Café-Chantant

Nach dem Souper. Der junge Gatte sitzt in einem niedrigen Fauteuil, raucht Caravopoulo, Cigarettes des Princesses. Die junge Dame hockt neben ihm, hat ein schwarzes seidenes Kleid an, der Hals ist entblösst, umrandet von einer Tüllkrause, die mit weissen Perlen bestickt ist. Sie stützt die Elbogen auf die Kniee, den Kopf auf die Handrücken, schaut zum Gatten auf. Plötzlich legt sie die Hand wie schmeichelnd, bittend, auf die seine – – –.

»Was hast Du – – –?!« sagt er sanft, »bist Du müde, hast Du Dich nicht amüsirt?! Du hast ja so gelacht – – –!? Pupperl, Gutes, Braves – – –!«

»Was ist denn mit Dir – – –?!« sagt er, »Anita – – –?!«

»Nichts – – –. Wir sind schwerfällige Wesen, ja, das sind wir. Können wir stehen, gehen, uns verneigen – – –?! Die Aristokraten können es, die sind elastisch. Nichts von sich spüren, wie schön wäre das – – –!«

[83] Er lächelt, sagt: »Woran denkst Du?! Womit beschäftigst Du Dich?! Die Katzen waren reizend, besonders die hellgraue. Diese Dressur – – –!«

»Katzen sind graciös, leichtfüssig, beweglich,« sagt sie, »man erzählt, dass viele Dichter Katzen liebten, ich verstehe das, sie sind beweglich wie die Künstlerseelen, Nichts hält sie auf, sie gleiten – – –. Wir aber sind schwerfällige Wesen, gut für den Hausgebrauch, so »Wäschezettel-Controlleusen«! Sage »ja« –! Denkst Du an die hellgrauen Katzen?! Ich denke nicht an diese – – –.«

Er: »Du bist wie Einer, der vom hellen Lande zurückkehrt, von einer Heimath, von Musik – – –. Was ist es?! Ich nehme Dich nie mehr mit – –. Nein, ich mache nur Spass. Wenn Du Dich amüsirt hast!? Hast Du Kopfweh, Anita?!«

»Nein – – –. Wo ist die Bewegung hingekommen, die überall ist wo etwas Schönes wird?! Die Schwalben zum Beispiel, die Leoparden, die Dichter –! Die Griechen liefen und die Erde rennt wie rasend um die Sonne und um sich. Darum ist das Alles schön. Auch das Wasser rennt, fliegt. Und wenn es nicht fliegt, wird es ein Sumpf. Wir aber sind schwerfällige Wesen – –. Ah, Chanteuse drolatique, Danseuse – –!«

Er: »Mademoiselle Paquerette?! Die ›Excentrique‹ – – –?!«

Sie: »Was ist die Duse? Bewegung! Mitterwurzer? Bewegung! Rubinstein?! Bewegung! Bewegung[84] – –! Wie wunderbar war diese »übermüthige Laune der Gelenke«!«

Er: »Anita – – –!«

Sie: »Ja, mademoiselle Paquerette ist die Bewegung, die Bewegung, die ihre eigene Orgie feiert, die vor überschüssiger Kraft excedirt, sich ironisirt, sich überschlägt, sich schüttelt und vor Lachen über sich selbst zerplatzen möchte. Ein Gamin ist sie, ein Mäderl, ein Püppchen, ein Genie, ein Kreisel, ein Lebendiges! Kann die altern?! Das ist so schön – – –! Wie die Natur sein! Ich glaube, Katzen merkt man das Alter nicht an. Und Dichtern – – –?! Paquerette wird nie alt werden! Wie stürzendes Wasser ist sie –. Wir aber sind schwerfällige Wesen. Sage »ja« – –!«

Er: »Paquerette ist die ›Gracie im Rausche‹, die Gracie, die übermüthig geworden ist und schwankt –.«

Sie: »Nein, sie ist das Leben einfach, wie es sein sollte, überall – – –. Alles wirklich, tief vom Innersten heraus Lebendige, hat seine Räusche, seine Exaltationen, seine Excentricitäten, seine Thorheiten, seine Kindlichkeiten! Paquerette repräsentirt eine Fülle, einen Ueberschuss. Das ist so wunderbar überall wo wir es antreffen, dieses reizende Ueberschüssige im Leben, an Geist, an Seele, an physischer Bewegung! Wir aber haben das »Nothwendige« dieses kriechende »Nothwendige«, in Allem! Oh sage »ja« –.«

Er: »Liebes, Herziges, Du bist ja ganz aus dem Häuschen. Du liebst Paquerette!«

[85] Sie: »Jawohl ich liebe sie. Bist Du eifersüchtig?!«

Er: »Beinahe – – –.«

Sie: »Ich liebe mich in ihr, sie ist gleichsam eine Seite unseres Wesens, die im Leben verkümmert, nicht zur Entwickelung kommen kann im schweren Dasein. Ich möchte manchesmal so etwas laut Lachendes sein zum Küssen, Etwas wie ein gewordenes Räuschchen, ein kleine Puppe, die mit den Beinen strampelt – –.«

Sie stützt den Kopf in die Hand.

Er: »Was hast Du – – –?!«

»Nichts – – – – –. Liebst Du mich noch?

O sage »ja« – – –. Ich habe aber gar keine Bewegung – – –.«

Er: »Ist Schwärmerei nicht Bewegung der Seele, Liebste?! Und Du kannst so schön schwärmen für diese danseuse drolatique – – –!?«

Sie: »Guter – – –! Bester!«

Er küsst sie sanft auf die Haare – – –.

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Wie ich es sehe. Frau Fabrikdirektor von H.. Café-Chantant. Café-Chantant. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D9EB-3