Vorwort.
Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser in Gestalt eines Romans gekleideten Bilder aus dem sechsten Jahrhundert enthalten meine in folgenden Werken niedergelegten Forschungen:
Die Könige der Germanen. II. III. IV. Band. München und Würzburg 1862–1866.
Prokopius von Cäsarea. Ein Beitrag zur Historiographie der Völkerwanderung und des sinkenden Römertums. Berlin 1865.
Aus diesen Darstellungen mag der Leser die Ergänzungen und Veränderungen, die der Roman an der Wirklichkeit vorgenommen, erkennen.
Das Werk ist 1859 in München begonnen, in Italien, zumal Ravenna, weitergeführt, und 1876 in Königsberg abgeschlossen worden.
Königsberg, Januar 1876.
Felix Dahn.
Erstes Buch: Theoderich
Erstes Kapitel.
Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach Christus.
Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunkeln Fläche der Adria, deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Höhenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekrönt von einem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist.
Es war still auf dieser Waldhöhe: nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter, und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben, die den ganzen Kreis der Seefestung umgürteten.
Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen, – Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes.
Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann, der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß, den Rücken an die höchste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in Einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte.
[] Lange saß er so: regungslos, aber sehnsüchtig wartend: er achtete es nicht, daß ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu fallen begannen, ins Gesicht schlug, und ungestüm in dem mächtigen, bis an den ehernen Gurt wallenden Bart wühlte, der fast die ganze breite Brust des alten Mannes mit glänzendem Silberweiß bedeckte.
Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder: »Sie kommen,« sagte er.
Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadt her dem Tempel näherte: man hörte schnelle, kräftige Schritte, und bald danach stiegen drei Männer die Stufen der Treppe herauf.
»Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!« rief der voranschreitende Fackelträger, der jüngste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme, als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos, der Vorhalle, erreicht.
Er hob das Windlicht hoch empor – schöne, korinthische Erzarbeit am Stiel, durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, und den gewölbten durchbrochenen Deckel – und steckte es in den Erzring, der die geborstne Mittelsäule zusammenhielt.
Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fließende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weiße Kleider: einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldne Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine römische Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt; weiße Lederriemen befestigten die Sandalen an den Füßen und reichten, kreuzweis [] geflochten, bis an die Kniee; die nackten, glänzendweißen Arme umzirkten zwei breite Goldreife: und wie er, die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen, die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente, die Linke in die Hüfte gestemmt, ausruhend von dem Gang, zu seinen langsameren Weggenossen hinunterblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche Göttergestalt aus seinen schönsten Tagen wieder eingekehrt.
Der zweite der Ankömmlinge hatte, trotz einer allgemeinen Familienähnlichkeit, doch einen von dem Fackelträger völlig verschiednen Ausdruck.
Er war einige Jahre älter, sein Wuchs war derber und breiter, – tief in den mächtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune Haar – und von fast riesenhafter Höhe und Stärke: in seinem Gesicht fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung, welche die Züge des jüngern Bruders verklärten: statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von bärenhafter Kraft und bärenhaftem Mut: er trug eine zottige Wolfsschur, deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt umhüllte, ein schlichtes Wollenwams darunter, und auf der rechten Schulter eine kurze, wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel.
Bedächtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgroßer Mann von gemessen verständigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwert und den braunen Kriegsmantel des gotischen Fußvolks. Sein schlichtes, hellbraunes Haar war über der Stirn geradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische Haartracht, die schon auf römischen Siegessäulen erscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heut' erhalten hat. Aus den regelmäßigen Zügen des offnen Gesichts, aus dem grauen, sichern Auge sprach besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe.
Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den[] Alten begrüßt hatte, rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme:
»Nun, Meister Hildebrand, ein schönes Abenteuer muß es sein, zu dem du uns in solch unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast! Sprich – was soll's geben?«
Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommnen wendend: »Wo bleibt der Vierte, den ich lud?«
– »Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise.«
»Da kömmt er!« rief der schöne Jüngling, nach einer andern Seite des Hügels deutend.
Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung.
Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz, das fast blutleer schien; lange, glänzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die großen, melancholischen dunkeln Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschornen Mund, den ein Zug resignierten Grams umfurchte.
Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift.
Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz, und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem, lanzengleichem Schaft. Nur mit dem Haupte nickend begrüßte er die andern und stellte sich hinter den Alten, der sie nun alle vier dicht an die Säule, welche die Fackel trug, treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann:
»Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte müssen gesprochen werden, unbelauscht und zu treuen Männern, die da helfen mögen.
[] Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: – euch hab' ich gewählt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehört habt, so fühlt ihr von selbst, daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht.«
Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an: »Rede,« sagte er ruhig, »wir hören und schweigen. Wovon willst du zu uns sprechen?«
»Von unsrem Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht.«
»Am Abgrund?« rief lebhaft der blonde Jüngling. Sein riesiger Bruder lächelte und erhob aufhorchend das Haupt.
»Ja, am Abgrund,« rief der Alte, »und ihr allein, ihr könnt es halten und retten.«
»Verzeih' dir der Himmel deine Worte!« – fiel der Blonde lebhaft ein – »haben wir nicht unsern König Theoderich, den seine Feinde selbst den Großen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fürsten der Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all seinen Schätzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?«
Der Alte fuhr fort: »Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herre und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist, – das weiß am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab' ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt: ›Das ist starke Zucht: – Du wirst Freude dran haben.‹
Und wie er heranwuchs – ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehütet, Leib und Seele. Und als er dieses schöne Land erkämpfte, bin ich vor ihm hergeschritten, Fuß für Fuß, und habe den Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten. Wohl hat er seither gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber klügere schwerlich und treuere gewiß [] nicht. Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wie überlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen.
Aber der alte Adler ist flügellahm geworden!
Seine Kriegsjahre lasten auf ihm – denn er und ihr und euer Geschlecht, ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen –: er liegt krank, rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die Ärzte sagen, wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag seines Herzens mag ihn töten wie der Blitz und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer stützt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: – ein Weib und ein Kind.«
»Die Fürstin ist weise,« sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert.
»Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh' uns, wenn sie im Sturm das Steuer halten soll.«
»Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter,« lachte der Fackelträger und schüttelte die Locken. »Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder versöhnt, der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt, die Frankenfürsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.«
»Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis,« sprach beistimmend der mit dem Schwert, »ich kenne ihn.«
»Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm – – kennst du auch den? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian: – ich kenne ihn und fürchte was er sinnt. Ich begleitete die letzte Gesandtschaft [] nach Byzanz: er kam zu unsrem Gelag: er hielt mich für berauscht: – der Narr, er weiß nicht, was Hildungs Kind trinken mag, – und fragte mich um alles, genau um alles, was man wissen muß, um – uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rechten Bescheid gekriegt! Aber ich weiß es so gewiß wie meinen Namen: dieser Mann will dies Land, dies Italien wieder haben und nicht die Fußspur eines Goten wird er darin übrig lassen.«
»Wenn er kann,« brummte des Blonden Bruder dazwischen.
»Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz kann viel.«
Jener zuckte die Achseln.
»Weißt du's, wieviel?« fragte der Alte zornig. »Zwölf Jahre lang hat unser großer König mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aber damals warst du noch nicht geboren,« fügte er ruhig hinzu.
