184. Schätze und Geister in der Barbarakirche.

Barbara hat die Schätze, welche ihr nach dem Bau der Kirche noch übrig geblieben, in dieser verborgen und sie, wegen ihrer plötzlichen Gefangennehmung, nicht mehr aus dem Verstecke holen können. Sie muß daher bis zu deren Hebung bei ihnen umgehen, und wird in der ganzen Gegend die weiße Frau genannt.

Am Tage vor Pfingsten ging ein zwölfjähriges Mädchen in die seit lange verfallene Barbarakirche, während sein Vater und ein anderer Mann außen beschäftigt waren. Da sah es die weiße Frau aus dem Chore kommen, vor dem sie stehen blieb und, bst! rufend, dem Mädchen hinwinkte. Ihr Gesicht und ihre Hände waren schneeweiß, ihre Augen und Haare, die ganz zurückgeschlagen, rabenschwarz; in der Hand, womit sie winkte, hielt sie ein Sträußlein blauer Blumen, an der andern hatte sie [164] eine Menge goldener Ringe; sie trug ein weißes Ueberkleid und darunter ein Gewand von derselben Farbe, grüne Schuhe und an der Seite einen großen Bund Schlüssel. Von Schrecken ergriffen, lief das Mädchen aus der Kirche und holte die beiden Männer herein. Diese konnten aber die weiße Frau nicht sehen und als sie fragten, wo dieselbe sei, zeigte das Mädchen hin und sagte: Dort! Da wandte die Frau sich um, ihr Haar hing über den Rücken bis auf den Boden, und sie ging nach dem Chore; das Mädchen aber fiel in Ohnmacht. Als es wieder zu sich kam, war die Frau verschwunden und ließ sich auch nicht mehr sehen, obgleich die Männer ihr riefen und alles nach ihr durchsuchten. 1

Eine Bauersfrau von Spielberg, welche dem Gottesdienst zu Langensteinbach beigewohnt hatte, sah, auf dem Heimweg, an er Barbarakirche die weiße Frau, die ihr sagte, sie solle mit ihr gehen, sie könne sie erlösen und reich werden. Da die Bäuerin dem Geiste folgte, führte er sie in das Gewölbe unter der Kirche, worin zwei Kisten standen, auf deren einer eine Kröte, auf der andern ein weißer Hund saß. Hier gab ihr das Gespenst eine Gerte in die Hand und sagte: sie solle damit umherfahren, aber kein Wort, selbst nicht den Namen Jesus, sprechen; es wolle nun fortgehen, jedoch bald zurückkommen und ihr die Schlüssel zu den Kisten bringen. Als die Bauersfrau allein war, fuhr sie, wie ihr befohlen worden, mit der Gerte umher, da wurde der weiße Hund kohlschwarz, worüber sie erschrocken ausrief: »Ach Gott!« Kaum war das Wort aus ihrem Munde, [165] so fiel sie ohnmächtig nieder. Bei ihrem Erwachen lag sie oben im Gotteshaus unter dem Schwibbogen und hörte um sich in der Luft ein Aechzen und Wehklagen, darunter die Worte: »Nun muß ich noch so lange leiden!« Dieses Jammern verfolgte sie ein paar Stunden lang, daß sie vor Angst nicht wußte, wo aus und ein, und endlich ganz erschöpft in das Badhaus zu Langensteinbach kam, wo sie sich allmälig wieder erholte.

Eines Tages im Advent sah ein dreizehnjähriges Mädchen, das mit einigen andern die Thurmtreppe der Barbarakirche hinauf gestiegen war, in dieser die weiße Frau stehen, und ihr mit einem Strauß blauer Schlüsselblumen zuwinken. Sie sagte es ihren Gespielen, welche aber den Geist nicht wahrnehmen konnten, und mit ihr davon liefen. Als sie kurz nachher die Neugierde wieder hinauftrieb, sah das Mädchen die Frau noch auf dem Platze stehen und ihr wieder mit der Hand winken, worin sie nun eine rothe Gichtrose hielt. Eilig begaben sich die Mädchen heim und erzählten ihren Eltern das Geschehene, von denen sie am andern Tage wieder in die Kirche geschickt wurden. Dort erblickten einige von ihnen im Gewölbe eine Schüssel voll dampfender Bohnen, welche den andern unsichtbar blieb, aber keine hatte den Muth, zu ihr zu gehen. Zu Hause sagte man ihnen dann, daß die Bohnen Geld gewesen seien, welches ihnen zu Theil geworden wäre, wenn sie eine Schürze oder etwas anderes, das nicht auf dem bloßen Leibe getragen wird, darauf geworfen hätten. Nun gingen am nächsten Tage die Mädchen wieder in die Kirche, allein da ließ, zu ihrem Verdrusse, sich nichts mehr blicken.

