VII
Es hätte zwar der junge Graf Hohenthal nach einer eiligen, etwas angreifenden Reise der Ruhe bedurft, um so mehr, da er in der jüngst vergangenen Zeit Vieles erlebt hatte, wodurch seine Kräfte erschüttert waren, aber eben diese Erfahrungen in seinem innern, wie in seinem äußern Leben waren so inhaltsschwer, daß Gedanken von der wichtigsten Art und die wichtigsten Pläne lange den Schlummer von seinem Lager scheuchten, und er den Tag herbei wünschte, um eine geheime, ernste Unterredung mit seinem Oheim zu [120] suchen, und doch wußte er nicht bestimmt, was er ihm sagen wollte oder durfte.
Als der junge Graf vor etwa sechs Wochen das Schloß Hohenthal mit schwerem Herzen verlassen hatte, um zu seinen Eltern zu reisen, wurde er auf diesem Wege von ängstigenden Sorgen und beunruhigenden Gedanken gequält, das Leben der Gräfin war in Gefahr und er hatte, wie es jedem edeln Menschen zu ergehn pflegt, eine um so größere Theilnahme für diese Frau gewonnen, als er ihr Unrecht gethan und sie sogar in seiner dumpfen Verzweiflung beleidigt hatte, und es erfüllte ihn daher ihr Zustand mit lebhaftem Kummer. Auf der andern Seite beunruhigte ihn nicht nur die Lage seiner Eltern, die ganz von dem Wohlwollen seines Oheims abhing, sondern er mußte auch mit Schmerzen daran denken, welche Schritte sein Vater von ihm verlangt hatte, um diesen Oheim zum Beistande zu vermögen, Schritte, die, indem er sie nur dachte, die Röthe der Scham auf seine Wangen trieben. Endlich gesellte sich zu allen diesen Sorgen durch einen Zufall noch eine andere, die für den Augenblick die ängstlichste wurde. Es zerbrach nämlich ein Rad seines Wagens, und dadurch wurde er mehrere Stunden aufgehalten. Da er nun die Zeit seiner Reise genau berechnet hatte, so fürchtete er, sein Vater würde schon nachtheilige Verbindungen eingegangen sein, ehe er mit der ängstlich [121] ersehnten Hülfe erschiene, denn er konnte sein Vaterhaus nicht an dem Abende erreichen, welchen er als den spätesten seiner Ankunft bezeichnet hatte, sondern erst am Nachmittage des folgenden Tages eintreffen. Er fand seine Mutter allein, die ihm ungewöhnlich bleich, mit verweinten Augen entgegen trat. Gottlob! daß Du kommst, rief sie, indem sie ihn mit Thränen umarmte, es ist der letzte Augenblick, wenn Du Hülfe bringst, wo sie uns nützlich werden kann. Der junge Graf beruhigte die leidende Mutter und fragte dann nach dem Vater. Du kommst wie ein Engel des Trostes, erwiederte die Mutter noch immer weinend und berichtete nun, daß der alte Lorenz und sein Sohn erklärt hätten, daß sie noch heute abreisen würden, wenn das beabsichtigte Geschäft nicht noch an diesem Tage zu Stande käme, und daß der Vater, voll Mißtrauen gegen seinen Verwandten, alle Hoffnung aufgegeben habe, da der Sohn nicht zur versprochenen Zeit eingetroffen sei, und nun krank, mit Verzweiflung im Herzen, eben mit den Beiden herum fahre, um ihnen alle Vortheile des Gutes zu zeigen, das ihnen noch diesen Abend übergeben werden sollte.
O, Mutter! rief der junge Graf schmerzlich bewegt, hätte mein Vater sich mit offenem, redlichem Vertrauen an seinen edeln Verwandten gewendet, niemals wäre unsere Lage so drückend geworden, daß sie ihn so tief erniedrigt hätte, mir [122] Rathschläge zu geben, die mein Gefühl mir verbietet zu wiederholen.
Du hast Recht, sagte die trauernde Mutter, ja hätte Dein unglücklicher Vater nur die Hälfte des Scharfsinns daran gewendet, auf rechtlichen Wegen seine Umstände zu verbessern, den er darauf gerichtet hat, sein Schicksal durch Mittel zu bezwingen, die ich beweinen muß, so glaube ich, wir würden ohne Kummer unsere Lage betrachten; aber dennoch, geliebter Sohn, beurtheile den armen Mann nicht zu hart, denn er ist mir ein treuer Freund und Euch ein liebender Vater, und der Kummer nagt ja eben an seinem Leben und bringt ihn vor der Zeit in's Grab, daß er nichts für uns alle thun kann.
Wenn uns der Vater liebt, sagte der junge Graffin ster, so sollte er nicht Handlungen begehen oder fordern, die uns zwingen, für ihn zu erröthen.
O! still mein Kind, erwiederte die sanfte Mutter, Dein Herz schlägt noch mit Jugendkraft, Du kannst es noch nicht wissen, wohin ein feindliches Geschick den Menschen bringen kann. Dein Vater hat in der Jugend mit aller Gluth und Kraft des Herzens geliebt, ihm wurde Erwiederung geheuchelt, indeß seine Empfindung verspottet und er mit dem schnödesten Eigennutz betrogen wurde, und zwar durch einen Freund, dem er sich mit ganzer Seele vertraute. Seine einzige[123] Schwester, bedeutend älter als er, war längst verheirathet, als die ältern starben, und der Schwager benutzte als Vormund das Vermögen, indeß Dein Vater seine Jugend in Dürftigkeit hinbrachte, sich in Schulden verwickelte, die, als er mündig wurde, sich so drückend zeigten, daß er die Einsicht gewann, er sei genußlos verarmt, denn was ihm nach der Theilung mit seinem Schwager blieb, hatte er in immerwährender durch Dürftigkeit und Noth erregter Herzensangst schon im Voraus ausgegeben, und wenn seine Schulden bezahlt werden sollten, behielt er nichts übrig. Wo er sich hinwendete um Unterstützung, wurde er mit Kälte, als ein Verschwender, dem man nicht vertrauen könne, zurückgewiesen und seine Schulden, denen seine Verwandten mit Eifer nachspürten, als Beweise gegen ihn gebraucht. In dieser Bedrängniß wendete er seine Augen auf mich und wählte, nicht aus Liebe, sondern aus Noth, mich zur Gefährtin seines Lebens, und hoffte durch die einzige Tochter eines reichen Handelsherren seine gesunkenen Vermögensumstände wieder zu heben. Meinem Vater schmeichelte vielleicht der Gedanke, daß eine Gräfin aus seinem einzigen Kinde werden solle, und da er nicht gewohnt war, die Ansichten Anderer zu vernehmen, so befahl er mir, Deinen Vater als meinen Bräutigam zu betrachten, und bestimmte den Tag der Vermählung. In der That fiel es mir auch nicht ein, daß ich [124] befugt sei, Einwendungen zu machen, und der Tag unserer Verbindung erschien und wurde auf's Glänzendste gefeiert. Es schien, als ob Wohlstand und Glanz mit mir in unser Haus gezogen wären; mein Vater gab die nöthigsten Summen bei unserer Vermählung sogleich und verlangte, Dein Vater sollte nach drei Monaten ein Verzeichniß einliefern von allen Schulden und allen Bedürfnissen, dann wolle er Alles berichtigen und unsere Haushaltung, wie er sagte, auf einem solideren Fuße einrichten. Jetzt erschienen dieselben Freunde und Verwandten, die Deinen Vater in seiner Bedrängniß mit Kälte abgewiesen hatten, und wünschten ihm Glück, sie wurden unsere täglichen Gäste, und erschöpften sich in Herzlichkeit und zuvorkommender Liebe; man fand mich höchst liebenswürdig, man lobte es, daß ich bei dem großen Reichthume meines Vaters doch gar keine Ansprüche mache, kurz, Dein Vater wurde noch ein Mal mit allen Menschen versöhnt und überredete sich, er habe sich geirrt und in seiner bittern, durch die Noth erzeugten Stimmung die Menschen mit zu feindlichen Blicken betrachtet. Aber ach! wie bald brach dieß scheinbare Glück zusammen. Ein großes Handlungshaus in England fiel, und sein Sturz zog den eines Amerikanischen und mehrerer Hamburger nach sich, mit denen mein Vater in Verbindung stand, und er war schon zu Grunde gerichtet, ohne es zu ahnen, als er meine Hochzeit [125] so glänzend feierte. Er konnte den Schreck nicht überwinden und wurde vom Schlage getroffen, als er die Nachricht seines Unglücks erhielt. Acht Wochen nach meiner Verheirathung wurde er begraben. Jetzt wurde Alles gerichtlich bei meinen Eltern versiegelt, und die Armuth übte dort ihre furchtbare Gewalt, wo eben noch Glanz und Ueberfluß geherrscht hatten. Mein Vater hatte von mehreren Verwandten meiner Mutter Gelder in seiner Handlung, und diese waren so vorsichtig gewesen, sie mit unterschreiben zu lassen, und jetzt so schamlos, die Kleider und Wäsche meiner unglücklichen Mutter verkaufen zu lassen, um sich bezahlt zu machen, und die arme Frau wäre ohne Obdach gewesen, wenn nicht Dein Vater, der die Verbindung mit mir nur geschlossen hatte, um Vermögen zu erlangen, ihr sein Haus und seine Unterstützung angeboten hätte.
