Lohn des Verbrechens
Es war im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts als Graf Adolph V. zu Holstein und Wagrien regierte, und durch Handlungen der Gewaltthätigkeit und des frechen Uebermuths sich die Herzen der Edlen seines Landes entfremdete.
Da seine Ueppigkeit sich mit dem reichen Einkommen seiner Lande nicht begnügte, so sendete er oft seine Diener dreist in die Wohnungen seiner Vasallen, ließ ihr Getraide dreschen und hinwegführen, und ihr Vieh von dannen treiben, damit er schwelgen möchte, während jene traurig der ihnen entrißenen Haabe nachblickten, und darben mußten.
Dies räubermäßige Verfahren wiederholte sich so oft, daß einst einer der Edelleute, dem es widerfuhr, in gerechtem Unwillen entbrannte. Wie aber die barbarische Sitte der damaligen Zeit eine Genugthuung darin fand, den Schuldigen wie den Unschuldigen zu bestrafen, so schickte er die in solchem Auftrag [162] abgesandten Boten mit abgehauenen Händen und Füssen ihrem Gebieter wieder zu, in ihrer traurigen Verstümmelung ihm zur Warnung vor künftigen Ungerechtigkeiten zu dienen.
Doch nicht nur nach den gemeineren Gütern des Lebens stand lüstern des Grafen Sinn. Auch jene höheren, deren Verlust das Herz und die Ehre zerreißt, maaßte er sich an, und verspottete noch oft voll schnöden Hohns die unersetzlich Beraubten.
So begab es sich, das Hartwig R ........, ein sehr reicher, und unter dem Adel des Landes in hohem Ansehen stehender Mann, eine Tochter hatte, deren holder Liebreitz jeden, der sie sah, entzückte, und die Wonne des Vaterherzens war.
Obgleich seinem Stolz die Möglichkeit, daß auch auf sie das begehrende Auge des wollüstigen Grafen fallen könne, nur als bange Ahnung vorschwebte, so verbarg er doch sein theures Kleinod in den tiefsten Schatten der Häuslichkeit, um jeglicher Gefahr zu entgehen, und stets wenn der Graf gastlich seine Schwelle betrat, mußte sie auf seinen Befehl in ihrem still verborgenen Gemach bleiben, bis er wieder von dannen gezogen war; denn Hartwig meinte, die Luft, wo Adolph athme, sey kein wohlthätiges Element für eine unbescholtene Jungfrau.
Indessen erreichte, trotz so sorgsamer Vorsicht, dennoch die Kunde des Grafen Ohr, daß das Fräulein an blühender Schönheit und Anmuth weit umher die Töchter des Landes übertreffe, und die Neugier, sie zu sehn, verschmolz alsobald mit dem brennenden Verlangen, sie zu besitzen, in seiner Seele.
[163] Doch schwieg er gegen Hartwig, und schien es nicht einmahl zu wissen, daß er eine Tochter habe, indeß seine Kundschafter, und die Diener seiner Lüste, denen er seine Wünsche entdeckt hatte, ihre Zeit einst wahrnahmen, und, als das Fräulein in der Abwesenheit ihrer Eltern sich im Mondschein erging, gleich Räubern über sie herfielen, und sich ihrer bemächtigten. Von der Dämmerung begünstigt, brachten sie sie, ohne daß es jemand gewahrte, nach Segeberg zu ihrem Herrn auf sein Schloß, wo er in unterirrdischen Gemächern, in denen der Klageruf der Angst ungehört verhallte, sie mit der größten Heimlichkeit als ein Opfer seiner Willkühr sich bewahrte.
Als nun Hartwig mit seiner Gattin nach kurzer Entfernung heimkehrte, und den Liebling vermißte, der ihm sonst so froh entgegen eilte – als die verstörten Diener zagend herbei schlichen, ihm die traurige Nachricht zu verkünden, daß sie verschwunden sey – als er sammt all' den Seinigen Wald und Gehege, und Stadt und Land durchforscht, und nirgends sie gefunden hatte – da bemächtigte sich seiner eine Betrübniß, von welcher man fürchtete, sie werde ihm – wenn auch nicht das Leben, doch die Vernunft kosten.
