[405] An Herrn Kapellmeister Reichardt
Wenn das Volk beym Einzuge seines Helden die Pferde vom Wagen spannt, so thut es das wohl nicht, weil es besser ihn zu ziehen meint, eben so spreche ich von Volksliedern im Allgemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewähren nicht aber die wichtigen Untersuchungen über Einzelne derselben zu verdrängen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen spreche, findet in unsrer Befreundung sein Recht und in der Sache seinen Grund. Haben Sie doch Selbst mehr gethan für alten deutschen Volksgesang, als einer der lebenden Musiker, haben Sie ihn doch nach seiner Würdigkeit den lesenden Ständen mitgetheilt, haben Sie ihn doch sogar auf die Bühne gebracht, in allem Hohen ist kein Ueberdruß, so werden Sie Sich gern wieder mit mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden. – Ich führe Ihnen manche Beobachtung vor, aus verschiedenen Zeiten, aus verschiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben, daß nur Volkslieder erhört werden, daß alles andre vom Ohre aller Zeit überhört wird. – Was ist erhört? – Alles was geschieht, was nur entfallen, nicht vergessen werden kann, was nicht ruht, bis es das Höhere hervorgebracht, das ist erhört. Wohl wuste ich das lange nicht, viele werden es mir nie glauben, denn jeglicher muß selbst im Schweis seines Angesichts den Kreis der Zeit um und um bis zum Anfange in sich durchlaufen, ehe er weiß, wie es mit ihr steht und wie mit ihm! – Was ich unsre Zeit nenne, was in allen lebt, als Methode, was keinem ein Wunder, das fängt mir in der Welt der Nachgedanken mit Kirchenliedern an, lange von mir nicht gehört, bleiben sie mir doch gegenwärtig. Ich hörte sie als Kind von meiner Wärterin beym Ausfegen der Zimmer, das in gleichem Zuge [406] sie begleitete, mir ward dabey ganz still, ich muste oft an sie denken, jezt mögen Kinder sie seltener hören, und ich weiß nicht, was sie statt ihrer denken mögen. Nachher hörte ich in geselligen Kreisen allerley Lieder in Schulzens Melodieen, wie sie damals in raschen Pulsen des Erwachens sich verbreiteten, mein Hofmeister rühmte sie nächst Gellert, mir war es nur ums Ausschreien darin zu thun, die Langeweile der Welt kümmerte mich nicht. Jezt muß ich sagen, sie sind nicht ohne Beystand gewesen gegen das damalige Streben zu Krankheit und Vernichtung (die Sentimentalität 1), es war doch darin ein wahrer Ton, wie im derben Lachen aus Herzensgrund. Nachher scheint mir die Kraft wunderlich zerrissen, vieles geht glänzend vorüber, da steht die Menge mit offnem Munde, dann sinkt es unter im Hexenkessel überschätzter Wissenschaft, worin sie damals überkocht wurde. Was mir im Worte lieb, das hörte ich nie allgemein singen, und die schönen Melodieen pfiff ich lieber nach, die falschen Kukuk-Eyer zu verdrängen, welche dem edlen Singevogel ins Nest gelegt. Hörte ich von Gebildeten, nach Ihrer Eingebung zum Flügel singen: Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen, da sah ich die vier Wände umher wie herkulische Säulen, [407] die nun für lange Zeit den thätigen lebhaften Theil des Volkes von dem feurigen Bette der Sonne trennen. Sah ich dann still vor sich jemand den wunderbaren Fischer (Göthe's) lesen, es war mir, als sähe ich den herrlichen Gedanken halb ziehen halb sinken ins Wasser, keine Luft wollte sich ihm gestatten. – So ging es dem Herrlichen, während die schlechten Worte zum Theater sich erhoben, das damals mit Redensarten national werden wollte, in der That aber immer fremder wurde der Nation, zulezt sich sogar einbildete über die Nation erhaben zu seyn (wohl einiger Fuß hoher Bretter willen, wie das Hochgericht über die Stadt). Ja wie ein Wiederhall führte der edle Klang diese schlechten Worte durch die Gassen, und die ernsten blauen Chorschüler, wenn sie vor dem Hause sich zusammenstellten, waren von dem Streit des Doktors und Apothekers, des Poeten und Musikers befangen. Ein schönes Lied in schlechter Melodie behält sich nicht, und ein schlechtes Lied in schöner Melodie verhält sich und verfängt sich bis es herausgelacht; wie ein Labirinth ist es, einmal hinein, müssen wir wohl weiter, aber aus Furcht vor dem Lindwurm, der drin eingesperrt, suchen wir gleich nach dem ausleitenden Faden. So hat diese leere Poesie uns oft von der Musik vielleicht die Musik selbst herabgezogen. Neues muste dem Neuen folgen, nicht weil die Neuen so viel Neues geben konnten, sondern weil so viel verlangt wurde: so war einmal einer leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie Volkslieder werden konnten. In diesem Wirbelwind des Neuen, in diesem vermeinten urschnellen Paradiesgebären auf Erden waren auch in Frankreich (schon vor der Revolution, die dadurch vielleicht erst möglich wurde), fast alle Volkslieder erloschen, noch jezt sind sie arm daran, was soll sie an das binden, was ihnen als Volk festdauernd? Auch in England werden Volkslieder seltener gesungen; auch Italien sinkt in seinem nationalen Volksliede, in der Oper durch Neuerungssucht der leeren Leute; selbst in Spanien soll sich manches Lied verlieren und nichts Bedeutendes sich verbreiten. – O mein Gott, wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern [408] ruhten, die uralten Zeichen fester Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht? Fast vergessen sind sie schon unter dem Volke, schmerzlich stoßen wir uns an ihren Wurzeln. Ist der Scheitel hoher Berge nur einmal ganz abgeholzt, so treibt der Regen die Erde hinunter, es wächst da kein Holz wieder, daß Deutschland nicht so weit verwirthschaftet werde, sey unser Bemühen.
