sich zugetragen hat.

Niccolo Cornacchini war unser Mitbürger und ein reicher Mann, der unter anderen Besitzungen eine sehr schöne in Camerata besaß. Auf dieser nun ließ er ein anständiges und schönes Wohnhaus errichten und verabredete mit Bruno und Buffalmacco, daß sie es ihm ausmalen sollten. Diese zogen, da es viel Arbeit war, noch Nello und Calandrino hinzu und begannen zu arbeiten. In diesem Hause nun war nur das eine oder andere Zimmer eingerichtet und mit Betten und anderen notwendigen Dingen versehen, auch wohnte nur eine alte Magd als Hüterin desselben darin. Und da es sonst keine andere Dienerschaft dort gab, pflegte ein Sohn Niccolos, der Filippo hieß und unverheiratet war, bisweilen irgendein Frauenzimmer dorthin zu führen, das er ein oder zwei Tage bei sich behielt und dann wieder fortschickte.

Nun geschah es unter anderm, daß er einst ein Mädchen dahin brachte, welches Niccolosa hieß und das ein schlechter Geselle, gewöhnlich Mangione genannt, in seinem Hause in Camaldoli hielt und auch an andere vermietete. Sie war schön von Gestalt, wohlgekleidet und für ein Mädchen ihres Schlages manierlich und zungengewandt.

Als sie nun eines Tages um Mittag, aus ihrer Kammer kommend, im weißen Unterröckchen, die Haare um den Kopf geschlungen, zum Brunnen ging, der sich im Hof des Hauses befand, um sich dort Hände und Gesicht zu waschen, traf es sich, daß gerade Calandrino herbeikam, um Wasser zu holen, und sie zutraulich grüßte. Sie erwiderte den Gruß und schaute sich dabei den Calandrino an, mehr weil sie ihn für einen besonderen Vogel hielt als aus irgendeinem anderen Verlangen. Calandrino schaute sie wieder an, und da er sie schön fand, machte er sich allerhand zu schaffen, weshalb er nicht mit dem Wasser zu seinen Kameraden zurückkehrte. Da er sie aber nicht kannte, wagte er sie nicht anzureden.

Das Mädchen, das seine Blicke wohl bemerkt hatte, schaute [712] ihn, um ihn zum besten zu haben, wieder einige Male an, wobei sie mehr als ein Seufzerchen ausstieß. Die Folge davon war, daß Calandrino sich sogleich in sie vergaffte und nicht eher aus dem Hofe wich, als bis sie von Filippo zurückgerufen ward. Als er nun zu seiner Arbeit zurückgekehrt war, schnaufte er in einem fort. Bruno, der ihm beständig auf die Finger sah und sich überhaupt an allem, was er tat, sehr ergötzte, bemerkte dies gar bald. »Was zum Teufel hast du, Bruder Calandrino?« fragte er ihn daher. »Du tust ja nichts als schnaufen.« »Bruder«, entgegnete ihm Calandrino, »wenn ich jemand hätte, der mir beistände, ich wäre wohl daran.« »Wie?« fragte Bruno. »Ach«, erwiderte Calandrino, »man darf nur nicht davon reden. Aber unten ist ein Mädchen, hübscher als eine Hexe und so verliebt in mich, daß du dich wundern würdest. Eben jetzt erst bin ich es gewahr geworden, als ich nach Wasser ging.« »O weh«, sagte Bruno, »nimm dich nur in acht, daß es nicht etwa die Frau des Filippo ist.« »Ich glaube es fast«, sagte Calandrino, »denn er rief sie, und sie ging zu ihm in die Kammer. Aber was schadet das? In solchen Dingen scherte ich mich den Kuckuck um unseren Herrn Christus, geschweige denn um Filippo. Ich will dir die Wahrheit sagen, Freund, sie gefällt mir so, daß ich es dir gar nicht sagen kann.« »Bruder«, entgegnete nun Bruno, »ich will für dich erkunden, wer sie ist, und ist es Filippos Frau, so will ich deine Angelegenheit mit zwei Worten richtig machen, denn mit der bin ich gut bekannt. Aber wie machen wir's, daß Buffalmacco nichts davon erfährt? Ich kann nimmer mit ihr sprechen, ohne daß er dabei ist.« »Aus Buffalmacco mache ich mir nichts«, sagte Calandrino. »Aber hüten wir uns nur vor Nello. Der ist mit Tessa verwandt und könnte uns die ganze Geschichte verderben.« »Richtig«, sagte Bruno.

Nun wußte Bruno recht wohl, wer jene war, denn er hatte sie kommen sehen, und überdies hatte Filippo es ihm gesagt. Sobald er daher Calandrino die Arbeit ein wenig verlassen und hinausgehen sah, um sie wiederzusehen, erzählte er Nello und Buffalmacco alles, und nun verabredeten sie heimlich miteinander, wie sie ihn seiner Liebschaft wegen zum besten haben wollten. Sobald er zurückkam, fragte ihn Bruno leise: »Hast [713] du sie gesehen?« »O freilich«, antwortete Calandrino, »und sie wird noch mein Tod sein.« »So will ich gehen«, sagte Bruno, »und sehen, ob es die ist, die ich meine, und verhält es sich so, dann laß mich nur machen.«

Bruno ging nun hinunter, und als er den Filippo und das Mädchen zusammen fand, erzählte er ihnen der Reihe nach, wer Calandrino war, und was er ihm gestanden hatte. Dann verabredeten sie, was jeder zu tun und zu sagen habe, um von dieser Liebschaft des Calandrino Spaß und Freude zu haben. Danach kehrte Bruno zu Calandrino zurück und sagte: »Freilich ist's dieselbe, und deshalb müssen wir das Ding sehr klug einfädeln; denn merkte Filippo etwas, dann wüsche uns der ganze Arno mit seinem Wasser nicht rein. Doch sprich, was soll ich ihr in deinem Namen sagen, wenn es sich trifft, daß ich mit ihr ins Gespräch komme?« »Meiner Treu«, antwortete Calandrino, »sag ihr zuvörderst und zuerst, daß ich tausend Scheffel der allerschönsten Liebe für sie im Leibe habe und ordentlich schwanger davon werde; dann sag ihr, daß ich ihr untertänigster Diener bin und frag sie, ob sie nichts von mir begehrt. Hast du mich wohl verstanden?« »Allerdings«, sagte Bruno, »laß mich nur machen.«

Als nun die Essensstunde gekommen war und jene die Arbeit verließen, kamen sie herunter in den Hof, wo Filippo und die Niccolosa verweilten, und hielten sich hier um Calandrinos willen ein wenig auf. Calandrino blickte nun die Niccolosa an und machte die tollsten Gebärden von der Welt, so und solcher Art, daß selbst ein Blinder es gemerkt hätte. Die Schöne ihrerseits tat alles, wodurch sie ihn gehörig zu entflammen glaubte. Filippo aber hatte den größten Spaß von der Welt, während er nach Brunos Anweisung so tat, als ob er mit Buffalmacco und den übrigen spräche und von Calandrinos Benehmen nichts bemerkte. Nach einiger Zeit jedoch verabschiedeten sich die vier Maler, zum großen Leidwesen des Calandrino.

Auf dem Wege nach Florenz sagte Bruno zum Calandrino: »Ich sage dir, sie verzehrt sich um deinetwillen wie Eis an der Sonne. Aber beim Leibe Christi, wenn du deine Zither mitbringst und da eines von deinen Liebesliedern singst, so wirst du sehen, daß sie selbst aus dem Fenster springt, nur um zu dir [714] zu kommen.« »Meinst du, Freund«, sagte Calandrino, »glaubst du, daß ich sie mitbringen soll?« »Ei, wohl«, antwortete Bruno. »Siehst du«, sagte Calandrino, »du wolltest mir heute nicht glauben, als ich's dir sagte. Wahrhaftig, Freund, ich merke, daß ich mich besser als ein anderer darauf verstehe, das zu erlangen, was ich will. Wer anders als ich hätte eine solche Dame wie diese so schnell verliebt machen können? Wahrhaftig, jene jungen Laffen nicht, die alles auf der Meermuschel ausposaunen und den ganzen Tag auf und ab laufen und doch in tausend Jahren nicht drei Handvoll Nußkerne erschnappen. Nun solltest du mich aber erst ein Weilchen mit meiner Zither sehen! Da wirst du ein Spiel sehen! Versteh mich wohl, ich bin nicht etwa so alt, wie du wohl glaubst, und das hat sie genau gemerkt, sonst wollte ich es ihr schon beweisen, wenn ich sie erst beim Wickel kriege. Beim lebendigen Leibe Christi, ich will ihr ein Spiel zeigen, daß sie hinter mir herlaufen soll wie das Kalb hinter der Kuh.« »Oh«, rief Bruno, »du wirst sie sicher fassen, und mir deucht schon, ich sehe dich, wie du sie mit diesen deinen Stummelzähnen in ihren roten Mund und in ihre Wangen beißt, die wie ein Paar Rosen aussehen, und sie dann ganz und gar verzehrst.« Als Calandrino diese Worte hörte, glaubte er schon bei der Sache zu sein und schritt singend und hüpfend so froh einher, daß ihm das eigene Fell zu eng wurde.

Am folgenden Tag brachte er die Zither mit und sang zu dieser mehrere Lieder zum großen Ergötzen der ganzen Gesellschaft. Und kurz, er geriet über ihren häufigen Anblick in solchen Müßiggang, daß er keinen Strich mehr arbeitete, sondern tausendmal des Tages bald ans Fenster, bald an die Tür, bald hinunter in den Hof lief, um sie zu sehen. Das Mädchen aber, das nach der Anweisung Brunos verfuhr, gab ihm auf listige Art vielerlei Anlaß dazu. Andererseits brachte ihm Bruno stets Antwort auf seine Botschaften und richtete von ihrer Seite zuweilen dergleichen an ihn aus. War sie nicht zugegen, was meist der Fall war, so ließ er Briefe von ihr ankommen, in denen ihm große Hoffnung gemacht wurde, ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen, jedoch mit der Beifügung, daß sie sich jetzt im Hause ihrer Eltern aufhalte, wo er sie nicht sehen könne.

[715] Auf diese Weise ergötzten sich Bruno und Buffalmacco, welche die Sache eifrig betrieben, auf das köstlichste an dem Gebaren Calandrinos, indem sie sich von ihm, als ob seine Geliebte dergleichen verlangt hätte, bald einen Elfenbeinkamm, bald eine Börse, bald ein Messerchen und andere Kleinigkeiten mehr geben ließen und ihm dafür ein paar unechte Ringe ohne jeden Wert brachten, über die Calandrino sich unaussprechlich freute. Überdies aber stiftete er ihnen gute Vesperessen und erwies ihnen allerlei andere Ehre, damit sie sich seiner Angelegenheit desto eifriger annehmen möchten.

Wohl zwei Monate hielten sie ihn so hin, ohne daß weiter etwas geschehen wäre. Als Calandrino nun sah, daß die Arbeit zu Ende ging, und er fürchten mußte, daß, wenn er seinen Liebeswunsch nicht erfüllen könnte, bevor die Arbeit beendet wäre, ihm dies hinterher nie mehr gelänge, fing er an, den Bruno sehr zu drängen und anzutreiben. Da nun das Mädchen gerade wieder nach Camerata gekommen war, traf Bruno zuerst mit Filippo und ihr die notwendige Abrede und sprach dann zu Calandrino: »Sieh, Freund, diese Dame hat mir wohl tausendmal versprochen, zu tun, was du begehrst, und hinterdrein tut sie doch nichts. Daher scheint es mir fast, als führte sie dich bei der Nase herum. Drum dächt ich, tut sie nicht, was sie verspricht, so wollen wir, wenn du es willst, sie schon dahin bringen, es zu tun, mag sie nun wollen oder nicht.« »Ei ja, um Gottes Liebe willen«, antwortete Calandrino, »mach das nur recht bald.« Nun sprach Bruno: »Getrautest du dich wohl, sie mit einem Amulett zu berühren, das ich dir geben will?« »Freilich«, antwortete Calandrino. »Nun, so sieh zu, daß du mir ein Stückchen Jungfernpergament verschaffst und eine lebendige Fledermaus, drei Körnchen Weihrauch und eine geweihte Wachskerze, und dann laß mich nur machen.«

Calandrino stand den ganzen folgenden Abend mit seinen Netzen auf der Lauer, um eine Fledermaus zu fangen, und als er endlich eine erhascht hatte, brachte er sie mit den übrigen Sachen dem Bruno. Dieser zog sich in eine Kammer zurück, schrieb allerhand Unsinn und ein paar Zauberzeichen auf das Pergamentstück, brachte es ihm dann und sprach: »Wisse, Calandrino, sobald du sie mit dieser Schrift berührst, wird sie dir[716] gleich nachfolgen und alles tun, was du nur willst. Wenn daher Filippo vielleicht heute einmal fortgeht, so nähere dich ihr unter irgendeinem Vorwand, berühre sie damit und gehe dann in die Strohhütte, die hier zur Seite und der gelegenste Ort ist, da niemand dort verkehrt. Du wirst sehen, daß sie dir nachkommt, und wenn sie darin ist, so weißt du wohl, was du zu tun hast.«

Calandrino war nun der glücklichste Mensch von der Welt, nahm die Schrift und sagte: »Freund, laß mich nur machen.«

Nello, dem Calandrino nicht traute, hatte von alledem denselben Spaß, den die übrigen genossen, und war ihnen bei der Ausführung behilflich. Deshalb ging er nun, wie Bruno ihm aufgetragen hatte, nach Florenz zu Calandrinos Frau und sprach zu ihr: »Tessa, du erinnerst dich noch, wie viele Schläge Calandrino dir ohne jeden Anlaß an dem Tage versetzte, als er mit den Steinen aus dem Mugnonetal heimkehrte. Deshalb will ich, daß du dich an ihm rächen sollst; denn tust du das nicht, so werde ich mich nie mehr für deinen Verwandten oder Freund halten. Er hat sich dort oben in ein Weibsbild verliebt, und das ist so gemein, daß es sich häufig mit ihm einschließt. Eben jetzt haben sie verabredet, wieder beisammen zu sein. Darum mußt du gleich mit mir kommen, ihn auf frischer Tat ertappen und dann gehörig züchtigen.«

Als die Frau dies hörte, schien es ihr kein Spaß, vielmehr sprang sie auf und rief: »Weh mir, du Straßenräuber! Tust du mir dergleichen an? Beim Kreuze Gottes, das geht nicht ab, ohne daß ich dich dafür bezahle.« Dann nahm sie ihren Mantel, erbat sich die Gesellschaft einer Frau und ging mit ihr und Nello wohl schneller als im Schritt dort hinauf. Als Bruno sie von ferne kommen sah, sagte er zu Filippo: »Sieh da, unser Bundesgenosse.« Filippo aber ging nun dahin, wo Calandrino und die andern arbeiteten, und sprach: »Ihr Meister, ich muß eben jetzt nach Florenz. Arbeitet indes hübsch fleißig.« Dann ging er, verbarg sich aber an einem Ort, von wo er, ohne selbst gesehen zu werden, alles mit ansehen konnte, was Calandrino vornahm.

Als dieser den Filippo etwas entfernt glaubte, stieg er in den Hof hinab, wo er die Niccolosa allein fand und ein Gespräch [717] mit ihr anknüpfte, wobei sie, die wohl wußte, was sie zu tun hatte, sich ihm näherte und ihm etwas mehr Freundlichkeit bezeigte, als sie gewohnt war. Nun berührte Calandrino sie mit dem Amulett, und sobald dies geschehen war, richtete er, ohne ein Wort zu sagen, seine Schritte nach der Strohscheuer, wohin die Niccolosa ihm sogleich nachfolgte. Als sie drinnen war, schloß sie die Tür, fiel dem Calandrino um den Hals, warf ihn auf das Stroh nieder, das dort auf der Erde lag, sprang ihm rittlings auf den Leib, und indem sie ihm die Hände gegen die Schultern stemmte, so daß er ihrem Gesicht nicht nahe kommen konnte, blickte sie ihn wie von großer Sehnsucht verzehrt an und rief: »O mein süßer Calandrino, Herz meines Leibes, meine Seele, mein süßes Gut, Ziel meiner Wünsche, wie lange habe ich danach begehrt, dich so zu besitzen und dich so nach aller Lust in meinen Armen halten zu können! Du hast mir ja mit deiner Liebenswürdigkeit den Faden aus dem Hemd gezogen, hast mir mit deiner Zither das Herz bezaubert. Ist es denn endlich wahr, daß ich dich so halte?« Calandrino, der sich kaum bewegen konnte, antwortete: »O meine süße Seele, laß mich dich küssen!« »Hast du solche Eile?« entgegnete ihm die Niccolosa. »Erst will ich mich an dir satt schauen, erst laß mich diese Augen an deinem süßen Antlitz sättigen.«

Bruno und Buffalmacco waren indes zu Filippo gegangen, und alle drei sahen und hörten dies alles mit an. Schon war Calandrino im Begriff, die Niccolosa dennoch zu küssen, da kam Nello mit Frau Tessa hinzu. Sobald er eintraf, rief er: »Ich will zu Gott schwören, daß sie beieinander sind.« Und sowie sie nun die Tür der Hütte erreichten, stieß die Frau, die sich nicht mehr zu halten wußte, mit den Händen dagegen, daß sie aufsprang, trat hinein und erblickte nun die Niccolosa auf dem Calandrino. Als diese die Frau erblickte, sprang sie schnell empor und floh eilends dahin, wo Filippo war. Monna Tessa aber fuhr dem Calandrino, der noch nicht aufgestanden war, mit den Nägeln ins Gesicht und zerkratzte es ihm ganz und gar. Dann packte sie ihn bei den Haaren, zerrte ihn hierhin und dorthin und schrie: »Du schändlicher Schmutzhund, dergleichen also tust du mir! Verrückter Alter, verwünscht sei die [718] Liebe, die ich für dich gehabt habe. Bleibt dir also in deinem Hause so viel Muße, daß du noch in anderer Leute Häusern auf Liebschaften ausgehst? Seht mir doch den schönen Liebhaber! Kennst du dich denn gar nicht, du Wicht? Kennst du dich denn nicht, du Jammermensch? Drückte man dich auch ganz aus, so käme doch nicht soviel Saft heraus, wie man zu einer einzigen Soße braucht. Gottes Treu, diesmal war es nicht die Tessa, die dich geschwängert hat, und Gott strafe sie, wer sie auch sei. Viel kann nicht an ihr sein, daß sie nach einem solchen Edelstein, wie du einer bist, Verlangen trägt.«

Als Calandrino seine Ehefrau kommen sah, war er mehr tot als lebendig gewesen und hatte nicht den Mut gehabt, sich im geringsten zu wehren. Zerkratzt, mit zerrauftem und zerzaustem Haar, nahm er still seinen Mantel, stand auf und begann nun die Frau demütig zu bitten, daß sie nicht so schreien möchte, wenn sie nicht wolle, daß er sofort in Stücke gehauen werde; denn die, welche bei ihm gewesen, sei die Frau des Hausherrn selbst. »Meinetwegen«, rief Tessa, »und Gott schenk ihr böse Zeit.«

Bruno und Buffalmacco, die mit Filippo und der Niccolosa über diese Geschichte nach Herzenslust gelacht hatten, traten nun hinzu, als kämen sie auf den Lärm hin, und rieten dem Calandrino, nachdem sie seine Frau mit vielen Reden beruhigt hatten, daß er sich nach Florenz aufmachen und sich hier nicht mehr sehen lassen möge, weil Filippo ihm gewiß übel mitspielte, wenn er etwas von der Geschichte erführe. So kehrte denn der arme, trostlose Calandrino ganz zerzaust und zerkratzt nach Florenz zurück, ohne den Mut zu haben, je wieder dort hinaufzugehen. Tag und Nacht von den Vorwürfen seiner Frau belästigt und gequält, gab er seine glühende Liebe auf, nachdem er seinen Gefährten sowie der Niccolosa und dem Filippo nicht wenig zu lachen gegeben hatte.

[719] Sechste Geschichte

Zwei junge Männer herbergen bei einem Wirt. Der eine schleicht sich zu dessen Tochter, während die Wirtsfrau sich aus Versehen zu dem anderen legt. Darauf steigt der, welcher bei der Tochter war, zum Vater ins Bett und erzählt ihm alles, in dem Glauben, er erzähle es dem Freunde. Darüber entsteht Lärm, die Frau merkt ihren Irrtum, schleicht zur Tochter ins Bett und beschwichtigt hier alles mit geschickter Rede.


Calandrino, der die Gesellschaft schon so oft lachen gemacht hatte, tat es auch jetzt wieder. Doch als die Damen über seine Abenteuer schwiegen, gebot die Königin dem Panfilo zu erzählen. Dieser aber sprach:

Ihr löblichen Damen, der Name der Niccolosa, der Geliebten Calandrinos, hat mir eine Geschichte von einer andern Niccolosa ins Gedächtnis gerufen, die euch zu erzählen mir gefällt, weil ihr in dieser Geschichte sehen werdet, wie die Geistesgegenwart einer wackeren Frau ein großes Ärgernis hinwegzuräumen imstande war.

In der Ebene des Mugnone lebte vor noch nicht langer Zeit ein guter Mann, der den Reisenden für ihr Geld zu essen und zu trinken gab und, obwohl er arm und seine Hütte klein war, doch bisweilen in dringenden Fällen zwar nicht jedermann, aber doch seine Bekannten beherbergte. Dieser hatte nun eine recht hübsche Frau zum Weibe, von der er zwei Kinder besaß. Eines von ihnen war ein hübsches und zierliches Mädchen von etwa fünfzehn oder sechzehn Jahren, das noch keinen Mann hatte, das andere ein kleiner Knabe von noch nicht einem Jahr, den die Mutter selbst nährte.

Auf dies Mädchen nun hatte ein hübscher und gefälliger junger Mann aus unserer Stadt, der häufig in der Gegend verkehrte, ein Auge geworfen und liebte es feurig. Sie aber, die es sich zu ihrem Ruhme rechnete, solch einen Liebhaber zu besitzen, verliebte sich, während sie ihn mit freundlichen Mienen in seiner Neigung zu erhalten versuchte, gleicherweise in ihn, und schon mehrmals hätte diese Liebe zur Freude beider Teile Erfolg gehabt, wenn nicht Pinuccio, so hieß der Jüngling, die Schande des Mädchens und seine eigene gescheut hätte. Als jedoch [720] die Liebesglut sich von Tag zu Tag mehrte, flößte sie Pinuccio das Verlangen ein, sich mit jener zusammenzufinden. Dabei verfiel er auf den Gedanken, dies dadurch möglich zu machen, daß er bei ihrem Vater übernachtete, wobei er, der die Einrichtung jenes Hauses wohl kannte, hoffte, wenn er nur dort herberge, zu ihr gelangen zu können, ohne daß jemand es gewahr würde.

In der Tat führte er diesen Vorsatz ohne Aufschub aus. Begleitet von einem vertrauten Genossen namens Adriano, der von dieser Liebschaft unterrichtet war, nahmen sie eines Abends spät zwei Mietgäule, legten ihnen zwei Mantelsäcke auf, die vielleicht mit Stroh gefüllt waren, verließen Florenz und machten einen weiten Umweg nach dem Mugnonetal, das sie erreichten, als es schon Nacht war. Hier drehten sie um, so daß es schien, als kämen sie eben aus der Romagna, ritten auf das Haus zu und klopften an die Tür des guten Mannes, welcher, da er mit den beiden sehr bekannt war, sogleich öffnete. »Sieh«, sagte Pinuccio zu ihm, »du mußt uns diese Nacht beherbergen. Wir glaubten noch nach Florenz hineinzukommen, haben uns aber doch nicht so zu beeilen gewußt, daß wir nicht zu so später Stunde, wie du siehst, hier angelangt wären.« »Pinuccio«, antwortete ihm der Wirt, »du weißt wohl, wie wenig ich eingerichtet bin, solche Herren wie euch bei mir aufnehmen zu können. Doch da euch einmal die späte Stunde hier überrascht hat und es keine Zeit mehr ist, anderswo unterzukommen, so will ich euch für die Nacht gern beherbergen, so gut ich eben kann.« Die jungen Männer stiegen nun ab, traten in das kleine Wirtshaus ein, brachten erst ihre Pferde unter und speisten dann, da sie zum Abendessen etwas mitgebracht hatten, zusammen mit ihrem Wirt.

Nun hatte dieser nur eine einzige, ziemlich kleine Kammer, in welcher er drei Betten, so gut es sich tun ließ, aufgestellt hatte. Da nun zwei dieser Betten auf der einen Seite, das dritte aber ihnen gegenüber auf der andern Seite stand, so war nur so viel Raum übriggeblieben, daß man mit genauer Not hindurchgehen konnte. Von diesen drei Betten ließ der Wirt das am wenigsten schlechte für die beiden Reisegefährten richten und sie darin sich niederlegen. Bald darauf, als noch keiner von [721] jenen schlief, obschon sie taten, als schliefen sie längst, hieß er seine Tochter in das eine der beiden andern Betten sich legen und bestieg mit seiner Frau das dritte. Die letztere stellte noch neben das Bett, in dem sie schlief, die Wiege, in der sie ihren kleinen Sohn hatte.

Nachdem diese Einrichtungen getroffen waren und Pinuccio, der alles wohl bemerkt hatte, nach Verlauf einer gewissen Zeit glauben konnte, daß sie alle eingeschlafen seien, stand er leise auf, ging zu dem Bette hin, wo sein geliebtes Mädchen ruhte, legte sich ihr, die ihn furchtsam und freudig zugleich empfing, zur Seite und verweilte bei ihr im Genüsse der Lust, die sie beide vor allem ersehnt hatten.

Während Pinuccio so bei dem Mädchen lag, begab es sich, daß die Katze etwas umwarf, worüber die Frau erwachte und es hörte. Besorgt, was geschehen sei, stand sie im Finstern auf und ging, nackt wie sie war, dorthin, von wo sie das Geräusch vernommen hatte. Adriano, der hierauf nicht achtete, erhob sich inzwischen wegen eines körperlichen Bedürfnisses gleichfalls, und während er dies abzumachen ging, traf er auf die Wiege, welche die Frau dorthin gestellt hatte. Da er nun nicht vorüber konnte, ohne sie wegzunehmen, ergriff er sie, hob sie von der Stelle weg, wo sie stand, und setzte sie an der Seite des Bettes nieder, in dem er selbst schlief. Nachdem er verrichtet hatte, wozu er aufgestanden war, kehrte er zurück und legte sich, ohne weiter an die Wiege zu denken, wieder in sein Bett.

Die Frau, die unterdessen gesucht und gefunden hatte, daß das, was gefallen war, nicht das Vermeintliche gewesen, wollte nicht erst Licht anzünden, um zu sehen, was es gewesen sei, sondern schalt nur mit der Katze, kehrte dann in die Kammer zurück und ging tappend auf das Bett zu, worin ihr Mann schlief. Da sie jedoch hier die Wiege nicht fand, sprach sie bei sich selbst: »Oh, ich Ärmste! Seht nur, was ich eben zu tun im Begriff war! So wahr Gott lebt, ich ging gerade auf das Bett unserer Gäste zu.« Dann ging sie noch ein wenig weiter, fand endlich die Wiege und legte sich nun in das Bett, an dessen Seite sie stand, zum Adriano, während sie bei ihrem Mann zu liegen glaubte. Adriano, der noch nicht schlief, merkte dies, empfing sie gut und freudig, und ohne weiter ein Wort zu [722] sagen, warf er zum großen Vergnügen der Frau mehr denn einmal Anker.

Während diese beiden so beschäftigt waren, fürchtete Pinuccio, daß der Schlaf ihn bei seiner Geliebten überraschen möchte, und da er die Freude genossen hatte, nach der er verlangte, erhob er sich von ihrer Seite, um in sein Bett zum Schlafen zurückzukehren. Als er dahin kam, traf er auf die Wiege und glaubte nun nicht anders, als dies sei das Bett des Wirtes, weshalb er ein wenig weiterging und sich zu dem Wirt legte. Dieser wachte von der Ankunft des Pinuccio auf. Pinuccio, der an der Seite Adrianos zu liegen glaubte, sprach nun: »Ich sage dir, wahrhaftig, nichts Süßeres gab es je in der Welt als diese Niccolosa! Beim Leibe Gottes, ich habe die größte Wonne genossen, die nur je ein Mann bei einem Weibe gehabt hat, und ich sage dir, sechsmal und öfter bin ich zur Stadt gefahren, seitdem ich von dir wegging.« Als der Wirt diese Botschaft hörte, die ihm nicht allzu wohl gefiel, sprach er erst bei sich: »Was zum Teufel macht der denn hier?« Dann rief er, mehr vom Zorn als von der Klugheit geleitet: »Pinuccio, was du getan hast, ist eine große Schändlichkeit, und ich weiß nicht, wie du mir dies antun konntest. Aber beim Leibe Christi, du sollst mir dafür bezahlen.«

Pinuccio, der nicht eben der Klügste war, versuchte keinerlei Ausrede, um seine Übereilung soviel wie möglich wieder gutzumachen, sondern fragte: »Wofür soll ich dir bezahlen? Und was kannst du mir tun?« Die Wirtsfrau, die bei ihrem Manne zu liegen glaubte, sagte nun zu Adriano: »O weh, hörst du unsere Gäste, die sich, wer weiß über was, miteinander streiten?« »Laß sie nur«, antwortete Adriano lächelnd, »Gott schicke ihnen böse Zeit; sie haben gestern zuviel getrunken.« Die Frau, der es doch vorkam, als hätte sie ihren Mann zanken gehört, sah nun, als sie die Stimme des Adriano erkannte, wohl ein, wo und bei wem sie gewesen war. Sofort stand sie als eine verständige Frau, ohne ein Wort zu erwidern, auf, nahm die Wiege ihres kleinen Sohnes und trug sie, obwohl in der Kammer auch nicht ein Schimmer von Licht zu sehen war, aufs Geratewohl zu dem Bett hin, wo ihre Tochter schlief, und legte sich zu dieser.

[723] Dann aber rief sie ihren Mann, als wäre sie von dem Lärm, den er machte, erwacht, und fragte ihn, was er mit Pinuccio für einen Streit habe. »Hörst du nicht«, antwortete der Mann, »was er sagt, das er diese Nacht mit unserer Niccolosa gemacht?« »Da lügt er gründlich in seinen Hals hinein«, erwiderte die Frau, »denn bei der Niccolosa ist er nimmer gewesen. Ich habe mich gleich gestern zu ihr gelegt und seitdem nicht einen Augenblick schlafen können, und du bist ein Tropf, wenn du ihm glaubst. Ihr Männer trinkt immer des Abends so viel, daß ihr nachts träumt und hier und dort umhergeht, ohne etwas von euch zu wissen, und dann glaubt ihr wunder was. Schade nur, daß ihr euch nicht den Hals brecht. Aber was macht denn Pinuccio dort, und warum liegt er nicht in seinem Bett?«

Adriano, der nun seinerseits erkannte, wie klug die Frau ihre eigene Schmach und die ihrer Tochter zu verdecken wußte, sprach dazwischen: »Pinuccio, ich hab es dir schon hundertmal gesagt, du sollst nachts nicht umhergehen, denn diese deine Untugend, im Schlaf aufzustehen und dann den Unsinn, den du träumst, als Wahrheit zu erzählen, wird dich noch einmal ins Unglück bringen. Komm zurück, oder Gott schicke dir eine üble Nacht.« Als der Wirt vernahm, was seine Frau und Adriano sagten, fing er an, völlig überzeugt zu werden, daß Pinuccio träume. Darum nahm er ihn bei der Schulter, rüttelte ihn und rief ihm zu, indem er sagte: »Pinuccio, wach doch auf und geh in dein Bett zurück.«

Pinuccio, der sich endlich zusammenreimte, was hin und her gesprochen worden war, fing nun nach Art eines Träumenden an, noch allerhand andern Unsinn zu schwatzen, worüber der Wirt in das herzlichste Lachen von der Welt ausbrach. Zuletzt aber tat er, als wache er von jenem Rütteln auf, rief den Adriano und sagte: »Ist es schon Tag, daß du mich weckst?« »Jawohl«, antwortete Adriano, »komm nur her.« Jener verstellte sich ferner und spielte den Schlaftrunkenen, bis er endlich von der Seite des Wirtes aufstand und zu Adriano ins Bett zurückkehrte.

Als der Tag anbrach und alle aufgestanden waren, lachte der Wirt noch herzlich über ihn und hatte ihn wegen seiner Träume [724] zum besten. Und so von einer Scherzrede zur andern richteten die jungen Männer wieder ihre Pferde her, legten ihnen die Mantelsäcke auf, tranken noch einmal mit dem Wirt, schwangen sich dann in den Sattel und kehrten, nicht minder zufrieden mit der Art, wie sich die Sache zugetragen, als mit ihrem Erfolg selbst, nach Florenz zurück.

Später aber wußte Pinuccio andere Wege zu finden und traf noch oft mit der Niccolosa zusammen, die ihrer Mutter beteuerte, er müsse sicherlich geträumt haben. Diese aber, welche sich der Umarmungen Adrianos erinnerte, dachte bei sich, sie allein sei die Wachende gewesen.

Siebente Geschichte

Talano di Molese träumt, daß ein Wolf die Kehle und das Gesicht seiner Frau zerfleische, und rät ihr, sich in acht zu nehmen. Sie tut es nicht, und das Geträumte widerfährt ihr.


Als die Erzählung Panfilos zu Ende gegangen und die List der Frau von allen sehr gelobt worden war, befahl die Königin der Pampinea, nun ihre Geschichte zu erzählen. Diese begann daher:

Schon früher, anmutige Mädchen, haben wir unter uns von der Zuverlässigkeit der Träume gesprochen, welche viele verlachen. Darum will ich, wiewohl schon davon erzählt worden ist, doch nicht unterlassen, euch in einer ziemlich kurzen Geschichte mitzuteilen, wie es einer meiner Nachbarinnen vor noch nicht langer Zeit erging, weil sie einem sie betreffenden Traum ihres Gatten keinen Glauben schenken wollte.

Ich weiß nicht, ob ihr hier einen gewissen Talano di Molese, einen achtbaren Mann, gekannt habt. Dieser hatte ein junges und ungewöhnlich schönes Mädchen, namens Margarita, zur Frau genommen. Margarita war jedoch so überaus eigensinnig, unfreundlich und widerspenstig, daß sie nichts so machen wollte, wie andere es wünschten, daß aber auch kein anderer ihr etwas recht zu machen wußte. Dies war für Talano oft [725] sehr schwer zu ertragen; allein, da er es nicht ändern konnte, so duldete er es.

Nun begab es sich in einer Nacht, während Talano mit seiner Margarita auf einer seiner Besitzungen in der Umgegend verweilte, daß er, schlafend und träumend, seine Frau durch ein schönes Gehölz wandeln sah, welches sie nicht weit von ihrem Hause entfernt besaßen. Und indem sie so wandelte, schien es ihm, als käme von der einen Seite des Waldes ein großer und fürchterlicher Wolf daher, welcher sie beim Halse packte und zur Erde niederriß. Während sie um Hilfe schrie, bemühte sich der Wolf, sie fortzuschleppen. Endlich entrann sie seinem Rachen, jedoch so, daß Hals und Gesicht ganz zerfleischt schienen.

Am Morgen darauf sagte Talano, als sie aufstanden, zur Margarita: »Frau, wenngleich deine Widerspenstigkeit mich nie einen frohen Tag mit dir hat genießen lassen, so sollte es mir doch leid tun, wenn dir ein Unglück zustieße. Darum folge meinem Rat und geh heute nicht aus dem Hause.« Und als sie ihn nun nach dem Warum fragte, erzählte er ihr ausführlich seinen Traum. Die Frau schüttelte den Kopf und sprach: »Wer dir übel will, träumt Übles von dir. Du tust sehr besorgt um mich, doch du träumst nur von mir, was du wünschest, daß mir geschehen möge. Aber wahrhaftig, ich werde mich wohl in acht neh men, heute und alle Zeit, dich weder durch dieses noch durch ein anderes Unglück zu erfreuen.« »Ich wußte wohl«, entgegnete Talano hierauf, »daß du so sprächest; denn das ist der Dank, den man gewinnt, wenn man einem den Grind kämmt. Aber glaube, was du willst, ich sage es in guter Absicht, und ich rate dir nochmals, heute zu Hause zu bleiben oder wenigstens nicht in unser Gehölz zu gehen.« »Gut«, sagte die Frau, »ich will es tun.«

Danach aber sprach sie zu sich selbst: »Hast du gesehen, wie dieser Mann mir hinterlistigerweise Furcht eingejagt zu haben glaubt, daß ich heute nicht in unser Gehölz gehen soll? Gewiß hat er dort irgendeiner schlechten Dirne ein Stelldichein gegeben und will nun nicht, daß ich ihn dabei überrasche. Freilich, wer mit Blinden zu Tische sitzt, kann sich die besten Bissen suchen, aber ich müßte sehr töricht sein, wenn ich ihn [726] nicht kennte und ihm glauben wollte. Gewiß, das soll ihm nicht gelingen, und sollte ich auch den ganzen Tag draußen warten, so muß ich doch sehen, was für einen Handel er heute vorhat.«

Als sie sich dies vorgenommen und der Mann auf der einen Seite das Haus verlassen hatte, ging sie auf der andern hinaus und eilte, so heimlich sie konnte, ohne Aufschub nach dem Gehölze hin, verbarg sich an der dichtesten Stelle, die darin zu finden war, und horchte und spähte nach allen Seiten umher, ob sie irgend jemand kommen sähe. Während sie auf diese Weise, ohne an einen Wolf auch nur zu denken, lauerte, brach dicht neben ihr aus dem Dickicht ein großer, entsetzlicher Wolf hervor, und nachdem sie ihn gesehen hatte, blieb ihr kaum noch Zeit, »Herr, steh mir bei!« zu rufen, als der Wolf ihr auch schon an den Hals sprang, sie heftig faßte und hinwegzuschleppen anfing, als wäre sie ein kleines Lamm gewesen. Sie konnte weder schreien, so fest hatte er sie gefaßt, noch sich auf eine andere Art helfen, und so hätte sie der Wolf, der sie davontrug, ohne Zweifel erwürgt, wäre er nicht auf einige Hirten gestoßen, die ihn anschrien und nötigten, sie fallen zu lassen.

Die Unglückliche wurde von den Hirten erkannt und nach Hause getragen. Nach langer Bemühung konnten die Ärzte sie zwar heilen, jedoch nicht anders, als daß ihr der ganze Hals und ein Teil des Gesichts von Narben entstellt blieb, so daß sie, die vorher für schön gegolten hatte, von dieser Zeit an immer widerwärtig und mißgestaltet aussah. Daher scheute sie sich denn zu erscheinen, wo sie irgend gesehen werden konnte, und beweinte nun oft und bitter ihre Widerspenstigkeit und bereute, daß sie dem, was sie nichts kostete, dem wahrhaftigen Traum ihres Mannes, nicht hatte glauben wollen.

[727] Achte Geschichte

Biondello führt den Ciacco mit einer Mahlzeit an, wofür sich Ciacco listig rächt, indem er ihn tüchtig durchbleuen läßt.


Allgemein behauptete jeder in der fröhlichen Gesellschaft, was Talano im Schlafe gesehen, sei nicht sowohl ein Traum als eine Vision gewesen, so vollständig und ohne Fehl sei es eingetroffen. Als indes alle schwiegen, befahl die Königin der Lauretta fortzufahren, und diese sprach:

Wie fast alle, ihr klugen Mädchen, die heute vor mir erzählt haben, von etwas schon Besprochenem zu ihren Erzählungen angeregt wurden, so bewegt auch mich die grausame Rache, die, wie Pampinea uns gestern berichtet, der junge Gelehrte nahm, euch von einer ähnlichen zu erzählen, die zwar dem, der sie zu tragen hatte, hart genug erschien, doch bei weitem nicht so grausam wie jene war.

