673. Der eiserne Tisch

Da Libussa eine Zeitlang als Königin über das Volk der Böhmen geherrscht hatte, wünschte ihr Volk, daß sie sich einen Gemahl wähle; da sagte sie in einer Versammlung, die sie berief, viele Worte der Weissagung und mahnte ab von des Volkes Begehren. Aber das Volk wie die Edeln blieben auf ihrem Willen und begehrten einen König.

Wohlan! sprach sie, so machet euch auf, gehet zum Wasser, die Bila, da werdet ihr im Gefilde des Dorfes Stadicz einen besonderen Acker finden und darauf einen Mann pflügen sehen mit zwei scheckigen Ochsen. Dieser wird euer König sein!

Darauf erkor sie dreißig Männer, die besten des Landes, gebot ihnen, mit sich zu nehmen einen königlichen Rock und einen Mantel und den neuen Herrn zu suchen. Die Gesandten begehrten nähere Zeichen von dem Manne zu erfahren, daß sie den Rechten fänden, und es sprach Libussa: Nehmet mit euch mein weißes Roß, das ich reite, laßt es frei vor euch herlaufen, das wird den Mann erspähen und euch durch Wiehern und sonstige Zeichen verkündigen, daß er der [447] Rechte ist. Finden werdet ihr euern König speisend auf eisernem Tische, und die friedsamen Götter werden eure Bahn behüten!

Darauf fuhren die dreißig Männer von dannen und ließen Libussens Roß vorangehen, das lief dem Mittelgebirge zu, nach dem Dorfe Stadicz, und am dritten Tage so fanden sie einen Mann auf dem Felde, pflügend mit zwei gescheckten Ochsen, dem naheten sie mit heilbringendem Gruß, den er jedoch nicht erwiderte. Und das Roß begann zu wiehern und zu schreien und fiel vor dem Bauer nieder, des Name Przemisl war.

Die Boten Libussens zeigten ihm nun das fürstliche Gewand und richteten ferner ihre Sendung aus; da stieß Przemisl die Haselgerte, welche er in der Hand trug, in den Boden und spannte die Ochsen aus dem Pfluge, indem er sprach: Gehet hin, woher ihr gekommen seid. Darauf erhoben sich die Ochsen beide in die Luft und schwebten in der Wolkennähe, doch senkten sie sich wieder und fuhren gegen einen Felsen, der sich auftat; dahinein in die geöffnete Kluft fuhren die Ochsen, und der Fels schloß sich sobald; zur Stunde aber rieselte aus ihm ein Wässerlein hervor, gleich aus einem Stalle und von solchem Geruch. Die haselne Rute aber, die der Bauer in den Boden gesteckt, trieb sogleich grüne Blättlein und drei Zweige, auch einige Nüsse.

Mit Staunen sahen das alles die Boten der Königin, noch mehr aber wuchs ihr Verwundern, als der Bauer den Pflug umstürzte und auf die Schar ein schimmlig Stück Brot legte und ein Stück Käse, sein Mittagsmahl zu halten, wozu er die Fremdlinge einlud. Da sahen sie den eisernen Tisch, davon Libussa gesprochen hatte. Von den Zweigen der Rute verdorrten zwei, und nur der dritte grünte aufwärts. Als Przemisl sah, wie sich die Sendboten verwunderten, fragte er: Was wundert ihr euch? Viele meines Geschlechts werden anheben zu regieren, immer aber wird nur einer König sein. Eure Herrin hätte nicht solche Eile vonnöten gehabt. Wäret ihr später gekommen, daß ich dieses Stück Acker ganz umgepflügt, dann hätte dieses Land immer und ewig vollauf Brotes gehabt, und diese Zweige wären nicht verdorrt. So nun wird bisweilen Hungersnot einfallen. – Als die Boten ihn fragten, warum er auf dem Eisen speise, erwiderte er: Mein Geschlecht wird euch mit Ruten von Eisen züchtigen! – Nach der Mahlzeit legten sie Przemisl das lange Kleid an, den schönen Mantel und neue Schuhe, er aber nahm seine alten Schuhe, die er sich selbst aus Lindenrinde gemacht und mit Lindenbast genäht hatte, mit sich, zum Gedächtnis der Abkunft des ersten Fürsten. Dem Kommenden zog Libussa herrlich geschmückt mit ihren Schwestern, Räten und Rittern und allem Volke entgegen, begrüßte ihn freundlich und erkies ihn zum Ehegemahl. Von diesem ersten Könige Böhmens schreibt sich der Gebrauch, daß bei jeder nachherigen Königskrönung vor dem zu Krönenden eine Metze Haselnüsse ausgeschüttet wurde, welche die Bewohner des Dorfes Stadicz, die außerdem von allen Abgaben befreit waren, liefern mußten: dann zeigte man auch jedesmal dem Fürsten die Bauernschuhe von Lindenrinde, welche heilig von Geschlecht zu Geschlecht aufbewahrt wurden, um ihm symbolisch anzudeuten, er möge in die Fußtapfen seines Urahnherrn treten. Im Hussitenkriege erst kamen diese Schuhe abhanden. Die Haselgerte aber grünte fort und fort, und ihr Stamm wird noch heute als ein Wahrzeichen im Dorfe Stadicz gewiesen.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 673. Der eiserne Tisch. 673. Der eiserne Tisch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-24F1-9