102. Die Gefangenen auf Altenahr
Wenn des jüngern Schlosses Nuwenahr (Neuenahr) bauliche Überreste vom Zahne der Zeit so ganz zermalmt sind, daß keine Spur mehr von ihnen zu erblicken ist, so ragt dagegen um so stattlicher die stolze Trümmer der Burg Altenahr auf felsreichem Kegelgipfel über dem Ort gleichen Namens in die Lüfte. Mächtige Gaugrafen beherrschten von ihr aus das Land, und einer derselben, Graf Friedrich von Hochstaden-Ahre, dessen Bruder Konrad von Hochstaden als Erzbischof in Köln gebot, schenkte die ganze Grafschaft mit den beiden Stammschlössern Ahr und Hochstaden dem Erzstift Köln, und das Erzstift wußte die starken Burgen wohl zu nutzen. Als einst eine Anzahl von Rat und Bürgerschaft Kölns sich gegen den Bischofstuhl erhob, wurden eilf Patrizier, die Führer der gegenbischöflichen Partei, gefangengenommen und auf Altenahr in sichern Gewahrsam gebracht. Da schmachteten sie hart und lange, und ihr einziger Zeit-und Leidvertreib war ein Mäuselein, das sie kirre gemacht hatten, und das ohne Scheu zu ihnen kam, doch immer schnell, wenn es Geräusch vernahm, in sein Loch zurückschlüpfte. Eines Tages beobachteten sie das Mäuslein auch, wie es munter sich sehen ließ und Brosamen knusperte – als plötzlich draußen Schlüssel klirrten, da fuhr es schnell in sein Loch, und da hörte einer, daß es in dem Loche auch klirrte, und begann nun nachzusuchen, als es wieder stille und sicher geworden war. Da fand sich in das Mauseloch verborgen eine Feile und ein Meißel, schon etwas rostig, aber doch noch brauchbar, so gut, daß bald genug die Gefangenen ihre Ketten abgefeilt und ihre Bande gesprengt hatten und die Gitterstäbe ihres Kerkerfensters durchschnitten. Darauf zerschnitten die Gefangenen ihre Gewande und machten Seile daraus und knüpften diese fest aneinander und stiegen durch das Fenster allzumal nieder, kletterten den steilen Ziegenpfad herab und entkamen glücklich, niemand konnte fassen und begreifen, wie solche Flucht möglich geworden.