Drei Nächte nacheinander erschien zwischen elf und zwölf die weiße Frau einem Mann in Langenalb und [166] sprach zu ihm Folgendes. »Komm nächstens um diese Zeit in das Gewölbe der Barbarakirche, wo du eine Kiste finden wirst, die ganz mit Geld gefüllt ist. Auf ihr liegt ein schwarzer Hund, welcher dreimal zu dir sagen wird: Geh weg. Jedesmal mußt du erwiedern: Geh du weg, und dabei ihm einen Streich mit einer daliegenden Ruthe geben. Bei dem dritten Hieb wird der Hund weichen, du kannst dann das Geld in Besitz nehmen, und mich dadurch erlösen.« Zur bestimmten Stunde kam der Mann in das Gewölbe und näherte sich der Kiste und dem daraufliegenden Hunde; aber als dieser ihn mit Feueraugen anblickte, ergriff er entsetzt die Flucht und starb nach wenigen Wochen.

Im Jahr 1840 kam am Anatholiatag und an Weihnachten, jedesmal nachts zwischen elf und zwölf, die weiße Frau zu einem Zieglergesellen in Langensteinbach und eröffnete ihm, daß er sie, die schon seit vielen Jahrhunderten umgehe, erlösen und dabei reich werden könne, wenn er thue, was sie ihm später sagen werde. Nachdem er sich zu allem bereit erklärt hatte, holte sie ihn in der Neujahrsnacht in die Barbarakirche, wo sie im Beichtkämmerchen einen großen Stein, der einen unterirdischen Gang verschließt, aufhob, und dann durch diesen den Gesellen, zweiundneunzig Stufen hinab, in einen Keller führte, worin vier Kisten standen. Die erste war mit Goldstücken, die zweite mit Silbergeld gefüllt, die beiden andern enthielten Kleinode, darunter ein goldnes Kruzifix und einen goldenen Kelch. »Diese zwei Stücke,« sprach die Frau, »wirst du der Kirche in Busenbach geben, wenn du durch meine Erlösung die Schätze hier gewinnst. Um jene zu vollbringen, mußt du in der Nacht des nächsten Charfreitags allein herkommen, kein [167] Wort sprechen und rein von Weibern und geistigen Getränken sein. Was du weiter zu thun hast, werde ich dir die nächsten Male sagen und zugleich zeigen, was bei dem Unternehmen dir vorkömmt.« Hierauf brachte sie ihn ins Freie zurück; aber nach etlichen Wochen holte sie ihn gegen Mitternacht in denselben Keller ab. Auf der Treppe im unterirdischen Gang lag eine große Schlange, die, als der Gesell über sie schritt, sich wie zum Angriff gegen ihn aufrichtete. Unten saß auf einer der Kisten ein schwarzer, feuerspeiender Hund, und nicht weit davon lagen eine Ruthe und ein Schwert. »Mit dieser Ruthe,« sprach die Frau zu ihrem Begleiter, »mußt du in der Charfreitagnacht den Hund von der Kiste treiben und ihm dann mit dem Schwerte den Kopf abhauen!« Acht Tage vor Charfreitag kam sie zur gewöhnlichen Zeit wieder nach Langensteinbach; aber diesmal in ganz schwarzem Anzuge. Auf die Frage des Gesellen, warum sie so gekleidet sei, antwortete sie: »Weil es Fasten ist.« Beide gingen hierauf in jenen Keller, wo sie ihm versicherte, daß ihm bei ihrer Erlösung durchaus kein Leid geschehe, obgleich eine Menge Bewaffneter und scheußlicher Thiere, welche er schon jetzt sehen solle, gegen ihn kommen würden. Alsbald erschien ein Haufen Krieger und Thierfratzen und rückte auf ihn los, worüber er voll Schrecken ausrief: »Ach Jesus, ich kann dich nicht erlösen, mein Leben ist mir zu lieb!« Nach diesen Worten verlor er die Besinnung, und als er sie wieder erhielt, befand er sich im Freien. Die weiße Frau hat er niemals mehr zu Gesicht bekommen.

