Das Dukaten-Angele

Es waren einmal drei Schwestern, die auf dem Lande lebten, von denen war die eine, Namens Hannele, (Hannchen) sehr geschickt, die zweite Schwester aber war unklug, und die dritte war noch ein ganz kleines Kind. Die kluge Schwester war in die Schule gegangen, und hatte mancherlei [692] gelernt, die unkluge war zwar auch in die Schule gegangen, hatte aber nichts gelernt, und es war ihr nichts einzutrichtern gewesen. Daher nahm die kluge, da die Eltern nicht mehr lebten, sich des kleinen Hauswesens an, kochte und wusch, und die unkluge mußte ihr Dienste leisten, aufwaschen, scheuern, Holz spalten, Gänge tun, das Kind tragen und in allem Aschenbrödel sein, aber ohne Aussicht, eine Prinzessin zu werden.

Eines Tages schickte die kluge Schwester die unkluge nach der nahen Stadt, und gab ihr Geld mit, um Brot zu kaufen. Nun war in der Stadt just Jahrmarkt, und die unkluge Maid hatte noch nie einen Jahrmarkt besucht, wandelte daher mit offenem Munde und gaffenden Augen zwischen allen den Buden voll Jahrmarktsherrlichkeiten umher, und da kam sie an einen Stand, der war eitel voll und übervoll von Puppen und Püppchen und Dockenköpfen und Bälgen, immer eine Puppe schöner wie die andere, ach da hätte das Mägdlein gar zu gern ein Paar, oder wenigstens nur eins von den Püppchen gehabt, und da rief die Verkäuferin ganz freundlich: »Nun, mein liebes, schönes Kind! Kommen Sie näher! Nehmen Sie sich ein Püppchen! Suchen Sie sich das schönste heraus!« –

»Das heiß ich eine gute Frau!« dachte die Unkluge, daß sie mir eins zu nehmen erlaubt, und nahm sich gar ein schönes Döckchen, dankte und wollte davon gehen, aber da hielt die Verkäuferin sie am Rocke fest und rief: »Na! Was ist denn das? Das wäre mir! So haben wir nicht gewettet, mein sauberes Jungferchen! Man bezahlt auch, wenn man kauft, oder ist Sie etwa eine Weißkäuferin, die findet, wo niemand was verloren hat. Geld heraus! oder ich rufe die Polizei!« –

Über diese harte Rede erschrak das unkluge Mädchen mehr, als es jemals in seinem ganzen Leben erschrocken war, und gab vor Schreck alles Geld hin, für welches sie doch Brot kaufen sollte, und die Dockenverkäuferin nahm das Geld und schrie: »He! Der Bettel langt noch lange nicht!« und riß dem armen Mammele – so wurde die Unkluge aus Spott gerufen, weil sie klein und untersetzt von Wuchs war, und einem alten Mamachen ähnlich sah – die schöne Puppe aus der Hand und gab ihm eine andere, weit geringere, die alt, und nur ein bißchen wieder frisch aufgeputzt war, und schrie: »Nachdem das Geld, nachdem die Ware! Nachdem [693] der Mann, nachdem brät man die Wurst! Lauf kleiner Balg! Mach daß du fortkommst! Sei froh, daß du für deine paar lumpigen Heller noch so eine schöne Docke gekriegt hast!«

Trotz dieser übeln Behandlung von seiten der Marktfrau, war das arme kleine Mammele doch froh, daß es ein Döckchen hatte, herzte es und küßte es, und nannte es »Angele«, das ist Engelchen, und »mein Kindchen, mein Kindchen!« – Aber ach, wie das Mammele heim kam vom Jahrmarkt, und statt Brotes eine Docke brachte, da wurde das Hannele sehr böse und schlug das arme Mammele, daß es bitterlich weinen mußte, und redete den ganzen Rest des Tages kein Wort mehr mit ihm. Doch behielt das Mammele zu seinem Trost sein Angele, und hätschelte es, und nahm es mit zu Bette, legte es neben sich, und schlief bald tief und fest ein, denn es war müde vom Wege, müde von Schlägen, und matt vom Hunger, denn das Hannele hatte ihm auch noch zur Strafe nichts zu essen gegeben. Neben Mammeles Bette stand das kleine Bettchen der jüngsten Schwester, welche Annele (Annchen) hieß, und an der Wand gegenüber stand Hanneles Bette.