Wo ich zuerst die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer Sommernacht weckte mich ein buntes Geschrey. Da sah ich aus meinem Fenster durch die Bäume, Hofgesinde und Dorfleute, wie sie einander zusangen:
Sie brachen ab und auf zu ihren Regimentern, zum Kriege. Damals klang manches daran, was mir so in die Ohren gefallen, alles reizte mich höher was ich von Leuten singen hörte, die nicht Sänger waren, zu den Bergleuten hinunter bis zum Schornsteinfeger hinauf. Später sah ich den Grund ein, daß in diesen schon erfüllt, wonach jene vergebens streben, auf daß ein Ton in vielen nachhalle und alle verbinde 2, der höchste Preis des Dichters wie des Musikers, ein Preis [409] der nicht immer jedem Verdienste gefällt (wie manche Blume wird zertreten, aber das frische Wiesengras bringt tausend), aber auf lange Zeit gar nicht erschlichen werden kann, so daß jedes hundertjährige Lied des Volkes entweder im Sinn oder in Melodie, gewöhnlich in beyden tauget. –
Und als ich dieses feste Fundament noch unter den Wellen, die [410] alten Straßen und Plätze der versunkenen Stadt noch durchschimmern sah, da hörte ich auf, mich über die großentheils mislungenen Versuche vieler Dichter und Musiker, besonders des Theaterwesens zu ärgern. Vielleicht würde einmal das Vortreffliche sonst gar nicht entstehen, gar nicht verstanden werden! Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine ist Blüte das andre Blat, das dritte seine schmierige Wurzelfasern, alle drey müssen vorhanden seyn, auch die saubern Früchtchen, die abfallen. Störend und schlecht ist nur das Verkehrte in sich, der Baum mit der Krone eingepflanzt, er muß eine neue Krone, eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein dürrer Stab. Dieser Art von wahrer Störung ist die Beschränkung aller Theatererscheinungen in Klassen und für Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, die entweder ganz unfähig der Poesie, oder unbestimmt in ihrem Geschmacke geworden. Beschränkung ist aber das Tugendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet sie, darum kann das Ueberschwengliche nie von ihr gefordert werden. Der Einfluß davon ist unbegrenzt, denn indem die Schauspieler das Gemeine vornehm machen wollen, machen sie das Ungemeine auch nichts weiter als vornehm (sie lassen Müller und Schornsteinfeger sich an einander abreiben). So suchen nun die Künstler aller Art um in gleichen Verhältnissen zu leben, wie sie dieselben gewöhnlich darstellen, da ihren Lohn, wo sie selten hingehören und nimmermehr hineinpassen sollten, wo es der Zweck des ganzen mühevollen Lebens, sich so leise wie möglich neben einander wegzuschieben, sie denken nicht, daß die besten Steinschneider Sklaven, die besten altdeutschen Mahler zünftig waren. Daher das Abarbeiten ihrer edelsten Kraft an Formen des Anstandes, die ihnen sich selbst gegeben, wenn sie wirklich etwas Würdiges geben:
Daher das Bemühen der Kunstsänger zu singen, wie Vornehme gern reden möchten, ganz dialektlos, das heist, sie wollen singen ohne zu klingen, sie möchten blasen auf einem Saiteninstrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn ihr nur sanft wäret; und wenn ihr sanft wäret, o hättet ihr doch Ton. Dem geschickten Künstler sind [411] die Dialekte Tonarten 3, er vernachläßigt keine, wenn er gleich nur in einer sich selbst vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt sie aus einander nach Süden und Norden, Osten und Westen, keiner kann sich fügen dem Fremden, da doch alle einander in Volksliedern begegnen, wie Lustkähne, die eben erst vom gemeinschaftlichen Gespräche im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder zusammen, sich gleich wieder verstehen durch Aneignen und Weiterstreben, wenn auch in jedem das Gespräch sich anders gewendet. – Hinter dem vornehmen Anstande, hinter der vornehmen Sprache versteckt, scheiden sie sich von dem Theile des Volks, der allein noch die Gewalt der Begeisterung ganz und unbeschränkt ertragen kann, ohne sich zu entladen, in Nullheit oder Tollheit. Unsre heutige Theater- und Konzert-Theilnehmer, wie würden sie auseinander springen, bey wahrer reiner Kunsthöhe, sie würden umsinken in der reinen Bergluft, oder fühllos erstarren. Ruft nicht diesen Ton, ihren eigenen menschlichen Ton hinein ihr Sänger, sie würden springen wie Gläser, die tausendmal an einander gestoßen, doch nur zersungen werden können mit ihrem Ton! – Sey ruhig gutes Publikum, den Ton haben deine Sänger längst verloren, das Lebende von dem Todten zu scheiden, dabey kannst du noch das Heil deiner schlaffen Seele in (dem englischen Salzfläschchen) ihrer höheren Kritik suchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze Welt packen und sie in der Gravitation zwischen Ernährung und Zeugung erhalten, worin ihr wie Mücken spielt. – Mit großer Bravur können wohl diese vortrefflichen Kunstsänger ihren Kram ausschreien und ausstöhnen, man versuche sie nur nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Unächte, laßt sie auch nicht mit einander reden, sie singen wohl noch mit einander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder haben ihr Sangstücke [412] so unbedeutenden Charakter, daß er gar nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Verstande davon kämen, wir würden sie hinunter jagen von ihren Bretern, und uns lieber selbst hinstellen, zu singen, was uns einfiele und allen wohlgefiele, Ball schlagen, ringen, springen und trinken auf ihre Gesundheit. – Wollt ihr Sänger uns mit der Instrumentalität eurer Kehle durch Himmel und Hölle ängstigen, denkt doch daran, daß dicht vor euch ein großes physikalisches Kabinet von geraden und krummen hölzernen und blechernen Röhren und Instrumenten steht, die alle einen höheren, helleren, dauerndern, wechselndern Ton geben als ihr, daß aber das Abbild des höchsten Lebens oder das höchste Leben selbst, Sinn und Wort, vom Ton menschlich getragen, auch einzig nur aus dem Munde des Menschen sich offenbaren könne. Versteckt euch eben so wenig hinter welschen Liedern, dem einheimischen Gefühl entzogen seyd ihr dem Fremden nur abgeschmackt. Nein, es ist kein Vorurtheil der Italiäner, daß jenseit der Alpen nicht mehr Italiänisch gesungen werde, daß selbst nationale Sänger ihren reinen italiänischen Gesang in der Fremde verlieren; Denkt auch daran, daß es gar nichts sagt, fremde Sprachen melodischer zu nennen, als daß ihr unfähig seyd und unwürdig der euern. Das weiß ich wohl, die Kunstübung erbt ohne meinen Rath, wie die Pocken, in allen kränklichen Reizungen der Städtlichkeit, Philosophie und Liederlichkeit auf alle Wohlgesittete, die sich den Bart nicht scheren, wenn er lang, sondern wenn ihr Tag gekommen; nicht einheizen, wenn sie frieren, sondern wenn ihr Stunde gekommen, ja es giebt ordentliche Register über die Kunst auf dem Rücken aller der buntjäckigen Leute, denen die alten Komödienzettel auf den Rücken geklebt, ich meine die Journalisten. Wie vielmal diese Vögelscheuchen mit ihren unmaßgeblichen Meinungen sich drehen, wohin der Schlauch der Kunstspritzen sich wendet, Kunst wendet sich selten mit der Noth unsrer Zeit zu einer reinen Thätigkeit, sie ist fast nie nothwendig, sondern den meisten eine böse Angewohnheit (wie der Schnupf-Tabak, die Leute verwundern sich, wie schnell sie den [413] Geschmack aufgeben, wenn sie die Dose einmal in eine andre Tasche stecken). Es müste sonderbar in ihren Winter hinein blühen, wenn ihnen so der Sinn für das Große eines Volks aufgehen sollte und für sein Bedürfniß, darum sind eigentlich die Künstler aller Art der Welt so überflüßig, wie sie gegenseitig ärmlich, zufrieden, wenn einer sie versteht unter tausenden, glücklich, wenn dieser eine keinen Ueberdruß an ihnen erlebt: Mag nur keine neue Völkerwanderung kommen, was würde von dem allen bleiben, – sicher keine Athenische Ruinen!
