110. Messe nachgeholt.
Eines Abends ward in die Ettlinger Kirche zufällig ein Schulbube eingeschlossen, der während der Betstunde darin eingeschlafen war. Tief in der Nacht erwachte er; am Altare brannten die Lichter und an dessen Fuß stand ein Priester allein und begann die Messe. Nachdem er das Introibo gesprochen, schaute er auf beide Seiten, ob nicht ein Diener da sey, der ihm antworte, und als er keinen erblickte, machte er das Buch auf dem Altare zu und ging mit dem Kelch wieder in die Sakristei. Augenblicklich erloschen die Lichter von selbst, und den Knaben befiel eine solche Angst, daß er zur Thüre eilte, und als er sie verschlossen fand, um Hilfe rief. Dies hörte der vorübergehende Nachtwächter; er holte den Meßner und derselbe ließ den Buben aus der Kirche und führte ihn am Morgen zum Pfarrer. Nachdem dieser sich Alles hatte[79] erzählen lassen, unterrichtete er den Knaben im Meßdienen und sagte ihm hierauf, was er zu thun habe. Vor Mitternacht begaben sich dann Beide in die Kirche, wo nach einer Weile die Altarkerzen sich von selbst entzündeten und wieder der Priester aus der Sakristei kam und sich anschickte, Messe zu lesen. Ungesäumt trat nun der Bube hinzu und diente ihm; aber nach der Messe ging nicht er, sondern der Pfarrer mit in die Sakristei. Dort von letzterem befragt, warum er im Grabe keine Ruhe habe, antwortete der Priester: »Als ich starb, war ich noch eine Messe schuldig, und um sie nachholen zu können, habe ich viele, viele Jahre auf einen Diener gewartet. Jetzt ist sie abgehalten, und ich gehe zu Gott, bei dem ich Deiner und des Knaben nicht vergessen werde!« Nach diesen Worten verschwand er.