Der Wandergeselle

Es lebte einst die Witwe eines Metzgers, die nur einen einzigen Sohn hatte, der bereits begonnen, das Handwerk seines Vaters zu erlernen, als der Vater ihm starb. Die Mutter ließ den Sohn vollends auslernen, und sandte ihn dann in die Fremde, da sollte er drei Jahre lang reisen, sich die Welt besehen, und etwas Tüchtiges draußen lernen. Sie stattete den Sohn aus, so gut sie konnte, und gab ihm ihren besten Hund mit, der hieß Faß'an.

Auf der Wanderschaft kam der junge Metzgergeselle in einen dichten Wald, darinnen Räuber hauseten, die ihn anfielen und ihn berauben, oder gar töten wollten. Der junge Geselle aber wehrte sich kräftig, und sein Faß'an stand ihm wacker bei und verwundete die Räuber mit wütenden Bissen, darüber geriet der eine der Räuber so in Zorn, daß er den treuen Faß'an tot schoß. Der junge Metzger aber entrann den Räubern, und lief immer tiefer in den Wald hinein, der sehr groß war, und verirrte sich völlig, und wußte nicht mehr, wo er war. Endlich erblickte er von fern ein kleines Häuschen mitten in dem Walde, auf welches er zueilte, und in das er, nachdem er angeklopft, eintrat. Da saß ein altes graues Mütterlein drinnen, das regte sich nicht und bewegte sich nicht, aber der junge Geselle begann frischweg, der Alten zu erzählen, was ihm alles begegnet, und bat, ihm den Weg aus diesem Walde zu zeigen, dabei klagte er sehr um den armen Faß'an, den die Räuber ihm erschossen. Da sprach das alte Mütterlein: »Hab auch schöne Hunde, kannst dir einen aussuchen und mitnehmen.« Dabei rief sie: »Reißebeiß!«

[565] Auf diesen Ruf trat ein großer Hund in das Häuschen, und das Mütterlein fragte: »Gefällt dir der?«

»Es ist ein schöner Hund«, antwortete der Geselle: »aber der meine war schöner.«

Da rief die Alte abermals: »Sprengalleband!« Und da kam wieder ein noch größerer und noch schönerer Hund herein, und die Alte fragte: »Wie gefällt dir der?«

»Er gefällt mir recht gut«, antwortete der junge Metzger, »aber meiner war mir halt doch noch lieber.«

Da rief die Alte abermals: »Hurtigundgeschwind!« und jetzt sprang ein ganz großer und mutiger, sehr schön gebauter Hund herein – da wartete der Geselle gar nicht erst die Frage des Mütterleins ab, ob dieser ihm gefalle? – sondern rief alsbald: »Den laß ich mir gefallen! Gerade so, wie der, hat mein Hund ausgesehn, und hätten sie den guten Faß'an nicht vor meinen Augen tot geschossen, so schwür ich drauf, der sei es selbst.«

»Ich will dir etwas sagen, mein junger Wandersmann«, sprach die Alte: »ich will dir die braven Hunde alle drei schenken, du mußt aber, wenn du ihnen einst dein Glück dankst, auch an mich arme alte Waldfrau denken, und dich meiner Armut nicht schämen.«

Da der junge Bursche dies versprach, so zog die Alte auch noch ein Pfeifchen hervor und gab ihm dies, und sagte:

»Dieses Pfeifchen verwahre recht gut, denn damit kannst du die drei Hunde zu deiner Hülfe herbeirufen, sie mögen sich befinden, wo sie wollen; dies wird besonders nötig sein, wenn du selbst in Not gerätst.«

Mit vielem Danke schied der Wandergeselle von der guten Alten und von ihrem Häuschen, und ging den Weg, den jene ihn als den richtigen bezeichnet hat, wohlgemutet fort, und die drei schönen Hunde sprangen munter bald vor bald hinter ihm, und hetzten sich und spielten miteinander, daran der Geselle eine große Freude hatte.

Als der Abend zu dunkeln begann, erreichte der Reisende mit den drei Hunden ein einsames Wirtshaus, das auch noch in dem großen Walde lag, der gar kein Ende nehmen zu wollen schien. Vor dem Hause fand der Metzger eine junge Magd, welche hölzerne Gefäße scheuerte, und als diese den hübschen jungen Gesellen erblickte, so schien sie zu erschrecken und machte ihm eine abwehrende Geberde; sie winkte ihm gleichsam, zurück zu gehen und hier nicht einzutreten, [566] ja sie öffnete schon den Mund zu einem warnenden Zuruf, als die Türe aufging, und der Wirt heraustrat, und den späten Wanderer einlud, doch ja bei ihm einzukehren, zumal er, der Wirt, auch ein Metzger sei.

