Ein armes Kind im Elternhaus.
Ein gut gestelltes Hauswesen geht ordnungsmäßig fort, ohne täglich frisch aufgezogen zu werden. Der rasche Taktschlag der Drescher war schon laut, als Dominik ärgerlich ob seines langen Schlafes erwachte; er besann sich aber, daß er ja das Hans verlassen müsse, aus dem er so plötzlich gewiesen war. Er sputete sich. Verwirrt schaute er sich im Hof um; wie viel hundertmal hatte er's gehört und sich selbst gesagt, daß er wie das Kind im Hause gehalten sei und jetzt – abgelohnt, fortgeschickt, du gehörst nicht mehr hieher ... Da war kein Werkzeug im Hof, das er nicht gehandhabt, an dem er nicht Etwas gerichtet hatte, jedes Thier kannte ihn, seinen Tritt und seine Stimme, [157] und jetzt – hinaus, fort, das geht dich Alles nichts an. – Aus dem Hause stieg der morgendliche Rauch auf, dort wird keine Suppe mehr für dich gekocht, du holst dir dort nicht mehr unter Scherz und Neckerei eine glühende Kohle für deine Pfeife. Wo nur Ameile sein mag, daß sie sich nicht einmal vorübergehend am Fenster oder unter der Thüre zeigt? Da drin lebt Alles weiter, als ob du nie dagewesen wärest, und wer weiß, ob sie nicht auch Ameile dazu bringen? Nein das nicht, das wird nie sein. Wie wird's aussehen, wenn du wieder in die Stube trittst und die Tochter begehrst? Bis dahin muß die Welt anders werden.
Noch nie in seinem Leben war Dominik an einem Werkeltags-Morgen so lange müßig dagestanden, heute konnte er nicht vom Fleck und er durfte ja thun und lassen was er wollte, er war Herr über sich und seine Zeit. Dennoch war's ihm manchmal wieder, als müsse er auch zu den Dreschern; das ist die gewohnte Ordnung, das muß sein, davon kann ihn Niemand abhalten. Eine Weile lächelte er vor sich hin, indem er dachte, wie der Meister aufschauen würde, wenn er ohne ein Wort zu sagen, mit den Dreschern zum Morgenimbiß käme. Es wird ihm selber Recht sein, daß seine Uebereilung nicht ausgeführt ist; er ist allezeit so hitzig und denkt oft in der nächsten Minute nicht mehr daran. Wenn er dich aber vor allen Leuten aus dem Haus jagt? Was dann? Gestern vor aller Welt für treue Dienste mit der Denkmünze belohnt und heute mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt. – Was wird Ameile dazu sagen? Bis jetzt hast du selber [158] aufgekündigt und kannst mit Stolz weggehen, und das mußt du wenn der Bauer nicht kommt und dich holt.
Sieh, die Thüre öffnet sich – nein, es ist die Großmagd, die nach dem Brunnen geht, um Wasser zu holen, sie ruft Dominik zu: »So, du bist noch da? Glück auf den Weg.« Sie trommelte mit einem Scheit Holz auf dem Kübel zum Aerger des Dominik, denn nach altem Brauch ist dies Trommeln auf den Kübel ein Zeichen des Spottes und der Mißachtung gegen einen »wandernden« Dienstboten. Sie ging nach dem Brunnen und während sie wartete, bis der Kübel voll war, sang sie:
Heut ischt mein Bündelestag,
Morn (morgen) ischt mein Ziel,
Schickt mi mein Bauer fort
Geit (giebt) mir et viel.
Dominik kehrte nach der Stallkammer zurück, schnürte seine Gewandung noch fester zusammen, hob sie auf die Schulter und verließ den Hof ohne noch einmal umzuschauen. Er hatte schon zu lange gezögert.