Ich sage euch daher, daß einst in Florenz ein Mann lebte, den jedermann Ciacco nannte, ein Leckermaul, wie es kein zweites gab. Da sein Vermögen nicht ausreichte, die Kosten zu bestreiten, die seine Leckereien erforderten, und da er im übrigen gute Manieren und lustige Einfälle in Menge besaß, machte er es sich zum Geschäft, zwar nicht geradezu ein Spaßmacher, wohl aber ein Lästermaul zu werden und mit denen zu verkehren, die reich waren und sich einer guten Tafel erfreuten. Bei solchen erschien er denn oft, auch ohne gerade eingeladen zu sein, teils zum Imbiß, teils zum Abendessen.

Desgleichen lebte in jenen Tagen zu Florenz ein anderer Mann, der dasselbe Handwerk wie Ciacco trieb. Er wurde Biondello genannt, war klein von Person, sehr zierlich und sauberer als eine Fliege, mit einer Kappe auf dem Kopf und langem blondem Haupthaar, so glatt gekämmt, daß auch nicht ein Härchen verschoben war.

Dieser war eines Morgens in der Fastenzeit dahin gegangen, wo die Fische feilgeboten werden, und wurde dort von Ciacco erblickt, als er eben zwei große Lampreten für Herrn Vieri de' Cerchi kaufte. Sogleich näherte sich jener dem Biondello und sprach: »Nun, was hat das zu bedeuten?« Biondello antwortete [728] ihm: »Gestern abend wurden unserm Herrn Corso Donati drei noch viel schönere als diese hier und ein Stör zugesandt. Doch da ihm diese nicht genug schienen, um heute einigen Edelleuten ein Festmahl zu geben, so hat er mich gebeten, ihm noch zwei andere dazuzukaufen. Kommst du nicht auch hin?« »Du weißt wohl«, antwortete Ciacco, »daß ich kommen werde.«

Und so ging er, als es ihm an der Zeit schien, zu Herrn Corsos Haus und fand ihn mit einigen seiner Nachbarn eben im Begriff, zu Tische zu gehen. Als dieser ihn fragte, was er begehre, antwortete er: »Herr, ich komme, um mit Euch und Eurer Gesellschaft zu essen.« »Du bist willkommen«, antwortete ihm Herr Corso, »und da es an der Zeit ist, so laßt uns gehen.« Man setzte sich nun zu Tische, wo es zuerst Erbsen mit gesalzenem Thunfisch gab, darauf gebratene Fische aus dem Arno und weiter nichts. Ciacco ward nun wohl inne, daß Biondello ihn gefoppt hatte, und in seinem Verdruß darüber nahm er sich vor, es ihm heimzuzahlen.

Nicht viele Tage vergingen, da lief ihm jener wieder einmal über den Weg, der mit diesem Streich schon viele lachen gemacht hatte. Biondello grüßte ihn, als er ihn sah, und fragte ihn lachend, wie ihm die Lampreten bei Herrn Corso geschmeckt hätten. »Ehe acht Tage herum sind«, antwortete ihm Ciacco, »sollst du das besser wissen als ich.«

Und nun machte er sich ohne Aufschub davon, suchte einen verschmitzten Tagedieb auf, einigte sich mit ihm über die Bezahlung, gab ihm eine große Weinflasche und zeigte ihm in der Halle der Cavicciuli, zu welcher er ihn hinführte, einen Ritter, der Filippo Argenti hieß, einen großen, kräftigen und sehr starken Mann, der mehr als irgendein anderer hitzig, jähzornig und wunderlich war. Darauf sagte er zu ihm: »Geh zu dem da mit dieser Flasche in der Hand und sprich so zu ihm: ›Herr, mich schickt Biondello zu Euch. Er läßt Euch bitten, daß es Euch gefalle, ihm diese Flasche mit Eurem guten roten Wein ein bißchen rubinrot zu färben, denn er will sich mit einigen seiner Gesellen ein frohe Stunde verschaffen.‹ Und dann gib acht, daß er dich nicht etwa faßt, denn er spielte dir nur übel mit, und mir hättest du meinen Spaß verdorben.« »Habe ich sonst noch etwas zu sagen?« fragte der Tagedieb. »Nein«, antwortete[729] Ciacco, »und wenn du das gesagt hast, so komm mit der Flasche zu mir zurück, und ich werde dich dafür bezahlen.«

Der Tagedieb machte sich auf den Weg und richtete bei Herrn Filippo seine Botschaft aus. Als Messer Filippo, der nur wenig brauchte, um in Zorn zu geraten, dies hörte, glaubte er, daß Biondello, den er wohl kannte, ihn zum besten haben wolle, verfärbte sich im ganzen Gesicht und rief aus: »Was willst du mit deinem Rubinrotfärben und deinem Genossen? An den Galgen mit dir und ihm!« Damit sprang er auf und streckte den Arm aus, um den Tagedieb zu packen. Allein dieser, der auf seiner Hut gewesen war, machte sich eiligst davon, kehrte auf einem andern Weg zu Ciacco zurück und hinterbrachte ihm, der alles mit angesehen hatte, die Worte Messer Filippos.

Ciacco war zufrieden, bezahlte ihn und ruhte nun nicht eher, als bis er auch den Biondello gefunden hatte. Zu dem sagte er: »Warst du schon in der Loggia der Cavicciuli?« »Nein«, antwortete Biondello, »warum fragst du mich danach?« »Weil ich dir sagen kann«, antwortete Ciacco, »daß Herr Filippo dich überall suchen läßt; ich weiß nicht, was er von dir will.« »Gut«, sagte Biondello hierauf, »ich gehe in der Richtung und werde mit ihm reden.« Biondello schied nun, und Ciacco ging ihm nach, um zu sehen, wie die Sache ausginge.

Messer Filippo, der den Tagedieb nicht hatte einholen können, war wütend zurückgeblieben und nagte an seinem Zorn, da er aus den Worten des Boten nichts anderes entnehmen konnte, als daß Biondello ihn auf irgend jemandes Veranlassung hin habe foppen wollen. Und während noch so der Zorn in ihm kochte, erschien Biondello. Sobald Filippo diesen erblickte, trat er ihm entgegen und gab ihm einen tüchtigen Faustschlag ins Gesicht. »Weh, Herr!« rief Biondello, »was soll das bedeuten?« Doch Messer Filippo ergriff ihn bei den Haaren, zerriß ihm die Kappe auf dem Kopf, warf ihm den Mantel zu Boden und schrie, indem er fortwährend auf ihn losschlug: »Was schickst du zu mir und läßt mir vorfaseln von Rubinrotfärben und deinen Genossen? Denkst du, ich sei ein Kind, das du zum Narren haben kannst?« Während er so sprach, schlug er ihm mit seinen Fäusten, die so hart wie Eisen waren, das ganze Gesicht entzwei und ließ ihm auf dem ganzen [730] Kopf nicht ein Haar, das ihm noch gut gestanden hätte. Dann warf er ihn in den Schmutz, zerriß ihm alle Kleider auf dem Leibe und war so eifrig bei der Sache, daß Biondello nach seinem ersten Wort weder ein zweites sagen noch ihn fragen konnte, warum er ihm dies alles antue. Er hatte wohl etwas von Rubinrotfärben und seinen Genossen gehört, doch wußte er nicht, was das bedeuten sollte.

Endlich, nachdem ihn Messer Filippo wohl zerbleut, rissen ihn die umstehenden Zuschauer mit der größten Mühe von der Welt, zerzaust und übel zugerichtet wie er war, aus des Ritters Händen und sagten ihm dann, warum ihm Messer Filippo das angetan, schalten ihn aber auch zugleich, daß er eine solche Botschaft an ihn gerichtet, da er diesen Herrn doch nachgerade kennen und wissen müsse, daß Filippo kein Mann sei, der mit sich spaßen lasse. Biondello rechtfertigte sich weinend und beteuerte wiederholt, daß er nie zu Messer Filippo nach Wein geschickt habe.

Nachdem er sich dann einigermaßen wieder in Ordnung gemacht hatte, kehrte er traurig und wehklagend heim und merkte nun wohl, daß dies ein Werk des Ciacco gewesen war. Als nach einer Reihe von Tagen die blauen Flecke aus seinem Gesicht verschwunden waren und Biondello wieder auszugehen anfing, traf es sich, daß Ciacco ihm begegnete und ihn lachend fragte: »Biondello, nun, wie schmeckte dir neulich der Wein des Messer Filippo?« »Ich wollte«, antwortete Biondello, »daß dir die Lampreten des Herrn Corso ebenso geschmeckt hätten.« »Es steht jetzt bei dir«, antwortete Ciacco hierauf, »ob du mir noch einmal so gut zu essen geben willst, wie du getan hast. Geschieht es, so werde ich dir dafür auch sicher wieder einen so guten Trank bereiten, wie du ihn gekostet hast.«

Biondello, der nun wohl einsah, daß es leichter war, gegen Ciacco etwas Böses im Schilde zu führen, als es in die Tat umzusetzen, bat Gott um seinen Frieden und hütete sich fortan wohl, ihn wieder zum besten zu haben.

[731] Neunte Geschichte

Zwei junge Männer fragen Salomo um Rat, der eine, wie er geliebt werden, der andere, wie er seine widerspenstige Frau bessern könne. Dem ersten antwortet er, er solle lieben, dem zweiten, er solle zur Gänsebrücke gehen.


Wenn die Königin dem Dioneo sein Vorrecht erhalten wollte, blieb niemand mehr als sie selbst zum Erzählen übrig. Nachdem nun die Damen noch viel über den unglücklichen Biondello gelacht hatten, fing sie heiter folgendermaßen zu reden an:

Liebenswürdige Mädchen, wenn wir mit gesundem Sinn die Ordnung der Dinge überdenken, so werden wir leicht einsehen, daß alle Frauen durch Natur, Sitte und Gesetz den Männern unterworfen sind und nach deren Gutbefinden sich zu betragen und einzurichten haben, so daß jede, die Ruhe, Freude und Zufriedenheit mit dem Manne genießen will, dem sie angehört, ihm unterwürfig, duldsam und ergeben sein muß; von ihrer Ehrbarkeit zu schweigen, welche der höchste und besondere Schatz jeder verständigen Frau ist. Wenn uns hierzu nicht schon die Gesetze, die das gemeine Wohl in allen Dingen berücksichtigen, sowie das Herkommen und die Sitte anleiteten, deren Macht überaus groß und ehrwürdig ist, so zeigte es uns die Natur deutlich genug, die uns zart und hinfällig an Körper, schüchtern und furchtsam an Geist gebildet hat, uns geringe Körperkräfte, eine gefällige Stimme und sanfte Bewegungen der Glieder verlieh; lauter Dinge, welche bezeugen, wie sehr wir fremder Lenkung bedürfen.

Wer aber fremder Hilfe und Leitung bedarf, dem befiehlt die Vernunft unbedingt, daß er seinem Lenker gehorsam, unterwürfig und ergeben sei. Und wen anders haben wir zu Helfern und Lenkern als die Männer? So ist es denn Pflicht für uns, die Männer hoch zu ehren und uns ihnen zu unterwerfen, und die Frau, die davon abweicht, halte ich nicht allein schweren Tadels, sondern auch strenger Züchtigung würdig.

Zu dieser Betrachtung, wiewohl ich sie auch sonst schon angestellt habe, führte mich eben vorhin zurück, was Pampinea von der widerspenstigen Frau des Talano uns erzählte, welcher [732] Gott die Züchtigung schickte, die ihr Mann ihr nicht zu geben wußte. Deshalb sind meiner Meinung nach, wie schon gesagt, alle die einer rauhen und strengen Strafe würdig, welche sich davon entfernen, freundlich, wohlwollend und fügsam zu sein, wie die Natur, die Sitte und das Gesetz es verlangen.

Darum gefällt es mir denn, euch von einem Rate zu erzählen, den Salomo einst erteilt hat und der als eine nützliche Arznei dienen kann, um alle, die so beschaffen sind wie jene, von denen ich eben sprach, von solchem Übel zu heilen. Keine aber, die diese Arznei nicht braucht, möge sich getroffen fühlen, obwohl die Männer ein Sprichwort haben, welches besagt: Ein gutes Roß braucht ebenso die Sporen wie ein schlechtes, und ein gutes Weib hat den Stock ebenso nötig wie ein schlechtes. Wer dieses Wort scherzhaft erklären wollte, dem geständen alle Frauen gern zu, daß es wahr ist. Aber selbst ernstgemeint behaupte ich, daß es zutrifft. Denn alle Frauen sind von Natur schwach und leicht zu überreden, und darum bedarf es des Stockes, um die Schlechtigkeit derer zu strafen, die zu weit über die ihnen angewiesenen Grenzen hinausschweifen, auf der andern Seite aber bedarf es ebenso des Stockes, um die Tugend derer zu unterstützen, die sich nicht hinreißen lassen, und um sie zu schrecken. Doch lassen wir jetzt das Predigen und kommen wir zu dem, was ich im Sinn habe, euch zu erzählen.

Ich sage euch also, daß zu der Zeit, als schon die ganze Welt erfüllt war von dem hohen Ruhme der wunderbaren Weisheit Salomos und von dem Ruf, daß er diese Weisheit jedermann freigebig zeigte, der aus eigener Erfahrung Gewißheit darüber erlangen wollte, gar viele Menschen aus allen Weltgegenden zusammenströmten, um in dringenden und wichtigen Fällen seinen Rat zu erbitten.

Unter andern nun, die aus solchem Grunde zu ihm wanderten, reiste auch ein junger Mann, der Melissus hieß und ein edler und sehr reicher Herr war, aus der Stadt Lajazzo, wo er gebürtig war und wohnte, dahin. Auf dem Wege nach Jerusalem, eben als er Antiochia verließ, traf es sich, daß er mit einem andern Jüngling namens Joseph, der denselben Weg machte, eine Strecke weit zusammen ritt und, wie es unter Reisenden Sitte ist, mit ihm in ein Gespräch geriet.

[733] Nachdem Melissus schon von Josephs Stand und Heimat erfahren hatte, fragte er ihn auch, wohin er ginge und in welcher Absicht. Joseph erwiderte ihm, er reise zu Salomo, um von ihm einen Rat zu erbitten, wie er sich gegen seine Frau verhalten solle, die mehr als irgendeine andere widerspenstig und bösartig sei und die er weder durch Bitten noch durch Schmeicheleien noch sonstwie von ihrer Halsstarrigkeit abzubringen vermöge. Dann fragte er ihn gleichermaßen, woher er wäre, wohin er reise und zu welchem Zweck, und Melissus antwortete ihm: »Ich bin aus Lajazzo, und so wie du deinen Kummer hast, so habe ich auch den meinigen. Ich bin ein reicher junger Mann und verwende das Meinige, um offene Tafel zu halten und meinen Mitbürgern Ehre zu erweisen. Dennoch, wie seltsam und wunderbar zu denken dies auch ist, kann ich bei alledem niemand finden, der mir wohlwill. Darum gehe ich auch dahin, wohin du gehst, um einen Rat zu erhalten, wie ich es machen soll, um geliebt zu werden.«

Nun reisten die beiden Gefährten zusammen weiter, gelangten endlich nach Jerusalem und wurden durch einen der Großen Salomos bei ihm eingeführt. Melissus trug ihm kurz sein Anliegen vor, und Salomo antwortete ihm: »Liebe!« Dann wurde Melissus sogleich hinausgeführt, und Joseph trug nun vor, weshalb er gekommen. Salomo antwortete ihm nur: »Geh zur Gänsebrücke.« Als er dies gesagt hatte, wurde Joseph gleichfalls ohne Säumen aus der Gegenwart des Königs entfernt, worauf er dem Melissus, der draußen wartete, erzählte, was er für eine Antwort bekommen hatte. Sie überlegten diese Worte zusammen, und da sie weder Sinn noch irgendeine Ausbeute für ihren Zweck darin zu entdecken vermochten, glaubten sie sich verhöhnt und machten sich zusammen auf den Heimweg.

Nachdem sie einige Tage gereist waren, gelangten sie an einen Fluß, über den eine schöne Brücke führte, und weil gerade eine große Karawane mit beladenen Maultieren und Saumrossen darüber hinzog, mußte sie so lange warten, bis diese hinüber waren. Als nun die Tiere schon fast alle über die Brücke gegangen waren, sahen sie noch ein Maultier, welches scheute, wie wir diese Tiere häufig tun sehen, und auf keine [734] Weise vorwärts wollte. Deshalb griff denn der Treiber zu einem Stecken und fing an, das Tier zuerst ganz mäßig zu schlagen, damit es hinüberginge. Aber das Maultier sprang bald nach dieser, bald nach jener Seite des Weges in die Quere, ging bisweilen sogar rückwärts und wollte auf keine Art hinüber. Unmäßig erzürnt, fing der Treiber nun an, es mit dem Stock auf das unbarmherzigste bald auf den Kopf, bald auf die Seiten und bald auf den Rücken zu schlagen, doch all das half nichts.

Melissus und Joseph, die dies mit ansahen, riefen daher dem Treiber wiederholt zu: »Du Unmensch, was machst du? Willst du das Tier totschlagen? Warum bemühst du dich nicht, es sanft und leise vorwärts zu führen? Es folgte dir eher, als wenn du es so schlägst, wie du tust.« Doch der Treiber antwortete ihnen: »Ihr kennt eure Pferde, und ich kenne mein Maultier, darum laßt mich nur mit ihm machen.« Damit fing er von neuem an, es zu schlagen, und so viel Hiebe versetzte er ihm bald von der einen, bald von der andern Seite, daß das Tier endlich vorwärts ging und der Maultiertreiber seinen Willen durchsetzte.

Als nun die beiden jungen Männer im Begriff standen, weiterzureisen, fragte Joseph einen guten Mann, der am Ende der Brücke saß, wie dieser Ort heiße. Der gute Mann antwortete ihm: »Herr, dies hier heißt die Gänsebrücke.« Als Joseph dies hörte, erinnerte er sich der Worte Salomos und sprach zu Melissus: »Nun sage ich dir, Geselle, daß der Rat, den mir Salomo gab, doch wohl gut und richtig sein könnte; denn ich erkenne jetzt deutlich, daß ich mein Weib nur nicht gehörig zu prügeln verstand. Doch dieser Maultiertreiber hat mir gezeigt, was ich zu tun habe.«

Einige Tage darauf gelangten sie nach Antiochia, und Joseph behielt den Melissus bei sich, damit er sich etliche Tage ausruhe. Joseph, den seine Frau nicht eben zärtlich empfangen hatte, gebot ihr, das Abendessen so zu besorgen, wie Melissus es angäbe. Als dieser sah, daß Joseph es so wünschte, tat er dies mit wenigen Worten. Die Frau aber machte, wie sie von altersher gewohnt war, nicht das, was Melissus bestellt hatte, sondern fast genau das Gegenteil davon. Als Joseph [735] dies sah, sprach er zornig: »War es dir nicht gesagt worden, auf welche Art du dieses Abendessen herrichten solltest?« Die Frau aber wandte sich hochmütig um und sagte: »Was soll das bedeuten? Warum ißt du nicht, wenn du essen willst? Wurde es mir anders aufgetragen, so gefiel es mir, die Mahlzeit so zu bestellen. Ist dir das genehm, so ist es mir recht, wo nicht, so laß es bleiben.«

Über diese Antwort der Frau wunderte sich Melissus und tadelte sie heftig. Joseph aber sprach, als er dies hörte: »Weib, du bist noch immer, wie du zu sein pflegtest. Aber glaube mir, ich werde dich anders machen.« Dann fügte er, zu Melissus gewandt, hinzu: »Freund, jetzt werden wir sehen, welcher Art Salomos Rat war. Ich bitte dich nur, es dir nicht leid sein zu lassen und für ein Spiel zu halten, was ich tue. Und damit du mich nicht darin hinderst, so erinnere dich der Antwort, die uns der Maultiertreiber gab, als uns sein Tier leid tat.« »Ich befinde mich in deinem Hause«, antwortete Melissus, »und bin nicht willens, deiner Gesinnung zuwider zu sein.«

Nun holte Joseph einen runden Stock von einem jungen Eichenstämmchen, ging in die Kammer, wohin die Frau, die aus Ingrimm vom Tisch aufgestanden war, sich brummend begeben hatte, packte sie bei den Zöpfen, warf sie nieder und fing an, sie heftig mit seinem Stock zu schlagen. Zuerst schrie sie, dann fing sie an zu drohen; als sie aber sah, daß Joseph darum nicht aufhörte, fing sie, schon ganz zerschlagen, ihn bei Gott um Gnade zu bitten an, daß er sie nicht totschlüge, und beteuerte dabei, daß sie sich nie mehr von seinem Willen entfernen wolle. Doch darum hörte Joseph noch immer nicht auf, sondern schlug sie mit jedem Hiebe immer heftiger, bald auf die Seite, bald auf die Hüften, bald auf die Schultern, als wollte er ihr alle Nähte festklopfen, und ließ nicht eher nach, als bis er müde war. Kurzum, die gute Frau behielt keinen Knochen und kein Fleckchen am Leibe, das er ihr nicht ganz mürbe geschlagen hätte.

Als er fertig war, kehrte er zu Melissus zurück und sprach: »Morgen wollen wir sehen, wie sich der Ausspruch ›Geh zur Gänsebrücke‹ erprobt haben wird.« Dann erholte er sich etwas, wusch sich die Hände und speiste mit Melissus, worauf sie, als [736] es ihnen Zeit schien, zur Ruhe gingen. Die arme Frau aber erhob sich mit großer Mühe von der Erde und warf sich auf das Bett, von wo sie nach einer kurzen, durch die Schmerzen gestörten Nachtruhe sehr zeitig aufstand und den Joseph fragen ließ, welchen Imbiß er bereitet haben wolle. Gemeinsam mit Melissus lachte er über soviel Dienstfertigkeit und traf die begehrten Anordnungen, und als sie danach zur gehörigen Zeit von ihrem Gange heimkehrten, fanden sie alles aufs beste und ganz nach dem gegebenen Befehl angerichtet, weshalb sie denn Salomos Rat, den sie beide zuerst schlecht verstanden hatten, auf das höchste lobten.

Einige Tage später trennte Melissus sich von Joseph, kehrte in seine Heimat zurück und teilte einem weisen Manne seiner Bekanntschaft mit, was er von Salomo für einen Rat erhalten hatte. Dieser antwortete ihm: »Keinen wahreren und besseren Rat konnte er dir geben. Du weißt, daß du niemanden liebst, und die Ehren und Dienste, welche du den Leuten erweist, hast du ihnen nicht aus Liebe, sondern aus Prunksucht erwiesen. Liebe daher, wie Salomo dir gesagt hat, und du wirst wieder geliebt werden.«

So also wurde die widerspenstige Frau gebessert, und der junge Mann wurde geliebt, sobald er selbst liebte.

Zehnte Geschichte

Don Gianni stellt auf Gevatter Pietros Bitten eine Beschwörung an, um dessen Frau in eine Stute zu verwandeln. Als er aber daran geht, ihr den Schwanz anzusetzen, verdirbt Pietro den ganzen Zauber, indem er erklärt, er wolle keinen Schwanz haben.


Die Erzählung der Königin hatte den jungen Damen Gelegenheit zum Flüstern und den jungen Männern zum Lachen gegeben. Als sie aber aufhörten, begann Dioneo folgendermaßen zu sprechen:

Reizende Damen, in einer Menge weißer Tauben hebt ein schwarzer Rabe deren Schönheit mehr hervor, als dies etwa ein [737] weißer Schwan täte. So vermehrt auch zuweilen unter zahlreichen Weisen ein weniger Weiser nicht nur den Glanz und die Schönheit ihres reifen Geistes, sondern auch die Freude und die Lust. Als verständige und wohlgesittete Damen müßt ihr mich, der ich etwas von einem Toren an mir habe, deshalb um so höher schätzen, je mehr ich durch meine Mängel eure Vollkommenheit nur glänzender mache, statt sie durch meinen eigenen Wert zu verdunkeln. Infolgedessen müßt ihr mir, damit ich mich so zeigen kann, wie ich bin, ein weiteres Feld einräumen und das, was ich erzählen will, mit größerer Geduld anhören, als wenn ich weniger einfältig wäre. Ich will euch also eine nicht allzulange Geschichte erzählen, aus welcher ihr lernen könnt, wie genau man alles zu beachten hat, was diejenigen anordnen, welche durch die Kraft der Zauberei etwas ins Werk richten wollen, und wie der geringste Verstoß dawider alles verdirbt, was der Beschwörende zustande gebracht hat.

Vor einigen Jahren lebte zu Barletta ein Priester, welcher Gianni di Barolo hieß. Weil er nur eine ärmliche Pfarre hatte, begann er, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, mit einer Stute, die er besaß, Waren umherzuführen, um solche hier und dort auf den Märkten Apuliens zu kaufen und wieder zu verkaufen. Auf diesen Wanderungen schloß er nähere Bekanntschaft mit einem, der Pietro da Tresanti hieß und mit einem Esel dasselbe Gewerbe trieb wie er, und zum Zeichen der Liebe und Freundschaft nannte er ihn nach apulischer Sitte nicht anders als Gevatter Pietro. Sooft dieser nun nach Barletta kam, nahm er ihn mit in sein Pfarrhaus, behielt ihn bei sich zur Herberge und erwies ihm soviel Ehre, wie er nur konnte. Gevatter Pietro hinwieder, der überaus arm war und ein kleines Häuschen in Tresanti besaß, das kaum groß genug für ihn, seine junge und schöne Frau und seinen Esel war, nahm auch Don Gianni, sooft dieser nach Tresanti kam, mit in sein Haus und bewirtete ihn nach seinen Kräften, um sich für die Ehre erkenntlich zu zeigen, die dieser ihm in Barletta erwies. Was die Wohnung betraf, so konnte er ihn freilich, da Gevatter Pietro nichts als ein kleines Bett hatte, in dem er selbst mit seiner schönen Frau schlief, nicht so aufnehmen, wie er gewünscht hätte, sondern Don Gianni mußte sich, nachdem seine [738] Stute neben dem Esel in einem kleinen Stall untergebracht war, damit begnügen, ein wenig Stroh neben ihr als Lager zu beziehen.

Die Frau, welche wußte, wie der Priester ihren Mann in Barletta aufnahm, war mehrere Male, wenn dieser kam, willens gewesen, zu einer ihrer Nachbarinnen, welche Zita Carapresa di Giudice Leo hieß, zum Schlafen zu gehen, damit der Priester mit ihrem Mann im Bett ruhen könne, und hatte es dem Don Gianni öfter gesagt. Allein, er hatte nie gewollt, und unter andern Malen erwiderte er ihr einmal hierauf: »Gevatterin Gemmata, mach dir um mich keine Sorge, ich bin gut untergebracht; denn sooft es mir gefällt, verwandle ich meine Stute in ein hübsches Mädchen und schlafe bei der, und wenn ich dann will, mache ich sie wieder zur Stute, und darum will ich mich auch nicht von ihr trennen.«

Die junge Frau wunderte sich zwar, doch glaubte sie es und erzählte es ihrem Manne wieder, wobei sie hinzufügte: »Wenn er so sehr dein Freund ist, wie du sagst, warum läßt du dir diesen Zauberspruch nicht von ihm sagen, damit du auch mich in eine Stute verwandeln könntest, um dein Geschäft mit Esel und Stute zu betreiben? Und wir gewönnen dann doppelt soviel! Wären wir dann nach Hause zurückgekehrt, könntest du mich ja wieder zu der Frau machen, die ich eben bin.«

Gevatter Pietro, der etwas zum Tropfe hinneigte, glaubte die Geschichte, stimmte ihrem Vorschlag bei und fing nun den Don Gianni zu bitten an, daß er ihn die Sache lehren möchte. Don Gianni gab sich alle Mühe, ihn von diesem törichten Wunsch abzubringen. Allein, da er dies nicht vermochte, sagte er endlich: »Sieh, weil du es denn durchaus verlangst, so wollen wir morgen, wie es unsere Gewohnheit ist, vor Tag aufstehen, und dann will ich euch beiden zeigen, wie man es macht. Wahr ist es aber, das schwerste bei der Sache ist, wie du sehen wirst, den Schwanz anzuheften.«

Gevatter Pietro und Gevatterin Gemmata hatten die Nacht über kaum geschlafen, mit solcher Ungeduld erwarteten sie das Ereignis, als sie vor Tag aufstanden und den Don Gianni riefen. Dieser erhob sich nun ebenfalls und trat, nur im Hemde, in die Kammer des Gevatters Pietro. Dort sagte er: »Ich wüßte [739] keinen Menschen in der Welt, dem ich dies zeigte, als euch allein. Doch weil ihr es denn durchaus wollt, so will ich es tun. Allein ihr müßt genau befolgen, was ich euch sagen werde, wenn ihr wollt, daß es gelinge.« Jene versicherten, daß sie tun wollten, was er sagte.

Nun ergriff Don Gianni ein Licht, gab es dem Gevatter Pietro in die Hand und sagte zu ihm: »Gib wohl acht, was ich tue, und behalte wohl, was ich sagen werde, und hüte dich, wenn du nicht alles wieder verderben willst, ein Wort zu sprechen, was du auch sehen oder hören mögest. Und dann bitte Gott, daß wir den Schwanz gut anheften.« Gevatter Pietro nahm das Licht und sagte, er wolle alles wohl verrichten.

Hierauf hieß Don Gianni die Gevatterin Gemmata nackt, wie sie zur Welt gekommen war, sich ausziehen und auf Händen und Füßen sich so auf die Erde stellen, wie die Stuten stehen, indem er sie gleichermaßen anwies, kein Wort zu reden, was ihr auch geschehen möge. Dann begann er, ihr mit den Händen Gesicht und Kopf zu streicheln, und sagte dabei: »Dies sei ein schöner Stutenkopf.« Ebenso berührte er ihre Haare und sprach: »Dies sei eine schöne Stutenmähne«, und ihre Arme betastend: »Dies seien schöne Beine und Füße einer Stute.« Als er dann ihre Brust befühlte und sie fest und rund fand, erwachte einer, der nicht gerufen worden war, und erhob sich. Don Gianni aber sagte: »Und dies sei eine schmucke Stutenbrust«, und ebenso machte er es mit dem Nacken, dem Bauch und dem Rücken, mit Hüften und Beinen. Zuletzt, als ihm nichts mehr übrigblieb, als den Schwanz zu machen, hob er das Hemd auf, nahm den Pflanzstock, mit dem er Menschen zu pflanzen pflegte, und schob diesen schnell in die dazu bestimmte Furche, indem er sprach: »Und dies sei ein schöner Stutenschweif!«

Gevatter Pietro, der bis jetzt alles sorgsam beobachtet hatte, rief, als er dieses letzte sah, was ihm nicht gut zu sein schien: »Don Gianni, ich will keinen Schwanz, ich will keinen Schwanz daran!« Doch schon war der Wurzelsaft, der alle Pflanzen keimen macht, gekommen, als Don Gianni das Pflanzholz zurückzog und rief: »O weh, Gevatter Pietro, was hast du getan! Habe ich dir nicht gesagt, daß du kein Wort reden solltest, [740] was du auch sehen möchtest? Die Stute war fast fertig, aber mit deinem Gerede hast du alles verdorben, und nun können wir sie heute nicht mehr machen.« »Schon gut«, sagte Gevatter Pietro, »aber ich wollte nun einmal keinen solchen Schwanz daran. Warum sagtet Ihr auch nicht zu mir: ›Mach du den!‹ Und überdies setztet Ihr ihn zu tief an.« Don Gianni antwortete: »Weil du ihn das erste Mal nicht so anzusetzen verstanden hättest wie ich.«

Als die junge Frau diesen Streit vernahm, richtete sie sich auf und sagte in vollem Ernst zu ihrem Mann: »Tropf, der du bist! Warum hast du deinen und meinen Vorteil so verscherzt? Hast du je eine Stute ohne Schwanz gesehen? So wahr mir Gott helfe, arm bist du, aber dir geschähe recht, wenn du noch weit ärmer wärest.«

Da es nun wegen der Worte, die Gevatter Pietro dazwischen gesprochen hatte, kein Mittel mehr gab, um aus seiner Frau eine Stute zu machen, kleidete sie sich klagend und übelgelaunt wieder an. Gevatter Pietro aber setzte, wie er gewohnt war, mit seinem Esel sein altes Gewerbe fort, zog mit Don Gianni zusammen auf die Messe von Bitonto, und forderte nie wieder diesen Dienst von ihm.


Wieviel über diese Geschichte gelacht wurde, welche die Damen besser verstanden, als Dioneo gewünscht hatte, kann sich jedermann vorstellen, der noch darüber lachen wird. Da aber die Geschichten zu Ende waren und die Sonne sich zum Untergange neigte, sah die Königin, daß das Ende ihrer Herrschaft gekommen war. Sie erhob sich, nahm den Kranz ab, setzte ihn Panfilo auf, der allein noch mit dieser Würde zu bekleiden war, und sagte lächelnd: »Herr, dir verbleibt eine schwere Aufgabe, denn als letzter hast du meine Fehler und die aller andern, die dieses Amt vor dir innegehabt haben, wiedergutzumachen. Gott leihe dir dazu seine Gnade, wie er sie mir geliehen hat, dich zu unserem König erheben zu dürfen.«

Panfilo nahm die Ehre freudig an und sagte: »Eure Tugend und die meiner andern Untertanen werden bewirken, daß ich ebensolches Lob verdienen werde wie die andern.« Nachdem er nach dem Brauch seiner Vorgänger mit dem Seneschall alle [741] notwendigen Vorbereitungen besprochen hatte, wandte er sich wieder zu den harrenden Mädchen und sagte: »Liebevolle Mädchen! Um euren Kräften ein wenig Erholung zu gönnen, hat die Güte Emilias, der Königin des heutigen Tages, euch anheimgestellt, den Gegenstand eurer Erzählungen nach Belieben zu wählen. Da ihr nun ausgeruht seid, halte ich es für gut, zu dem gewohnten Gesetz zurückzukehren. Und darum will ich, daß jeder morgen daran denke, von Menschen zu erzählen, die in Liebesangelegenheiten oder in andern Dingen Großmut oder Edelsinn bewiesen haben. Dergleichen Reden und Taten werden ohne Zweifel eure Seelen, die schon zum Guten geneigt sind, zu hochherzigen Taten entflammen, damit unser Leben, das in einem sterblichen Leibe nicht anders als von kurzer Dauer sein kann, sich in ehrenvollem Angedenken erhalte. Solches muß ja jeder, der nicht nur seinem Bauche lebt wie die Tiere, nicht allein begehren, sondern auch mit allem Eifer suchen und erstreben.«

Dies Thema gefiel der frohen Gesellschaft, und sie erhob sich nun mit Erlaubnis des neuen Königs, um sich den gewohnten Vergnügungen zu widmen. Und so tat jeder nach seinem Geschmack bis zur Stunde der Tafel. Dann kamen sie heiter wieder zusammen, und nach dem Mahl, bei dem sie hurtig und ordentlich bedient wurden, standen sie zu den gewohnten Tänzen auf. Nachdem man verschiedene Liedchen gesungen, die mehr den Worten nach ergötzlich als dem Gesänge nach meisterhaft waren, befahl der König der Neifile, in ihrem eigenen Namen ein Lied anzustimmen.

Diese begann daher mit klarer und heiterer Stimme sogleich anmutig und ohne Zögern:


Jung bin ich, und in diesen Frühlingsstunden
Ergötz ich singend mich und mit Behagen,
Weil ich die Lieb in tiefer Brust empfunden.
Wandle ich durch die Frühlingspracht der Auen,
Der tausend Blüten bunten Farbenglanz,
Der Lilie Schnee, die Ros im Dornenkranz,
So glaub ich überall nur ihn zu schauen,
[742]
Den ich erkor in liebendem Vertrauen.
Sein eigen, weiß ich nichts und will nichts fragen,
Als was den einen freut, dem ich verbunden.
Tut dann vor andern wohl der Blumen eine
Willkommne Ähnlichkeit mit ihm mir kund,
So drück ich liebend sie an Herz und Mund
Und sag ihr, was in dem geheimsten Schreine
Des Herzens ich empfinde, denke, meine.
Im Strauß mit andern will ich dann sie tragen,
Von meinem blonden, weichen Haar umwunden.
Und wie dem Auge Blumen Lust gewähren,
Gibt mir dies Ebenbild kaum mindres Glück,
Als stünd er selbst vor meinem trunknen Blick,
Für den der Liebe Flammen mich verzehren.
Doch, wie die Düfte dieses Glücks noch mehren,
Das könnt ich nimmermehr in Worten sagen,
Nur meine Seufzer sollen wahrhaft es bekunden.
Die Seufzer, welche meiner Brust enteilen,
Sind nicht, wie die der andern, bang und schwer,
Sie schweben froh und liebeswarm einher
Und schweben zu dem Liebsten ohne Weilen.
Vernimmt der sie, muß er die Sehnsucht teilen,
Eilt her zu mir, und all mein banges Klagen
Hat schnell ein End in seinem Arm gefunden!

Lebhaft lobten der König und alle Damen das Lied Neifiles. Danach aber befahl der König, da die Nacht schon weit vorgeschritten war, daß bis zum folgenden Tag sich jeder zur Ruhe begeben sollte.

[743][745]

Zehnter Tag

[Einleitung]
[747]

Noch waren einige Wölkchen im Westen gerötet, während die Wolken im Osten durch die Sonnenstrahlen, die sie schon trafen, an ihren Rändern glänzend wie Gold geworden waren, als Panfilo aufstand und die Damen und seine Freunde rufen ließ. Als alle herbeigekommen waren und er mit ihnen beratschlagt hatte, wohin sie zu ihrem Ergötzen gehen könnten, trat er langsam, von Filomena und Fiammetta begleitet, den Weg an. Die andern folgten ihnen alle, und viel über ihre künftige Lebensweise redend, plaudernd und antwortend, gingen sie lange Zeit lustwandelnd umher. Doch nachdem sie einen ziemlich langen Spaziergang gemacht, und als die Sonne schon anfing, heißer zu scheinen, kehrten sie zu dem Schlosse heim. Nachdem man die Becher hatte ausschwenken lassen, trank rings um den klaren Quell her, wer da wollte, ein wenig, und dann vergnügten sie sich unter den freundlichen Schatten des Gartens bis zur Essensstunde. Nachdem sie aber gegessen und geruht hatten, wie sie gewohnt waren, versammelte man sich da, wo es dem König gefiel, und hier legte der König Neifile die Pflicht auf, zuerst zu erzählen. Heiter begann diese also:

[747]
Erste Geschichte

Ein Ritter hat dem König von Spanien gedient und glaubt, dafür schlecht belohnt worden zu sein, weshalb der König ihm durch eine sichere Probe beweist, daß dies nicht seine, sondern seines widrigen Geschickes Schuld ist, und ihn hierauf reichlich beschenkt.


Für eine große Gunst, ihr ehrenwerten Mädchen, muß ich es halten, daß unser König befohlen hat, bei einem so wichtigen Gegenstande, wie es das Erzählen großmütiger Handlungen ist, den Anfang zu machen. Denn wie die Sonne Schmuck und Schönheit des ganzen Himmels ist, so ist die Großmut der Glanz und das Licht jeder andern Tugend. Ich werde euch daher eine, wie mir scheint, ganz gefällige kleine Geschichte darüber erzählen, die zu hören nicht anders als nützlich sein kann.

Ihr müßt also wissen, daß unter den andern tapfern Rittern, welche von langer Zeit her in unserer Stadt gewesen sind, einer und vielleicht der allerehrenwerteste Herr Ruggieri de' Figiovanni war, ein reicher und hochherziger Mann, der einsah, daß er bei der Lebensweise und den Bräuchen in der Toskana, wenn er hierbliebe, wenig oder gar nicht seinen Mut beweisen könnte. Daher faßte er den Entschluß, eine Zeitlang zu König Alfons von Spanien zu gehen, dessen Tatenruhm zu dieser Zeit den aller andern Herren überragte. Wohl ausgerüstet mit Waffen, Rossen und Gefolge begab er sich daher zu ihm nach Spanien und wurde vom König freundlich aufgenommen. Hier verweilte nun Herr Ruggieri und ließ durch seine glänzende Lebensweise und seine wundersamen Waffentaten bald erkennen, daß er ein würdiger Ritter war.

