196. Der schnelle Reiter Tod

Im Schleswiger und Dithmarscher Lande geht eine Sage um von einem bäuerlichen jungen Liebespaare, das hatte sich gar zu lieb, aber Gott fügte es, daß der Bräutigam krank ward und starb. Da wollte sich seine Liebste gar nicht zufrieden geben und weinte und jammerte den ganzen Tag, und wenn es Abend wurde, so ging sie hin auf sein Grab und weinte und jammerte die liebe lange Nacht. Da nun die dritte Nacht kam, seit er begraben war, und sie wieder dasaß und weinte, da kam ein Reiter auf einem Schimmel und fragte sie: Willt du mit mir reiten? Da schlug sie die Augen auf und sahe, daß es ihr Geliebter war, und sprach: Ja, ich will mit dir reiten, wohin du willt – und stieg mutig zu ihm auf sein Pferd, und fort ging es mit dem Wind um die Wette in die weite Welt. Da sie nun eine gute Strecke geritten waren, so sprach der Geliebte:


Der Mond der scheint so hell,

Der Tod der reitet so schnell,

Mein Liebchen, graut dir nicht?


[153] Nein! sagte sie, was soll mir wohl grauen? Ich bin ja bei dir. Und weiter und weiter ging der Ritt und immer hastiger wie vorher, aber die Dirne saß fest auf dem Pferde und hielt den Geliebten umfaßt. Da fragte dieser zum andernmal:


Der Mond der scheint so hell,

Der Tod der reitet so schnell,

Mein Liebchen, graut dir nicht?


Nein! erwiderte sie nochmals, was soll mir grauen? Ich bin ja bei dir! – Aber es wurde ihr doch ein wenig wunderlich zumute; und da fragte er zum drittenmal:


Der Mond der scheint so hell,

Der Tod der reitet so schnell,

Mein Liebchen, graut dir nicht?


Da begann ihr zu grauen, fester hielt sie ihn umklammert und sprach kein Wort. Da sauste das Pferd dreimal mit ihnen in einem Kreis herum, und weg waren sie.

Weitumgehend ist diese Sage, auch in England wie in Schweden ist sie verbreitet. Die Schauerverse des toten Reiters vernahm der deutsche Dichter Bürger und spann aus ihnen seine düstre Ballade Lenore.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 196. Der schnelle Reiter Tod. 196. Der schnelle Reiter Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-263B-4