Fünfte Scene
Nollingen. Vorige.
KAISER
erschüttert.
Du hast mich ergriffen – ich will – Ah Nollingen – endlich! Sprich schnell, was hast Du entdeckt? Hat er gestanden?
NOLLINGEN
ebenfalls festlich gekleidet, zuckt die Achseln.
Gestanden wohl, doch nichts, was Euch nützen könnte. Bei solcher Jugend solche Verschlagenheit, solchen Trotz, es ist kaum glaublich. Daß er die Dokumente mit List entwendet, bekennt er, daß er sie in remde Hände gegeben, auch; doch keine List, selbst [110] nicht die Freiheit, die ich ihm anbot, wenn er sie in meine Hand zurückliefern würde, konnte ihn zu einem andern Ausspruch bewegen, als den Worten: die Dokumente sind auf immerdar für Euch verloren.
KAISER.
Unerhört! – Hast Du das vernommen, Amalgundis? Er läugnet nicht einmal den Verrath. – Machte die Aussicht auf seinen nahen Tod keinen Eindruck auf den Verblendeten?
NOLLINGEN.
Nicht den geringsten. Er lächelte höhnisch. Er scheint sicher auf Rettung durch Gerhard von Mainz zu hoffen. Ich wünschte, Eure Majestät ließen sich selbst herab, einem Verhör dieses Verstockten beizuwohuen, Sie würden sich überzeugen, daß hier nur die Folter –
KAISER.
Schweig, Nollingen! Du weißt, wie sehr wir dieses Mittel hassen. Wir wollen ihn nicht mehr sehen. Die Dokumente sind verloren. Den Raub läugnet der Elende nicht, sein Verbrechen ist erwiesen; es bleibt bei unserm Ausspruche. Jetzt folgt uns zum Bankett.
AMALGUNDIS
reicht dem Kaiser mit einem tiefen Seufzer die Hand, und sagt für sich.
Er ist verloren!
Mit dem Kaiser ab.
[111]JUTTA
an Nollingens Arm.
Hast Du's gehört? Du siegst!
NOLLINGEN.
Das Junkerlein hätten wir glücklich geborgen!
Alle ab, bis auf den Arzt, der von Ferne stand.
ALESSANDRO
Nollingen nachsehend.
War doch noch nichts so fein gesponnen,
Es kam denn endlich an die Sonnen.
Ab.
Verwandlung.
Großer Bankettsaal. Rechts und Links von der ersten Coulisse bis zum Hintergrund laufen lange prächtig geputzte Tafeln. In der Mitte, eine Stufe erhöht, steht eine Extra-Tafel, welche jedoch nicht
groß seyn darf, für den Kaiser, Amalgundis und den Stadtschultheiß gedeckt. Den Hintergrund bildet eine offene Gallerie, zu welcher eine breite, mit prächtigen Geländern und Blumen verzierte Treppe führt. Durch die offenen Bögen, deren nur drei seyn dürfen, sieht man ins Freie. Die Gallerie muß so hoch seyn, daß, wenn auch die ganze Bühne mit Menschen angefüllt ist, man dennoch genau sehen kann, was oben geschieht. Die Coulissen enthalten Gallerien, worauf viele Zuschauer steh'n. – Sobald verwandelt ist, beginnt der Marsch. Dem Zug voran geht ein Spruchsprecher, in bunten Farben gekleidet, hinter ihm Knaben und [112] Mädchen als Waldgötter und Satyre in possirlichen Sprüngen einher hüpfend, dann sechs kaiserliche Leibtrabanten. Nun folgen mehrere Paare Ritter im Festkleide, ihre Damen zierlich an der Hand führend. – Vor jedem Ritter ein Wappenherold, in die bunten Farben seines Hauses gekleidet, auf Brust und Rücken das Wappen des nachfolgenden Herrn. – Hinter jedem Paare vier Diener desselben, gleichfalls in den Hausfarben des Voranschreitenden. Vor jedem Wappenträger geht, nach der Sitte damaliger Zeit, entweder ein geputzter Zwerg, ein Mohr, oder ein Narr mit der Schellenkappe. Günther und Jutta sind das letzte Paar. – Als der Zug der Ritter vorbei ist, erscheint
der Stadtschultheiß an der Spitze von 12 Rathsherren; diesen folgen wieder 6 Trabanten des Kaisers, dann 6 kaiserliche Leibjunker mit Fackeln, dann der Kaiser selbst, Amalgundis an der Hand führend, im Kaisermantel, 6 Pagen tragen seine Schleppe – hinter ihm wieder 6 Leibjunker mit Fackeln, hinter diesen Trabanten, dann des Kaisers Narr, prächtig geputzt – hinter diesem mehrere Zwerge und Mohren, welche in abenteuerlichen Sprüngen folgen. Ein kaiserlicher Marschalk mit dem weißen Stabe – dann beschließt ein Musikchor den Zug, welcher sich sogleich auf der Gallerie feststellt, aber nur Rechts und Links, so, daß der mittelste Bogen, zu welchem die Treppe führt, frei bleibt. Sobald der Zug steht, die Ritter und Damen an den Tafeln, die Diener theils im Hintergrunde, theils hinter jedem Herrn einer vertheilt sind, winkt der Spruchsprecher mit seinem Stabe, und die Musik schweigt.