Dem Jüngling kam ein argwöhnisches Gefühl in das Herz, allein er war einmal da, hatte Hunger und Durst, und die Nacht war vor der Türe. Sonach setzte er sich in der Stube nieder, und seine drei Hunde lagerten sich um ihn her, und nun bestellte er sich etwas zu essen. Darauf mußte er gar nicht lange warten, es kam ein großes Stück Fleisch in einer fetten Brühe, und gutes Brot dazu.

Der Wandergeselle aß, und der Wirt hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, und sah zu, wie es seinem einzigen Gaste schmeckte, denn es war niemand von Fremden weiter im Hause.

Es schmeckte aber dem Gaste nicht, das sah jetzt der Wirt, und sprach: »Gesell, ich vermeine es schmecket dir nicht! Du bist von daheim wohl eitel Gebratenes gewohnt?«

»Das nicht, Meister«, antwortete der Gast. »Aber ich habe schon Schweinefleisch gegessen, und dieses Fleisch in meiner Schüssel ist keins; ich habe Hammelfleisch gegessen, und dies ist keins; ich habe Rindfleisch und Kalbfleisch gegessen, und das ist keins. Auch weiß ich, wie jede Art von Wildpret schmeckt, und das ist keins. Von irgend einem Vogel ist's auch nicht – das dünkt mich ein seltsam Essen!« –

Der Wirt lachte, und antwortete: »Mein guter Wanderbursche, du wirst in deinem Leben noch gar vieles hören, sehen, riechen, schmecken und fühlen, was du doch nie gehört, gesehen, gerochen, geschmeckt und gefühlt hast. In der Welt gehet es gar wunderlich her.«

Auf diese empfangene Belehrung aß der Geselle schweigend weiter, obschon es ihm nicht schmeckte, und schöpfte sich auch noch etwas Brühe heraus, da fiel ein Knöchlein aus dem Löffel, und als er das recht ansah, war es ein Finger. Da erschrak der arme Jüngling bis zum Tode, und wurde ihm sehr übel ob sotaner Mahlzeit, und gerade ging die Türe auf, und die Wirtin trat herein, die trug einen Teller, darauf Fettbrote lagen, vielleicht ihr eigen Abendessen, und der Wirt stand auf von der Bank, und sprach leise mit seiner Frau, und da setzte der Geselle geschwinde seinen Teller und seine Fleischschüssel seinen Hunden hin, die leerten sehr rasch alles ab.

[567] »Wünsche guten Appetit gehabt zu haben!« – sprach die Wirtin zum Wanderburschen, und dieser antwortete: »Großen Dank, Frau Wirtin, ich hatte welchen« – ist mir aber vergangen, setzte er in Ge danken hinzu.

»Nun wollen wir Ihm seine Schlafkammer zeigen!« sprach die Wirtin, und gab ihrem Mann ein Licht in die Hand. »Die Hunde kommen in den Stall.«

»Ich wünsche, daß meine Hunde bei mir bleiben«, versetzte darauf der junge Metzger.

»Das wird sich finden« – erwiderte die Frau.

Der Wirt öffnete jetzt ein Nebenzimmer, indem er mit dem Lichte voran ging, und hinter dem Gaste ging die Wirtin und trug immer noch die drei Fettbrote, und zeigte sie heimlich den Hunden des Fremden, und reizte so deren Verlangen nach diesen Broten.

Man trat in ein Zimmer, das hing voller Waffen, Gewehre, Pistolen, Karabiner, Pallasche, Hirschfänger usw., daneben hingen auch Ketten, Stricke, Handschellen und solcher Dinge mehr, womit man die Leute wehrlos macht.

»Das sind ja gar viele Waffen«, sprach verwundert der Gast.

»Ja, man wohnt hier im Walde so einsam«, erinnerte der Wirt: »man muß sich vorsehen; ich habe auch meine Leute, welche mit diesen Waffen gut umgehen können.«

Während dieser Worte öffnete der Wirt eine zweite Türe, und schritt durch dieselbe voran, die Wirtin aber warf eins der Fettbrote auf den Boden, Reißebeiß schnappte danach, aber indem der Hund das Brot fraß, warf die Frau die Türe in das Schloß, und Reißebeiß war in der Waffenkammer eingesperrt.