Ach, mein Sohn! wie schnell verloren sich alle die Freunde, die Dein Vater während seines kurzen Glückes besessen hatte, als meine Mutter bei uns einzog und unsere Dürftigkeit theilte. Die Besuche hörten auf, und wenn unsere Einsamkeit zuweilen gestört wurde, oder wenn wir gezwungen waren, Besuche zu machen, so suchte man Gelegenheit, über Mißheirathen zu sprechen, die nie zum Guten ausschlagen könnten; und meine sanfte Seele empörte sich, wenn ich diese rohen Menschen, deren mangelhafte geistige Bildung [126] ich nur bemitleiden konnte, so reden hörte. Dein Vater aber wurde durch ein solches Betragen auf's Aeußerste erbittert und beschloß, jedes Mittel anzuwenden, um seine Umstände wieder zu verbessern. Er studirte die Landwirthschaft eifrig, aber ihm mangelten die Mittel zu den nöthigen Auslagen und die besten Pläne konnten deßhalb nicht gelingen. Dieß zog ihm den Spott seiner Nachbaren zu, die viel zu beschränkt waren, als daß sie seine Einsichten hätten beurtheilen können; aber die Verläumdung that ihre Wirkung und unsere Lage wurde immer schlimmer. Mehrere Kinder waren geboren, die unsere Sorge vermehrten. Jetzt, da die ganze Welt uns feindlich gegenüber stand, gewann Bitterkeit und Verachtung gegen die Menschen die Oberhand in Deines Vaters Brust. Er hatte nicht die heldenmüthige Kraft der Tugend, die uns über jedes Mißgeschick erhebt; und da er Ursache gefunden hatte, die Menschen so tief zu verachten, so glaubte er auch der Selbstachtung nicht mehr zu bedürfen. Sie beten nichts an als ihr armseliges Vermögen, pflegte er oft zu sagen; sie werden sich von der kleinsten Summe nicht freiwillig trennen, um ihren nächsten Verwandten vom Verderben zu erretten: so muß man sie durch jedes Mittel der Klugheit zum Beistande zu zwingen suchen. Seine Kenntniß der Rechte wie seine Ueberlegenheit des Geistes führten ihn in der That auf manche Mittel, bald [127] von dem Einen, bald von dem Andern eine Summe als Darlehen zu erpressen, die unsern Untergang verschob, aber es konnte nicht fehlen, daß sich nun alle, die seine Achtung niemals verdient hatten, herausnahmen, Deinen Vater zu verachten; und ach! die allgemeine Stimme übte eine so traurige Gewalt, daß er auch die Achtung der Besseren verlor. Er wollte sich überreden, daß ihm dieß gleichgültig sei, aber ich sah wohl, wie der Kummer darüber an seinem Leben nagte. Meine Mutter war längst gestorben und Dein Vater hatte uns durch alle von ihm angewendeten Künste nur ein höchst dürftiges Leben gefristet; Deine Schwestern wuchsen, von allen Menschen zurückgesetzt, beinah ohne alle Erziehung heran, und wir waren auf's Aeußerste getrieben, als derselbe Lorenz, der jetzt Deines Vaters Vermögen an sich zu bringen strebt, hier erschien und, nachdem er einige Stunden sich in's Geheim mit Deinem Vater unterredet hatte, sich wieder entfernte. Jetzt, sagte hierauf Dein Vater mit großer Heiterkeit zu mir, jetzt will ich meinen hochmüthigen Vetter wohl zwingen, mir beizustehen; bald werde ich die Mittel dazu in meinen Händen haben, und Du, mein unglückliches Weib, brauchst dann nicht mehr in Noth mit unsern armen Kindern zu vergehen. Wie flehentlich bat ich ihn damals, auf der Bahn des Rechten zu bleiben und sich offen, mit Vertrauen an diesen Verwandten [128] zu wenden. Er lachte mit Bitterkeit über meinen Rath und fragte mich, ob wir noch nicht Demüthigungen genug erfahren hätten, ob ich nach neuen lüstern sei?
Wie einen Bettler würde er mich abweisen, sagte er, wenn ich ihn freimüthig bäte, mir von seinem Ueberflusse Unterstützung zu gewähren, aber mit größtem Danke wird er einen Theil seines Vermögens aufopfern, wenn er fürchten muß, noch weit mehr zu verlieren.
Meine Thränen flossen nun im Verborgenen, denn ich wußte wohl, daß ich Deinen Vater zur Aenderung seiner Ansicht nicht würde bewegen können. Nach einiger Zeit erschien der alte Lorenz von Neuem und brachte ein Pergament, wofür er eine ansehnliche Summe verlangte. Ich hörte es wohl, wie ihm Dein Vater alles geben wollte, was sich noch an Silber oder sonst an Sachen von Werth im Hause befand, aber dieß Alles betrug nur noch eine unbedeutende Summe. Auf Verschreibungen wollte sich der Alte vollends nicht einlassen, indem er behauptete, ein solcher Handel könne nur gegen baares Geld abgeschlossen werden. Dein unglücklicher Vater war so in Verzweiflung, daß ich glaubte, er würde jede Rücksicht vergessen und es versucht haben, dem alten Lorenz die Schrift, auf die es ihm ankam, mit Gewalt zu entreißen, wenn nicht in diesem Augenblicke der Prediger gekommen [129] wäre, dem wir, wie vielen Andern, schuldig sind, und der also höflich empfangen werden mußte.