[113]SPRUCHSPRECHER.
Willkommen all Ihr Herrn und Frau'n,
Die hier im bunten Kranz zu schau'n!
Es wünscht des Kaisers Majestät,
Daß man sich baß ergötzen thät:
Dieweil zu Ehr' der guten Stadt
Das Fest der Herr eröffnet hat.
Pauken und Trompeten erschallen; Alles, was zum Gefolge des Kaisers gehört, ruft:
Hoch die Stadt Frankfurt! hoch!
Die zum Fest versammelten Gäste verbeugen sich alle tief.
CONRAD VON STADE
tritt vor, und verbeugt sich.
Wir danken kaiserlicher Majestät! der Herr erhalte uns den Kaiser bei stets gleicher Gesinnung, so wie bei steter Gesundheit und leichtem Herzen. Er stärke das Licht seiner Augen, sie mögen dringen in die verborgenste Falte, auf daß kein Verrath sicher sei, selbst nicht im Herzen des Verräthers. Mit solchen wohlgemeinten Wünschen danken wir kaiserlicher Majestät für gewürdigte Ehre.
DIE RITTER UND ALLE.
Vivat, Adolphus! Heil dem Kaiser!
KAISER
verbeugt sich, winkt alsdann, und nimmt Platz in der Mitte der kleinen für ihn gedeckten Tafel.
Sobald er sitzt, winkt [114] der Marschalk mit dem Stabe. – Alles setzt sich – Amalgundis rechts, der Schultheiß links an der Seite des Kaisers. An der Tafel zur Rechten sitzt auf dem ersten Platz zum Publikum, Günther von Nollingen, neben ihm Jutta, an der ganz besetzten Tafel links bleibt der erste Platz leer. – Eine sanfte Tafelmusik beginnt. Die Treppe herab kommt ein Zug kaiserlicher Leibdiener, den ersten Gang in glänzenden Geschirren auftragend. Der Spruchsprecher und der Narr ziehen sich rasch zu den Bedienten zurück.
KAISER
bemerkt den leeren Platz.
Wir bemerken einen leeren Platz an uns'rer Tafel – was soll das?
CONRAD VON STADE.
Euer Majestät zu dienen, es ist der Ehrenplatz, bestimmt für den edlen Ritter Schelm vom Berge.
KAISER.
Ja fürwahr, das gewahren wir nicht ohne Mißvergnügen, daß unser würd'ger alter Freund hier fehlt. Man sende rasch nach ihm. – Und wo steckt die Laune unsers Narren? Seine Kappe hören wir klingeln, aber von seinem Witze will sich nichts zeigen.
NARR
kommt mit einem possirlichen Sprunge vor.
Willst, Kaiser, Du bei der Suppe schon lachen,
Was soll denn Dein Narr bei dem Braten machen?
[115]KAISER.
Bist Du heute so schlecht mit Laune bestellt, daß Du nicht auszureichen gedenkst bis zum Braten; so ziehe Dich zurück zu den Troßbuben, und sende uns einen, der Deinen Platz würd'ger bekleide.
Während dem Alles dieß vorgeht, ist im Hintergrunde auf der Gallerie Röschen und Antonio Bandini erschienen, sie sprechen emsig zusammen. Röschen geht endlich die breite Treppe zögernd
herab, sie ist festlich geputzt, aber in Bürgerstracht, hält ein Päckchen in der Hand in ein buntseidenes Tuch eingewickelt. Antonio bleibt oben auf der Gallerie, und wird nur von Zeit zu Zeit sichtbar.
RÖSEL
zitternd und sichtbar verzagt läßt sich vor dem Kaiser auf ein Knie nieder.
Mein Herr und Kaiser! willst Du einem armen Mädchen verstatten, daß es Dir an diesem festlichen Tage einen Dienst erweisen dürfe?
Alles wendet sich erstaunt nach dem Mädchen.
KAISER
betroffen.
Du uns einen Dienst? – Fürwahr, wir sind geneigt, einen solchen gern zu empfangen, wäre es auch von dem letzten unserer Unterthanen. Erhebe Dich, sage, wer Du bist, und welche Art von Dienst Du uns zu erweisen denkst?
[116]RÖSEL
steht auf, muthiger.