Das zweite Zimmer war herrlich ausgestattet; das eine Licht, welches der Wirt trug, reichte gar nicht aus, dessen Pracht vollständig zu beleuchten; es standen Fässer voll Geld darin, und an den Wänden hingen kostbare Kleider, und in Glasschränken starrte alles von Schmuck, von Gold- und Silbergeräten und edeln Steinen. So etwas hatte der junge Metzger noch nie gesehen, und konnte sich gar nicht genug darüber verwundern, noch sich zusammen reimen, wie das alles hierher in die einsame Waldherberge komme? Der Wirt erschloß jetzt ein drittes Gemach, und die Wirtin warf das zweite Fettbrot hin, da schnappte Sprengalleband gleich hastig danach, und wie er noch daran kaute, warf [568] die Frau die Türe in das Schloß und Sprengalleband war in der Schatzkammer gefangen. Der Herr der drei Hunde aber merkte nicht, daß nur noch einer von den dreien bei ihm war. Er folgte, neugierig, noch mehr Wunderbares zu sehen, dem Wirte in das dritte Gemach, aber da sah es ganz abscheulich und schauderhaft aus. Die Wände waren mit Blut bespritzt; mitten im Zimmer stand ein Block, auf dem ein scharfes Metzgerbeil lag, man sah zerstückte Gliedmaßen von Menschen umherliegen, an der Wand hingen aufgeblasene Gedärme, um Wurst einzufüllen, auch standen Wiegemesser und kupferne Fülltrichter, für dieses Geschäft bereit – und den Gesellen schauderte, der Wirt aber sprach mit harter Stimme: »Mein Bursche, hier ist die Werkstätte. Hier wirst du dein Meisterstück machen, und bei mir bleiben, wo nicht, wirst du hier selbst massakriert, daß du es weißt. Entweder du zerhackst hier, und schneidest Griefen und wiegst, oder du wirst selbst zerhackt, zerschnitten und zu Wurst gewiegt.«

Dem armen Gesellen ward in der Seele bange bei dieser ihm gelassenen Wahl, doch faßte er Mut und sprach: »Lieber will ich sterben, als Euer Genosse sein!«

»Wie du willst!« sagte der Wirt. »Folge mir!« – Und eröffnete wieder eine Türe, und jetzt warf die Frau das dritte Fettbrot hin, danach sprang hastig und hungrig der Hurtigundgeschwind, und schnapp, war die Türe im Schloß, und der gute Hund in der Blutkammer gefangen, während der Wirt mit dem Gesellen in eine düstere Halle trat, und zu ihm sprach: »Jetzt sind wir im Schlachthaus, und jetzt schicke dich an, mein Wanderbursche, zur weiten Wanderschaft in die andere Welt.«

Der Geselle erschrak, denn er merkte wohl, daß der Wirt nicht spaße, und sah sich nach seinen drei Hunden um, die waren aber alle drei hinweg, und er war allein und hülflos.

»Willst du stehend oder liegend sterben?« – fragte der Wirt, und hob ein blinkendes, schweres Beil. Der Geselle antwortete: »Ich will stehend sterben, vergönne mir nur so viele Zeit, ein Vater unser zu beten.«

»Meinetwegen, so bete!« antwortete gefühllos der schlimme Wirt.

Und der Geselle betete mit rechter Andacht, und da fiel ihm mitten im Beten das Pfeifchen ein, das die gute Alte ihm gegeben, die ihm die drei Hunde geschenkt, und gesagt [569] hatte, er solle, wenn er in Not sei, und die Hunde nicht bei ihm wären, nur darauf pfeifen, bedachte sich daher auch keinen Augenblick, sondern pfiff, zu des Wirtes und der Wirtin großer Verwunderung.

»Heißt das gebetet, Bursche?« schrie der Wirt voller Wut, und hob sein Mordbeil, aber ehe er den tödlichen Streich führte, hatte ihn Hurtigundgeschwind, der wie ein Blitz ins Schlachthaus fuhr, im Nacken und riß ihn nieder und Sprengalleband und Reißebeiß waren nun auch schon da, und alle drei zerrissen den Wirt in tausend Stücken.

