379. Der Soester Schatz
Nicht weit von Soest in Westfalen lag ein altes zerstörtes Haus, Mauerreste eines Burgstalles etwa, darinnen sollte, so ging die Sage, ein großer [264] Schatz in eiserner Truhe verborgen liegen, bewacht von einer verwünschten Jungfrau und einem schwarzen Hunde. Es müsse und werde einst, so meldete die Sage weiter, ein fremder Edelmann kommen, den nie eines Weibes Brust gesäugt, der werde die Jungfrau erlösen, den Schatzkasten gewinnen und mit einem feurigen Schlüssel ihn erschließen. Trotz dieser bestimmt ausgesprochenen Vorhersagung wagten sich aber doch unterschiedliche Schatzgräber, fahrende Schüler, Teufelsbanner und solche Vaganten mehr an des Schatzes Hebung, jedoch vergeblich, denn sie sahen so seltsame Gesichte und erhielten zumeist so übeln Willkommen, daß ihnen die Lust, wiederzukehren, auf immer verging. Einst geschah es, daß ein junges Mädchen aus einem nahen Dorfe ein paar Geißen hütete und ganz zufällig in den Hof des alten Gemäuers kam, da trat unversehens eine Jungfrau auf das Kind zu und fragte, was es da zu schaffen habe. Das Mägdlein sagte, es suche Beeren und Kirschen für sich und Futter für seine Ziegen. Da zeigte die Jungfrau auf ein Körbchen voll Kirschen und sagte: So nimm dort von den Kirschen, komme aber nicht wieder, damit dir nicht Übels begegnet. Das Kind erschrak, furchtsam griff es nach den Kirschen und nahm nur sieben Stück und eilte aus dem Gemäuer. Als es die Kirschen draußen essen wollte, waren sie in das reinste Gold verwandelt. Die Jungfrau aber soll das Los zahlreicher Schwestern teilen, sie soll noch immer unerlöst sein.