Nachdem er aber schon geraume Zeit hier verweilt hatte und sorgfältig auf das Verhalten des Königs achtete, dünkte es ihn, daß derselbe ziemlich wahllos bald diesem und bald jenem Schlösser, Städte oder Herrschaften schenkte, indem er solche an Menschen gab, die ihrer nicht wert waren. Und weil der König ihm selbst, der sich für das hielt, was er wirklich war, nichts schenkte, so meinte er, daß sein Ruhm darunter leiden könne, entschloß sich, wieder fortzugehen, und bat daher den [748] König um seinen Urlaub. Der König bewilligte ihm diesen und schenkte ihm eins der besten und schönsten Maultiere, das vielleicht je geritten wurde, welches bei der langen Reise, die er zu machen hatte, Herrn Ruggieri gar willkommen war. Als dies geschehen war, trug der König einem verständigen Diener auf, er solle sich auf die Art, die ihm die beste scheine, so einrichten, daß er mit Herrn Ruggieri reise, jedoch ohne daß dieser merke, daß er vom König geschickt sei. Unterwegs aber solle er sich alles einprägen, was jener von ihm sage, damit er es ihm berichten könne, und ihm am nächsten Morgen gebieten, zum König zurückzukehren. Der Diener hatte acht darauf, und als Ruggieri die Stadt verließ, schloß er sich ihm vorsichtig an, indem er tat, als reise auch er nach Italien.

Herr Ruggieri ritt auf dem Maultier, das der König ihm geschenkt hatte, und so, von diesem und jenem redend, sagte er, als es etwa um die dritte Morgenstunde war: »Ich meine, es sei wohlgetan, unseren Tieren Stallung zu geben.« Als sie nun in den Stall traten, stallten alle andern Tiere, nur Ruggieris Maultier nicht. Indem sie darauf weiterritten, wobei der Knappe immer noch aufmerksam auf jedes Wort des Ritters war, gelangten sie an einen Fluß, und wie sie die Tiere tränkten, tauchte das Maultier in den Fluß. Als Herr Ruggieri dies sah, rief er: »Strafe dich Gott, du Vieh! Du bist gerade wie dein Herr, der dich mir schenkte.« Der Diener fing dieses Wort auf, und wiewohl er noch viele andere Worte sammelte, während er so den ganzen Tag mit ihm ritt, so war doch keines darunter, das nicht zum höchsten Lob des Königs gewesen wäre.

Als sie daher am nächsten Morgen zu Pferd stiegen, um weiter nach Toskana zu reisen, richtete ihm der Diener den Befehl des Königs aus, worauf Herr Ruggieri sogleich umkehrte. Der König hatte bereits erfahren, was er von dem Maultier gesagt hatte, ließ ihn zu sich kommen, empfing ihn mit freundlichem Gesicht und fragte ihn, warum er ihn mit seinem Maultier oder das Maultier mit ihm verglichen habe. Herr Ruggieri antwortete ihm mit freier Stirn: »Mein Gebieter, darum verglich ich es mit Euch, weil Ihr schenkt, wo es sich nicht ziemt, und nicht schenkt, wo es am Platze wäre, so wie das [749] Maultier nicht stallte, wo der Ort dafür war, sondern dort, wo es wenig angebracht war.«

Nun sprach der König: »Herr Ruggieri, daß ich Euch nicht beschenkt habe wie so viele andere, die mit Euch verglichen nichts wert sind, geschah nicht deshalb, weil ich Euch nicht für einen gar wackeren Ritter, der jedes Geschenkes wert wäre, erkannt hätte. Euer schlechtes Glück, das mir nicht gestattet hat, Euch gebührend zu beschenken, trägt die Schuld daran, nicht ich. Und daß ich die Wahrheit sage, will ich Euch sogleich handgreiflich beweisen.« »Herr«, entgegnete ihm Ruggieri, »ich härme mich nicht darüber, keine Gabe von Euch empfangen zu haben, weil ich dergleichen nicht begehrt habe, um mich dadurch zu bereichern, sondern nur darüber, daß Ihr mir auf keine Art ein Zeugnis für meine Verdienste gegeben habt. Nichtsdestoweniger halte ich Eure Entschuldigung für gut und ehrenhaft und bin bereit zu sehen, was Euch beliebt, wiewohl ich Euch auch ohne Zeugnis glaube.«

Nun führte ihn der König in einen großen Saal, wo, wie er vorher angeordnet hatte, zwei große verschlossene Truhen standen, und sagte in Gegenwart vieler Herren zu ihm: »Herr Ruggieri, in einer dieser Truhen sind meine Krone, mein königliches Zepter und der Reichsapfel, sowie viel schöne goldene Gürtel, Schlösser, Ringe und kostbare Edelsteine, soviel ich ihrer besitze. Die andere ist mit Erde gefüllt. Wählt nun eine davon, und die Ihr nehmt, die sei Euer. Ihr werdet dann sehen, wer gegen Euer Verdienst ungerecht gewesen ist, ich oder Euer Glück.«

Als Herr Ruggieri sah, daß es dem König so gefiel, wählte er eine der Truhen. Der König befahl, sie zu öffnen, und man fand, daß es die mit Erde gefüllte war. Lächelnd sagte der König nun: »Jetzt, Herr Ruggieri, könnt Ihr sehen, daß es wahr ist, was ich von Eurem Glück sagte. Doch fürwahr, Eure Trefflichkeit verdient es, daß ich mich seiner Macht widersetze. Ich weiß, daß Ihr nicht willens seid, ein Spanier zu werden, und darum will ich Euch hier weder Schlösser noch Städte schenken, sondern jene Truhe, die das Glück Euch entzog. Diese soll, ihm zum Trotz, Euer sein, damit Ihr sie in Euer Vaterland mitnehmen und Euch mit dem Zeugnis meiner Gaben gebührend vor Euren Landsleuten Eurer Verdienste rühmen könnt.«

[750] Herr Ruggieri nahm die Truhe, sagte dem König den Dank, der einem solchen Geschenk entsprach, und kehrte dann fröhlich mit ihr nach Toskana heim.

Zweite Geschichte

Ghino di Tacco nimmt den Abt von Clugny gefangen, heilt ihn von seinem Magenübel und läßt ihn dann frei. Dieser kehrt an den römischen Hof zurück, versöhnt jenen mit Papst Bonifaz und macht ihn zum Hospitaliterritter.


Nachdem die Großmut des Königs Alfons gegen den florentinischen Ritter gerühmt worden war, befahl der König, dem die Geschichte sehr gefallen hatte, der Elisa fortzufahren. Diese begann sogleich:

Zarte Mädchen, daß ein König großmütig gewesen ist und seine Großmut dem bewiesen hat, der ihm diente, kann nur ein großes und preiswürdiges Werk genannt werden. Was aber sollen wir sagen, wenn uns erzählt werden wird, wie ein Priester wunderbare Großmut gegen einen Mann geübt hat, den er, ohne darum von jemand getadelt zu werden, als seinen Feind hätte betrachten können? Nichts anderes fürwahr, als daß die Handlung des Königs tugendhaft, die des Priesters aber bewunderungswürdig war, um so mehr, als alle diese Pfaffen viel geiziger als die Weiber und aller Freigebigkeit geschworene Todfeinde sind. Und wenngleich jeder Mensch von Natur aus nach Rache für empfangene Beleidigung verlangt, so lassen sich doch die Priester, wie man sieht, obgleich sie beständig Langmut predigen und die Vergebung von Beleidigungen hoch anpreisen, von noch glühenderer Rachsucht hinreißen als andere Menschen. Dies aber, nämlich wie großmütig ein Priester sich zeigte, wird euch aus der folgenden Geschichte offenkundig werden.

Ghino di Tacco, ein Mann, den seine Grausamkeit und Rachsucht berüchtigt genug gemacht haben, war aus Siena vertrieben worden, wiegelte, als ein Feind der Grafen von Santo Fiore, Radicofani gegen den Römischen Stuhl auf, setzte sich hier fest [751] und ließ von seinem Raubgesindel jeden auffangen und berauben, der durch die umliegende Gegend reiste.

Zu der Zeit war Bonifaz der Achte Papst in Rom, und an dessen Hof begab sich der Abt von Clugny, den man für einen der reichsten Prälaten in der Welt hielt. Dort verdarb sich dieser Herr den Magen so, daß ihm von den Ärzten geraten wurde, die Bäder von Siena zu besuchen, wo er ohne Zweifel genäse. Dies erlaubte ihm der Papst, und ohne sich viel um den Ruf des Ghino zu bekümmern, machte er sich nun mit großem Pomp, mit Saumrossen, Pferden und Dienerschaft auf den Weg. Ghino di Tacco hörte von seiner Ankunft, spannte seine Netze aus und schloß, ohne ein einziges Troßbüblein entwischen zu lassen, den Abt mit seiner ganzen Begleitung und allen Sachen an einer engen Stelle des Weges ein.

Als er dies getan hatte, schickte er einen der Seinigen, und zwar den verschmitztesten, wohlbegleitet zu dem Abt, dem er gar freundlich sagen ließ, daß es ihm gefallen möge, bei ihm, dem Ghino, im Schlosse abzusteigen. Als der Abt dies vernahm, antwortete er höchst zornig, daß er dies nicht wolle, weil er mit Ghino nichts zu schaffen habe, sondern daß er Weiterreisen und den sehen möchte, der ihm dies verwehrte. Hierauf entgegnete ihm der Abgesandte mit demütigem Tone: »Herr, Ihr seid an einen Ort geraten, wo man außer Gottes Allmacht nichts auf der Welt mehr fürchtet und wo die Exkommunikationen und die Interdikte alle längst exkommuniziert sind. Darum laßt es Euch zu Eurem eigenen Besten gefallen, hierin den Wunsch des Ghino zu erfüllen.«

Während dieses Gesprächs war bereits der ganze Platz von Raubgesindel umringt worden, so daß sich der Abt mit den Seinen gefangen sah und, wiewohl heftig erzürnt, nun mit dem Abgesandten, seiner ganzen Gesellschaft und allem Reisegepäck den Weg nach dem Schlosse einschlug. Hier abgestiegen, wurde er, wie Ghino befohlen hatte, ganz allein in ein ziemlich dunkles und unbequemes Kämmerlein des Schlosses gebracht, während jeder andere nach seinem Rang in dem Schlosse ganz gemächlich eingerichtet und die Rosse und das Gerät in Sicherheit gebracht wurden, ohne daß irgend etwas berührt worden wäre.

Hierauf begab sich Ghino zum Abte und sprach: »Herr, [752] Ghino, dessen Gast Ihr seid, läßt Euch bitten, daß es Euch gefalle, ihm zu sagen, wohin Ihr Euch begeben wolltet und aus welcher Ursache.« Der Abt, der als ein kluger Mann den Hochmut schon abgelegt hatte, eröffnete ihm, wohin er ginge und zu welchem Zweck. Als Ghino dies vernommen hatte, schied er und beschloß bei sich, den Abt ohne Bäder zu heilen. Während er in der Kammer beständig ein großes Feuer unterhalten und dieses wohl bewachen ließ, kehrte er bis zum folgenden Morgen nicht wieder zu ihm zurück. Dann aber brachte er ihm auf einem schneeweißen Tuche zwei Schnitten gerösteten Brots, dazu einen blanken Becher Weins von Coriglia, der dem Abt selbst gehörte, und sprach zu diesem: »Herr, als Ghino jünger war, hat er Medizin studiert, und er behauptet, gelernt zu haben, daß gegen das Magenübel keine andere Arznei so gut sei wie die, welche er Euch bereiten wird. Die Dinge, die ich Euch hier bringe, sind der Anfang jener Arznei, darum nehmet und stärket Euch.« Der Abt, der mehr Hunger als Lust zum Wortgefecht hatte, tat dies, wiewohl mit Unwillen, aß das Brot und trank den Wein, dann sprach er vielerlei stolzes Zeug, fragte nach vielem, gab mancherlei Ratschläge und verlangte sonderlich, den Ghino zu sehen. Ghino, der all dies hörte, ging über einen Teil dieser Reden als eitles Geschwätz hinweg, antwortete höflich auf das andere und versicherte, daß Ghino ihn besuchen werde, sobald er nur könne. Nach diesen Worten jedoch schied er von ihm. Und nicht eher als am folgenden Tag kehrte er mit ebensoviel Brot und ebensoviel Wein zurück. So hielt er ihn nun mehrere Tage, bis er endlich bemerkte, daß der Abt einige trockene Bohnen, die er absichtlich und heimlich mitgebracht und zurückgelassen hatte, aufgezehrt habe, worauf er ihn dann im Namen Ghinos fragte, wie es mit seinem Magen gehe. Hierauf entgegnete der Abt: »Ich befände mich völlig wohl, wenn ich nur aus seinen Händen wäre. Nächst diesem aber habe ich keinen lebhafteren Wunsch als zu essen, so gut hat seine Kur mir geholfen.«

Ghino, der unterdessen mit des Abtes eigenen Gerätschaften und von dessen eigener Dienerschaft ein schönes Gemach hatte einrichten und ein großes Festmahl vorbereiten lassen, zu dem außer vielen Männern aus dem Schlosse auch die ganze [753] Dienerschaft des Abtes geladen war, ging am folgenden Morgen zu ihm und sagte: »Herr, da ihr Euch nun wieder wohlfühlt, ist es auch Zeit, das Krankenzimmer zu verlassen.« Dann nahm er ihn bei der Hand, führte ihn in das vorbereitete Gemach, wo er ihn den Seinigen überließ, um inzwischen zu sehen, daß das Gastmahl recht glänzend würde.

Der Abt erfreute sich eine Weile mit den Seinigen und erzählte ihnen, wie seine bisherige Lebensweise beschaffen gewesen sei, wogegen sie ihm versicherten, daß sie von Ghino auf das herrlichste bewirtet worden seien. Als jedoch die Essensstunde erschien, wurden der Abt und alle übrigen der Ordnung nach mit herrlichen Speisen und trefflichen Weinen bedient, immer noch, ohne daß Ghino sich dem Abt zu erkennen gegeben hätte.

Nachdem dieser indes noch mehrere Tage auf diese Art im Schlosse verweilt hatte, ließ Ghino in einem Saale alles Gepäck des Abtes zusammenbringen und in dem Hofe darunter seine sämtlichen Pferde bis zum elendsten Klepper aufstellen. Dann trat er zum Abt und fragte ihn, wie er sich befinde und ob er sich für stark genug halte auszureiten. Der Abt erwiderte ihm, daß er stark genug sei und seinen Magen wieder ganz hergestellt fühle, so daß er sich völlig wohl befände, wenn er nur aus Ghinos Händen wäre. Jetzt führte Ghino den Abt in den Saal, wo sein ganzes Gepäck lag und seine ganze Dienerschaft versammelt war, und indem er ihn an ein Fenster treten ließ, von wo er alle seine Rosse übersehen konnte, sprach er: »Mein Herr Abt, Ihr müßt wissen, daß Ghino di Tacco, der ich selbst bin, nur als ein armer und aus seiner Heimat verbannter Edelmann, der zahlreiche und mächtige Feinde hat, nicht aber durch innere Bösartigkeit dahin gekommen ist, ein Straßenräuber und Feind des römischen Hofes zu werden, um sein Leben und seinen Adel verteidigen zu können. Doch weil Ihr mir ein ehrenwerter Herr zu sein scheint, so denke ich, nachdem ich Euch von Eurem Magenübel geheilt habe, Euch nicht zu behandeln, wie ich einen andern behandelt hätte, dessen Sachen ich, wenn er in meine Hände gefallen wäre wie Ihr, nach Belieben genommen hätte. Statt dessen denke ich, daß Ihr, meine Lage berücksichtigend, mir den Teil Eurer Sachen [754] zubilligen werdet, den Ihr selber wollt. Sie alle, ohne Ausnahme, stehen hier vor Euren Augen, und Eure Rosse könnt Ihr von diesem Fenster aus im Hof überblicken. Nun nehmt einen Teil oder das Ganze, wie es Euch gefällt, und von Stund an steht es bei Euch, zu gehen oder zu bleiben.«

Der Abt verwunderte sich nicht wenig, von einem Straßenräuber so hochherzige Worte zu hören. Diese gefielen ihm so sehr, daß nicht nur Zorn und Unwille augenblicklich verschwanden, sondern sich in Wohlwollen verwandelten, und daß er, von Herzen Ghinos Freund geworden, ihn umarmte und ausrief: »Ich schwöre bei Gott, daß ich, um die Freundschaft eines Mannes zu gewinnen, wie du meiner Meinung nach einer bist, gern ein viel größeres Unrecht ertrüge als das, welches ich bis jetzt von dir zu erleiden glaubte. Verwünscht sei das Schicksal, das dich zu einem so verdammenswerten Gewerbe zwingt.« Hierauf ließ er von seinem vielen Gepäck nur das wenigste und notwendigste auswählen, desgleichen von seinen Rossen, übergab ihm alles andere und kehrte nach Rom zurück.

Der Papst hatte von der Gefangenschaft des Abtes bereits erfahren, und wiewohl sie ihn sehr geschmerzt hatte, fragte er ihn doch, als er ihn sah, wie ihm die Bäder bekommen wären. Lächelnd entgegnete der Abt hierauf: »Heiliger Vater, ich fand näher, als jene Bäder sind, einen trefflichen Arzt, der mich vollständig wiederhergestellt hat.« Und nun erzählte er ihm, wie das geschehen war, worüber der Papst lachte. Der Abt aber setzte das Gespräch fort und erbat sich aus seiner adeligen Gesinnung heraus vom Papst eine Gnade. Dieser glaubte, daß er etwas anderes erbitten würde, und erbot sich bereitwillig, das Verlangte zu tun. Nun sprach der Abt: »Heiliger Vater, was ich von Euch zu erbitten gedenke, ist, daß Ihr dem Ghino di Tacco, meinem Arzt, Eure Gnade wieder verleiht; denn unter den tapferen und achtbaren Männern, die ich kennengelernt habe, ist er gewiß einer der ausgezeichnetsten, und das Übel, das er tut, erachtete ich mehr für eine Schuld des Geschicks als für die seine. Ändert Ihr dies aber dadurch, daß Ihr ihm verleiht, wovon er standesgemäß leben kann, so zweifle ich keineswegs, daß Ihr binnen kurzem ebenso über ihn denken werdet wie ich.«

[755] Als der Papst, der selbst eine große Seele besaß und edelgesinnte Männer schätzte, dieses vernahm, sagte er, das wolle er gern tun, wenn Ghino dessen so würdig sei, wie der Abt es sage. Dieser möge ihn also unter sicherem Geleit nach Rom kommen lassen. Vertrauensvoll erschien Ghino nun auf Wunsch des Abtes bei Hofe, und nicht lange war er in der Nähe des Papstes, als dieser ihn für einen wackeren Ritter erkannte, sich mit ihm aussöhnte und ihm eines der Großpriorate des Hospitaliterordens, zu dessen Ritter er ihn gemacht hatte, verlieh. Und diese Würde behielt er, als ein Freund und Diener der heiligen Kirche und des Abtes von Clugny, solange er lebte.

Dritte Geschichte

Mithridanes, neidisch auf die Freigebigkeit des Nathan, bricht auf, um ihn zu töten, und begegnet ihm, ohne ihn zu kennen. Von ihm selbst über die Mittel unterrichtet, findet er ihn, wie ihm gesagt war, in einem Haine. Er erkennt ihn tief beschämt und wird sein Freund.


Eine solche Geschichte schien allen fürwahr, als hätten sie ein Wunder gehört, daß nämlich ein Priester einmal großmütig gehandelt haben sollte. Doch als das Gespräch der Damen hierüber ein Ende genommen hatte, befahl der König dem Filostrato fortzufahren, und dieser begann sogleich:

Edle Damen, groß war unstreitig der Edelmut des Königs von Spanien und beinahe unerhört der des Abtes von Clugny. Doch vielleicht wird es euch nicht minder wunderbar erscheinen, wenn ihr hört, daß einer, um gegen einen andern, der nach seinem Blut oder vielmehr nach seinem Leben trachtete, Freigebigkeit zu üben, sinnreich bemüht war, ihm beides zu geben, und es ihm gegeben hätte, wenn der andere es zugelassen hätte, wie ich euch in meiner kleinen Erzählung zu zeigen gedenke.

Wenn wir den Berichten einiger Genuesen und anderer Leute trauen können, welche in jenen Gegenden waren, lebte im Lande Catai einst ein Mann von edlem Stamme, der so reich [756] war, daß niemand sich ihm vergleichen konnte, und Nathan hieß. Dieser besaß ein Landgut nahe an einer Heerstraße, auf der fast notwendig jeder vorüberziehen mußte, der von Westen nach Osten oder von Osten nach Westen reisen wollte. Da er nun von hochherziger und freigebiger Gemütsart war und da es ihn danach verlangte, dies durch die Tat zu beweisen, ließ er hier in kurzer Zeit von vielen Meistern, die in seinem Dienste standen, einen der schönsten, größten und reichsten Paläste, welche jemals zu sehen gewesen waren, herrichten und diesen mit allen Dingen, welche zur Aufnahme und Bewirtung edler Männer notwendig waren, aufs beste ausstatten. Im Besitz einer zahlreichen und ansehnlichen Dienerschaft, ließ er einen jeden, der hin und her wanderte, hier freundlich bewillkommnen und bewirten. Und so lange hielt er an diesem löblichen Brauche fest, daß nicht nur der Osten, sondern auch fast der ganze Westen ihn dem Rufe nach kannte.

Als er nun schon hoch in den Jahren, doch seiner gastlichen Freigebigkeit immer noch nicht überdrüssig war, begab es sich, daß sein Ruf auch zu den Ohren eines jungen Mannes gelangte, der Mithridanes hieß und in einem nicht weit entfernten Lande lebte. Dieser, der sich bewußt war, nicht weniger reich als Nathan zu sein, und der auf dessen Ruf wie auf dessen Tugend neidisch geworden war, beschloß bei sich, durch noch größere Freigebigkeit die des Nathan zu vernichten oder zu verdunkeln. Nachdem er einen Palast, dem des Nathan ähnlich, hatte erbauen lassen, fing er an, jedem, der dort vorüberging oder -kam, über alle Maßen gefällig zu sein, und ohne Zweifel wurde er auch in kurzer Zeit berühmt genug.

Nun geschah es aber eines Tages, während der Jüngling ganz allein in dem Hofe seines Schlosses weilte, daß ein armes Weib, welches durch eine der Hoftüren eingetreten war, ihn um ein Almosen bat und dieses erhielt, dann, durch eine zweite Tür zu ihm zurückgekehrt, dies noch einmal empfing, und so fort bis zum zwölftenmal. Als sie jedoch zum dreizehntenmal wiederkehrte, sagte Mithridanes zu ihr: »Gute Frau, du bist gar eifrig in diesem deinem Bitten.« Nichtsdestoweniger gab er ihr ein Almosen.

Als die Alte diese Worte hörte, rief sie: »O Freigebigkeit [757] Nathans, wie bist du aller Bewunderung wert! Denn durch zweiunddreißig Tore, die sein Palast hat gleich diesem, trat ich ein und bat ihn um Almosen, und nie wurde ich von ihm, so daß er es hätte merken lassen, erkannt, und immer erhielt ich die Gabe. Und hier, wo ich nur zum dreizehnten Male erscheine, werde ich erkannt und verspottet.« Und so sprechend, schied sie, ohne wiederzukehren.

Als Mithridanes diese Worte der Alten vernahm, erachtete er das, was er über Nathan gehört, für eine Beeinträchtigung seines Ruhmes und ward von wütendem Zorn ergriffen, so daß er ausrief: »Ich Unglücklicher, wann werde ich die Freigebigkeit Nathans in großen Dingen erreichen, geschweige denn sie übertreffen, wenn ich ihr selbst in den kleinsten nicht nahekommen kann! Fürwahr, ich bemühe mich umsonst, wenn ich ihn nicht aus der Welt schaffe, und das will ich, da das Alter ihn nicht wegräumt, ohne Säumen mit meinen eigenen Händen verrichten.«

Mit diesem Ungestüm sprang er auf, und ohne jemandem seinen Entschluß mitzuteilen, stieg er mit geringer Begleitung zu Pferde und gelangte am dritten Tage dahin, wo Nathan wohnte. Nachdem er hier seinen Begleitern befohlen hatte, daß sie tun sollten, als gehörten sie nicht zu ihm und kennten ihn gar nicht, und daß sie selbst für ihr Unterkommen sorgen sollten, bis sie weitere Nachricht von ihm erhielten, langte er gegen Abend dort an. Und wie er nun allein war, traf er, nicht weit von dem schönen Palast, auf Nathan, welcher ganz allein und ohne jeden Aufwand in der Kleidung dort lustwandelte. Er kannte ihn nicht und fragte ihn daher, ob er ihm sagen könne, wo Nathan weile. Freundlich antwortete ihm dieser: »Mein Sohn, niemand ist in dieser Gegend, der dir das besser zeigen könnte als ich, und darum will ich dir den Weg weisen, sobald es dir gefällt.« Der Jüngling erwiderte, daß ihm dies zwar sehr erwünscht wäre, daß er aber, wenn es möglich wäre, von Nathan weder gesehen noch erkannt sein möchte. »Auch dies«, erwiderte ihm Nathan, »will ich einrichten, da es dir so gefällt.«

Nachdem nun Mithridanes vom Pferde gestiegen war, begab er sich mit Nathan, der ihn bald genug in angenehme Gespräche [758] verflocht, zu dessen schönem Palaste. Hier ließ Nathan durch einen seiner Diener das Pferd des Jünglings abnehmen und befahl diesem, indem er ihm leise ins Ohr flüsterte, daß er sogleich alle Hausbewohner anweisen solle, dem Jüngling nicht zu sagen, daß er selbst Nathan sei; und so geschah es denn auch. Sobald sie im Palast waren, wies Nathan dem Mithridanes ein prächtiges Zimmer an, in welchem niemand anders ihn sah als die, welche er zu seiner Bedienung bestimmt hatte, und während er ihn auf das herrlichste bewirten ließ, leistete er selbst ihm Gesellschaft. Obwohl nun Mithridanes ihn bei längerem Umgang wie einen Vater zu verehren anfing, fragte er ihn doch, wer er sei. »Ich bin«, antwortete Nathan, »ein geringer Diener meines Herrn, von Kindheit an mit ihm aufgewachsen und mit ihm alt geworden, und nie hat er mich, wie du siehst, zu etwas anderm erhoben. Obwohl jeder sonst ihn lobt, weiß ich ihn darum nicht sonderlich zu preisen.«

Diese Worte gaben dem Mithridanes einige Hoffnung, nun mit besserem Rat und größerer Sicherheit seinen schnöden Vorsatz zum Erfolg zu führen. Höflich fragte Nathan auch ihn, wer er sei und welches Geschäft ihn hierher führe, indem er ihm zugleich seinen Rat und seine Hilfe in allem, was er für ihn zu tun vermöchte, anbot. Mithridanes zögerte etwas mit seiner Antwort. Endlich aber beschloß er, sich ihm anzuvertrauen, und als er ihn mit weitschweifigen Worten erst um seine Verschwiegenheit und dann um seinen Rat und seine Hilfe gebeten hatte, entdeckte er ihm vollständig, wer er sei und warum und aus welchem Antriebe er hierher gekommen war.

Als Nathan diese Erzählung und das grausame Vorhaben des Mithridanes hörte, entsetzte er sich zwar innerlich, antwortete ihm aber ohne langes Zögern mit starkem Mut und festem Antlitz: »Mithridanes, dein Vater war ein edler Mann, und du willst nicht aus seiner Art schlagen, da du ein so hohes Unternehmen beschlossen hast wie das, gegen jedermann freigebig zu sein. Daher lobe ich denn auch den Neid, den du gegen Nathans Tugend empfindest; denn wäre dieser Neid häufig, so wäre diese elende Welt bald besser daran. Dein Vorhaben, das du mir entdeckt hast, soll ohne Zweifel verborgen [759] bleiben, doch kann ich dir dazu mehr guten Rat denn Hilfe leihen, und dieser Rat ist folgender: Du kannst von hier aus, vielleicht eine halbe Meile entfernt, ein kleines Gehölz erblicken, nach dem Nathan fast jeden Morgen ganz allein geht und lange genug dort lustwandelt. Hier wird es dir leicht sein, ihn anzutreffen und ihm nach deinem Wunsche zu tun. Hast du ihn dann getötet, so nimm, damit du ohne Hindernis in deine Heimat zurückkehren kannst, nicht etwa den Weg, auf dem du hierher kamst, sondern verlasse das Gehölz auf dem Pfad, den du zur Linken hinausführen siehst; denn er ist, wiewohl ein wenig rauh, doch deiner Heimat näher und für dich sicherer.«

Nachdem Mithridanes diese Anweisung empfangen hatte und Nathan von ihm geschieden war, ließ er seine Begleiter, die gleichfalls dort in der Gegend waren, vorsichtig wissen, wo sie ihn am folgenden Tag erwarten sollten. Als der neue Tag erschienen war, ging Nathan, dessen Entschluß sich von dem Rat, den er dem Mithridanes gegeben, in keiner Weise unterschied und der diesen seither keineswegs geändert hatte, ganz allein nach dem Haine, um dort zu sterben. Mithridanes erhob sich, ergriff seinen Bogen und sein Schwert, da er keine andere Waffe hatte, stieg zu Pferde und begab sich nach dem Gehölz, in welchem er schon von ferne den Nathan ganz allein lustwandeln sah. Entschlossen, ihn zu sehen und reden zu hören, ehe er ihn angriffe, eilte er auf ihn zu, packte ihn bei der Stirnbinde, die er auf dem Kopfe trug, und rief: »Alter, du bist des Todes!« Hierauf entgegnete Nathan nur: »So habe ich es also verdient.«

Als Mithridanes die Stimme hörte und ihm ins Gesicht blickte, erkannte er ihn sogleich als den wieder, der ihn so wohlwollend aufgenommen, ihm so traulich Gesellschaft geleistet und so treu geraten hatte. Augenblicklich verschwand nun seine Wut, und sein Zorn verwandelte sich in Scham. Schnell warf er daher das Schwert weg, das er schon zum Todesstreich entblößt hatte, stieg vom Pferde, eilte weinend zu Nathans Füßen und rief: »Jetzt, teuerster Vater, erkenne ich deutlich Eure unerreichbare Freigebigkeit, wenn ich betrachte, mit welcher Vorsicht Ihr hierhergekommen seid, um [760] mir selbst Euer Leben zu geben, wonach ich ohne jeden Grund Verlangen trug, wie ich Euch selbst entdeckte. Doch Gott, der um meine Pflicht besorgter war als ich selbst, hat mir im Augenblick, wo ich es am dringendsten brauchte, die Augen des Verstandes geöffnet, die mir ein elender Neid geschlossen hatte. Deshalb erkenne ich mich denn im selben Maße, wie Ihr bereit gewesen sein, mir zu willfahren, zur Buße meines Irrtums verpflichtet. Nehmt daher an mir die Rache, die Ihr meiner Schuld angemessen erachtet.«

Nathan hieß den Mithridanes sich erheben, umarmte und küßte ihn zärtlich und sprach zu ihm: »Mein Sohn, dein Beginnen, ob du es nun böse oder anders nennen wolltest, bedarf weder der Bitte um Vergebung noch dieser selbst, da du nicht aus Haß, sondern nur um für besser zu gelten ihm gefolgt bist. Sei also von meinetwegen sicher, und sei gewiß, daß kein anderer lebt, der dich so liebt wie ich, da ich die Größe deiner Seele erkenne, die nicht, wie der Geiz tut, Geld aufzuhäufen, sondern das Gesammelte freigebig zu verwenden dich antrieb. Und schäme dich nicht, weil du mich töten wolltest, um berühmt zu werden, noch glaube, daß ich mich darüber wundere. Die erhabensten Kaiser und die größten Könige haben fast alle mit nichts anderem als mit der Kunst des Tötens, und zwar nicht nur eines Menschen, wie du wolltest, sondern unzähliger, und mit dem Verbrennen von Städten und dem Einäschern von Ländern ihre Reiche und dadurch ihren Ruhm erweitert. Deshalb, wenn du mich allein töten wolltest, um dadurch berühmter zu werden, hättest du weder etwas Wunderbares noch etwas Neues, sondern nur etwas sehr Gewöhnliches getan.«

Mithridanes, der seine schnöde Absicht keineswegs entschuldigte, sondern nur die ehrenhafte Entschuldigung lobte, die Nathan dafür gefunden hatte, kam im Gespräch mit ihm endlich darauf, zu sagen, wie er sich über die Maßen wundere, daß Nathan sich dazu habe entschließen und ihm selbst noch Mittel und Rat dazu habe angeben können. Hierauf entgegnete Nathan: »Mithridanes, du darfst dich über meinen Rat und meinen Vorsatz nicht verwundern; denn seitdem ich mein eigener Herr geworden war und mich entschlossen hatte, dasselbe zu [761] tun, was auch du dir vor genommen, hat niemals jemand mein Haus betreten, den ich nicht nach Kräften in dem zu befriedigen gestrebt habe, was er von mir forderte. Du betratest es, nach meinem Leben verlangend. Und da ich selbst dich dies fordern hörte, entschloß ich mich schnell, es dir zu geben, damit nicht du der einzige wärest, der ohne Befriedigung seines Verlangens von hier schiede. Damit du es nun erhieltest, gab ich dir den Rat, den ich dir für nützlich hielt, um mein Leben zu bekommen und das deinige nicht zu verlieren. Eben darum wiederhole ich dir und bitte dich auch, daß du es nimmst, wenn es dir gefällt und dich dadurch selbst zufriedenstellst; denn ich weiß nicht, wie ich es besser weggeben könnte. Ich habe es achtzig Jahre lang zu meinem Vergnügen und zu meinen Freuden gebraucht und weiß, daß dem Lauf der Natur gemäß, wie allen übrigen Menschen und überhaupt allen Dingen, es nur noch kurze Zeit mir gelassen werden kann. Darum halte ich es denn für besser, es ebenso wegzuschenken, wie ich immer meine Schätze verschenkt habe, als es so lange behalten zu wollen, bis es mir gegen meinen Willen von der Natur genommen wird. Hundert Jahre zu verschenken, ist eine kleine Gabe; wieviel geringer ist es aber, deren sechs oder acht fortzugeben, die ich etwa noch hier zu weilen hätte! Nimm es daher, wenn es dir gefällt, ich bitte dich; denn solange ich lebe, habe ich noch niemand gefunden, der es begehrt hätte, und weiß auch nicht, wann ich einen solchen finden könnte, wenn du, der danach verlangt, es nicht annehmen willst. Ja fände ich auch einen solchen, so weiß ich doch, daß sein Wert desto geringer wird, je länger ich es bewahre, und darum nimm es, ehe es noch wertloser wird, ich bitte dich darum.«

Mithridanes, tief beschämt, entgegnete: »Verhüte Gott, daß ich etwas so Köstliches, wie Euer Leben es ist, von Euch nähme oder auch nur solches begehrte, wie ich noch vor kurzem tat. Nein, weit entfernt, seine Jahre zu verringern, möchte ich gern noch von den meinigen hinzufügen.« Schnell entgegnete Nathan hierauf: »Und wenn du nun kannst, willst du mir wirklich von den deinigen hinzufügen? Willst du zulassen, daß ich mit dir verfahre, wie ich noch nie mit irgendwem sonst verfahren bin, daß ich nämlich von dem deinen nehme, der ich niemals [762] fremdes Gut genommen?« »Ja«, erwiderte Mithridanes rasch. »Nun, so tue denn, was ich dir sagen werde. Jung, wie du bist, wirst du hier in meinem Hause bleiben und Nathan heißen. Ich aber will in dein Haus gehen und mich hinfort Mithridanes nennen lassen.«

»Wenn ich«, antwortete Mithridanes hierauf, »so edel zu handeln verstände, wie Ihr versteht und längst verstanden habt, so nähme ich ohne lange Überlegung an, was Ihr mir anbietet. Da es mir aber nur zu gewiß scheint, daß meine Taten eine Verminderung von Nathans Ruhm wären, und ich nicht die Absicht habe, einen andern um das zu bringen, was ich selbst nicht zu erreichen vermag, so kann ich es nicht annehmen.«

Während diese und andere freundliche Gespräche zwischen Nathan und Mithridanes gewechselt wurden, kehrten sie, wie es dem Nathan gefiel, nach dem Schlosse zurück, wo dieser noch mehrere Tage lang den Mithridanes auf das ehrenvollste bewirtete und ihn nach Wissen und Vermögen in seinem edlen und großen Vorsatz bestärkte. Als jedoch Mithridanes endlich mit seiner Begleitung nach Hause zurückkehren wollte, entließ ihn Nathan, nachdem er ihn sehr wohl überzeugt hatte, daß er ihn in der Freigebigkeit niemals übertreffen könnte.

Vierte Geschichte

Herr Gentile da Carisendi rettet, von Modena kommend, eine Dame, die er liebte und die man als tot beigesetzt hatte, aus der Gruft. Ins Leben zurückgerufen, genest sie eines Sohnes, und Herr Gentile gibt sie und ihr Kind dem Niccoluccio Caccianimico, ihrem Gemahl, wieder zurück.


Wunderbar erschien es allen, wie jemand mit seinem eigenen Blut auf diese Art freigebig sein konnte, und alle behaupteten, Nathan habe fürwahr die Großmut des Königs von Spanien und die des Abtes von Clugny noch übertroffen. Doch nachdem darüber zur Genüge geredet worden war, gab der König dadurch, daß er Lauretta anblickte, zu erkennen, daß er ihre Erzählung zu hören wünsche, weshalb diese sofort begann:

[763] Ihr jungen Damen, gar edle und schöne Dinge sind es, die uns bis jetzt erzählt wurden, und mir scheint kaum, daß uns, denen noch zu reden obliegt, etwas übriggelassen sei, worin wir in unseren Erzählungen uns ergehen könnten – so sehr waren sie alle von der Hoheit der edlen Gesinnung erfüllt, die in jenen Geschichten sich aussprach –, wenn wir uns jetzt nicht den Dingen der Liebe zuwenden wollen, die für jede Aufgabe so reichlichen Redestoff liefern. Deshalb ge fällt es mir, euch deswegen wie auch darum, weil unsere Jugend uns vorzugsweise dahin leiten muß, von der Großmut eines Liebenden zu erzählen. Diese aber wird euch, alles wohl erwogen, vielleicht nicht geringer scheinen als eine von den schon erzählten großmütigen Handlungen, wenn anders wahr ist, daß man Schätze hingibt, Feindschaften vergißt, das eigene Leben, ja die Ehre und den guten Ruf tausend Gefahren aussetzt, um nur den geliebten Gegenstand besitzen zu können.

Es lebte also in Bologna, einer sehr ansehnlichen Stadt der Lombardei, ein junger Ritter, gleich ausgezeichnet durch Tugend und Adel des Blutes, der Herr Gentile Carisendi genannt ward. Dieser war in eine edle Dame namens Madonna Catalina, die Gemahlin eines gewissen Niccoluccio Caccianimico, verliebt. Weil es aber mit der Liebe der Dame zu ihm übel stand, so ging er, als man ihn zum Podesta nach Modena berief, fast hoffnungslos dorthin.

In dieser Zeit nun, während Niccoluccio gerade nicht in Bologna weilte, begab sich seine Frau, die guter Hoffnung war, auf eine ihrer Besitzungen, etwa drei Meilen vor der Stadt. Und hier geschah es, daß sie plötzlich von einer schweren Ohnmacht überfallen wurde, die von solcher Gewalt war, daß jedes Zeichen des Lebens in ihr verlöschte und sie deshalb auch von einem Arzte für tot erklärt wurde. Weil ihre nächsten Verwandten von ihr vernommen zu haben behaupteten, sie sei noch nicht so lange schwanger, daß das Kindlein zur Reife gediehen sein könne, so setzte man sie, so wie sie war, in einem Grabgewölbe der nahen Kirche unter vielen Tränen bei.