Als er aber jetzt an das äußere Hofthor kam, wurde ihm doch eine Ehrenbezeigung zu Theil. Die Knechte kamen mit Peitschen, an deren schwanke Spitzen sie rothe Bänder geknüpft hatten, und nun begannen sie allesammt nach einer bestimmten Melodie zu knallen, daß es weithin schallte. Dominik dankte für dieses Ehrengeleit, denn wie man einem Soldaten in's Grab schießt, so gilt es als Ausdruck der Ehre und Liebe der Mitdienenden, daß man einem wandernden Dienstboten [159] nachknalle. Dominik ging fürbaß. Er trug schwer auf der Schulter, aber noch schwerer im Herzen. Als er den Hof hinter sich hatte und an dem Garten vorüber kam, wo der Apfelbaum stand, unter dem er noch gestern Nacht Ameile in den Armen gehalten, da glühten ihm die Wangen, die ganze Liebe des treuen und plötzlich so starken und selbständigen Mädchens lebte wieder in ihm auf. Er schalt sich, daß er immer nur an sein Knechtsleben gedacht hatte; Ameile hatte Recht, ihm fehlte der tapfere Muth, er dachte zu viel daran, daß er ein armer Bursch sei und wie er barfuß als Kühbub auf den Hof gekommen. Es sind schon Mindere hoch hinauf gekommen, halt' dein Glück fest und zeig', daß du es werth bist ... An der Hauskapelle, da wo der Weg umbiegt und abwärts in's Thal geht, dort stand Dominik noch einmal still, schaute nach dem Hof zurück, wo jetzt der Taktschlag der Drescher verstummte, sie gingen zum Essen und fast laut sagte Dominik vor sich hin: als Haussohn will ich da aus- und eingehen.
Es ist ein tiefdeutiger Spruch: ein Mädchen, das ein ausgelöschtes Licht aus dem glimmenden Docht wieder anblasen kann, ist eine reine Jungfrau. War die Liebe des Dominik nicht schon einmal ausgelöscht? Und wie hellleuchtend hatte sie der Athem Ameile's wieder angefacht.
Die Gedanken des Dominik, noch vor Kurzem so betrübt und unverzeihlich weichmüthig, wurden auf einmal freudig und fest. Nur über Eines war er noch nicht mit sich im Reinen: ob er es geradezu aller Welt [160] sagen solle, daß ihn Ameile liebe und daß er darum aus dem Hause mußte, oder ob er dieß noch verschweigen und sich eine Zeitlang übler Nachrede aussetzen sollte. Wieder wollte ihn die gewohnte Demuth noch einmal überkommen, aber er bewältigte sie und faßte den unabänderlichen Vorsatz, denen, an deren Meinung ihm liege, den Sachverhalt mitzutheilen, vor Allem dem Hirzenbauer; ob auch der Mutter und den Geschwistern, das wird sich zeigen.
Wohlgemuth zog Dominik seines Weges. Heute konnte er welchen Weg er wollte einschlagen, heute befahl ihm Niemand mehr. Du bist dein eigener Herr, sagte er sich, aber doch stieg er wieder den Henneweg hinauf. Der Nebel stand fest über Thal und Wald, von den Zweigen floßen Tropfen, aber Dominik wandelte hin wie in lauter Sonne und lichter Freudigkeit. Als er wieder auf dem begrasten Weg und endlich am Grenzstein des Furchengutes dort an der Waldeslichtung war, dachte er nicht mehr an die Pachtung der Schafweide: er wollte mit seinem Ameile ein gut Stück von diesem Gute haben, und wenn nicht im Boden selbst, doch in Geld. Noch einmal dachte Dominik, ob es nicht klüger wäre, wieder umzukehren und nach Reichenbach zu gehen; dort war jetzt Albans Stelle offen, das war ein Ehrenplatz, und er war näher beim Furchenhof. Aber Ameile hat ihn gebeten, nicht in einen neuen Dienst zu treten ... Während des Ueberlegens schritt er immer rasch voran, er wollte, wenn er sich anders entschließe, keine Zeit versäumt haben, und wirklich blieb er auch dabei, zu seiner Mutter zu gehen. [161] Dorthin hatte ihn auch Ameile gewiesen, dort waren ihre Gedanken bei ihm, und er mußte für Ameile die Trau auslösen. Jeder Schritt ward ihm leicht und zur Freude, denn er ging ihn für Ameile.
In Klurrenbühl im Wirthshaus hielt er an und traf heute große Bewegung, einem der Angesehensten des Dorfes wurden heute im Gantverfahren seine Liegenschaften verkauft. Man erinnerte Dominik, wie vor fünf Jahren hier ein großes Hofgut, das er noch gekannt hatte, zerschlagen wurde; der heut zu Vergantende, ein fleißiger, haushälterischer Mittelmann, kaufte übermäßig viel ein, und nun ist er schon der Dritte, der dadurch vergantet wird, zwei Mißernten und die Kapitalschulden erdrückten ihn und jetzt ist auch sein früheres Besitzthum damit verloren und er ein Bettelmann.