Wir ahnden es schon hier, was wir in unsrer Geschichte nachgehend so allgemein durchgreifend fanden, es wird wohl ein sehr allgemeines Verhältniß zur früheren Geschichte ihm Grund legen. Denken wir dem nach, auf dem dunklen schwankenden Schiffe der Gedanken, sehen wir uns um nach den Wunderblumen, nach den Wasserlilien, was die fernen Küsten umgab, da sehen wir nur eine Stelle erleuchtet, dahin sieht des Steuermanns Auge, es ist die Windrose, sie schwebet fest und wandellos und führt uns wohl weit weg! Die Erde ist umschifft, wir haben kein heimliches Grauen mehr vor dem Weltende, es liegt fest und sicher vor uns, wie unser Tod, es ist in aller Welt ein Verbinden getrennter Elemente, welches die innere Kraft jedes Einzelnen schwächt, nur mit höchster Anstrengung jedes Einzelnen glücklich beendigt werden kann. – Vielleicht mag dies blos allgemein seyn, und darum gar nichts, aber so ist der Uebergang immer von sich zur Welt, ich will ihn wenigstens nicht verschweigen, vielleicht daß einer ihn mit mir fand. – Zunächst hängt wohl dieses Herabsinken schönerer Bildung mit einer allgemeinen großen Erscheinung der vorigen Jahrhunderte zusammen, ich meine mit dem allgemeinen Klage- und Elend-Wesen. Dieses sonderbare Bewustseyn, wie ein Träumender läst es das Glück aus der Hand fallen, weil ihm träumet, es falle, er müsse darnach greifen und nun hält es Glück und Traum für nichts, weil es ihm nicht fortdauert. Als vorzeiten die Flagellanten in Selbstgeisselung wehklagend durch alle Straßen den Strom der Vorübergehenden in [414] ihren Ton hineinrissen 4, so verstummte in dieser späteren Selbstpeinigung der Furcht noch einmal aller edle Gemüthston. Die Regierungen glaubten es ihre Pflicht diesen Jammer zu stillen, statt ihn in sich ausgehen zu lassen, aber sie waren demselben Zeitgeiste unterworfen, statt einer höheren Thätigkeit machten sie gegenthätige (antipoetische) Bemühungen, das Fieber sollte sich schwächer zeigen, indem sie die gesammte Kraft des Körpers minderten, von dem Zwecke des Fiebers hatten sie keine Vorstellung, es war ihnen ein Mißverhältniß weiter nichts. Die nothwendigen Lasten des bürgerlichen Vortheils wurden Einheimischen wie Fremden versteckt und heimlich, das Regierungwesen schien daher den Regierten dunkel und sündig. Noch mehr, es wurden ihnen Grenzen des Nothwendigen gesezt, man schnitt die Freude davon ab – so ward ihrem Leben aller Werth genommen, es entstand eine Sehnsucht nach dem Tode, an sich selbst Tod, der mit seinem Knochenarm dem Lebenden eine Fallgrube gräbt. In der Liebe ist keine Furcht, sagt Johannes, es war diese Klage über die Selbstentleibung von Deutsch land, wie jene der Chrimhilde, welche immer neue Verzweiflung herbeyführte. Die Spaltung war gemacht, der Keil eingetrieben, bald sollte der Staat nicht mehr für die Einwohner, sondern als Idee vorhanden seyn, manches Volk kannte seinen eignen Namen nicht mehr und wo ein Staat sich selbst geboren, da sah man, daß die andern eigentlich nur noch Namen waren. Dieses Elendseyn wurde so auffallend, wie aus wurmstichigem Holze der [415] gelbe Staub, allen hing es an, die auch vom Holze keinen Splitter, die Sentimentalität war nur eine Färbung, ganz erscheint es in der kläglichen Sprache der niedern Stände vieler Gegenden. Weisheit wurde es den freudigen Augenblick wie Unglückszeichen zu meiden, während seiner festesten Dauer sein Vergehen voraus zu sehen, und den künftigen hellen Blick des Glückes zu trüben, mit der Erinnerung, es gab noch einen helleren. Jeder wuste über sein Leben etwas zu sagen, nur hatte keiner Leben, so wurde das Leben verachtet, der Tod gefürchtet, und die Genialität bey dieser Aermlichkeit in Völlerey gesezt. 5 So war diese eitle Weisheit (wie die Petersburger Mägde um Schminke betteln sollen)! So wurde auf einmal [416] die ganze Welt arm, schlechte Zeit, schlechte Sitten und Weltuntergang, verkündet in allem Frieden, in allem Ueberfluß, in allem Frühling. Weil keiner dem Drange seiner Natur, sondern ihrem Zwange nachleben wollte und konnte: so wurde schlecht Geld und kurze Ehle in Gedanken, wie auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die Früchte der Erde durch sein nothwendiges Entstehen trefflich gut sey, sondern durch einige Taufformeln vom Zwecke ihres Geschäfts. So wollte der Adel das Blut verbessern, die Kaufleute bildeten sich ein, eigentlich nur zur sittlichen Kultur der Welt zu gehören, die Grübelnden, in ihren Worten sey Seligkeit, die aber alles verachteten, meinten es besonders getroffen zu haben. Es ließe sich viel sagen über die allgemeinen Aspekten dieses Phänomens, gehen wir nur in die nächste Gemähldesammlung eines alten Hauses, wie auf einmal wahre Häßlichkeit, und mahlerische Falschheit in die Welt gekommen. Wichtiger ist es, die Wirkungen dieser allgemeinen Erscheinung im Volksliede zu beobachten, sein gänzliches Erlöschen in vielen Gegenden, sein Herabsinken in andern zum Schmutz und zur Leerheit der befahrnen Straße. 6
Da alles, wie wir sahen, klagend und gebrechlich erschien, so verloren die Regierungen alle Achtung, alles Vertrauen zu dem Einzelnen; was nicht durch allgemeinen Widerspruch und Aufruhr sich verdammte, das schien der Aufmerksamkeit unwürdig, und dieser allgemeine Widerspruch wurde durch drückende Verbote in seiner Aeußerung, selbst dem bestgesinnten Herrscher so lange unhörbar gemacht, bis seine Wuth, nicht sein besserer Wille alles überschrieen. Wem der Zufall zu einer wirksamen Stelle verhalf, dem glaubte man einen solchen vollständigen Volksverstand angetauft, daß sich das ganze Volk in ihm ausspreche. Freilich, wenn [417] einer nur reden darf, so redet er immer am klügsten, die Mühe verschiedene Sinne zu vereinigen, wie es in der Berathschlagung versucht, in der Gesetzgebung ausgeführt wird, ward ganz überflüßig dadurch, man verwunderte sich über das kinderleichte Regierungsgeschäft. Das Volk kam dahin, die Gesetze, wie Sturmwind, oder irgend eine andre unmenschliche Gewalt zu betrachten, wogegen Waffnen, oder Verkriechen, oder Verzweifeln diente. In diesem Sinne wurde lange geglaubt, viele zusammen könnten etwas werden, was kein Einzelner darunter zu seyn brauche, so sollte sich kein einzelner Krieger bilden, sie wurden zur Ruhe und zum nährenden Leben eingepfercht, sie musten dem ewigen Streite gegen die Barbaren entsagen. Man wollte keinen Krieger, doch wollte man Kriegsheere, man wollte Geistlichkeit, aber keinen einzelnen Geist. So wurde das Thätige und Poetische im Lehr- und Wehrstande allmählig aufgehoben, wo nicht die allmächtige Noth alle Kräfte lüftete, nur der Nährstand konnte nicht so unumschränkt vernichtet werden, nähren muste sich doch jeder, so kümmerlich es seyn mochte. Darum finden wir auch das neuere Volkslied, wo es sich entwickelt, diesem angeschlossen in mäßiger Liebe, Gewerb- und Handelsklagen, Wetterwechsel und gepflügtem Frühling. Aber so wenig die Glieder ohne den