All dies wurde sofort dem Herrn Gentile von einem seiner Freunde gemeldet, und so karg sie auch gegen ihn mit ihrer Gunst gewesen war, so schmerzte ihr Tod ihn doch sehr. Endlich [764] sprach er zu sich selbst: »Siehe, nun bist du gestorben, Madonna Catalina. Solange du lebtest, konnte ich nie einen einzigen Blick von dir erlangen. Darum will ich dir jetzt, wo du dich nicht mehr verteidigen kannst, tot wie du bist, fürwahr noch einige Küsse rauben.«

Nach diesen Worten gab er, da es schon Nacht war, den nötigen Befehl, daß seine Abreise verschwiegen bleibe, stieg dann mit einem seiner Diener zu Pferd und gelangte ohne Aufenthalt dahin, wo seine Dame beigesetzt war. Hier ließ er das Grabmal öffnen, stieg vorsichtig hinab, legte sich der Toten zur Seite, näherte sein Gesicht dem der Dame und küßte es mehrere Male unter vielen Tränen. Wie wir aber wissen, vermag das Begehren der Menschen, und zumal das der Liebenden, bei keinem Ziele still zu stehen, es verlangt immer nach mehr. Und so sprach auch Gentile, als er schon beschlossen hatte, hier nicht länger zu verweilen: »Warum sollte ich, da ich doch hier bin, ihr nicht ein wenig die Brust berühren? Ich soll sie ja nie mehr anrühren und habe sie nie angerührt.« Besiegt von dieser Begierde, legte er seine Hand auf ihren Busen, und indem er sie eine Zeitlang dort hielt, dünkte es ihn, als fühle er das Herz darin ganz leise schlagen. Nachdem er jede Furcht von sich gescheucht hatte, untersuchte er dies mit größerer Aufmerksamkeit und fand, sie sei gewiß nicht tot, wie schwach und gering auch der Lebenshauch in ihr sein mochte. So hob er sie denn, so leise er nur konnte, mit dem Beistand des Dieners aus der Gruft, nahm sie vor sich auf sein Pferd und brachte sie solcherart heimlich in sein Haus nach Bologna.

Hier befand sich seine Mutter, eine würdige und verständige Dame, die, nachdem sie von ihrem Sohn alles ausführlich gehört hatte, von Mitgefühl bewegt, still mit starkem Feuer und einem passenden Bade das fliehende Leben in sie zurückrief. Als sie wieder zu sich kam, stieß sie erst einen tiefen Seufzer aus und rief dann: »O Gott, wo bin ich?« Die wackere Dame antwortete ihr hierauf: »Fasse Mut, du bist an einem guten Orte.«

Als sie nun völlig zu sich gekommen war, blickte sie umher, und da sie nicht erkannte, wo sie war, wohl aber Herrn [765] Gentile vor sich sah, bat sie voller Erstaunen seine Mutter, ihr zu sagen, auf welche Weise sie hierher gekommen sei. Nun erzählte Herr Gentile ihr alles der Reihe nach. Schmerzlich betrübt hierüber, sagte sie ihm den besten Dank, den sie nur wußte, und beschwor ihn sodann bei der Liebe, die er sonst zu ihr gehegt habe, und bei seiner Ritterlichkeit, daß ihr in seinem Hause nichts widerführe, was die Ehre ihres Gatten oder ihre eigene Ehre beeinträchtigen könnte, und daß er sie, sobald der Tag erschienen sei, in ihr eigenes Haus zurückkehren lassen möchte.

»Madonna«, antwortete hierauf Herr Gentile, »da Gott um der Liebe willen, die ich bis zu diesem Augenblick für Euch fühlte, mir die Gnade erwiesen hat, Euch mir aus dem Tode dem Leben wiederzugeben, so beabsichtige ich doch, was auch in vergangener Zeit mein Wunsch gewesen sein mag, weder jetzt noch in der Zukunft, weder hier noch anderwärts Euch anders zu behandeln als eine teure Schwester. Doch die Wohltat, die ich Euch in dieser Nacht erzeigen konnte, verdient einen bescheidenen Lohn, und darum bitte ich, daß Ihr mir eine Gunst nicht abschlagt, um die ich Euch bitten will.«

Wohlwollend entgegnete die Dame hierauf, sie sei dazu bereit, wofern sie es vermöchte und wofern diese Gunst sich mit ihrer Ehrbarkeit vertrüge. »Madonna«, sagte Herr Gentile, »alle Eure Verwandten und die Leute von Bologna glauben Euch tot und halten für gewiß, daß Ihr es seid. Niemand erwartet Euch darum mehr in Eurem Hause, und darum fordere ich als eine Gunst von Euch, daß es Euch gefalle, hier bei meiner Mutter so lange zu weilen, bis ich von Modena heimkehre, was bald geschehen wird. Der Grund, warum ich dies von Euch fordere, ist der, daß ich beabsichtige, in Gegenwart der angesehensten Bürger dieser Stadt Eurem Gemahl mit Euch ein wertvolles und festliches Geschenk zu machen.«

Die Dame, die sich dem Ritter so verpflichtet sah und die Bitte als ehrbar erkannte, entschloß sich, wie sehr sie auch verlangte, mit ihrer lebenden Erscheinung ihre Verwandten zu erfreuen, zu tun, was Herr Gentile begehrte, und so gab sie ihm denn ihr Wort darauf. Doch kaum hatte sie ihre Antwort zu Ende gebracht, da fühlte sie, daß die Zeit ihrer Entbindung herangekommen war, worauf sie denn, zärtlich von Herrn [766] Gentiles Mutter unterstützt, nicht lange nachher ein schönes Söhnlein zur Welt brachte. Dies verdoppelte natürlich Herrn Gentiles und ihre eigene Freude. Er ordnete nun an, daß alles, was eine Wöchnerin brauchte, zur Hand sei und daß sie so bedient würde, als wäre sie seine eigene Frau, und begab sich dann heimlich wieder nach Modena.

Als seine Amtszeit hier abgelaufen war und er nach Bologna zurückkehren sollte, ordnete er für den Morgen, an dem er eintreffen wollte, in seinem Hause ein großes und herrliches Festmahl an, zu dem viele und angesehene Männer Bolognas, darunter auch Herr Niccoluccio Caccianimico, geladen wurden. Heimgekehrt und abgestiegen, begab er sich zu diesen, nachdem er zuvor auch die Dame schöner und gesünder als je wiedergefunden und ihren kleinen Sohn wohlauf gesehen hatte, und führte nun mit unaussprechlicher Freude seine Gäste zu Tisch, wo er sie mit vielen Speisen prächtig bewirten ließ.

Als die Tafel schon fast zu Ende war, begann er, nachdem er der Dame vorher mitgeteilt, was er zu tun gedenke, und mit ihr verabredet hatte, wie sie sich dabei benehmen solle, also zu reden: »Ihr Herren, ich erinnere mich, einmal gehört zu haben, daß es in Persien einen meiner Meinung nach löblichen Brauch gibt, welcher darin besteht, daß jemand, der seinen Freund aufs höchste ehren will, ihn in sein Haus lädt und ihm hier das zeigt, was ihm das Teuerste ist, es sei nun Frau, Geliebte, Tochter oder was immer, wobei er beteuert, so wie er ihm dies zeige, möchte er ihm, wenn er's könnte, noch lieber sein eigenes Herz zeigen. Diesen Brauch gedenke ich meinerseits in Bologna zu beobachten. Ihr habt durch eure Gunst mein Mahl geehrt, und ich will euch auf persische Art wieder ehren, indem ich euch das Teuerste zeige, was ich auf der Welt habe oder jemals haben kann. Bevor ich dies jedoch tue, bitte ich euch, mir zu sagen, was ihr über einen Zweifel denkt, den ich euch vortragen will. Es ist jemand, der in seinem Hause einen guten und gar treuen Diener besitzt, welcher schwer erkrankt. Jener Mann nun, ohne das Ende des treuen Dieners abzuwarten, läßt ihn mitten auf die Straße hinaustragen und bekümmert sich nicht weiter um ihn. Ein Fremder kommt dazu, und von Mitleid mit dem Kranken ergriffen, nimmt er ihn mit sich nach Hause [767] und verhilft ihm durch große Sorgfalt und ohne Kosten zu scheuen wieder zu seiner vorigen Gesundheit. Nun möchte ich von euch wissen, ob sein Herr sich wohl nach Recht und Billigkeit über den zweiten Mann beklagen oder beschweren könnte, wenn dieser den Diener bei sich behielte und seine Dienste benutzte und ihn, dazu aufgefordert, nicht wieder herausgeben wollte.«

Die edlen Männer sprachen über diesen Fall mancherlei unter sich, und indem sie alle einer Meinung waren, trugen sie dem Niccoluccio, der ein guter und kunstfertiger Redner war, die Antwort auf. Dieser erklärte, nachdem er zuvor den Brauch der Perser gelobt hatte, er sei gleich allen andern der Meinung, daß der frühere Herr kein Recht mehr auf den Diener habe, weil er ihn bei einem solchen Unfall nicht nur verlassen, sondern geradezu weggeworfen habe. Durch die Wohltaten, die der zweite Mann ihm erwiesen, scheine er ihm mit Recht dessen Eigentum geworden zu sein, weshalb denn dieser auch, wenn er ihn behalte, dem ersten keinerlei Kränkung, Gewalt oder Unrecht antue. Alle übrigen, die bei der Tafel zugegen waren – und es waren treffliche Männer darunter –, sagten einstimmig, auch sie hielten das, was Niccoluccio geantwortet habe, für recht.

Zufrieden mit der Antwort und damit, daß gerade Niccoluccio sie gegeben hatte, versicherte der Ritter, auch er sei dieser Meinung, und fuhr dann fort: »Doch jetzt ist es Zeit, daß ich euch meinem Versprechen gemäß ehre.« Nun rief er zwei seiner Diener herbei, schickte zu der Dame, die er köstlich hatte kleiden und schmücken lassen, und ließ sie bitten, daß es ihr gefallen möge, zu kommen und diese edlen Herren mit ihrer Gegenwart zu erfreuen. Ihr schönes Söhnchen im Arm und von zwei Dienern begleitet, erschien sie im Saale und nahm, wie es dem Ritter gefiel, zur Seite eines würdigen Mannes ihren Sitz ein, während er sprach: »Ihr Herren, dies ist, was ich für teurer halte und immer zu halten gedenke als irgend etwas anderes. Seht nun, ob euch dünkt, daß ich recht habe.«

Die edlen Herren ehrten und priesen sie sehr und versicherten dem Ritter, eine solche Dame müsse er allerdings wert halten. Als sie aber anfingen, sie genauer zu betrachten, war mancher [768] unter ihnen, der wohl gesagt hätte, sie wäre dieselbe, die sie wirklich war, hätten sie sie nicht alle für tot gehalten. Vor allen andern aber schaute Niccoluccio sie an. Brennend vor Begierde zu erfahren, wer sie sei, und unfähig, sich länger zurückzuhalten, fragte er sie, als der Ritter sich etwas entfernt hatte, ob sie aus Bologna stamme oder eine Fremde sei. Als die Dame ihren Gatten so fragen hörte, enthielt sie sich nur mit Mühe der Antwort; dennoch schwieg sie, um die getroffene Abrede einzuhalten. Ein anderer der Gäste fragte sie hierauf, ob dies Knäblein das ihre sei, und ein dritter, ob sie Gentiles Frau oder auf andere Art mit ihm verwandt sei. Allen diesen gab sie jedoch keine Antwort.

Als daher Herr Gentile dazukam, sagte einer der Gäste zu ihm: »Herr, wohl ein schönes Frauenbild ist es, das Ihr da besitzt, aber es scheint stumm zu sein. Ist dem so?« »Ihr Herren«, antwortete Gentile, »daß sie bis jetzt nicht gesprochen hat, ist kein geringer Beweis ihrer Tugend.« »So sagt uns denn«, fuhr der andere fort, »wer ist sie.« »Gern will ich es tun«, antwortete der Ritter, »wenn ihr mir nur versprecht, daß, was immer ich auch sagen möge, niemand sich von der Stelle rühren wird, bis ich meine Erzählung beendet habe.« Als ihm dies jeder versprochen hatte und die Tische schon weggeräumt waren, begann Herr Gentile, an der Seite der Dame sitzend, folgendermaßen:

»Diese Dame, ihr Herren, ist jener gute und treue Diener, über den ich euch eben vorhin die Frage vorlegte. Von den Ihrigen wenig wert gehalten und wie ein geringes und unnütz gewordenes Ding auf die Straße geworfen, wurde sie von mir aufgenommen und durch meine Sorge und Hilfe dem Tode aus den Händen gerissen, und Gott, der auf meine gute Absicht blickte, ließ sie aus einem abschreckenden Leichnam wieder so schön erstehen, wie ihr sie hier sehet. Doch damit ihr klarer erkennt, wie dies alles zugegangen ist, will ich es euch in aller Kürze deutlich machen.« Und nun erzählte er, bei seiner Liebe für sie beginnend, zum großen Erstaunen seiner Zuhörer alles ausführlich, was bis dahin geschehen war. Dann fügte er hinzu: »Um dieser Gründe willen ist denn, wofern ihr nicht etwa eure Meinung seit kurzem geändert habt, und sonderlich Niccoluccio [769] nicht, diese Dame mit Recht mein eigen, und niemand kann sie mit gerechtem Anspruch von mir zurückfordern.«

Hierauf antwortete niemand, vielmehr erwarteten alle aufmerksam, was er weiter sagen würde. Niccoluccio aber und andere, die anwesend waren, sowie auch die Dame, weinten vor Rührung. Doch nun erhob sich Herr Gentile, nahm den kleinen Knaben in seinen Arm und die Dame bei der Hand, und indem er mit ihnen zu Niccoluccio hintrat, sprach er: »Stehe auf, Gevatter, deine Frau, welche deine und ihre Verwandten wegwarfen, gebe ich dir nicht wieder, sondern schenken will ich dir diese Dame, meine Gevatterin, mit ihrem kleinen Sohne, welcher, wie ich gewiß bin, von dir erzeugt ward, den ich über die Taufe hielt und Gentile nannte. Und ich bitte dich, laß sie dir darum nicht minder wert sein, weil sie nahezu drei Monate in meinem Hause geweilt hat; denn ich schwöre dir bei dem Gott, der mir vielleicht einst die Liebe zu ihr einflößte, damit diese meine Liebe, wie es geschehen ist, die Ursache ihrer Rettung werde, daß sie niemals, weder bei ihrem Vater noch bei ihrer Mutter, noch auch bei dir ehrbarer lebte, als sie es bei meiner Mutter in meinem Hause getan hat.« Nach diesen Worten wandte er sich zu der Dame und sagte: »Madonna, jetzt löse ich Euch von jedem Versprechen, das Ihr mir gegeben habt, und überlasse Euch frei dem Niccoluccio.« Damit übergab er die Dame und das Kind den Armen Niccoluccios und kehrte zu seinem Sitze zurück.

Voller Verlangen empfing Niccoluccio Gattin und Sohn, um so glücklicher, je ferner er von jeder Hoffnung gewesen war, und er dankte dem Ritter, so sehr er nur wußte und konnte. Auch die andern, die alle vor Mitgefühl weinten, lobten ihn sehr, und jeder, der dies hörte, pries ihn. Die Dame aber wurde mit unsagbarer Freude in ihrem Hause empfangen und lange Zeit hindurch wie eine Auferstandene von ganz Bologna mit Bewunderung betrachtet. Herr Gentile aber lebte immer als Freund Niccoluccios und der beiderseitigen Verwandten des Paares.


Was, ihr geneigten Mädchen, werdet ihr nun hierüber sagen? Haltet ihr dafür, daß ein König, der Zepter und Krone verschenkt, [770] oder ein Abt, der ohne Kosten einen Übeltäter mit dem Papst aussöhnt, oder ein Greis, der seinen Hals dem Messer des Feindes darbietet, an Großmut mit Herrn Gentile zu vergleichen seien, der, jung, feurig und in dem Glauben, ein gutes Recht auf das zu haben, was die Unachtsamkeit anderer weggeworfen und was er zu seinem Glück aufgehoben hatte, dennoch nicht nur ehrbarerweise seine Glut mäßigte, sondern freiwillig zurückgab, was er seit Jahren mit allen seinen Wünschen erstrebt und zu rauben gesucht hatte, als es in seinen Besitz gelangt war? Fürwahr, keine von den schon erzählten großmütigen Handlungen scheint mir dieser vergleichbar!

Fünfte Geschichte

Madonna Dianora fordert von Herrn Ansaldo im Januar einen Garten so schön wie im Mai. Herr Ansaldo verpflichtet sich einen Schwarzkünstler und verschafft ihn ihr. Ihr Gatte erlaubt ihr, Herrn Ansaldo zu Willen zu sein. Dieser entbindet sie ihres Versprechens, als er die Großmut ihres Mannes erfährt, und der Schwarzkünstler verläßt Herrn Ansaldo, ohne etwas von ihm annehmen zu wollen.


Von jedem in der fröhlichen Gesellschaft war Herr Gentile mit hohem Lobe bis zum Himmel erhoben worden, als der König Emilia fortzufahren befahl, und diese begann keck, als wäre sie zu erzählen begierig, folgendermaßen:

In Friaul, einem Lande, das, obgleich kalt, durch schöne Berge, mehrere Flüsse und klare Quellen ein heiteres Gesicht erhält, liegt eine Stadt namens Udine. Dort lebte einst eine schöne und edle Dame, Madonna Dianora genannt, als Gattin eines angesehenen und reichen Mannes, welcher Gilberto hieß, gefällige Sitten hatte und gut aussah. Diese Dame verdiente es durch ihre trefflichen Eigenschaften, von einem edlen und großen Herrn, Ansaldo von Grado, innig geliebt zu werden, der ein Mann von hohem Geblüt war und den man ob seiner Waffentaten und seiner adeligen Sitten überall kannte. Er liebte sie heftig und bemühte sich doch umsonst, obwohl er alles tat, was [771] er vermochte, um von ihr wiedergeliebt zu werden, und sie darum auch häufig mit Botschaften anging.

Die Anträge des Ritters wurden der Dame endlich zur Last, und da sie sah, daß er, wie sehr sie ihm auch alles abschlug, worum er sie bat, doch nicht abließ, sie zu lieben und zu bestürmen, so sann sie darauf, ihn sich durch ein unerhörtes und ihrer Meinung nach unmögliches Verlangen vom Halse zu schaffen. Daher sprach sie zu einem Weib, das in seinem Auftrag häufig zu ihr kam, eines Tages folgendermaßen: »Gute Frau, du hast mir so oft beteuert, daß Herr Ansaldo mich über alles liebt, und mir in seinem Namen wundersame Geschenke angeboten. Ich will jedoch, daß diese ihm bleiben sollen, weil ich um ihretwillen ihn weder liebte noch nach seinem Verlangen täte. Wäre ich indes gewiß, daß er mich wirklich so liebte, wie du sagst, wahrlich, so entschlösse ich mich, ihn wiederzulieben und zu tun, was er begehrt. Will er mich also davon durch das überzeugen, um was ich ihn bitten werde, so bin ich zu seinen Wünschen bereit.«

»Und was ist das, Madonna?« sagte die gute Frau. »Was ich begehre«, antwortete die Dame, »ist dies: ich verlange im kommenden Monat Januar nächst dieser Stadt einen Garten voll grüner Kräuter, Blumen und belaubter Bäume, nicht anders, als wäre es Mai. Schafft er mir den aber nicht, so soll er weder dich noch eine andere je wieder zu mir schicken; denn wenn er mich dann noch belästigte, so beschwerte ich, wie ich bisher alles vor meinem Gatten und meinen Verwandten geheimgehalten habe, mich deshalb bei ihnen und wüßte ihn mir dadurch vom Halse zu schaffen.«

Als der Ritter Begehren und Verheißung seiner Dame vernahm, beschloß er bei sich – wiewohl ihm die Sache schwer und beinahe unmöglich zu sein schien und er wohl einsah, daß die Dame dies aus keinem andern Grunde verlangt habe, als um ihm jede Hoffnung zu nehmen –, dennoch zu versuchen, wieviel davon vielleicht zu bewerkstelligen sei. So schickte er denn in viele Länder der Erde umher, ob sich jemand fände, der ihm Rat und Beistand dazu liehe. Endlich traf er in der Tat auf einen, der versprach, es bei guter Bezahlung durch Zauberkunst ins Werk zu setzen. Mit diesem [772] wurde Herr Ansaldo für eine übergroße Summe Goldes einig und erwartete nun froh die Zeit, die ihm bestimmt war.

Als diese erschienen und die Kälte sehr groß, auch alles rings mit Eis und Schnee bedeckt war, brachte der kundige Mann in der Nacht, auf welche der erste Januar folgte, es mit seinen Künsten dahin, daß – wie die bezeugten, die es mit ansahen – am Morgen auf einer schönen Wiese nahe bei der Stadt einer der schönsten Gärten, die je gesehen wurden, mit Kräutern, Blumen und Früchten aller Art erschien. Kaum hatte Herr Ansaldo diesen mit Freuden erblickt, so ließ er von den schönsten Früchten und den prächtigsten Blumen, die darin waren, pflücken und diese heimlich seiner Dame überreichen. Zugleich lud er sie ein, den von ihr verlangten Garten anzusehen, damit sie daran erkennen möge, wie sehr er sie liebe. Dann aber möge sie sich auch ihres gegebenen und mit einem Schwur bekräftigten Versprechens erinnern und Sorge tragen, es demnächst als eine Frau, die zu ihrem Worte steht, zu erfüllen.

Als die Dame die Blumen und die Früchte erblickte und schon viele von dem wunderbaren Garten erzählen hörte, fing ihr Versprechen an, sie zu reuen. Allein, trotz aller Reue begab sie sich doch begierig, so Außerordentliches zu sehen, mit vielen andern Damen der Stadt hinaus, den Garten zu beschauen, und nachdem sie ihn nicht ohne Erstaunen gesehen und sehr gelobt hatte, kehrte sie, trauriger als je ein Weib war, nach Hause zurück, indem sie bedachte, wozu sie hierdurch verpflichtet sei. Und so groß war ihr Schmerz, daß sie ihn nicht zur Genüge in sich verbergen konnte. Die Folge war, daß ihr Gatte ihren Schmerz bemerkte und den Grund auf das bestimmteste von ihr zu hören begehrte. Lange verschwieg ihn die Dame aus Scham; zuletzt sah sie sich jedoch gezwungen, ihm alles, wie es sich zugetragen hatte, zu bekennen.

Als Gilberto dies hörte, geriet er anfangs in großen Zorn; dann aber erkannte er die lautere Absicht der Frau, weshalb er seinen Zorn verbannte und mit reiferem Entschlusse zu ihr sprach: »Dianora, irgendeine Botschaft solcher Art anzuhören oder unter irgendeiner Bedingung über die eigene Keuschheit mit einem dritten Verträge zu schließen, heißt keineswegs als[773] eine verständige und sittsame Frau handeln. Denn die Worte, welche durch das Ohr vom Herzen aufgenommen werden, üben eine größere Gewalt aus, als viele glauben, und den Liebenden wird fast alles möglich. Übel also tatest du, zuerst, als du Gehör gabst, und dann, als du einen Vertrag schlossest. Weil ich aber die Reinheit deiner Absicht erkenne, so will ich dir, um dich von dem Bande des Versprechens zu lösen, das bewilligen, was vielleicht kein anderer bewilligte. Auch bestimmt die Furcht vor dem Zauberer meinen Entschluß, durch welchen Herr Ansaldo, wolltest du ihn betrügen, uns vielleicht ein Leid antun lassen könnte. Ich will also, daß du zu ihm gehst und dich bemühst, wenn du es irgendwie vermagst, unbeschadet deiner weiblichen Ehre aus deinem Versprechen entlassen zu werden. Wäre es jedoch nicht anders möglich, nun, so bewillige ihm für diesmal deinen Leib, nicht aber die Seele.«

Als die Dame ihren Gatten so sprechen hörte, weinte sie und sagte, eine solche Gunst verlange sie nicht von ihm. Gilberto aber wollte, wie sehr auch seine Frau widersprach, daß es dabei bleibe. Als daher der folgende Morgen anbrach, begab sich die Dame um die Morgenröte und ohne sich sehr zu schmücken, mit zwei Dienern vorauf und von einer Kammerfrau gefolgt, zum Hause des Herrn Ansaldo. Als dieser vernahm, seine Dame sei zu ihm gekommen, wunderte er sich sehr und ließ, indem er sich erhob, den Zauberer rufen, zu dem er sagte: »Nun will ich, daß du siehst, welch ein Gut deine Kunst mich hat gewinnen lassen.« Dann ging er ihr entgegen, empfing sie sittsam und mit Achtung, ohne einer sträflichen Begierde Raum zu geben, und alle traten darauf in ein schönes Gemach zu einem großen Feuer.

Nachdem er ihr einen Sitz hatte anbieten lassen, begann er: »Madonna, ich bitte Euch, wenn anders die lange Liebe, die ich zu Euch getragen, einigen Lohn verdient, daß es Euch nicht lästig sei, mir den wahren Grund, der Euch in solcher Stunde und in solcher Begleitung hierher geführt hat, zu offenbaren.« Hierauf antwortete die Dame schamerfüllt und schier mit Tränen in den Augen: »Herr, weder Liebe, die ich für Euch hegte, noch mein verpfändetes Wort führen mich hierher, sondern der Befehl meines Gatten, welcher mit mehr Rücksicht [774] auf die Bemühungen Eurer ungeregelten Liebe als auf seine und meine Ehre mir geboten hat, hierher zu gehen. Auf seinen Befehl hin bin ich für diesmal zu jedem Eurer Wünsche bereit.«

Hatte Herr Ansaldo sich schon anfangs gewundert, als er hörte, die Dame sei gekommen, so wunderte er sich jetzt noch viel mehr, und bewegt von Gilbertos Großmut, fing seine Glut an, sich in Mitleid zu verwandeln, und er sprach: »Madonna, da dem so ist, wie Ihr sagt, so möge es Gott nicht gefallen, daß ich der Verderber der Ehre dessen sei, der mit meiner Liebe ein solches Mitleid hatte. Darum will ich Euch, solange es Euch gefällt, hier zu verweilen, nicht anders behandeln, als wenn Ihr meine Schwester wäret, und sobald es Euch genehm ist, möget Ihr frei von hinnen gehen, jedoch so, daß Ihr Eurem Gemahl für soviel Edelsinn, wie er ihn heute mir gegenüber bewiesen hat, den Dank sagt, der Euch angemessen scheint, und mich für alle Zukunft als Euren Bruder und Diener betrachtet.«

Als die Dame diese Worte vernahm, sprach sie, froher denn je: »Erwog ich Eure adeligen Sitten, so konnte ich nie glauben, daß mein Kommen zu etwas anderem führen könnte als zu dem, was ich Euch jetzt tun sehe und wofür ich Euch immerdar verpflichtet sein werde.« Dann nahm sie Abschied und kehrte, ehrenvoll begleitet, zu Gilberto zurück, dem sie alles erzählte, was geschehen war. Eine enge und treue Freundschaft aber verband diesen von nun an mit Herrn Ansaldo.

Auch der Schwarzkünstler, dem Herr Ansaldo jetzt den versprochenen Lohn auszahlen wollte, sagte, nachdem er die Großmut Gilbertos gegen Herrn Ansaldo und die Ansaldos gegen die Dame mit angesehen hatte: »Verhüte Gott, daß, da ich Gilberto mit seiner Ehre und Euch mit Eurer Liebe freigebig gesehen habe, ich es nicht auch mit meinem Lohne sei. Da ich denn sehe, daß er bei Euch in guten Händen ist, so will ich, daß er Euer bleibe.« Der Ritter schämte sich und suchte den Schwarzkünstler zu bewegen, daß er jene Summe entweder ganz oder doch zum Teil annähme. Doch da sein Bemühen ohne Erfolg blieb, empfahl er den Zauberer, der nach dem dritten Tage seinen Garten wieder weggeschafft hatte und nun abreisen wollte, Gott und blieb, nachdem er aus seinem Herzen [775] die begehrende Liebe zu seiner Dame verbannt hatte, von ehrbarer Zuneigung entflammt zurück.


Was sollen wir nun hiervon sagen, ihr liebevollen Mädchen? Wollen wir die halbtote Dame der vorigen Geschichte und die durch entkräftete Hoffnung schon lau gewordene Liebe der Großmut Herrn Ansaldos vorziehen, der, feuriger denn je liebend und von größerer Hoffnung entflammt, die Beute in seinen Händen hielt, die er so lange verfolgt hatte? Töricht schiene es mir, anzunehmen, daß jene Handlung der Großmut mit dieser zu vergleichen sei.

Sechste Geschichte

Der siegreiche König Karl der Ältere verliebt sich in eine Jungfrau, schämt sich aber dann seines törichten Gedankens und vermählt sie und ihre Schwester auf ehrenvolle Art.


Wer könnte die verschiedenen Gespräche ausführlich berichten, die unter den Damen darüber geführt wurden, wer, die Madonna Dianora betreffend, großmütiger gewesen sei, ob Gilberto, Herr Ansaldo oder der Zauberer? Es würde zu lang sein. Doch nachdem der König einiges Streiten zugelassen hatte, befahl er, Fiammetta einen Blick zuwerfend, dieser, dem Streit durch ihre Erzählung ein Ende zu machen. Sie aber begann ohne allen Aufschub folgendermaßen:

Ihr stattlichen Mädchen! Es war immer meine Meinung, daß man in Gesellschaften wie der unsrigen ausführlich genug erzählen müsse, damit nicht die zu große Knappheit Anlaß zum Streit über die Absicht des Erzählten gebe. Denn ein solcher ist weit mehr in den Schulen und unter den Scholaren am Platze als unter uns, die wir kaum für Rocken und Spindel ausreichen. Da ich euch schon über das Erzählte streiten sehe, lasse ich Geschichten beiseite, die ich vielleicht im Sinne hatte und die gleichfalls Zweifel hervorrufen könnten, und erzähle euch dafür, wie nicht etwa ein Mann von niederem Stande, [776] sondern ein tapferer König wahrhaft ritterlich gehandelt hat, ohne dabei seiner Ehre im mindesten nahezutreten.

Jede von euch wird schon von König Karl dem Älteren oder Ersten reden gehört haben, der durch sein kühnes Unternehmen und sodann durch seinen glorreichen Sieg über König Manfred die Vertreibung der Gibellinen aus Florenz und die Rückkehr der Welfen veranlaßte. Aus eben diesen Gründen verließ ein Ritter, Herr Neri degli Uberti, mit seiner ganzen Familie und vielem Gelde die Stadt. Doch wollte er nirgendwo andershin flüchten als unter die unmittelbare Gewalt Königs Karls, und um an einem einsamen Ort zu weilen und hier in Ruhe sein Leben zu enden, begab er sich nach Castello a Mare di Stabia.

Hier nun kaufte er, vielleicht einen Bogenschuß weit von den andern Häusern der Stadt entfernt, unter Oliven, Nußbäumen und Kastanien, an denen die Gegend reich ist, eine Besitzung, auf der er ein schönes und bequemes Wohnhaus errichten ließ und daneben einen anmutigen Garten einrichtete, in dessen Mitte er nach unserer Art, da es an Quellwasser nicht fehlte, einen schönen und klaren Teich anlegte und diesen ohne Mühe mit vielerlei Fischen anfüllte. Während er nun an nichts anderes dachte, als seinen Garten mit jedem Tage zu verschönern, geschah es einst, daß König Karl, um sich in der Sommerhitze etwas zu er frischen, sich nach Castello a Mare begab. Als er hier von der Schönheit von Herrn Neris Garten hörte, wünschte er diesen kennenzulernen. Da er nun zugleich vernahm, wem er gehöre, so hielt er es für angemessen, weil der Ritter der ihm entgegengesetzten Partei angehörte, sich diesem um so freundlicher zu zeigen, weshalb er ihm melden ließ, daß er am folgenden Abend mit vier Gefährten ganz still bei ihm in seinem Garten speisen wolle. Herrn Neri war dies sehr erwünscht, und nachdem er alles prächtig angeordnet und mit seiner Familie verabredet hatte, was geschehen solle, empfing er den König so freundlich, wie er nur wußte und konnte, in seinem schönen Garten.

Nachdem der König den Garten und das ganze Haus des Herrn Neri beschaut und belobt hatte, wusch er sich die Hände und setzte sich an einen der Tische, die am Rande des Teiches aufgestellt waren. Dann befahl er dem Grafen Guido von [777] Montfort, der einer seiner Begleiter war, sich ihm an die eine, und Herrn Neri, sich an die andere Seite zu setzen. Drei andern aber, die mit ihnen gekommen waren, gebot er, sie nach der Ordnung zu bedienen, welche Herr Neri vorgeschrieben habe. Köstliche Speisen wurden aufgetragen, und die Weine waren vorzüglich und kostbar. Die Anordnung war schön und sehr lobenswert, und weder Lärm noch Unruhe störten. Alles dies wurde vom Könige sehr gelobt.

Während er nun in dieser Weise noch fröhlich speiste und sich der Stille des Ortes erfreute, siehe, da traten zwei Jungfrauen ein, die etwa fünfzehn Jahre alt sein mochten und deren blondes, goldnen Fäden gleichendes Haar reich geringelt und über den frei niederfallenden Locken von einem leichten Kranz von Immergrün umwunden war. Im Antlitz glichen sie eher Engeln als irgend etwas anderem, so zart und schön waren ihre Züge. Bekleidet waren sie mit nichts als dem feinsten schneeweißen Linnen, das sie auf dem bloßen Leibe trugen. Über dem Gürtel war dies Gewand enganliegend, unter demselben aber erweiterte es sich gleich einem Zeltdache und reichte bis auf die Füße. Die Vorangehende trug auf ihren Schultern ein paar Fangnetze, die sie mit der linken Hand hielt, während sie in der rechten einen langen Stab trug. Die andere, welche ihr folgte, hatte auf der linken Schulter eine Pfanne, unter derselben ein kleines Bündel Reisig und in der Hand einen Dreifuß, während sie in der andern Hand einen Ölkrug und eine brennende Fackel trug. Als der König sie sah, erstaunte er und erwartete neugierig, was dies zu bedeuten habe.

Ehrbar und schüchtern traten die Jungfrauen vor, machten dem König ihre Verbeugung und begaben sich dann dahin, wo man in den Teich hinabstieg. Die eine, welche die Pfanne trug, setzte diese und danach die andern Dinge nieder und ergriff den Stab, welchen die andere trug, worauf beide in den Teich hinabstiegen, dessen Wasser ihnen bis an die Brust reichte. Einer der Diener des Herrn Neri zündete schnell das Feuer an und setzte die Pfanne auf den Dreifuß, und nachdem er das Öl hineingetan hatte, erwartete er, daß die Jungfrauen ihm Fische zuwürfen. Inzwischen störte die eine mit ihrem Stab die Fische an den Stellen des Teiches auf, wo sie sich, wie sie [778] wußte, zu verbergen pflegten, die andere aber hielt ihnen dann die Netze entgegen, und so fingen sie zum großen Vergnügen des Königs, der aufmerksam zusah, in kurzer Zeit eine Menge von Fischen.

Einige von diesen warfen sie dem Diener zu, der sie beinahe noch lebend in die Pfanne tat. Dann aber begannen sie, wie sie angewiesen waren, immer noch schönere zu fangen und diese auf die Tafel vor den König, den Grafen Guido und ihren Vater hinzuwerfen. Die Fische schnellten sich auf dem Tisch umher, woran der König das größte Ergötzen hatte und einige davon ergriff, um sie den Jungfrauen huldreich wieder zurückzuwerfen, und so scherzten sie eine Weile, bis der Diener diejenigen zubereitet hatte, die ihm gereicht worden waren. Diese wurden mehr als ein Zwischengericht denn als eine seltene und kostbare Speise, wie Herr Neri befohlen hatte, dem König vorgesetzt.

Als die Jungfrauen den Fisch bereitet sahen und zur Genüge gefischt hatten, verließen sie den Teich, wobei ihr weißes und zartes Gewand sich so fest an ihren Körper schmiegte, daß fast nichts von ihrem zarten Leibe dadurch verborgen blieb. Dann nahm jede die mitgebrachten Sachen wieder auf, und schamhaft vor dem König vorüberschreitend, zogen sie sich ins Haus zurück.

Der König, der Graf und die übrigen, die bei Tische bedienten, hatten die Jungfrauen eifrig betrachtet, und jeder hatte sie bei sich als schön und wohlgebildet, zugleich aber auch als anmutig und gesittet gelobt. Vor allen andern aber hatten sie dem König sehr gefallen. Als sie aus dem Wasser kamen, hatte er jeden Teil ihres Körpers so aufmerksam betrachtet, daß, sollte ihn jemand in diesem Augenblick gestochen haben, er es nicht gefühlt hätte. Während er nun immerzu an sie dachte, ohne noch zu wissen, wer sie waren und welcher Art seine Gedanken, fühlte er im Herzen ein so brennendes Verlangen erwachen, ihnen zu gefallen, daß er wohl erkannte, er sei im Begriff sich zu verlieben, wenn er sich nicht davor hüte. Welche von beiden ihm am besten gefallen hatte, wußte er selbst nicht zu sagen, so ähnlich waren sie einander in allen Stücken. Nachdem er jedoch etwas in solchen Gedanken verweilt [779] hatte, wandte er sich zu Herrn Neri und fragte ihn, wer diese beiden Mägdlein seien. »Gnädiger Herr«, antwortete ihm Neri, »es sind meine Töchter, beide zusammen geboren, von denen die eine Ginevra die Schöne, die andere Isotta die Blonde heißt.« Der König lobte sie von neuem sehr und forderte ihn auf, sie zu vermählen. Herr Neri entschuldigte sich jedoch mit der Bemerkung, daß er das in seinen jetzigen Umständen nicht könne.

Während nun von dem, was zum Mahl gereicht werden sollte, nichts mehr ausstand als die Früchte, kamen die beiden Jungfrauen, in zwei Jäckchen vom schönsten Zindeltaffet gekleidet, mit zwei großen silbernen Schüsseln in der Hand, die voll der verschiedenartigsten Früchte waren, wie die Jahreszeit sie brachte, und setzten sie vor dem König auf die Tafel. Als sie dies getan, traten sie etwas zurück und stimmten einen Gesang an, dessen Worte folgendermaßen beginnen:


Wohin, o Amor, du mich hast geführt,
Das ist mit Worten nicht zu sagen ...

und sangen diesen so hold und anmutig, daß es dem König, der sie mit Entzücken ansah und anhörte, nicht anders war, als wären alle himmlischen Heerscharen herniedergestiegen, um zu singen. Als das Lied zu Ende war, knieten sie ehrerbietig vor dem König nieder und baten um ihre Entlassung. So leid ihm nun auch ihr Abschied tat, so bewilligte er ihnen denselben doch mit heiterer Miene. Nachdem sodann das Mahl geendet und der König mit seinen Begleitern wieder zu Roß gestiegen war und Herrn Neri verlassen hatte, kehrte die Gesellschaft, von diesem und jenem sprechend, ins königliche Hoflager zurück.

Hier hielt der König seine Neigung zwar verborgen, doch keine wichtige Staatsangelegenheit, die sich ereignete, machte ihn die Schönheit und Anmut Ginevras der Schönen vergessen, der zuliebe er auch die ihr so ähnliche Schwester liebte, und so fest verstrickte er sich bald in den Liebesbanden, daß er beinahe keinen andern Gedanken mehr zu fassen wußte. So unterhielt er denn unter allerlei Vorwänden eine enge Verbindung mit Herrn Neri und besuchte gar häufig dessen schönen Garten, nur um Ginevra zu sehen.

