134. Die Toten in Löwen

Zu Löwen war ein Totengräber, der sollte ein Grab bereiten, fühlte sich aber krank, zumal war es am Abend Allerheiligen (Vorabend Aller Seelen) und schon recht kalt, und da bot sich, wie er klagte, sein Gevatter an, das Grab für ihn zu machen, was aber zu Nacht noch geschehen mußte. Vor Mitternacht war der Mann mit seiner Arbeit fertig und wollte vom Kirchhof hinweggehen, da sah er eine Prozession auf diesen gezogen kommen, die schritt über alle Gräber; es schienen weiße Mönche zu sein, und jeder trug eine Kerze, und wie sie an den Gevatter kamen, der ein Spielmann war, ließen alle ihre Kerzen vor ihm hinfallen, der letzte Mönch aber warf eine große Kugel vor ihm hin, mit zwei Dochten. – Ei, dachte der unerschrockene Spielmann, das ist schön weiß gebleichtes Wachs und ein guter Lohn für meine Mühe; sammelte daher alles sorglich auf, band es in sein Tuch und barg es daheim unters Bette, schlief auch ganz ruhig in dieser Nacht.

Andern Tages aber, als der Spielmann sich früher niedergelegt hatte, konnte er nicht einschlafen, sondern wachte die Mitternachtstunde heran; siehe, da tat seine Kammertüre sich auf, und es kamen alle die weißen Mönche herein und stellten sich um die Betten her, in denen der Spielmann und seine Frau lagen, und bückten sich und schauten unter des Spielmanns Bette und zogen das Tuch mit den vermeinten Kerzen hervor, und über dem Bücken entfielen den Mönchen ihre weißen Kapuzen und Mäntel, und waren eitel scheußliche Gerippe, und schrieen: Mein Arm! Mein Bein! Mein Kreuz! Meine Rippe! Und meine Rippe! Und mein Kopf! schrie das letzte Gerippe, das hatte in der Tat keinen Kopf, und alle den andern Gerippen fehlte das, wonach sie riefen, und das alles hatte der Spielmann in seinem Tuche zusammengebunden und in der Meinung, es seien Wachskerzen und eine Wachskugel, nach Hause getragen. Nun langten alle mit ihren klapperdürren Armen nach ihren Gliedmaßen, und das Gerippe ohne Kopf bückte sich, und der Spielmann mußte ihm den Kopf selbst auf- und zurechtsetzen, dann langte es nach des Spielmanns Geige, drückte sie ihm in die Hände und machte das Zeichen, daß er aufspielen sollte, und nun faßten sich alle die Gerippe mit den dürren Fingern an und tanzten nach dem Spiel und klapperten, und der Spielmann klapperte auch nebst seiner Frau, und jene kreisten wild in der Kammer herum, war gar ein schauriger Totentanz und dauerte eine ewig lange Zeit, und wenn der Spielmann müde wurde, so langte ihm ein Gerippe eine Maulschelle in das Gesicht, die sehr weh tat. Endlich beim ersten Hahnschrei hüllten die Gerippe sich wieder in ihre Mäntel und huschten von hinnen.

Der Spielmann und seine Frau haben von Stund an, als sie dies Schreckliche [108] erlebt, nicht mehr geredet, nur daß sie in der Beichte erzählten, was sie gesehen, und dann sind sie bald darauf mitsammen gestorben.

Besser als diesem Spielmann ist es einem frommen Bötticher zu Löwen ergangen. Der ging allabends, da er nahe an Sankt Quintini Kirchhof wohnte, auf diesen Kirchhof und betete für die Ruhe der Toten einen Rosenkranz oder zwei. Da geschah es, daß er eine Summe Geldes für abgelieferte Arbeit einnahm, das er zu sich steckte, da er gerade auf den Kirchhof gehen wollte, seiner Gewohnheit noch für die Ruhe der Toten zu beten. Es waren aber einige Spitzbuben in der Nähe, die wußten, daß der Bötticher Geld einnehmen sollte, und dachten gleich, er werde es zu sich stecken, die lauerten auf ihn, und da er auf den Kirchhof kam, fielen sie über ihn her und wollten ihn niederwerfen. Aber da rauschte und brauste, rasselte und prasselte es ringsumher, und es erhoben sich alle Toten, für deren Ruhe der Büttner so oft gebetet hatte, und schlugen mit Arm- und Beinknochen härtiglich auf die Räuber los, daß denen ein Grauen ankam und sie teils niederstürzten, teils eilends entflohen. So war der fromme Meister befreit und gerettet und hat nachher um so eifriger für die Ruhe der Toten gebetet. Der Magistrat aber ließ die Geschichte auf eine Tafel malen und diese an der äußern Kirchenmauer aufhängen, allwo sie noch zu sehen ist.

Diese Sage geht auch mit weniger Veränderung in Deutschland von einem Ritter, Torringer geheißen, der, wenn er nachts am Kirchhof vorüberritt, nie unterließ, ein Gebet für die Toten zu sprechen. Eines Abends jagte er aber, von einer ganzen Schar wütender Feinde verfolgt, welche dicht hinter ihm waren, vorüber nach seiner Feste zu. Siehe, da erhoben sich die Toten rasch aus ihren Gräbern und traten zwischen den Fliehenden und seine Verfolger, die voll Entsetzen zurückprallten, wie sie die Schädel und Gerippe im Mondenscheine dastehen sahen und ihnen den Weg sperrten, und unbeschadet konnte der Ritter seine sichere Feste erreichen.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 134. Die Toten in Löwen. 134. Die Toten in Löwen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-21B4-B