Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein

1
Du grüner Zweig, du edles Reis,
Du honigreiche Blüte,
Du aufgetanes Paradeis,
Gezweig mir eine Bitte.
Laß meine Seel ein Bienelein
Auf deinen Rosenwunden sein.
[113] 2
Ich sehne mich nach ihrem Saft,
Ich suche sie mit Schmerzen,
Weil sie erteilen Stärk und Kraft
Den abgematt‘ten Herzen.
Drum laß mich doch ein Bienelein
Auf deinen Rosenwunden sein.
3
Ihr übertrefflicher Geruch
Ist ein Geruch zum Leben,
Vertreibt die Gift, verjagt den Fluch
Und macht den Geist erheben.
Drum laß mich wie ein Bienelein
Auf diesen Rosenwunden sein.
4
Ich nahe mich mit Herz und Mund,
Sie tausendmal zu küssen,
Laß mich zu jeder Zeit und Stund
Den Honigsaft genießen.
Laß meine Seel ein Bienelein
Auf diesen Rosenwunden sein.
5
Ach, ach, wie süß ist dieser Tau,
Wie lieblich meiner Seele!
Wie gut ists sein auf solcher Au
Und solcher Blumenhöhle!
Laß mich doch stets ein Bienelein
Auf diesen Rosenwunden sein.
6
Nimm mein Gemüte, Geist und Sinn,
Leib, Seel und was ich habe,
Nimm alles gänzlich von mir hin,
[114]
Gib mir nur diese Gabe:
Daß ich mag stets ein Bienelein,
Herr Christ, auf deinen Wunden sein.

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TextGrid Repository (2011). Angelus Silesius. Gedichte. Heilige Seelenlust oder geistliche Hirtenlieder. Zweites Buch. 52. Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein. 52. Die Psyche begehrt ein Bienelein auf den Wunden Jesu zu sein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-E444-2