»Wohl!« – kam jenem der Bruder zu Hilfe. – »Aber damals standen die Goten allein im fremden Land. Jetzt haben wir eine ganze zweite Hälfte gewonnen: wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrüder, die Italier.«
»Italien unsre Heimat!« rief der Alte bitter, »ja, das ist der Wahn. Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Tor!«
»Das sind unsres Königs eigne Worte,« entgegnete der Gescholtene.
»Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben werden. Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, da wir von diesen Bergen niederstiegen und fremd werden wir sein in diesem Lande noch nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Barbaren!«
»Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist das als die unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?«
[] »Schweig still,« schrie der Alte, zuckend vor Grimm, »schweig, Totila, mit solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses geworden.« Sich mühsam beruhigend fuhr er fort: »Unsre Todfeinde sind die Welschen, nicht unsre Brüder. Weh, wenn wir ihnen trauen! O daß der König nach meinem Rat getan und nach seinem Sieg alles erschlagen hätte, das Schwert und Schild führen konnte, vom lallenden Knäblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Und sie haben recht. Wir aber, wir sind die Toren, sie zu bewundern.«
Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Jüngling: »Und du hältst keine Freundschaft für möglich zwischen uns und ihnen?«
»Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk! Ein Mann tritt in die Goldhöhle des Drachen: er drückt das Haupt des Drachen nieder mit eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mann erbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schätzen der Höhle. Was wird der Giftwurm tun? Hinterrücks, sobald er kann, wird er ihn stechen, daß der Verschoner stirbt.«
»Wohlan, so laß sie kommen, die Griechlein,« schrie der riesige Hildebad, »und laß dies Natterngezücht gegen uns aufzüngeln. Wir wollen sie niederschlagen – so!« und er hob die Keule und ließ sie niederfallen, daß die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel in seinen Grundfugen erdröhnte.
»Ja, sie sollen's versuchen!« rief Totila, und aus seinen Augen leuchtete ein kriegerisches Feuer, das ihn noch schöner machte. – »Wenn diese undankbaren Römer uns verraten, wenn die falschen Byzantiner kommen« – er blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder – »sieh, Alter, wir haben Männer wie die Eichen.«
Wohlgefällig nickte der alte Waffenmeister: »Ja, Hildebad ist sehr stark; obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und [] Walamer und die andern waren, die mit mir jung gewesen. Und gegen Nordmänner ist Stärke gut Ding. Aber dieses Südvolk,« fuhr er ingrimmig fort – »kämpft von Türmen und Mauerzinnen herunter. Sie führen den Krieg wie ein Rechenexempel und rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden in einen Winkel hinein, daß es sich nicht mehr rühren noch regen kann. Ich kenne einen solchen Rechenmeister in Byzanz, der ist kein Mann und besiegt die Männer. Du kennst ihn auch, Witichis?« – so fragend wandte er sich an den Mann mit dem Schwert.
»Ich kenne Narses,« sagte dieser, der sehr ernst geworden, nachdenklich. »Was du gesprochen, Hildungs Sohn, ist leider wahr, sehr wahr. Ähnliches ist mir oft schon durch die Seele gegangen, aber unklar, dunkel, mehr ein Grauen als ein Denken. – Deine Worte sind unwiderleglich: der König am Tod – die Fürstin ein halbgriechisch Weib – Justinian lauernd – die Welschen schlangenfalsch – die Feldherrn von Byzanz Zauberer von Kunst, aber« – hier holte er tief Atem – »wir stehen nicht allein, wir Goten. Unser weiser König hat sich Freunde, Verbündete geschaffen in Überfluß. Der König der Vandalen ist sein Schwestermann, der König der Westgoten sein Enkel, die Könige der Burgunden, der Heruler, der Thüringe, der Franken sind ihm verschwägert, alle Völker ehren ihn wie ihren Vater, die Sarmaten, die fernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend Pelzwerk und gelben Bernstein. Ist das alles« – –
»Nichts ist das alles, Schmeichelworte sind's und bunte Lappen! Sollen uns die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Narses? Weh uns, wenn wir nicht allein siegen können. Diese Schwäger und Eidame schmeicheln, solang sie zittern, und wenn sie nicht mehr zittern, werden sie drohen. Ich kenne die Treue der Könige! Wir haben Feinde ringsum, offene und geheime, und keinen Freund als uns selbst.«
[] Ein Schweigen trat ein, in welchem alle die Worte des Alten besorgt erwogen: heulend fuhr der Sturm um die verwitterten Säulen und rüttelte an dem morschen Tempelbau.
Da sprach zuerst Witichis, vom Boden aufblickend, sicher und gefaßt: »Groß ist die Gefahr, hoffentlich nicht unabwendbar. Gewiß hast du uns nicht hierher beschieden, daß wir tatlos in die Verzweiflung schauen. Geholfen muß werden: so sprich, wie meinst du, daß zu helfen sei.«
Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu und faßte seine Hand: »Wacker, Witichis, Waltaris Sohn. Ich kannte dich wohl und will dir's treu gedenken, daß vor allen du zuerst ein männlich Wort der Zuversicht gefunden. Ja, ich denke wie du: noch ist Hilfe möglich, und um sie zu finden habe ich euch hierher gerufen, wo uns kein Welscher hört. Saget nun an und ratet: dann will ich sprechen.«
Da alle schwiegen, wandte er sich zu dem Schwarzgelockten: »Wenn du denkst wie wir, so sprich auch du, Teja. Warum schwiegst du bisher?«
»Ich schweige, weil ich anders denke denn ihr.«
Die andern staunten. Hildebrand sprach: »Wie meinst du das, mein Sohn?«
»Hildebad und Totila sehen nicht die Gefahr, du und Witichis, ihr sehet sie und hoffet, ich aber sah sie längst und hoffe nicht.«
»Du siehst zu schwarz, wer darf verzweifeln vor dem Kampf?« meinte Witichis.
»Sollen wir, das Schwert in der Scheide, ohne Kampf, ohne Ruhm untergehen?« rief Totila.
»Nicht ohne Kampf, mein Totila, und nicht ohne Ruhm, so weiß ich,« antwortete Teja, leise die Streitaxt zuckend. »Kämpfen wollen wir, daß man es nie vergessen soll in allen Tagen: kämpfen mit höchstem Ruhm, aber ohne Sieg. Der Stern der Goten sinkt.«
»Mir deucht, er will erst recht hoch steigen,« rief Totila [] ungeduldig. »Laßt uns vor den König treten, sprich du, Hildebrand, zu ihm wie du zu uns gesprochen. Er ist weise: er wird Rat finden.«
Der Alte schüttelte den Kopf: »Zwanzigmal hab ich zu ihm gesprochen. Er hört mich nicht mehr. Er ist müde und will sterben, und seine Seele ist verdunkelt, ich weiß nicht, durch welchen Schatten. – Was denkst du, Hildebad?«
»Ich denke,« sprach dieser sich hoch aufrichtend, »sowie der alte Löwe die müden Augen geschlossen, rüsten wir zwei Heere. Das eine führen Witichis und Teja vor Byzanz und brennen es nieder, mit dem andern steigen ich und mein Bruder über die Alpen und zerschlagen Paris, das Drachennest der Merowinger, zu einem Steinhaufen für alle Zukunft. Dann wird Ruhe sein, im Osten und im Norden.«
»Wir haben keine Schiffe gegen Byzanz,« sprach Witichis.