[780] Als er diese Qualen nicht mehr zu ertragen vermochte und als es ihm in Ermangelung eines andern Auswegs in den Sinn gekommen war, nicht nur eine, sondern beide Jungfrauen ihrem Vater zu rauben, offenbarte er dem Grafen Guido zugleich seine Liebe und diesen Vorsatz. Dieser aber war ein ritterlicher Mann, und deshalb erwiderte er dem König: »Gnädiger Herr, was Ihr mir sagt, versetzt mich in großes Staunen; und dieses Staunen ist deshalb in mir um vieles größer, als es bei irgendeinem andern wäre, weil ich Eure Gesinnung von Kindheit an bis zu diesem Tage besser als irgendein anderer gekannt zu haben glaube. Doch nie habe ich in Eurer Jugend, in welcher doch die Liebe leichter über Euch hätte Macht gewinnen sollen, solche Leidenschaft in Euch wahrzunehmen geglaubt. Deshalb scheint mir, was ich von Euch höre, daß Ihr, dem Alter schon nahe, in leidenschaftlicher Liebe entbrannt seid, so neu und seltsam, daß es mich fast ein Wunder dünkt. Käme es mir zu, Euch deshalb zu tadeln, so wüßte ich wohl, was ich Euch mit Rücksicht darauf zu sagen hätte, daß Ihr, noch mit den Waffen in den Händen, in dem neugewonnenen Reiche unter einem Euch wenig bekannten Volke weilt, das voller List und Verrat ist, sowie darauf, daß Ihr, hinreichend beschäftigt mit großen Sorgen und den wichtigsten Angelegenheiten, Euch noch nicht einmal zur Ruhe habt niedersetzen können, und unter so ernsten Umständen dennoch einer schmeichlerischen Liebe Raum geben konntet. Dies ist nicht die Weise eines hochherzigen Königs, sondern die eines kleinmütigen Jünglings. Überdies aber sagt Ihr mir, was noch weit schlimmer ist, daß Ihr beschlossen habt, dem armen Ritter seine beiden Töchter zu entreißen, der Euch in seinem Hause über sein Vermögen geehrt hat und Euch diese, um Euch noch höher zu ehren, fast nackend hat sehen lassen, indem er hierdurch bezeugte, wie groß das Vertrauen war, das er auf Euch setzte, und wie zuversichtlich er überzeugt war, daß Ihr ein König und kein räuberischer Wolf seid. Wie, ist Euch schon so bald entfallen, daß es gerade die Gewalttaten Manfreds waren, die Euch den Eingang in dieses Reich öffneten? Und welch ein Verrat ward je begangen, der einer ewigen Strafe würdiger wäre als dieser, durch den Ihr dem, der Euch geehrt hat, seine [781] Ehre, seine Hoffnung und seinen Trost raubtet? Was sollte man von Euch sagen, wenn Ihr das tätet? Vielleicht haltet Ihr es für eine hinreichende Entschuldigung, wenn Ihr sagt: Ich tat es, weil er ein Gibelline ist! Doch ist das die Gerechtigkeit eines Königs, daß die, welche sich, wer immer sie auch seien, unter seinen Schutz begeben haben, also behandelt werden? Ich erinnere Euch daran, o König, daß es Euch zu großem Ruhm gereicht, Manfred besiegt zu haben, daß es aber zu noch viel größerem Ruhm gereicht, sich selbst zu besiegen. Darum besieget Ihr, der Ihr andere zu lenken und zu strafen habt, zuerst Euch selbst, zügelt diese Begierde und beschmutzt nicht mit einem solchen Schandfleck, was Ihr so ruhmreich gewonnen habt.«

Diese Worte verwundeten das Gemüt des Königs tief und betrübten ihn um so mehr, je mehr er sie für wahr erkennen mußte. Deshalb sprach er nach manchem inbrünstigen Seufzer also: »Graf, wahrlich erkenne ich jetzt, daß jeder andere Feind, wie stark er auch sei, dem erfahrenen Krieger im Vergleich zu seiner eigenen Begierde schwach und leicht zu besiegen scheint; doch wie groß auch mein Schmerz sei, und wie unermeßlich die Kraft, deren es bedarf: Eure Worte haben mich so angespornt, daß, bevor viele Tage vergehen, ich durch die Tat beweisen will, wie ich nicht nur andere zu besiegen verstand, sondern auch Herr über mich selbst zu werden vermag.«

In der Tat vergingen nach diesen Worten nicht viele Tage, daß der König, der nach Neapel zurückgekehrt war, sich entschloß, die beiden Jungfrauen wie seine eigenen Töchter zu vermählen, um sich so selbst die Möglichkeit zu nehmen, übel zu tun, und auch Ritter Neri die Bewirtung zu lohnen, die er bei ihm empfangen hatte. Und er tat es, so schwer es ihm auch wurde, einen andern zum Besitzer dessen zu machen, was er für sich selber glühend begehrte.

Mit Bewilligung des Herrn Neri stattete er sie glänzend aus und gab dann Ginevra die Schöne dem Herrn Maffeo da Pallizzi und Isotta die Blonde dem Herrn Guiglielmo della Magna, die beide edle Ritter und große Herren waren, zu Gattinnen. Nachdem er sie diesen übergeben hatte, ging er mit unbeschreiblichem Schmerz nach Apulien. Dort bewältigte er durch unaufhörliche [782] Anstrengungen seine wilde Glut dergestalt, daß er, nachdem er diese Liebeskette gesprengt und zerbrochen hatte, von solcher Leidenschaft frei blieb, solange er noch lebte.


Vielleicht wird es nicht an solchen fehlen, die behaupten, es sei für einen König ein kleines, zwei Jungfrauen verheiratet zu haben. Ich werde das zugeben; allein für groß, ja für sehr groß werde ich es immerdar halten, daß ein liebender König dies tat, daß er die verheiratete, die er liebte, ohne von seiner Liebe Blatt, Blume oder Frucht geerntet zu haben oder sich zu nehmen. So aber handelte dieser großmütige König, indem er den edlen Ritter hoch belohnte, die geliebten Jungfrauen auf lobenswerte Weise ehrte und sich selbst tapfer überwand.

Siebente Geschichte

König Peter von Aragonien hört von der glühenden Liebe, welche die kranke Lisa für ihn hegt. Er spricht ihr freundlich zu, vermählt sie dann mit einem edlen Jüngling, küßt sie auf die Stirn und nennt sich fortan ihren Ritter.


Fiammetta hatte das Ende ihrer Erzählung erreicht, und die männliche Großmut König Karls wurde vielfach gelobt, obschon eines der Mädchen, das eine Gibellinin war, sie nicht preisen wollte. Dann begann Pampinea, vom König aufgefordert, also:

Kein Verständiger, ihr ehrenwerten Mädchen, wird von dem guten König Karl nicht dasselbe sagen, was ihr sagt, wenn er ihm nicht aus andern Gründen übel will. Weil mir aber eben einfällt, wie einer seiner Gegner etwas vielleicht nicht minder Lobenswertes für eine junge Florentinerin tat, so will ich euch dies erzählen.

Zu der Zeit, als die Franzosen aus Sizilien vertrieben wurden, lebte in Palermo ein Florentiner namens Bernardo Puccini als Gewürzhändler und reicher Mann, der von seiner Frau keine andern Kinder hatte als eine einzige sehr schöne und schon [783] mannbare Tochter. Als nun König Peter von Aragonien Herr der Insel geworden war, gab er in Palermo mit seinen Baronen ein wunderschönes Fest, wo er auf katalanische Art turnierte. Dabei geschah es, daß Bernardos Tochter, die Lisa hieß, von einem Fenster aus, wo sie mit anderen Frauen stand, den König eine Lanze rennen sah, und sie fand ein so wundersames Gefallen an ihm, daß sie wieder und wieder auf ihn hinblickte und sich in glühender Liebe für ihn entzündete.

Als das Fest vorüber war und sie im Hause des Vaters weilte, vermochte sie bald an nichts anderes mehr zu denken als an ihre hochgesinnte und kühne Liebe. Was sie hierbei am meisten schmerzte, war die Erkenntnis ihres niederen Standes, die ihr fast keine Hoffnung übrigließ, zu einem frohen Ziele zu gelangen. Doch konnte sie darum sich dennoch nicht zurückhalten, den König zu lieben. Ebensowenig aber wagte sie, aus Furcht vor größerem Leide, ihre Liebe zu offenbaren. All dies hatte der König weder bemerkt, noch kümmerte er sich darum, und so hatte sie denn unerträglicheren Schmerz zu tragen, als man sich irgend denken kann. Weil nun ihre Liebe noch fortwährend wuchs und immer trübere Gedanken in ihr hervorrief, geschah es, daß die schöne Jungfrau, die dies nicht mehr tragen konnte, krank ward und sich sichtbar von Tag zu Tag wie der Schnee an der Sonne verzehrte. Ihr Vater und ihre Mutter, bekümmert über diese Krankheit, standen ihr, soviel sie konnten, in allem bei mit fortwährenden Tröstungen, mit Ärzten und Arzneien; aber alles half nichts, da sie selbst in der Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe bei sich beschlossen hatte, nicht länger leben zu wollen.

Einst jedoch, als ihr der Vater wieder anbot, was ihr nur irgend Freude zu gewähren vermöchte, kam ihr der Gedanke, wenn es auf angemessene Weise geschehen könnte, zu bewirken, daß der König, ehe sie stürbe, ihre Liebe und ihren Vorsatz erführe. Deshalb bat sie denn eines Tages ihren Vater, den Minuccio von Arezzo kommen zu lassen. Dieser Minuccio wurde zu jener Zeit für einen der trefflichsten Sänger und Lautenspieler gehalten und war auch bei König Peter gern gesehen. Bernardo glaubte, Lisa verlange nur nach ihm, um ihn etwas spielen oder singen zu hören, deshalb ließ er es ihm [784] sagen, und Minuccio, der ein gefälliger Mann war, kam sogleich zu ihr. Nachdem er ihr mit freundlichen Worten ein wenig zugesprochen und sie erheitert hatte, spielte er ihr auf seiner Viola gar süß ein kleines Stücklein vor und sang dann das eine und andere Lied. Diese Lieder waren für die Liebe der Jungfrau Feuer und Flamme, während er sie damit zu beruhigen wähnte.

Hierauf sagte ihm die Jungfrau, sie habe einige Worte mit ihm allein zu reden, weshalb denn jeder andere sie verließ, sie aber also zu ihm sprach: »Minuccio, ich habe dich zum treuen Bewahrer eines meiner Geheimnisse erwählt, indem ich zunächst hoffe, daß du dies niemals irgend jemand mitteilen wirst als dem, den ich dir nennen werde, und sodann, daß du, soweit du kannst, mir helfen wirst, und darum bitte ich dich. Wisse also, mein guter Minuccio: an dem Tage, da unser Herr, König Peter, das große Turnier zu Ehren seiner Thronbesteigung gab, habe ich ihm, als er turnierte, so tief in die Augen gesehen, daß sich mein Herz in Liebe für ihn entzündet hat, und diese Liebe hat mich so weit gebracht, wie du jetzt siehst. Da ich nun erkenne, wie ungeziemend für mich die Liebe zu einem König ist, und ich sie dennoch nicht zu mindern, geschweige denn zu verbannen weiß, sie aber zu ertragen mir zu schwer wird, so habe ich, als den geringeren Schmerz, zu sterben erwählt und werde es tun. Und fürwahr, über alle Maßen trostlos ginge ich von hinnen, wenn er nicht zuvor davon erführe. Da ich nun nicht wußte, durch wen ich ihm meinen Entschluß angemessener bekannt machen könnte als durch dich, so will ich diesen Auftrag dir übertragen, und ich bitte dich, weise ihn nicht ab. Und wenn du ihn ausgeführt hast, so laß es mich wissen, damit ich getröstet mich durch den Tod diesen Qualen entziehe.« Nachdem sie dies gesprochen hatte, schwieg sie unter Tränen.

Minuccio erstaunte über die Seelengröße der Jungfrau und über ihren herben Entschluß, den er sehr beklagte. Da ihm sogleich in den Sinn kam, wie er auf geziemende Weise ihr dienen könne, sprach er: »Lisa, ich verpfände dir mein Wort, und sei versichert, daß du nie von mir getäuscht werden wirst. Dann aber lobe ich dich wegen eines so hohen Beginnens, wie [785] es das ist, dein Herz einem so großen König zugewandt zu haben, und biete dir meinen Beistand an, durch den ich es, wenn du nur Mut fassen willst, so weit zu bringen hoffe, daß ich dir, bevor der dritte Tag verstreicht, willkommene Kunde bringen kann. Um aber keine Zeit zu verlieren, will ich sogleich gehen und den Anfang machen.« Lisa bat ihn von neuem sehr darum, versprach ihm, Mut zu fassen, und hieß ihn mit Gott gehen. Minuccio schied von ihr und suchte sogleich einen gewissen Mico von Siena auf, der in jener Zeit ein gar guter Reimer war, und bewog ihn durch seine Bitten, das nachfolgende Lied zu machen:


Geh, Amor, hin und sage meinem Herrn,
Wie groß die Qualen sind, die ich ertrage;
Daß sterbend ich verzage,
Weil ich verbergen muß der Hoffnung Stern.
Ich bitte, Amor, dich mit heißem Flehen,
Daß du dort hingehst, wo mein Herr verweilt,
Ihm sagst, wie nur nach ihm die Blicke spähen,
Der mir das Herz verwundet und doch heilt.
Wie könnt ich solchen Flammen widerstehen!
Nur weiß ich nicht, wann mich der Tod ereilt,
Wann er den Brief der Freiheit mir erteilt,
Der mich erlöst von Scham und bangem Zagen,
Die sehnend ich ertragen.
Sag ihm, was ich erdulde, von ihm fern.
Seit, Amor, ich zuerst für ihn entbrannte,
Gabst du mir Furcht und nie so viel an Mut,
Daß ich, selbst in Gebärden, je bekannte
Dem, der in mir entzündet diese Glut,
Wie ich sein eigen bin, nur sein mich nannte,
Weshalb der Tod – im Sterben – leid mir tut.
Es stockt vor Schüchternheit mir alles Blut,
Doch könnt ich schildern ihm die heißen Schmerzen,
Die brennen mir im Herzen,
Statt mir zu zürnen, hört' er es wohl gern.
[786]
Läßt, Amor, du das Glück mir nimmer werden,
Die Scheu zu bannen, der ich stets erlag,
So daß durch Boten oder durch Gebärden
Mein Herz ihm nie von seiner Liebe sprach,
Dann bitt ich nur um eine Gunst auf Erden:
Geh, Amor, zu ihm, mahn ihn an den Tag,
Wo Lanz auf Lanz er im Turniere brach.
Damals erblickt ich ihn mit Liebessehnen,
Seitdem nennt unter Tränen
Mein brechend Herz ihn seinen hohen Herrn.

Zu diesen Worten setzte Minuccio sofort eine sanfte und wehmütige Weise, wie der Inhalt sie verlangte, und ging den dritten Tag darauf an den Hof, während König Peter noch an der Tafel saß. Dieser befahl ihm, etwas zu seiner Viola zu singen, und Minuccio begann nun, von seinem Spiele begleitet, das Lied so süß und weich zu singen, daß alle, die im königlichen Saale zugegen waren, ganz überwältigt schienen, so schweigend und aufmerksam hörten sie ihm zu, und der König noch mehr als alle übrigen.

Als Minuccio seinen Gesang beendet hatte, fragte ihn der König, wie er zu dem Liede gekommen sei, das er noch nie gehört zu haben glaube. »Gnädiger Herr«, antwortete Minuccio, »es sind noch nicht drei Tage, daß Wort und Weise gemacht wurden.« Als der König nun fragte, von wem, antwortete er: »Das wage ich nur Euch allein zu entdecken.«

Der König, begierig dies zu hören, ließ ihn, nachdem die Tafel aufgehoben war, zu sich in sein Gemach kommen, und hier erzählte ihm Minuccio der Reihe nach alles, was er gehört hatte. Der König freute sich hierüber sehr, lobte die Jungfrau und sagte, mit einem so hochgesinnten Mädchen müsse man Mitleid haben. Deshalb solle er zu ihr gehen, ihr in seinem Namen Mut zusprechen und ihr sagen, daß er sie noch an diesem Tage unfehlbar gegen Abend besuchen käme.

Minuccio, glücklich, der Jungfrau so frohe Botschaft überbringen zu können, ging ohne Säumen mit seiner Viola von dannen, erzählte ihr, da er sie allein traf, alles Vorgefallene und sang ihr das Lied zu seiner Viola vor. Hierüber ward die [787] Jungfrau so froh und glücklich, daß auf der Stelle unverkennbare Zeichen der Genesung sich einfanden, und sehnsuchtsvoll begann sie nun, ohne daß irgend jemand im Hause etwas davon wußte oder ahnte, den Abend zu erwarten, wo sie ihren Herrn sehen sollte.

Der König, der ein gütiger und wohlwollender Herr war, hatte unterdessen mehrfach über die Dinge nachgesonnen, die Minuccio ihm erzählt hatte, und da er das Mädchen und ihre Schönheit sehr wohl kannte, empfand er jetzt noch viel größeres Mitleid mit ihr als zuvor. So stieg er denn um die Abendstunde zu Pferd, und unter dem Vorwand, nur zu seiner Erholung auszureiten, gelangte er zu dem Hause des Gewürzhändlers. Hier ließ er bitten, daß ihm dessen Garten, der sehr schön war, geöffnet werde, und vor diesem stieg er ab. Nach einiger Zeit fragte er den Bernardo, wie es mit seiner Tochter stehe und ob er sie noch nicht vermählt habe. »Gnädiger Herr«, antwortete Bernardo, »vermählt ist sie nicht. Schwer krank aber ist sie gewesen und ist es noch, wiewohl sie seit der neunten Tagesstunde sich so gebessert hat, daß es schier ein Wunder ist.« Der König erkannte sogleich, welche Bewandtnis es mit dieser Besserung hatte, und sprach: »Bei meiner Treue, es wäre schade, wenn ein so schönes Wesen der Welt schon entrissen werden sollte. Wir wollen sie selber besuchen gehen.«

Bald darauf ging er mit nur zwei Begleitern und Bernardo zur Kammer der Jungfrau, und sowie er eingetreten war, ging er zum Bett, wo die Jungfrau, etwas aufgerichtet, mit Sehnsucht seiner wartete, nahm sie bei der Hand und sprach: »Madonna, was soll das bedeuten? Ihr seid jung und solltet andern zum Trost gereichen, und lasset Euch von Krankheit anfechten? Wir wollen Euch bitten, daß es Euch aus Liebe zu uns gefalle, Mut zu fassen, damit Ihr bald wieder geneset.«

Als die Jungfrau ihre Hände von dem Manne berührt fühlte, den sie über alles liebte, empfand sie, wiewohl sie sich etwas schämte, doch in ihrer Seele solche Wonne, als wäre sie im Paradies, und antwortete ihm, so gut sie konnte: »Mein hoher Herr, daß ich es gewagt habe, meine geringen Kräfte überschwerer Last zu unterwerfen, das ist die Ursache dieser meiner [788] Krankheit, von der Ihr mich jedoch, dank Eurer Gnade, bald befreit sehen werdet.« Der König allein verstand den verborgenen Sinn in der Rede der Jungfrau und schätzte sie darum immer höher, ja zum öfteren schmähte er bei sich selbst das Schicksal, das sie zur Tochter eines geringen Mannes gemacht hatte. Nachdem er nun einige Zeit bei ihr verweilt und ihr noch mehr Mut zugesprochen hatte, nahm er Abschied.

Diese Herablassung des Königs wurde viel gelobt und dem Gewürzhändler und seiner Tochter zu hoher Ehre gerechnet. Die letztere aber war so glücklich darüber, wie nur je eine andere es über ihren Geliebten sein konnte, und von stärkerer Hoffnung unterstützt, genas sie in wenigen Tagen und ward schöner, als sie je gewesen war.

Als sie nun wieder gesund war, stieg der König, nachdem er mit seiner Gemahlin darüber beraten hatte, welcher Lohn einer solchen Liebe zu gewähren sei, eines Tages mit vielen seiner Großen zu Pferde und begab sich wieder zum Hause des Gewürzhändlers, den er, nachdem er in seinen Garten eingetreten war, nebst seiner Tochter rufen ließ. Indessen kam auch die Königin mit vielen Damen, welche die Jungfrau in ihre Mitte nahmen und mit Freundlichkeiten überschütteten.

Einige Augenblicke darauf rief der König mit der Königin die Lisa herbei, und der König sprach zu ihr: »Wackeres Mädchen, die große Liebe, die Ihr zu uns getragen habt, hat Euch große Ehre von uns erwirkt, und wir wollen, daß Euch diese um unsertwillen genehm sei. Die Euch bestimmte Ehre aber besteht darin, daß, da Ihr bereits mannbar seid, Ihr denjenigen zu Eurem Gemahl nehmt, den wir Euch geben wollen. Dessenungeachtet beabsichtigen wir jedoch, uns immerdar Euren Ritter zu nennen, ohne für solche Liebe mehr von Euch zu begehren als einen einzigen Kuß.«

Die Jungfrau war vor Scham im Gesicht purpurrot geworden, doch machte sie den Wunsch des Königs zu dem ihrigen und erwiderte mit leiser Stimme: »Mein gnädiger Herr, ich bin fest überzeugt, erführe man es, daß ich Euch liebe, so hielte der größte Teil der Welt mich für wahnsinnig und glaubte vermutlich, ich hätte vergessen, wer ich sei, und weder meinen Stand noch den Euren begriffen. Aber wie Gott weiß, der [789] allein die Herzen der Sterblichen durchschaut, so erkannte ich Euch in der Stunde, als Ihr zuerst mir wohlgefielet, für meinen König und mich für die Tochter des Gewürzhändlers Bernardo, und ich sah ein, wie übel es sich für mich schicke, das Verlangen meiner Seele nach einem so hohen Ziele zu richten. Allein, wie Ihr viel besser wißt als ich, niemand verliebt sich nach Pflicht und Schuldigkeit, sondern nach Antrieb und Gefallen. Diesem Gesetze haben meine Kräfte sich mehrfach widersetzt; als sie das aber nicht mehr vermochten, liebte ich Euch, liebe Euch und werde Euch ewig lieben. Nun entschloß ich mich, sobald ich von der Liebe zu Euch mich gefesselt fühlte, aus Eurem Willen immer den meinen zu machen, und deshalb nehme ich denn nicht nur den gern zum Manne und will ihn werthalten, den es Euch gefällt, mir zu geben, und der mir Ehre und Stellung verleihen soll, sondern wenn Ihr sagtet, daß ich im Feuer weilen solle, so gereichte es mir zur Lust, wenn ich glaubte, daß ich Euch dadurch gefallen könne. Wie wenig es mir zukommt, Euch, den König, zum Ritter zu haben, wißt Ihr selbst, und darum antworte ich hierauf nicht weiter. Auch wird Euch der Kuß, den allein Ihr von meiner Liebe begehrt, ohne Erlaubnis der Frau Königin nicht bewilligt werden. Nichtsdestoweniger gebe Euch Gott für solche Huld gegen mich, wie Ihr und die Frau Königin hier sie mir erweist, statt meiner den Dank und den Lohn, welchen zu geben ich nicht vermag.« Und mit diesen Worten schwieg sie.

Der Königin gefiel die Antwort der Jungfrau ungemein, und sie schien ihr ganz so verständig zu sein, wie der König gesagt hatte. Der König aber ließ den Vater der Jungfrau und ihre Mutter rufen, und da sie sich mit dem, was er zu tun gedachte, zufrieden erklärten, ließ er einen Jüngling herbeirufen, der von edler Geburt, aber arm war und Perdicon hieß. Nachdem er ihm zwei Ringe in die Hand gegeben, gebot er ihm, sich mit Lisa zu verloben, was dieser keineswegs verweigerte. Dann gab ihnen der König auf der Stelle außer vielen kostbaren Edelsteinen, welche er und die Königin der Jungfrau schenkten, Ceffalu und Calatabellotta, zwei gar schöne und ertragreiche Güter, indem er sagte: »Diese schenken wir als Mitgift der Braut. Was wir aber weiter für euch tun wollen, [790] das werdet ihr in der Zukunft erfahren.« Nach diesen Worten wandte er sich zu der Jungfrau und sprach: »Nun wollen wir die Frucht pflücken, welche wir von Eurer Liebe ernten müssen.« Und damit faßte er mit beiden Händen ihr Haupt und küßte sie auf die Stirn. Perdicon, Lisas Vater und Mutter, die, wie sie selbst, sehr zufrieden waren, veranstalteten große Festlichkeiten und hielten eine frohe Hochzeit. Wie viele versichern, hielt der König der Jungfrau treulich seine Zusage; denn solange er lebte, nannte er sich immer ihren Ritter und trug zu einer Waffentat nie ein anderes Zeichen als das, welches Lisa ihm geschickt hatte.

Durch solche Handlungen erobert man die Herzen der Untertanen, gibt andern Anlaß, gut zu handeln, und gewinnt ewigen Nachruhm – freilich Dinge, um derentwillen heutzutage wenige oder keine den Bogen ihres Verstandes zu spannen pflegen, nachdem die Mehrzahl der Herrscher grausam und tyrannisch geworden ist.

Achte Geschichte

Sophronia, welche die Frau des Gisippus zu sein glaubt, ist die Gattin des Titus Quinctius Fulvus und geht mit ihm nach Rom. Hier trifft Gisippus in ärmlichem Zustande ein, und da er sich von Titus verachtet glaubt, klagt er, um zu sterben, sich selbst an, einen Menschen getötet zu haben. Titus erkennt ihn wieder und gibt nun, um ihn zu retten, vor, er sei es, der jenen getötet, worauf der wirkliche Mörder sich selbst angibt. Danach werden alle von Octavian in Freiheit gesetzt. Titus gibt dem Gisippus seine Schwester zur Gattin und teilt sein gesamtes Besitztum mit ihm.


Nachdem Pampinea zu erzählen aufgehört und jeder, vor allem aber die Gibellinin, den König Peter gelobt hatte, begann Filomena auf Geheiß des Königs also:

Hochherzige Mädchen, wer von uns wüßte nicht, daß die Könige, sobald sie nur wollen, jegliches Große vollbringen können, und daher von ihnen auch ganz besonders die Großmut [791] gefordert wird? Wer, sobald er kann, das tut, was ihm zukommt, tut recht; aber wir dürfen darüber nicht so erstaunen, noch ihn genau so loben wie einen andern, der dasselbe täte und dessen geringeres Vermögen uns weniger zu verlangen erlaubte. Wenn ihr daher mit so vielen Worten die Handlungen eines Königs preist, wenn sie euch so schön erscheinen, so zweifle ich nicht, daß euch die von unsersgleichen noch weit mehr gefallen und noch weit mehr von euch gelobt werden müssen, wenn sie denen der Könige gleichkommen oder sie noch übertreffen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, euch eine rühmenswerte und großmütige Handlung zu berichten, die sich zwischen zwei befreundeten Bürgern zutrug.

Zu der Zeit also, als Octavianus Caesar noch nicht Augustus genannt wurde, sondern in dem Amte, welches man das Triumvirat nannte, das Römische Reich regierte, lebte in Rom ein edler Bürger namens Publius Quinctius Fulvus, der seinen Sohn, Titus Quinctius Fulvus genannt, wegen seiner großen Begabung nach Athen sandte, um dort die Philosophie zu erlernen, und ihn zu diesem Zwecke nach Kräften einem edlen Bürger namens Chremes empfahl, der von alters her sein Freund war. Von diesem wurde Titus in sein eigenes Haus aufgenommen und seinem Sohne beigesellt, welcher Gisippus hieß. Unter der Anleitung eines Weltweisen, namens Aristipp, wurden nun Titus und Gisippus von Chremes zur Erlernung der Philosophie angehalten.

Während die beiden Jünglinge so miteinander verkehrten, erzeugte bald die große Übereinstimmung in ihren Sitten und Gewohnheiten eine so enge Brüderschaft und große Freundschaft zwischen ihnen, daß diese nachher durch keine anderen Unfälle als durch den Tod allein getrennt werden konnte. Beide fühlten sich nur wohl oder ruhig, wenn sie zusammen waren. Ihre Studien hatte sie gemeinschaftlich begonnen, und da beide mit gleich großen Anlagen ausgestattet waren, so erstiegen sie im gleichen Schritt zu ihrem höchsten Ruhme die glorreichen Höhen der Weltweisheit.

In dieser Lebensweise brachten sie zur großen Freude des Chremes, der keinen dem andern als Sohn vorzog, wohl drei Jahre zu. Nach deren Ablauf geschah es, wie dies allen Dingen [792] zu geschehen pflegt, daß Chremes, der schon alt war, aus dem Leben schied, worüber beide gleiche Trauer wie über einen gemeinsamen Vater trugen, so daß die Freunde und Verwandten des Chremes nicht zu unterscheiden wußten, wer von den beiden wegen des ihnen zugestoßenen Unglücks mehr zu trösten sei. Nach einigen Monaten ereignete es sich jedoch, daß die Freunde des Gisippus und seine Verwandten ihn aufsuchten und ihm gemeinschaftlich mit Titus zuredeten, eine Frau zu nehmen, und für ihn sodann eine Jungfrau von großer Schönheit und edler Abstammung aussuchten, die Sophrania hieß, Bürgerin von Athen und etwa fünfzehn Jahre alt war.

Nicht lange Zeit vor der verabredeten Hochzeit bat Gisippus eines Tages den Titus, daß er mit ihm kommen möge, um seine Braut zu sehen, die dieser bis dahin noch nicht erblickt hatte. Als sie in deren Haus gelangt waren und sie nun so zwischen beiden saß, begann Titus, um die Schönheit der Braut seines Freundes zu betrachten, sie aufmerksam anzuschauen, und bald gefiel ihm jeder Teil an ihr so über alle Maßen, daß er sich, während er jene still bei sich lobte, so heftig für sie entflammte, wie irgendein Liebender sich je für ein Weib entzündete, jedoch ohne daß ein äußeres Zeichen dies verriet.

Nachdem sie eine Zeitlang bei ihr verweilt hatten, schieden sie und kehrten nach Hause zurück. Hier begann nun Titus, sobald er allein in seinem Gemach war, an die reizende Jungfrau zu denken, immer lebhafter für sie entbrennend, je mehr er seinen Gedanken nachhing. Als er dies gewahr wurde, sprach er nach vielen heißen Seufzern zu sich: »Wehe deinem Leben, Titus! Wohin und worauf richtest du deinen Sinn, deine Liebe und deine Hoffnung? Erkennst du nicht mehr, daß du, sowohl um der von Chremes und seiner Familie empfangenen Gastfreundschaft als auch um der vollkommenen Freundschaft willen, welche zwischen dir und Gisippus besteht, diese Jungfrau, die dessen Braut ist, mit der Achtung betrachten mußt, die einer Schwester gebührt? Wozu liebst du also? Wohin läßt du dich von täuschender Sehnsucht verlocken, wohin von schmeichelnder Hoffnung? Öffne die Augen des Verstandes und erkenne dich selbst wieder, o Unglücklicher! Gib der Vernunft Raum und mäßige die Begierde deiner Sinne; zügle den [793] unverständigen Wunsch und richte deine Gedanken auf etwas anderes, widerstrebe jetzt, im Anfang, deiner Lust und überwinde dich selbst, solange du Zeit dazu hast. Nicht ziemt es dir, daß du begehrst, was deiner Ehre nicht verträglich ist. Was du zu unternehmen dich anschickst, müßtest du fliehen, selbst wenn du so sicher wärest, es zu erreichen, wie du es nicht bist, wenn du im Auge behältst, was echte Freundschaft verlangt und was du sollst. Was also willst du tun, Titus? Du wirst die ungeziemende Liebe verlassen, wenn du entschlossen bist, das zu tun, was sich ziemt.«

Dann jedoch dachte er wieder an Sophronia, und plötzlich umgewandelt, verwarf er nun alles, was er eben gesagt hatte, und sprach: »Das Gesetz der Liebe ist von größerer Gewalt als irgendein anderes. Es bricht nicht nur das der Freundschaft, sondern selbst das göttliche Gebot. Wie oft hat der Vater die eigene Tochter geliebt, der Bruder die Schwester, die Stiefmutter den Stiefsohn – alles Dinge, die weit unnatürlicher sind, als daß ein Freund des Freundes Frau liebe, wie es schon tausendmal geschehen ist. Überdies bin ich jung, und die Jugend ist dem Gesetz der Liebe ganz unterworfen. Was also der Liebe gefällt, das muß auch mir gefallen. Ehrbarkeit gebührt den reiferen Jahren. Ich kann nichts wollen, als was die Liebe will. Ihre Schönheit verdient es, von jedem geliebt und bewundert zu werden, und wenn ich nun, der ich jung bin, sie liebe, wer kann mich mit Recht deshalb tadeln? Nicht deshalb liebe ich sie ja, weil sie Gisippus gehört, nein, ich liebe sie, weil ich sie liebte, wem immer sie auch angehören möchte. Hier trägt das Schicksal die Schuld, welches sie dem Gisippus, meinem Freunde, statt einem andern verliehen hat. Und wenn sie Liebe erwecken muß, und ihrer Schönheit wegen muß sie es notwendig, so sollte Gisippus ja mehr erfreut sein, wenn er erfährt, daß ich sie liebe, als daß ein anderer es täte.«

Von diesen Trugschlüssen kehrte er dann wieder, indem er sich selbst verspottete, zu deren Gegenteil zurück, von diesem wieder zu jenen, von jenen zu diesem, und brachte so nicht nur diesen Tag und die folgende Nacht hin, sondern noch viele andere, bis er Appetit und Schlaf verlor und vor Entkräftung auf das Lager niedergeworfen wurde.

[794] Gisippus, der ihn mehrere Tage lang gedankenvoll angesehen hatte und ihn jetzt krank sah, ward darüber sehr traurig und bemühte sich mit jeglicher Kunst und Sorge, ohne je von seiner Seite zu weichen, ihm Trost zuzusprechen, während er ihn oft und mit Nachdruck bat, ihm die Ursache seiner Sorge und Krankheit zu entdecken. Titus hatte ihm schon öfter allerlei Fabeleien zur Antwort gegeben, doch da Gisippus diese für das erkannt hatte, was sie waren, und Titus immer noch von ihm mit Bitten bestürmt ward, so antwortete er ihm endlich unter Tränen und Seufzern in dieser Weise:

»Gisippus, hätte es den Göttern gefallen, so wäre mir der Tod freilich willkommener gewesen als das Weiterleben, wenn ich bedenke, daß das Schicksal mich in eine Lage gebracht hat, wo ich meine Tugend hätte bewähren sollen und wo ich sie nun zu meiner großen Scham besiegt finde. Doch fürwahr, ich erwarte nun bald den Lohn dafür, der mir gebührt, den Tod, der mir teurer sein soll als ein Leben im Bewußtsein meiner Schmach, welche ich dir, dem ich nichts verbergen kann und soll, nicht ohne tiefes Erröten entdecken werde.« Und indem er von Anfang an begann, vertraute er ihm die Ursache seiner Gedanken an und ihren Kampf und endlich, welchen der Sieg geblieben sei und wie er vor Liebe zu Sophronia vergehe. Dem fügte er hinzu, daß er sich, bewußt, wie unziemlich dies alles sei, als Buße den Tod gewählt habe und dieses Ziel nun gar bald zu erreichen glaube und hoffe.

Als Gisippus dies hörte und seine Tränen fließen sah, blieb er einen Augenblick nachdenklich, da auch er von der Anmut der schönen Jungfrau, obgleich viel mäßiger, gefesselt war. Doch alsbald erkannte er, daß das Leben seines Freundes ihm teurer als Sophronia sein müsse, und von dessen Tränen ebenfalls zu Tränen bewegt, antwortet er ihm weinend: »Titus, wärest du nicht des Trostes so bedürftig, wie du es bist, so beklagte ich mich bei dir über dich selbst als über einen, der unsere Freundschaft verletzt hat, indem du mir so lange deine gewaltsame Leidenschaft verborgen hieltest. Und schien sie dir auch ungeziemend, so ist doch das Ungeziemende dem Freunde ebensowenig zu verbergen wie das Geziemende; denn so wie der Freund sich am Schicklichen mit dem Freunde erfreut, soll [795] er sich auch bemühen, das Unschickliche aus der Seele des Freundes zu entfernen. Doch ich schweige davon und komme zu dem, was, wie ich erkenne, jetzt mehr not tut. Daß du Sophronia, die mir verlobt ist, glühend liebst, darüber wundere ich mich nicht. Vielmehr wunderte ich mich, wenn dem nicht so wäre, da ich sowohl ihre Schönheit als auch den Adel deiner Seele kenne, die einer glühenden Leidenschaft um so fähiger ist, je mehr Vortrefflichkeit der bewunderte Gegenstand in sich schließt. Mit so vielem Recht du also Sophronia liebst, mit ebenso großem Unrecht beklagst du dich, wiewohl du es nicht aussprichst, über das Schicksal, das sie mir bewilligt hat, indem es dir scheint, deine Liebe zu ihr wäre mit der Ehre vereinbar gewesen, wenn sie einem andern als mir angehört hätte. Allein, wenn du verständig bist, wie du zu sein pflegst, so sage mir: wem hätte das Glück sie denn eher gewähren können, daß du ihm zu Dank verpflichtet wärest, als mir? Jeder andere, der sie von ihm empfangen hätte, hätte sie, wie ehrenhaft deine Liebe auch gewesen wäre, mehr für sich als für dich geliebt. Von mir aber darfst du dies, wenn du mich wirklich so für deinen Freund hältst, wie ich es bin, nicht fürchten, und zwar aus dem Grunde, daß ich mich nicht erinnere, solange wir Freunde sind, je etwas besessen zu haben, was nicht so gut dein wie mein gewesen wäre. Wäre die Verbindung schon so weit gediehen gewesen, daß es nicht mehr anders sein könnte, so hätte ich dies auch hiermit getan wie mit jedem andern Gut. Aber noch steht die Sache ja innerhalb solcher Grenzen, daß ich dich zu Sophronias alleinigem Besitzer machen kann, und so will ich es tun.

