Der bekehrte Plinius

Plinius der Jüngere spricht:
Wenn die Narren tanzen wollen,
Hindert sie der Weise nicht,
Doch entflieht er ihrem Tollen
In ein abgelegnes Haus,
Zieht sich seine Toga aus
[213]
Und verfertigt ein Gedicht,
Das von jenen Pfaden handelt,
Drauf der stille Denker wandelt,
Hell umstrahlt vom eignen Licht.
Ganz so unrecht hat er nicht,
Dieser jüngre Plinius.
Manchmal ist es kein Genuß,
Dort zu sein,
Wo das Bein
Tanzt, bloß weil es tanzen muß.
Zum Beispiel, wo der Leutenant
Zum Regimentsmusikgetöse
Die Taille der Frau Kommandöse
Mit pflichtergebnem Arm umspannt;
Oder wo,
Bloß so so,
Der Staatsanwaltschaftssubstitut
Fröhlich tut,
Weil der Anstand es erfordert,
Da zum Tanzen er beordert,
Und die saure Lippe man
Dabei nicht verwenden kann;
Oder auch,
Wo der Bauch
Des beleibten Handelsmanns
Sich im Tanz
Widerwillig dreht und schwenkt,
Weil ihn die Erwägung lenkt,
Daß von eines Kunden Gnaden
Er zum Hausball ist geladen.
[214]
Bei solcherlei Gelegenheit
Bleibt der Weise lieber weit
Weg vom Schuß nach Plinii
Junioris Theorie;
Denn beim Zeus,
Es ist scheußlich
und übel anzusehn,
Wo sich so
Mal apropos
Tänzersohlen,
Die befohlen,
Auf dem Pflichtparkette drehn.
Mühsal mahlt im Mühlentakte,
Klipp und klapp,
Das vertrackte
Pensum ab;
Selbst des Walzers holde Töne
Werden schleppend zum Gestöhne,
Das zum Himmel schluchzt und schreit:
Welche Niederträchtigkeit!
Aber nun, o Plinius,
Hör, was ich dir sagen muß:
Steig aus deiner Toga Falten,
Schmücke dich mit Lack und Claque,
Laß dich (Mut, Mann!) mißgestalten
Durch den zwiegeschwänzten Frack!
Triste scheint zwar die Montur,
Doch das ist von außen nur.
Und nun komm, ich will dich leiten,
Wie den Dante einst Virgil,
[215]
Aber nicht in Höllenbreiten,
Sondern mitten ins Gewühl
Ausgelaßner Lustbarkeiten,
Wo das Leben sich im Spiel
Tanzend einmal wirklich regt,
Wie das Herz den Takt ihm schlägt.
Denn gewöhnlich sind wir heute
So in Ernst getunkte Leute,
Daß des Lebens heitres Ziel
Unserm düstren Blick entfiel.
Aber ganz ists nicht versunken,
Manchmal lassen wir der Unken
Dumpf Geläute überschrein
Von des Frohsinns Melodein.
Und wir tanzen wie besessen
Ins verlorne alte Land,
Das wir beinah schon vergessen,
Wie die Kinder Hand in Hand,
Und im Aneinanderpressen
Fühlen wir: gottlob, der Brand,
Der schon im Verglimmen schien,
Kann noch helle Flammen schlagen,
Wenn der Freude Melodien
Sturm in unsre Seelen tragen.
Sieh, wie reg die Brüste gehn
Unsrer Mädchen, unsrer Frauen,
Sieh, wie ihre Augen glühen,
Wie die schwarzen, braunen, blauen
Helle, heiße Blitze sprühen!
Hast du Schönres je gesehn?
[216]
Gerne möchte was entgegnen
Dieser alte Klassiker,
Doch da springt mit höchst verwegnen
Sprüngen eine Tänzrin her;
Lange braune Ringelhaare
Schweben ihr ums Angesicht,
Dem zwei liebe braune klare
Augen Leben sind und Licht;
Rot und golden ist das Mieder,
Rot und golden sind die Schuh,
Aber um die schlanken Glieder
Knistert gelbe Seide nieder
Allerfeinsten Knöcheln zu,
Wo Juponvolantgefieder
Rüschenüppig raunt frou-frou.
Und es faßt Herrn Plinium
Diese holde Tänzrin um.
Zwar er sagt: »Ich kann nicht tanzen«,
Doch sie sagt: »Es wird schon gehn«,
Und schon seh des Röckchens Fransen
Ich um seine Schöße wehn.
Marmelsteinern,
Elfenbeinern
Sieht man bald von ferne her
Seiner Glatze Kugel leuchten,
Wie des Seehunds runden feuchten
Schädel aus bewegtem Meer.
Und sie regt sich
Und bewegt sich,
Und sie rötet sich im Tanz.
Jetzo hier und jetzo dorten,
[217]
Wirft sie balde allerorten
Ihren roten Vollmondglanz.
Mittendrin im Walzerschwall,
Plinius ist überall;
Hier jetzt, da jetzt,
Fern jetzt, nah jetzt,
Schöße hoch und Beine reg,
Plinius macht seinen Weg;
Schleifer, Dreher,
Hopser, Steher,
Welche Schikanen
Auf Walzerbahnen
Je man ersann,
Kann dieser Mann.
Fast wird mir schwindlig bei dem Gedreh.
»Heda, he,
Plinie!
Tun dir nicht endlich die Beine weh?
Halte doch an!«
– »Keine Idee!
Noch eine Runde rum!
Links herum, rechts herum!« –
Schon ist er fern!
Hat man seine Not mit den Klassikern!
Endlich ist der Tanz vorbei,
Und es setzen sich die zwei,
Aber so:
Der Domino
Auf den Schoß dem Plinio.
[218]
Und der alte Römer spricht:
Wenn die Frohen tanzen wollen,
Hält sich auch der Weise nicht
Fern von ihrem schönen Tollen,
Sondern geht mit in das Haus,
Wo in Trubel und Gebraus
Leben selbst wird zum Gedicht,
Das von jenen Pfaden handelt,
Drauf sich Lust in Weisheit wandelt
Und die Düsternis in Licht.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Der bekehrte Plinius. Der bekehrte Plinius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3419-1