Das ist ein Wort, Herr Kaiser, das sich hören läßt, und seid Ihr milder und gütiger, als alle Eure Dienersleute. Dreimal schon war ich in Euern Vorgemächern heute, doch Alle meinten, mit solch armer Dirne habe die Majestät nichts zu verhandeln. Ich aber habe mit der Majestät zu verhandeln, dachte ich, und so nahm ich das Herz in beide Hände, und stehe nun hier, wie Ihr seht. – Ich bin die kleine Pfeffer-Rösel aus Nürnberg, Mit einem Knix. Tochter des weiland Pfefferkuchen-Fabrikanten Stücklein – meinem gnädigsten Kaiser zu dienen – und denke Allerhöchstdenselben die Wahrheit zu sagen.
KAISER
aufmerksam.
Ei, ei, mein Kind, das wäre denn allerwegen ein Dienst, welcher unsers Dankes werth. Nun, laß hören. Zu Amalgundis. Das ist sicherlich ein Possenspiel, welches uns der schlaue Narr bereitet.
RÖSEL.
Ja, da müßt Ihr mir verstatten, Euch ein seltsames Mährlein zu berichten. Der Kaiser winkt, Alles sieht mit gespannter Aufmerksamkeit auf Rösel. Diese zupft Anfangs etwas verlegen an der Schürze, wird aber immer muthiger. [117] Es war einmal ein reicher, vornehmer Mann, der hatte einen Schatz, den er gar sorglich bewahrte. Zum Wächter desselben stellte er seinen besten Freund – der aber war der Wolf im Schafspelze, und stahl dem reichen Manne den theuern Schatz, und gedachte ihn, im Schutz der Nacht, seinen Helfershelfern auszuliefern. Er that auch so. – Es begab sich aber, daß ein armer Diener des reichen Mannes, der an seinem Herrn hing mit Leib und Seele, durch Gottes Fügung ahnete, was jener schlaue Fuchs spann – er machte sich daher auf bei Nacht und Sturm, und jagte dem Diebe seinen Raub wieder ab – der aber, groß und mächtig, warf den Jüngling in einen finstern Thurm, und log dem reichen Mann, dieser habe ihn bestohlen. Der reiche Mann glaubte auch dem vermeintlichen Freunde mehr, als dem armen Diener, und verdammte diesen, den Tod des Verbrechers zu sterben.
KAISER
sie unterbrechend.
Was soll das Possenspiel? Genug, Du bist gedungen, um Deine Lügen vor mir auszukramen – ich will nichts weiter hören.
RÖSEL.
Um Euch die Wahrheit zu verkünden, Herr Kaiser, dazu hat mich mein eig'nes Herz gedungen, zeigt, daß Ihr sie hören könnt.
[118]KAISER.
Beim Himmel, Du bist kühn! Doch ende immerhin das Mährlein.
RÖSEL.
Kein Mährlein, Kaiser! Jener treue Diener vertraute den wiedergewonnenen Schatz gar sichern Händen. Sie hebt plötzlich die Hand mit dem Päckchen in die Höhe. Hier ist er, kaiserlicher Herr, und zeugen wird er für des Jünglings Unschuld. Seht, jener prächtige Ritter dort, der Herr Günther von Nollingen, würde mir wohl für das kleine Päckchen hier ein paar stattliche Burgen gegeben haben, hätt' ich nur Lust zu dem Tausche. Doch – so genügsam bin ich nicht; ich fordere mehr; der Preis ist hoch – Ihr nur, Herr Kaiser, könnt ihn bezahlen. Sie stürzt auf die Knie, reißt das Tuch von den Dokumenten, und ruft, sie emporhaltend, heftig bewegt. Ein Menschenle ben gilt's, um dieses nur könnt Ihr den Schatz erstehen.
KAISER
springt auf, faßt darnach und ruft heftig bewegt.
Ist's möglich? – Die Dokumente!
ALLE
stehen auf und rufen.
Die Dokumente?
[119]NOLLINGEN
der Anfangs im Gespräche mit Jutta verloren, Rösel nicht beachtete, und erst aufmerksam ward, als sie an den Schluß der Erzählung kam, ruft leise.
Beim Satan, die Dokumente sind's!
Der Kaiser öffnet das Pergament, seine Züge zeigen den höchsten Ausdruck von Freude, Alles sieht ihm schweigend zu. Jetzt fällt ein Blatt heraus, er scheint es nicht zu bemerken, Rösel bückt sich rasch, und reicht es ihm dar, er beginnt zu lesen, seine Züge verändern sich, Erstaunen, Schreck, Wuth, zuletzt Verachtung malt sich in seinen Mienen. Er sieht, als er gelesen, mit einem langen, durchbohrenden Blick nach Nollingen hinüber, dann läßt er die Arme mit dem Blatt sinken, und blickt gen Himmel – Alles ist erstaunt. Nollingen steht in gräßlicher Spannung. In diesem Augenblicke erscheint auf der Treppe Ritter Schelm vom Berge, ganz schwarz geharnischt, hinter ihm zwei schwarz geharnischte Ritter.