Da kam Graf Adolph mit heuchlerischer Theilnahme zu ihm, hatte von seinem Kummer gehört, und ließ sich die Veranlassung desselben recht umständlich erzählen, gleißnerisch versprechend, daß er aufbieten wolle, was nur immer in seiner Macht stehe, ihm abzuhelfen.
Und wirklich sandte er auch seine Diener aus, [164] die scheinbar suchen mußten, wo die Vermißte nicht zu finden war, und als sie unverrichteter Sache wiederkehrten, wurde ihm noch der warme, gerührte Dank des unglücklichen Vaters, dem das herzliche Eingehen seines Herrn in seinen Schmerz, wenigstens eine schwache Linderung desselben gewährte.
So vergingen einige Jahre, und der Trost der Religion, vielleicht auch die Hoffnung, das dunkle Räthsel werde sich dereinst noch freudig lösen, erhielt Hartwig allein noch unter den Lebendigen. Da saß er eines Abends mit seiner abgehärmten Hausfrau allein, und sie sprachen, wie immer, von ihrem verlornen Kinde, und nährten durch Seufzer und Weinen ihren nimmer schlummernden Gram, als es dreimahl an ihre Thür klopfte, und sie draussen ein leises Stöhnen vernahmen.
Aengstlich schauerte die Mutter zusammen, denn ihr war, als entdecke sie in diesem Klagelaut die Stimme ihrer Tochter, und da Mitternacht, die Stunde der Gespenster nicht mehr fern war, wähnte sie, ihr abgeschiedener Geist nahe ihr, noch einmahl sie kindlich zu begrüßen, und ihr Valet zu sagen, ehe er Ruhe fände in der Wohnung der Seligen.
Auch Hartwig schien diese Meinung zu theilen, wenn gleich sein festerer männlicher Sinn sie nicht eingestand. Denn auch ihm war das Blut aus den Wangen gewichen, und sein Haar sträubte sich empor – auch versah er sich dreimahl mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes, ehe er sich hinbegab, die Thür zu öffnen.
Und siehe, da wankte eine Gestalt herein, deren [165] tief gesunkene, erloschene Augen, die eingefallenen, aschfarbigen Wangen, und schneeweiß erblichenen Lippen nur wie ein Traum, an das weiland strahlende Antlitz ihrer Tochter erinnerten.
Und sie war es dennoch, aber verschwunden war die liebliche Fülle der Jugend, und abgestreift die rosige Blüthe der Gesundheit. In ein klägliches Geripp verwandelt, hatte alle Kraft sie verlassen, und die unschuldsvolle Fröhlichkeit, die sie sonst wie eine Glorie umleuchtete, war untergegangen in Krankheit und zehrendem Gram.
Da huben Vater und Mutter ihre gerungenen Hände gen Himmel, und riefen voll Entsetzens: Bist Du es, Du Kind der Schmerzen! das vor uns steht, kaum noch ein Schatten dessen, was es einst war? – Und wenn Du es wirklich bist, wo hast Du so lange geweilt, während wir Dich suchten voll unaussprechlichen Jammers? – Oder riß Dich ein furchtbares Schicksal aus der Reihe der Lebenden bereits hinweg, und kommst Du vielleicht aus dem Grabe, Deinen trauernden Eltern zu verkünden, daß Du nicht mehr der Erde angehörst? –
Aus dem Grabe meiner Unschuld komm' ich, versetzte das Fräulein mit dem tiefen Tone einer hohlen Brust – laßt mich für die morsche, entehrte Hülle, so vor Euch steht, eine stille Ruhestätte in der Gruft unserer Ahnen erflehen.
Sie sank bei diesen Worten schier leblos zu den Füßen ihrer Eltern nieder, und es währte lange, ehe ihre erkalteten Glieder sich wieder zu regen begannen, und ihr stillgestandenes Herz in matten [166] Schlägen verkündete, daß es noch nicht ganz gebrochen sey.