Mitten in der Nacht nun – es war heller Mondschein, erwachte die kluge Schwester von einer seltsamen Stimme, die drüben aus dem Bette ihrer Schwester kam, und lautete:

»Mamma gacka! Mamma gacka!« und Hannele merkte, daß diese Stimme von der kleinen Puppe kommen müsse, denn ihre Schwestern hatte andere Stimmen. Da nun die unkluge Schwester fest schlief und nichts hörte, so rief zu dem kleinen Kinde hinüber das Hannele: »Annele! Weck einmal das Mammele! Das Angele will eine Gackele (Eichen) legen!«

Auf diesen Zuruf ermunterte sich das kleine Annele und weckte das Mammele, und das stieg auf, und nahm sein Angele, und setzte es auf ein Tassenköpfchen.

Da tat es gleich einen klingenden Klang in dem Tassenköpfchen, und wie das Mammele das Angele wieder davon herunter hob, so hatte letzteres ein goldenes Gackele gelegt, das einen Dukaten so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern.

Da war große Freude bei den Schwestern; die kluge wurde wieder ganz gut mit der unklugen, und sie küßten und herzten gemeinschaftlich das gute Angele, und hüllten es in seidene Läppchen, und für den Dukaten kauften sie [694] Brot und Kuchen, Zucker und Kaffee und allerhand schöne Sachen. Und was die schönste Sache war, das war die: daß in jeder Nacht das Annele »Mamma gacka!« rief, und jede Nacht ein goldenes Gackele legte. Da kaufte die kluge Schwester nach und nach hübsche Kleider, und ließ das Häuschen, darin sie mit ihren Geschwistern wohnte, neu decken, und von außen neu anstreichen, und in wendig ließ sie die Stube tapezieren, und kaufte auch Hühner, Gänse, Enten und Tauben auf den Hof, und schaffte eine Ziege an, später auch eine Kuh und für das Annele ein Kinderwägelchen, in dem fuhr das Mammele das Annele spazieren, und das Annele hatte das Mammele auf dem Schoße, und nebenher lief ein junges Lämmchen, welches Lammele gerufen wurde, und am Halse an einem roten Bändchen ein klingendes Schellchen trug. Da wunderten sich die Nachbarsleute, daß die Schwestern es so gut hatten, und sich immer besser betaten, und jene konnten nicht begreifen, woher und wovon? Denn obschon die kluge Schwester sehr fleißig war, so wußten jene doch, daß der redliche Fleiß nicht hilft zu schnellem Reichtum.

Nun hatten die Schwestern ein Ehepaar zu nahen Nachbarn, das war selbst reich, aber gerade dieses Paar beneidete die Schwestern am allermeisten, und Mann und Frau redeten miteinander über sie: »Wenn wir nur in aller Welt wüßten, woher drüben das Hannele und das Mammele mit ihrem Annele so gar reich werden? Wo sie nur das Geld hernehmen? Es muß nicht mit rechten Dingen zugehen!« –

»Warte, mein lieber Mann!« sagte die Frau: »ich will das bald erfahren und herausbekommen; ich will das dumme Mammele fragen, die sagt mir in ihrer Einfalt ganz sicher alles.« –

Als nun bald darauf einmal das Mammele sein Annele mit dem Angele spazieren fuhr, und das Lammele klingelnd neben her lief, da trat ihnen die Nachbarsfrau in den Weg, und sagte: »Ei schönen guten Tag, liebes Mammelchen! Wie geht es denn mitsammen? Was macht denn mein gutes Hannelchen? Das ist gewiß recht fleißig zu Hause! Ach das liebe, brave Mädchen! Und das herzallerliebste Annelchen da! Ach das Zuckerkind! Ei – und was es für ein schönes Püppchen da auf dem Schoße hat! Und das schöne Lammele! Wie das springt! Und das goldige Schellchen, wie das klingt! Und das saubere Wägelchen, so schön buntig gemalt! Ja da sieht man's recht, was das Sprichwort sagt: [695] Schöne Leute haben schöne Sachen! O ihr herzigen Goldkinder, ihr!«

Mit diesem scheinbar so freundlichen und liebreichen Geschwätze betörte die Nachbarsfrau das Mammele, und es sagte: »Ja wohl, Frau Nachbarin, es geht uns ganz leidlich, wir sind zufrieden.«