»Und die Franken sind sieben wider einen gegen uns,« sagte Hildebrand. »Aber wacker meinst du's, Hildebad. Sage, was rätst du, Witichis?«
»Ich rate einen Bund, mit Schwüren beschwert, mit Geiseln gesichert aller Nordstämme gegen die Griechen.«
»Du glaubst an Treue, weil du selber treu. Mein Freund, nur die Goten können den Goten helfen. Man muß sie nur wieder daran erinnern, daß sie Goten sind. Hört mich an. Ihr alle seid jung und liebt allerlei Dinge und habt vielerlei Freuden. Der eine liebt ein Weib, der andre die Waffen, der dritte irgendeine Hoffnung oder auch irgend einen Gram, der ihm ist wie eine Geliebte. – Aber glaubt mir, es kömmt eine Zeit – und die Not kann sie euch noch in jungen Tagen bringen –, da all diese Freuden und selbst Schmerzen wertlos werden wie welke Kränze vom Gelag von gestern.
Da werden denn viele weich und fromm und vergessen des was auf Erden und trachten nach dem was hinter dem Grabe ist. Ich kann's nicht und ihr, mein' ich, und viele von [] uns können's auch nicht. Die Erde lieb' ich mit Berg und Wald und Weide und strudelndem Strom und das Leben darauf mit heißem Haß und langer Liebe, mit zähem Zorn und stummem Stolz. Von jenem Luftleben da droben in den Windwolken, wie's die Christenpriester lehren, weiß ich nichts und will ich nichts wissen. Eins aber bleibt dem Mann, dem rechten, wenn alles andre dahin. Ein Gut, von dem er nimmer läßt. Seht mich an. Ich bin ein entlaubter Stamm, alles hab' ich verloren was mein Leben erfreute: mein Weib ist tot seit vielen Jahren, meine Söhne sind tot, meine Enkel sind tot: bis auf einen, der ist schlimmer als tot: – der ist ein Welscher worden. Dahin und lang vermodert sind sie alle, mit denen ich ein kecker Knabe und ein markiger Mann gewesen, und schon steigt meine erste Liebe und mein letzter Stolz, mein großer König, müde in sein Grab. Nun seht, was hält mich noch im Leben? Was gibt mir Mut, Lust, Zwang zu leben? Was treibt mich Alten wie einen Jüngling in dieser Sturmnacht auf die Berge? Was lodert hier unter dem Eisbart heiß in lauter Liebe, in störrigem Stolz und in trotziger Trauer? Was anders als der Drang, der unaustilgbar in unsrem Blute liegt, der tiefe Drang und Zug zu meinem Volk, die Liebe, die lodernde, die allgewaltige, zu dem Geschlechte, das da Goten heißt, und das die süße, heimliche, herrliche Sprache redet meiner Eltern, der Zug zu denen, die da sprechen, fühlen, leben wie ich. Sie bleibt, sie allein, diese Volksliebe, ein Opferfeuer, in dem Herzen, darinnen alle andre Glut erloschen, sie ist das teure, das mit Schmerzen geliebte Heiligtum, das Höchste in jeder Mannesbrust, die stärkste Macht in seiner Seele, treu bis zum Tod und unbezwingbar.«
Der Alte hatte sich in Begeisterung geredet – sein Haar flog im Winde – er stand wie ein alter hünenhafter Priester unter den jungen Männern, welche die Fäuste an ihren Waffen ballten.
[] Endlich sprach Teja: »Du hast recht, diese Flamme lodert noch, wo alles sonst erloschen. Aber sie brennt in dir, – in uns, – vielleicht noch in hundert andern unsrer Brüder. Kann das ein ganzes Volk erretten? Nein! Und kann diese Glut die Masse ergreifen, die Tausende, die Hunderttausende?«
»Sie kann es, mein Sohn, sie kann es. Dank allen Göttern, daß sie's kann. Höre mich an. Es sind jetzt fünfundvierzig Jahre, da waren wir Goten, viele Hunderttausende, mit Weibern und Kindern, in den Schluchten der Hämusberge eingeschlossen.
Wir lagen in höchster Not. Des Königs Bruder war von den Griechen in treulosem Überfall geschlagen und getötet, und aller Mundvorrat, den er uns zuführen sollte, verloren: wir saßen in den Felsschluchten und litten so bittern Hunger, daß wir Gras und Leder kochten. Hinter uns die unersteiglichen Felsen, vor uns und zur Linken das Meer, rechts in einem Engpaß die Feinde in dreifacher Überzahl. Viele Tausende von uns waren dem Hunger, dem Winter erlegen: zwanzigmal hatten wir vergebens versucht, jenen Paß zu durchbrechen. Wir wollten verzweifeln. Da kam ein Gesandter des Kaisers und bot uns Leben, Freiheit, Wein, Brot, Fleisch – unter einer einzigen Bedingung: wir sollten getrennt voneinander, zu vier und vier, über das ganze Weltreich Roms zerstreut werden, keiner von uns mehr ein gotisch Weib freien, keiner sein Kind mehr unsre Sprache und Sitte lehren dürfen, Name und Wesen der Goten sollte verschwinden, Römer sollten wir werden. Da sprang der König auf, rief uns zusammen und trug's uns vor in flammender Rede und fragte zuletzt, ob wir lieber aufgeben wollten Sprache, Sitte, Leben unsres Volkes oder lieber mit ihm sterben? Da fuhr sein Wort in die Hunderte, die Tausende, die Hunderttausende wie der Waldbrand in die dürren Stämme, aufschrieen sie, die wackern Männer, wie ein tausendstimmiges, brüllendes Meer, die [] Schwerter schwangen sie, auf den Engpaß stürzten sie und weggefegt waren die Griechen als hätten sie nie gestanden, und wir waren Sieger und frei.«
Sein Auge glänzte in stolzer Erinnerung, nach einer Pause fuhr er fort: »Dies allein ist, was uns heute retten kann wie dazumal: fühlen erst die Goten, daß sie für jenes Höchste fechten, für den Schutz jenes geheimnisvollen Kleinods, das in Sprache und Sitte eines Volkes liegt wie ein Wunderborn, dann können sie lachen zu dem Haß der Griechen, zu der Tücke der Welschen. Und das vor allem wollt' ich euch fragen, fest und feierlich: fühlt ihr es wie ich so klar, so ganz, so mächtig, daß diese Liebe zu unsrem Volk unser Höchstes ist, unser schönster Schatz, unser stärkster Schild? könnt ihr sprechen wie ich: mein Volk ist mir das Höchste und alles, alles andre dagegen nichts, ihm will ich opfern was ich bin und habe, wollt ihr das, könnt ihr das!«
»Ja, das will ich, ja, das kann ich!« sprachen die vier Männer.
»Wohl«, fuhr der Alte fort, »das ist gut. Aber Teja hat recht: nicht alle Goten fühlen das jetzt, heute schon, wie wir und doch müssen es alle fühlen, wenn es helfen soll. Darum gelobet mir, von heut' an unablässig euch selbst und alle unsres Volkes, mit denen ihr lebt und handelt, zu erfüllen mit dem Hauch dieser Stunde. Vielen, vielen hat der fremde Glanz die Augen geblendet: viele haben griechische Kleider angetan und römische Gedanken: sie schämen sich, Barbaren zu heißen: sie wollen vergessen und vergessen machen, daß sie Goten sind – wehe über die Toren!