Magen, so wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten Fabel, auch der Nährstand wurde enger, freudeleerer, bedürftiger, befangener in dem Herkommen; nirgend leisteten Feld, Haus- und Werkarbeit, wie's ihre Bestimmung, die Nothdurft des Menschen mit geringerer Noth zu bestreiten. Die Scheidung zwischen Freude und Bedürfniß war einmal gemacht, es ist das Eigenthümliche des Bösen, wie der Krankheit, wo es erscheint, da erscheint es ganz, in ganzer Thätigkeit, das Gute hingegen und die Gesundheit wie Sterne dunkeler Nacht wird selten nicht sichtbar, dafür leuchtet sie ewig, während der fliegende feurige Drache in Funken zerstiebt. Die Bauern mochten klagen, daß ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die singenden frommen Bettler wurden wie Missethäter eingefangen und gefangen [418] gesezt; verkappt, still und heimlich mußte nun Armuth umherschleichen. Wenigstens hätte das doch eine aufrichtige öffentliche Untersuchung erfordert, ob wir auf der Bildungsstufe uns befinden, wo sein eigner Herr nicht seyn kann, der sich nicht selbst ernähren kann. Vielleicht würde sich finden, daß keiner mehr sein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen Arbeitshause: Wozu also das Arbeitshaus im Arbeitshause! – Ich greife unter dem Vielen nur her aus, was mir am nächsten. – Wo es Volksfeste gab, da suchte man sie zu entweihen durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch ungeschicktes Umfassen, wobey sie ihn zerbrechen, oder bis sie gefährlich schienen in übler Nachrede. Schauspiel, Gaukelspiel und Musik, wie die Stadt sie zur Versöhnung für ihre Einkerkerung braucht, und das Land, wie es sich daran freut in dreytägiger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles dies wurde Eigenthum einzelner, um es besteuern zu können, und durch den einen Schritt einem strengen, äußern Drange, einer fremden Bestimmung, einem Stolze unterworfen, als wäre solche Lust etwas für sich, ohne die, welche sie hören, als wären sie Meistergilden wie jene Alten. 7 Neue Feste konnten unter den Umständen so wenig als neue Sprüchwörter allgemein werden, die Roheit äußerte ihr überflüßiges Leben in privilegirter Unzucht. Freude und Geist blieben in einzelnen Kreisen verschlossen, ein Spott gegen die andern und selbst verspottet; die bestehenden öffentlichen Vergnügen, Maskenbälle, Vogelschießen, Einzüge wurden meistens antheillosere Formen, wie alte heilige Christbäume armer Familien, immer wieder beleuchtet, immer dürrer in Blättern. Die Volkslehrer, statt, in der Religion zu erheben, was Lust des Lebens war und werden konnte, erhoben schon [419] früh gegen Tanz und Sang ihre Stimme: wo sie durchdrangen zur Verödung des Lebens und zu dessen heimlicher Versündigung, wo sie überschrieen, zum Schimpf der Religion. Der Nährstand, der einzig lebende, wollte thätige Hände, wollte Fabriken, wollte Menschen die Fabrikate zu tragen, ihm waren die Feste zu lange Ausrufungszeichen, und Gedankenstriche, ein Komma meinte der, hätte es auch wohl gethan. Noch mehr, seine Bedürftigkeit wurde den andern Ständen Gesetz (sie musten alle zur Gesellschaft mediziniren), weil der Nährstand eines festen Hauses bedarf, so wurde jeder als Taugenichts verbannt, der umherschwärmte in unbestimmtem Geschäfte, als wenn dem Staate und der Welt nicht gerade diese schwärmenden Landsknechte und irrenden Ritter, diese ewige Völkerwanderung ohne Grenzverrückung, diese wandernde Universität und Kunstverbrüderung zu seinen besten schwierigsten Unternehmungen allein taugten. Es ist genug träger Zug im Menschen gegen einen Punkt, aber selten ist die Thätigkeit, welche durch Einöden zieht und Samen wunderbarer Blumen ausstreut, zu beyden Seiten des Weges, wo er hintrifft, allen gegeben, wie der Thau, wie der Regenbogen: doch wo er, vom Winde getragen, hinreicht, da endet die unmenschliche Einöde, es kommen gewiß, die sich unter den Blumen ansiedeln, um aus ihnen Lust und Leben zu saugen. – Warum zieht es uns in Büchern an, was wir von den ersten Entdeckungsreisen, von den Weltfahrten, von ziehenden Schauspielern, insonderheit was wir von dem wunderbaren Wandel des Zigeuner-Reichs lesen, im Kriege ächte Soldaten, im Frieden zutrauliche Aerzte (dessen die gelernten sich jezt fast alle entwöhnt); ich erinnere mich noch ihrer nächtlichen Feuer im Walde, wie sie mir aus der Hand wahr sagten: Und sagten sie mir etwas Gutes, so sage ich wieder Gutes von ihnen. Wie die kleinen Zwerge, wovon die Sage redet, 8 alles herbeyschafften, was sich ihre stärkeren [420] Feinde zu Festen wünschten, sich selbst mit Brodrinden des Mahles begnügend, aber einmal für wenige Erbsen, die sie aus Noth vom Felde nächtlich ablasen, jämmerlich geschlagen und aus dem Lande verjagt wurden, wie sie da nächtlich über die Brücke wegtrappelten, einer Schaafheerde zu vergleichen, wie jeder ein Münzchen niederlegen muste und wie sie ein Faß damit füllten: So danken wir die mehrsten unsrer Arzeneyen den Zigeunern, 9 die wir verstoßen und verfolgt haben: Durch so viel Liebe konnten sie keine Heimath erwerben! – Auch die hellen Triangel der Böhmischen Bergleute klingen den Kindern nicht mehr, am Leitbande darnach zu treten; die treuen heilgen Drey Könige begrüßen sie nicht mehr! – Aber was rede ich von Kindern, während die Politiker zehnmal in einer Viertelstunde zwischen Aufklärung und Verfinsterung die Welt wenden lassen, weil es in ihre Köpfe aus allen Ecken hineinbläst, den alten Staub zu heben und wegzutreiben, vielleicht ist in der Zeit anders geschehen, was nicht bemerkt wurde, eben weil es geschah? – Das Wandern der Handwerker wird beschränkt, wenigstens verkümmert, der Kriegsdienst in fremdem Lande hört ganz auf, den Studenten sucht man ihre Weisheit allenthalben im Vaterlande auszumitteln und zwingt sie voraus darin zu bleiben, während es gerade das höchste Verdienst freyer Jahre, das Fremde in ganzer Kraft zu empfangen, das Einheimische damit auszugleichen. Dafür wird dem Landmann gelehrt, was er nicht braucht, Schreiben, Lesen, Rechnen, da er wenig Gutes mehr zu lesen, nichts aufzuschreiben, noch weniger zu berechnen hat. In der Stadt macht die körperliche Uebung drückender geistiger Anstrengung Platz, um Kinder in die [421] Plätze der Männer einzuschieben. Es mag verkehrt seyn, 10 wie zuweilen die Alten in den Schulen behandelt worden, aber Wahnsinn ist es, während die Gebildeten sich ihrer als Meister rühmen und Aeltern aus Gewohnheit ihnen wohl wünschen, daß unwissende Vorsteher diese einzige uns übrige feste historische Wurzel ausreissen: Sind denn Kinder Kartenblätter, die thörichte Spieler einander an den Kopf werfen? – Was erscheint, was wird, was geschieht? – Nichts? – Immer nur die Sucht der Bösen die Welt sich, und alles der Nichtswürdigkeit in der Welt gleich zu machen, alles aufzulösen, was enger als ein umzäuntes Feld, an den Boden des Vaterlandes bindet, der Gedanke, es ist derselbe Boden, auf