Die Leute, die Dominik kannten, staunten, als er fragte, was denn das ganze Anwesen im Schätzungswerthe betrage, und als er auf die Auskunft erwiderte: das wär' mir zu klein. Dominik sah schon vor sich, wie er ein mittleres Gut kaufte, es durch Fleiß und Bewirthschaftung höher hob und am Ende doch noch Ameile in ein Glück setzte, wie es ihr gehörte. Er war jetzt in der Stimmung, daß er auf die halbe Welt ein Anbot gethan hätte, so frisch ausgerüstet fühlte er sich. Fast vor seinem eigenen Muthe fliehend, ging er beim Beginn der Versteigerung davon, und immer wehmüthiger ward es ihm jetzt im Herzen, daß er mit jedem Schritt weiter weg von Ameile sei. Es fiel der erste Schnee, der aber alsbald wieder zerging, und der abgerissene Klang aus dem Liede zog Dominik durch den Sinn:
[162]Berg und Thal, kalter Schnee –
Von Herzlieb scheiden und das thut weh.
Wann wird er den Weg wieder zurückkehren, freudig getrieben von lockender Glückseligkeit? Wenn nur Ameile nicht gar zu hoch über ihm stünde! Freilich, sie hat ein festes Herz, aber sie weiß doch noch nicht, was es heißen will, aus solch einem vollen Hause fortzugehen: der Milchkeller ist allzeit voll und es ist etwas Anderes, wenn man jeden Tropfen sparen muß; daheim ist die Mehltruhe, der Schmalztopf allzeit gefüllt, da heißt es nur: geh da geh dort hin und schöpf; wie aber dann, wenn's klein hergeht und wenn man nach dem was man braucht überallhin ausschicken muß? Wir wollen mit Lieb und Freud jeden Bissen salzen und schmalzen.
Ein guter Kamerad gesellte sich unversehens zu Dominik, der wußte die besten Herzensgedanken, und der Kamerad war das Lied, das er also vor sich hin sang:
Es steht ein Baum in Oesterreich
Der trägt Muskatenbluth,
Die erste Blume, die er trug
War Königs Töchterlein.
Dazu da kam ein junger Knab,
Der freit um Königs Tochter;
Er freit sie länger als sieben Jahr
Und kann sie nicht erfreien.
Laß ab, laß ab du junger Knab,
Du kannst mich nicht erfreien;
Ich bin viel höcher geboren denn du
Von Vater und auch von Mutter.
[163]Bist du viel höcher geboren denn ich,
Vom Vater und auch von Mutter,
So bin ich dein Vaters gedingter Knecht
Und schwing dem Rößlein das Futter.
Bist du mein Vaters gedingter Knecht,
Und schwingst dem Rößlein das Futter,
So giebt dir mein Vater auch guten Lohn,
Daran laß dir genugen.
Der große Lohn und den er giebt,
Der wird mir viel zu sauer;
Wenn andre zum Schlafkämmerlein gehn,
So muß ich zu der Scheuer.
Des Nachts wohl um die Mitternacht,
Das Mägdlein begunnte zu trauern,
Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm
Und ging wohl zu der Scheuer ...
Das war ein braves Lied. Dominik wußte wohl, es hat noch mehr »G'sätzle«, aber er kannte sie nicht und erinnerte sich nur, daß der Knecht des Königs Schwiegersohn wurde. Und was in alten Zeiten geschehen ist, kann auch wieder geschehen. Und wenn Ameile auch »höcher ist denn er von Vater und auch von Mutter,« so ist sie doch keine Königstochter und hat ihn gewiß mehr lieb als die von alten Zeiten. »Dich nehm' ich und keinen Andern« das sind ihre Worte gewesen. Wenn's nicht wahr wär', hätt' man kein Lied darauf gesetzt. Und Dominik sang die Verse aber- und abermals mit voller Lust und heute hörte er nicht auf den Ruf der Gabelweihe, nicht auf das [164] Klingen der Heerden und das Singen der Hütenden, er wußte nichts vom Weg und nichts von Allem rings umher, er ging nicht auf der Erde, er ging im Himmel.
