948. Gansloser Streiche

Liegt ein Dorf in Schwaben, im Gebirg zwischen Owen und Geislingen, heißt Ganslosen und ist nah verwandt mit Dittis im Rhöngebirg; eins von denen, welchem vornehmlich alle Schwabenstreiche aufgebürdet werden. Auch die Gansloser haben, wie die Dittisser, Geschichten von ihrem Kirchenbau. Als die Kirche vollendet war, brachte man eine Sonnenuhr am Turme an, die mußte derselbige Maler malen, der den Rottweilerern die Flucht aus Ägypten auf ihre Fahne gemalt, und alles mit Wasserfarben, bis auf den Esel, den hatte er mit Ölfarben gemalt; da nun die Fahne in Regen kam, floß alles ab, und nur der Grauschimmel blieb zu Spott und Hohn als der Rottweilerer Schimpfwahrzeichen. Da sich nun die Gansloser beim Gemäld ihrer Sonnenuhr ähnlicher Tückerei vom Maler versahen, wurden sie eins, ein Dachel über selbige machen zu lassen, so konnte der Regen die Farben hübsch nicht abflüten, und die Sonne konnte sie auch nicht ausziehen oder bleichen. Die Geschicht mit dem Brunnenausmessen, wo einer am andern sich anhängt und zuletzt der Schultes, an dem sie alle hängen, losläßt, um nur einmal in die Hände zu spucken, um sich dann fester halten zu können, ist den Ganslosern auch aufgehalst worden. Wie die Wasunger ihre aparte Arie haben, so haben auch die Gansloser eine, und zwar auf einen Storch, der sich, wie in Ägyptenland, alldort göttlicher Verehrung erfreute, jedoch später durch vier Mann, die einen fünften trugen, damit er die Saat nicht vertrete, aus der Saat gejagt wurde. Sie feiern ihm vergnüglich ein eignes [611] Storchenfest – wird der Gründonnerstag sein, der in Thüringen und Franken häufig geradezu der Storch heißt – und singen folgendermaßen ihre Aria:


Heut feiern wir

Das hohe Tier,

Das uns auf unsern Wiesen ga-

Ht – 's hat ein schwarzweißes Wammes an

Und einen Schnabel wie a Gan-

S Halleluja!


Da nun aber die Gansloser doch von ihren Landsleuten gar zu arg aufgezogen, gehänselt und gedränselt wurden mit ihren Streichen und mancherlei Unnamen, so ward ihnen der Name ihres Dorfes leidig und wollten ihn samt der Erinnerung ganz los sein, nannten daher und kamen darum ein, dies fürder tun zu dürfen, ihren Ort Audorf. Wenn nun die Nachbarn kommen, so fragen sie spöttisch: Ist Ganslosen au e Dorf (auch ein Dorf oder euer Dorf)? – und jene haben damit nichts gewonnen als den Ruhm eines neuen Schwabenstreiches.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 948. Gansloser Streiche. 948. Gansloser Streiche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2A3D-D