dem wir in Lust gesprungen. Wer so denkt, wird fest und herrlich sich und seinen Nachkommen bauen, wem aber die Baukunst fehlt, dem fehlt ein Vaterland. Wer nun fühlt, daß seinem bessern Leben ein [422] Vaterland fehlt; geh' in die Komödie, sagt mancher, da ist poetischer Genuß, da singt's und klingts! – Aber was ist das poetischer Genuß? – Wo das Wesen dem Leben ausgegangen, da sendet es einen Schatten zu unsrer Furcht, daß wir uns selber nicht vergessen: So ist unser Schauspiel vom wahren Volksschauspiel ein fratzenhafter Schatten; und kein Volksschauspiel kann entstehen, weil es den Künsten kein Volk giebt; die äußere Noth hat sie verbunden nicht innere Lust, sonst wäre ein Volk, so weit man deutsch am Markte reden hört. Wisset, Künstler sind nur in der Welt, wenn sie ihr nothwendig, ohne Volksthätigkeit ist kein Volkslied und selten eine Volksthätigkeit ohne dieses, es hat jede Kraft ihre Erscheinung, und was sich vorübergehend in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunst seine Dauer beym müssigen Augenblicke. Kritik ist dann ganz unmöglich, es giebt nur Bessermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlechtes; unendlich viel läst sich dann in der Kunst thun, wenig darüber sagen denn sie spricht zu allen und in allen wieder, kein Vorwurf ist dann das Gemeine, so wenig es den Wäldern Vorwurf, daß sie alle grün, denn das Höchste, das Schaffende wird das Gemeinste, der Dichter ein Gemeingeist, ein spiritus familiaris in der Weltgemeine.–
Daß aber Volksthätigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerschwingliche Last wälzt sich den Söhnen auf! – Daß ich klage, werden Sie sagen, was ich selbst als die höchste Lästerung des Jahrhunderts angeklagt; wer kann sich freymachen allein, aber drein wettern möchte ich können mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, sagte der wackere Schärtlin, alle Kopisterey und Kortisaney zerrissen, wir würden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer langsamern Gang menschlicher Thätigkeit, wie die Stunden der Ruhe und Nahrung einander verdrängen und beeinträchtigen, so haben alle Leidenschaften und Liebhabereyen ihre kürzere Periode, geringeren Grad; die meisten springen von ihrem Geschäfte ab, wie dürres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu der Einigkeit der Welt mit sich vor, wo [423] eines sie erfüllen und befriedigen kann, das sind die sehnenden, wähnenden Embryonen von Menschen, wenigen ist Jugend, wenigen Alter. Wie die Balken unsrer Decken heutiges Tags von einem sonst unbekannten Schwamme verschwächt werden, so werden die Menschen um uns plötzlich hohl und leer, da sie noch kaum angefangen zu tragen und zu stützen, zu leisten und zu streben. Wo seyd ihr versunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen, im Weltmeere mit tausend Schätzen. Den Störchen möchte ich zuwinken: Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Wasser auf die Welt, er sehnt und treibt sich doch wieder hinein, wie es auch ebbend vor seinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel und viel Engel, ist wohl noch Rettung, ist die Wahl nur eure Qual?– Ob sich etwa die Welt ausruht zum Ausserordentlichen? Das Speculiren, was so ernsthaft genommen wird, macht es wahrscheinlich, denn dies ist der Traum der Thätigkeit, nur der Morgenträume sind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im Wintersturm beim Schauspielhause 11 vorüberziehe, wo Licht und Leben erloschen, ich denke wohl, die stille Uhr über den langwierigen Stunden wird einmal anschlagen, der hohe Deckel sich eröffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von einem bunten Chor, die neue Bande aufsteigen, ausfliegen durch das Land, fliegen auf allen Tönen, alle erwecken, die schon schlafen gegangen! Das Eis hält lange, ehe es bricht und trägt viel, aber wer nur einmal über das glatte Eis durch alle wunderbare Bahnverschlingungen seiner Vorläufer fest dahingefahren wo seine Augen den Schein der Sonne vor sich her springen sahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom – zu schwimmen darin, zu segeln darauf, hindurch dem rauchenden Hirsche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Grünen, die Sterne darin zu sehen, kommen und untertauchen [424] in ewiger Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze sich verloren und vergessen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen sah, den lezten Grus des Menschleins darin empfing, der jemals vom jubelnden Taktschlage der Janitscharen hingerissen, einen Feind gegen sich, den muthigen Freund neben sich glaubte, der die Reiter auf Wolken gegen sich ansprengen sah, unwiderstehlig, wie ein Trompetenstoß den mächtigen Strom hemmte; der etwa gar im Sonnenscheine einer Kriegsflotte Anker-Lichten sah, wo wenige Augenblicke hinreichten voll Weben und Leben auf Masten und Stangen, diese goldenen Schlösser und Gallerieen, alle wie Flossen eines Fisches ruhig in das luftbegrenzte Meer hinschwinden zu sehen, alles Dinge, die uns umgeben, uns begegnen, der muß an eine höhere Darstellung des Lebens, an eine höhere Kunst glauben, als die uns umgiebt und begegnet, an einen Sonntag nach sieben Werktagen, 12 den jeder fühlt, der jedem frommt. » Und wären sie tausendmal nicht gehört, es brauchen nur einmal, wenn dieser Tag gekommen, und diese Morgenstunde, alle Thürmer herunterposaunen zu dem Liede der Schüler, zu den Glocken, wie wir auch sanft ruhen, wir werden doch lieber erwachen, da wird alles anspringen, da wird die Last sich heben, wie die Anker bey dem einfachen Liede der Matrosen, wenn sie nur alle zusammen singen. Was ich hoffe ist kein leerer Traum, die Geschichte hat es so oft bewährt, wie das reine Streben der Menschen in gewissen Perioden siegend und singend hervortritt, Kunstwerke gefunden, erfunden und höher verstanden werden! Wer kann sich enthalten, zu glauben, wo er in eine heisse Glashütte tritt, einige rothe Netze um ihn ziehen, andere mächtig das Glas für ihn aufblasen, was da aus dem rothen Feuer durchsichtig werde, sey ein Jubelbecher, ihn im heißen Netze zu kühlen: und ist es nun gekühlt, so ist es ein[425] elendes gebrechliches zitterndes Singglas, kein Glas wobey er singen kann. Es sind der Singgläser doch endlich genug gemacht, wir werden endlich alle zusammenschlagen zum Pokal! Bricht aus den Springkugeln dazu die Spitze, daß sie zu Staub zerfallen, in dem lange schon die große Zahl der Dichter, Schauspieler und Sänger scheinlebend umherverkauft wurde. – Hört nur, wie die Zugvögel schön singen dem neuen Frühling; da ziehen schon die wackern Handwerksgenossen mit Bündel und Felleisen in langen Reihen über den Weg; wie sie zusprechen bey ihrem Zeichen; wie die Fensterscheiben und das goldene Schild vom echten Grundbaß erzittern, wo sie singen ist keine Halbstimmigkeit, wo Deutsche gebraucht werden, von London bis Moskau und Rom, kein halbsinniges Lied:
Liebesrose, Lied 18.