In Jettingen erwachte er wieder plötzlich wie aus einem Traum, hier wo er gestern das Schwärzle eingestellt hatte, ließ er jetzt seine Habseligkeiten zurück und wanderte ledig nach seinem Geburtsorte. Er wollte nicht unterwegs Jedem Red und Antwort stehen, weil er seine Habe bei sich trug und jetzt fiel es ihm doch wieder schwer auf's Herz, daß er so Knall und Fall fortgeschickt war; er konnte ja nicht Jedem sagen, wie ganz anders sich das noch wenden müsse. Heute ließ er sich Zeit zu dem Weg nach Nellingen, und war er ihm gestern unbegreiflich lang erschienen, so däuchte er ihm heute ebenso unbegreiflich kurz. Er dachte sich aus, wie seine Mutter und Geschwister seine Rückkunft aufnehmen würden und wie er sich dabei verhalten solle, als er schon vor dem elterlichen Hause stand. Glücklicherweise war Niemand daheim als zwei kleine Bruderskinder und Dominik ging bald wieder fort und geraden Weges zu dem Hirzenbauer. Nach dem ersten Erstaunen und nachdem er mit auffallender Hast die verpfändete Denkmünze ausgelöst, erzählte er dem Hirzenbauer den ganzen Hergang. Der Hirzenbauer wollte nun seinem Spott über den Furchenbauer Luft machen, Dominik fiel ihm aber in's Wort indem er sagte:
»Redet nicht so von meinem Meister, ich darf das nicht mit anhören.«
»Ja so,« lachte der Hirzenbauer, »er wird ja dein Schwäher.«
[165] »Das steht noch im weiten Feld.«
»Nein, nein was ich dabei thun kann, soll mit Freuden geschehen. Was willst denn jetzt anfangen?«
»Wenn Ihr mich als Drescher brauchen könnet, wär' mir's recht.«
»Gut, das kann schon sein, und es mangelt uns grad ein Knecht, da kannst derweil aushelfen und bist auf dem Sprung wenn's auf dem Furchenhof losgeht, denn da geht's noch durcheinander.«
Als Dominik fortgehen wollte, sagte der Hirzenbauer:
»Wart ein bisle, ich geh mit dir. Ich will's deinen Leuten schon zu verstehen geben, daß du was hast, was du ihnen nicht sagen kannst und daß sie noch Ehr' an dir erleben. Die Schwägerin ist gar anfechtig, (reizbar) die meint gleich, du trägst ihr das halb Haus weg. Dein Mädle hat mir gestern wohl gefallen und die hat ganz das Ansehen dazu, die führt aus was sie will.«
Wie glückselig war Dominik als er mit dem Hirzenbauern durch das Dorf ging. Das war doch noch ein Ehrenmann, der sich eines Jeden annahm sei es wer es wolle, und der errieth wo es Einem fehlt, und wie brav war's, daß er an die Heirath mit Ameile so fest glaubte, und er wußte doch nicht einmal Alles was sie ihm heilig versprochen hatte.
Bei den Angehörigen des Dominik, die diesen nur mit halber Freude willkommen hießen, wußte der Hirzenbauer Alles fein herzustellen. Man schien zufrieden und ihm zu trauen, aber doch nur halb. Dominik sollte erst später erfahren warum. Das aber stand [166] jetzt schon fest, der Hirzenbauer nahm sich des Dominik an wie seines Grundholden, und er wachte über sein Schicksal und freute sich über dasselbe wie ein Menschenfreund. –
Es ist keine Mutter so arm, sie hält ihr Kindlein warm, sagt ein gutes Sprüchwort, das zeigte sich auch an der Mutter des Dominik. Vor dem älteren Sohne und der Schwiegertochter zeigte sie ihre Liebe nicht, ja sie that auch wie die Anderen fast erzürnt über seine Rückkehr; als sie aber allein mit ihm war, öffnete sich ihr ganzes Mutterherz, das sich in den Worten aussprach:
»Und wenn du aus dem Zuchthaus kämst, du wärst doch mein liebstes Kind, du bist von kleinauf die beste Seele gewesen.«
Die Mutter wußte nicht anders, als Dominik habe sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht, sonst wäre er ja nicht so plötzlich gekommen und hätte nicht den Hirzenbauer zu seinem Fürsprech geholt. Dominik konnte der Mutter nicht sagen, was vorging, sie hatte ihm ja geklagt, daß sie das gestern erhaltene Geld der Söhnerin gezeigt und ihr habe geben müssen und er wußte wohl, daß sie noch weit weniger als Geld ein Geheimniß vor der Schwiegertochter bergen konnte, mit der sie doch scheinbar in stetem Unfrieden lebte. Die Mutter war redselig und da sie Niemand anders hatte als die Söhnerin, sprach sie mit ihr Alles aus. Jeden Tag war sie nun glücklich, denn Dominik war ehrerbietig und liebreich gegen sie, was sie schon lange nicht gewohnt war.