Sie haben das Herz aus ihrer Brust gerissen und wollen leben, sie sind wie Blätter, die sich stolz vom Stamme gelöst und der Wind wird kommen und wird sie verwehen in Schlamm und Pfützen, daß sie verfaulen: aber der Stamm wird stehen mitten im Sturm und wird lebendig erhalten, was treu an ihm haftet. Darum sollt ihr euer Volk wecken und mahnen [] überall und immer. Den Knaben erzählt die Sagen der Väter, von den Hunnenschlachten, von den Römersiegen: den Männern zeigt die drohende Gefahr und wie nur das Volkstum unser Schild: eure Schwestern ermahnt, daß sie keinen Römer umarmen und keinen Römling: eure Bräute, eure Weiber lehrt, daß sie alles, sich selbst und euch opfern dem Glück der guten Goten, auf daß, wenn die Feinde kommen, sie finden ein starkes Volk, stolz, einig, fest, daran sie zerschellen sollen wie die Wogen am Fels. Wollt ihr mir dazu helfen?«
»Ja,« sprachen sie, »das wollen wir.«
»Ich glaube euch,« fuhr der Alte fort, »glaube eurem bloßen Wort. Nicht um euch fester zu binden – denn was bände den Falschen? – sondern weil ich treu hange an altem Brauch und weil besser gedeiht, was geschieht nach Sitte der Väter – folget mir.«
Zweites Kapitel.
Mit diesen Worten nahm er die Fackel von der Säule und schritt quer durch den Innenraum, die Cella des Tempels, vorüber an dem zerfallenen Hauptaltar, vorbei an den Postamenten der lang herabgestürzten Götterbilder nach der Hinterseite des Gebäudes, dem Postikum. Schweigend folgten die Geladenen dem Alten, der sie über die Stufen hinunter ins Freie führte.
Nach einigen Schritten standen sie unter einer uralten Steineiche, deren mächtiges Geäst wie ein Dach Sturm und Regen abhielt. Unter diesem Baum bot sich ihnen ein seltsamer Anblick, der aber die gotischen Männer sofort an eine alte Sitte aus dem grauen Heidentum, aus der fernen nordischen Heimat gemahnte. Unter der Eiche war ein Streifen des dichten Rasens aufgeschlitzt, nur einen Fuß breit, aber mehrere Ellen lang, die beiden Enden des Streifens hafteten[] noch locker am Grunde: in der Mitte war der Rasengürtel auf drei ungleich in die Erde gerammte hohe Speere emporgespreizt, in der Mitte von dem längsten Speer gestützt, so daß die Vorrichtung ein Dreieck bildete, unter dessen Dach zwischen den Speersäulen mehrere Männer bequem stehen konnten. In der so gewonnenen Erdritze stand ein eherner Kessel, mit Wasser gefüllt, daneben lag ein spitzes und scharfes Schlachtmesser, uralt: das Heft vom Horn des Auerstiers, die Klinge vom Feuerstein. Der Greis trat nun heran, stieß die Fackel dicht neben dem Kessel in die Erde, stieg dann, mit dem rechten Fuß vorauf, in die Grube, wandte sich gegen Osten und neigte das Haupt: dann winkte er die Freunde zu sich, mit dem Finger am Mund ihnen Schweigen bedeutend. Lautlos traten die Männer in die Rinne und stellten sich, Witichis und Teja zu seiner Linken, die beiden Brüder zu seiner Rechten und alle fünf reichten sich die Hände zu einer feierlichen Kette. Dann ließ der Alte Witichis und Hildebad, die ihm zunächst standen, los und kniete nieder. Zuerst raffte er eine Handvoll der schwarzen Walderde auf und warf sie über die linke Schulter. Dann griff er mit der andern Hand in den Kessel und sprengte das Wasser rechts hinter sich. Darauf blies er in die wehende Nachtluft, die sausend in seinen langen Bart wehte. Endlich schwang er die Fackel von der Rechten zur Linken über sein Haupt. Dann steckte er sie wieder in die Erde und sprach murmelnd vor sich hin:
»Höre mich, alte Erde, wallendes Wasser, leichte Luft, flackernde Flamme! Höret mich wohl und bewahret mein Wort: Hier stehen fünf Männer vom Geschlechte des Gaut, Teja und Totila, Hildebad und Hildebrand und Witichis, Waltaris Sohn.
Bei diesen Worten entblößte er den linken Arm, die andern taten desgleichen, eng aneinander streckten sich die fünf Arme über den Kessel, der Alte hob das scharfe Steinmesser und ritzte mit Einem Schnitt sich und den vier andern die Haut des Vorderarmes, daß das Blut aller in roten Tropfen in den ehernen Kessel floß.
Dann nahmen sie wieder die frühere Stellung ein, und murmelnd fuhr der Alte fort:
Hier traten er, und auf seinen Wink auch die andern, aus der Grube und unter dem Rasenstreifen hervor:
[] Er schlug mit Einem Streich die drei spannenden Lanzenschäfte nieder und dumpf fiel die schwere Rasendecke nieder in die Rinne. Die fünf Männer stellten sich nun mit verschlungenen Händen auf die wieder von Rasen gedeckte Stelle, und in rascherem Ton fuhr der Alte fort: »Und wer von uns nicht achtet dieses Eides und dieses Bundes und wer nicht die Blutsbrüder als echte Brüder schützt im Leben und rächt im Tode und wer sich weigert, sein Alles zu opfern dem Volk der Goten, wann die Not es begehrt und ein Bruder ihn mahnt, der soll verfallen sein auf immer den untern, den ewigen, den wüsten Gewalten, die da hausen unter dem grünen Gras des Erdgrundes: gute Menschen sollen mit Füßen schreiten über des Neidings Haupt und sein Name soll ehrlos sein soweit Christenleute Glocken läuten und Heidenleute Opfer schlachten, soweit Mutter Kind koset und der Wind weht über die weite Welt. Sagt an, ihr Gesellen, soll's ihm also geschehn, dem niedrigen Neiding?«
»So soll ihm geschehen,« sprachen die vier Männer ihm nach.
Nach einer ernsten Pause löste Hildebrand die Kette der Hände und sprach: »Und auf daß ihr's wißt, welche Weihe diese Stätte hat für mich – jetzt auch für euch –, warum ich euch zu solchem Tun gerade hierher beschieden und zu dieser Nacht – kommt und sehet.« Und also sprechend erhob er die Fackel und schritt voran hinter den mächtigen Stamm der Eiche, vor der sie geschworen. Schweigend folgten die Freunde, bis sie an der Kehrseite des alten Baumes hielten und hier mit Staunen gerade gegenüber der Rasengrube, in welcher sie gestanden, ein breites offenes Grab gähnen sahen, von welchem die deckende Felsplatte hinweggewälzt war: da ruhten in der Tiefe, im Licht der Fackel geisterhaft erglänzend, drei weiße lange Skelette, einzelne verrostete Waffenstücke, Lanzenspitzen, Schildbuckel lagen daneben. Die Männer blickten überrascht bald in die Grube, bald auf den Greis. Dieser leuchtete lange [] schweigend in die Tiefe. Endlich sagte er ruhig: »Meine drei Söhne. Sie liegen hier über dreißig Jahre. Sie fielen auf diesem Berg, in dem letzten Kampf um die Stadt Ravenna. Sie fielen in Einer Stunde, heute ist der Tag. Sie sprangen jubelnd in die Speere – – für ihr Volk.«
Er hielt inne. Mit Rührung sahen die Männer vor sich hin. Endlich richtete sich der Alte hoch auf und sah gen Himmel. »Es ist genug,« sagte er, »die Sterne bleichen. Mitternacht ist längst vorüber. Geht, ihr andern, in die Stadt zurück. Du, Teja, bleibst wohl bei mir: – dir ist ja vor andern, wie des Liedes, der Trauer Gabe gegeben – und hältst mit mir die Ehrenwacht bei diesen Toten.«
Teja nickte und setzte sich, ohne ein Wort, zu Füßen des Grabes, wo er stand, nieder. Der Alte reichte Totila die Fackel und lehnte sich Teja gegenüber auf die Felsplatte. Die andern drei winkten ihm scheidend zu. Und ernst und in schweigende Gedanken versunken stiegen sie hinunter zur Stadt.
