Der Dämon des Sokrates

1856.


Sokrates, der große Geisteskämpfer,
Hatte einen Flüstrer und Erreger,
Einen Weiser, Leiter, Halter, Dämpfer
Und auch Diener und Laternenträger,
Wo es galt durch Finsternis zu wanken.
Dieser Ohrenflüstrer, Haucher, Lauscher,
Aller seiner Triebe und Gedanken
Kluger Mitdurchsprecher, Gegentauscher
Galt ihm, wie uns andern das Gewissen;
Dämon schalt er ihn und all sein Wissen,
All sein Ahnen, Lieben, Denken, Wollen –
Wie in uns auch Geisterchen sich rollen –
Schob er diesem Führer zu und Folger.
Ach! ruft jeder, lebt noch wo ein solcher?
Sind sie denn erloschen, jene Sterne,
Woher solche Folger Menschen kamen?
O ihr Gaffer, Greifer in die Ferne!
Könnt ihr des Begleiters kurzen Namen,
Jenes weisen, gottgeweihten Griechen,
Euch in gutes Deutsch nicht übersetzen?
Müsset durch den Hochmut doppelt siechen?
Drum herunter von den hohen Stufen!
Auf die Bank der Schüler mit der Fibel!
Dort wird auch der Kleinste lachend rufen:
Das war ja der Engel aus der Bibel.

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TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Gedichte. Gedichte. Der Dämon des Sokrates. Der Dämon des Sokrates. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-05E6-A