Ich wüßte ja nicht, was meine Freundschaft dir wert sein könnte, wenn ich in einer Angelegenheit, die sich ehrenvoll ins Werk setzen läßt, nicht dein Verlangen zu dem meinigen zu machen verstände. Es ist wahr, Sophronia ist meine Braut, und ich liebte sie sehr und erwartete mit großer Freude unsere Hochzeit. Allein, da du hierin viel einsichtiger als ich und mit größerer Begierde einen so seltenen Gegenstand, wie sie einer ist, begehrst, so sei sicher, daß sie nicht als meine, sondern als deine Frau in meine Kammer kom men wird. Darum laß das Grübeln, verscheuche den Trübsinn, rufe die verlorene Gesundheit, [796] den Trost und die Heiterkeit zurück und erwarte von diesem Augenblicke an den Lohn, dessen deine Liebe viel würdiger ist, als die meine es war.«

Da Titus den Gisippus so reden hörte, machte ihn, soviel die schmeichelnde Hoffnung darin ihm auch Freude gewährte, die pflichtmäßige Überlegung doch schamrot, indem sie ihm vorhielt, je größer die Großmut des Gisippus sei, desto größer erschiene auch bei ihm die Unziemlichkeit, sie anzunehmen. Darum hörte er mit seinen Tränen nicht auf und antwortete ihm mit Mühe also: »Gisippus, deine großmütige und echte Freundschaft weist mich klar auf das hin, was der meinigen zu tun geziemt. Gott wolle nicht, daß ich diejenige, welche er dir als dem Würdigeren gewährt hat, von dir als die Meinige empfange. Hätte er gefunden, daß sie mir zukäme, so darfst weder du noch sonst jemand glauben, daß er sie dir bewilligt hätte. Genieße also froh die Frucht deiner Wahl, des verständigen Rates deiner Freunde und der göttlichen Gunst und laß mich in meinen Tränen vergehen, die Gott mir, dem eines solchen Gutes Unwürdigen, bereitet hat. Ich werde sie entweder überwinden, und das wird dir lieb sein, oder sie überwinden mich, und dann bin ich frei von Pein.«

»Titus«, erwiderte Gisippus hierauf, »kann unsere Freundschaft mir ein Recht geben, daß ich dich zwinge, einem meiner Wünsche zu folgen, und kann sie dich bewegen, ihm nachzugeben, so gedenke ich entschieden, sie in diesem Sinne geltend zu machen, und wenn du dich meinen Bitten nicht willig ergibst, so gedenke ich mit derjenigen Gewalt, die wir zum Heil unserer Freunde anwenden dürfen, zu erreichen, daß Sophronia dein wird. Ich kenne die Macht der Liebe und weiß, daß sie nicht einmal, sondern viele Male die Liebenden zu unglücklichem Tode geführt hat, und ich sehe dich diesem so nah, daß du weder umkehren noch deine Tränen besiegen kannst, sondern weiterschreitend besiegt unterliegen mußt, worauf ich dir dann ohne Zweifel bald genug folgte. Liebte ich dich also auch um nichts anderes, so muß mir dein Leben schon um meines Lebens willen teuer sein. Sophronia werde also dein, denn nicht leicht fändest du eine andere, die dir gefiele wie sie. Ich aber kann meine Liebe leicht einer andern zuwenden und habe dann [797] dich und mich beglückt. Ja, vielleicht wäre ich in diesem Stücke nicht so freigebig, wenn die Frauen so selten und so schwierig zu finden wären wie ein Freund, und deshalb, weil ich gar leicht eine andere Gattin, nicht aber einen andern Freund finden kann, so will ich sie lieber – ich sage nicht verlieren, denn ich verliere sie nicht, indem ich sie dir gebe, sondern übertrage sie damit nur meinem andern Selbst, und zwar zu ihrem eignen Besten – dir übertragen als dich verlieren. Darum, wenn meine Bitten irgend etwas über dich vermögen, so beschwöre ich dich, reiße dich von diesem Kummer los, richte dich und mich zugleich wieder auf und schicke dich mit froher Hoffnung an, die Wonne zu empfangen, die deine heiße Liebe zu der Geliebten begehrt.«

Wiewohl Titus sich immer noch schämte, darin einzuwilligen, daß Sophronia seine Frau werde, und deshalb noch eine Zeitlang Widerstand leistete, so zog ihn doch von der einen Seite die Liebe, und von der andern trieb ihn das Zureden des Gisippus, so daß er endlich sprach: »Sieh, Gisippus, ich weiß nicht, ob ich sagen soll, daß ich mehr meinen oder mehr deinen Wunsch erfülle, indem ich tue, was dir, wie du mir unter Bitten versicherst, so sehr gefällt, und da deine Großmut von der Art ist, daß sie selbst meine schuldige Scham überwindet, so will ich es tun. Aber davon sei überzeugt, daß ich es nicht tue wie jemand, der nicht wüßte, daß er damit von dir nicht nur die Geliebte, sondern das Leben selbst wiederempfängt. Mögen die Götter mir gewähren, wenn es sein kann, daß ich dich noch einst gebührend ehren und dir zu deinem Heil beweisen könne, wie teuer mir ist, was du für mich, mitleidiger mit mir als ich selbst, getan hast.«

Nach diesen Worten sagte Gisippus: »Titus, wenn wir wollen, daß diese Sache Wirklichkeit wird, so scheint es mir, daß nur der folgende Weg einzuschlagen ist. Wie du weißt, ist Sophronia nach langen Verhandlungen meiner Verwandten und der ihrigen meine Braut geworden. Wenn ich daher jetzt aufträte und sagte, ich wollte sie nicht zur Frau, so entspränge daraus ein großes Ärgernis, und ich brächte ihre und meine Angehörigen dadurch auf. Daraus machte ich mir nun zwar wenig, wenn ich sie deshalb nur sicher die Deinige werden sähe. [798] Allein ich fürchte, wenn ich sie jetzt im Stiche ließe, daß ihre Verwandten sie gar bald einem andern geben möchten, welcher andere du vielleicht nicht wärest, und so hättest du dann verloren, was ich nicht gewonnen hätte. Darum scheint mir das beste, wenn du damit zufrieden bist, daß ich in dem fortfahre, was ich begonnen habe, sie als die Meinige nach Hause führe, die Hochzeit halte, du aber alsdann heimlich, wie wir das schon einrichten wollen, mit ihr als deiner Frau schlafen gehst. Später, wenn Zeit und Ort günstig sind, machen wir dann die Sache bekannt. Ist es ihnen dann recht, so ist es gut, wo nicht, so ist es doch geschehen, und da es nicht ungeschehen zu machen ist, so werden sie endlich damit zufrieden sein müssen.«

Dem Titus gefiel dieser Rat vollkommen. Gisippus empfing daher Sophronia als die Seinige in seinem Hause, nachdem Titus inzwischen wiederhergestellt und wohlauf war. Groß waren die Festlichkeiten, und als die Nacht herankam, verließen die Frauen die Neuvermählte im Bett ihres Gemahls und gingen fort. Das Gemach des Titus stieß an das des Gisippus, und man konnte von dem einen in das andere gelangen. Sobald daher Gisippus jedes Licht ausgelöscht hatte, schlich er sich heimlich zu Titus und forderte diesen nun auf, er solle sich zu seiner Geliebten legen. Als Titus dies sah, wollte er, von Scham besiegt, alles rückgängig machen und weigerte sich zu gehen. Doch Gisippus, der mit ganzer Seele so gut wie mit Worten bereit war, den Wunsch des Titus zu erfüllen, bewog ihn nach langem Kampfe zu gehen. Als dieser nun zu ihr ins Bett kam, umarmte er die Jungfrau und fragte sie wie scherzend leise, ob sie seine Frau sein wolle. Sie, die ihn für Gisippus hielt, bejahte, worauf er, ihr einen schönen und kostbaren Ring an den Finger steckend, sprach: »Und ich will dein Mann sein.« Dann vollzog er mit ihr die Ehe und erfreute sich ihrer lange in Liebe, ohne daß sie oder sonst jemand je bemerkt hätte, daß ein anderer als Gisippus bei ihr lag.

Während es nun um die Ehe von Sophronia und Titus also stand, schied Publius, sein Vater, aus diesem Leben. Man schrieb ihm daher, daß er ohne Säumen zurückkehren möge, um seine Angelegenheiten in Rom zu ordnen, weshalb er denn mit Gisippus übereinkam, daß er reisen und Sophronia mit sich nehmen [799] wolle. Dies aber sollte und konnte füglich nicht geschehen, ohne ihr zu offenbaren, wie die Sache stand. Deshalb riefen denn beide sie eines Tages in ihr Gemach und entdeckten ihr offen, wie sich alles verhielt, indem Titus ihr dies durch viele kleine Begebenheiten, die sich zwischen ihm und ihr zugetragen hatten, überzeugend nachwies.

Sophronia begann, nachdem sie den einen wie den andern vorwurfsvoll angeblickt hatte, zu weinen, indem sie bei sich selbst die von Gisippus ausgegangene Täuschung beklagte, und ohne in seinem Hause ein Wort davon zu sagen, begab sie sich ins Haus ihres Vaters und erzählte ihm und der Mutter den Betrug, welchen Gisippus ihr und ihnen gespielt, durch den sie des Titus und nicht, wie sie bis dahin geglaubt hatte, des Gisippus Gemahlin sei. Ihr Vater fühlte sich durch das Geschehene sehr verletzt und begann nun mit seinen Verwandten gegen die des Gisippus lange und gewaltige Beschwerde zu führen, woraus denn großer und vielfacher Verdruß und vielfache Händel entstanden. Gisippus ward seinen und den Angehörigen Sophronias verhaßt, und jeder sagte, er habe nicht nur Tadel, sondern harte Strafe verdient. Er dagegen behauptete, er habe etwas durchaus Ehrenhaftes getan und Sophronias Verwandte müßten ihm vielmehr Dank wissen, daß er sie mit einem besseren Gemahl vermählt habe, als er selbst sei.

Auf der andern Seite hörte Titus dies alles wieder und litt sehr darunter. Da er aber wußte, es sei die Art der Griechen, sich so lange mit Lärmen und Drohungen breitzumachen, bis sie einen gefunden hätten, der ihnen antwortete, dann aber nicht allein demütig, sondern sogar kriechend würden, so meinte er, daß ihr Gerede nicht länger ohne Antwort zu ertragen sei. Da er nun von römischem Mute und athenischer Klugheit war, so ließ er auf geschickte Weise die Verwandten des Gisippus und die der Sophronia in einem Tempel zusammenkommen und trat hier, nur von Gisippus begleitet, mitten unter sie und sprach zu den Harrenden: »Gar viele Weltweise glauben, daß alles, was von den Sterblichen vollbracht wird, Vorsehung und Bestimmung der unsterblichen Götter sei. Deshalb wollen denn auch einige, daß alles, was wir tun oder jemals tun werden, notwendig sei, wiewohl einige andere der Meinung sind, diese [800] Notwendigkeit komme nur dem wirklich Geschehenen zu. Wenn wir diese Meinungen bedachtsam erwägen, so erkennen wir deutlich genug, daß das Tadeln eines Ereignisses, welches nicht mehr ungeschehen zu machen ist, nichts anderes heißt, als den Göttern an Weisheit überlegen sein zu wollen, von denen wir doch glauben müssen, daß sie mit ewiger Einsicht und ohne irgendeinen Irrtum über uns und unsere Dinge verfügen und sie leiten. Hieraus könnt ihr leicht ersehen, welche törichte und einfältige Anmaßung es ist, ihre Werke zu tadeln, und zugleich, welche Ketten diejenigen verdienen, die sich von ihrem Übermut so weit hinreißen lassen. Zu diesen aber gehört ihr meiner Meinung nach alle, wenn ihr, wie ich höre, dagegen geredet habt und noch redet, daß Sophronia mein Weib geworden ist, während ihr sie dem Gisippus bewilligt hattet, ohne Rücksicht darauf, daß es von Ewigkeit an bestimmt war, daß sie nicht des Gisippus, sondern mein werde, wie sich jetzt daraus, daß es so geschehen ist, deutlich ergibt.

Doch da das Reden von der geheimen Anordnung und Absicht der Götter vielen dunkel und schwer zu verstehen scheint, so will ich einen Augenblick annehmen, daß sie sich um keine unserer Angelegenheiten kümmern, und mich auf die Entschließungen der Menschen beschränken, wiewohl ich, indem ich hiervon spreche, zweierlei tun muß, was meinen Gewohnheiten sehr entgegen ist. Das eine ist, daß ich mich selbst ein wenig loben, das zweite, daß ich andere tadeln oder herabsetzen muß. Doch da ich mich beim einen so wenig wie beim andern von der Wahrheit zu entfernen gedenke und der gegenwärtige Fall es erfordert, so will ich es tun.

Eure Klagen, mehr von blinder Wut als von Überlegung eingegeben, tadeln mit beständigem Murren, ja mit Lärmen den Gisippus, schwärzen ihn an und verdammen ihn, weil er mir durch seinen Beschluß die zur Gattin gegeben hat, welche ihr durch den eurigen ihm gegeben hattet, während ich meine, daß er deshalb aufs höchste zu loben sei, und zwar aus folgenden Gründen: zuerst, weil er damit getan hat, was ein Freund tun muß, und zweitens, weil er viel verständiger gehandelt hat als ihr. Was die heiligen Gesetze der Freundschaft fordern, daß ein Freund für den andern tue, will ich euch jetzt nicht [801] auseinandersetzen. Ich begnüge mich, euch daran zu erinnern, daß das Band der Freundschaft enger verbindet als das des Blutes oder der Schwägerschaft; denn die Freunde haben wir, wie wir sie uns wählen, die Verwandten aber, wie das Glück sie uns gibt. Wenn daher Gisippus mein Leben höher anschlug als euer Wohlwollen, so darf sich niemand darüber wundern, da ich sein Freund bin, wie ich mich dafür halte.

Doch kommen wir zu dem zweiten Grund, bei dem ich euch mit mehr Nachdruck werde zeigen müssen, daß er weiser war als ihr; denn von der göttlichen Vorsehung scheint ihr mir freilich nichts und von den Wirkungen der Freundschaft noch viel weniger zu verstehen. Es war eure Berechnung, euer Ratschluß und eure Abrede, welche Sophronia dem Gisippus übergab, einem Jüngling und Weltweisen, und es war des Gisippus Ratschluß, der sie gleichfalls einem Jüngling und Philosophen übergab. Euer Beschluß gab sie einem Athener, der des Gisippus einem Römer; der eurige einem edlen Jüngling, der des Gisippus einem noch edleren; der eurige einem reichen jungen Mann, der des Gisippus einem sehr reichen; der eurige einem Jüngling, der sie wenig liebte und kaum kannte, der des Gisippus einem jungen Mann, welcher sie mehr als jedes Glück, ja mehr als sein eigenes Leben liebte.

Doch laßt uns im einzelnen betrachten, ob das, was ich sage, wahr und also mehr zu loben ist, als was ihr getan hattet. Daß ich jung und ein Philosoph bin wie Gisippus, können mein Aussehen und meine Studien, ohne weiter davon lange zu reden, erweisen. Wir sind gleichen Alters und mit gleichen Schritten immer in den Studien fortgeschritten. Es ist wahr: er ist Athener, und ich bin ein Römer. Wenn indes über den Ruhm der Vaterstadt gestritten werden soll, so werde ich anführen, daß ich aus einer freien Stadt stamme, er aber aus einer zinspflichtigen, werde erwähnen, daß ich aus einer Stadt bin, welche die Beherrscherin der Welt ist, er aus einer, die der meinigen gehorcht, werde daran erinnern, daß ich aus einer Stadt komme, welche durch Waffenruhm, Herrschaft und Weisheit blüht, während er die seinige nur wegen ihrer Wissenschaften rühmen kann. Überdies aber stamme ich, wenn ihr mich hier auch als einen ziemlich demütigen Schüler erblickt, [802] keineswegs aus der Hefe des römischen Volkes. Mein Haus und die öffentlichen Plätze Roms sind voll von alten Bildsäulen meiner Ahnen, und die römischen Annalen finden sich mit Triumphzügen gefüllt, welche die Quinctier auf das römische Kapitol führten. Auch ist der Ruhm unseres Namens nicht etwa durch das Alter eingerostet, sondern blüht heute mehr denn je. Ich schweige aus Scham von meinen Reichtümern, indem ich eingedenk bin, daß eine ehrenvolle Armut ein ebenso altes wie glänzendes Erbgut der edlen Bürger Roms ist. Wird diese Armut aber von der Meinung des Pöbels verworfen und werden die Schätze gerühmt, so habe ich deren nicht wie ein Habsüchtiger, sondern wie ein vom Glück Geliebter im Überfluß.

Wohl erkenne ich, daß es euch wert war, und so mußte es und muß es sein, den Gisippus hier als Verwandten zu haben; allein aus keinem Grunde darf ich in Rom euch minder wert sein, wenn ihr erwägt, daß ihr in mir einen trefflichen Gastfreund, einen nützlichen, eifrigen und mächtigen Beschützer nicht nur in den öffentlichen Angelegenheiten, sondern auch für eure besonderen Bedürfnisse dort haben werdet. Wer also, wenn er von Vorurteilen absieht und verständig überlegt, wird euren Entschluß mehr loben können als den meines Gisippus? Gewiß niemand! So ist denn Sophronia wohl vermählt an Titus Quinctius Fulvus, einen edlen, ahnenreichen und vermögenden Bürger von Rom und einen Freund eures Gisippus, und wer sich darüber beklagt oder wen es verdrießt, der tut nicht, was er soll, und weiß nicht, was er tut.

Vielleicht werden einige behaupten, nicht darüber klage Sophronia, daß sie die Gattin des Titus sei, sondern nur über die Art, wie sie seine Gemahlin geworden, heimlich, verstohlen, ohne daß Freunde oder Verwandte etwas davon gewußt hätten. Doch ist dies weder etwas Wunderbares, noch etwas, das zum ersten Male geschähe. Gern übergehe ich alle die, welche gegen den Willen ihrer Väter Männer nahmen; alle die, welche mit ihren Geliebten entflohen und früher Bettgenossinnen als Ehefrauen waren; alle, die früher durch Schwangerschaft und Entbindung als durch die Zunge ihre Ehe offenbarten, welche die Not gutzuheißen zwang. Dies alles ist mit Sophronia nicht [803] geschehen, vielmehr ist sie in ordentlicher, überlegter und ehrbarer Weise von Gisippus dem Titus übergeben worden.

Vielleicht wenden andere ein, dann habe sie jemand vermählt, dem es nicht zukam, sie zu vermählen. Doch dies sind törichte und weibische Klagen, die nur aus geringem Nachdenken entspringen können. Bedient sich denn das Schicksal nicht oft neuer Wege und neuer Werkzeuge, um die Dinge zu dem von ihm bestimmten Ausgang zu führen? Was habe ich mich darum zu kümmern, ob statt eines Philosophen ein Schuster über eine meiner Angelegenheiten heimlich oder öffentlich verfügt hat, wenn nur das Ende gut ist? Nur davor habe ich mich zu hüten, wenn der Schuster nicht verständig ist, daß er dergleichen je wieder tun könne; für das Geschehene aber muß ich ihm danken. Hat nun Gisippus die Sophronia wohl vermählt, so ist das Schelten über die Art und Weise und über ihn eine überflüssige Torheit. Traut ihr seinem Verstande nicht, so hütet euch in Zukunft, daß er die Eurigen nicht mehr vermählen könne; aber für diesmal habt ihr ihm zu danken.

Überdies müßt ihr wissen, daß ich weder durch List noch durch Trug versucht habe, die Ehre und Reinheit eures Blutes in Sophronias Person zu beflecken. Wiewohl ich sie heimlich zur Frau nahm, benahm ich mich doch nicht als ein Räuber ihrer Jungfräulichkeit, noch wollte ich als Feind sie auf eine minder ehrbare Art vorübergehend gewinnen, indem ich es verschmäht hätte, mich euch dauernd zu verschwägern. Heftig entflammt von ihrer hohen Schönheit und von ihrer Tugend sah ich wohl ein, daß ich sie, wenn ich versucht hätte, sie auf die Weise zu gewinnen, die euch allein geziemend dünkt, nicht von euch bekommen hätte, weil ihr besorgt gewesen wäret, daß ich sie, die ihr liebt, nach Rom führen möchte. Ich bediente mich also des heimlichen Kunstgriffs, der euch jetzt bekannt sein mag, und bewog den Gisippus, in das, was er selbst zu tun nicht gesonnen war, in meinem Namen einzuwilligen. Danach aber, so heftig ich sie auch liebte, habe ich doch nicht als Liebhaber, sondern als Gemahl ihre Umarmungen begehrt, indem ich mich ihr nicht eher näherte, wie sie selbst wahrhaftig bezeugen kann, als bis ich sie mir mit gebührenden Worten und mit dem Ringe vermählt hatte, wobei ich sie fragte, ob [804] sie mich zum Manne wolle, und sie mir ja antwortete. Dünkt sie sich dennoch getäuscht, so bin nicht ich deshalb zu tadeln, sondern sie selbst, daß sie mich nicht fragte, wer ich sei.

Dies ist nun das große Übel, die große Sünde, das große Unrecht, das von Gisippus als dem Freunde und von mir als dem Liebenden begangen wurde, daß Sophronia heimlich des Titus Quinctius Gattin geworden ist; und deswegen verleumdet ihr Gisippus, droht ihm und stellt ihm nach. Und was könntet ihr mehr tun, wenn er sie einem Schuft, einem Elenden oder einem Sklaven gegeben hätte? Welche Ketten, welcher Kerker und welches Kreuz genügten euch dann? Doch lassen wir das jetzt. Die Zeit, die ich noch nicht erwartete, ist gekommen; mein Vater ist gestorben, und ich muß nach Rom zurück. Da ich nun Sophronia mit mir nehmen will, so habe ich euch entdeckt, was ich euch sonst vielleicht noch verborgen hätte. Seid ihr klug, so werdet ihr dies froh hinnehmen; denn hätte ich euch betrügen oder beschimpfen wollen, so konnte ich sie euch ja entehrt zurücklassen. Aber das wolle Gott nicht, daß je in einer römischen Brust solche Verworfenheit wohnen könnte.

Sie also, Sophronia, ist mit der Einwilligung der Götter, durch die Kraft irdischer Gesetze, durch die lobenswerte Klugheit meines Gisippus und durch meine liebende List die Meinige geworden. Dies verdammt ihr nun, vielleicht weil ihr euch für weiser haltet als andere Menschen, töricht genug auf zweierlei Weise, deren jede mir widerwärtig ist; zuerst, indem ihr Sophronia zurückhaltet, auf die ihr weiter kein Recht habt als das, welches ich euch einräume, und zweitens, indem ihr den Gisippus, dem ihr zu hohem Dank verpflichtet seid, wie einen Feind behandelt. Wie töricht ihr an beidem tut, das will ich euch jetzt nicht weiter auseinandersetzen; nur als Freunden will ich euch raten, euren Zorn abzulegen, euren Unwillen zu begraben und mir Sophronia zurückzugeben, damit ich froh als euer Verwandter scheide und als der eurige leben kann. Denn dessen seid gewiß, mag euch nun gefallen oder nicht, was geschehen ist: wenn ihr anders zu handeln gedenkt, so nehme ich den Gisippus mit mir, und wahrlich, sobald ich nach Rom gelange, will ich, euch allen zum Trotz, schon die zurückerhalten, [805] welche rechtmäßig die Meine ist. Durch die Erfahrung will ich euch dann belehren, was der Zorn einer römischen Seele vermag, indem ich für alle Zeit euer Feind bin.«

Nachdem Titus so gesprochen hatte, erhob er sich mit zorniger Miene, ergriff den Gisippus bei der Hand, und indem er zu erkennen gab, wie wenig er sich aus all denen machte, die im Tempel waren, verließ er denselben mit erhobenem Haupt und drohender Gebärde.

Die, welche darin zurückgeblieben waren, erachteten nun einmütig, teils durch die von Titus vorgebrachten Gründe zu seiner Verwandtschaft und Freundschaft hingezogen, teils von seinen letzten Worten erschreckt, daß es besser sei, den Titus als Schwager anzunehmen, da Gisippus es nicht habe sein wollen, als den Gisippus als Schwager verloren und den Titus zum Feind gewonnen zu haben. Deshalb eilten sie, den Titus wieder aufzusuchen und ihm zu sagen, es sei ihnen genehm, daß Sophronia die Seine sei, und sie wollten hinfort sowohl ihn für ihren werten Verwandten, als den Gisippus für ihren guten Freund ansehen. Hierauf begrüßten sie sich mit aller Herzlichkeit wechselseitig als Verwandte und Freunde, und wieder heimgekehrt, sandten Sophronias Verwandte ihm diese zurück. Klug wie sie war, machte sie aus der Not eine Tugend und übertrug die Liebe, die sie für Gisippus empfunden hatte, bald auf Titus, ging mit ihm nach Rom und wurde hier mit großen Ehren empfangen.

Gisippus blieb indessen in Athen zurück. Allein, fast von allen gering geachtet, ward er nicht lange darauf durch gewisse Zwistigkeiten unter der Bürgerschaft mit allen Angehörigen seines Hauses arm und elend aus Athen verjagt und zu ewiger Verbannung verurteilt. In diesem Zustande, und nicht bloß arm, sondern zum Bettler geworden, schleppte sich Gisippus nach Rom, so gut er's vermochte, um zu versuchen, ob Titus sich seiner noch erinnerte. Nachdem er erfahren hatte, daß jener noch lebe und bei allen Römern in großem Ansehen stehe, erforschte er sein Haus, stellte sich vor dasselbe hin und harrte so lange, bis Titus herauskam. Bei dem Elend, in dem er sich befand, wagte er es nicht, ihn anzureden, sondern sann darauf, sich ihm bemerklich zu machen, damit Titus ihn erkenne [806] und alsdann herbeirufen lasse. Doch Titus ging vorüber, und da Gisippus glaubte, er habe ihn gesehen und schäme sich seiner, so eilte er, in der Erinnerung an das, was er einst für ihn getan hatte, von Unwillen und Verzweiflung ergriffen, von dannen.

Es war bereits Nacht geworden, und während er noch nüchtern, ohne Geld und ohne zu wissen wohin, vor allem nach dem Tode verlangend, umherirrte, geriet er in eine sehr wüste Gegend der Stadt. Hier erblickte er eine weite Grotte und trat in diese ein, um hier die Nacht zuzubringen. Übel bekleidet wie er war, warf er sich auf die nackte Erde nieder und verfiel endlich, vom langen Weinen erschöpft, in Schlaf.

Zu dieser Grotte kamen am frühen Morgen zwei Menschen, die nachts auf Diebstahl ausgewesen waren, mit dem gestohlenen Gut. Sie gerieten in Streit, und der eine, welcher der Stärkere war, erschlug den andern und entfloh. Dies alles hatte Gisippus mit angehört und gesehen, und er glaubte, nun zu dem Tod, den er so sehr begehrte, den Weg gefunden zu haben, ohne sich selbst töten zu müssen. Deshalb blieb er, ohne sich zu entfernen, so lange an dem Orte, bis die Schergen des Gerichts, die schon von diesem Vorfall gehört hatten, herbeikamen und den Gisippus gefangen ungestüm hinwegführten. Beim Verhör gestand er, daß er diesen Menschen getötet und nicht vermocht habe, aus der Grotte zu entfliehen. Deshalb gebot denn der Prätor, welcher Marcus Varro hieß, daß Gisippus, wie es damals Brauch war, am Kreuze sterben solle.

Zufällig war Titus zu dieser Stunde auf das Prätorium gekommen, blickte dem unglücklichen Verurteilten ins Gesicht, vernahm das Warum seiner Verurteilung und erkannte ihn plötzlich als Gisippus, nicht minder über dessen elendes Geschick als darüber erstaunt, wie er hierhergekommen sein könne. Von Verlangen ergriffen, ihn zu retten, und ohne einen andern Weg zu seinem Heil zu wissen, als wenn er sich selbst anklagte, um ihn von der Anklage zu befreien, trat er hervor und sagte laut: »Marcus Varro, rufe den armen Mann zurück, den du verurteilt hast, denn er ist schuldlos. Ich habe die Götter durch eine Schuld genug beleidigt, indem ich den erschlug, den deine Schergen heute morgen getötet fanden, und will sie jetzt [807] nicht zum zweitenmal durch den Tod eines andern Unschuldigen beleidigen.«

Varro erstaunte und war unzufrieden, daß das ganze Prätorium dies vernommen hatte. Doch da er nun mit Ehren nicht umhin konnte, zu tun, was die Gesetze vorschrieben, ließ er den Gisippus zurückkommen und sprach in Gegenwart des Titus zu ihm: »Wie warst du, ohne daß dir irgendein Zwang angetan wurde, so töricht, zu bekennen, was du nicht getan hast, wobei doch dein Leben auf dem Spiele stand? Du behauptest, der gewesen zu sein, welcher in der vergangenen Nacht jenen Menschen erschlug, und jetzt kommt dieser her und versichert, daß nicht du, sondern er ihn getötet hat.«

Gisippus blickte auf, sah, daß es Titus war, und erkannte gar wohl, er tue dies, um ihn zu retten und aus Dankbarkeit für den ihm einst erwiesenen Dienst. Weinend vor Rührung sprach er daher: »Varro, fürwahr ich tötete ihn, und des Titus Mitleid kommt für meine Rettung jetzt zu spät.« Von der andern Seite entgegnete Titus: »Prätor, wie du siehst, ist dieser ein Fremdling, der ohne Waffen an der Seite des Ermordeten gefunden wurde, und leicht kannst du erkennen, daß sein Elend ihm Anlaß gab, den Tod zu begehren. Darum laß ihn frei und strafe mich, der ich es verdient habe.«

Varro wunderte sich über die Hartnäckigkeit der beiden Männer und ahnte jetzt wohl, daß keiner von ihnen der Schuldige war. Während er noch über die Art nachdachte, wie beide loszusprechen seien, siehe, da trat ein Jüngling hervor, Publius Ambustus genannt, ein aufgegebener und allen Römern als Räuber bekannter Mensch. Dieser hatte in der Tat den Mord begangen, und da er wußte, daß keiner von jenen beiden der Tat schuldig sei, deren er sich bezichtigte, so kam eine solche Rührung über deren Unschuld in sein Herz, daß er, von Mitleid tief bewegt, vor Varro hintrat und also sprach: »Prätor, mein Geschick ruft mich herbei, um die schwere Streitfrage zwischen diesen beiden zu lösen. Ich weiß nicht, welch ein Gott mich innerlich stachelt und antreibt, dir meine Schuld zu bekennen, und darum wisse denn, daß keiner von beiden dessen schuldig ist, wessen jeder sich selbst anklagt. Ich bin in der Tat der, welcher jenen Menschen heute früh bei Tagesanbruch [808] erschlug, und diesen Unglücklichen, der hier steht, sah ich dort schlafend, während ich das gestohlene Gut mit dem teilte, den ich nachher ermordete. Titus aber braucht nicht erst von mir gerechtfertigt zu werden. Sein makelloser Ruf bekundet hinlänglich, daß er nicht der Mann ist, um dergleichen zu tun. Darum laß beide frei und verhänge über mich die Strafe, welche die Gesetze befehlen.«

Oktavian hatte bereits von dieser Sache gehört. Er ließ daher alle drei vor sich kommen und wollte die Ursache wissen, weshalb jeder der Verurteilte sein wollte. Alle erzählten sie ihm, und Oktavian ließ darauf die beiden frei, weil sie unschuldig waren, und den dritten ihnen zuliebe. Nun nahm Titus seinen Gisippus bei der Hand, und nachdem er ihn zuvor wegen seiner Lauheit und seines Mißtrauens gar sehr getadelt hatte, bezeigte er ihm unaussprechliche Freude und führte ihn in sein Haus, wo Sophronia ihn mit Tränen der Rührung wie einen Bruder empfing. Nachdem er ihn hier wieder einigermaßen erquickt, bekleidet und ausgestattet hatte, wie es seinen Tugenden und seinem Adel zukam, teilte er zuerst alle seine Schätze und jede seiner Besitzungen mit ihm und gab ihm dann eine seiner Schwestern, die noch jung war und Fulvia hieß, zur Gattin. Hierauf aber sprach er: »Gisippus, bei dir steht es nun, ob du hinfort bei mir weilen oder mit all dem, das ich dir geschenkt habe, nach Griechenland zurückkehren willst.« Gisippus, den einerseits das Exil, welches ihn aus seiner Vaterstadt verbannte, andererseits die Liebe bewog, die er mit Recht für die dankbare Freundschaft des Titus empfand, entschloß sich, ein Römer zu werden.

Hier lebten sie nun, er mit seiner Fulvia und Titus mit seiner Sophronia, in einem Hause lange und froh beisammen und wurden mit jedem Tage, wenn anders das noch möglich war, innigere Freunde.


Eine gar heilige Sache ist es also um die Freundschaft, und nicht nur besonderer Achtung würdig ist sie, sondern auch wert, mit ewigem Lobe gepriesen zu werden als verständige Mutter der Großmut und edler Gesinnung, als Schwester der Dankbarkeit und der Nächstenliebe, als des Hasses und des Geizes [809] Feindin, die immer, ohne die Bitten abzuwarten, bereit ist, kräftig für andere das zu tun, was sie wünscht, daß für sie selbst getan werde.

Dafür aber, daß ihre heiligen Wirkungen in unsern Tagen selten in zwei Menschen entdeckt werden, fallen Schuld und Schmach auf die elende Habgier der Menschen, welche, indem sie nur auf den eigenen Vorteil sieht, jene über die äußersten Grenzen der Erde hinaus in ewige Verbannung gewiesen hat. Welche Liebe, welche Reichtümer, welche Verwandtschaft hätten die Glut, die Tränen und Seufzer des Titus so wirksam im Herzen des Gisippus widertönen lassen, daß er darum seine schöne, edle und von ihm selbst geliebte Braut zu der des Titus gemacht hätte, wenn nicht sie, die Freundschaft, es getan? Welche Gesetze, welche Drohungen und welche Furcht hätten die jugendlichen Arme des Gisippus an einsamen und dunklen Orten, ja im eigenen Bett davon abgehalten, die junge Schöne zu umschlingen, welche ihn vielleicht selbst gelegentlich dazu einlud, wäre nicht die Freundschaft gewesen? Welcher äußere Glanz, welche Belohnung, welcher Vorteil hätten es den Gisippus gering achten lassen, seine eigenen Verwandten und die Sophronias zu verlieren, hätten ihn bewogen, das verletzende Murren des Volkes zu überhören, Hohn und Spott aller zu verachten, nur um dem Freund genugzutun, als eben sie?

Und auf der andern Seite, wer hätte den Titus bereit gemacht, den eigenen Tod zu suchen, obwohl er sich gut so stellen konnte, als sehe er nichts, um Gisippus vom Kreuze, das er sich selbst bereitete, zu retten, hätte sie es nicht getan? Wer hätte den Titus ohne jedes Zögern so freigebig gemacht, sein großes Erbe mit Gisippus zu teilen, dem das Schicksal seines geraubt hatte, als nur sie? Und wer endlich hätte den Titus ohne alles Bedenken dazu gebracht, die Verbindung des Gisippus mit seiner Schwester eifrig zu betreiben, obwohl er ihn arm und im höchsten Elend fand, als wiederum nur sie?

Mögen die Menschen daher nach der Menge der Genossen, nach zahllosen Brüdern, nach vielen Kindern verlangen, mögen sie mit ihrem Geld die Zahl ihrer Diener vermehren, ohne zu bedenken, daß diese alle, wer sie auch sein mögen, bei der geringsten [810] eigenen Gefahr mehr an sich denken als daran, die großen Gefahren zu beseitigen, die den Vater, den Bruder oder den Herrn bedrohen – während der Freund von diesem allen das Gegenteil tut.

Neunte Geschichte

Saladin wird, als Kaufmann verkleidet, von Herrn Torello geehrt und bewirtet. Der Kreuzzug erfolgt. Herr Torello, der seiner Gattin eine Frist gesetzt hat, nach der sie sich wieder vermählen möge, wird gefangen und dadurch, daß er Falken abrichtet, dem Sultan bekannt. Dieser erkennt ihn wieder, gibt sich ihm zu erkennen und ehrt ihn hoch. Herr Torello wird hierauf krank und durch magische Kunst in einer Nacht nach Pavia versetzt. Hier wird er bei der Hochzeit, die seine Gattin eben feiert, von ihr erkannt und kehrt mit ihr in sein Haus zurück.


Filomena hatte ihre Geschichte beendet, und die großmütige Dankbarkeit des Titus war von allen gelobt worden, als der König, der den letzten Platz dem Dioneo vorbehalten wollte, also zu sprechen anfing:

Schöne Damen, ohne Zweifel hat Filomena in dem, was sie von der Freundschaft sagte, die Wahrheit gesprochen, und mit Recht hat sie am Schluß ihrer Erzählung sich beklagt, daß diese heutzutage den Sterblichen so wenig gilt. Und wären wir hier versammelt, um die Gebrechen der Welt zu bessern oder auch nur, um sie zu tadeln, so setzte ich ihre Worte noch durch eine lange Rede fort. Aber da unser Zweck ein anderer ist, so ist es mir eingefallen, euch in einer Geschichte, die vielleicht etwas lang, aber durchaus erfreulichen Inhalts ist, eine von den großmütigen Handlungen Saladins zu erzählen, damit wir, um der Begebenheit willen, die ihr darin hören werdet, auch wenn wir wegen unserer Mängel die volle Freundschaft eines andern nicht erlangen können, wenigstens deshalb Vergnügen daran finden, andern zu dienen, weil wir hoffen dürfen, daß uns einst, wann es auch sei, der Lohn dafür zuteil werden wird.

[811] Ich sage euch also, daß, wie viele versichern, zur Zeit Kaiser Friedrichs des Ersten von den christlichen Völkern ein allgemeiner Kreuzzug unternommen wurde, um das Heilige Land wiederzuerobern. Dies hatte Saladin, der ein gar tapferer Herr und zu jener Zeit Sultan von Babylon war, einige Zeit vorher vernommen, und er beschloß bei sich, die Zurüstungen der christlichen Herren zu diesem Kreuzzuge mit eigenen Augen zu sehen, um sich desto besser dagegen vorbereiten zu können. Nachdem er daher in Ägypten alle seine Angelegenheiten geordnet hatte, tat er, als ginge er auf eine Pilgerfahrt aus, und machte sich mit zweien seiner vornehmsten und klügsten Männer und nicht mehr als drei Dienern auf den Weg, indem er sich für einen Kaufmann ausgab.

Nachdem er viele christliche Länder so durchstreift hatte und, durch die Lombardei reitend, im Begriff stand, über das Gebirge zu gehen, begab es sich, daß er mit seiner Begleitung auf dem Wege von Mailand nach Pavia, da es schon Abend war, einen edlen Mann traf, dessen Name Herr Torello d'Istra von Pavia war und der mit seiner Dienerschaft, mit Hunden und Falken auf eine seiner schönen Besitzungen hinauszog, welche er am Tessin besaß, um dort zu verweilen. Als Herr Torello die Reisenden erblickte, erachtete er, daß sie edle Männer und Fremde seien, und wünschte ihnen Ehre zu erweisen. Deshalb ließ er, als Saladin einen von Torellos Dienern fragte, wie weit es noch bis Pavia sei und ob sie noch zu rechter Zeit ankommen könnten, um Einlaß zu finden, den Diener nicht antworten, sondern erwiderte selbst: »Ihr Herren, ihr werdet Pavia nicht zu einer Zeit erreichen können, wo ihr dort noch Einlaß fändet.« »So gefalle es Euch«, entgegnete Saladin, »uns, da wir Fremde sind, anzuzeigen, wo wir am besten herbergen können.« »Gern will ich das tun«, erwiderte Herr Torello. »Ich stand soeben im Begriff, einen von diesen meinen Leuten wegen einer Besorgung bis dicht vor Pavia zu schicken. Ich will ihn jetzt mit euch absenden, und er wird euch an einen Ort führen, wo ihr ganz gut aufgehoben sein werdet.« Dann näherte er sich dem verständigsten seiner Diener, befahl ihm, was er zu tun habe, und sandte ihn mit ihnen. Er selbst aber eilte, so schnell er konnte, nach seiner Besitzung, ließ ein schönes [812] Mahl herrichten und die Tische in seinem Garten aufstellen. Als dies geschehen war, trat er an die Tür und erwartete sie.

Der Diener aber ließ sich mit den edlen Männern über mancherlei Dinge in Gespräche ein, führte sie auf allerhand Wegen umher und geleitete sie endlich, ohne daß sie es gewahr wurden, zu der Besitzung seines Herrn. Als Herr Torello sie kommen sah, ging er ihnen zu Fuß entgegen und sagte lächelnd: »Ihr Herren, seid mir sehr willkommen!« Saladin, der gar scharfsinnig war, erriet bald, daß der Ritter gefürchtet hatte, sie würden seine Einladung nicht angenommen haben, wenn er sie aufgefordert hätte, als er sie traf, und daß er sie, damit sie nicht ablehnen könnten, den Abend bei ihm zu verbringen, mit List nach seinem Hause geführt hatte. Nachdem er daher seinen Gruß beantwortet hatte, sprach er: »Herr, wenn man sich über so zuvorkommende Männer beklagen könnte, so hätten wir uns über Euch zu beklagen, der Ihr, abgesehen davon, daß Ihr unsere Reise ein wenig verzögert, uns genötigt habt, eine so große Gefälligkeit wie die Eure anzunehmen, ohne daß wir Euer Wohlwohlen anders als durch einen einfachen Gruß hätten verdienen können.«

Der Ritter, ein kluger und wohlberedter Mann, erwiderte: »Ihr Herren, die Artigkeit, die ihr von uns empfanget, wird im Vergleich zu dem, was euch gebührt und was ich an eurem Äußeren erkenne, nur eine sehr geringe sein. Doch in der Tat, außerhalb von Pavia hättet ihr an keinem Orte einkehren können, der nur erträglich gewesen wäre, und deshalb sei es euch nicht leid, den Weg etwas verlängert zu haben, um dafür eine minder große Unbequemlichkeit anzutreffen.«

Während er so sprach, war seine Dienerschaft herbeigekommen und hatte, sobald jene abgestiegen waren, ihre Pferde untergebracht. Herr Torello aber führte die drei edlen Herren zu den Gemächern, welche für sie bereitet waren, wo er sie die Schuhe ablegen ließ, sie mit kühlem Wein etwas erfrischte und dann bis zur Essensstunde in gefälligen Gesprächen hinhielt. Saladin, seinen Gefährten und Dienern war das Latein geläufig, weshalb sie denn alles sehr gut verstehen und sich verständlich machen konnten, und jeder von ihnen war der Meinung, dieser [813] Ritter sei der gefälligste, gesittetste und wohlberedteste Mann, den sie noch angetroffen hätten. Herrn Torello andererseits dünkte es, daß diese Fremden gar ausgezeichnete Männer und von weit höherem Stande wären, als er anfangs geglaubt hatte, weshalb es ihm denn leid tat, sie an diesem Abend nicht durch Gesellschaft und ein feierliches Gastmahl ehren zu können, und er sich vornahm, sie am folgenden Morgen dafür schadlos zu halten. Nachdem er daher einen seiner Diener davon unterrichtet hatte, was er tun wolle, sandte er ihn zu seiner Gemahlin, welche eine sehr kluge und adelig gesinnte Frau war, nach dem ganz nahen Pavia, wo man keineswegs die Tore zu verschließen pflegte.