Die Wirtin aber fiel auf ihre Kniee, und schrie: »Gott Lob! Gott Lob! Nun bin ich erlöst!«

»Nein Weib!« rief jetzt zornig der Gesell. »Deine Stunde hat auch geschlagen. Helfershelferin des Menschenmetzgers, die meine Hunde heimlich fing, auf daß ich wehrlos in eurer Gewalt sei, ihr Teufelsbraten!«

»O seid barmherzig!« rief flehend die Wirtin. »Ich mußte ja den Willen des Wüterichs tun, der mich auch einst gefangen und hier fortwährend gefangen gehalten hat. O laßt mich leben! Ich will Euch auch eine goldene Dose schenken!« –

»Ich danke, ich schnupfe nicht!« versetzte der Geselle.

»Ist auch nicht notwendig« – erwiderte die Wirtin. »Aber jeder, der aus dieser Dose schnupft, wenn Ihr den Deckel nach rechts gedreht habt, muß so lange machtlos stehen, liegen oder sitzen bleiben, bis Ihr den Deckel nach links gedreht. Laßt mich leben, guter Geselle, um Gottes und um Eurer selbst willen, denn noch seid Ihr nicht außer aller Gefahr. Ich allein kenne den Aufenthaltsort der Spießgesellen meines Mannes, einer ganzen Bande Räuber, Mörder und Menschenfresser, vor denen Ihr trotz Eurer Hunde nicht sicher wäret.« –

»Nun denn, ich will Euch leben lassen, Meisterin«, sprach der Jüngling: »doch hütet Euch wohl, mich hintergehen zu wollen!«

Die Wirtin dachte in der Tat nicht daran, den jungen Gesellen zu täuschen, da sie ihm wirklich ihre Befreiung dankte, sie und ihr Gesinde, das ebenfalls eine große Freude hatte, nicht mehr die entsetzliche Last zu tragen, dem Menschenschlächter untertan zu sein. Die Frau des Hauses zeigte nun ihrem Befreier den Eingang zu dem verborgenen Schlupfwinkel der Mörderbande, in welchen man durch eine Falltüre [570] gelangte. Diese Falltüre öffnete der junge Metzger und ließ seine drei Hunde hinein, welche unwiderstehlich waren, und der ganzen Raub- und Mordgenossenschaft die Hälse abbissen, daher sie mit sehr blutigen Schnauzen wieder herauskamen. Der Gesell zeigte sich nun als Herr und betrachtete die Waldherberge als seine Eroberung. Er gab der Dienerschaft, insonderheit der mitleidigen Magd, die ihn gewarnt, von den Schätzen, sandte einen Knecht mit reichem Gute an die alte Waldmutter, welche ihm die drei Hunde geschenkt, ebensoviel schickte er nach Hause zu seiner eigenen Mutter, der Wirtin ließ er nehmen, was und so viel sie wollte, die Falltüre zu der Mördergrube ließ er vermauern und die Waldherberge bis auf den Grund niederbrennen; darauf nahm er Abschied von der Frau Wirtin und zog mit seinen drei Hunden seine Straße. Eigentlich hätte er heimkehren können, denn er hatte genug an Gut und Geld, und die Metzgerei hatte er verredet auf Zeitlebens – aber er hatte seiner Mutter versprochen, drei Jahre in der Fremde zu wandern, und wollte nun auch ferner die Welt sehen, und etwas Tüchtiges lernen.

Da nun der gute Geselle mit seinen drei Hunden Reißebeiß, Sprengalleband und Hurtigundgeschwind seiner Straße weiter zog, und ein gutes Stück in die Welt hinein gewandert war, da begegnete ihm eines Tages eine Kutsche, die war ganz mit schwarzem Flor überhangen, und der Kutscher desgleichen und die Pferde ebenso, was sehr traurig aussah. Und da blieb der Wandergeselle stehen, und sein Herz bewegte sich voll Trauer, und er sann, was das wohl möge zu bedeuten haben, daß ihm ein solches Fuhrwerk begegne? Der Kutscher aber war ein grober Schroll, der rief dem Gesellen zu: »Na Schlingel, was gibt es hier zu gaffen? Wirst du wohl aus dem Wege gehen, wenn eine Prinzessin gefahren kommt?« – Dieser unhöfliche Zuruf verdroß den guten Gesellen, und er rief Hurtigundgeschwind, dem Kutscher einigermaßen Mores (sind gute Sitten), zu lehren. Darauf sprang Hurtigundgeschwind, dem kein Mensch, auch der stärkste nicht, widerstehen konnte, hinauf auf den Bock, kriegte den Kutscher beim Kragen, schüttelte ihn wie einen Karnickel, riß ihn vom Bocke herab, und titschte ihn um und um in einer großen Pfütze am Wege, davon er dreckig und triefend wurde, und setzte ihn dann wieder fein säuberlich auf den Kutscherbock. Davon wurde der [571] Kutscher so geschmeidig, wie ein Ohrwurm, und hätte gern seinen Tressenhut vor dem Gesellen abgezogen, wenn selbiger nicht drunten in der gelben Pfütze liegen geblieben wäre. Der Wanderbursche hielt nun dem Kutscher eine kleine Rede über die Regeln der Höflichkeit, welche Leute seines Gleichen nie aus dem Augen setzen sollten und dürften gegen Personen die zu Fuße gehen, weil möglicherweise eine oder die andere Person solcher Art sich statt eines – zehn Kutscher halten könne, und sich für jede Kutschergrobheit eigentlich ein solches Bad in der Pfütze nebst einigen fühlbaren Rippenstößen gebühre. Als diese Rede, die dem Kutscher gar nicht zusagte, wie vielsagend sie auch war, gehalten worden, sah der Geselle in den florumhangenen Glaswagen, und sah darin eine ganz schwarzgekleidete Prinzessin sitzen, die hatte sehr geweint, und da er sie darum ganz bescheidentlich fragte, so erzählte ihm die Prinzessin ihr Schicksal.