Noch von verschiedenen Leuten ist die gespenstige Barbara gesehen worden, wobei sie einmal, an der Kirche sitzend, in einem Buche las, ein anderes Mal[168] einen weißen Schleier und in der Hand einen bunten Blumenstrauß trug; auch wurde sie bald von einer andern weißen Frau, bald von einem kleinen weißen Hunde begleitet.

Andere Leute dagegen haben sie, um Geld zu erhalten, vergebens aufgesucht, und als sie dennoch nach demselben gegraben, ist es im Boden fortgerückt, daß sie mit leeren Händen abziehen mußten.

Der Kapuziner, welcher Barbara verrathen hat, spukt ohne Kopf in der Kirche und deren Umgegend.

Eines Tages im Advent sah der zwölfjährige Sohn des Langensteinbacher Wundarztes den Kapuziner im Wald auf der Erde sitzen; derselbe war in einer grauen Kutte, und der obere Theil seines Halses ganz blutig, wie bei einem frisch Enthaupteten. In der Meinung, es wolle jemand ihn fürchten machen, versuchte der Knabe seinen Hund auf die Gestalt zu hetzen, allein derselbe zitterte vor Angst und ging nicht von der Stelle. Plötzlich bemerkte der Bube den Kapuziner nicht mehr; aber als er eine Strecke fortgegangen war, sah er ihn auf einem Markstein stehen und mit den Händen einen jungen Eichenast ergreifen, an dem er sich dann hin und herschaukelte. Voll Grausen eilte der Knabe nach Hause und erzählte, was ihm begegnet, worauf sein Vater und ein anderer Mann mit ihm zu dem Markstein gingen. Auf diesem saß jetzt der Geist, der aber nur von dem Buben gesehen werden konnte. Um sich vom Dasein des Kapuziners zu überzeugen, griff der Wundarzt an dem Markstein umher, allein er fühlte nichts von dem Gespenste, obgleich er es, wie ihm sein Sohn sagte, häufig berührte. Auf einmal gab dasselbe dem Knaben einen [169] Backenstreich und verschwand, worauf die drei nicht säumten, den Rückweg unter die Füße zu nehmen.

Ein anderer gespenstiger Kapuziner kam drei Mittage nacheinander zu einem Mann nach Pfaffenroth und hieß ihn mit in die Barbarakirche gehen. Dort könne derselbe eine Geisterlösung vollbringen und reich werden, wenn er sich vor nichts fürchte, jeden mit »du« anrede und bei allem, was man ihn thun heiße, dem Fordernden erwiedere: thue du es selbst. Beim dritten Mal ging der Mann mit, aber als er aus dem Gewölbe einen feuerspeienden Kapuziner gegen sich kommen sah, entfloh er mit Entsetzen, während der andere Kapuziner verschwand.

In der ersten Zeit nach Einstellung der Wallfahrt besuchte eine Frau von Reichenbach mit ihrem Kinde das bereits verfallende Gotteshaus. Unter dem Schwibbogen stand ein Kapuziner mit langem, weißem Barte im Chorhemde, welcher einen kleinen Kübel vor sich hatte, und winkte der Frau, hinzukommen. Mit Geschrei lief das Kind davon, und die Frau im ersten Schrecken mit; draußen aber fiel ihr ein, daß in dem Kübel wohl Geld gewesen sei, und sie dem Winke hätte folgen sollen. Sie ging demnach in das Gebäude zurück, allein da waren Mönch und Kübel unsichtbar geworden.

Derselbe Kapuziner sitzt zuweilen in seiner Kutte an der Kirche, und ein anderer, der die Kaputze aufhat, gesellt sich dort nachts zu Vorübergehenden und leuchtet ihnen mit einem blauen Lichte.

