Bruder Sparer und Bruder Vertuer
Es war einmal ein Bauer, der hatte zwei Söhne, die ließ er Handwerke lernen, »denn«, sprach er: »Handwerk hat einen goldnen Boden.« Der eine Sohn wurde ein Schuhmacher, der andere ein Schneider, und wie ihre Lehrzeit beendigt war, gingen sie auf die Wanderschaft. Sie waren beide ein Paar lustige Brüder, aber der Schuhmacher vertat alle sein Geld in Rauchtabak, Schnupftabak und Schnaps, [316] der Schneider aber rauchte nicht, schnupfte und schnapste nicht. Bisweilen riet er seinem Bruder, doch haushälterisch mit dem Gelde umzugehen, aber der Schuster lachte ihn aus, und sagte: »Wozu soll ich denn sparen? du sparst ja! Sparer muß einen Vertuer haben – sagt das Sprichwort.«
So wanderten die guten Gesellen ein ganzes Jahr lang miteinander. Der Schneider hielt sich einen besondern Geldbeutel, da hinein legte er jedesmal, wenn sein Bruder Geld für unnütze Dinge ausgab, ebensoviel aus der gemeinschaftlichen Kasse, die niemals reich war, zu einem Notpfennig, und so tat er das ganze Jahr hindurch und hatte seine Freude daran, wie das Bäuchlein des Beutelchens immer stärker wurde.
Nun kamen sie einmal miteinander in Wortwechsel, wieder über Sparen und Vertuen; der Schneider rühmte sich des ersparten Schatzes, wo der Schuster sagte: »Es wird ein rechter Bettel sein, was du erspart hast.« Darüber gelangten sie auf eine Brücke, die hatte schöne, breite und glatte Steine auf ihrer Einfassungsmauer, und da wollte der Schneider seinen Bruder überzeugen, daß Sparen ein gut Ding sei, denn das Sprichwort sagt: Spare in der Zeit, so hast du in der Not, und: Junges Blut, spar dein Gut! Darben im Alter wehe tut. Sie legten ihre Ränzel ab, und der Schneider zog sein Beutelchen und zählte die schönen Silbergroschen und Sechser, die vom langen Tragen ganz rötlich geworden waren, auf einem Brückenstein; es war ein hübsches Sümmchen [317] und er freute sich königlich darüber. Der Schuhmacher sah es ganz gleichgültig, stopfte sich eine Pfeife und schlug eben Feuer, als plötzlich ein so heftiger Windstoß daher kam, daß das Schneiderlein gleich in den Fluß geweht worden wäre, wenn die Brücke keine Einfassung gehabt hätte, aber das Geld, das wehte der Wind alles hinunter ins Wasser. Der Schneider stand starr vor Schrecken, der Schuhmacher aber legte den brennenden Schwamm auf die Pfeife, und fragte mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt: »Na, Bruder Sparer, wie viel hast du nun?« Da heulte der Schneider, daß ihn der Bock stieß: »So viel wie Duhuhuhuhu! So viel wie Duhuhuhuhu!« –