Es ist mir wohl begegnet im Herbste, wenn schon alles fast still und abgefallen, einen dichten krausen Baum mit sich umrungenen Aesten, von Staaren wie durchdrungen, klingen und gleichsam auffliegen zu sehen, so sangen mir deutsche Handwerker lüftend ins Herz bey dumpfer Nachtluft holländische Kanäle, ein kleines Segel flatterte von ihrem Gesange, an bunten Bändern schien das Schiff schneller fortgezogen. Wer hat so etwas nicht öfter erlebt und sey es auch nur im Traume? So hörte ich auch über die Londonbrücke Hannöversche Flüchtlinge: ein freyes Leben – hinsingen, als ich mit Sehnsucht nach meinem Vaterlande den Wasserspiegel herabsah, da schien mir auch jener Boden befreundet mit seiner zornigen rothen Abendsonne. – Noch nicht ganz erdrückt von der ernsthaften [426] Dummheit die ihr aufgebürdet, lebt euch das fröhliche gesangreiche Symbol des werkthätigen Lebens, die Freimaurerey. Noch stehen mitten inne als Künstler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen Studenten; sie heften die höchsten Blüthen ihrer frischen Jahre sich an den bezeichnenden Hut und lassen die farbigen Blätter hinwehen weit über Berg und Thal und in die Wasser. – Auch die Bänke der rauchenden Wachstuben werden nicht immer von den Musen gemieden, und wenn sie auch zuweilen nicht hinein können, so sehen sie doch nach ihrem Lieblingssitz durch die Fenster: wenn die überwachte Schildwache Nachts ein schauerliches Anschlagen der Gewehre hört, sie spielen mit den blanken schnellfertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit kommen, wo die drückende langweilige Waffenübung allen die höchste Lust und Ehre, das erste der öffentlichen Spiele, höchste Kraft und Zierlichkeit zu einem Tanze verbunden ausdrücket. Für jede Thätigkeit giebt es einen Preis, wer diesen kennt, hat jene. Wer hat es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege hält, unter ihm brauset der Strom, Felsen und Bäume drehen sich über ihm, – ein mächtiger Marsch hält ihn, fällt er ihm zur rechten Zeit ein, und aller Schwindel verschwindet, wie die Tritte hinter seinem Rücken. So begreift man Taillefers Gesang, der in jener berühmten Schlacht bey Hastings, England für Wilhelm eroberte, indem er die unerschütterliche Ordnung der Sachsen durchschrie. So mag auch wohl die Macht der runischen Verse gewesen seyn. Wir begreifen nun leicht, wie unsere gebildetere Zeiten bey der Vernachläßigung des ärmeren Lebens (denn das sind die unteren Klassen jetzt) so viele leere Kriegslieder entstehen sahen, während jeder der früheren deutschen Kriege in dem gemeinsamen Mitwirken Aller zu großer That herrliche Gesänge hervorrief. Wer hat es je vor- oder nachgedichtet, was Zinkgref 13 aus aller braven Landsknechte Mund im öden dreissigjährigen Kriege, lehrend uns zu Gemüthe führt:
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[428] Ja wir fühlen es, wie die Sprache unter dem gewaltigen Triebe in solchen Punkten sich weitet, wir sehen dagegen die ruhige sinkende Erde asiatischer Steppen in der stillen Versteinerung (Steinfermentation) allmählig allem lebenden Eindrucke sich verschließen, jene Freiheit alter Sprache, die Starrheit der heutigen, sie sagen mehr, als ich sagen mag. Doch dieses wie so manches andere wunderbare Lied ist aus den Ohren des Volkes verklungen, den Gelehrten allein übrig blieben, die es nicht verstehen, alle Volksbücher sind so fortdauernd blos von unwissenden Speculanten besorgt, von Regierungen willkührlich leichtsinnig 15 beschränkt und verboten, daß es fast nur ein Zufall, oder ein hohes Schicksal, wie uns so manches Wunderschöne in diesen Tagen angemahnt hat, zu fühlen und zu wissen, zu ahnden, zu träumen was Volkslied ist und wieder werden kann, das Höchste und das Einzige zugleich durch Stadt und Land 16. Aber in den Gelehrten, wie sie vom Volke vergessen, so liegt gegenseitig in ihnen der Verfall des Volks, das tiefere Sinken der Gemüther, die Unfähigkeit mit eigenwilliger froher Ergebenheit dienen und mit [429] unbesorgtem allgemeinen Willen zu befehlen, ja bis zur Unfähigkeit des Vergnügens, was die tiefste Entartung andeutet, die fast aufgegebene Freiheit des Lebens. – Die Gelehrten indessen versassen sich über einer eigenen vornehmen Sprache, die auf lange Zeit alles Hohe und Herrliche vom Volke trennte, die sie endlich doch entweder wieder vernichten oder allgemein machen müssen, wenn sie einsehen, daß ihr Treiben aller echten Bildung entgegen, die Sprache als etwas Bestehendes für sich auszubilden, da sie doch nothwendig ewig flüssig seyn muß, dem Gedanken sich zu fügen, der sich in ihr offenbahrt und ausgießt, denn so und nur so allein wird ihr täglich angeboren, ganz ohne künstliche Beihülfe. Nur wegen dieser Sprachtrennung in dieser Nichtachtung des besseren poetischen Theiles vom Volke mangelt dem neueren Deutschlande großentheils Volkspoesie, nur wo es ungelehrter wird, wenigstens überwiegender in besondrer Bildung der allgemeinen durch Bücher, da entsteht manches Volkslied, das ungedruckt und ungeschrieben zu uns durch die Lüfte dringt, wie eine weisse Krähe: wer auch gefesselt vom Geschäfte, dem läst sie doch den Ring niederfallen des ersten Bundes. Mit wehmüthiger Freude überkömmt uns das alte reine Gefühl des Lebens, von dem wir nicht wissen, wo es gelebt, wie es gelebt, was wir der Kindheit gern zuschreiben möchten, was aber früher als Kindheit zu seyn scheint, und alles, was an uns ist, bindet und lößt zu einer Einheit der Freude. Es ist, als hätten wir lange nach der Musik etwas gesucht und fänden endlich die Musik, die uns suchte! –