Man brachte sie auf ein Ruhebett, und suchte durch Stärkungen aller Art ihre entflohenen Lebensgeister zurück zu rufen, und fest zu halten, denn sie waren bereits auf dem Wege nach einer schöneren Heimath begriffen. Auch glimmte der matte Funken ihres Lebens nur noch so lange, bis sie die Gräuel, ihres finstern Geschicks den Ihrigen enthüllt, und ihnen entdeckt hatte, wie Graf Adolph sie habe rauben, und in die tief verborgene Gewahrsam seines Schlosses bringen lassen, wo, als sie hartnäckig seinen Versuchungen widerstanden, er mit Gewalt sich ihrer bemächtigt, und sie zu seinem frevelhaften Willen gezwungen habe. Die Frucht dieser verbrecherischen That sey ein Knäblein, von dem sie vor wenig Monaten genesen.
Wohl habe sie gehofft, die Geburt des im Fluch der Schande erzeugten Kindes werde sie tödten, und diese Vorstellung, sey der einzige Trost, die einzige Linderung ihrer schwarzen Verzweiflung gewesen. Aber umsonst. Leicht habe der Himmel sie ihrer Bürde erledigt, und als sie nun zum erstenmal den Knaben erblickt, den sie unter ihrem Herzen getragen, da sey die Rinde dumpfer Fühllosigkeit von ihrem Innern gewichen, und unter heißen Thränen ihn an ihre Brust legend, habe sie geahnet, wie einer Mutter zu Muthe sey.
Doch, als die Aehnlichkeit seiner Züge sie an seinen verabscheuten Vater erinnert, da habe der Haß gegen den Räuber ihrer Ehre und ihres Glücks [167] sich auch über ihn, den Unschuldigen, erstreckt, und oft ihr den Höllengedanken eingehaucht, ob es nicht wohlgethan sey, ihre Hände mordend mit seinem Blute zu beflecken.
Allein Gott habe sie gnädiglich vor solcher Missethat bewahrt, indem er ihr Gelegenheit gegeben, dem Schauplatz ihrer Schmach zu entrinnen.
Denn als man sie in ihrer tiefen Ermattung scheinbar ruhig gesehn, sey man weniger sorgsam als vorher im Verschließen der Thüren gewesen, indem man vielleicht geglaubt habe, die Beschäftigung mit dem Kinde gnüge ihrem sonst sich so ungestüm nach Freiheit sehnenden Herzen jetzt. Und so sey sie heute in der Dämmerung entwischt, und mit der Anstrengung ihrer letzten Kraft über Thal und Höhen, und durch Moor und Dickicht dahin geeilt, um noch einmahl zu den Füßen ihrer Eltern zu knieen, ihren Segen zu empfangen, und zu sterben. Den Knaben aber habe sie zurück gelassen. Denn als sie ihn schon aus seinem Bettlein empor gehoben, fest entschlossen, auch ihn diesem Abgrund der Sünde und des Schimpfs zu entreißen, habe er mit den Augen seines verruchten Vaters sie angeblickt, und mit seinen Mienen ihr zugelächelt – und ein eiskalter Schauder sey sofort lähmend durch alle ihre Glieder gerieselt, und habe sie gezwungen, ihn wieder hinzuwerfen, und ihn seinem Schicksal zu überlassen.
Unter Schluchzen und Jammern hatte dem Fräulein die Mutter, mit stummem Knirschen der Wuth der Vater zugehört. Doch suchte er sich zu fassen, und seinen unbändigen Zorn zu verhehlen, [168] um das schuldlose Schlachtopfer so unerhörten Frevels nicht noch schmerzlicher zu beugen. Er ermunterte sie väterlich, sich zu schonen, und Muth zum Weiterleben zu fassen. Aber sie richtete die tief gesunkenen Augen blitzend auf ihn, und sagte: Kann mein Vater wünschen, daß seine beschimpfte Tochter noch länger ein Daseyn schleppe, das ihr zur Last, und der Familie zur Schande gereicht? Nein – so lange der Name R ........ unter dem Adel des Landes prangt, hat noch keine seiner Töchter ihn entehrt, und ich, in deren AdernEuer Blut rollt, die Ihr nach Euern Grundsätzen erzogen – ich könnte mit dem schaalen Trost mir gnügen lassen, daß ich nur der Gewalt unterlag, und unwillkührlich so schmachvolle Befleckung trug? Nein – verachtet mich nicht so tief, indem Ihr dies von mir glaubt, und gönnt mir die Freude, zu merken, daß mein letztes Stündlein nahet. Wohl mir, daß es erst schlägt, nachdem ich Euch wieder gesehn, und das schreckliche Geheimniß meines Schicksals Euch enthüllt habe. In Eure Hände lege ich das theuerste Kleinod einer Jungfrau nieder, das es nächst der Tugend giebt – meinen guten Namen. – Retten könnt' Ihr ihn nicht mehr – aber rächen!