Der alte Lorenz benutzte diesen günstigen Augenblick, um sich zu entfernen, und sagte mit widrigem Lächeln, daß er nach einigen Wochen wieder anfragen wollte, ob der Herr Graf seine Dienste noch wünsche. Von jetzt an zehrte Dein Vater sich sichtlich ab in dem leidenschaftlichen und fruchtlosen Bestreben, die Summen zusammen zu bringen, die gefordert wurden, ehe der Alte die Schrift ausliefern wollte. Er erfuhr, daß sein Verwandter den ungetreuen Kastellan entlassen hatte, und dieß erregte in ihm eine lebhafte Freude, denn er hoffte nun mit geringeren Kosten seinen Zweck zu erreichen. In der That bot ihm der alte Lorenz die Schrift nun für die Hälfte der früher geforderten Summe an, aber auch seine herabgestimmte Forderung zu befriedigen war unmöglich, weil er sich nur gegen baares Geld zur Auslieferung des Verlangten verstehen wollte.
In dieser sorgenvollen Zeit vermehrte der Krieg unser Unglück und der Friede vollendete es, denn Du, mein geliebter Sohn, kehrtest krank und des Dienstes entlassen zu uns zurück. Dein Vater wagte nun einen verzweifelten Versuch; er kannte Dich zu gut, als daß er es nur hätte unternehmen mögen, Dir seine Ansichten mitzutheilen, er wußte, daß Du dann sein Begehren nicht erfüllen würdest, er ließ [130] Dich also glauben, Dein Oheim sei gegen uns im höchsten Unrecht, und schickte Dich ab, eine Ausgleichung mit diesem ungerechten Verwandten zu versuchen. Da er überzeugt war, die Schrift, durch die sich Dein Oheim gegen seine Forderung sicher stellen konnte, sei noch in den Händen des alten Lorenz, so glaubte er, daß jener, wenn er sie vermißte, sich auf einen Vergleich einlassen würde, und da er es für unmöglich hielt, daß der alte Lorenz es wagen könnte, die aus dem Archive entwendete Schrift zurückzuliefern, so erregte es in ihm eine Art von Freude, auch diesen zu überlisten und seinen Diebstahl nun doch zu benutzen, ohne ihm etwas dafür zu bezahlen, da er sich so unbeugsam gegen jeden Vorschlag gezeigt hatte.
Ich weinte und betete im Stillen, Gott möge uns aus diesem Drangsal erlösen, als der alte Lorenz von Neuem bei uns erschien, aber dieß Mal in ganz veränderter Gestalt auftrat. Er versicherte auf Deines Vaters ängstliche Frage, er habe die bewußte Schrift bei sich zu Hause und sie stehe demselben unter den früher ausgesprochenen Bedingungen zu Diensten, aber jetzt, da er durch glückliche Unternehmungen seines Sohnes in Wohlstand versetzt sei, komme er, um uns Dienste anderer Art zu leisten. Er kannte unsere gefährliche Lage ganz; er wußte, welche Forderungen Deinen Vater bedrängten, und machte nun die Dir bekannten Anträge. Dein [131] Vater versprach ihm darauf einzugehen, wenn Deine Reise zu Deinem Oheim, die nun beschlossen wurde, fruchtlos sein sollte. Mit spöttischem Lächeln willigte der Alte und mit hochmüthigter Verachtung sein übermüthiger Sohn in diesen Vorschlag ein.
Du reistest ab, und unsere unwürdigen Gäste fingen an sich ganz wie die Herren des Schlosses zu betragen, und ihr Uebermuth wuchs, je mehr sie bei einem längeren Aufenthalt die Noth bemerken mußten, die uns bedrängte. Dein Vater ertrug Alles standhaft und erwartete mit letzter Anstrengung seiner moralischen Kraft Deine Rückkunft: da, mein geliebter Sohn, erschien Dein Bote und vernichtete alle unsere Hoffnungen. Was Du von der großmüthigen Gesinnung Deines Oheims schriebst, glaubte Dein Vater nicht, er meinte, Du hättest Dich durch gleißnerische Reden täuschen lassen; daß sein Verwandter sich wieder im Besitz der entwendeten Schrift befand, brachte ihn zur Verzweiflung, denn er sah nun keinen Grund mehr, weßhalb er uns helfen sollte, und er weinte untröstlich eine ganze Nacht hindurch über unsern unvermeidlichen Untergang. Am andern Morgen machte er dem alten Lorenz Vorwürfe darüber, daß er die Schrift seinem ehemaligen Herrn gegen ihre Abmachung ausgeliefert habe. Der alte Heuchler antwortete aber mit schändlicher Dreistigkeit: Gott hat es nicht haben [132] wollen, mein Herr Graf, daß Sie auf diese Weise wieder zu Vermögen kommen sollten, ich bot Ihnen die Schrift erst für vierhundert Dukaten an, dann wollte ich sie Ihnen in Betracht Ihrer Umstände für zwei hundert Dukaten lassen; da Sie aber auch darauf nicht eingehen konnten, so entschloß ich mich, sie meinem vorigen Herrn, dessen Vater ich schon gedient hatte, und für den ich also noch immer Anhänglichkeit fühlte, für hundert Dukaten zurück zu geben, und seitdem ich hier bin, sehe ich ja auch deutlich genug, daß Sie mir sogar diese geringe Summe nicht hätten zahlen können. Trösten Sie sich also, gnädiger Herr Graf, es hat nicht sein sollen; Sie wissen wohl, Wer da hat, dem wird gegeben werden, und Wer da nicht hat, dem wird auch das noch genommen, was er hat; das lehrt uns selbst das Evangelium.
Dein Vater ertrug die Pein dieser letzten Tage in düsterem Schweigen; es kam keine Klage mehr über seine Lippen, nur als er gestern um Mitternacht sein Lager suchte, drückte er meine Hand und sagte: Wir sind verloren, unser Sohn ist nicht gekommen; bis morgen Mittag wollen die Schurken nur noch warten, Nachmittag alle Einrichtungen des Gutes betrachten und den Abend den Kontrakt abschließen; dann muß ich ihnen die Wohnung hier nach wenigen [133] Tagen überlassen und Gott weiß, wo wir unser Haupt hinlegen werden.
Du kannst es denken, geliebter Sohn, sagte die Mutter, indem sie den jungen Mann von Neuem umarmte, mit welcher Qual ich den heutigen Tag verlebt habe, bis Du mir endlich wie ein Engel des Trostes erschienst.
Könnte auch ich nur Trost in dem Allen finden, sagte der junge Graf, indem er mit tiefem Kummer in die weinenden Augen der Mutter blickte. Ich bringe Ihnen vollständige Hülfe, und zwar von dem Manne, gegen den mein Vater sich mit nichtswürdigen Gaunern vereinigte, um ihn zu betrügen. O, Mutter! können die Wogen des Weltmeers diesen Flecken von dem Namen eines Edelmannes abwaschen?
Glaube mir, erwiederte die Mutter, ich fühle sein Unrecht wie Du, aber sei mild, bedenke sein Unglück; der alte Mann hat Alles eingebüßt, Vermögen, Gesundheit, die Achtung seiner Mitbürger und seiner selbst; soll er ganz verzweifeln, wenn er sieht, daß er auch die Liebe seines Weibes und seiner Kinder verloren hat?
