Das tapfere Bettelmännlein
Es war einmal ein gar armer Schlucker, der stand in nächster Verwandtschaft mit dem allbekannten Herrn von Habenichts, und war ein Gevatter zum Herrn von Tuenichts, und die Arbeit war ihm äußerst verhaßt. Alles was er tat, war, daß er gern schöne Märchenbücher las, darinnen so viele Märchen stehen, in denen die Menschen reich werden sonder Mühe, und der Weg beschrieben ist, der zum Schlaraffenlande führt. Das liebste Märchen aber von allen war dem armen Schlucker doch das »vom tapfern Schneiderlein«. Solch ein Held, meinte er, könnt er auch sein – was gälte es – wenn sich nur die gute Gelegenheit böte! Und siehe – selbige Gelegenheit bot sich. Der junge Bettler ging durchs Hochgebirge, und kam auf eine Alme und bettelte da. Was konnte der Senn ihm reichen? Da gibt es keine Pfennige und Kreuzer, keine Semmeln und keine Würsteln. Ein Stück Schabzieger (Käse) das war alles, was er bekam, und etwa als Draufgabe noch ein paar liebenswürdige Redensarten von jungem Tagedieb, Taugenichts, Landstreicher und Tunichtgut – deren so viele, daß sich der Bettler förmlich schüttelte, als er von der Kaserhütte wegging.
Als der junge Gergänger von der Alme niederstieg, sagte er: »Da droben ist Dürrhof, da hinauf bringen mich zehn Pferde nicht wieder!« – Zog das Stück Schabzieger hervor, legte es neben sich auf einen Stein, ruhete aus, und betrachtete sich die Welt mit weit offenem Maule, als warte er, daß eine gebratene Taube geflogen kommen und stracks hinein fliegen solle. Selbe Taube blieb aus, aber auf den Schabzieger setzte sich, vom guten Geruch angelockt, eine Menge Fliegen, und da dachte das Bettelmännlein an den Apfel und die Fliegen im Märchen vom tapfern Schneiderlein – nahm seinen Hut, schlug drauf – und schrie alsbald erfreut: »I hub's, i hub's! Sieb'n auf anen Streich!«
Alsbald schrieb er auf einen Zettel mit großen Buchstaben in vornehmer, hochdeutscher Schrift, ganz wie das tapfere Schneiderlein getan: »Sieben auf einen Streich!« befestigte selben Zettel am Hute, und stolzierte nun in das erste Dorf hinein. In diesem Dorfe war große Verlegenheit und Furcht. Im ganz nahen Walde hauste ein greulich großer, starker und wilder Bär, der vielen Schaden tat am Vieh, [554] an Bienenstöcken und den niemand zu fangen oder zu fällen vermochte. Da zog auf einmal der Held durchs Dorf, der an seinem Hute die prahlende Schrift trug: »Sieben auf einen Streich.«
»Was gilt's, der ist unser Mann, Held, Retter und Befreier!« sprachen die tapfern Bäuerlein. »Sieben auf einen Streich? Da kann er auch einen, einen Bären nämlich, auf sieben Streiche fällen, das kann er ganz nach seinem Belieben halten.« Und boten dem Bettelmann ein gutes Stück Geld, so er des Bären mächtig würde, und das Fell sollte auch sein gehören, und vom Bärenbraten sollte er mit essen dürfen.
»Mir schon recht!« sagte das Bettelmandl, »mit dem Viech werd ich kurzen Prozeß machen. Hui! Hui! So ist er tot.«
Die Bäuerlein staunten über die Kuraschi des Helden, und zeigten ihm den Weg nach dem Walde, hüteten sich aber gar wohl, selbst mit hinein zu gehen. Der Held aber schwitzte Angstschweiß, als er so mutterseelenallein im finstern Walde war, und das Herz sank ihm in die Kniekehle, als er von weitem ein Gebrumme hörte, daß gar keinen Zweifel aufkommen ließ, ob es etwa nicht das Gebrumme des Bären sei.