Eine Frau von Langensteinbach, welche ihren bei der Kirche holzfällenden Leuten das Essen gebracht hatte, sah, als sie in dieselbe trat, einen Hafen voll Mehlknöpflein in einer Ecke stehen. Sie ging sogleich hinaus und [170] fragte, wer sein Essen dahin gestellt habe, und da niemand es gethan, nahm sie ihren Mann und ihren Knecht mit in die Kirche. Hier stand der Hafen noch an seinem Platz, aber nur der Frau sichtbar, und als sie den fragenden Männern sagte, wo er stehe, verschwand er, und statt seiner lag ein Häuflein gewöhnlicher Erde da.

In einer Herbstnacht suchten drei Langensteinbacher und ein verfahrner Schüler die Schätze zu heben. Während sie in dem dachlosen Gotteshaus ihr Wesen trieben, blitzte und donnerte es über ihnen so fürchterlich, daß sie endlich die Flucht nahmen. Draußen war alles ruhig und am gestirnten Himmel keine Wolke.

Nach Langensteinbach kam einst zu einem gewissen Schreiner ein unbekannter Mühlarzt, und sprach zu ihm Folgendes. »Du allein weißt, wo früher bei der Barbarakirche ein Nußstrauch gestanden hat; gehe heute Nacht mit mir dahin und grabe auf dem Platze, so will ich dir von dem Schatze, den wir dort finden werden, die Hälfte geben!« Dem Schreiner, der allerdings allein die Stelle des Strauches kannte, kam die Sache unheimlich vor, und er ließ sich deßhalb nicht in sie ein; worauf der andere in der Nacht allein zur Kirche ging. Während seines Dortseins hörte man Windgebrause und sah schweifende Lichter; aber was weiter geschehen, weiß man nicht, da der Mühlarzt sich nicht mehr hat blicken lassen.

Ein Bube, welcher im Walde bei der Kirche Holz sammelte, hatte seinen Strick auf einen daliegenden Spreuhaufen geworfen. Als er ihn wieder aufhob, fand er den Haufen verschwunden, einige Spreuer aber, die am Stricke hängen geblieben, in blanke Sechsbätzner verwandelt.

[171] Von anderen Leuten sind in dem Gebäude umherliegende Goldmünzen gefunden worden, die die Größe von Sechsern und unkenntliches Gepräge hatten.

Aus einem Kirschbäumchen, das bei dem Gotteshause stand wollte sich ein Bauer eine Flegelruthe machen. Beim ersten Schnitt hinein rief es: »Au weh!« und ebenso beim zweiten, worauf der Bauer, der weit und breit niemand sah, sich mit Grauen davon machte. Als er am folgenden Tag wieder nach dem Bäumchen schaute, war es verschwunden.

Ein anderes Mal, als ein Küfer dort eine Birke abschneiden wollte, rief es bei jedem der drei Schnitte aus ihr: »O Jesus!« Auf dieses ließ der Küfer die Birke stehen, welche er später nicht wieder finden konnte.

Am Vorabend von Barbara und andern hohen Festen sieht man weiße Tauben um die Kirche fliegen und in der Nacht darauf ihr ödes Innere hell erleuchtet, worin Geschelle und Kirchengesang mit Orgelbegleitung ertönt.

In und bei dem Gebäude zeigen sich nachts Hunde, Katzen, Schlangen und Lichter von verschiedenen Farben; auch erscheinen dort weiße Kinder und ein schwarzer Mann. In dem Wald zunächst um die Kirche kann das Wild von den Kugeln der Jäger nicht getroffen werden, und dahin kommende Pferde sind schon, wie festgebannt, stehen geblieben und nur dadurch wieder in Gang gebracht worden, daß man dreimal das Fuhrwerk umgangen und sie in Gottes Namen angetrieben hat.

Fußnoten

1 Dies hat mir das Mädchen selbst erzählt, das gegenwärtig an einen meiner hiesigen Bekannten verheurathet ist.

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TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. Sagen. Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. 184. Schätze und Geister in der Barbarakirche. 184. Schätze und Geister in der Barbarakirche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-17BC-A