Es war bei diesen letzten Worten dem Vater, als falle ein Tropfen Balsam kühlend in die brennende Wunde seines Innern, und Licht ging in der Nacht auf, die seine Zukunft verhüllte. Rache, Rache! ja, dieser Begriff gab Antwort auf die dunkle Frage seiner Seele, wie er förder ein so geschändetes, und seiner Zierde beraubtes Leben, als das seine, ertragen[169] werde. Er faßte die schon erkaltende Hand seines Kindes, von der er gehofft hatte, sie werde sanft einst am Abend seiner Tage das lebensmüde Auge ihm schließen, und in der glühenden Thräne mit der er sie benetzte, sprach ohne Laut das Gelübde sich aus, den schmählichen Untergang der Holden zu rächen.
Eilig sandte er seine Diener umher, seine Brüder herbei zu rufen, daß sie die gräßliche Geschichte vernehmen, noch einmahl seinen sterbenden Liebling sehen, und dann mit ihm berathschlagen möchten, auf welche Weise er am sichersten die Schandthat des Grafen zu ahnden vermöge. Aber ehe sie noch kommen konnten, war seine zarte Rose bereits verblichen.
Unterdessen hatte die Flucht des Fräuleins den Grafen furchtbar erschüttert, und aus der sicheren Ruhe empor geschreckt, in der er die Früchte seines Verbrechens zu genießen hoffte. Er ließ einen seiner Vertrauten gleichsam zufällig bei Hartwigs Bruder einsprechen, um zu erfahren, welchen Eindruck die Erscheinung der beschimpften Tochter auf den stolzen Vater, und auf die ganze, unbefleckte Ehre als das Element ihres Daseyns achtende Familie gemacht habe, und dieser traf gerade mit Hartwigs Boten zusammen, der die schreckliche Nachricht dieses Unglücks ihm hinterbrachte.
Außer sich im ersten Schmerz dieser tiefen Kränkung stieß Hartwigs Bruder die entsetzlichsten Verwünschungen gegen Adolph aus, und da dessen gleißnerischer Diener, um seine wahre Gesinnung in ihrem ganzen Umfang heraus zu locken, sich stellte, als [170] ob er die grrechte Entrüstung über solche Frevelthat theile, und gesonnen sey, ihm seinen Beistand zu gewähren, so hielt er die Drohung nicht zurück, diesen Schandfleck seines Hauses mit dem Blute des Verruchten abwaschen zu wollen. Hierauf warf er sich auf sein Pferd, um zu seinem unglücklichen Bruder zu eilen, und des Grafen Vertrauter kehrte mit den erschlichenen Nachrichten nach Segeberg zurück.
Zwar hatte Adolph wohl erwartet, von tiefer Betrübniß, und von Jammer und Wehklagen zu hören, nicht aber, daß der Zorn den Schmerz noch überwiegen, und die Kühnheit seiner Vasallen bis zu der Möglichkeit des Gedankens steigern werde, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
Schon weit genug vorwärts geschritten auf der Bahn des Verbrechens, und hinlänglich geübt in frevelhaften Handlungen, glaubte er seine Sicherheit durch eine rasche, Furcht und Scheu einflößende That begründen zu müssen.
