Zweiter Winterabend

Das wiedergefundene Paradies
Nach alten Erzählungen

Wir hatten uns den vorigen Abend sehr verspätet, die Kälte besetzte inzwischen alle Ausgänge. Wir spürten sie schon im Zimmer; so gut es verwahrt war, sie war doch noch schlauer und gewandter und blies durch die Ritzen der doppelten Fenster. Die Frauen traten mutig zur Tür hinaus, aber auch gleich zurück, der schneidende Wind, seine Flügel mit feinem kristallisierten Schnee beladen, sauste vor ihnen über wie ein geschwungenes Schwert. Was war zu tun, an Kutschen war um diese Zeit nicht zu denken, wir traten demütig in das Zimmer zurück, das wir so keck verlassen und baten um eine Streu zur Nacht. Unsre gute Frau vom Hause besann sich keinen Augenblick, der Saal wurde schnell geheizt, da prasselten im stark ziehenden Kamin die großen Holzstücke, und während die eine Hälfte schon brannte, schmolz erst von der andern das Eis herab. Darauf wurde der Saal in Quartiere geteilt, Männer und Frauen geschieden und zwischen ihnen feiner Sand gestreut, um alle Fußtapfen zu erkennen, und nachdem wir uns mit manchem artigen Spiele erlustigt und ermüdet hatten, wurde jedes angewiesen in sein Quartier und zum Stillschweigen. Ich lag am Fenster und konnte nicht schlafen, jeder hatte auf eine wunderliche Art seinen gewohnten Nachtanzug nachzubilden gesucht und wie wir uns ansahen, lachten wir. Ein Kopf nach dem andern sank indessen in den unendlichen Schoß des milden Schlafes, und nachdem er genug über andre gelacht, mußte er über sich lachen lassen. Ich konnte nicht schlafen, mir war zu heiß, ich schlich hinaus und suchte die Kälte. Wunderbares unergründliches Einerlei der Sternzüge, [159] da stand ich wieder wie ein Kind so ganz neu, so wie zum erstenmal vor der Welt, die eine Hälfte des Himmels war von dichtem Dunste bedeckt, es war der erstarrte Atem des Schöpfers, verwundert über die Herrlichkeit seines Werks, dessen innern Bau er an den tausendfachen goldnen Nägeln und Schraubenmuttern durchsehen konnte, die auf der andern Seite hellpoliert glänzten. Bei dieser Verwunderung erstarrten vor ihm die Ströme und hingen in langen Strahlen über die Mühlenräder, die noch im schwachen Anstoß zwischen den letzten Güssen bebten, die Bäume zerbarsten krachend, die wachsamen Hunde erhoben ihre Stimmen als nahte Gefahr, und das furchtsame Volk der wilden Vögel, vor allen die männerhohen Trappen zogen mit angefrornen Flügeln den wärmeren Stellen zu, ihren Feinden sich selbst übergebend, nur den unruhigen Menschen treibt die beschauliche Lust vom warmen Lager aus der besten Gesellschaft! Doch nicht umsonst, indem ich so halb erstarrt und doch in mir vergnügt fortlief, siehe da brach eine Feuersäule hinter unserm friedlichen geselligen Hause aus. Nur einen Augenblick dachte ich an ein Nordlicht, da sah ich die schweren Rauchwolken der irdischen Flamme deutlicher als das himmlische Licht, ich eilte und war im Augenblick warm, so ist das Gemüt stärker als die Laune der Witterung. Das Feuer war im Stalle unsrer Frau ausgebrochen, der Knecht kam taumelnd heraus, und stürzte dann halbtot nieder. Vor lustigem Zugreifen blieb mir keine Zeit zum Zusehen; es mag recht schön gewesen sein, wenn ich's nur nicht zu löschen brauchte: so viel verliert man bei jeder interessanten Zeit in der Weltgeschichte, wenn man sie selbst erleben muß. An kein Wasser war zu denken, den Brunnen verstopfte der erste ausfahrende Wasserstrahl; doch unsre Rettung war schnell in eben dem unendlichen Schnee, der den Tag vorher mit mir so schauerlich eingezogen war. Ich kletterte auf das Dach, der Knecht trug ihn hinauf, und in den Kern des Feuers geworfen tut ein Tropfen mehr als ein Eimer. Das Feuer war gelöscht, eh einer der Gesellschaft erwachte; sie kamen verwundert an die Fenster und lachten über das Stück, welches das gefräßige Feuer aus dem Stalle ausgebissen; mir ward Lob und ich war gleich eingekörpert unter ihnen, und allen vertraut. Zu meiner Aufnahme in der Kolonie, wie sie sich nannten, sollte ich denselben Tag noch eine Geschichte erzählen; ich bat um Nachsicht, weil ich unvorbereitet, es[160] half nicht bei diesen unerbittlich neugierigen Frauen, ich sollte zum Abend etwas schaffen. Nun fragt ich, ob es ihnen recht sei, wenn ich von einer ähnlichen Kolonie erzählte, von der ich in meiner Jugendzeit manches nach Erzählungen aufgeschrieben, nur sei es etwas verliebt. – »Wir sind alle verliebt!« sagte die herrliche Frau vom Hause. So las ich dreist am Abende vor, ich sah es allen an, wie sie sich vorgenommen, alles gut zu finden, was ich brächte.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Zweiter Winterabend. Das wiedergefundene Paradies. Das wiedergefundene Paradies. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0FA5-8