[167] Auf dem Hirzenhof unter den Dreschern erfuhr Dominik die seltsame Stimmung seines Heimathsdorfes und jetzt wußte er auch, warum die Seinigen nur halb erfreut und befriedigt waren, als der Hirzenbauer sich seiner annahm. Der Hirzenbauer hatte seinen Hof zertheilt und das ganze Dorf war darüber erbost. Ein Jeder, auch der ärmste Häusler, war stolz darauf gewesen und rühmte sich dessen auswärts, aus einem Dorfe zu sein, wo so ein großer Bauer wie der Klein-Rotteck auch daheim war; jetzt war einem Jeden etwas von seinem Glanze genommen und man war aufgebracht gegen den Hirzenbauer und hatte nur noch den halben Respect vor ihm. Ein Schneider, der mit unter den Dreschern war, erzählte:
»Es geht uns grad wie den Hechingern. Ich bin vor Kurzem wieder dort gewesen. Ihr könnt euch gar nicht denken wie elend das Städtle jetzt dran ist. Früher hat's doch einen Glanz gehabt und seinen Fürsten und Alles, und jetzt können sie Blut schwitzen und haben nichts und sehen nichts. Der Hirzenbauer ist unser Fürst gewesen und jetzt wird Alles lauter Lumpen und unser Nellingen das elendeste Nest so weit man Hosen flickt.«
Dominik stand allein mit seinen Entgegnungen, er konnte den Bettelstolz, der an Hartnäckigkeit keinem andern Stolz nachsteht, nicht besiegen; er wußte aber auch keine Antwort auf den praktischen Vorhalt, wie beim nächsten Geschlecht, wenn der Hirzenhof noch einmal verschnitzelt wäre, jeder Abkömmling Alles allein bewirthschaften könne, dann hätten die armen Leute [168] im Orte keinen Winterverdienst mehr und müßten auswärts Arbeit suchen und halb verhungern.
In der Abendruhe saß Dominik jedesmal beim Hirzenbauer. Dieser hätte wohl ein Menschenverächter werden können, wenn seine Natur dazu angelegt gewesen wäre; er kannte genau die Lage in der er sich befand und wie die Menschen um ihn her ihm gesinnt waren, er glich einem mediatisirten Fürsten, dessen Herablassung kaum noch halb als solche angesehen wird. Er ließ sich dadurch nicht abhalten, seine Wohlmeinenheit in doppelter Macht Jedem kund zu geben, aber einen gewissen Spott konnte er manchmal nicht zurückhalten, daß man ihm verargte, weil er gethan, was recht und billig ist, und in diesem Bewußtsein beharrte er. Er erzählte Dominik, wie er im Testament angeordnet habe, daß der Boden nur bis zu einem gewissen Grade zertheilt werden solle, sei es so weit, so sollten die Uebrigen auswandern. Es war eine eigne Erregung, als Dominik einmal hierauf sagte:
»Jetzt das gefällt mir, so thät ich's auch machen und dabei blieb' ich.«
Der Klein-Rotteck verhehlte sich nicht, welch ein Widerspruch darin lag, daß er für künftige Zeiten eine Beschränkung heischte, die er jetzt aufhob; aber er wußte keinen andern Ausweg. »Man muß thun, was man in seiner Zeit für Recht hält: andere Zeiten können's wieder anders machen,« war sein Wahlspruch.
Schön ist der Baum mit seinen farbigen Blüthen, schön ist der Baum mit seinen farbigen Früchten, aber schöner ist ein Tisch, daran Vater und Mutter sitzen[169] und um sie her die zahlreichen Kinder, die mit vollen und hellen Wangen die vielfältige Schönheit des Lebens erweisen, ehrwürdig ist der Mann, der sie sättigt und tränkt, selig die Mutter, die sie unter dem Herzen getragen und mit stillem Ernst unterweist.
Auf dem Hirzenhof war ein anderes Leben als beim Furchenbauer, stattliche Schwiegertöchter, vollwangige Enkel gingen aus und ein und überall war ein schön gesättigtes Leben in Arbeit und Frohmuth.
Der Hirzenbauer bewahrte daheim und in seinem Werktagsgewande allzeit eine gewisse phlegmatische Ruhe, eine langsame Stetigkeit in Reden und Mienen und in allem Thun. Das lag nicht nur in seiner Natur, sondern auch bei allem Freimuth im Bewußtsein seiner höheren Stellung. Kleine Leute, denen kommt es zu, ein aufgeregtes, gehetztes, leidenschaftliches Leben zu haben; ein Großbauer muß allezeit mit eisenfester Gemessenheit zu Werk gehen; das schickt sich nicht anders für ihn, so verlangt es seine Würde.
