623. Die Perlenschoten
Zu Neustadt-Wiesenthal im Obererzgebirge war eine Zeit ein großes Sterben, da wohnte in dem Bergstädtlein Michel Rohdörfer, ein Exul aus Lutitz in Böhmen, der war mit seiner Frau und sieben Kinderlein der Religion halber herüber in das Sachsenland geflüchtet, als der Dreißigjährige Krieg sich angehoben hatte. Dieser Mann hatte ein Mägdlein von sieben Jahren, das hatte im Schutthaufen eines alten ausgegrabenen Kellers etliche Kapsamenstrünklein (Kappus, Kohl) aufgelesen und in den Garten ihres Vaters in die Erde gepflanzt, wo sie gut angingen, blühten und reiften. Da nun die Schötchen reif waren, nahm das Kind sie ab und klopfte sie aus, da hullerten kleine silberglänzende Körnlein heraus, und das [415] Kind sammelte sie und trug sie zum Vater und sagte: Schau Vater, was ich funden habe! Patterlein! Schöne Patterlein! (Paternosterküglein). Der Vater sah mit Staunen, daß es echte Perlen waren, suchte selbst mit nach und fand in jedem Schötchen einige Perlen, sammelte davon mit dem Kinde ein ganzes Käsnäpfchen voll. Alle Welt, wem nur der Rohdörfer die Perlen zeigte, bewunderte sie und erkannte sie für echt an, namentlich mehrere Edelleute, die sich auch als böhmische Exulanten in Wiesenthal aufhielten. Von Annaberg kam eine Gräfin von Hauenstein eigens herübergefahren, stieg an Rohdörfers Hause ab und ließ sich etliche Samenschötchen von dem Mägdlein aufmachen, befand auch, daß es echte Perlen waren. Als sie aber selbst einige Schoten aufmachte, ging es ihr gleich andern, die dieses auch bereits versucht, die Perlen zerrannen ihr in den Fingern wie Tropfen Taues. Ei, sprach darauf die Gräfin, dies ist eine wunderbare Begabung und Begnadigung dieses glückseligen Kindes, das wir auf- und annehmen wollen, wenn der Vater es zufrieden ist! Ein anderer böhmischer Edelmann ließ den Vater mit allen seinen sieben Kindern zu sich kommen, betrachtete auch das Wunder und ließ die Kinder neu kleiden. In ihrem vierundsiebzigsten Jahre noch hat die Perlenfinderin dies selbst erzählt.