»Freut uns gar zu sehr, mich und meinen Mann, mein liebwertes Mammele!« schmeichelte die Frau. »Ihr seid aber auch gar gut, zu gut, zu brav, und verdient, daß es euch gut geht, denn das Sprichwort sagt: Was der Mensch wert ist, widerfährt ihm. Wer's nur auch so gut haben könnte, wie ihr! Aber das Sprüchwort sagt: Den Seinen gibt's der liebe Gott im Schlafe!« –

»Freilich, Frau Nachbarin«, antwortete darauf das unkluge Mammele. »Jede Nacht gibt es uns der liebe Gott! Jede Nacht einen goldenen Dukaten.« –

»Ei du meine liebe Güte! Ei Herr Jehchen! Ei woher denn, du goldiges Herzenskind, du gar braves, liebes, gescheites Mammele du?« – rief und schmeichelte die listige Nachbarin.

»Das Angele tut's, was da das Annele auf dem Schoße hat!« plauderte das unkluge Mammele aus. »Jede Nacht einmal ruft es ›Mamma gacka!‹ und da setz ich's auf ein Tassenköpfchen, und da fällt der Dukaten hinein.«

»'s ist die Möglichkeit!« – schrie die Nachbarin außer sich, und griff hin, und wollte das Püppchen an sich reißen, aber das Annele hielt es mit beiden Händen fest, und erhob ein Geschrei als stäk es am Spieße und strampelte sehr mit den Füßen.

»Na, kleiner Narr, behalte nur deine Docke! Ich werde sie dir nicht nehmen! Ich brauche keine!« sagte begütigend die Nachbarsfrau und ließ ab. »Wenn man den kleinen Kindern den Willen tut, so greinen sie nicht, sagt das Sprüchwort. Paßt auch auf große Kinder! Nun Adjes, auf Wiedersehen, gutes Mammele! Grüße schön das liebe Hannele, und bleib fein gesund mit dem Annele und dem Lammele« –(du dummes Hammele, du Schaf!) – setzte sie noch in Gedanken hinzu, und eilte freudig zu ihrem Manne, und verabredete mit diesem einen Plan, wie sie durch Trug und Täuschung um Aufnahme für eine Nacht in dem Häuschen der Schwestern bitten, und den Schwestern das gute, nutzbare Püppchen, das Dukaten-Angele, entführen wolle.

[696] Als es Nacht geworden war und Zeit, schlafen zu gehen, vernahmen die Kinder drüben im Nachbarhause einen greulichen Lärm. Es klitschte und klatschte, es schmizte und patschste drüben, daß alles krachte und platzte, und man hörte die Frau kläglich heulen und den Mann greulich fluchen und schelten, es war aber alles nur List und Verstellung, und endlich fuhr drüben die Haustür auf, und die Frau fuhr heraus mit fliegenden Haaren, ringenden Händen, nur halb bekleidet, und geradewegs hinüber zu den Schwestern, in einem fort schreiend: »Ach, daß's Gott erbarm! Ach der böse Mann! Ach ach ach! Ei ei ei! Ach ach ach! Ei ei ei!« und wollte sich gar nicht zufrieden geben. Endlich brachte sie unter erheuchelten Tränen und vielem Schluchzen die Lüge vor, daß ihr schlimmer Mann sie gottesjämmerlich geprügelt und aus dem Hause geworfen habe, und um keinen Preis ginge sie wieder hinüber, und die Schwestern möchten doch um Gottes willen sie nur eine einzige Nacht bei sich behalten, weil es schon Nacht sei; morgen in aller Frühe wolle sie dann weiter fort, in ihr Heimatdorf, zu ihren Leuten.

Die gutmütigen Schwestern hatten Mitleid mit dem falschen Weibe, und bereiteten ihm in ihrer eigenen Schlafkammer ein Lager, denn das kleine Häuschen bot keine Gaststube und Gastkammern dar. Als nun alle sich zur Ruhe gelegt hatten, nahm die Nachbarin aus dem Bettchen des schlafenden Mammele das Dukaten-Angele, öffnete das Fenster, stieg hinaus, sprang in das Gärtchen vor dem Hause, zertrat der Schwestern schönste Blumen, und eilte hinüber nach ihrem Hause, wo ihr Mann sie an der offenen Türe empfing, und beide hatten eine Hexenfreude, und wollten sich miteinander scheckig lachen, daß der Raub so gut gelungen war.