Wenn hier auf dem Hirzenhof Etwas erörtert wurde, merkte man wohl die natürliche Oberherrlichkeit des Vaters, aber es kam nie zu tyrannischen Machtsprüchen, es gab nie ein lautes Wort.
Unserm Dominik erquickte das Reden und Thun des Hirzenbauern das Herz, und dennoch erschien ihm wieder die Welt oft ganz verwirrt. Dort auf dem Furchenhof war Zwietracht wegen ungetheilter Vererbung des Gutes, und hier schimpften die Leute im Dorf, weil man das Gut zertheilt habe und der Bruder des Dominik wollte diesen auch aufhetzen, mit ihm und [170] Anderen einen großen Prozeß anzufangen; sie waren ja auch Nachkommen eines abgefundenen Sohnes vom Hirzenhof; nur wenn das Gut beisammen blieb, hatten sie keinen Anspruch, jetzt aber waren auch sie zu einem Erbtheil berechtigt. Dominik, der sich der Betheiligung an diesem Prozesse weigerte, erfuhr nun doppelt, wie mißachtet er im elterlichen Hause beim Bruder war: ehedem, wenn er auf Besuch kam, war er geehrt und geschätzt, jetzt gilt er nichts mehr, weil er nichts mehr ist und fast wird er als ein Eindringling angesehen, der draußen in der Welt verjagt, wieder in's Nest zurückkehrt. Die Mutter wagte es nur im Geheimen ihm ihre Liebe zu bezeigen, vor den Andern mußte sie scheinbar zu ihnen halten; sie mußte ja mit ihrem verheiratheten Sohn und ihrer Schwiegertochter leben, Dominik konnte ihr nichts helfen.
Vom Furchenhof verbreiteten sich plötzlich seltsame Gerüchte, die Einen sagten, der Furchenbauer habe den Alban so geschlagen, daß er am Tode läge; die Anderen sagten, Alban habe den Bruder erstochen. Es duldete Dominik nicht mehr länger in der Ferne.
Es war ein wunderlicher Geleitsspruch, den der Hirzenbauer dem Dominik zum Abschied mitgab, denn er sagte:
»Wenn du auf den Furchenhof kommst, tritt fest auf. So lang man Einen für gutmüthig hält, trampelt ein Jedes auf ihm herum. Ich hab' dich in den Tagen neu kennen gelernt. Glaub' mir, die Menschen kriegen erst Respekt vor Einem, wenn man ihnen die Gurgel zusammenpreßt, daß sie nimmer schreien können.[171] Steh fest hin und wenn du jetzt nicht Meister über den Furchenbauer wirst, wirst du's nie.«
Kaum acht Tage waren es, seit Dominik diesen Weg beschritten, als er wieder eilig auf demselben zurückkehrte. Er hatte nichts mitgenommen, als seine Denkmünze. Die Angst trieb ihn unaufhaltsam vor sich hin. Es überlief ihn heiß und kalt, wenn er sich ausdachte, was geschehen sein könnte, und einmal schlug er sich heftig auf die Stirn, als träfe er damit leibhaftig den Gedanken, der dort entsprungen war; denn es fuhr ihm durch den Sinn, ob nicht aus dem Unheil der Familie sein Heil erwachsen könne. Er wünschte einem Jedem Heil und Frieden, er wollte ihnen nur in der Wirrniß beistehen und machte sich jetzt Vorwürfe, daß er fortgegangen war, während er doch sah wie über dem Hause, dem er treu angehört, bös Wetter auf's Neue aufzog. Es ist ein alter Glaube: wenn man mit Fingern auf ein Gewitter weist, dann schlägt es ein. Hatte Dominik das gethan? Mitten in allem Bangen, Sorgen und Selbstanklagen durchflammte wieder die Liebe das Herz des Dominik, denn es ist eine sattsam bekannte Wahrnehmung, daß gerade mitten in den heftigsten Erschütterungen des Lebens oft die Seele am meisten nach Liebe lechzt. Dominik schärfte sich die Lippen und genoß im Voraus die Küsse, deren Süßigkeit er so lange entbehrt hatte. Und heftiger klopften seine Pulse und rascher gingen seine Schritte, er ging zwei Armen entgegen, die sich selig ausbreiten, um ihn an's Herz zu schließen.
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