Als er daher nun auch noch den Tod des Fräuleins und die bei ihrer Bestattung laut wiederholten Flüche ihrer Angehörigen, besonders des Bruders von Hartwig über ihn vernahm, ließ er diesen durch seinen Vertrauten unter einem listigen Vorwand in die Nähe von Segeberg locken, gefangen nehmen, und auf sein Schloß führen.
Hier ward ihm öffentlich unter dem Schein rechtlicher Anklage, im Schloßhof die Beschwerde des Grafen über so unziemende Aeußerungen bekannt gemacht, als Ankläger derselben, und zugleich als Zeuge der Elende ihm entgegen gestellt, der früher[171] schon unter der Maske der Theilnahme seine Gesinnungen erspäht, und nun ihn in die Falle gelockt hatte, und hierauf das Urtheil des Grafen, daß er enthauptet werden solle, auf der Stelle an ihm vollzogen.
Nicht sich mit der Ausübung dieser tyranischen That begnügend, fügte Adolph noch frechen Hohn zu seiner Grausamkeit. Das bluttriefende Haupt des Ermordeten in eine Schaale legend, sandte er es an Hartwig, mit dem Bedeuten, daß es gleichermaaßen allen denen ergehen solle, die es wagen würden, ihn zu schmähen, und seine Handlungen zu tadeln. Er glaubte durch diesen Trotz zu schrecken, und durch die Oeffentlichkeit, mit welcher er sich zu seinem gewaltsamen Verfahren bekannte, einen Schein des Rechts und der Bestrafung eines erlittenen Unglimpfs sich anzumaaßen, wenigstens durch Furcht vor seiner Macht und Willkühr die rachebrütenden Gedanken seiner Gegner in die Schranken demüthiger Unterwürfigkeit zurück zu lenken.
Aber er hatte sich verrechnet. Hartwig war von seinen Verwandten und Freunden umgeben, und wartete nur auf die Zurückkunft seines Bruders, um endlich einen Entschluß zu fassen, der ihm und seinem Hause Genugthuung brächte, als die Abgesandten des Grafen heransprengten, ihm die verdeckte Schaale zu überreichen.
Und als die Hülle sich verschob – als das ihm so nah verwandte Blut noch gleichsam warm ihm entgegen rauchte – als die drohenden Worte des Schändlichen, die diese Sendung begleiteten, wie [172] Hohngelächter der Hölle in sein Ohr hallten – – da zuckte jede seiner Muskeln vor grimmiger, lechzender, rasender Wuth, und das stiere Auge fest und unverwandt auf diesen jammervollen Anblick heftend, faßte er das rinnende Blut in seiner Hand auf, trank es, und sprach mit einem Tone, der – als sey er die Stimme des Weltgerichts – die Nerven der Umstehenden durchbebte: Saget dem Grafen, daß ich bei dem Blute meines Bruders, das ich jetzt gekostet, ihm schwöre, daß ich dessen Tod und den Schimpf, den er mir und meinem Geschlecht angethan, an ihm rächen wolle, so wahr mir Gott helfe, und ich von ächtem, makellosem Adel bin. Wenn ich diesen Eid breche, möge das Gespenst meiner geschändeten Tochter mich jegliche Nacht ruhelos umher jagen, das Blut, das ich eben trank, zu glühendem Erz in meinem Leibe werden, und meine Seele dereinst den höllischen Mächten anheim fallen.
Schaudernd wandten die Diener des Grafen sich ab, und spornten ihre Rosse heimwärts – und als sie wie auf Flügeln des Sturmwinds dahin flogen, war es ihnen, als folge ihnen der Donnerton seiner Stimme, und als lähme der Nachhall seines Fluches grausend jegliche Kraft in ihnen, und verlösche den Muth ihres Busens.
So verstört, und todtenbleich traten sie vor ihren Herrn, und verkündeten ihm, welcher Auftrag ihnen geworden.