Drittes Kapitel.
Wenige Wochen nach jener nächtlichen Zusammenkunft bei Ravenna fand zu Rom eine Vereinigung statt, ebenfalls heimlich, ebenfalls unter dem Schutze der Nacht, aber von ganz andern Männern zu ganz andern Zwecken.
Das geschah an der appischen Straße nahe dem Cömeterium des heiligen Kalixtus in einem halbverschütteten Gang der Katakomben, jener rätselhaften unterirdischen Wege, die unter den Straßen und Plätzen Roms fast eine zweite Stadt bildeten. Es sind diese geheimnisvollen Räume – ursprünglich alte Begräbnisplätze, oft die Zuflucht der jungen Christengemeinde – so vielfach verschlungen und ihre Kreuzungen, Endpunkte, Aus- und Eingänge so schwierig zu finden, daß nur unter ortvertrautester Führung ihre inneren Tiefen betreten werden [] können. Aber die Männer, deren geheimen Verkehr wir diesmal belauschen, fürchteten keine Gefahr. Sie waren gut geführt. Denn es war Silverius, der katholische Archidiakonus der alten Kirche des heiligen Sebastian, der unmittelbar von der Krypta seiner Basilika aus die Freunde auf steilen Stufen in diesen Zweigarm der Gewölbe geführt hatte: und die römischen Priester standen in dem Rufe, seit den Tagen der ersten Christen Kenntnis jener Labyrinthe fortgepflanzt zu haben. Die Versammelten schienen auch sich hier nicht zum erstenmal einzufinden: die Schauer des Ortes machten wenig Eindruck auf sie. Gleichgültig lehnten sie an den Wänden des unheimlichen Halbrunds, das, von einer bronzenen Hängelampe spärlich beleuchtet, den Schluß des niedrigen Ganges bildete, gleichgültig hörten sie die feuchten Tropfen von der Decke zur Erde fallen und, wenn ihr Fuß hier und da an weiße, halbvermoderte Knochen stieß, schoben sie auch diese gleichgültig auf die Seite.
Es waren außer Silverius noch einige andere rechtgläubige Priester und eine Mehrzahl vornehmer Römer aus den Adelsgeschlechtern des westlichen Kaiserreichs anwesend, die seit Jahrhunderten in fast erblichem Besitz der höheren Würden des Staates und der Stadt geblieben.
Schweigend und aufmerksam beobachteten sie die Bewegungen des Archidiakons, der sich, nachdem er die Erschienenen gemustert und in einige der einmündenden Gänge, in deren Dunkel man junge Leute in priesterlichen Kleidern Wache halten sah, prüfende Blicke geworfen hatte, jetzt offenbar anschickte, die Versammlung in aller Form zu eröffnen.
Noch einmal trat er auf einen hochgewachsenen Mann zu, der ihm gegenüber regungslos an der Mauer lehnte und mit dem er wiederholt Blicke getauscht hatte: und nachdem dieser auf eine fragende Miene schweigend genickt, wandte er sich gegen die übrigen und sprach:
[] »Geliebte im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal sind wir hier versammelt zu heiligem Werk.
Das Schwert von Edom ist gezückt ob unsrem Haupt und König Pharao lechzt nach dem Blut der Kinder Israel. Wir aber fürchten nicht jene, die den Leib töten und der Seele nichts anhaben können, wir fürchten vielmehr jenen, der da Leib und Seele verderben mag mit ewigem Feuer. Wir vertrauen im Schauer der Nacht auf die Hilfe dessen, der sein Volk durch die Wüste geführt hat, bei Tag in der Rauchwolke, bei Nacht in der Feuerwolke. Und daran wollen wir halten und wollen es nie vergessen: was wir leiden, wir leiden es um Gottes willen, was wir tun, wir tun's zu seines Namens Ehre. Dank ihm, denn er hat gesegnet unsern Eifer. Klein, wie des Evangeliums, waren unsre Anfänge, aber schon sind wir gewachsen wie ein Baum an frischen Wasserbächen. Mit Furcht und Zagen kamen wir anfangs hier zusammen: groß war die Gefahr, schwach die Hoffnung: edles Blut der Besten war geflossen: – heute, wenn wir fest bleiben im Glauben, dürfen wir es kühnlich sagen: der Thron des Königs Pharao steht auf Füßen von Schilf und die Tage der Ketzer sind gezählt in diesem Lande.«
»Zur Sache!« rief ein junger Römer dazwischen, mit kurzkrausem, schwarzem Haar und blitzenden, schwarzen Augen; ungeduldig warf er das Sagum von der linken Hüfte über die rechte Schulter zurück, daß das kurze Schwert sichtbar wurde. »Zur Sache, Priester! was soll heut' geschehn?«
Silverius warf auf den Jüngling einen Blick, der lebhaften Unwillen über solch kecke Selbständigkeit nicht ganz mit salbungsvoller Ruhe zu verdecken vermochte. Scharfen Tones fuhr er fort: »Auch die an die Heiligkeit unsres Zweckes nicht zu glauben scheinen, sollten doch den Glauben an diese Heiligkeit bei andern nicht stören, um ihrer eignen weltlichen Ziele willen nicht. Heute aber, Licinius, mein rascher Freund, soll [] ein neues hochwillkommenes Glied unsrem Bunde eingefügt werden: sein Beitritt ist ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes.«
»Wen willst du einführen? Sind die Vorbedingungen erfüllt? Haftest du für ihn? unbedingt? oder stellst du andre Bürgschaft?« so fragte ein andrer der Versammelten, ein Mann in reifen Jahren, mit gleichmäßigen Zügen, der, einen Stab zwischen den Füßen, ruhig auf einem Vorsprung der Mauer saß. – »Ich hafte, mein Scävola; übrigens genügt seine Person –«
»Nichts dergleichen. Die Satzung unsres Bundes verlangt Verbürgung und ich bestehe darauf«, sagte Scävola ruhig. – »Nun gut, gut, ich bürge, zähster aller Juristen!« wiederholte der Priester mit Lächeln. Er winkte in einen der Gänge zur Linken.
Zwei junge Ostiarii führten von da in die Mitte des Gewölbes einen Mann, auf dessen verhülltes Haupt aller Augen gerichtet waren. Nach einer Pause hob Silverius den Überwurf von Kopf und Schultern des Ankömmlings.
