Das zarte Wesen

Altes Manuscript.


Zu Backnang wohnt ein Schneiderlein,
Es hat ein einzigs Geiselein,
Er bracht ihm Gras, er bracht im Kraut,
Das best', das er im Garten baut.
Da ward das zarte Wesen krank,
Der Schneider war in grossem Leid,
Als sie den Tod mußt leiden:
»Mein edle Geiß, die Häddel heißt,
Hat manches Kraut gefressen.
Jezt muß ich gar vor Herzeleid
Mein süße Geiß vergessen!«
Der Stadtknecht gieng am Zaune nah,
Sobald, als er die Geiß ersah:
»Potz Kreutz! was seh ich liegen!
Das wär' jezt eine gute Sach,
Wenn es nur blieb verschwiegen.«
Der Stadtknecht zeigts dem Metzger an:
»Ei guten Abend Metzger du,
Beim Bettelhaus, da liegt ein Rehbock,
Die Haut ist abgezogen.
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Das wär ein gute Sach für uns,
Wenn es nur bleibt verschwiegen.«
Der Metzger in die Metzel kam,
Sein Gürtel und Messer mit sich nahm,
Ein weissen Schurz darneben.
Die Pfarrerin mit dem Gelenk heim gieng,
Die Vögtin macht ein Braten,
Es habens kauft mehr als zehn Frau'n,
Ist reissend abgegangen.
Die Backnanger Herrn sind zusammen gesessen,
Das zarte Wesen als einen Rehbock gegessen,
Ein Guckuck für eine Taube,
Und blaue Schleen für Trauben.
Das Backnanger Liedlein lautet nit wohl,
Man schlägt einem gleich den Buckel voll,
Sie konnten das zarte Wesen nit verdauen.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 2. Das zarte Wesen. Das zarte Wesen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-10A3-5