Es wird uns, die wir vielleicht eine Volkspoesie erhalten, in dem Durchdringen unserer Tage, es wird uns anstimmend seyn, ihre noch übrigen lebenden Töne aufzusuchen, sie kommt immer nur auf dieser einen ewigen Himmelsleiter herunter, die Zeiten sind darin feste Sprossen, auf denen Regenbogen Engel niedersteigen, sie grüßen versöhnend alle Gegensätzler unsrer Tage und heilen den großen Riß der Welt, aus dem die Hölle uns angähnt, mit ihrem Zeigefinger zusammen. Wo Engel und Engel sich begegnen, das ist Begeisterung 17, [430] die weiß von keinem Streit zwischen Christlichem und Heidnischem, zwischen Hellenischem und Romantischem, sie kann vieles begreifen und was sie begreift, ganz, und rein, ein Streit des Glaubens wird ihr Wahnsinn, weil da der Streit aufhört, wo der Glaube anfängt; noch wahner der Streit über Kunst 18, welche nur ein Ausdruck des ewigen Daseyns. Wo Kugel auf Kugel trift, da sinken beyde einträchtig zusammen, wie die Hexameter zweyer Homeriden. – Wen die Musik nur einmal wirklich berührt, den drängt und treibt sie etwas aufzusuchen, was nicht Musik, 19 worin [431] sie ihre vorübereilende Macht binden kann. Im Alterthume scheint die Musik, der Plastik näher verbunden, vor den Götterbildern tönend zu erscheinen, war ein Fest, die Memnonseule ist uns ein Symbol dafür; vielleicht war Musik eben so in der Zeit der Mahlerey dieser sehr nahe; allgemeiner ist Musik und ursprünglicher (bey uns besonders an den Ufern der Donau) dem Tanze, (am Rheine) dem Worte verbunden 20. Der deutsche Tanz, das einfache Zeichen der Annäherung, Verbindung und Aneignung wächst an den Ufern der Donau, bis zur reichsten inneren Bedeutsamkeit im oberösterreichischen Ländrischen, die Musik wächst und wetteifert mit ihm in hoher Erfindsamkeit und der Sinn beschränkt sich immer fester auf die gemeinschaftliche eigne Bildung des Volks 21. Es ist nicht jene wohlige frohmüthige Zärtlichkeit durch Schwaben und Oesterreich, die uns in den unzerrissenen Gegenden des Rheins ergreift, es ist öfter ein Spott der Liebe in der Liebe, ein Uebermuth, der sich verzagt stellt, ein Kind das sich vor unsern Augen hinter einen Strauch stellt, heraus rufend: Wo bin ich? So ist Melodie und auch ihr Wort, wo sie zu Worten kommt, in der Liebe (die sich selbander Einsamkeit [432] ist), beym Weine, beym Jagdtreiben, auf Wallfahrten, oder wo das Alter die Sehnen der Füße abspannt:
Was von den Sizilianern erzählt wird, die spielende Freudigkeit, in der alles zum Liede wird und ohne die Nichts ein Lied, die findet sich fast dort allein, wo ein Blat mit Reimen, die sie an Bildern, oder in Jagdbüchern absuchen 22, jung und alt erfreut. Als zwey eigenthümliche Wiederklänge dieses Sinns, welche statt zu wiederholen, die Worte umkehren sind die tiefgefühlten Berglieder der Bayrischen und Tyroler Alpen zu hören, so auch die rein witzigen Lieder, wie sie zur Zeit des Faschings in den Tanzkellern der Wiener Vorstädte umgehen, die kommen und gehen wie die Wünsche, wie die Sorgen der Zeit, ohne der Ewigkeit eingedruckt zu werden 23. –
[433] Vom Tanze verlassen in der Sommereinsamkeit, zu einfach anderer Kunst singt der Hirte an den Quellen des Rheins dem ewigen Schnee zu:
So klingen die Quellen des Rheins hinunter, dann immer neuen Quellen und Tönen verbunden, vom lustigen Neckar angerauscht, [434] ein mächtiger Strom, der von Mainz mit dem weinfröhlichen singenden Mayn verbunden, nur geschieden von ihm durch Farbe, doppelstimmig die vergangene Zeit in heutiger Frische umschlingt, eine sinnreiche Erinnerung für uns. Staunend saß ich da unter den lustigen Zechern im vollen Marktschiffe, sah drey wunderlichen Musikern mit immer neuem Liede zu, jeder ihrer Züge eine alte ausgespielte Saite, jeder ihrer Töne ein ausgebissen Trinkglas, ewig hin und zurück geht das Schiff, ihre Wiege, ihr Thron, sie sinds, die diese arme wüste Marktwelt (wie Kraut und Rüben unter einander geworfen) zu einem wechselnden, lauten und stillen Gedanken-Chore verbinden, daß neben ihnen die ruhigen reichern Dörfer wie unerreichbare Sterne und Monden, ohne Sehnsucht, ohne Preis vorüberschwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden Uebergang, der Zauberstab unterscheidet sich erst von einem gewöhnlichen Stabe nur durch die Farbe, so mag auch diese Kunst uns nur vorbereiten auf jene höhere am Rheine, der endlich ermüdet vom wechselnden Reiz, wie das Gold im Sande sich verliert. Hier zwischen den Bergen beym Ostein leben noch alle die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert gesammelt 24, viel schönere noch, [435] die eben nur selten gehört werden, weil sie nur selten wahrhaft sich fügen; sie sind in dem Munde der meisten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil, der zingarella und ähnlichen in Italien. Wie die Jacht mit den Reisenden durch das Wasser schäumt, in jeder Uferkrümmung von den Trümmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft, so wechseln die Lieder, und wo sie aussteigen:
Kennst du das Land wo die Zitronen blühen? Italien ist entdeckt, wo der Wein reift an allen Orten. Und als ich im mittelländischen Meere schiffte, der Schiffer sein Lied sang auf alles, was uns traf, Windstille und Seekrankheit, bis ihm der Sturm das Lied von der Lippe blies, da floß der Rhein. Ganz besonders ist es aber der Rhein, wenn sich die Winzer zur schönsten aller Ernten im alten Zauberschlosse der Gisella, Nachts versammeln, da flammt der Heerd, die Gesänge schallen, der Boden bebt vom Tanz:
Viele der Singweisen deuten auf einen untergegangenen Tanz, wie die Trümmer des Schlosses auf eine Zauberformel deuten, die einmal hervortreten wird, wenn sie getroffen und gelöst. Durch die [436] lustige Schaar der Winzer zieht dann wohl ein Frankfurter mit der Guitarre, sie sammeln sich um ihn, sie staunen dem König von Tule, der Becher stürzt in den Rhein, der Ernst ihres Lebens wird ihnen klar, wie wir klar sehen in wunderbaren Gedanken durch dunkle Nacht. – Wo Deutschland sich wiedergebiert, wer kann es sagen, wer es in sich trägt, der fühlt es mächtig sich regen. – Als wenn ein schweres Fieber sich löst in Durst, und wir träumen das langgewachsene Haar in die Erde zu pflanzen, und es schlägt grün aus und bildet über uns ein Laubdach voll Blumen, die schönen weichen den späten schöneren, so scheint in diesen Liedern die Gesundheit künftiger Zeit uns zu begrüßen. Es giebt oft Bilder, die mehr sind als Bilder, die auf uns zuwandeln, mit uns reden, wäre so doch dieses! Doch bewährt die liefe Kunstverehrung unserer Zeit, dieses Suchen nach etwas Ewigem, was wir selbst erst hervorbringen sollten, die Zukunft einer Religion, die dann erst vorhanden, wenn alle darin als Stufen eines erhabenen Gemüths begriffen, über das sie selbst begeistert ausflorirt. In diesem Gefühle einer lebenden Kunst in uns wird gesund, was sonst krank wäre, diese Unbefriedigung an dem, was wir haben, jenes Klagen der Zeit. Wir denken umher und werden aufmerksam, wie so vieles uns nimmer abgestoßen, wenn wir es nicht verkehrt angezogen, wie der größere Theil der Welt, eine fremde Atmosphäre, durch unsere Luft hätte hindurch gehen können, für uns unschwer, für uns unwarm, keine Macht über uns habend, als unsre Furcht davor. Große Kunst des Vergessens, in dir scheidet sich alle fremde Pestilenz von unsrer Heimath, fort mit dem Fremden im Fremden, die Welt klimatisirt sich uns, fort mit dem Fremden im Einheimischen! Nur darum ist Italien uns Italien, weil es kräftig genug war, lange das Fremde zu übersehen: von seinen Schauspielen her klingen noch die Lieder allen durch die Gassen, und die Handwerker, die vor den Thüren arbeiten, lernen sie den Vorübergehenden ab, Eitelkeit kennen sie dabey nicht, denn sie kennen die Freude darin. Da mag die Musik wohl den giftigen Biß der Tarantel heilen.