»Albinus!« riefen die andern in Überraschung, Entrüstung, Zorn.
Der junge Licinius fuhr ans Schwert, Scävola stand langsam auf, wild durcheinander scholl es: »Wie? Albinus? der Verräter?« Scheuen Blickes sah der Gescholtene um sich, seine schlaffen Züge bekundeten angeborne Feigheit: wie Hilfe stehend haftete sein Auge auf dem Priester. »Ja, Albinus!« sagte dieser ruhig. »Will einer der Verbündeten wider ihn sprechen? Er rede.« – »Bei meinem Genius,« rief Licinius rasch vor allen, »braucht es da der Rede? Wir wissen alle, wer Albinus ist, was er ist. Ein feiger, schändlicher Verräter!« – der Zorn erstickte seine Stimme. – »Schmähungen sind keine Beweise,« nahm Scävola das Wort. »Aber ich frage ihn selbst, er soll hier vor allen bekennen. Albinus, bist du es, oder [] bist du es nicht, der, als die Anfänge des Bundes dem Tyrannen verraten waren, als du noch allein von uns allen verklagt warst, es mit ansahst, daß die edeln Männer, Boëthius und Symmachus, unsre Mitverbündeten, weil sie dich mutig vor dem Wüterich verteidigten, verfolgt, gefangen, ihres Vermögens beraubt, hingerichtet wurden, während du, der eigentliche Angeklagte, durch einen schmählichen Eid, dich nie mehr um den Staat kümmern zu wollen und durch urplötzliches Verschwinden dich gerettet hast? Sprich, bist du es, um dessen Feigheit willen die Zierden des Vaterlandes gefallen?«
Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung. Der Angeschuldigte blieb stumm und bebte, selbst Silverius verlor einen Augenblick die Haltung. Da richtete sich jener Mann, der ihm gegenüber an der Felswand lehnte, auf und trat einen Schritt herzu; seine Nähe schien den Priester zu erkräftigen und er begann wieder: »Ihr Freunde, es ist geschehen was ihr sagt, nicht wie ihr's sagt. Vor allem wisset: Albinus ist an allem am wenigsten schuldig. Was er getan, er tat's auf meinen Rat.« – »Auf deinen Rat?« – »Das wagst du zu bekennen?« – »Albinus war verklagt durch den Verrat eines Sklaven, der die Geheimschrift in den Briefen nach Byzanz entziffert hatte. Der ganze Argwohn des Tyrannen war geweckt: jeder Schein von Widerstand, von Zusammenhang mußte die Gefahr vermehren. Der Ungestüm von Boëthius und Symmachus, die ihn mutig verteidigten war edel, aber töricht. Denn er zeigte den Barbaren die Gesinnung des ganzen Adels von Rom, zeigte, daß Albinus nicht allein stehe. Sie handelten gegen meinen Rat, leider haben sie es im Tode gebüßt. Aber ihr Eifer war auch überflüssig: denn den verräterischen Sklaven raffte plötzlich vor weitern Aussagen die Hand des Herrn hinweg und es war gelungen, die Geheimbriefe des Albinus vor dessen Verhaftung zu vernichten. Jedoch glaubt ihr, Albinus würde auf der Folter, würde unter [] Todesdrohungen geschwiegen haben, geschwiegen, wenn ihm die Nennung der Mitverschworenen retten konnte? Das glaubt ihr nicht, das glaubte Albinus selbst nicht. Deshalb mußte vor allem Zeit gewonnen, die Folter abgewendet werden. Dies gelang durch jenen Eid. Unterdessen freilich bluteten Boëthius und Symmachus: sie waren nicht zu retten: doch ihres Schweigens, auch unter der Folter, waren wir sicher. Albinus aber ward durch ein Wunder aus seinem Kerker befreit wie Sankt Paulus zu Philippi. Es hieß, er sei nach Athen entflohen und der Tyrann begnügte sich, ihm die Rückkehr zu verbieten. Allein der dreieinige Gott hat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtsstätte bereitet, bis daß die Stunde der Freiheit naht. In der Einsamkeit seines heiligen Asyles nun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar gerührt und, ungeschreckt von der Todesgefahr, die schon einmal seine Locke gestreift hat, tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste Gottes und des Vaterlands sein ganzes unermeßliches Vermögen. Vernehmt: er hat all sein Gut der Kirche Sanktä Mariä Majoris zu Bundeszwecken vermacht. Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmähen?«
Eine Pause des Staunens trat ein: endlich rief Licinius: »Priester, du bist klug wie – wie ein Priester. Aber mir gefällt solche Klugheit nicht.« – »Silverius,« sprach der Jurist, »du magst die Millionen nehmen. Das steht dir an. Aber ich war der Freund des Boëthius: mir steht nicht an, mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten. Ich kann ihm nicht vergeben. Hinweg mit ihm!« – »Hinweg mit ihm!« scholl es von allen Seiten. Scävola hatte der Empfindung aller das Wort geliehen. Albinus erblaßte, selbst Silverius zuckte unter dieser allgemeinen Entrüstung. »Cethegus!« flüsterte er leise, Beistand heischend.
Da trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen und nur mit kühler Überlegenheit die Sprechenden gemustert [] hatte. Er war groß und hager, aber kräftig, von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl. Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum, Rang, und Geschmack, aber sonst verhüllte ein langer, brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt. Sein Kopf war von denen, die man, einmal gesehen, nie mehr vergißt.
Das dichte, noch glänzend schwarze Haar war nach Römerart kurz und rund um die gewölbte, etwas zu große Stirn und die edel geformten Schläfe geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter der Ausdruck kältester Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnittenen bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt. Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick über die Erregten streifen ließ, wie seine nicht einschmeichelnde, aber beherrschende Redeweise anhob, empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewußter Überlegenheit und wenige Menschen mochten diese Nähe ohne das Gefühl der Unterordnung tragen.
»Was hadert ihr,« sagte er kalt, »über Dinge, die geschehen müssen? Wer den Zweck will, muß das Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben? Immerhin! Daran liegt nichts. Aber vergessen müßt ihr. Und das könnt ihr. Auch ich war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr nächster. Und doch – ich will vergessen. Ich tu es, eben weil ich ihr Freund war. Der liebt sie, Scävola, der allein, der sie rächt. Um der Rache willen – Albinus, deine Hand.« – Alle schwiegen, bewältigt mehr von der Persönlichkeit als von den Gründen des Redners. Nur der Jurist bemerkte noch:
»Rusticiana, des Boëthius Witwe und des Symmachus Tochter, die einflußreiche Frau, ist unsrem Bunde hold. Wird [] sie das bleiben, wenn dieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!«
»Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt euren Augen.« Mit diesen Worten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengänge, dessen Mündung bisher sein Rücken verdeckt hatte. – Hart am Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ihre Hand: »komm',« flüsterte er, »jetzt komm'.« – »Ich kann nicht! ich will nicht!« war die leise Antwort der Widerstrebenden. »Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht sehen, den Elenden!« – »Es muß sein. Komm, du kannst und du willst es: – denn ich will es.« Er schlug ihren Schleier zurück: noch ein Blick, und sie folgte wie willenlos.