Hilf Himmel, was gibst du, was hast du! Wie zog das hasenherzige Fliegentöterlein aus, durch dick und dünn, in banger, keuchender Flucht, und der Petz zottelte gemütlich hinter ihm her, und begriff gar nicht, warum der Mensch da vor ihm so schrecklich laufe. Da stand eine Hütte am Wege, in die sprang der Bettler, und drückte sich hart an die Türe, die er aufließ – gleich darauf kam der Bär auch hinein, und lief nach der entgegenstehenden Wand – schwuppdich! sprang der Bettler bei der Türe wieder heraus, warf die Hüttentüre in das Schloß, zog den Schlüssel ab, sorgte, daß der Bär nicht durch ein Fenster entfliehen konnte, und ging wieder nach dem Dorfe.
Die Bäuerlein, die ihn von weitem stolzierend kommen sahen, sprachen untereinander: »Schaut, gefressen hat ihn der Bär nicht, das ist schon ein gutes Zeichen. Von uns wäre keiner wiedergekommen. Ob er ihn aber erlegt hat? Das ist die große Frage.«
Bald war das Bettelmännlein umringt, und warf sich in die Brust wie ein Volksredner, räusperte sich und sprach: »Freuet euch Freunde: Der Sieg ist unser! Ich habe das [555] wilde Ungeheuer gefangen, für den Fall, daß ihr ihm vielleicht wollt Tanzstunde geben, und es dann für Geld sehen lassen, dann werdet ihr mir für das zugesicherte Fell billige Vergütung leisten.«
»Ach was Tanzstunde? Was um Geld sehen lassen? Totgeschlagen wollen wir ihn sehen!« – riefen die Bäuerlein, bewaffneten sich, und rückten unter Anführung des tapfern Bettelmännleins nach der Waldhütte, in welcher Bruder Petz gefangen war, und dabei durch sehr starkes Brummen Zeugnis von äußerst übler Laune ablegte, so daß alle Bäuerlein eine Gänsehaut überlief. Sie kannten und vermochten auch keinen Rat zu ersinnen, was nun anzufangen, denn schlossen sie die Türe auf, und gingen hinein, so biß der Bär sie tot, und gingen sie nicht hinein, so ging der Bär heraus, und die alte Not ging von neuem an.
»Ihr seid halt Helden!« spottete das tapfere Bettelmännlein, ließ sich eine doppelt geladene Flinte reichen, und schoß durchs Fenster den Brummbär tot – worauf alle Bäuerlein schrien:
»Vivat! Er lebe! nämlich nicht der Petz, sondern der Held, Retter und Befreier.«
Wie das Bettelmännlein sein Geld und den Bärenpelz hatte, den es gleich wieder an einen reichen Bärenhäuter des Dorfes verkaufte, fiel den Bäuerlein noch etwas ein, und sie sprachen: »Tapferer Held, Retter und Befreier! Uns drückt noch ein Leiden. Droben im Gebirge haust ein wilder Mann, mit einer wilden Fangga, die ist seine Frau. Die plagen uns allewege gar zu sehr, und wir müssen ihnen zinsen und zehnten über alle Gebühr, und tun wir's nicht, so werfen sie uns Mühlsteine auf unsere Dächer und schicken uns Schlaglawinen und Wildbäche und Schlammbäche auf den Hals, daß wir noch tausendmal übler daran sind.«
Da schnitt das tapfere Bettelmandl schier ein zorniges Gesicht, und schnauzte die Bäuerlein an, wie ein Landrichter: »Warum habt ihr das nicht gleich gesagt? Sakra! Da hätt ich mich nicht brauchen erst mit dem lumpigen Bären aufzuhalten, den ich, was mir etwas ganz leichtes war, mit den Händen fing, und an seinen Ohren in die Waldhütte zog. So ein Ries, so ein wilder Mann, ha, das ist mir rein gar nichts. Wer det's schauen, wie ich dem heimleuchte mit samt seiner wilden Fangga, dem z'nichten Weibsbild!« –
Die Bäuerlein erschraken fast vor der übergroßen Kuraschi [556] des Bettelmännleins; sie zogen ihre Mützen vor ihm ab, und standen voller Ehrfurcht um den Gewaltigen. Sie beratschlagten und sagten, wenn er sie von dem wilden Manne und der wüsten Fangga befreie, so wollten sie ihm aus dem Gemeindevermögen ein Bauerngut kaufen, und wollten ihm das Nachbarrecht schenken, und ihn zum Bürgermeister auf Lebenszeit wählen, und er solle niemals wieder von ihnen wegziehen. Ob er das zufrieden, und ob es ihm genug sei?