Da ergriff auch ihn die unsichtbare Hand der Vergeltung mit eisigem Schauer, trieb das frische Roth von seinen Wangen, und machte sein Gebein [173] erbeben, als schüttele es Fieberfrost. Und die Ueberzeugung, daß Hartwig Wort halten werde, geistre ihn fortan gleich einer Furie durchs Leben, raubte ihm Nachts den gesunden Schlaf, oder verbitterte ihn durch ängstliche Träume, und ließ alle Genüsse, in denen er sonst schwelgte, ihm nun schaal und unschmackhaft erscheinen, die Lust der gegenwä tigen Stunde nicht genießend, weil er stets vor der kommenden erzitterte. Mit der sorgfältigsten Vorsicht suchte er der Möglichkeit jeder Gefahr zuvor zu kommen. Kein Unbekannter durfte ihm nahen, kein Gewaffneter vor ihm erscheinen, und stets, wenn er öffentlich sich zeigte, umgab ihn eine Schaar geprüfter Diener gleich einem sichern Wall, den der Feind erst durchbrechen mußte, um den Weg zu seinem Herzen zu finden.
So geizig, oder wenigstens habsüchtig er sonst war, so suchte er doch durch eine wahrhaft fürstliche Freigebigkeit diejenigen, denen er seine Sicherheit anvertraute, seinem Vortheil geneigt zu machen, und ihre Wachsamkeit für ihn stets rege zu erhalten.
Daher begab es sich, daß mehrere Jahre vergingen, ohne daß Hartwig den fest beschwornen Vorsatz seiner Rache auszuführen im Stande war. Denn wie mit eisernen Pallisaden hatte der Graf durch seine Wachen einen Kreis um sich gezogen, den weder List noch Gewalt zu durchdringen vermochte, und keiner, der ihn allein zu sprechen begehrte, erhielt Zutritt, er habe sich denn erst einer genauen Prüfung seiner Diener unterworfen, und seiner Waffen begeben.
[174] Unterdessen war Hartwigs treue Hausfrau gestorben, die seit dem Verlust der geliebten Tochter, in stiller Trauer sich verzehrend, stets gekränkelt hatte. Der Anblick ihrer Leiden, und die fromme Geduld, mit welcher sie dieselben trug, beschwichtigte fürs erste seinen Sinn, der sich an ihrem erbaulichen Krankenlager erweicht, und vom Irdischen abgezogen fühlte. Auch war es ihr tröstlich, ihn immer neben sich zu sehn. An der Pforte des Grabes dünkte so manches ihr anders, als in der Fülle der Gesundheit, und sie bemühte sich, die Duldsamkeit und stille Ergebung mit welcher die Nähe ihres Todes sie erfüllte, auch dem Gemüth des geliebten Gatten einzuflößen.
Lebhafter aber als ihre sanften Ermahnungen wirkte die Gewißheit auf ihn, daß, wenn er jetzt eine rasche That gegen Adolph unternähme, die unausbleiblichen Folgen derselben, den Frieden ihrer letzten Stunden vergiften würden.
Als nun aber die milden Augen sich schlossen, die so manchmal gleich zwei hehren Sternen Beruhigung in den Sturm seiner Leidenschaft blickten – als ihn nun nichts mehr band an den heimathlichen Heerd, jetzt so verödet – als er sich völlig verlassen, völlig vereinzelt im Leben sah, und daß alles durch Ihn, den seine Seele verabscheute – da wachten die Rachegedanken, die er bisher zur Ruhe verwiesen, weil sich keine Gelegenheit fand, sie in That zu verwandeln, mit verdoppelter Gluth wieder in ihm auf, und er brütete stets in seiner dumpfen Einsamkeit über Entwürfe, geeignet, ihn zum Ziel zu führen.
[175] Da vernahm er, daß des Grafen Leibjäger sehr oft früh vor Sonnenaufgang in einem nahe gelegenen Walde verweile, dem Wilde nachzuspüren, und hierauf baute er den Plan, mit dessen Ausführung er nicht säumte.
Er hatte im Stillen erforschen lassen, wo er sich gewöhnlich aufhielt, und als er einst wieder in aller Frühe kam, dem Waidwerk obzuliegen, fand er sich selbst umgarnt, und von der Mehrzahl überwunden, gefangen.
Hartwig befahl, ihm kein Leid zuzufügen, sondern nur sich seiner Kleider, seines Pferdes, und seines Hundes zu bemächtigen, ihn selbst aber einstweilen in des Waldes Stille festzuhalten, bis er wieder käme, ihn zu befreien.