»Ich bin«, begann die ganz schwarzgekleidete Dame: »die Tochter des Königes dieses Landes, über welches der Teufel eine große Teurung und Hungersnot gebracht hat, und als man denselben befragte, ob er beides nicht unter irgendeiner Bedingung wieder von dem Lande nehmen wollte, so machte er die Bedingung, daß ich sein eigen werden solle. Da nun mein Herr Vater sein Land und Volk mehr liebt als mich und sich selbst, so hat er in diese entsetzliche Bedingung gewilligt, und du findest mich Ärmste jetzt auf dem Wege, schnurstracks zum Teufel zu fahren.«

»Aber schöne Prinzessin, warum seid Ihr denn so ganz allein?« fragte der Wandergeselle.

»Ja – mein guter Jüngling«, antwortete die Prinzessin: »das kommt daher, daß kein Mensch mit wollte, obschon meine Dienerschaft mir immerfort Treue bis zum Tode beteuert hat, das sind aber nur leere Redensarten gewesen. Nur der Kutscher war bereit mich zu fahren, weil derselbe schon des Teufels ist.«

»Habe das an seiner Grobheit gemerkt, meine schöne Prinzessin«, sprach der Wanderbursche; »und Euer Herr Vater, erlaubt mir diese Bemerkung, ist nicht so recht gescheit, andere täten so etwas nicht. Wolltet Ihr mir aber erlauben, Euch Anstandes halber als einen diensttuenden Kammerherrn zu begleiten, so kann ich Euch vielleicht in Wahrheit den besten Dienst tun, und Euch aus den Klauen des Teufels losmachen.«[572] »Ach, das höre ich sehr gerne!« antwortete die Prinzessin. »Ja, du sollst mein lieber Kammerherr sein, steige nur zu mir herein, es reist sich ohnehin besser zu zweien, als einsam.«

Darauf stieg der Wandergeselle zu der schönen Prinzessin in den schwarzen Wagen, und unterhielt sie gut, und machte, daß sie lachte, und fuhren miteinander ganz lustig zum Teufel. Dieser saß auf einem Holzblock und wartete schon eine geraume Zeit, und war sehr erstaunt, zu sehen, daß die Prinzessin nicht allein kam. Der Jüngling sagte: »Hochverehrtester Herr Teufel, ich hoffe, Ihr werdet ein vernünftiges Wort mit Euch reden lassen. Mich dauert diese arme und schöne Prinzessin sehr, gebet sie frei, und nehmet dafür meine Seele an.«

Der Teufel schlug einige Male rechts und einige Male links mit seinem Schweife um sich, als wenn er sich die Mücken wegwedeln wollte, und sagte: »Für dieses Mal könnte sich die Sache machen« – er dachte aber in seinem Sinne, übers Jahr hole ich mir doch die Prinzessin – »also Topp!«

»Topp!« sagte der Geselle. »Und da nichts zu trinken da ist, so schnupfen wir einmal darauf!« Damit zog er seine goldene Dose, drehte den Deckel nach rechts, schnippte mit dem Finger auf den Deckel, öffnete sie und bot sie dem Teufel dar.

»Eigentlich schnupfe ich nicht!« sagte der Teufel.