Sie bogen um die Ecke des Eingangs: »Rusticiana!« riefen alle. – »Ein Weib in unserer Versammlung!« sprach der Jurist. »Das ist gegen die Satzungen, die Gesetze.«
»Ja, Scävola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der Bund um der Gesetze willen. Und geglaubt hättet ihr mir nie, was ihr hier sehet mit Augen.«
Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus.
»Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?« – Überwunden und überwältigt verstummten alle. Für Cethegus schien das weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frau an die Wand im Hintergrund zurück. Der Priester aber sprach: »Albinus ist Glied des Bundes.« – »Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen?« fragte schüchtern Scävola. – »War erzwungen und ist ihm gelöst von der heiligen Kirche. Aber nun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten Geschäfte, die neuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von Neapolis: du mußt ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar. Hier, Scävola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen Gattin Justinians: du mußt sie beantworten. Da, Calpurnius, eine [] Anweisung auf eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den fränkischen Majordomus, er wirkt bei seinem König gegen die Goten. Hier, Pomponius, eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dinge dort und die Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euch allen aber sei gesagt, daß, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna, die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt: tiefe Schwermut, zu späte Reue über all seine Sünden soll seine Seele niederdrücken und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern. Harret aus noch eine kleine Weile: bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen: dann kömmt der Tag der Freiheit. An den nächsten Iden, zur selben Stunde, treffen wir uns wieder. Der Segen des Herrn sei mit euch.« Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammelten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengängen und geleiteten die Einzelnen in verschiedenen Richtungen nach den nur ihnen bekannten Ausgängen der Katakomben.
Viertes Kapitel.
Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus. Dort angelangt überzeugte sich dieser, daß alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zündete er die neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im Marmorgetäfel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den Priester, der die Leuchte ergriffen, mit den beiden andern in ein kleines, [] niedres Gemach treten, dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und geräuschlos wieder schloß. Keine Ritze verriet nun wieder, daß hier eine Tür.
Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wänden hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gästen gedient, deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert. Zurzeit war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen – oder weltlichen – Gedanken des Diakonus. Schweigend setzte sich Cethegus, auf ein gegenüber in die Wand eingelegtes Mosaikgemälde den flüchtigen Blick des verwöhnten Kunstkenners werfend, auf den niederen Lectus. Während der Priester beschäftigt war, aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die bereitstehenden Becher zu gießen und eine eherne Schale mit Früchten auf den dreifüßigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegus gegenüber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vierzig Jahre alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas männlichen Schönheit, die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten hatte; schon war hier und da nicht graues, sondern weißes Haar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einen unsteten Blick und starre Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel. Sie stützte die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend über die Stirn, dabei fortwährend Cethegus anstarrend. Endlich sprach sie: »Mensch, sage, sage, Mann, welche Gewalt du über mich hast? Ich liebe dich nicht mehr. Ich sollte dich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch muß ich dir folgen willenlos. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst meine Hand, diese Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler, welches ist diese Macht?«
[] Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zurücklehnend: »Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit.«
»Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seit ich denken kann. Daß ich als Mädchen den schönen Nachbarssohn bewunderte, war natürlich; daß ich glaubte, du liebtest mich, war verzeihlich: du küßtest mich ja. Und wer konnte – damals! – wissen, daß du nicht lieben kannst. Nichts: kaum dich selbst. Daß die Gattin des Boëthius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte, die du wie spielend wieder anfachtest, war eine Sünde, aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen. Doch, daß ich jetzt noch, nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tücke kenne, nachdem die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern, daß ich jetzt noch blindlings deinem dämonischen Willen folgen muß – das ist eine Torheit zum Lautauflachen.«
Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Der Priester hielt in seiner wirtlichen Beschäftigung inne und sah verstohlen auf Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rückwärts an den Marmorsims und umfaßte mit der Rechten den Pokal, der vor ihm stand:
»Du bist ungerecht, Rusticiana,« sagte er ruhig. »Und unklar. Du mischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen. Du weißt es, daß ich der Freund des Boëthius war. Obwohl ich sein Weib küßte. Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes und du: – nun dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Du weißt ferner, daß ich diese Goten hasse, wirklich hasse, daß ich den Willen und – vor andern – die Fähigkeit habe, durchzusetzen, was dich jetzt ganz erfüllt: deinen Vater, den du geliebt, deinen Gatten, den du geehrt hast, an diesen Barbaren zu rächen. Du gehorchst daher meinen Winken. Und du tust daran sehr klug. Denn du hast zwar ein sehr bedeutendes Talent, Ränke zu schmieden. Aber deine Heftigkeit trübt oft [] deinen Blick. Sie verdirbt deine feinsten Pläne. Also tust du wohl, kühlerer Leitung zu folgen. Das ist alles. – Aber jetzt geh. Deine Sklavin kauert schlaftrunken im Vestibulum. Sie glaubt dich in der Beichte, bei Freund Silverius. Die Beichte darf nicht gar zu lange währen. Auch haben wir noch Geschäfte. Grüße mir Kamilla, dein schönes Kind, und lebe wohl.« Er stand auf, ergriff ihre Hand und führte sie sanft zur Türe. Sie folgte widerstrebend, nickte dem Priester zum Abschied zu, sah nochmal auf Cethegus, der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien, und ging mit leisem Kopfschütteln hinaus.
Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus.
»Sonderbarer Kampf in diesem Weibe,« sagte Silverius und setzte sich mit Griffel, Wachstafeln, Briefen und Dokumenten zu ihm. »Nicht sonderbar. Sie will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gut machen, indem sie ihn rächt. Und daß sie diese Rache gerade durch ihren ehemaligen Geliebten findet, macht die heilige Pflicht besonders süß. Freilich ist ihr dies alles unbewußt. – Aber, was gibt's zu tun?« Und nun begannen die beiden Männer ihre Arbeit, solche Punkte der Verschwörung zu erledigen, die allen Gliedern des Bundes mitzuteilen sie nicht für ratsam hielten. – »Diesmal,« hob der Diakonus an, »gilt es vor allem, das Vermögen des Albinus festzustellen und dessen nächste Verwendung zu beraten. Wir brauchten ganz unabweislich Geld, viel Geld.« – »Geldsachen sind dein Gebiet,« sagte Cethegus trinkend. »Ich verstehe sie wohl, aber sie langweilen mich.«
»Ferner müssen die einflußreichsten Männer auf Sizilien, in Neapolis und Apulien gewonnen werden. Hier ist die Liste derselben mit Notizen über die einzelnen. Es sind Menschen darunter, bei denen die gewöhnlichen Mittel nicht verfangen.« »Gib her,« sagte Cethegus, »das will ich machen«, und zerlegte einen persischen Apfel. – –
[] Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Geschäfte bereinigt und der Hausherr legte die Dokumente wieder in ihr Geheimfach hinter dem großen Kreuz in der Mauer. Der Priester war ermüdet und sah mit Neid auf den Genossen, dessen stählernen Körper und unangreifbaren Geist keine späte Stunde, keine Anspannung ermatten zu können schien. Er äußerte etwas dergleichen, als sich Cethegus den silbernen Becher wieder füllte.