Der junge Graf schwieg und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, bis das Geräusch eines vorfahrenden Wagens Beide aufschreckte. Sie trockneten schnell die herabströmenden Thränen und gingen dem Vater entgegen, der, wie der [134] Sohn mit Schmerzen bemerkte, nur mit Mühe aus dem Wagen steigen konnte, weil seine Füße geschwollen waren. Sein Gesicht war bleich und entstellt, er athmete schwer aus beklemmter Brust und konnte, auf den Arm des Sohnes gestützt, durch heftiges Husten gehindert, nicht so schnell die Treppe ersteigen, wie seine zitternde Eile es verlangte; er sah mit scharfen Blicken abwechselnd in die verweinten Augen der Mutter und des Sohnes, die ihm schlimme Vorzeichen zu sein schienen. Der alte Lorenz blickte mit lauerndem Lächeln von dem jungen Grafen auf seinen Sohn, und dieser erwiederte den Blick des Vaters durch ein spöttisches Zucken des Mundes. Alles dieß entging dem alten kranken Grafen nicht, der sich um so mehr beeilte, sein Zimmer am Arme des Sohnes zu erreichen, dessen Zorn beim Anblicke des beinah vernichteten Vaters schwand. Sie hatten endlich die Treppe erstiegen, und der Vater zog den Sohn in sein Kabinet und sagte, indem er noch dessen Arm umschlossen hielt, in heftigster Angst: Sprich es nur aus, zögre nur nicht, Du bringst nichts, wir sind verloren.
Könnte doch dadurch Alles gut werden, sagte der Sohn, indem er beide Hände des Vaters faßte, daß ich Ihnen vollständige Hülfe bringe. Wie war das, sagte der Vater, indem er, durch den freudigen Schreck ermattet, sich in einen Lehnstuhl senkte, hast Du die nöthigen Summen?
[135] Ich habe alles erhalten, was wir brauchen, erwiederte der Sohn, und zwar ohne Anstrengung, ohne Künste. O mein Vater, wie sehr haben wir den besten der Menschen verkannt. Laß das jetzt, rief der Vater, indem ein Strahl der Freude in seinen erlöschenden Augen aufblitzte, wir wollen uns schnell die beiden Schurken vom Halse schaffen, die mich ganz wie ihres Gleichen behandelt haben. Ach, mein Vater! seufzte der Sohn. Laß alle Erklärungen, rief der Vater, wenn die Beiden aus dem Hause sind, dann wollen wir über Alles sprechen. Er wollte sich schnell erheben, um dieß sogleich auszuführen, aber der Husten, der ihn von Neuem überfiel, verhinderte ihn an der Ausführung seines Vorsatzes. Es währte eine halbe Stunde, ehe der Kranke sich von der Anstrengung des heftigen Hustens erholen konnte. Ich habe mich um der Schurken Willen heute noch erkältet, sagte er endlich, und dieß wird mir um so nachtheiliger, da ich schon krank war, ehe wir in den Wagen stiegen; aber komm nur, wir wollen sie nun gleich abfertigen. Er erreichte, auf den Arm des Sohnes gelehnt, den Saal, in dem die Mutter mit dem alten Lorenz und dessen Sohne ein gleichgültiges Gespräch zu führen suchte. So krank der alte Graf sich auch fühlte, so richtete er sich doch stolz empor und sagte mit vornehmer Höflichkeit zu den Beiden: Es thut mir leid, meine Herren, daß Sie sich so [136] lange vergeblich bei mir aufgehalten haben, da aus unsern früheren Plänen nichts werden kann, weil ich gesonnen bin, meinem Sohn die Güter zu übergeben, und ich beklage nur, fügte er spöttisch lächelnd hinzu, daß Sie sich heute die unnütze Mühe gemacht haben, Alles in meiner Wirthschaft zu betrachten, die Sie niemals führen werden.
Der alte Lorenz so wohl, als sein Sohn waren nach dieser Erklärung sichtlich bestürzt, aber da sie fühlten, daß alle ferneren Versuche vergeblich sein würden, ging der Sohn hinweg, um seinem Bedienten zu befehlen, die Pferde anspannen zu lassen. Nicht eine Sylbe wurde gesprochen, um diesen Vorsatz zu verhindern, obgleich die Abenddämmerung schon eintrat, und beide unwürdige Gäste mußten sich von dem Schlosse entfernen, das sie schon wie ihr Eigenthum betrachtet hatten.
Gottlob! rief der alte Graf, als sie das Haus verlassen hatten, nun ist die Luft wieder rein, aber ich fühle mich krank und ermattet, ich will mich zur Ruhe begeben und Thee im Bette trinken, das wird mir wohl thun, und dann sollst Du, mein Sohn, mir Alles erzählen. Der junge Graf zog die Klingel, um einen Bedienten herbei zu rufen, aber wie heftig er dieß auch in kurzen Zwischenräumen wiederholte, so zeigte sich doch Niemand, um den Kranken zu entkleiden. Der Sohn ging endlich selbst, um einen Diener aufzusuchen, [137] aber seine Mühe war vergeblich. Von der zahlreichen Dienerschaft war Niemand zu finden. Es hatte sich in diesem Hause ein Jeder nach und nach so viele Freiheiten genommen, und so viele Dienstleistungen von sich abzulehnen gewußt, daß zwar viele Menschen darin waren, die ernährt werden mußten, aber niemand, der wahrhaft nützlich gewesen wäre. Da man ihnen allen den Lohn schuldig bleiben mußte, so fanden sie Mittel, sich auf andere Weise bezahlt zu machen, und indem ihre Forderung jeden Monat anwuchs, konnten sie um so trotziger bei jedem Tadel, den die Herrschaft auszusprechen wagte, erwiedern: Zahlen Sie mir meinen Lohn aus, so verlasse ich Ihren Dienst sogleich. Der junge Graf seufzte bei dieser fühlbaren Zerrüttung des ganzen Hauswesens, und dachte an die edle Einfachheit und Ordnung in dem Hause seines Oheims.
Da er seinen Zweck gänzlich verfehlte und keinen Diener fand, so kehrte er zu seinem Vater zurück, den er im heftigen Fieberfrost zitternd fand; die Mutter war hinunter gegangen, um Thee zu besorgen, denn auch dieß machte Schwierigkeit, da es etwas früher als gewöhnlich geschehen sollte. Der Zustand des alten Grafen erregte das innigste Mitleid des Sohnes, er führte den alten Mann nach dem Schlafzimmer und leistete ihm selbst die nöthige Hülfe, um ihn zur Ruhe zu bringen. Indeß hatte die Mutter jemanden gefunden, [138] der Thee besorgen wollte, und der Kranke fühlte seinen Zustand bald merklich durch Ruhe und Wärme erleichtert. Jetzt erzähle mir, sagte er nun zum Sohne, wie es Dir gelungen ist, Deinen Oheim zum Beistande zu bewegen. So wie ich ihn mit unserem Bedürfnisse bekannt machte, erwiederte der junge Mann, war er zu jeder Hülfe bereit.
Wie! sagte der Vater in heftiger Bewegung, er schlug Dir nicht zuerst Alles ab, er ließ Dich nicht zwanzig Mal Deine Bitte wiederholen, um sich, an Deiner Erniedrigung sich ergötzend, nach und nach etwas abpressen zu lassen?
