488. Wein aus der Kunitzburg.
Bei einer Hochzeit zu Kunitz unweit Jena ging um Mitternacht der Wein aus. Da gab der Hausherr der Magd Geld und sagte scherzhaft: »Geh' auf die Burg und hole Wein!« Das Mädchen, welches im Orte noch fremd war, ging ohne Bedenken mit einem Krug auf das unbewohnte Bergschloß und klopfte an die Thüre, welche bald von einer weißen Gestalt geöffnet wurde, die nach der Magd Begehren fragte. Diese antwortete, sie solle für ihren Herrn, dessen Namen sie nannte, Wein holen, worauf die Gestalt mit ihr in den Keller ging, den Krug aus einem Fasse füllte und ihn dann zurückgab, ohne Bezahlung anzunehmen. Im Hochzeithause erkannte man den Wein für altes, treffliches Gewächs und fragte die Magd, wo sie ihn geholt habe. Ueber ihre Erzählung wunderte sich alles, man bewahrte von dem Wein auf und zeigte die Sache in Jena bei Gericht an. Dort wurde das Mädchen eidlich vernommen, und nachher die ganze Kunitzburg amtlich untersucht, allein darin weder Faß noch Wein gefunden.