Hierauf führte er die edlen Herren in seinen Garten und fragte sie höflich, wer sie seien. »Wir sind«, antwortete ihm Saladin, »zyprische Kaufleute, kommen von Zypern und gehen in unseren Geschäften nach Paris.« »Wollte Gott«, entgegnete Herr Torello hierauf, »unser Land brächte solche Edelleute hervor, als Zypern, wie ich sehe, Kaufleute.« Unter solchen und anderen Gesprächen war es Essenszeit geworden. Er bat sie daher, sich zu Tische zu setzen, wo sie alsdann dafür, daß es ein unvorbereitetes Mahl war, gar wohl und ordentlich bedient wurden. Nicht lange waren die Tafeln aufgehoben, als Herr Torello, der voraussetzte, daß sie ermüdet sein möchten, sie zu schönen Betten führen ließ, um der Ruhe zu pflegen, und bald darauf legte auch er sich nieder.

Unterdessen richtete der nach Pavia gesandte Diener die Botschaft bei der Gemahlin des Herrn Torello aus, und diese ließ, nicht mit weiblichem, sondern mit wahrhaft königlichem Sinne, schnell zahlreiche Freunde und Diener ihres Gemahls herbeirufen und alles Nötige zu einem großen Gastmahl bereiten, bei Fackellicht viele der angesehensten Bürger zum Feste einladen, Tücher, Teppiche und Pelzwerk herbeibringen und alles vollkommen einrichten, was ihr von ihrem Gemahl aufgetragen war.

Als es Tag geworden war, erhoben sich die edlen Herren, Herr Torello stieg mit ihnen zu Roß, ließ seine Falken kommen und führte sie zu einer benachbarten Niederung, wo er ihnen zeigte, wie seine Falken zu fliegen verstanden. Als hierauf Saladin nach jemand fragte, der sie nach Pavia und zu [814] der besten Herberge führen könnte, sprach Herr Torello: »Ich selbst werde dies tun, weil ich doch dort zu tun habe.« Die Fremden glaubten dies, waren damit zufrieden und machten sich nun gemeinschaftlich mit ihm auf den Weg.

Schon war es um die dritte Morgenstunde, als man die Stadt erreichte, und während jene in der besten Herberge abzusteigen glaubten, gelangten sie mit Herrn Torello zu dessen Haus, in welchem wohl fünfzig der vornehmsten Bürger versammelt waren, um die edlen Herren zu empfangen, denen sie alsbald die Zügel abnahmen und die Steigbügel hielten. Als Saladin und seine Gefährten dies sahen, wurden sie nur zu wohl inne, wie dies zusammenhänge, und sie sprachen: »Herr Torello, dies ist nicht das, was wir begehrten. In der vergangenen Nacht schon hattet Ihr uns Ehre genug angetan, und weit mehr, als wir irgend wollten. Deshalb konntet Ihr uns heute sehr wohl unseren Weg fortsetzen lassen.« »Ihr Herren«, entgegnete ihnen Herr Torello hierauf, »für das, was euch gestern abend geschah, bin ich weit mehr dem Glücke Dank schuldig als euch, da jenes euch zu einer Stunde unterwegs sein ließ, wo ihr zu meinem kleinen Hause wohl mitkommen mußtet. Für das, was heute morgen geschieht, aber werde ich euch selbst verpflichtet sein und mit mir zugleich diese edlen Männer, welche euch hier umgeben. Meint ihr nun, ihnen eine Artigkeit zu erweisen, indem ihr es verschmäht, mit ihnen einen Imbiß einzunehmen, so mögt ihr es tun, wenn ihr wollt.«

Saladin und seine Gefährten ließen sich bewegen, stiegen von ihren Rossen ab, und froh bewillkommnet von den edlen Herren, wurden sie in die Gemächer geführt, welche auf das reichste für sie eingerichtet waren. Nachdem sie die Reisekleider abgelegt und sich etwas erfrischt hatten, traten sie in den Saal, wo alles auf das glänzendste hergerichtet war. Sobald das Wasser für die Hände herumgereicht war, setzte man sich zu Tisch, wo alle in wohlersonnener und genau eingehaltener Ordnung mit vielen Speisen köstlich bedient wurden, so daß, wenn der Kaiser selbst gekommen wäre, man ihm nicht mehr Ehre hätte erweisen können. Und wiewohl Saladin und seine Gefährten große Herren und gewohnt waren, glänzende Dinge zu sehen, so erstaunten sie nichtsdestoweniger doch über diese, [815] welche ihnen zu den glänzendsten zu gehören schienen, besonders wenn sie die Stellung des Ritters erwogen, von dem sie wußten, daß er nur ein Bürger und kein gebietender Herr war.

Als das Essen vorüber und die Tafeln aufgehoben waren und man noch eine Weile von andern Dingen gesprochen hatte, gingen die edlen Herren von Pavia, wie es Herrn Torello gefiel, da die Hitze groß war, alle zur Ruhe, und er blieb mit seinen drei Gästen allein. Mit diesen begab er sich in ein Gemach, wohin er, damit nichts ihm Teures von ihnen ungesehen bliebe, seine treffliche Gattin rufen ließ. Schön und groß von Gestalt und mit reichen Gewändern geschmückt, kam sie zwischen ihren beiden kleinen Söhnen, die zwei Engel schienen, und begrüßte die Fremden mit Anmut. Als diese sie erblickten, standen sie auf, empfingen sie ehrerbietig und bezeigten ihr, nachdem sie zwischen ihnen Platz genommen, große Freude an ihren beiden schönen Kindern.

Im Verlauf der anmutigen Gespräche, die sich unter ihnen entspannen, fragte die Dame, als Herr Torello sich etwas entfernt hatte, sie freundlich, woher sie wären und wohin sie gingen, worauf die edlen Herren ihr ebenso antworteten, wie sie Herrn Torello geantwortet hatten. Mit heiterer Miene begann die Dame darauf: »Nun, so sehe ich, worin meine weibliche Fürsorge euch nützlich sein kann, und bitte euch deshalb, aus besonderer Gunst für mich, das kleine Geschenk, welches ich euch werde kommen lassen, nicht zu verschmähen, noch zu verachten, sondern zu bedenken, wie die Frauen nach ihrem kleinen Herzen nur kleine Geschenke geben, und, mehr auf die gute Absicht der Schenkenden als auf die Größe des Geschenkes sehend, es anzunehmen.«

Hierauf ließ sie für jeden zwei Gewänder, das eine mit Tuch, das andere mit Pelzwerk gefüttert, keineswegs wie Bürger oder Kaufleute, sondern wie Herren sie tragen, und drei Röcke von Zindeltaffet und Hosen von feiner Leinwand bringen, indem sie sprach: »Nehmet diese an. Ich habe von den gleichen Stoffen Gewänder für meinen Gemahl besorgt wie für euch. Die andern Sachen werden euch, so geringen Wert sie auch haben, vielleicht willkommen sein, wenn ihr bedenkt, daß ihr fern von euren Frauen seid, und wenn ihr die Weite [816] des zurückgelegten Wegs und des noch zu bewältigenden anschlagt und in Betracht zieht, wie sehr Kaufherrn an Reinlichkeit und Behaglichkeit gewöhnt zu sein pflegen.« Die edlen Herren wunderten sich und erkannten nun deutlich, daß Herr Torello ihnen jede erdenkliche Aufmerksamkeit erweisen wollte, und wenn sie den Reichtum dieser keineswegs für Kaufleute bestimmten Gewänder erwogen, fürchteten sie fast, von ihm erkannt zu sein. Dennoch antwortete einer von ihnen der Dame: »Dies, Madonna, sind herrliche Sachen, die wir nicht so leicht annehmen dürften, nötigten Eure Bitten uns nicht dazu, auf die wir nicht nein sagen können.« Nachdem dies geschehen und Herr Torello inzwischen zurückgekehrt war, schied die Dame von ihnen, nachdem sie sie Gott empfohlen, und ließ nun mit ähnlichen Sachen, soweit sie sich ziemten, auch die Diener der Fremden versehen.

Durch viele Bitten erlangte Herr Torello von ihnen, daß sie diesen ganzen Tag bei ihm verweilten. Nachdem sie daher geruht und ihre Kleider angelegt hatten, ritten sie mit Herrn Torello ein wenig durch die Stadt, und als die Stunde der Mahlzeit gekommen war, speisten sie herrlich in Gesellschaft vieler ehrenwerter Herren. Zur gehörigen Zeit begaben sie sich zur Ruhe. Als sie aber mit dem anbrechenden Tag sich erhoben, fanden sie an der Stelle ihrer ermüdeten Klepper drei große und schöne Rosse und ebenso viele neue und starke Pferde für ihre Diener. Als Saladin dies sah, wandte er sich zu seinen Gefährten und sprach: »Ich schwöre bei Gott, daß nie ein vollkommenerer, höflicherer und aufmerksamerer Mann lebte als dieser; und wenn die christlichen Könige für ihr Teil sich ebenso als Könige betragen wie dieser als Ritter, so kann der Sultan von Babylon auch nicht einem derselben standhalten, geschweige denn den vielen, die wir sich rüsten sehen, um über uns herzufallen.« Doch da sie wußten, daß die Rosse nicht ausgeschlagen werden durften, bestiegen sie diese unter höflichen Danksagungen.

Herr Torello begleitete sie mit vielen Gefährten eine große Strecke Weges vor die Stadt, und wiewohl es dem Saladin schwerfiel, von Herrn Torello zu scheiden, da er ihn schon liebgewonnen hatte, so bat er ihn doch, da er's eilig mit seiner Reise [817] hatte, heimzukehren. Torello, der gleichfalls ungern von ihnen schied, sagte darauf: »Ihr Herren, ich will es tun, da es euch so beliebt. Allein noch dies will ich euch sagen: ich weiß nicht, wer ihr seid, noch begehre ich mehr davon zu wissen, als euch lieb ist. Allein, wer ihr auch sein mögt, daß ihr Kaufleute seid, bei diesem Glauben werdet ihr mich für diesmal nicht lassen, und damit empfehle ich euch Gott.« Saladin, der sich bereits von allen Begleitern des Herrn Torello verabschiedet hatte, antwortete ihm: »Herr, noch kann es geschehen, daß wir Euch etwas von unserer Ware sehen lassen, wodurch wir dann Euren Glauben befestigen werden, und jetzt geht mit Gott.«

Saladin reiste nun mit seinen Gefährten und mit dem festen Entschlusse weiter, wenn das Leben ihm bliebe und der erwartete Krieg ihn nicht vernichtete, Herrn Torello dereinst nicht geringere Ehre zu erweisen, als dieser ihm erwiesen hatte, und noch viel über ihn, seine Gattin und alles, was er getan und wie er sich benommen hatte, sprechend, lobte er jede Einzelheit nur immer mehr. Nachdem er aber nicht ohne große Mühe das ganze Abendland durchforscht hatte, begab er sich mit seinen Begleitern aufs Meer, kehrte nach Alexandrien zurück und schickte sich hier, vollkommen unterrichtet, zu seiner Verteidigung an.

Herr Torello kehrte nach Pavia zurück und sann lange darüber nach, wer diese drei gewesen sein könnten, doch nie traf oder näherte er sich auch nur der Wahrheit. Als danach die Zeit des Kreuzzuges herankam und von allen Seiten die größten Zurüstungen gemacht wurden, entschloß Herr Torello sich trotz der Bitten und Tränen seiner Gattin, ebenfalls mitzuziehen. Nachdem er alle Vorkehrungen getroffen hatte und schon im Begriff stand, zu Pferde zu steigen, sprach er zu seiner Gattin, die er über alles liebte: »Wie du siehst, Frau, begebe ich mich auf diesen Kreuzzug, sowohl um der leiblichen Ehre als um des Heils meiner Seele willen. Ich empfehle dir daher die Sorge für unsere Angelegenheiten und unsere Ehre. Doch weil ich der Abreise zwar gewiß bin, über die Heimkehr aber wegen der tausenderlei Zufälle, die mir begegnen können, keinerlei Gewißheit habe, so will ich, daß du mir eine Gunst erweisest: was mir auch geschehen möge, so sollst du, wofern [818] du keine gewisse Kunde von meinem Tode erhältst, vom heutigen Tag meiner Abreise an gerechnet ein Jahr, einen Monat und einen Tag lang auf mich warten, ohne dich wieder zu vermählen.«

Die Frau, die heftig weinte, antwortete: »Herr Torello, ich weiß nicht, wie ich den Schmerz ertragen soll, in dem Ihr mich bei Eurer Abreise zurücklaßt. Aber wenn mein Leben stärker ist als er und Euch etwas begegnen sollte, so lebt und sterbt in der Gewißheit, daß ich als Gattin des Herrn Torello und in seinem Angedenken leben und sterben werde.« »Frau«, entgegnete ihr Herr Torello, »ich bin völlig überzeugt, daß, soviel an dir liegt, alles geschehen wird, was du mir versprichst. Aber du bist ein junges Weib, bist schön und stammst aus einem angesehenen Geschlecht, der rühmlichen Eigenschaften hast du viele, und sie sind überall bekannt. Deshalb zweifle ich nicht, daß viele vornehme und adelige Männer, wenn ich verschollen bin, dich von deinen Brüdern und Verwandten zur Gattin begehren werden. Ihrem Zureden wirst du, wenn du es auch wünschst, nicht widerstehen können und notgedrungen ihren Willen erfüllen müssen. Dies ist der Grund, warum ich diese Frist und keine längere von dir begehre.«

»Von dem, was ich Euch gesagt habe«, antwortete die Frau, »will ich tun, was ich kann, und würde ich dennoch genötigt, anders zu handeln, so will ich Euch wenigstens in dem sicherlich gehorsam sein, was Ihr mir befehlt. Doch bitte ich Gott, daß er weder Euch noch mir in dieser Zeit so Schweres auferlege.« Als sie diese Worte gesprochen hatte, umarmte die Frau weinend den Herrn Torello, zog sich einen Ring vom Finger und überreichte ihm denselben mit diesen Worten: »Wenn es geschieht, daß ich eher sterbe, als Ihr heimkommt, so erinnere er Euch an mich, sooft Ihr ihn seht.« Er nahm ihn, stieg zu Pferde und begab sich, nachdem er jedermann Lebewohl gesagt, auf seinen Weg. Sobald er mit seiner Schar Genua erreicht hatte, bestieg er eine Galeere, ging in See und gelangte in kurzer Zeit nach Akkon, wo er zum übrigen christlichen Heere stieß.

Hier brach nun sofort eine Seuche und ein großes Sterben unter dem Heere aus. Während diese noch fortdauerten, gelang [819] es dem Saladin, mochte es nun seine Schlauheit oder sein Glück bewirkt haben, fast den ganzen Rest des von der Krankheit verschonten christlichen Heeres ohne Schwertstreich gefangenzunehmen, worauf er es in viele Städte verteilte und einkerkerte. Einer von diesen Gefangenen war Herr Torello, und zwar wurde er nach Alexandrien in einen Kerker geführt.

Hier war er nicht bekannt, und da er sich auch scheute, seinen Namen zu nennen, gab er sich, von der Not gezwungen, damit ab, Falken abzurichten, in welcher Kunst er ein großer Meister war, und so erhielt endlich Saladin Kunde von ihm. Dieser befreite ihn deshalb aus seinem Kerker und behielt ihn als seinen Falkonier. Herr Torello, der von Saladin nur bei seinem Taufnamen gerufen wurde – weder hatte er diesen noch dieser ihn wiedererkannt – weilte mit seiner Seele nur in Pavia, und schon mehr als einmal hatte er versucht zu entfliehen, allein nie war es ihm gelungen. Als daher einige Genueser als Abgesandte zum Loskauf einiger ihrer Mitbürger bei Saladin erschienen und nun wieder abreisen sollten, gedachte er seiner Gattin zu schreiben, wie er noch lebe und zu ihr, sobald er nur könne, zurückkehren werde, daß sie ihn daher erwarten möge. So tat er denn wirklich und bat den einen der Abgesandten inständig, daß er diesen Brief in die Hände des Abtes von San Pietro in Ciel d'Oro, der sein Oheim war, gelangen lassen möchte.

Als die Sache so stand, geschah es eines Tages, während Saladin mit Herrn Torello über seine Falken sprach, daß Herr Torello zu lächeln begann und sein Mund dabei einen Zug zeigte, den Saladin mehrfach bemerkt hatte, als er sich in seinem Hause zu Pavia befand. Durch diesen Zug erinnerte sich Saladin an Herrn Torello, fing an, ihn aufmerksam zu betrachten, und er schien es ihm wirklich zu sein. Sogleich ließ er daher das erste Gespräch fallen und sprach: »Sage mir, Christ, aus welcher Gegend des Abendlandes bist du?« »Mein Gebieter«, antwortete Herr Torello, »ich bin ein Lombarde, aus einer Stadt, die Pavia heißt, ein armer Mann und von geringer Herkunft.« Als Saladin dies hörte, sprach er, denn er war seiner Vermutung nun ziemlich gewiß, froh zu sich selber: »Gott hat mir Gelegenheit gewährt, um diesem zu beweisen, [820] wie lieb mir seine Zuvorkommenheit war.« Und ohne ein Wort weiter zu sagen, ließ er alle seine Gewänder in einem Zimmer zurechtlegen, führte jenen dorthin und sprach: »Siehe, Christ, ob unter diesen Kleidern eines ist, das du schon sonst gesehen hast.« Herr Torello fing an umherzuschauen und erblickte die Kleider, welche seine Gattin dem Saladin geschenkt hatte. Doch hielt er es nicht für möglich, daß es dieselben sein könnten, und antwortete deshalb: »Mein Gebieter, ich kenne keines darunter. Wahr ist es indes, daß diese beiden hier gewissen Gewändern sehr gleichen, mit denen ich einst zugleich mit drei Kaufleuten, die in mein Haus gelangten, bekleidet wurde.«

Nun konnte Saladin sich nicht länger halten, sondern umarmte ihn gerührt und sprach: »So seid Ihr denn Herr Torello d'Istria, und ich bin einer jener drei Kaufleute, welchen Eure Gattin diese Kleider schenkte. Jetzt aber ist die Stunde erschienen, Euern Glauben an meine Ware zu festigen, wie ich beim Abschied sagte, daß es wohl noch geschehen könne.« Als Herr Torello dieses hörte, ward er äußerst froh und fing doch auch zugleich an, sich zu schämen; froh war er, daß er einen solchen Gast bewirtet hatte, er schämte sich aber, weil es ihm schien, daß er ihn nur ärmlich empfangen habe. Doch Saladin sprach zu ihm: »Herr Torello, weil Gott mir Euch denn hierher gesandt hat, so denkt, daß nicht ich, sondern Ihr der Herr hier seid.« Und nachdem sie sich nun gegenseitig ihre große Freude bezeigt, ließ er ihn in fürstliche Gewänder kleiden, führte ihn zu seinen vornehmsten Vasallen hinaus, sprach zu diesen viel zum Lobe seiner Trefflichkeit und gebot, daß jeder, dem seine Gnade wert wäre, ihn ebenso ehren sollte wie seine eigene Person. Dies tat fortan ein jeder, mehr noch als die andern aber die beiden Herren, die Saladins Begleiter in seinem Hause gewesen waren.

Der unverhoffte große Glanz, in dem er sich nun befand, lenkte Herrn Torellos Gedanken ein wenig von der Lombardei ab, vor allem deshalb, weil er mit Sicherheit hoffte, daß seine Briefe an seinen Oheim gelangt wären. Allein im Lager oder im Heer der Christen war an dem Tag, da dieses von Saladin gefangen ward, ein provenzalischer Ritter von geringem Ansehen, dessen Name Herr Torel von Dignes war, gestorben [821] und begraben worden, und weil Herr Torello d'Istria durch seinen Adel im ganzen Herr bekannt war, so glaubte ein jeder, der sagen hörte: »Herr Torello ist tot«, der aus Pavia und nicht der aus Dignes sei gemeint. Die Gefangennahme, welche dazugekommen war, verhinderte die Aufklärung des Irrtums, weshalb denn viele Italiener mit dieser Kunde zurückkehrten, unter denen einige so zuversichtlich waren, daß sie zu behaupten wagten, sie hätten ihn tot gesehen und wären bei seinem Begräbnis zugegen gewesen.

Als diese Nachricht zu seiner Frau und zu seinen Verwandten gelangte, erweckte sie nicht nur in ihnen unsäglichen Schmerz, sondern in allen, die ihn gekannt hatten. Zu lang wäre es, vom Schmerz, der Trauer und der Klage seiner Gattin zu berichten, welche, nachdem sie einige Monate in beständiger Trauer verlebt hatte und allmählich etwas weniger laut klagte, sogleich von den vornehmsten Männern der Lombardei begehrt und bald auch von ihren Brüdern und den übrigen Verwandten aufgefordert wurde, sich wieder zu vermählen. Dies hatte sie nun zwar oft und unter häufigen Tränen abgeschlagen, endlich aber sah sie sich gezwungen, in das zu willigen, was ihre Verwandten begehrten, jedoch unter der Bedingung, daß sie, ohne sich zu vermählen, so lange warten dürfte, wie sie es Herrn Torello versprochen hatte.

Während zu Pavia die Angelegenheiten der Dame also standen und vielleicht nur noch acht Tage an der Frist fehlten, wo sie zu einem neuen Gemahl ziehen sollte, begab es sich, daß Herr Torello in Alexandrien einen Mann erblickte, den er vorher mit den genuesischen Abgesandten die Galeere hatte besteigen sehen, welche nach Genua segelte. Er ließ ihn also rufen und fragte ihn, was sie für eine Reise gehabt hätten und wann sie in Genua angekommen wären. Dieser antwortete ihm: »Herr, eine üble Reise machte die Galeere, wie ich in Kreta vernahm, wo ich zurückgeblieben bin. Denn als sie Sizilien nahe war, erhob sich ein entsetzlicher Nordsturm, der sie auf die Sandbänke der Berberei warf, so daß keine Seele mit dem Leben davonkam und unter anderm auch zwei meiner Brüder umkamen.«

Herr Torello glaubte diesen Worten, die auch wirklich zutrafen, [822] und da er sich erinnerte, daß die Frist, die er von seiner Gattin begehrt hatte, in wenigen Tagen ablaufen müsse, und vermutete, daß man von seinen Schicksalen in Pavia nichts erfahren haben werde, so hielt er es für gewiß, seine Gattin sei wieder vermählt. Hierüber verfiel er in solche Traurigkeit, daß er alle Eßlust verlor, sich krank niederlegte und zu sterben entschlossen war. Als Saladin, der ihn über alles liebte, dies erfuhr, kam er zu ihm, und nachdem er auf viele und inständige Bitten hin, die er an Herrn Torello richtete, die Ursache seines Kummers und seiner Krankheit erfahren hatte, tadelte er ihn heftig, daß er ihm dies nicht zuvor mitgeteilt, beschwor ihn dann, sich zu trösten, und beteuerte ihm, wenn er dies tue, so wolle er Sorge tragen, daß er zu der bestimmten Frist in Pavia sei, und zugleich sagte er ihm wie.

Herr Torello traute Saladins Worten, und da er häufig sagen gehört hatte, daß dergleichen möglich und schon öfter geschehen sei, fing er an sich zu trösten und bat jenen dringend, die notwendigen Schritte zu unternehmen. Saladin gebot einem seiner Nekromanten, dessen Kunst er schon erprobt hatte, Mittel zu finden, wie Herr Torello auf seinem Bett in einer Nacht nach Pavia geschafft werden könnte. Der Nekromant erwiderte ihm, daß dies geschehen solle, allein daß er ihn zu seinem eigenen Besten zuvor in Schlaf bringen müsse. Als dies nun angeordnet war, kehrte Saladin zu Herrn Torello zurück, den er völlig entschlossen fand, zur bestimmten Frist in Pavia sein zu wollen, wenn dies irgend möglich wäre, wenn es aber nicht sein könnte, zu sterben.

»Herr Torello«, sprach er zu ihm, »wenn Ihr Eure Gattin so zärtlich liebt und fürchtet, daß sie eines andern werde, so weiß es Gott, daß ich Euch auf keine Weise deshalb zu tadeln wüßte; denn von allen Frauen, die ich je sah, ist sie es, wie ich meine, deren Sitten, Wesen und ganzes Betragen mir, abgesehen von der Schönheit, die eine schnell vergängliche Blume ist, am meisten Lob und Preis zu verdienen scheinen. Freilich wäre es mir sehr lieb gewesen, wenn wir, da Euch ein günstiges Geschick hierhergeführt hatte, die Zeit, die wir beide noch zu leben haben, gemeinsam als Herren in der Regierung des Reiches, das ich besitze, zugebracht hätten. Doch da mir dies einmal [823] von Gott nicht bewilligt werden sollte und Ihr den festen Entschluß gefaßt habt, entweder zu sterben oder zur bestimmten Frist in Pavia einzutreffen, so hätte ich wenigstens sehr gewünscht, dies zur rechten Zeit erfahren zu haben, um Euch mit der Ehre, dem Anstand und der Begleitung, die Euren Verdiensten angemessen sind, nach Eurer Heimat zurückführen lassen zu können. Doch da mir auch dies nicht gewährt ist und Ihr nur begehrt, sogleich dort zu sein, so will ich Euch, so wie ich es vermag und in der Weise, wie ich es Euch gesagt habe, dorthin senden.« »Mein Gebieter«, entgegnete ihm Herr Torello hierauf, »auch ohne Eure Worte haben Taten mir Euer Wohlwollen genugsam bewiesen, das ich in diesem Übermaß nie verdient habe, und ich wäre von dem, was Ihr mir gesagt habt, im Leben und Sterben auch dann überzeugt, wenn Ihr es mir nicht versichertet. Doch da ich einmal so beschlossen habe, so bitte ich Euch, daß das, was Ihr tun wollt, schnell geschehe; denn morgen ist der letzte Tag, wo man noch meiner wartet.« Saladin versicherte, daß dies ohne Fehl besorgt sei.

Am nächsten Tag ließ Saladin, da er beschlossen hatte, ihn in der kommenden Nacht zurückzusenden, in einem großen Saale ein schönes und reiches Lager von Matratzen herrichten, die alle nach der dortigen Sitte mit Samt und Goldstoff überzogen waren, und darüber eine Decke legen, die in zierlichen Mustern mit großen Perlen und kostbaren Edelsteinen bestickt war, so daß man sie nachher bei uns für einen unermeßlichen Schatz erachtete, und darüber zwei Kopfkissen, wie sie zu einem solchen Bette paßten. Als dies geschehen war, befahl er, daß Herrn Torello, der sich schon wieder stark fühlte, ein Gewand nach Sarazenenart angelegt würde, so reich und schön, wie es noch nie jemand gesehen hatte, und um sein Haupt ließ er ihm nach dortiger Sitte einen seiner stattlichsten Turbane wickeln. Da es nun spät ward, trat Saladin mit vielen seiner Großen in das Gemach, wo Herr Torello sich befand, setzte sich an seiner Seite nieder und fing schier unter Tränen also zu reden an:

»Herr Torello, die Stunde, die mich von Euch trennen soll, naht. Da ich Euch wegen der Beschaffenheit des Weges, den Ihr zurückzulegen habt, weder selbst begleiten noch begleiten [824] lassen kann, so muß ich hier in Eurem Gemach von Euch Abschied nehmen, und um ihn zu nehmen, bin ich gekommen. So bitte ich Euch denn, bevor ich Euch Gott empfehle, bei der Liebe und Freundschaft, die unter uns besteht, daß Ihr meiner gedenkt und, wenn es Euch möglich ist, ehe unsere Tage enden, nachdem Ihr Eure Angelegenheiten in der Lombardei geordnet habt, wenigstens noch einmal mich zu besuchen kommt, damit mir dann nicht nur die Freude werde, Euch wiederzusehen, sondern daß ich auch den Fehler wiedergutmachen könne, in den ich jetzt um Eurer Eile willen verfallen muß. Bis dies aber geschieht, falle es Euch nicht lästig, mich in Briefen zu besuchen und von mir zu fordern, was Euch irgend gefallen wird; denn wahrlich, lieber als für irgendeinen andern lebenden Menschen will ich für Euch das Gewünschte tun.«

Herr Torello konnte seine Tränen nicht zurückhalten und antwortete daher, von diesen gehindert, nur mit wenigen Worten, es sei unmöglich, daß er je seine Wohltaten vergessen oder seine Trefflichkeit ihm aus dem Gedächtnis schwinden könnte und daß er unfehlbar tun werde, was jener ihm geboten, wenn anders ihm eine so lange Lebenszeit gewährt würde. Hierauf umarmte Saladin ihn zärtlich, küßte ihn und sprach mit vielen Tränen: »So geht denn mit Gott!« Dann verließ er das Gemach, und die andern Großen verabschiedeten sich von ihm und traten mit Saladin in den Saal, wo er das Bett hatte bereiten lassen.

Hierüber war es spät geworden, und da der Nekromant zur Ausführung seines Zaubers bereit war und drängte, erschien ein Arzt mit einem Trank, den er dem Herrn Torello unter dem Vorgeben, daß er ihm zur Stärkung dienen solle, reichte und von ihm austrinken ließ. Nicht lange darauf verfiel er in tiefen Schlaf. So schlummernd wurde er nach Saladins Befehl auf das schöne Bett getragen, auf das er selbst noch ein großes und schönes Diadem von hohem Wert legte, welches so bezeichnet war, daß man nachher deutlich erkennen mußte, es sei von Saladin der Gemahlin des Herrn Torello übersandt. Hierauf steckte der Sultan Herrn Torello einen Ring an den Finger, darin ein Karfunkel gefaßt war, so glänzend, daß er einer brennenden Fackel glich und man seinen Wert kaum zu schätzen [825] vermochte. Dann ließ er ihm ein Schwert umgürten, dessen Preis schwer zu bestimmen gewesen wäre, und ließ ihm eine Spange anheften, die mit Perlen, wie man sie nie gesehen hatte, und mit vielen andern kostbaren Steinen besetzt war. Endlich wurden auf seinen Befehl zu beiden Seiten des Schlafenden zwei große goldene Becken voller Doublonen hingestellt und um ihn her viele Haarnetze von Perlen, Ringe, Gürtel und andere Dinge, welche hier aufzuzählen zu lange dauerte. Nachdem dies alles besorgt war, küßte er Herrn Torello von neuem und befahl dem Nekromanten, daß er sich beeile. Sogleich erhob sich nun in Saladins Gegenwart das Bett mit Herrn Torello und verschwand, Saladin aber blieb mit seinen Vasallen unter Gesprächen über ihn zurück.

Schon war Herr Torello, wie er begehrt hatte, in der Kirche von San Pietro in Ciel d'Oro zu Pavia mit allen erwähnten Edelsteinen und Geschmeiden, immer noch schlafend, niedergesetzt worden, als nach dem Morgengeläute der Sakristan mit einem Licht in der Hand in die Kirche trat und, sowie er das reiche Bett zufällig erblickte, nicht allein darüber erstaunte, sondern vor übergroßer Furcht eilig umkehrte und floh. Als der Abt und die übrigen Mönche ihn so fliehen sahen, wunderten sie sich und fragten nach der Ursache. Der Mönch sagte sie. »Fürwahr«, rief der Abt, »du bist doch nachgerade kein Kind mehr und auch nicht so neu in dieser Kirche, daß du so leicht erschrecken solltest! So wollen wir denn gehen und nachsehen, was ihm so bange gemacht hat.«

Nachdem sie nun mehr Lichter angezündet hatten, trat der Abt mit allen seinen Mönchen in die Kirche, und sie erblickten dies so wundersame und reiche Bett und auf ihm den schlafenden Ritter. Während sie aber furchtsam und schüchtern die edlen Geschmeide betrachteten, ohne sich dem Bett im geringsten zu nähern, geschah es, daß die Kraft des Tranks sich erschöpft hatte, Herr Torello erwachte und einen tiefen Seufzer ausstieß. Als die Mönche dies sahen und der Abt mit ihnen, ergriffen sie erschreckt die Flucht und schrien: »Herr, stehe uns bei.« Herr Torello aber öffnete die Augen, schaute sich um und erkannte deutlich, daß er sich da befand, wo hingebracht zu werden er von Saladin begehrt hatte. Sehr zufrieden hierüber[826] setzte er sich auf und betrachtete einzeln, was er um sich her sah. Obwohl er die Großmut Saladins schon vorher gekannt hatte, schien ihm diese jetzt noch größer, und er erkannte sie in ihrem ganzen Ausmaß.

Da er die Mönche fliehen sah und die Ursache erriet, begann er, ohne seine Stellung zu wechseln, den Abt beim Namen zu rufen und ihn zu beschwören, daß er nichts fürchten möchte, da er Torello, sein Neffe sei. Als der Abt dies vernahm, wurde er nur noch furchtsamer, weil er meinte, Torello sei vor mehreren Monaten gestorben. Nach einiger Zeit ließ er sich jedoch durch reiflichere Erwägung einigermaßen beruhigen, machte, da jener ihn noch immer rief, das Zeichen des heiligen Kreuzes und ging zu ihm. »Oh, mein Vater«, rief Herr Torello, »was fürchtet Ihr Euch denn? Ich bin durch Gottes Gnade lebendig und von jenseits des Meeres hierher zurückgekehrt.«

Obwohl nun Herr Torello einen langen Bart trug und mit einem arabischen Gewande bekleidet war, erkannte nach einiger Zeit der Abt ihn doch wieder und nahm ihn, nachdem er sich völlig beruhigt hatte, mit den Worten bei der Hand: »Mein Sohn, sei uns herzlich willkommen.«

Dann aber fuhr er fort: »Du darfst dich über unsere Furcht nicht wundern; denn in dieser Stadt gibt es niemanden, der dich nicht zuverlässig für tot hält, so daß ich dir sagen muß, daß Madonna Adalieta, deine Gattin, von den Bitten und Drohungen ihrer Verwandten überwältigt, gegen ihren Willen wieder vermählt ist. Noch diesen Morgen soll sie zu ihrem neuen Gemahl ziehen, und die Hochzeit und alles, was zum Feste gehört, ist bereitet.«

Herr Torello erhob sich nun von seinem reichen Bett und bat den Abt und die Mönche, nachdem er sie herzlich begrüßt hatte, von seiner Wiederkehr niemand etwas zu sagen, bis er mit einer notwendigen Sache zu Ende gekommen sei. Dann ließ er die reichen Geschmeide in Sicherheit bringen und erzählte dem Abt, was ihm bis zu diesem Augenblick begegnet war. Froh über diese Glücksfälle dankte der Abt gemeinsam mit ihm Gott, worauf Herr Torello jenen fragte, wer der neue Gemahl seiner Gattin sei. Der Abt sagte es ihm, und Herr Torello erwiderte: »Ehe man von meiner Rückkehr etwas erfährt, möchte [827] ich sehen, wie meine Frau sich bei dieser Hochzeit betragen wird. Deshalb bitte ich Euch denn, wenn es auch sonst nicht üblich ist, daß Geistliche zu solchen Gastmählern gehen, es mir zuliebe so einzurichten, daß wir zusammen hingehen.«

Der Abt erwiderte, er wolle das gern tun, und schickte, sowie es Tag geworden war, zu dem Bräutigam, dem er sagen ließ, daß er mit einem Gefährten zu seiner Hochzeit zu kommen wünsche. Der Edelmann antwortete, dies sei ihm sehr angenehm. Als nun die Essensstunde kam, ging Herr Torello, gekleidet wie er war, mit dem Abt zum Hause des Bräutigams, von jedem, der ihn erblickte, mit Erstaunen angesehen, doch von niemand erkannt. Der Abt aber sagte allen, er sei ein Sarazene, welchen der Sultan als Gesandten zum König von Frankreich schicke. So wurde denn Herr Torello an einen der Tische gerade seiner Gattin gegenübergesetzt, die er mit der größten Freude betrachtete und deren Züge ihm Betrübnis über diese Hochzeit auszudrücken schienen. Auch sie blickte ihn einige Male an, jedoch keineswegs weil sie ihn wiedererkannt hätte; denn der lange Bart, das fremde Gewand und der feste Glaube, in dem sie lebte, daß er tot sei, hinderten sie daran.

Als es aber Herrn Torello an der Zeit schien, sie zu prüfen, ob sie sich seiner noch erinnere, nahm er den Ring in die Hand, den seine Frau ihm zum Abschied geschenkt hatte, ließ den Edelknaben, der ihr bei Tische aufwartete, herbeirufen und sagte zu ihm: »Bestelle der Braut von mir, in meiner Heimat sei es üblich, daß eine Braut, wie sie es ist, einem Fremden, wie ich es hier bin, der am Mahle teilnimmt, zum Zeichen, daß seine Gegenwart beim Fest ihr lieb sei, ihm den Becher, aus dem sie trinkt, voller Wein sendet. Darauf trinkt der Fremde davon, soviel ihm gefällt, deckt den Becher wieder zu, und die Braut trinkt den Rest.« Der Knabe richtete diese Bestellung bei seiner Gebieterin aus, und da sie jenen für irgendeinen großen Herrn hielt, befahl sie, um ihm zu zeigen, daß sein Kommen ihr wert sei, als eine kluge und wohlgesittete Dame, daß ein großer vergoldeter Becher, der vor ihr stand, ausgespült, mit Wein gefüllt und dem edlen Manne gebracht werde. Und so geschah es.

Indessen hatte Herr Torello den Ring, den er von ihr besaß, [828] in den Mund genommen und ließ ihn, ohne daß jemand es bemerkte, in den Becher niederfallen, während er trank. Dann aber deckte er diesen, in dem er nur ein wenig Wein gelassen hatte, wieder zu und sandte ihn der Dame zurück. Diese nahm ihn, um jene Sitte zu erfüllen, deckte ihn auf, setzte ihn an den Mund, erblickte nun den Ring und betrachtete ihn, ohne ein Wort zu sagen, eine Weile. Endlich erkannte sie ihn bestimmt als denselben, den sie Herrn Torello bei seinem Abschied geschenkt hatte, ergriff ihn und blickte den vermeintlichen Fremdling scharf an. Und als sie ihn nun erkannte, stürzte sie, wie von plötzlichem Wahnsinn gepackt, den Tisch vor sich um und rief laut: »Er ist es, es ist mein Herr; wahrhaftig, dies ist Herr Torello!« Und damit lief sie zu dem Tisch, an welchem er saß, warf sich, ohne an ihre Kleider oder an etwas von dem, was auf dem Tisch stand, zu denken, darüber hin, so weit sie konnte, schloß ihn fest in ihre Arme und war durch nichts, was die Anwesenden sagten oder taten, zu bewegen, seinen Hals wieder freizugeben, bis Herr Torello selbst ihr zuredete, sich ein wenig zu mäßigen, da ihr ja noch Zeit genug bliebe, ihn zu umarmen.