Nichts von allem Dem, erwiederte der Sohn; er gab mir die nöthigen Summen, um hier einigermaßen Ordnung hervorzubringen, und trug mir auf, so bald als möglich mit einer vollständigen Berechnung unserer Bedürfnisse wiederzukehren, damit er uns gründlich helfen könne. Und was sagte er zu meinen Ansprüchen? fragte der Kranke, indem die Röthe der Scham auf seinen Wangen brannte.
O mein Vater, antwortete mit dem Ausdrucke höchsten Schmerzes der Sohn, er zeigte mir, daß wir keine haben, wie ich Ihnen dieß schon in meinem Briefe meldete, und legte mir zur Bestätigung eine Schrift vor, die Sie nicht in seinen Händen glaubten.
Der Kranke wendete sich seufzend ab und antwortete nicht, worauf der Sohn nach kurzem Schweigen seine Hand [139] ergriff und im Tone milden Vorwurfs sagte: Sie haben, mein Vater, in diesem Verwandten den edelsten, besten Menschen verkannt und sich Mittel gegen ihn anzuwenden erlaubt, deren Gebrauch für Sie selbst schmerzlich und beschämend sein muß, und mich schon um deßwillen unglücklich macht, weil ich als Ihr Sohn, der immer mit Ehrfurcht zu Ihnen sollte reden können, diese Worte des Vorwurfs aussprechen muß.
Der Kranke wendete sich um, richtete sich mit heftiger Bewegung auf und sagte dann nicht ohne Bitterkeit: Ich weiß es aus eigner Erinnerung, daß die Jugend nichts so freigebig bietet, als Achtung auf der einen und Verachtung auf der andern Seite, und daß sie häufig in beiden Fällen Unrecht hat. Mißverstehe mich nicht, fuhr er eifrig fort, da er sah, daß der Sohn antworten wollte: es kann sein, ja ich glaube es selbst, daß ich Deinem Oheim Unrecht gethan habe, aber kann dieß wohl beweisen, daß ich überhaupt im Irrthume gegen die Menschen und im Unrecht gegen sie bin, wenn er eine Ausnahme von der Regel macht und Du vielleicht unter hunderttausenden nicht noch einen finden wirst, der auf gleiche Weise handelt? Die Menschen haben mein Herz zerfleischt, wohin ich mich wendete. In glücklichen Tagen hat mich Betrug, Bosheit, Neid und Mißgunst verletzt, in unglücklichen wurde ich durch Härte, Spott und Verachtung gekränkt. Ich fand nicht eine Ausnahme, [140] nicht einen einzigen Freund, was konnte ich denn also in diesen Menschen lieben und achten? Glaube mir, setzte er mit milderer Stimme hinzu, wenn die Tugend des Menschen auch nicht selbst eine Zufälligkeit ist, so hängt sie doch fast immer von zufälligen Umständen ab. Wäre ich so glücklich gewesen, in meiner Jugend einen wahren Freund, einen wohlwollenden Verwandten anzutreffen, so hätten sich meine Vermögensumstände herstellen lassen, und indem ich nach meiner Neigung ohne Sorgen hätte leben können, hätte ich auch die gewöhnliche Liebe und Achtung für die Menschen behalten, denn ihr wahres verächtliches Inneres hätte ich dann niemals erkannt und durch die fortgesetzte Täuschung wäre ich im Frieden mit mir selbst erhalten worden. Du bist darin glücklicher als ich, setzte er hinzu, indem er dem Sohn liebevoll die Hand reichte, Du hast angetroffen, was ich durch Gebet und Thränen in der Unschuld meiner Jugend oft herbeirufen wollte, und die sogenannte Tugend in Deiner Brust wird nicht durch ein so trübseliges, gramvolles Leben erschüttert werden, wie ich es habe erdulden müssen. Ich weiß es, Du wirst, wenn Du auch Mitleid mit mir hast, meinen Worten dennoch nicht Glauben schenken, und ich zürne Dir deßhalb nicht, ja es freut mich selbst um Deinetwillen, denn Du wirst die Achtung der Menschen und Deiner selbst dadurch bewahren, und glaube mir, es ist ein [141] Unglück, dessen Tiefe Du nur schaudernd ahnden kannst, das Gefühl dieser Achtung zu verlieren.
Hätte der Sohn auch so hart sein mögen, die Ansicht des Vaters zu bekämpfen, die dieser sich gewissermaßen zum Troste aufzustellen bemühte, so würde dieß schon durch den sich plötzlich verschlimmernden Zustand des Kranken unmöglich geworden sein. Die lange, leidenschaftliche Rede hatte den alten Grafen angegriffen; ein heftiger Husten war die Folge, der sich mit einem Blutsturz endigte. Die Mutter und der Sohn waren in Verzweiflung, aber der Anfall ließ zu ihrem Troste bald nach, und der Sohn verlangte nun, es sollte zum Arzte mit größter Eile gesendet werden. Es wird nichts helfen, sagte der Kranke mit ersterbender Stimme, und die Thränen der Mutter bestätigten seine Ansicht. Warum, fragte der Sohn, was kann ihn hindern? Wir haben öfter nach ihm geschickt, sagte die kummervolle Mutter, aber immer vergeblich, vermuthlich weil wir ihm einen früher geleisteten Bei stand noch nicht haben bezahlen können. Die Flammen des Zornes rötheten die Wangen des Sohnes, und er verstand ein schwaches Lächeln des Kranken, das ihn an die Menschenkenntniß seines Vaters erinnern sollte.
Ich werde selbst hinfahren und ihn gewiß mitbringen, sagte der Sohn entschlossen und verließ die Eltern, um Bediente aufzusuchen, die sich nun endlich eingefunden hatten. [142] Indeß nach seinem Befehle ein leichter Wagen angespannt wurde, nachdem er noch erst die Einwendungen mit einiger Heftigkeit beseitigt hatte, die der Kutscher erheben wollte, kamen seine Schwestern von einem Besuche beim Prediger nach Hause und begrüßten mit lärmender Freude den Bruder, indem sie sich auf wilde, unordentliche Art von den hindernden Hüten und Mänteln befreiten. Er umarmte Beide herzlich, aber es war ihm nicht möglich, die von der Sonne gebräunten Gesichter, die wenig geschonten Hände und Arme, die Wildheit der Gebehrden ohne Schmerz zu bemerken. Ihn erschreckten die lauten, heftigen Stimmen und innig betrübten ihn all die Zeichen einer vernachläßigten Erziehung, indem er an Therese und Emilie dachte, deren natürliche Schönheit durch eine anständige Haltung und edle Gebehrden gehoben wurde. Er ermahnte die sorglosen Schwestern, leise aufzutreten und den kranken Vater nicht durch ihre lauten Stimmen zu erschrecken. So ist der Vater krank? fragten sie ängstlich, und die großen unschuldigen Augen schwammen in Thränen. Habt Ihr denn das noch nicht bemerkt, fragte der Bruder, durch die gutmüthige Trauer in den unschuldigen Gesichtern bewegt. Er ist seit einigen Tagen nicht wohl, erwiederte die ältere Schwester, aber er sagte selbst, es hätte nichts zu bedeuten. Ich fahre jetzt zum Arzt, versetzte der Bruder, wenn ich mit ihm zurück[143] komme, dann werden wir hören, ob der Zustand unseres Vaters bedenklich ist. Er verließ die Schwestern und warf sich in den Wagen, um in möglichster Eile den Beistand herbei zu schaffen, der in diesem Augenblicke so wichtig war, da er nicht ohne Grund die Wiederholung des Blutsturzes fürchtete. Der eine Meile entfernte Arzt war bald erreicht, indeß der junge Graf wurde nur kalt von ihm empfangen, er machte Einwendungen dagegen, mitzufahren, er verlangte, der junge Mann solle ihm den Zustand seines Vaters schildern, so wolle er die nöhigen Mittel verschreiben. Als ihm aber von dem jungen Grafen die früher geleistete Hülfe freigebig bezahlt und die gleiche Freigebigkeit für den jetzigen Fall zugesichert wurde, änderte er seine Ansicht und entschloß sich selbst mitzufahren, um den Kranken zu sehen.