Hierauf legte er den Rock des Jägers an, warf ein Reh über seine Schultern, und ritt, von dem Hunde begleitet, auf dem erbeuteten Pferde nach Segeberg, wo die Wache, die den Eingang des Schloßhofes hütete, ohne allen Widerstand ihn einließ.
Er band darauf sein Pferd an, und ging wie er wußte, daß es der Jäger zu thun gewohnt war, die Stiegen des Schlosses hinauf, die zu des Grafen Schlafgemach führten, als wolle er das erlegte Wild ihm zeigen. Mit dem Schweiße desselben hatte er sein Gesicht blutig gefärbt, um sich zu verstellen, und tief den geraubten Hut in die Augen gedrückt; daher glaubten die Diener wirklich, es sey ihr Gefährte, der Jäger, und ließen ihn sorglos und sonder Mißtrauen gewähren.
Als er nun in das Zimmer trat, das an das [176] Schlafgemach des Grafen gränzte, stand ein holdes Knäblein in Pagentracht, Wache haltend vor der Thür desselben. Es mochte nur erst wenige Jahre zählen, denn er war klein von Wuchs, und zart von Gliederbau, aber gereiften Geistes, und entschlossenen Muthes.
Als es ihn erblickte, rief er mir gellender Stimme: Wer bist Du, fremder Mann, der Du so blutig aussiehst, und so tiefe Furchen auf Deiner Stirn hast, als wollest Du schelten? Du bist nicht meines Herren Jäger, das sehe ich wohl; hebe Dich weg von hier, denn Du hast Böses im Sinn.
Da schleuderte Hartwig das Knäblein seitwärts und als es sich eiligst aufmachte, wieder zu kehren, und mit ausgespreizten Armen ihm tapfer den Weg zu versperren, stieß er ihm das Schwerd in den zarten Leib, daß das Blut an die Wand spritzte, und trat ungehindert in die Kammer.
Dort lag der Bösewicht in seinem Bette, und zitterte vor dem nahenden Gericht, denn er hatte des Knaben Reden und seinen Fall vernommen, aber feige, wie das Laster gewöhnlich ist, wenn die gerechte Strafe hereinbricht, regte er sich nicht zu Gegenwehr oder Widerstand, denn er wußte wohl, er sey nun verloren.
Und furchtbar, wie der Engel der Vergeltung schritt Hartwig auf sein Lager zu. Befiehl Dich Gott, denn Du mußt jetzt Deiner Missethat halber sterben, rief er, und bohrte ihm das Schwerdt, das noch von dem Blute des Kindes geröthet war, dreimahl in die Brust, daß ihm der Athem verging.
[177] Als er das gethan, ward er ruhiger, denn er fühlte, sein Eid sey gelöset, sein Werk vollbracht. Er wollte sich hinweg begeben. Wie er aber wieder hinaus trat ins Vorgemach, da wand sich der Kleine noch in Todeszuckungen zu seinen Füßen, und als er jezt still, leeren Sinnes ihn anschaute, erblickte er die Züge des Grafen mit den Mienen seiner Tochter in anmuthiger Verjüngung verschmolzen, und ihn schauderte, denn eine weissagende Stimme in seinem Innern sagte ihm, er habe den Grafen zwiefach erschlagen, und zugleich seinen eigenen Enkel umgebracht.
Da verhüllte er sein Angesicht, und ging hinab, und schwang sich wieder aufs Pferd, glücklich vom Schloß entkommend. Und als er den Jäger wieder frei gelassen, nahm er Abschied von seiner Heimath, und wallfahrtete nach Rom, wo der Pabst ihm auferlegte, zur Buße des verübten Todschlags alle seine Haabe und Güter der Ehre Gottes zu widmen. Er erbaute davon ein Kloster, und stattete es aus, und legte sich dann neben die Seinigen zur ewigen Ruhe. Graf Gerhard der Große aber, Adolphs Bruder, nahm Segeberg in Besitz, und regierte lange allda in Frieden.
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