KAISER
geht von seiner Tafel auf Nollingen zu, ihn fest im Auge haltend.
– Nollingens Kniee zittern, je mehr er sich nähert; sein ganzes Wesen spricht die tödlichste Angst aus. Als der Kaiser dicht vor ihm steht, und ihn mit einem langen Blick gemessen, den Jener nicht aushielt, hält er ihm plötzlich das Blatt vor die Augen. Wer schrieb dieß?
NOLLINGEN
sinkt mit einem unartikulirten Laut auf seinen Platz zurück.
[120]KAISER
wendet mit einem schmerzlichen Ausdruck das Gesicht von ihm.
Und wär' es nicht die Hand, die ich kenne seit den Tagen argloser Kindheit, die unläugbar die Seine, wie mir unläugbar jetzt das Licht des Tages leuchtet, diese Miene spräche sein Urtheil. Er erhebt das Blatt, und liest Anfangs mit wankender Stimme, dann immer fester werdend. »Erhabener Freund, würd'ger Gerhard von Mainz! Endlich ist es gelungen, der Meisterstreich vollführt; die Gegenwart des Kaisers selbst hielt mich nicht ab, mein Wort zu halten; die Dokumente sind in meinem Besitz, und Ralph Strichauer, unser treuer Diener, legt sie, so das Glück will, noch diese Nacht in Eure Hand. Doch dieß ist das Kleinste, was ich für Euch that. Der Kaiser denkt sich mit seiner Gattin zu versöhnen, und reitet Sonntag früh in aller Stille, nur von Wenigen gefolgt, gen Hildesheim hinunter – dort am grünen Busch, bei der Mainbiegung, kann Er Euch nicht entrinnen, wird er nicht gewarnt. Dafür denke ich endlich die Reichsgrafenwürde zu verdienen. Euer immer dienstwilliger Freund
Günther von Nollingen.«
Allgemeines Entsetzen – laute Bewegung.
KAISER.
Nur ihm, nächst Gott, vertraute ich meinen Plan, [121] gen Hildesheim zu ziehen. – Es ist kein Zweifel mehr, die Schlange ist enthüllt, die ich mit meinem Herzblut nährte. Sprecht, was gebührt dem Hochverräther?
Alles verstummt.
SCHELM VOM BERGE
der indeß herabkam, und vor dem Alles entsetzt zurückwich, beide Arme über Nollingens Haupt erhebend.
Der Tod durch Henkershand! – Schmach und Schande auf Günther von Nollingen – sein Name sei gebrandmarkt, sein Wappen zerbrochen. Ich vervehme ihn und sein Gut; ich vervehme ihn und sein Recht; ich vervehme ihn und sein Schwert – er sei frei alles Schutzes, wie das Wild im Walde, wie der Vogel in der Luft – sein Gedächtniß erlösche unter den Redlichen, er sei verflucht für alle Zeiten, denn er ist schuldig des Hochverraths.
ALLE
rufen entsetzt.
Wehe; er ist vervehmt!
Sie ziehen sich wie vor einem Pestkranken zurück.
JUTTA
sinkt mit einem Schrei ohnmächtig an seiner Seite nieder.
NOLLINGEN
welcher sich erholt, und dessen Besinnung zurückkehrt.
Strömt dort unten nicht der Main? Kann ich nicht schwimmen? So leicht sollt Ihr den Nollingen nicht haben. Er reißt plötzlich sein Schwert aus der Scheide, [122] und ruft mit furchtbarer Stimme. Zurück von dem Vervehmten!
Alles steht erstaunt. – Nollingen flieht mit Blitzesschnelle dem Hintergrunde zu, eilt die Treppe hinan, und faßt oben schon das Geländer der Gallerie, um hinabzuspringen. In diesem Augenblicke springt.
BANDINI
hinter der Säule auf der Gallerie hervor, faßt ihn von rückwärts mit beiden Armen, und schleudert ihn, zurückreißend, mit furchtbarer Gewalt zur Treppe, so, daß dieser niederstürzt, und oben auf der Treppe liegt, sein Schwert entfällt ihm.
Dieß Alles muß sehr rasch geschehen. Sobald er liegt, ruft Bandini. Gemach, gemach, Günther von Nollingen! der gefolterte Antonio Vilardi lebt noch, um Euch von Henkershand sterben zu sehen.
Die Vehmrichter, welche ihm nachgeeilt, kommen jetzt oben an, und nehmen Nollingen in Empfang.
NOLLINGEN.
Wehe – Vilardi! – es ist aus mit mir!
KAISER.
Schafft uns den Verräther aus den Augen – sein Urtheil ist gesprochen.
[123]