Aus tiefster Brust seufzend, trat der bekümmerte Sohn an der Seite des ihn begleitenden Arztes den Rückweg an. Die Bemerkungen seines Vaters beschäftigten seine Seele, und er konnte es sich nicht abläugnen, daß die Empfindungsweise und die Lebensansicht eines Jeden wenigstens zum Theil von seiner äußern Lage abhängig sei. Wie soll mein Oheim, dachte er, die Menschenverachtung meines Vaters nur verstehn, da der verächtlichste Eigennutz sich dem Einen ohne Rückhalt zeigt, weil er nichts glaubt gewinnen zu können [144] und also nichts zu schonen braucht, indeß er sich dem Andern ewig verbirgt, weil er seiner Befriedigung gewiß ist und sich ihm auf diese Weise als Anhänglichkeit, aufrichtige Freundschaft, Anerkennung des Verdienstes und Gott weiß für welche Tugend verkauft.
Der ihn begleitende Arzt ahnete nicht, daß er das finstere Nachdenken des jungen Mannes veranlaßt hatte, und glaubte, die Besorgniß für den Vater allein in dessen einsylbigen Worten zu erkennen; er suchte ihm also Muth einzusprechen, und der junge Graf würde sein Bestreben dankbar erkannt haben, wenn er sich nicht hätte gestehen müssen, daß nur der befriedigte Eigennutz die Menschlichkeit in der Brust des Arztes erweckt habe. Der Rückweg wurde mit derselben Schnelligkeit gemacht, die man angewendet hatte, den Arzt zu erreichen, obgleich der Kutscher laut genug bemerkte, damit der junge Graf es hören sollte, die Pferde würden wohl umfallen, wenn sie den Stall erreichten, da sie so wenig Hafer bekämen und doch übermäßig angestrengt würden.
Man hatte endlich die kleine Reise vollendet, und der Arzt fand den Kranken zwar nicht ohne Fieber, aber doch schlummernd; auch hatte sich der Blutsturz nicht erneuert, und er glaubte hierauf beruhigende Hoffnungen gründen zu können. Der ängstliche Sohn drang hierauf in den Arzt, [145] einige Tage zu bleiben, um den Gang der Krankheit zu beobachten, und dieser willigte ohne Schwierigkeit ein.
Die Blicke der Mutter waren etwas ängstlich bei diesen Einrichtungen, und der Sohn bemerkte bei der dürftigen Abendmahlzeit die Ursache dieser Aengstlichkeit, und seine Seele wurde mit innigster Wehmuth über die traurige Lage seiner Eltern erfüllt, als deren Opfer der Vater eigentlich fiel, und die sich während seiner Abwesenheit so sehr verschlimmert zu haben schien.
Es war von dem Arzte bekannt, daß er eine gute Tafel liebte, und der junge Graf entschuldigte die Mangelhaftigkeit des heutigen Mahles mit der Unruhe, die des Vaters Krankheit verursacht habe. Als noch die nöthigen Verordnungen für die Nacht gegeben waren, zog sich der Arzt in ein nahes Zimmer zurück, damit er sogleich gerufen werden könnte, wenn ein bedenklicher Zufall eintreten sollte. Der besorgte Sohn hieß die ältere Schwester am Bette des Vaters verweilen und winkte die Mutter hinaus, um ihr zu vertrauen, daß er gleich des andern Tages eine neue Ordnung des Hauses einzuführen gedächte. Er erkundigte sich bei der Mutter, welche sie für die brauchbarsten von den vielen unnützen Bedienten hielte, und erklärte, diese für's Erste behalten und alle andern entlassen zu wollen. Die Mutter weinte Freudenthränen, als sie vernahm, daß der [146] Sohn auch dazu die Mittel von dem verkannten Oheim empfangen hatte, auch daß er alle Bedürfnisse im Hause sogleich befriedigen und die nöthigen Vorräthe sogleich anschaffen könne. Die von der Mutter genannten Bedienten wurden aufgezeichnet, die weibliche Dienerschaft sollte ganz erneuert werden, denn von dieser, versicherte sie, müsse sie am Meisten leiden.
Es war spät geworden, und der junge Graf warf sich in den Kleidern auf sein Bett, weil er am frühen Morgen die Verbesserung des Hauswesens beginnen wollte. Er stand um drei Uhr nach kurzem Schlummer zu diesem Endzweck auf und wollte einen Diener selbst rufen, um nicht vielleicht durch das Herbeiströmen aller, wenn er die Klingel zöge, ein unnützes Getöse im Hause zu erregen; doch diese Sorge war vergeblich.
Es war kein Mensch im Hause und auch die Ställe waren leer, und als sich endlich ein schlaftrunkener Knabe fand, erfuhr der junge Graf auf seine Erkundigung, daß im nächsten Dorfe eine Hochzeit sei, wohin sich die ganze Dienerschaft begeben habe, indem sie sich der Pferde zu diesem Zweck bedient hätte.
Ein Trinkgeld machte den Knaben munter, der nun abgesendet wurde, um die freche Dienerschaft von ihrer Belustigung abzurufen, und nach einer Stunde kamen sie zu [147] Fuß und zu Pferde zurück, und verfügten sich mit einiger Verlegenheit auf das Zimmer des jungen Grafen, wie es ihnen befohlen war. Auf seine Vorwürfe über ihre Unverschämtheit erfolgte ihre gewöhnliche Antwort, daß man ihnen ihren Lohn auszahlen und sie entlassen möchte, wenn man mit ihren Diensten nicht zufrieden sei. Als aber dem ersten, der dieß Wort gesprochen hatte, der Wunsch erfüllt und ihm ernstlich angedeutet wurde, binnen einer Stunde das Schloß zu verlassen, traten die andern schüchtern bei Seite, baten um Verzeihung und gelobten ernstlich Besserung. Der junge Graf nahm nun die beabsichtigte Reinigung vor, die frechsten Trunkenbolde wurden entlassen, und die Verabschiedeten wie die Bleibenden bezahlt. Einem Jeden wurde sein Geschäft angewiesen und ihnen ernstlich versichert, daß ein Zeichen des Ungehorsams, eine unehrerbietige Miene ihre Verabschiedung sogleich veranlassen würde.
Dem Jäger wurde befohlen, Wild herbei zu schaffen; Andere mußten für Fische sorgen; aus dem nächsten Städtchen wurde Wein und andere Bedürfnisse gebracht, und zugleich das bei einem dasigen Juden verpfändete Silbergeräth zurückgenommen, und so wurde es möglich, zur innigen Freude der Mutter, dem Arzte anständige Mahlzeiten anzubieten und ihn auch in dieser Hinsicht zu befriedigen. Im Vorzimmer wartete beständig ein Diener, und die leiseste [148] Bewegung der Klingel rief ihn herbei, um die Befehle der Herrschaft ehrerbietig zu vernehmen.