Und da sagte gleich darauf, als beide in der Stube waren, das Angele: »Mamma gacka! Mamma gacka!« das freute die Frau von Herzen, sie nahm gleich statt eines Tassenköpfchens die Suppenschüssel, stellte diese dem Angele unter und sagte: »Mach's gut; mach's nicht so einzeln! Mach gleich einen Haufen, denn das Sprichwort sagt: Vorrat ist Herr – und viel hilft viel!« Und das Angele tat auf dieses Zureden sein möglichstes, in der Schüssel aber tat es keinen klingenden Klang, sondern einen tritschenden Tratsch, und wie der Mann die Bescherung sah, so glaubte [697] er, seine Frau habe ihn vor einen Narren, wurde jetzt im Ernst so böse, als er kurz zuvor sich gestellt hatte, nahm die Suppenschüssel samt der Puppe und warf beide durch's Fenster hinaus auf den Mist, hernach aber nahm er einen Stecken, und prügelte seine Frau nun ernstlich windelweich, da schrie sie nun auch im Ernste Zeter mordio! »Ach ach ach! Ei ei ei! Ach du liebes Ei!« und der Mann schrie: »Ich will dich beeiern, daß du die Kränk kriegen sollst! Schmeckst du was? Schmeckst du wie diese faulen Eier stinken? Das Sprichwort sagt: viel hilft viel! Wart, ich will dir helfen!« und schlug drauf und drein auf sie los, bis sie kaum noch piepsen konnte.

Am andern Morgen merkten die Schwestern, daß das Angele fort war, und hatte in dieser Nacht nicht auf das Tassenköpfchen begehrt, und waren darüber sehr betrübt.

Unterdessen lag die Docke, das Angele, auf dem Mist, und die Suppenschüssel lag über ihr, und nur ein Stückchen Lappen von ihren bunten Röckchen guckte unter dem Rande heraus; da kam ein Lumpensammler vorbei, der sah das Läppchen, stieß mit seinen Stock die Schüssel zur Seite, und freute sich, daß er eine Puppe fand; gedachte gleich, dieselbe seinem kleinen Mädchen mitzubringen, hob sie auf, und da sie, zufolge der Umstände, nicht sauber war, so ging er an den nächsten Brunnen, und wusch das Angele gar schön rein. Indem so kam von ohngefähr das Mammele an den Brunnen, nach seiner Gewohnheit Wasser zu holen, die sah ihre Puppe in des fremden Mannes Hand und rief voller Freude: »Ei mein Angele! Wo bist du denn gewesen?« Und die Puppe rief gleich: »Mamma gacka! Mamma gacka!« und tat einen Schneller und hüpfte somit dem Manne aus der Hand, und dem Mammele an den Hals und schlüpfte ihm unters Halstuch, und hatte sehr notwendig, und legte geschwind ein Gackele, das wieder einem Dukaten so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Diesen Dukaten nahm das Mammele und schenkte ihn dem Lumpensammler und sagte: »Lieber Mann, dieses Püppchen, mag Er es gefunden haben, wo Er will, gehört mir. Hier hat Er aber zum Finderlohn ein schönes Trinkgeld, einen Dukaten, weil Er mein Angele gefunden und so schön sauber gewaschen hat!« – und sprang eilend nach Hause und zeigte es voller Freude den Schwestern und herzte und küßte das Angele und die ältere Schwester, wie die jüngere, das Hannele und [698] das Annele, freuten sich, daß das Mammele das Angele zum zweiten Male in das Haus brachte, und hatten eine große Herrlichkeit, hüpften vor Freude, wobei auch das Lammele mit hüpfte, kochten einen doppeltgemoppelten Kaffee und buken Waffelkuchen.

Und das Angele behielt seine Tugend bei, und legte fortwährend jede Nacht sein gelbes Eichen mit einem klingenden Klang in das Tassenköpfchen. Davon wurden die Schwestern sehr reich, aber sie blieben gar gut und einträchtig beisammen, erzogen das Annele und ließen es was Ordentliches lernen, denn das begibt sich gar wunderselten, daß kleine Mädchen, die nichts gelernt haben, und unklug sind, wie das Mammele war, ein Dukaten-Angele finden, denn das Sprichwort sagt: da hat sich was zu angeln. –

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Neues deutsches Märchenbuch. Das Dukaten-Angele. Das Dukaten-Angele. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2778-0