»Ja, selbes bin ich wohl zufrieden, und ist mir genug!« anwortete das Bettelmandl. »Und jetzt drauf! Gott sei dem Riesen gnädig, wenn ich über ihn komme!« –
Die Bäuerlein zeigten ihrem Helden den nächsten Fußpfad hinauf ins Gebirge, und er schritt tapfer fürbaß, und war froh, als er allein war, und keiner mehr um ihn. »Kriegt die Kränk mit euern Riesen!« rief er. »Ich hab genug am Geld für den Bärenfang und das Bärenfell. Ich gang über's Gebirg, mich seht ihr nimmermehr!«
Aber der Held ging nicht übers Gebirge, denn auf der Höhe, wo der letzte Wald aufhörte, stieß er auf den wilden Mann. Ach, wie ward ihm da so angst und bange, wie war es aus mit Herzhaftigkeit und Heldentum! Flinke Beine – das war die einzige Hülfe. Das Bettelmännlein läuft rasch zurück, der wilde Mann hinter ihm her. Wie der Riese im besten Rennen ist, wendet sich das Mandl um, und kommt dem Riesen, der das gar nicht gewahr wird, zwischen die Beine, da stürzt der Riese hin, so lang er ist, und fällt in eine Klamm (Felsschlucht), und kann nicht wieder heraus. Da schreit er dem Mandl zu: »Ich will dir nichts tun, aber lauf auf zu meiner Frau, und laß dir einen Keil geben!« – »Gleich –« sagt das Mandl und lauft zur wilden Fangga, und begehrt den Geldsack; ihr Mann hab es so befohlen. Die Fangga glaubt es nicht, und schreit zur Klamm hinunter: »Soll ich ihn geben?« – »Freilich! Nur geschwind!« schreit der Riese, da gibt die Fangga dem Bettelmandl den Geldsack, und der macht sich damit über die Höh.
Der wilde Mann brüllt immer noch – die Fangga kommt und befreit ihn, und bekommt viele Keile, daß sie den Geldsack hergegeben, statt eines Keils, darauf rennt der Riese dem Räuber nach. Der ist unterdessen bei Schäfern vorbeigekommen, hat ein Lamm genommen, hat es unters Hemde versteckt, und im Laufen dem Lamm den Bauch aufgeschnitten, [557] und die Gedärme herausgeworfen – welches letztere die Schäfer mit Grausen gesehen haben.
Jetzt kommt der wilde Mann und fragt die Hirten, ob sie keinen Mann hätten vorbei laufen sehen? – »O ja –« sagten diese; »er hat sich ein Messer in den Bauch gestoßen, und seine Gedärme herausgeworfen, damit er desto schneller laufen konnte.«
»Selbes Kunststück hätt ich eher wissen sollen!« – brüllte der wilde Mann, zog sein Messer, schnitt sich den Bauch auf, lief, stürzte hin und war tot. Das Männlein stand nicht weit davon und sah ihn stürzen. Nun ging es zurück zu den Bäuerlein, noch ganz blutig, schwang sein Messer, und rief: »Das war ein schwerer Sieg! Das ging auf Tod und Leben. Droben liegt er! Mit diesem kleinen Messer hab ich ihm den ganzen Leib aufgeschlitzt.« – Da jubelten die Bäuerlein, und schrien ein Vivat übers andre dem Helden, Retter und Befreier.