[274] Schwesterngesundheit, ausgebracht bei einer Tafelloge z.w.E.

1784.


Die Zeit, wo Schwestern, uns und euch
Ein Geist der Gleichheit wehte,
Wo sich kein Frosch in seinem Teich
Mehr als ein and'rer blähte,
Die gold'ne Zeit, wenn ihr sie kennt,
Dort in dem alten Testament,
Die soll durch uns auf Erden
Einst wieder Mode werden.
Wir könnten aus Arkadien
Die Mode zwar verschreiben;
Allein ein Maurer, Schwesterchen,
Muß bei der Bibel bleiben;
D'rum, Schwestern, denkt mit uns euch fein
In jene Lebensart hinein,
Die uns're ersten Hirten,
Die Patriarchen, führten.
Die Mädchen lebten da fortan
Ein paradiesisch Leben:
Sie durften sich um einen Mann
Gar nicht viel Mühe geben;
Wenn gleich kein Baron Abraham,
Kein Herr von Isaac um sie kam,
So gab's doch an der Tränke
Oft Männer und Geschenke.
Und kamen nicht sogleich im Trott
Die Männer angeritten,
[275]
So durfte man wohl auch zur Noth
Den nächsten besten – bitten:
Miß Ruth, zum Beispiel, macht' es so;
Sie legte sich zu Botz auf's Stroh,
Und ist doch, wie wir lesen,
Die Unschuld selbst gewesen.
Auch pflegte sich das Glück der Eh'
Nicht so geschwind zu enden;
Denn Schnellkraft für Jahrhunderte
Lag in der Männer Lenden:
Was jetzo kaum ein Funfziger
Mehr kann, hat als Fünfhunderter
Durch Buben, stark wie Riesen,
Herr Abraham bewiesen.
Die Hausfrau wußte da nicht viel
Von Zwang und Etikette,
Und ging, so lang es ihr gefiel,
Mit ihrem Mann zu Bette;
Und war sie nun des Dinges satt,
So konnte sie, wie Sara that,
Dem Manne nach Belieben
Ihr Mädchen unterschieben.
Den Namen Schwester selbst erfand
Der Patriarchen größter;
Er war gen Pharao galant,
Und hieß sein Weibchen Schwester:
Und seit der Zeit wird jedes Weib,
Dem der Gemahl zum Zeitvertreib
Mehr Brüderchen vergönnet,
Ein Schwesterchen genennet.
Wohlfeil war alles desperat:
Man zahlte keine Zinsen,
Und kauft' ein ganzes Majorat
Um eine Schüssel Linsen;
[276]
Das schönste Weib sammt Unterrock,
Galt höchstens einen Ziegenbock,
Und Jungfern sah man bersten
Um einen Schäffel Gersten.
O lebtet ihr nur, Schwesterchen,
In diesen gold'nen Tagen,
Es würden da die zärtlichen
Vapeurs euch nicht mehr plagen;
Ihr wäret glücklich für und für:
Statt Männerherzen würdet ihr
Zuweilen Butter rühren,
Um euch zu divertiren.
Es würd' euch da kein Darat zwar
Von Kuß und Liebe schreiben;
Doch würdet ihr nicht ganz und gar
Ununterrichtet bleiben:
Ihr kämet darum doch an's Ziel,
Und lerntet beides, ohne viel
Französische Strapatzen
Von Tauben und von Spatzen.
Ihr dürftet da, vom Zwange frei,
Nicht sorgsam calculiren,
Wie weit es Wohlstandsregel sei,
Den Busen zu verschnüren;
Denn in dem Stand der Unschuld war
Es Mode, bloß in Haut und Haar
Herumzugeh'n auf Erden,
Und d'rob nicht roth zu werden.
D'rum laßt uns bald mit Sack und Pack
In diese Länder reisen:
Bei Meister Jubal's Dudelsack
Läßt sich's vortrefflich speisen;
[277]
Dann wollen wir ohn' Unterlaß
Aus Vater Noah's vollem Faß
Ein lautes Salve geben,
Und singen – ihr sollt leben!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Blumauer, Aloys. Gedichte. Sämmtliche Gedichte. Gesundheiten. Schwesterngesundheit, ausgebracht bei einer Tafelloge z.w.E.. Schwesterngesundheit, ausgebracht bei einer Tafelloge z.w.E.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3754-0