– Darum kann ich auch [437] der Engländer nicht zürnen, die über eine Ministerveränderung kaum aufmerken, während ein italienisches Musikwunder im höchsten Glanze vor ihnen erscheint, sie müsten ihr Höchstes opfern, wenn sie diese Göttergunst erhalten wollten. Hören sie doch mit herzlicher Theilnahme jedem rothbemäntelten Weibe an der Strasenecke zu, das von Maria von Schottland singt, jagen sie doch dem Jagdhorn eifrig nach und regen die Füße, wo die schottische Sackpfeife sich hören läßt. Nein, eine höhere Musik giebt es wohl nicht, als die der Matrosen von Lord Nelsons Sieg, wie sie die Hüte schwenken und die Stimmen, daß die Wolken verziehen von ihrem Konzertsaale, wo Wagenrollen der Akkord und Grundbaß. Ich denke mir dabei die Worte des Kaisers: 25 »Heiliger Gott! Heiliger Gott, was ist das? Der ein hat eine Hand, so hat der andre ein Bein, wenn sie dann erst zwo Händ hätten und zwey Bein, wie wollt ihr dann thun?«
Noch lehrreicher ist vielleicht die Zusammenstellung der Walischen Bardengeschichte mit den Schottischen Sängern 26. Jene lebten in einer festen Kunstverbindung, hatten vieljährigen Unterricht, Ehre, Fürstengunst, aber seit sie von der Religion geschieden, treten ihre Gesänge fast nur im äussersten Elende schön und rein hervor; das nur läutert sie zur Wahrheit, dagegen entstanden bey ihnen sonst nur lächerliche Streitigkeiten für Harmonie gegen Melodie, Machtsprüche und alles das kritische Elend, was nachahmend auch bey uns über der Poesie 27 schwebt. Nur da geachtet, wo sie recht und ganz [438] gehört wurden, ohne Kunstregel und Schule blieben die Schottischen Bänkelsänger dem Großen und der Erfindung treu, so konnte ihnen auch die Form nicht fehlen. Die Wälischen klagten immer, die Kunst sterbe aus, sie war aber schon in ihnen ausgestorben; die Schotten hatten viel Größeres zu klagen und zu freuen, denn die Kunst lebte ihnen; bey jenen mußte ein Gesez den Schülern verbiethen, ihre Lehrer in der Begeisterung nicht zu rupfen und auszulachen; diese brauchten keinen solchen wunderlichen Anlauf zur Poesie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er keine Gesichter schnit. Die Lieder der Wälischen konnten durch einen tollen Eroberer fast vertilgt werden, diese Schottischen leben sich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund unsterblich. – Wenn nun so einfache leichte Kunst viel wirkt, wie kommt es, daß oft die schwere gehäufte sogenannte Kunst nichts leistet? Wer nicht das Höchste will, kann auch das Kleinste nicht; wer nur für sich schafft in stolzer Gleichgültigkeit, ob es einer fasse und trage, wie soll er andre erfassen und ergreifen; wer nur um jenes Völkchen buhlt, das immer läuft und klappert, sich immer was zu sagen hat und eigentlich nie etwas sagt; sie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis, sondern weil sie die beiden Eispole aufsuchen. – Auch müssen wir oft denken, es ist unendlich leicht, recht künstlich zu scheinen, wenn man das Leichte schwer, das Schwere leicht nimmt; doch was ist [439] dieser Schein? Er wäre das Wesen, wenn es nicht erschiene 28. Solch eine Spiegelung nach oben nach unten, wie sie leer, so vorübergehend ist sie, und doch geht darin Morgenstrahl und Leben, Aussicht und Hoffnung auf, ein ewiges geistiges Menschenopfer. Sehe jeder nur frey und ganz, wie er gestellt, und einer ist dem andern nothwendig, keinem ist das astralische Verhältniß entzogen, jeder ist ein Künstler, der das mittheilen kann, was ihm eigenthümlich im All, die andern zu erklären. Dem aber sind die Aspecten besonders günstig, dem ein wichtiges allgemeines Wirken mühlos vorbereitet, der ohne Arbeit erndtet und alle ernährt im gottähnlichen Leben: So wird es dem, der viel und innig das Volk berührt, ihm ist die Weisheit in der Bewährung von Jahrhunderten ein offnes Buch in die Hand gegeben, daß er es allen verkünde, Lieder, Sagen, Sprüche, Geschichten und Prophezeihungen, Melodieen 29, er ist ein [440] Fruchtbaum, auf den eine milde Gärtnerhand weiße und rothe Rosen eingeimpft zur Bekränzung. Jeder kann da, was sonst nur wenigen aus eigner Kraft verliehen, mächtig in das Herz der Welt rufen, er sammelt sein zerstreutes Volk, wie es auch getrennt durch Sprache, Staatsvorurtheile, Religionsirrthümer und müßige Neuigkeit, singend zu einer neuen Zeit unter seiner Fahne. Sey diese Fahne auch nicht gestickt mit Trophäen, vielleicht nur das zerrissene Segel der schiffenden Argonauten, oder der versezte Mantel eines armen Singers 30, wer sie trägt, der suche darin keine Auszeichnung, wer ihr folgt, der finde darin seine Schuldigkeit, denn wir suchen alle etwas Höheres, das goldne Flies, das allen gehört, was der Reichthum unsres ganzen Volkes, was seine eigene innere lebende Kunst gebildet, das Gewebe langer Zeit und mächtiger Kräfte, den Glauben und das Wissen des Volkes, was sie begleitet in Lust und Tod, Lieder, Sagen, Kunden, Sprüche, Geschichten, Prophezeihungen und Melodieen, wir wollen allen alles wiedergeben, was im vieljährigen Fortrollen seine Demantfestigkeit bewährt, nicht abgestumpft, nur farbespielend geglättet, alle Fugen und Ausschnitte hat zu dem allgemeinen Denkmahle des größten neueren Volkes, der Deutschen, das Grabmahl der Vorzeit, das frohe Mahl der Gegenwart, der Zukunft ein Merkmahl in der Rennbahn des Lebens: Wir wollen wenigstens die Grundstücke legen, was über unsre Kräfte andeuten, im festen Vertrauen, daß die nicht fehlen werden, welche den Bau zum Höchsten fortführen und Der, welcher die Spitze aufsetzt allem Unternehmen. Was da lebt und wird, und worin das Leben haftet, das ist doch weder von heute, noch von gestern, es war und wird und wird seyn, verlieren kann es sich nie, denn es ist, aber entfallen kann es für lange Zeit, oft wenn wir es brauchen, recht [441] frig ihm nachsinnen und denken. Es giebt eine Zukunft und eine Vergangenheit des Geistes, wie es eine Gegenwart des Geistes giebt, und ohne jene, wer hat diese?
Berlin im Januar 1805.
Ludwig Achim von Arnim.