»Nun so schnupfe einmal uneigentlich! Es ist Doppelmops!« entgegnete der Geselle, und sein Herz lachte innerlich vor Freude, als der Teufel wirklich mit seiner haarigen Kralle in die Dose fuhr und eine tüchtige Prise nahm.

»So mein werter Herr Teufel!« nahm nun wieder der Geselle das Wort, indem er die Dose wieder mit ihrem Deckel verschloß und in die Tasche schob: »jetzt können wir ein verständiges Wort miteinander reden, denn Ihr seid nun ein vollkommen gesetzter Mann.«

»Wie so gesetzt?« fragte der Teufel.

»Weil Ihr sitzt, und nicht mehr und nicht eher wie der aufstehen könnt, bis es mir beliebt!« erhielt er zur Antwort.

»Weiter fehlte mir nichts! Du Dummkopf!« schrie der Teufel, und wollte auffahren und dem Sprecher an das Genicke, aber er konnte nicht, er mußte auf dem Holzblocke fest, wie angenagelt, sitzen bleiben.

[573] »Wie lange soll der dumme Spaß dauern?« fragte der Teufel in außerordentlicher Übellaune. »Ich bin das Sitzen schon müde. Mach es kurz – das halte der Teufel aus, wenn er's kann!«

»Ich will dir etwas sagen, aber sei stät, hochwohlgeborener Herr Teufel!« spottete der Geselle. »Es kann dir bald geholfen werden. Du gibst diese Prinzessin frei, wie sich von selbst versteht; du gibst auch mich frei, und entsagst dem Anrecht auf meine Seele; du gelobest niemals wieder im Lande des Herrn Vaters dieser schönen Prinzessin Teurung und Hungersnot, Aufruhr oder sonst dergleichen Teufeleien anzustiften und anzuzetteln, und niemals eine Seele als Lösegeld dagegen zu verlangen, vielmehr dich mit den Seelen zu begnügen, die dir von selbst und freiwillig in deinen Höllenrachen gelaufen kommen. Endlich gibst du mir das alles eigenhändig und schriftlich, denn der Teufel traue dem Teufel, und sorgst dafür, daß ich dich niemals wieder zu Gesichte bekomme.« –

Der Teufel ächzte und krächzte, schwitzte und krümmte sich, es half ihm aber dieses alles nichts. Immer gewohnt, stets los zu sein, quälte es ihn schrecklich, jetzt einmal nicht los sein zu können, und so bequemte er sich, in die Forderungen des Befreiers der Prinzessin einzuwilligen, worauf dieser nun wieder die goldene Dose hervorzog, den Deckel nach links aufdrehte, und höflich fragte: »Beliebt noch ein Prieschen? Es ist Marokko.« – Der Teufel aber schlug hin, daß aller Schnupftabak in die Luft flog und erhob sich von seinem Holzblock, und brauste wie ein Sturmwind von hinnen.

Darauf stiegen die Prinzessin und ihr Befreier wieder in ihren Wagen, und die Prinzessin war so sehr von Dank erfüllt, daß sie zu dem Gefährten sagte: »Höre du, ich will dich heiraten, weil du mich errettet hast!« –

»Ist mir sehr angenehm zu hören«, versetzte der Jüngling: »nur wünschte ich noch ein Weilchen damit zu warten, weil ich erst in die Welt, und draußen etwas Tüchtiges lernen muß. Deshalb entlasset mich jetzt, meine schönste Prinzessin, in Zeit von einigen Jahren komme ich wieder, darauf verlasset Euch.« –

Das mußte nun so der Prinzessin recht sein, obwohl es ihr gar nicht recht war, und als der erste Kreuzweg kam, stieg ihr Befreier aus, gab ihr seine Hand und küßte die ihrige, [574] und sagte: »Wir sind verlobt und bleiben es! Trauet fest, schöne Prinzessin, auf Euern Bräutigam.«

Der Kutscher, der die Prinzessin fuhr, hatte alles, was er sah, mit Mißmut und Ärger gesehen. Er besaß eine ganz nichtsnutze Seele. Den König hätte er am liebsten tot gesehen, und wäre gern selbst König gewesen; da man aber die Kutscher, und wenn sie die schönsten Staatskutschen noch so schön lenken zu können, sich einbilden, nicht zu Königen macht, so freute sich sein schwarzes Herz darüber, daß wenigstens die unschuldige Königstochter untergehen sollte, und da dies nicht geschehen war, so war er mindestens auf seinen Vorteil bedacht, daher hielt er an, stieg vom Bock, öffnete den Kutschenschlag und sprach hinein zur Prinzessin:

»Mein allergnädigstes Prinzeßchen! Sintemal und alldieweil Höchst-Dieselben nun befreit sind, so hätte ich auch eine kleine Bitte, bitte dahero nichts für ungut zu nehmen, wenn ich so mit der Türe ins Haus falle; ich möchte gar zu gerne heiraten!«

»Dagegen habe ich gar nichts einzuwenden, mein lieber Kutscher. Aber will Ihn denn jemand?«

»Die schätzbare Person, welche ich zu heiraten wünsche, sagte mir, sie habe nichts dagegen einzuwenden!« antwortete der Kutscher.

»Nun gut, so nehme Er sie!« – versetzte die Prinzessin.

»Nun gut, so nehme ich Sie!« erwiderte der Kutscher.

»Wen denn eigentlich?« fragte die Prinzessin.

»Nun denn Sie! Sie haben es ja gesagt!« entgegnete der Kutscher.

»Ich glaube, Er ist verrückt!« schrie die Prinzessin außer sich vor Entsetzen.

»I Gott bewahre!« versetzte der Kutscher. »Im Gegenteil, Prinzeßchen, ich glaube dies nicht im entferntesten. Wozu viele Worte? Sie sagen zu Hause, daßich es war, der Sie befreite, und heiraten mich! Wollen Sie das nicht, so fahre ich Sie nicht nach Hause, sondern wieder zum Teufel. Und damit Punktum!«

Da gab die arme Prinzessin klein bei und weinte wieder, und fuhr nach Hause. Da war aber ein Jubel über ihre Heimkunft, der war grenzenlos, und als es nun vollends laut wurde, der Kutscher habe die Prinzessin befreit und werde von ihr zum Danke gefreit werden, da kannte der Jubel [575] keine Grenzen mehr. Eine so herablassende volkstümliche Prinzessin hatte es noch nie gegeben, weder die alte noch die neue, weder die heilige noch die Profangeschichte lieferten ein Seitenstück zu solchem Bündnis – Paläste und Hütten wurden illuminiert, die Vivats nahmen kein Ende, und viele Personen, die in Kutschen fuhren, wurden damals umgeworfen, denn alle Kutscher hatten sich vor Freude betrunken und ihre Köpfe so hell illuminiert, daß sie die Prallsteine für glatte Fahrgleise ansahen.

Nun wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen, welche jedoch die Prinzessin immer von einer Zeit zur andern hinausschob. Sie verdarb ihre Brautkleider, sie wurde krank, sie erfüllte fromme Gelübde, sie wartete auf einen Schmuck, der erst vom Morgenlande kommen sollte, und hoffte mit sehnender Seele stärker und stärker auf die Wiederkehr ihres geliebten wahren Bräutigams. Der Kutscher aber wurde sehr ungeduldig und klatschte viel aus Ungeduld mit seiner Peitsche. Endlich mußte ein Tag der Hochzeit doch festgesetzt werden, und schon kam dessen Vorabend und der Wandergeselle kam nicht. Herzeleid und Wehklagen. Die Prinzessin ließ im Hoftheater das rührende Drama Lenore aufführen, und vergoß viele Tränen bei dem herzbrechenden Liede:


Es flammen am Altare
Die Kerzen wundersam;
Der Brautkranz schmückt die Haare,
Wo bleibt der Bräutigam?

Während aber selbiges herzbrechendes Lied gesungen wurde, war der wahre Bräutigam schon da, und war in Begleitung seiner drei Hunde im Gasthofe ersten Ranges der Residenz abgetreten, freilich aber nicht wie ein Gast ersten Ranges, vielmehr als zerlumpter Bettler und Strolch, und der Wirt hatte nahezu Lust, ihn von seinen Kellnern zur Türe hinaus schmeißen zu lassen, als der anscheinende Bettler einen Dukaten auf den Tisch legte, und dem Wirte zuflüsterte: »Mein guter Freund, ich bin ein Hochzeitgast! Schaffet mir einen Barbuzium und einen Schneider. Morgen am Hochzeittage verhoffe ich, so Gott es will, die Ehre zu haben, mit der jungen Königin ein Glas Wein zu trinken.«