Der Kranke war erwacht und betrachtete lächelnd die Sorgfalt, mit welcher der Arzt sich für seine Herstellung bemühte, die ehrerbietig aufwartenden Bedienten, den veränderten Ton des ganzen Hauses. Nicht wahr, fragte er den Sohn etwas spöttisch, Du erkennst die Macht des Geldes? Wie war ich verlassen, verhöhnt, von den Bedienten selbst vernachlässigt; Du bringst dieß Zaubermittel, und siehe die Verwandlung. Aber sage mir doch, fuhr er fort, ich habe die Nacht daran gedacht, da Dein Oheim so bereit ist, seine Schätze mitzutheilen, so hat wohl der junge Franzose, von dem uns der alte Lorenz erzählte, schon beträchtliche Summen im Voraus genommen auf die ihm für die Zukunft bestimmte Erbschaft.
Ach, mein Vater! erwiederte der Sohn, indem die Erinnerung an beschämende Auftritte seine Wangen röthete, zu welchen erniedrigenden Schritten hat mich auch in dieser Hinsicht Ihre falsche Ansicht verleitet. Der junge Mann ist weit davon entfernt, meinen Oheim mißbrauchen zu wollen. Er ist ein edler, feuriger, liebenswürdiger Mensch, der die Liebe des Oheims verdient und sie auf's Zärtlichste erwiedert, aber dessen Geld nicht bedarf, davon habe ich Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen; er erhielt große Summen [149] von seiner Mutter und würde sie bei der Freundschaft, deren er mich würdigte, im Falle mein Oheim mir meine Bitte abgeschlagen hätte, mit mir getheilt haben, wenn ich mich hätte entschließen können, ihn darum zu ersuchen.
So, so, sagte der Kranke, nun und der französische Haushofmeister, ist der auch so tief in Edelmuth versunken?
Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll, erwiederte der Sohn gereizt. Ich wollte nur, wir hätten hier jemanden, der so treu, so uneigennützig, mit wahrer Ergebenheit für seine Herrschaft die Wirthschaft verwaltete, wie dieser gute alte Mann, den der Oheim mit Recht nicht wie einen Diener, sondern wie einen Freund behandelt, und der sich doch nie in diesem Verhältniß überhebt, und so nahe er seiner Herrschaft auch durch die Liebe, mit der er ihr ergeben ist, stehen mag, sich doch äußerlich immer in ehrerbietiger Ferne hält.
Das ist wahr, sagte der Kranke spöttisch, die Hofhaltung Deines Oheims liefert ja ein Abbild des himmlischen Paradieses; er thront ja recht in glänzender Herrlichkeit auf seinem Schlosse, und sammelt alles Schöne und Edle um sich her. Nun und die Damen, fuhr er fort, sie sind wohl auch frei von allem verwundenden Stolz, von aller kleinlichen Eitelkeit und Ziererei; sie verehren wahrhaft den großen Mann und täuschen ihn nicht durch scheinheilige Lüge, um ihn zu [150] betrügen, indem sie innerlich über seine Anmaßung lachen; nicht wahr, mein guter Sohn, fragte er mit scheinbarer Treuherzigkeit, sie sind eben so edel, eben so trefflich, wie alles Uebrige auf Schloß Hohenthal?
Der Sohn konnte den Zorn über die schnöde Undankbarkeit des Vaters nicht mehr bewältigen und war im Begriffe, etwas Heftiges zu erwiedern, als die Mutter ihre Hand sanft auf seinen Arm legte und sagte: Du siehst, daß Dein Vater sich heut um Vieles besser befindet als gestern, da er selbst heiter werden und scherzen kann. Der Kranke fühlte das Unziemliche seiner Reden und sagte in einer Anwandelung von Reue: Ich fühle es ja selbst, wie vielen Dank ich Deinem Oheim schuldig bin, durch seinen Beistand ist es mir wenigstens so gut geworden, ruhig und mit Anstand sterben zu können, obgleich es mir nie so wohl geworden ist, so zu leben; aber die langen Jahre des Duldens, des Zornes, des Kummers haben mein Herz verhärtet und mit Bitterkeit erfüllt; es wird mir deßhalb nicht so leicht, wie Du glaubst, zu den Empfindungen der Jugend zurückzukehren, die Du die besseren nennst. Hätte ich früher nur einen einzigen Menschen angetroffen, der mir großmüthige Liebe bewiesen hätte, so würde ich den Glauben an die Menschen nicht verloren haben. Sein Auge traf, indem er dieß sagte, den kummervollen, von Thränen umschleierten Blick der Gattin; [151] er bot ihr die Hand und sagte nicht ohne Rührung: Dich habe ich freilich getroffen, Du gute, treue Seele; ein Befehl bestimmte Dich, Dein Geschick mit dem meinen zu verknüpfen, und dennoch ist Deine Liebe und Treue in unwandelbarer Sanftmuth mein eigen geblieben auf dem langen, dornenvollen Wege des Lebens, den wir mit einander wandeln mußten; aber Deine Liebe konnte nicht mein Schicksal bezwingen, Du konntest mir keine Hülfe bieten.
Die Bewegung des Gemüths und das viele Sprechen erregte den gefährlichen Husten des Kranken, so daß der Arzt herbeieilte und, nachdem der Anfall vorüber war, das häufige Sprechen untersagte und vor allen Dingen Ruhe des Gemüths empfahl.
Als die Familie wieder allein war, sagte der Kranke spöttisch: Die Ruhe des Gemüths hat er mir immer ganz besonders empfohlen, und jetzt wird es mir auch möglich, dieß Recept zu benutzen. Aber wenn die täglichen Sorgen des Lebens mich niederbeugten, und ich den Meinigen weder Nahrung noch Kleider, so wie sie es bedurften, verschaffen konnte, wenn an jedem Posttage zwanzig Mahnbriefe und gerichtliche Verfolgungen mich ängstigten, wenn ich mich meiner Dürftigkeit wegen überall verachtet und selbst von den Bedienten vernachläßigt sah, wenn ich in unserer drückenden Noth immer neue Verluste entstehen sah, weil ich sie auch nicht [152] durch die kleinste Auslage abwenden konnte: wie sollte ich es denn da möglich machen, die Gemüthsruhe mir anzueignen, die der gute Arzt so nothwendig findet?
