145. So viel Kinder als Tage im Jahre
Eine Stunde von Gravenhage liegt ein Dorf, das heißt Losduinen (sprich Losdeunen), da hat ehemals ein Kloster gestanden; die Sage geht alldort, daß dieses Kloster wegen ruchlosen Lebens seiner Bewohner in einer Nacht versunken sei, und daß an einer gewissen Stelle, die aber nicht jeder findet, ein Sausen und Brausen in der Tiefe gehört werden könne. Nur die Kirche blieb erhalten, sie liegt außerhalb des Dorfes, östlich, und es werden in derselben zwei kupferne Taufbecken gezeigt, an die sich folgende Geschichtssage anknüpft.
Graf Floris IV. von Holland hatte von seiner Gemahlin Mechthild eine Tochter, des Namens Margaretha, und vermählte diese mit Hermann I. Grafen von Henneberg, den die Alten als einen freudigen und mannhaften Helden priesen. Margaretha gebar ihrem Gemahl einen Sohn, Poppo, und eine Tochter, [116] Jutta, welche letztere sich noch bei der Mutter Leben, mit dem Markgrafen Otto dem Langen zu Brandenburg, vermählte. Auch die Mutter hatte sehr jung geheiratet und reiste in ihrem zweiundvierzigsten Jahre nach dem Haag, ihrem Heimatlande. Da habe nun diese Gräfin ein armes Frauchen erblickt, das auf jedem Arm ein Kindlein trug und sie anbettelte, und die Kin der wären Zwillinge gewesen. Habe die Gräfin gezweifelt, daß eine Frau von einem Manne mehr denn ein Kind auf einmal empfangen könne, der Armen die Gabe geweigert, ja sie verhöhnt und geschmäht. Darüber ward die arme Frau kläglich weinend, hob ihre Augen gen Himmel und rief: O Herr und Gott, der du bist aller Dinge im Himmel und auf Erden mächtig, ich bitte dich demütiglich, daß du wollest dieser Gräfin so viele Kinder auf einmal in ihren Schoß bescheren, als Tage im Jahre sind. Und sei weinend hinweggegangen.
Und am selben Tage fühlte die Gräfin sich gesegneten Leibes und nahm von Stund an zu und wurde so stark und so schwer, daß kein Mensch alle sein Lebtage dergleichen gesehen hatte. Nun hatte ihr Vater ein Haus in Losduinen, da blieb sie wohnen, denn sie vermochte nicht nach ihrer neuen Heimat in das Land Henneberg zu reisen, und am Charfreitag, als man schrieb eintausendzweihundertundsechsundsiebenzig, da gebar sie dreihundertundfünfundsechzig Kinder, Knäblein und Mägdlein durcheinander, alle ganz ausgebildet an allen Gliedern. Die taufte am andern Tage der Bischof Otto von Utrecht, ein Ohm der Frau, in den zwei Becken (nicht in einem, wie viele sagten und schrieben), die noch heute in Losduinen zu sehen sind, und nannte die Knäblein Johannes und die Mägdlein Elisabeth. Sie starben aber alle bald darauf an ihrem Tauftage, am Vorabend des heiligen Osterfestes, und die Mutter desgleichen, und wurden miteinander in der Klosterkirche begraben. Hernachmals ist diese Geschichte in mancherlei Denkversen in deutscher, lateinischer und holländischer Sprache auf eine Holztafel innerhalb der Kirche zu Losduinen verewigt worden, welche vormals links neben der Kanzel hing, ein Grabstein aber, dessen in vielen Schriften gedacht wird, welche diese Sage mitteilen, ist allda nicht vorhanden. Zum Andenken an jene Wundergeburt wurde an das Ufer der Maas eine Burg gebaut, welche so viele Fenster zählte, als das Jahr Tage hat, und es steht auch noch am Eingange des Dorfes Losduinen, wenn man vom Haag herkommt, fast vereinzelt ein großes Haus, das trägt über der Türe die Inschrift: IN DEN HENNENBERG. – Den beiden Taufbecken legt das Volk eine wunderbare Kraft noch heute bei und hält sie in hohen Ehren. Unfruchtbare Frauen werfen stillschweigend nach und nach eine Handvoll Sand an die Becken, damit entlocken sie der Mutter Natur den erwünschten Segen. –
Zu Delft in der schönen Hippolytikirche ist auf einer Tafel diese Geschichte geschildert, und in der Abtei zu Egmont soll ein Grabmal der Gräfin Margaretha befindlich sein.