Nun erst richtete sie sich wieder auf. Herr Torello aber bat, da die Hochzeit doch einmal gestört, durch die Wiederkehr eines solchen Ritters indes auch wie der fröhlicher denn je geworden war, alle um schweigendes Gehör. Dann erzählte er ihnen, was ihm vom Tag seiner Abreise bis zu diesem Augenblick begegnet war, und schloß damit, daß es dem edlen Manne, der seine Frau zur Gattin erwählt habe, weil er ihn tot geglaubt, nicht mißfallen dürfe, wenn er, da er ja noch lebe, sie wieder zu sich nähme. Wenngleich nun die Sache für den Bräutigam etwas peinlich war, so erwiderte er doch aus freien Stücken und in Freundschaft, daß Herr Torello mit dem, was ihm gehöre, tun könne, wie es ihm gefalle. Die Braut ließ Ring und Brautkrone, die sie vom Bräutigam empfangen hatte, zurück, steckte dagegen den Ring an, den sie aus dem Becher genommen, und setzte gleichfalls das Diadem auf, das der Sultan ihr geschickt hatte. So verließen sie das Haus, in welchem sie sich befanden, und zogen mit dem ganzen Hochzeitsgefolge zu Herrn Torellos Haus.

[829] Hier erheiterten sie die trostlosen Freunde, Verwandten und alle Bürger, die ihn fast wie ein Wunder anstaunten, durch ein langes und fröhliches Festgelage. Herr Torello schenkte einen Teil seiner wertvollen Juwelen dem, der die Kosten der Hochzeit bestritten hatte, andere gab er dem Abt und vielen anderen. Dem Saladin aber verkündete er durch mehr als einen Boten seine glückliche Heimkehr, betrachtete sich stets als dessen Freund und Diener und lebte nachher noch viele Jahre mit seiner trefflichen Gemahlin, nur noch höflicher und freigebiger als zuvor.

Dies war das Ende der Abenteuer des Herrn Torello, der Leiden seiner geliebten Dame und der Lohn ihrer heiteren und bereitwilligen Gastfreundschaft. Eine solche nachzuahmen bemühen sich zwar viele; allein sie verstehen sich so schlecht darauf, daß sie sich diese, obwohl sie die Mittel dazu besitzen, erst weit über dem Preis abkaufen lassen, ehe sie sie gewähren. Wenn ihnen also kein Lohn zuteil wird, so dürfen weder sie noch andere sich darüber wundern.

Zehnte Geschichte

Der Markgraf von Saluzzo wird durch die Bitten seiner Leute genötigt, eine Frau zu nehmen. Um sie aber nach seinem Sinne zu haben, wählt er die Tochter eines Bauern und zeugt mit ihr zwei Kinder. Er macht sie glauben, daß er diese getötet habe, und sagt ihr dann, er sei ihrer überdrüssig und habe eine andere geheiratet. Zum Schein läßt er seine eigene Tochter nach Hause zurückkehren, als wäre diese seine Gemahlin, und verjagt jene im bloßen Hemde. Da er sie bei dem allem geduldig findet, nimmt er sie zärtlicher denn je wieder in sein Haus, zeigt ihr ihre erwachsenen Kinder, ehrt sie und läßt sie als Markgräfin ehren.


Als die lange Geschichte des Königs, die dem Anschein nach allen gefallen hatte, zu Ende war, sprach Dioneo lächelnd: »Der gute Mann, der vorgehabt hat, in der kommenden Nacht den gehobenen Schweif des Gespenstes zu demütigen, hätte wohl keine zwei Heller für all das Lob gegeben, das ihr Herrn [830] Torello spendet.« Dann aber, da ihm bewußt war, daß nur er noch zu erzählen hatte, begann er:

Meine gefälligen Damen, wie es mir scheint, hat der heutige Tag nur Königen, Sultanen und dergleichen Leuten gehört. Um mich also nicht allzu weit von euch zu entfernen, will ich euch von einem Markgrafen erzählen; doch nicht eine großmütige Hand lung, sondern eine törichte Roheit, wiewohl sie am Ende ihm zum Guten ausschlug. Indes rate ich niemandem, ihm darin zu folgen; denn wahrlich, es ist sehr zu bedauern, daß ihm Gutes daraus erwuchs.

Schon lange ist es her, daß unter den Markgrafen von Saluzzo das Haupt des Hauses ein junger Mann war, der Gualtieri hieß und unbeweibt und kinderlos seine Zeit mit nichts anderem verbrachte als mit der Jagd und dem Vogelstellen und nicht daran dachte, eine Frau zu nehmen und Kinder zu haben, weshalb er für sehr weise zu halten war. Seinen Leuten gefiel dies jedoch keineswegs, und öfters baten sie ihn, sich zu vermählen, damit nicht er ohne Erben und sie ohne Herrn blieben. Auch erboten sie sich, ihm eine Gemahlin zu suchen, von solchen Eigenschaften und von solchen Eltern stammend, daß man Gutes von ihr erhoffen könnte, ihrem Gemahl aber durch sie nur Freude erwüchse.

Doch Gualtieri erwiderte ihnen: »Meine Freunde, ihr nötigt mich, zu tun, was niemals zu tun ich fest entschlossen war, indem ich erwog, wie schwer es sei, ein Weib zu finden, das mit den Gewohnheiten des Gatten wohl übereinkommt, welch ein Überfluß am Gegenteil vorhanden sei und welch trauriges Leben der führe, der auf eine Gattin trifft, die nicht zu ihm paßt. Zu sagen, daß ihr euch getraut, an den Sitten der Väter und Mütter die Töchter zu erkennen, und daraufhin zu glauben, daß ihr mir eine aussuchen könntet, die mir sicher gefallen werde, ist eine Torheit. Ich wenigstens weiß nicht, wie ihr die Väter erkennen und die Geheimnisse der Mütter entdecken wollt, und selbst wenn ihr es vermöchtet, wie oft sind die Töchter den Vätern und Müttern unähnlich! Weil ihr mich aber einmal in diese Ketten schmieden wollt, so will ich es zufrieden sein. Damit ich mich jedoch, wenn es übel ausschlagen sollte, über niemand anders als über mich selbst zu beklagen [831] habe, so will ich selbst der Finder sein. Zugleich aber versichere ich euch, wenn die, welche ich wählen werde, sei sie auch, wer sie wolle, von euch nicht als eure Herrin geehrt wird, dann sollt ihr zu eurem großen Schaden erfahren, wie schwer es mir fällt, mich gegen meinen Wunsch zu vermählen.« Die wackeren Männer erwiderten, daß sie damit zufrieden seien, wenn er sich nur entschließen wolle, eine Gemahlin zu nehmen.

Schon lange hatte Herr Gualtieri Wohlgefallen an einem armen Mädchen gefunden, das in einem Dorfe nahe bei seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort wohnte, und da er sie auch schön fand, glaubte er, daß er mit ihr ein recht zufriedenes Leben werde führen können. Ohne daher weiter zu suchen, beschloß er, diese zu ehelichen. Er ließ sich den Vater rufen und wurde mit diesem, der ein ganz armer Mann war, einig, sie zur Frau zu nehmen. Alsdann ließ Gualtieri alle seine Freunde aus der Umgegend zusammenrufen und sprach zu ihnen: »Meine Freunde, es hat euch gefallen und ist noch immer euer Wunsch, daß ich mich entschließe, eine Frau zu nehmen. Nun bin ich dazu entschlossen, mehr um euch gefällig zu sein, als weil ich nach einer Frau verlangte. Ihr wißt, was ihr mir versprochen habt, daß ihr nämlich, wen ich auch zur Frau nehmen möchte, zufrieden sein und sie als Herrin ehren wollt. Nun ist die Zeit gekommen, wo ich im Begriff stehe, mein Versprechen zu halten, aber auch verlange, daß ihr das eurige haltet. Ich habe eine Jungfrau nach meinem Herzen nahe von hier gefunden, die ich zur Gattin zu nehmen und daher in wenigen Tagen in mein Haus zu führen gedenke. Tragt daher Sorge, wie das Hochzeitsfest glänzend zu veranstalten und die Braut ehrenvoll zu empfangen sei, damit ich mit eurem Worthalten mich ebenso zufrieden erklären könne, wie ihr Grund haben sollt, mit dem meinigen zufrieden zu sein.«

Die guten Männer erwiderten voller Freude, das sei ihnen genehm und sie sähen die Erwählte, möchte sie auch sein, wer sie wolle, für ihre Herrin an und ehrten sie in allen Stücken als Herrin. Hierauf rüsteten sie sich alle, das Fest schön, groß und fröhlich zu machen, und dasselbe tat Gualtieri. Er ließ die Hochzeit auf das prächtigste und schönste vorbereiten und viele seiner Freunde und Verwandten und vornehme Edelleute und [832] andere Nachbarn dazu einladen. Ferner ließ er eine Menge schöner und reicher Kleider nach dem Maße eines Mädchens zuschneiden, das ihm von der gleichen Gestalt zu sein schien wie die Jungfrau, die zu heiraten er beschlossen hatte. Auch besorgte er Gürtel und Ringe und einen reichen und schönen Brautkranz samt alledem, was einer Neuvermählten sonst noch gebührt.

Als nun der Tag gekommen war, den er zur Hochzeit bestimmt hatte, stieg Gualtieri in der zweiten Morgenstunde zu Pferde und mit ihm alle die, welche ihn zu ehren gekommen waren, und nachdem er alles Nötige angeordnet hatte, sprach er: »Ihr Herren, nun ist es Zeit, die Braut zu holen.« Darauf machte er sich mit seiner ganzen Begleitung auf den Weg, und als sie das Vaterhaus des Mädchens erreicht hatten, fanden sie diese in großer Eile mit Wasser vom Brunnen zurückkehren, weil sie dann mit anderen Frauen ausgehen wollte, um die Braut des Herrn Gualtieri kommen zu sehen. Als Gualtieri sie erblickte, rief er sie bei ihrem Namen, nämlich Griselda, und fragte sie, wo ihr Vater sei. Verschämt antwortete sie ihm: »Mein Gebieter, er ist im Hause.«

Nun stieg Gualtieri vom Pferde, befahl jedermann, ihn zu erwarten, trat allein in die ärmliche Hütte, wo er ihren Vater fand, der Giannucole hieß, und sagte zu ihm: »Ich bin gekommen, um die Griselda zu freien. Zuvor will ich jedoch in deiner Gegenwart sie über etwas fragen.« Und nun fragte er sie, ob sie, wenn er sie zur Frau nähme, immerdar bestrebt wäre, ihm zu Gefallen zu leben und sich über nichts, was er auch sagen und tun möchte, zu erzürnen, ob sie gehorsam wäre und viele ähnliche Dinge, welche sie sämtlich mit Ja beantwortete. Hierauf nahm Gualtieri sie bei der Hand, führte sie hinaus, ließ sie in Gegenwart seiner ganzen Begleitung und aller übrigen Personen sich nackt auskleiden und ihr dann die Kleider anlegen, die er für sie hatte machen lassen und die auf seinen Befehl herbeigebracht worden waren, ließ sie beschuhen und auf ihr Haar, so verworren es auch war, einen Kranz setzen. Dann aber sprach er, während sich noch alle über dieses Verfahren wunderten: »Ihr Herren, diese ist es, die nach meiner Absicht meine Frau werden soll, wofern sie mich zu ihrem [833] Manne will.« Dann wandte er sich zu ihr, die zweifelnd und sich schämend dastand, und sagte: »Griselda, willst du mich zu deinem Manne?« Sie aber antwortete: »Ja, mein Gebieter.« »Und ich«, sprach er, »will dich zu meiner Frau.« Und so verlobte er sich mit ihr in aller Gegenwart. Dann hieß er sie ein Roß besteigen und führte sie ehrenvoll begleitet nach seinem Hause.

Hier war die Hochzeit groß und prächtig und die Festlichkeiten nicht anders, als wenn er die Tochter des Königs von Frankreich heimgeführt hätte. Die Braut aber schien mit den Kleidern auch Gesinnung und Sitten gewechselt zu haben. Sie war, wie wir schon sagten, schön von Antlitz und Gestalt, und so schön sie war, so anmutig, gefällig und gesittet wurde sie nun, so daß man nicht mehr geglaubt hätte, sie sei die Tochter des Giannucole und eine Schafhirtin gewesen, sondern das Kind eines adeligen Herrn, wodurch sie denn einen jeden in Erstaunen versetzte, der sie vorher gekannt hatte.

Dabei war sie ihrem Manne so gehorsam und so dienstbeflissen gegen ihn, daß er sich für den glücklichsten und zufriedensten Menschen auf der Welt hielt; gegen die Untertanen ihres Gemahls aber war sie so freundlich und wohlwollend, daß keiner darunter war, der sie nicht mehr als sich selbst geliebt und ihr mit Freuden Ehrfurcht bewiesen hätte. Alle beteten für ihr Wohl, ihr Glück und ihre Erhebung, und diejenigen, welche sonst häufig gesagt hatten, Gualtieri habe unverständig gehandelt, sie zur Frau zu nehmen, beteuerten nun, er sei der verständigste und scharfsinnigste Mann auf der Welt gewesen, weil kein anderer als er vermocht hätte, ihre hohe Tugend, versteckt unter ärmlichen Lumpen und bäuerischer Kleidung, zu erkennen. Und kurz, nicht nur in ihrer Markgrafschaft, sondern überall wurde, ehe eine lange Zeit verstrichen war, von ihrer Tugend und ihren guten Werken rühmend gesprochen, und alles, was man viel leicht gegen ihren Gemahl gesagt haben mochte, als er sie zur Braut erwählte, verwandelte sich in das Gegenteil.

Nicht lange war sie mit Gualtieri vermählt, als sie guter Hoffnung ward und zur gebührenden Zeit eine Tochter gebar, über welche Gualtieri die größte Freude hatte. Bald darauf [834] verfiel er jedoch auf den seltsamen Gedanken, durch langwierige Erfahrung und fast unerträgliche Proben ihre Geduld prüfen zu wollen. Zuerst fing er an, sie durch Worte zu kränken, indem er unwillig tat und sagte, seine Untertanen seien um ihrer niederen Geburt willen sehr unzufrieden mit ihr, am unzufriedensten aber, seit sie sähen, daß Griselda ihm Kinder bringe, wie sie denn über die Tochter, welche sie geboren, voller Mißvergnügen unablässig murrten.

Als die Frau diese Worte vernahm, sprach sie, ohne den Ausdruck ihrer Züge oder ihre guten Vorsätze im mindesten zu ändern: »Mein Gebieter, tue mit mir, was deinem Glauben nach deiner Ehre und Ruhe am förderlichsten ist. Ich werde mit allem zufrieden sein, da ich erkenne, wieviel geringer ich bin als jene und wie wenig ich der Ehre würdig war, zu der du mich durch deine Güte erhoben hast.« Diese Antwort war dem Gualtieri sehr angenehm, da sie ihm zeigte, daß die Ehre, welche er oder andere ihr erwiesen, auch nicht den kleinsten Stolz in ihr erweckt hatte.

Kurze Zeit darauf schickte er jedoch, nachdem er mit ganz allgemeinen Worten seiner Frau mitgeteilt hatte, seine Untertanen wollten die von ihr geborene Tochter nicht dulden, einen insgeheim unterwiesenen Diener zu ihr, der mit gar betrübten Gebärden zu ihr sagte: »Madonna, wenn ich nicht sterben will, muß ich tun, was mein Herr mir geboten hat. Er hat mir befohlen, diese Eure Tochter zu nehmen und sie ...« und mehr sagte er nicht. Als die Dame diese Worte vernahm, das Antlitz des Dieners sah und zugleich sich der Worte ihres Gemahls erinnerte, erriet sie, daß jenem befohlen sei, ihr Kind zu töten. Rasch nahm sie es daher aus der Wiege, küßte und segnete es, und so groß auch der Schmerz war, den sie im Herzen fühlte, so legte sie dennoch, ohne die Miene zu verändern, dem Diener das Kind in den Arm und sprach: »Nimm sie hin und tue alles, was dein und mein Herr dir geboten hat. Nur dafür trage Sorge, wenn er dir nicht ausdrücklich das Gegenteil befohlen hat, daß nicht Tiere oder Raubvögel sie verschlingen.« Der Diener nahm das Kind, und als er Herrn Gualtieri berichtete, was seine Gattin gesagt hatte, staunte dieser über ihre Standhaftigkeit und schickte den Diener mit der Kleinen nach [835] Bologna zu einer Dame seiner Verwandtschaft, welche er bat, sie sorgfältig zu erziehen und auszubilden, ohne ihr jedoch je zu entdecken, wessen Tochter sie sei.

Nach einiger Zeit geschah es, daß die Frau von neuem schwanger wurde und zur rechten Zeit ein Söhnlein gebar, was Herrn Gualtieri sehr erwünscht war. Da ihm aber, was er getan hatte, immer noch nicht genug dünkte, sprach er eines Tages, um sie mit noch größerem Schmerz zu verwunden, zornigen Angesichts zu ihr: »Frau, seitdem du diesen Knaben geboren hast, weiß ich mit meinen Leuten auf keine Art mehr auszukommen, so bitter beschweren sie sich darüber, daß ein Enkel des Giannucole nach mir über sie regieren solle. Daher fürchte ich, wenn ich nicht vertrieben werden will, gezwungen zu sein, wieder ähnlich zu handeln wie früher, und schließlich werde ich noch dich wegschicken und eine andere Frau nehmen müssen.«

Die Dame hörte ihn mit geduldigem Mute an und antwortete nur: »Mein Gebieter, sorge nur, deine Ruhe zu gewinnen und deinem Wunsche zu genügen. Meinetwegen aber mache dir keinerlei Gedanken, denn alles ist mir lieb, wenn ich sehe, daß es dir gefällt.« Wenige Tage darauf sandte Gualtieri in derselben Art, wie er nach der Tochter verlangt hatte, nach dem Sohn, und auf die gleiche Weise machte er sie glauben, daß er ihn getötet habe, während er ihn, wie die Tochter, heimlich nach Bologna schickte, um ihn dort aufziehen zu lassen. Auch bei diesem Anlaß verriet die Frau weder in Worten noch in Gebärden mehr von ihrem Schmerz, als sie bei ihrer Tochter getan hatte, worüber Gualtieri sehr erstaunte und bei sich selbst beteuerte, kein anderes Weib vermöge Gleiches zu leisten. Hätte er nicht gesehen, wie zärtlich sie gegen ihre Kinder gewesen war, solange ihm dies gefiel, so hätte er geglaubt, sie handele so, weil sie sich nichts aus ihnen mache, während er jetzt in ihrem Benehmen ihre Weisheit erkannte.

Seine Untertanen glaubten, er habe die Kinder wirklich töten lassen, und tadelten ihn deshalb bitter. Wenn sie ihn aber für einen grausamen Mann hielten, so hatten sie mit der Frau das größte Mitleid. Diese jedoch erwiderte den Frauen, die vor ihr über ihre so getöteten Kinder wehklagten, immer nur: sie sei [836] mit allem zufrieden, was dem gefalle, der die Kinder gezeugt habe.

Manche Jahre waren seit der Geburt der Tochter verstrichen, als es Herrn Gualtieri an der Zeit schien, die Geduld seiner Gattin einer letzten Probe zu unterwerfen. Er äußerte daher vor vielen der Seinigen, daß er es auf keine Weise mehr ertragen könne, die Griselda zur Frau zu haben und jetzt wohl einsehe, wie übel und jugendlich unbedacht er gehandelt habe, als er sie genommen. Daher wolle er nach Kräften versuchen, beim Papst eine Dispens zu erwirken, um eine andere Gattin wählen und Griselda verlassen zu können. Von gar vielen wackeren Männern wurde er deshalb hart getadelt; allein er antwortete ihnen nur, daß es einmal so sein müsse. Als die Frau diese Nachrichten vernahm, machte sie sich darauf gefaßt, in ihr väterliches Haus zurückkehren und vielleicht, wie sie einst getan, die Schafe hüten zu müssen, dabei aber eine andere den besitzen zu sehen, den sie von ganzer Seele liebte. Wie sehr sie sich aber auch innerlich darüber betrübte, so schickte sie sich doch an, so wie sie die anderen Kränkungen des Schicksals ertragen hatte, nun auch diese mit fester Stirne zu bestehen.

Nicht lange darauf ließ Herr Gualtieri sich erdichtete Briefe einhändigen, als wären sie von Rom gekommen, und machte seine Untertanen glauben, der Papst habe ihm durch diese Dispens erteilt, daß er eine andere Frau nehmen und Griselda verstoßen könne. Deshalb ließ er denn diese vor sich kommen und sprach in Gegenwart vieler zu ihr: »Frau, durch die Erlaubnis des Papstes kann ich mir eine andere Gemahlin nehmen und dich verlassen, und weil meine Vorfahren Herren von hohem Adel und Gebieter dieses Landes gewesen sind, während die deinen nur Bauern waren, so will ich, daß du nicht länger meine Gattin seiest, sondern mit der Mitgift, die du mir zugebracht hast, nach Giannucoles Haus zurückkehrst. Ich aber werde eine andere heimführen, die ich als zu mir passend gefunden habe.«

Als die Frau diese Worte vernahm, hielt sie nicht ohne große, die weibliche Natur übersteigende Kraft und Anstrengung ihre Tränen zurück und erwiderte: »Mein Gebieter, ich habe immer erkannt, daß meine geringe Geburt sich zu Euerem Adel in [837] keiner Weise fügen will, und was ich im Verhältnis zu Euch gewesen bin, das habe ich immer als Eure und Gottes Gabe betrachtet, niemals aber für ein Geschenk angesehen und mir zugeeignet, sondern es stets nur als geliehen betrachtet. Es gefällt Euch nun, es zurückzufordern, und mir muß es gefallen und gefällt es, Euch dasselbe zurückzugeben. Hier ist Euer Ring, mit dem Ihr mich gefreit; nehmt ihn zurück. Ihr befehlt mir, daß ich die Mitgift mit mir nehme, die ich Euch zugebracht. Dazu werdet Ihr weder eines Zahlmeisters noch einer Börse oder eines Saumrosses bedürfen; denn es ist mir nicht entfallen, daß Ihr mich nackt erhalten habt. Und wenn es Euch geziemend dünkt, daß dieser Leib, in dem ich von Euch erzeugte Kinder getragen habe, von jedermann gesehen werde, so will ich nackend wieder fortgehen. Doch bitte ich Euch zum Lohn für meine Jungfräulichkeit, die ich Euch zubrachte und die ich nicht mit hinwegnehme, daß es Euch gefalle, mir wenigstens ein einziges Hemd über meine Mitgift hinaus zu gönnen.«

Gualtieri, dem der Sinn mehr nach dem Weinen stand als nach sonst etwas, beharrte in strenger Gebärde und sprach: »So nimm denn ein Hemd mit.«

Alle, die umherstanden, baten ihn, daß er ihr wenigstens ein Kleid schenken möge, damit man diejenige, die dreizehn Jahre und länger seine Gemahlin gewesen, nicht so armselig und schmählich aus dem Hause scheiden sehe, wie es wäre, wenn sie im Hemd ginge. Allein die Bitten waren umsonst, und so verließ die edle Frau im Hemde, barfuß und barhäuptig, nachdem sie alle Gott empfohlen hatte, sein Haus und kehrte unter den Tränen aller, die sie sahen, zu ihrem Vater zurück. Giannucole aber, der es nie hatte glauben wollen, daß Gualtieri in Wahrheit seine Tochter als Frau behalten wolle, und der diesem Fall täglich entgegensah, hatte ihre alten Kleider aufgehoben, wie sie an dem Morgen, da Gualtieri sich mit ihr verlobte, sie abgelegt hatte. Diese brachte er ihr, und sie legte sie wieder an, übernahm aufs neue die kleinen Dienstleistungen im väterlichen Hause, die sie einst zu tun gewohnt war, und ertrug den furchtbaren Schlag des feindlichen Geschicks mit starker Seele.

Nachdem Gualtieri so getan hatte, gab er seinen Leuten gegenüber [838] vor, er habe die Tochter eines Grafen von Panago zur Braut erwählt, und schickte, während er großartige Vorbereitungen zur Hochzeit traf, nach Griselda, daß sie zu ihm komme. Als sie kam, sprach er zu ihr: »Ich stehe im Begriff, die Braut heimzuführen, die ich neuerdings erwählt habe, und gedenke sie bei ihrer Ankunft zu ehren. Nun weißt du, daß ich im Hause keine Frauen habe, welche die Zimmer auszuschmücken und vieles andere so zu besorgen verständen, wie es sich für ein solches Fest ziemt. Du kennst diese häuslichen Angelegenheiten besser als sonstwer. Bringe du also alles in Ordnung, was hier nötig ist, und lasse die Damen dazu einladen, die du meinst, und empfange sie dann, als wärest du die Frau vom Hause. Nachher, wenn die Hochzeit vorüber ist, kannst du dann wieder heimgehen.«

Wiewohl jedes dieser Worte ein Messerstich für Griseldas Herz war, da sie der Liebe, die sie für ihn hegte, nicht ebenso wie dem Glücke hatte entsagen können, so antwortete sie doch: »Mein Gebieter, ich bin willig und bereit.« Und so kehrte sie mit ihren Kleidern von grobem Romagna-Tuch in dasselbe Haus zurück, das sie kurz zuvor im Hemde verlassen hatte, fing an, die Gemächer auszukehren und in Ordnung zu bringen, die Wandteppiche aufzuhängen, über die Bänke in den Sälen Decken auszubreiten, die Küche zu bestellen und nicht anders an alles Hand zu legen, als wäre sie eine geringe Magd des Hauses. Auch gönnte sie sich nicht eher Ruhe, als bis sie alles so besorgt und ausgerichtet hatte, wie es sich geziemte. Nachdem sie darauf in Gualtieris Namen alle Damen der Umgegend hatte einladen lassen, erwartete sie das Fest. Als der Hochzeitstag gekommen war, empfing sie, wie ärmliche Kleider sie auch trug, doch mit dem Mute und Anstand einer Edelfrau und mit heiterem Gesichte alle Damen, die zur Hochzeit herbeikamen.

Gualtieri, dessen Kinder in Bologna sorgfältig von seiner Verwandten erzogen worden, die in das Haus der Grafen von Panago vermählt war, hatte inzwischen, als die Tochter zwölf Jahre alt und das schönste Geschöpf war, das man je gesehen hatte, der Sohn aber sechs Jahre zählte, nach Bologna geschickt und seinen Verwandten gebeten, daß es ihm gefalle, mit eben [839] dieser Tochter und dem Söhnlein nach Saluzzo zu kommen. Auch hatte er ihn ersucht, für eine schöne und ehrenvolle Begleitung Sorge zu tragen und jedermann zu sagen, daß er die Jungfrau dem Gualtieri als Gemahlin zuführe, ohne irgendwen erraten zu lassen, wer sie sei.

Der edle Mann hatte gehandelt, wie der Markgraf ihn gebeten, und gelangte, nachdem er sich auf den Weg gemacht, in einigen Tagen mit der Jungfrau, ihrem Bruder und einem stattlichen Gefolge um die Stunde des Imbisses nach Saluzzo, wo er alle Einheimischen und viele Nachbarn aus der Umgegend versammelt fand, um Gualtieris neue Gemahlin zu erwarten. Als diese von den Damen empfangen worden und in den Saal gelangt war, wo die Tische gedeckt waren, trat Griselda, so wie sie war, ihr freudig entgegen und sprach: »Willkommen sei meine Gebieterin.«

Die Damen, welche Gualtieri vielfach, aber umsonst gebeten hatten, daß er entweder Griselda in ihrer Kammer bleiben lassen oder ihr eines von den Kleidern leihen möchte, welche einst die ihrigen gewesen waren, damit sie nicht in solchem Gewand vor seinen fremden Gästen erschiene, wurden nun zu den Tischen geführt, und man fing an, sie zu bedienen. Von jedermann wurde die Jungfrau betrachtet, und alle Welt sagte, daß Gualtieri einen guten Tausch gemacht habe. Vor allem aber lobte Griselda sowohl sie als auch ihren kleinen Bruder.

Gualtieri schien es nun, als habe er von der Geduld seiner Gattin so viele Proben gesehen, wie er nur irgend wünschte. Da er wahrnahm, daß der Wechsel der Dinge sie nicht im mindesten verändere, obwohl er gewiß war, daß dies nicht aus geistiger Beschränktheit geschehe, denn er hatte sie als äußerst klug erkannt, glaubte er, daß es nun an der Zeit sei, sie von den bitteren Gefühlen zu erlösen, welche sie, wie er wohl erriet, unter ihrem unveränderten Antlitz verborgen hielt. Deshalb ließ er sie in Gegenwart aller zu sich rufen und sprach lächelnd: »Nun, was hältst du von unserer neuen Gemahlin?«

»Mein Gebieter«, antwortete Griselda, »ich halte viel Gutes von ihr, und ist sie so verständig, wie sie schön ist, was ich glaube, so zweifle ich durchaus nicht, daß Ihr als der zufriedenste Herr von der Welt mit ihr leben werdet. Doch ich [840] beschwöre Euch, soviel ich vermag, erspart ihrem Herzen die Stiche, welche die andere, die einst Euer war, von Euch erhielt. Denn ich glaube kaum, daß sie dieselben zu ertragen vermöchte, teils weil sie jünger ist, teils weil sie in einem bequemen Leben aufgewachsen ist, während jene von klein auf in beständigen Mühen gelebt hatte.«

Als Gualtieri sah, daß sie fest daran glaubte, jene solle seine Gattin werden, und dessenungeachtet in allen Stücken nur gut von ihr sprach, befahl er ihr, sich neben ihn zu setzen und sprach: »Griselda, es ist endlich Zeit, daß du die Frucht deiner langen Geduld genießest und diejenigen, die mich für grausam, ungerecht und vernunftlos erachtet haben, nun erkennen, daß ich alles, was ich auch unternahm, nur für einen vorausbestimmten Zweck tat, nämlich dich zu lehren, Frau zu sein, sie aber, eine solche zu wählen und zu behandeln, und mir selbst, solange ich mit dir zu leben hätte, beständige Ruhe zu bereiten. Als ich mich entschloß, eine Frau zu nehmen, hatte ich große Furcht, daß mir dies nicht gelänge, und dies war der Grund, weshalb ich, um dich zu prüfen, dich in so vielfacher Art, wie du weißt, gekränkt und verletzt habe. Weil ich aber niemals gesehen habe, daß du in Worten oder Taten dich von meinen Wünschen entfernt hättest, und weil ich überzeugt bin, daß ich durch dich das Glück erreichen kann, das ich begehrte, so gedenke ich dir auf einmal all das wiederzugeben, was ich dir einzeln zu vielen Malen raubte, und durch die höchsten Freuden die Wunden zu heilen, die ich dir zufügte. So empfange denn freudigen Herzens diese, die du für meine Braut hieltest, und ihren Bruder als deine und meine Kinder. Sie sind dieselben, welche du und viele andere seit langen Jahren grausam von mir ermordet wähnten, und ich bin dein Gemahl, der dich über alles liebt und glaubt, sich rühmen zu können, daß kein anderer lebt, der soviel Ursache hat, sich seiner Gattin zu freuen.«

Nach diesen Worten umarmte und küßte er sie, und während sie vor Freuden weinte, stand er mit ihr vom Tische auf und ging dorthin, wo die Tochter saß, ganz erstaunt über alles, was sie hörte. Zärtlich umarmten beide sowohl sie als auch ihren Bruder und klärten sie und alle andern, die anwesend [841] waren, über die Täuschung auf. Fröhlich erhoben sich die Damen von den Tischen und traten mit Griselda in ein Gemach, wo sie sie mit besserer Hoffnung entkleideten und ihr eines ihrer eigenen reichen Gewänder anlegten. Dann aber führten sie Griselda als die Edelfrau, als welche sie selbst in Lumpen erschienen war, in den Saal zurück. Hier freute sie sich ihrer Kinder unaussprechlich. Jeder andere war froh über dieses Ereignis, und Freude und Festlichkeit verdoppelten sich und währten noch mehrere Tage lang. Den Gualtieri aber hielt man von nun an für einen weisen Mann, wiewohl man die Proben, denen er seine Gattin unterworfen, für hart und unerträglich hielt. Vor allen aber ward Griselda für verständig gehalten.

Der Graf von Panago kehrte nach einigen Tagen heim nach Bologna, und Gualtieri nahm nun den Giannucole von seiner Arbeit hinweg und richtete ihn ein, wie es seinem Schwiegervater geziemte, so daß er geehrt und mit großer Freude lebte und sein Alter bei ihm beschloß. Später vermählte Gualtieri seine Tochter an einen Mann von hohem Stande und lebte lange und glücklich mit Griselda, die er stets in hohen Ehren hielt.

Was sollen wir hier nun anders sagen, als daß auch in die Hütten der Armen göttliche Genien vom Himmel niedersteigen, wie es in den Häusern der Könige solche gibt, die würdiger wären, Schweine zu hüten, als über Menschen zu herrschen? Wer außer Griselda hätte nicht nur mit trockenem, sondern auch mit heiterem Auge die rauhen, bis dahin unerhörten Proben zu bestehen vermocht, welchen Gualtieri sie unterwarf? Diesem aber wäre es vielleicht ein wohlverdienter Lohn gewesen, wenn er auf eine gestoßen wäre, die sich, als er sie im Hemd aus dem Hause jagte, von einem andern ihr Pelzlein so hätte schütteln lassen, daß ihr ein schönes Kleid daraus erstanden wäre!


Die Erzählung des Dioneo war zu Ende, und viel hatten die Damen darüber gesprochen, hin und her, und die eine tadelte dies, während die andere damit Zusammenhängendes lobte. Da erhob der König den Blick zum Himmel, und wie er sah, daß [842] die Sonne schon zur Abendstunde niedersank, begann er, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, also:

»Wie ich glaube, wißt ihr, reizende Damen, daß die Weisheit der Sterblichen nicht allein darin besteht, sich des Vergangenen zu erinnern oder das Gegenwärtige zu erkennen, sondern, wie von den klügsten Männern für die größte Weisheit erachtet wird, aus dem einen und dem andern das Zukünftige vorherzusehen. Wie ihr wißt, sind es morgen vierzehn Tage, daß wir Florenz verließen, um uns zur Erhaltung unserer Gesundheit und unseres Lebens einige Erheiterung zu gewähren und dem Trübsinn, dem Schmerz und der Angst zu entgehen, die man in unserer Vaterstadt, seitdem diese traurige Pestzeit begonnen, beständig vor Augen hat.

Dies haben wir nun, meinem Urteil nach, in allen Ehren getan. Denn, habe ich recht zu beobachten gewußt, so ist trotz all der lustigen und vielleicht die Sinnenlust anregenden Geschichten, trotz unseres beständigen guten Essens und Trinkens, trotz Spielens und Singens – welches doch alles Dinge sind, die schwache Gemüter vielleicht zu minder ehrbaren Betragen verlocken könnten – doch keine Gebärde, kein Wort, keine Handlung, weder von eurer noch von unserer Seite vorgekommen, die zu tadeln wären. Vielmehr schien alles, was ich sah und hörte, mir nur von stetem Anstande, steter Eintracht und brüderlicher Vertraulichkeit zu zeugen. Ohne Zweifel ist mir dies um eurer und meiner Ehre und um unseres gemeinsamen Vorteils willen gar lieb. Damit aber nicht etwa durch die lange Vertraulichkeit entstehe, was zu Verdruß ausschlagen könnte, und niemand Grund habe, unser langes Verweilen zu bekritteln, so wäre ich der Meinung, daß es, so es euch genehm, nun angemessen sei, wieder dahin zurückzukehren, von wo wir geschieden sind, da doch ein jeder an seinem Tag an der Ehre, die noch bei mir ruht, seinen Anteil gehabt.

Überdies könnte, wenn ihr alles wohl erwägt, unsere Gesellschaft, von der schon mehrere andere Gruppen hier in der Gegend Kunde erhalten, sich leicht auf eine solche Weise vermehren, daß wir alle unsere Freude daran verlören. Billigt ihr daher meinen Rat, so will ich die mir überlieferte Krone bis zu unserer Abreise, die, wie ich denke, morgen früh sein soll,[843] aufbewahren. Beschließt ihr aber anders, so habe ich schon jemanden im Sinne, den ich für den folgenden Tag krönen möchte.«

Lange währte hierüber das Gespräch der Damen und der jungen Männer. Endlich aber erkannten sie den Vorschlag des Königs für nützlich und angemessen und beschlossen, so zu tun, wie er gesagt hatte. Er ließ daher den Seneschall rufen, um mit ihm über die Anstalten für den folgenden Morgen zu sprechen, entließ die Gesellschaft bis zur Essensstunde und stand auf. Die Damen und die anderen beiden jungen Männer erhoben sich gleichfalls, und nicht anders, als sie es gewohnt waren, überließ sich der eine diesem, der andere jenem Vergnügen.

Als die Stunde des Mahls gekommen war, versammelten sie sich mit großer Lust dazu. Danach begannen sie wieder mit Gesang und Spiel und Ringeltanz, und während Lauretta den Reigen anführte, befahl der König der Fiammetta, ein Lied zu singen. Diese sang also:


Wenn Eifersucht sich von der Liebe Wesen
Lostrennen ließe, dann
Wäre nie ein Weib so froh wie ich gewesen.
Wenn heitre Jugendblüte
Des schönen Liebsten die Geliebte freut,
Wenn unbefleckte Ehre, wenn Tapferkeit und Güte,
Wenn edle Sitte, Geist, Beredsamkeit,
So weiß ich, keine wäre
Mir gleich an Glück, weil ihn, den ich verehre
Und der mich liebgewann,
Zum Wohnsitz jede Tugend hat erlesen.
Doch muß ich mir ja sagen,
Daß andre Fraun nicht blinder sind als ich,
Und zittre drum vor Bangen.
Was sollten sie's nicht wagen,
Für den in Liebe zu entflammen sich,
Der mir mein Herz gefangen?
Drum, was beglückt mein liebendes Verlangen,
Hält mich zugleich im Bann
Und läßt mich nicht von meiner Furcht genesen.
[844]
Nie wär ich eifersüchtig,
Hätt ich so fest wie meine Liebe heiß
Zu meinem Herrn Vertrauen.
Doch Männer lieben flüchtig
Und folgen jeder, die zu locken weiß;
Drum mag ich keinem trauen.
Angst überfällt mich und ein tödlich Grauen,
Blickt eine ihn nur an;
Gleich fürcht ich, zündend sei der Blick gewesen.
So fleh ich denn, daß keine
Durch solchen Eingriff ihr Gewissen sich
Erdreiste zu belasten.
Doch unternimmt es eine,
Durch Schmeichelein, Wink' oder Worte mich
In diesem anzutasten,
Und ich erfahr es, nimmer will ich rasten,
Bis Mittel ich ersann,
Daß bitter sie bereut solch töricht Wesen.

Als Fiammetta ihren Gesang beendet hatte, sprach Dioneo, welcher neben ihr stand, lächelnd: »Madonna, Ihr würdet die Damen sehr zu Dank verpflichten, wenn Ihr – da Ihr Euch deshalb so sehr erzürnen wollt – allen seinen Namen anvertrautet, damit Euch nicht etwa eine unwissentlich Euren Besitz nähme.«

Hiernach sang man noch andere Lieder, und als die Nacht schon mehr als zur Hälfte verstrichen war, begaben sich alle zur Ruhe, wie es dem König gefiel.

Sobald der neue Tag erschien, erhoben sie sich, während der Seneschall ihr Gepäck bereits vorausgeschickt hatte, und kehrten unter der Führung des verständigen Königs nach Florenz zurück. Hier verließen die drei jungen Männer die sieben Damen in Santa Maria Novella, von wo sie mit ihnen aufgebrochen waren, nahmen von ihnen Abschied und gingen, wohin es ihnen gefiel. Die Damen aber kehrten, als es ihnen an der Zeit schien, in ihre Wohnung zurück.

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TextGrid Repository (2012). Boccaccio, Giovanni. Novellensammlung. Das Dekameron. Das Dekameron. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3826-0