265. Die Geister auf der Christburg

Da, wo heute die Stadt Christburg liegt, war eine Heidenfeste, welche der Marienorden lange belagert hielt. Endlich in einer heiligen Christnacht ward die Feste von dem Orden erobert und von da an besessen und empfing von dem Tage an den Namen Christburg. Das Schloß wurde neu erbaut und mehr und mehr befestigt und war lange Jahre ein starkes und unüberwindliches Bollwerk gegen das Heidentum. Da kam die Zeit, daß sich der Orden beriet, Krieg zu führen gegen den tapferen Polenkönig Jagiello, da war ein Komtur auf Christburg, der hieß Otto von Sangerwitz, der sah dieses Krieges unglückseliges Ende voraus und widerriet ihn. Allein er wurde überstimmt und mußte mit ausziehen. Da nun der Auszug begann, so fragte ein Chorherr den Komtur: Wem willst du nun dieses Schloß anvertrauen? – und darauf antwortete Otto [193] von Sangerwitz ganz heftig: Dir und allen bösen Geistern, die zu diesem Kriege geraten haben! – Über diese harte Antwort erschrak der Chorherr heftig, fiel in ein hitziges Fieber, und andern Tages war er tot. Von Stund an mußte sein Geist im Schlosse zu Christburg spuken. Als nun die unglückliche Schlacht am Tannenberge geschlagen war, in welcher unter so vielen anderen tapfern Streitern auch der Komtur von Christburg fiel, kehrten die Geister aller Kreuzherrn, die zu diesem verderblichen Kriege geraten hatten, der den Orden fast ganz aufrieb, auf das Schloß Christburg zurück und spukten dort greulich. Kein Mensch hatte Ruhe vor ihnen, es ging alles darunter und darüber. Die Pferde standen unversehens in der Küche, wenn der Koch an sein Geschäft gehen wollte, und wenn die Knechte auf den Boden gingen, Futter für die Pferde zu holen, lagen die Weinfässer droben; der Kellermeister, wenn er in den Keller kam, fand einen Brunnentrog und Wasserkübel. Ein neuer Komtur des Namens von Frauenburg konnte es nicht auf dem verwünschten Schlosse aushalten; die Geister hingen ihn im Brunnen auf, setzten ihn auf den First des höchsten Daches, zündeten ihm seinen Bart an, daß er brannte wie ein Strohwisch – bis er von dannen zog, und blieb kein Ritter mehr dort, ward also das Schloß verlassen und verfiel. Da kam einstmals nach ein paar Jahren ein Schmied aus Christburg von einer Wallfahrt heim und hörte von dem Spuk, wie es zugehe da droben auf dem Schlosse, daß die Ordensritter, wenn sie essen wollten, die Schüsseln voll Blut gefunden hätten, und wenn sie hätten beten wollen, hätten sie Kartenspiele in den Händen gehabt statt der Breviere, und da dachte der Schmied, er wolle doch auch einmal sich hinaufmachen auf das wüste Schloß, ging aber weislich nicht abends, sondern am hellen Mittag hinauf. Und wie er auf die Brücke kam, da traf er gleich einen Bekannten, der sein Gevatter war, und hatte ihm ein Kind aus der Taufe gehoben, und war der Bruder des Komturs Otto von Sangerwitz. Den schrie der Schmied fröhlich an und freute sich, ihn wiederzusehen – sei ihm doch, als habe er gehört, der Herr Gevatter sei auch in der Tannenberger Schlacht geblieben. Und wie es komme, daß die Leute drunten in der Stadt sich so wunderliche Dinge von dem Schloß erzählten? Der Ritter sprach: Folge mir, ich will dir zeigen, wie das alles kommt. Und führte ihn über Wendelstiegen und durch Säle und Hallen und zeigte ihm des Unfuges und des Greuels so viel, daß dem Schmied die Haare sich zu Berge hoben. Dann gingen sie wieder aus dem Schlosse, und hinter ihnen schallte ein Heulen und Wehklagen wie das Heulen der Verdammten, und konnte nicht entsetzlicher und schrecklicher sein in der untersten Hölle. Und da sprach der Ritter zu dem Schmied: Gehe hin und sage dem neuen Hochmeister an, was du hier gehört und gesehen, denn so war unser Leben, und so ist nun unser ewiger Jammer; und sage ihm, er solle den Orden bessern. Und als diese Worte gesprochen waren, verschwand die Gestalt des Komturs vor des Schmiedes sichtlichen Augen, und es grauste ihn, denn nun erst nahm er wahr, daß er mit einem Geiste es zu tun gehabt, und allerdings war auch dieser Bruder in der Tannenberger Schlacht geblieben.

Seinen Auftrag zu vollziehen, ging der Schmied zum neuen Hochmeister und sagte ihm treulich alles an, dieser aber ergrimmte über solchen Bericht, als wolle der Schmied seinen hochwürdigen Orden schänden, ließ ihn greifen und verurteilte ihn zum Tode des Ersäufens.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 265. Die Geister auf der Christburg. 265. Die Geister auf der Christburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2A36-C