Der Sohn bat den Vater, sich jetzt aller Sorgen zu entschlagen und, da nun hoffentlich Alles besser gehen würde, der Vorschrift des Arztes zu folgen und auch das Sprechen zu vermeiden, um nicht den Husten zu reizen. Der Kranke fügte sich willig dieser Bitte, und der Sohn verließ das Krankenzimmer nicht ungern, weil die Denkungsart seines Vaters ihn im innersten Herzen verwundete. Er hielt es jetzt für seine Pflicht, das angefangene Werk zu vollenden und nach der Anleitung seines Oheims Ordnung in alle Zweige der Wirthschaft zu bringen; er ließ also den Verwalter rufen, der willig mit ihm in alle Zweige der Verwaltung einging und ihm mit herzlichem Bedauern alle Nachtheile zeigte, die im Laufe des Jahres durch den Mangel aller Vorräthe und durch die Unmöglichkeit, Auslagen zu machen, hatten entstehen müssen, und der junge Graf konnte leicht berechnen, daß die Familie seines Vaters allein von dem, was auf diese Weise verloren worden war, anständig hätte leben können. Der Verwalter stimmte seiner Ansicht mit vollkommener Ueberzeugung bei und machte ihn noch auf die Nachtheile aufmerksam, die dadurch hatten entstehen müssen, daß keiner von den Beamten hatte bezahlt werden können. Der junge Graf [153] nahm hiebei Gelegenheit zu fragen, wie viel er selbst zu fordern habe. Es ergab sich, daß er seit vier Jahren keinen Gehalt bekommen hatte, und er versicherte, er würde dem gnädigen Herrn gewiß nicht beschwerlich gefallen sein, wenn die Noth ihn nicht dazu gezwungen, und da man gehört habe, daß die Güter verpachtet werden sollten, so habe er als Vater von acht Kindern die Pflicht gehabt, für diese zu sorgen. Der junge Graf verstand ihn nicht und fragte ihn, ob er etwas von seinem Vater erhalten habe. Mein gnädiger Herr Graf, erwiederte der alte Mann, seit vier Jahren nicht einen Heller, deßhalb zwang mich die Noth und Sorge für acht unerzogene Kinder, unbescheiden zu sein. Es fiel dem jungen Manne wohl auf, ihn trotz der so oft erwähnten Noth so überaus gut gekleidet zu sehen, indeß da er in allen Verhältnissen so wohl unterrichtet schien und so guten Willen zeigte, so entließ er ihn mit der Versicherung, er würde ihn bald in seiner Wohnung aufsuchen, um das Nähere mit ihm zu verabreden. Er schickte ihn hinweg, um ihm nicht seinen Geldvorrath sehen zu lassen, weil er für's Erste nur die Hälfte seiner Forderung zu befriedigen gedachte, denn die Berichtigung der ganzen Rechnung würde eine zu empfindliche Lücke in seinen kleinen Schatz gemacht haben. Er folgte also dem Verwalter nach einer Viertelstunde und suchte ihn in seiner Wohnung auf, um die Noth des guten [154] Alten, von der er ihm so viel vorgesprochen, sogleich zu mildern.
Er traf ihn mit acht sehr wohlgekleideten Kindern, die ein Privatlehrer eben in verschiedenen Wissenschaften unterrichtete, und es drängte sich dem verwunderten jungen Grafen die Bemerkung auf, daß der gute, rechtliche Verwalter, wie er sich selbst nannte, andere Mittel haben müsse, den Aufwand seiner Haushaltung zu bestreiten, als seinen rückständigen Gehalt. Er konnte die große Verlegenheit des Alten nicht begreifen, mit der er seinen zweijährigen Gehalt als die Hälfte seiner Forderungen empfing, so wenig als die wiederholten Versicherungen, daß er den gnädigen Herrn Grafen nicht gedrängt haben würde, wenn die Güter nicht hätten verpachtet werden sollen.
Wenige Stunden darauf löste sich aber dieses Räthsel. Es traf nämlich eine gerichtliche Zuschrift an den alten Grafen ein, die Mutter und Sohn zu lesen beschlossen, ohne sie dem Kranken mitzutheilen, um ihm unnöthigen Verdruß zu ersparen. Aus diesem Schreiben nun ergab sich, daß der gute alte Verwalter bei den Behörden mit der Bitte eingekommen war, die Erndten seines Herrn zu seinem Vortheile in Beschlag zu nehmen, bis er befriedigt sei, ehe die Güter dem Pächter übergeben würden.
Der junge Graf war so aufgebracht, daß er dem Verwalter [155] sogleich das noch rückständige Geld auszahlen und ihn in derselben Stunde entlassen wollte; die Mutter aber widerrieth ihm diese übereilte Maßregel, und er sah selbst ein, daß es besser sei, nicht in der ersten Hitze zu handeln, sondern alle Rechnungen genau durchzugehen, ehe er einen Mann entließe, der es verstand, vier Jahre mit einer zahlreichen Familie anständig ohne alle rechtlichen Einkünfte zu leben.
In solchen Beschäftigungen gingen mehrere Tage hin. Der Arzt hatte das Schloß verlassen, weil die Besserung des Kranken sichtlich fortschritt, und der junge Graf dachte schon daran, nach Schloß Hohenthal zurück zu kehren und dem Oheim Bericht über Alles, was er gethan, abzustatten. Er wurde an der Ausführung dieses Vorsatzes nur dadurch gehindert, daß einige von seinen Kameraden, die, wie er, verabschiedet waren, ihn besuchten und erst in behutsamen Gesprächen, endlich mit offenem Vertrauen ihm Entwürfe und Pläne mittheilten, die seine eignen Angelegenheiten ihm klein und unbedeutend erscheinen ließen, und seine Seele mit einer Gluth erfüllten, die er vor Allem vor seinem Vater verbarg. Die Rettung des Vaterlandes schien möglich auf dem Wege, den man ihm zeigte. Preußens alter Kriegsruhm konnte sich erneuern, ja schöner, herrlicher wieder aufblühen, als jemals. Diese Träume konnten wirklich werden, [156] wenn alle treuen Herzen sich in der Stille vereinigten und dem edeln Könige, der sein Schicksal mit erhabener Milde trug, wie dem bedrängten Vaterlande ihr Blut und Leben weihten.
Auch um über diese Pläne einer innigen Verbindung aller Treuen mit seinem Oheime sich zu berathen, sehnte sich der junge Graf nach Hohenthal, und um, wie er sich leise gestand, die lang genährte Zärtlichkeit für die liebensdige Therese dem väterlichen Freunde zu vertrauen; denn bei seines Vaters Lebensansichten und dessen feindlichem Spott über Armuth und uneigennützige Liebe konnte es ihm nicht einfallen, mit seinem nächsten Anhörigen über seine Neigung zu sprechen.
In dieser Stimmung erwartete er mit Sehnsucht den Arzt, um seine Meinung über den Kranken zu vernehmen und danach seine Reisepläne zu bilden, als dieser eines Abends einen neuen und viel heftigeren Anfall des Blutsturzes erlitt, der die ganze Familie in Schrecken versetzte. Der Arzt wurde herbeigerufen, der dieß Mal nicht zögerte zu kommen, aber seine bedenklichen Mienen, als er den Kranken erblickte, so wie seine viel strengern und ängstlicherern Vorschriften ließen das Schlimmste befürchten. Er verließ das Schloß nicht mehr und widmete dem alten Grafen alle Sorge und alle Aufmerksamkeit, aber keine menschliche [157] Kunst konnte die Wiederholung des Uebels verhindern, und der alte Graf deutete sterbend auf seine weinende Frau und die jammernden Töchter, indem er matt die Hand des Sohnes drückte, und sein Geist entschwand der körperlichen Hülle.
Mit inniger Trauer schloß der Sohn die Augen des dahingeschiedenen Vaters und führte die weinende Mutter von dem Sterbebette hinweg. Er empfahl den Schwestern, ihren Jammer zu mäßigen und durch verdoppelte Liebe die Mutter zu trösten. Er selbst durfte sich keiner unthätigen Trauer überlassen, weil die Sorge für die Familie, deren Haupt und einzige Stütze er nun geworden war, seine ganze Thätigkeit in Anspruch nahm. Als das Nothwendigste geordnet und die irdischen Reste seines Vaters zur Erde bestattet waren, eilte er nach Schloß Hohenthal, um den Rath seines Oheims in höchst wichtigen Angelegenheiten zu vernehmen.