Der Wirt maß mit seinen Blicken den Lumpazivagabundus, den er vor sich sah, vom Kopfe bis zur Zehe, und [576] sprach: »Nichts für ungut, guter Freund! Du scheinst mir aus einem Lande zu kommen, wo man keine Hundesteuer zahlt, und wo die Hunde von der Luft leben. Ich unterfange mich nicht, schlechte Witze zu machen, und zu sagen, du seist sehr auf den Hund. Gleichwohl besticht mich dein armseliger Dukaten nicht; Gott mag wissen, auf welcher grünen Wiese du den gefunden hast; indessen zu einem Abendimbiß für dich und die drei Hunde, und auch noch zu einem Nachtlager reicht er aus. Du wirst aber morgen so wenig Wein mit der königlichen Prinzessin Braut trinken, als ich, ja noch viel weniger, denn ich bin doch der Hofweinlieferant, ich kann daher eher den nämlichen Wein trinken – darauf wette ich all mein Hab und Gut, samt Gasthaus- und Schenkgerechtigkeit.«

»Wirt, schwatze nicht zu viel! besorge hübsch meine Befehle! Die Wette steht!« – sprach ganz kurz der Gast, forderte Velinpapier und feines Siegellack, schrieb und siegelte rasch einen Brief an die Prinzessin, hielt dem erstaunten Wirte die Aufschrift unter die Augen, schlug den Brief in ein Zeitungsblatt, und gab ihn dem Hurtigundgeschwind ins Maul, der damit fortschoß.

Jetzt kamen der Barbier und der Schneider. Der Fremde ließ sich sauber scheren und zwagen, und vom Schneider in Samt und Seide kleiden, und legte bloß Goldstücke auf den Tisch mit dem stummen Bedeuten, jeder möge sich nehmen, was er glaube, daß ihm gebühre. Der Schneider glaubte, ihm gebühre viel, folglich nahm er viel, der Barbier aber wollte gerne wieder auf das Goldstück herausgeben, er hatte jedoch kein einzelnes, und da winkte der Gast wieder, er möge es nur ungewechselt behalten. Am andern Morgen wurde die ganze Residenzstadt voll von der Kunde, daß ein Herr im ersten Gasthofe wohne, der viel freigebiger sei, wie der König, wozu – im Vertrauen sei dies gesagt – nicht viel gehörte.

Wie froh war aber die gute Prinzessin geworden, als sie Hurtigundgeschwind in den Saal springen und ihn einen Brief in ihren Schoß legen sah, während alles vor dem großen und seltsamen Briefpostcourier erschrak, zumeist aber der falsche Bräutigam, der Kutscher. Er dachte sich: wo der ist, da ist sein Herre auch nicht weit, und verzog sich ganz leise, woran er sehr wohl tat, sonst hätte ihn der Hund zerrissen.

[577] Am andern Morgen hielt eine königliche Kutsche vor dem Gasthofe; ein Hoflakai öffnete den Schlag, ein besternter Kammerherr stieg aus und fragte nach dem fremden Herrn, der gestern gekommen sei, und dem Wirte fiel das Herz in die Kniekehle, denn er hatte sein Hab und Gut, samt der Schenkgerechtigkeit verwettet. Der fremde Herr aber fuhr zur Rechten des Kammerherrn im Wagen sitzend nach Hofe.

Bei Hofe war nun große Freude; der wahre Bräutigam gefiel dem volkstümlichen Könige noch besser, wie der Kutscher, da derselbe sich sehr gut zu benehmen wußte, und sich schon durch die Befreiung der Prinzessin am besten benommen hatte. Die Hochzeit hatte daher ihren ungestörten Fortgang. Dem Wirte schenkte der glückliche Bräutigam die an ihn verlorene Wette, und den Kutscher, den er durch Reißebeiß, Sprengalleband und Hurtigundgeschwind sehr leicht hätte einfangen und holen lassen können, wobei derselbe sehr übel gefahren wäre, ließ der edle Bräutigam laufen.

Mit abermaliger reicher Gabe aber bedachte er die alte Waldmutter, und seine eigene Mutter ließ er in einer goldenen Kutsche holen und behielt sie bei sich bis an ihr Ende. Als alles zu einem guten Ziele gelangt war, verschwanden die drei Hunde, und niemand wußte, wohin sie gekommen waren, und auch das Pfeifchen war fort, so daß man die Hunde auch nicht wieder herbeirufen konnte, welches auch nicht nötig wurde, da sich kein Teufel mehr um das Land des alten und des jungen Königs bekümmerte.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Neues deutsches Märchenbuch. Der Wandergeselle. Der Wandergeselle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2AEB-3