»Übung, Freund, starke Nerven und« setzte er lächelnd hinzu, »ein gutes Gewissen: das ist das ganze Rätsel.«
»Nein, im Ernst, Cethegus, du bist mir auch sonst ein Rätsel.« – »Das will ich hoffen.« – »Nun, hältst du dich für ein mir so unerreichbar überlegenes Wesen?« – »Ganz und gar nicht. Aber doch für gerade hinreichend tief, um andern nicht minder ein Rätsel zu sein als – mir selbst. Dein Stolz auf Menschenkenntnis mag sich beruhigen. Es geht mir selbst mit mir nicht besser als dir. Nur die Tropfen sind durchsichtig.« – »In der Tat,« fuhr der Priester ausholend fort, »der Schlüssel zu deinem Wesen muß sehr tief liegen. Sieh zum Beispiel die Genossen unsres Bundes. Von jedem läßt sich sagen, welcher Grund ihn dazu geführt hat. Der hitzige Jugendmut einen Licinius: der verrannte, aber ehrliche Rechtssinn einen Scävola: mich und die andern Priester – der Eifer für die Ehre Gottes.«
»Natürlich,« sagte Cethegus trinkend.
»Andere treibt der Ehrgeiz oder die Hoffnung, bei einem Bürgerkrieg ihren Gläubigern die Hälse abzuschneiden, oder auch die Langeweile über den geordneten Zustand dieses Landes unter den Goten oder eine Beleidigung durch einen der Fremden, die allermeisten der natürliche Widerwille gegen die Barbaren und die Gewöhnung, nur im Kaiser den Herrn Italiens zu sehen. Bei dir aber schlägt keiner dieser Beweggründe an und« –
»Und das ist sehr unbequem, nicht wahr? Denn mittels [] Kenntnis ihrer Beweggründe beherrscht man die Menschen? Ja, ehrwürdiger Gottesfreund, ich kann dir nicht helfen. Ich weiß es wirklich selbst nicht, was mein Beweggrund ist. Ich bin selbst so neugierig darauf, daß ich es dir herzlich gern sagen und mich – beherrschen lassen wollte, wenn ich es nur entdecken könnte. Nur das Eine fühl' ich: diese Goten sind mir zuwider. Ich hasse diese vollblütigen Gesellen mit ihren breiten Flachsbärten. Unausstehlich ist mir das Glück dieser brutalen Gutmütigkeit, dieser naiven Jugendlichkeit, dieses alberne Heldentum, diese ungebrochnen Naturen. Es ist eine Unverschämtheit des Zufalls, der die Welt regiert, dieses Land, – nach einer solchen Geschichte, – mit Männern wie – wie du und ich – von diesen Nordbären beherrschen zu lassen.« Unwillig warf er das Haupt zurück, drückte die Augen zu und schlürfte einen kleinen Trunk Weines. »Daß die Barbaren fort müssen,« sprach der andere, »darüber sind wir einig. Und für mich ist damit alles erreicht. Denn ich will ja nur die Befreiung der Kirche von diesen irrgläubigen Barbaren, welche die Göttlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen. Ich hoffe, daß alsdann der römischen Kirche der Primat im ganzen Gebiet der Christenheit, der ihr gebührt, unbestritten zufallen wird. Aber solange Rom in der Hand der Ketzer liegt, während der Bischof von Byzanz von dem allein rechtgläubigen und rechtmäßigen Kaiser gestützt wird« –
»Solange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof der Christenheit, solange nicht Herr Italiens: und deshalb der römische Stuhl, selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird, nicht das, was er werden soll: das Höchste. Und das will doch Silverius.«
Überrascht sah der Priester auf.
»Beunruhige dich nicht, Freund Gottes. Ich weiß das längst und habe dein Geheimnis bewahrt, obwohl du es mir nicht vertraut hast. Allein weiter.« Er schenkte sich aufs neue [] ein: »– dein Falerner ist gut abgelagert, aber er hat zu viel Süße. Du kannst eigentlich nur wünschen, daß diese Goten den Thron der Cäsaren räumen, nicht, daß die Byzantiner an ihre Stelle treten: denn sonst hat der Bischof von Rom wieder zu Byzanz seinen Oberbischof und einen Kaiser. Du mußt also an der Goten Stelle wünschen – nicht einen Kaiser – Justinian, – sondern – etwa was?« – »Entweder« – fiel Silverius eifrig ein – »einen eignen Kaiser des Westreichs« – »Der aber,« vollendete Cethegus seinen Satz, »nur eine Puppe ist in der Hand des heiligen Petrus –« – »Oder eine römische Republik, einen Staat der Kirche –« – »In welchem der Bischof von Rom der Herr, Italien das Hauptland und die Barbarenkönige in Gallien, Germanien, Spanien die gehorsamen Söhne der Kirche sind. Schön, mein Freund. Nur müssen erst die Feinde vernichtet sein, deren Spolien du bereits verteilst. Deshalb ein altrömischer Trinkspruch: wehe den Barbaren!«
Er stand auf und trank dem Priester zu. »Aber die letzte Nachtwache schleicht vorüber und meine Sklaven müssen mich am Morgen in meinem Schlafgemach finden. Leb wohl.« Damit zog er den Kukullus des Mantels über das Haupt und ging.
Der Wirt sah ihm nach: »Ein höchst bedeutendes Werkzeug!« sagte er zu sich. »Gut, daß er nur ein Werkzeug ist. Möge er es immer bleiben.«
Cethegus aber schritt von der Via appia her, wo die Kirche des heiligen Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt, nach Nordwesten dem Kapitole zu, an dessen Fuß am Nordende der Via sacra sein Haus gelegen war, nordöstlich vom Forum Romanum.
Die kühle Morgenluft strich belebend um sein Haupt.
Er schlug den Mantel zurück und dehnte die breite, starke, gewaltige Brust. »Ja, ein Rätsel bist du,« sprach er vor sich [] hin; »treibst Verschwörung und nächtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder ein Verliebter von zwanzig Jahren. Und warum? – Ei, wer weiß warum er atmet? Weil er muß. Und so muß ich tun was ich tue. Eins aber ist gewiß. Dieser Priester mag Papst werden: er muß es vielleicht werden. Aber eins darf er nicht. Er darf es nicht lange bleiben. Sonst lebt wohl, ihr Gedanken, ihr kaum eingestandenen, die ihr noch Träume seid und Wolkendünste: vielleicht aber ballt sich daraus ein Gewitter, das Blitz und Donner führt und mein Verhängnis wird. Sieh, es wetterleuchtet im Osten. Gut. Ich nehme das Omen an.«
Mit diesen Worten schritt er in sein Haus. Im Schlafgemach fand er auf dem Zederntisch vor seinem Lager einen verschnürten und mit dem königlichen Siegel gepreßten Brief.
Er schnitt die Schnüre mit dem Dolch auf, schlug die doppelte Wachstafel auseinander und las:
»An Cethegus Cäsarius, den Princeps Senatus, Marcus Aurelius Cassiodorus Senator.
Unser Herr und König liegt im Sterben. Seine Tochter und Erbin Amalaswintha wünscht Dich noch vor seinem Ende zu sprechen. Du sollst das wichtigste Reichsamt übernehmen. Eile sogleich nach Ravenna.«
Fünftes Kapitel.
Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwül über dem Königspalast zu Ravenna mit seiner düstern Pracht, mit seiner unwirtlichen Weiträumigkeit.
Die alte Burg der Cäsaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche stilwidrige Veränderung erfahren. Und seit an die Stelle der Imperatoren der Gotenkönig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war, hatte sie vollends ein [] wenig harmonisches Aussehen angenommen. Denn viele Räume, die eigentümlichen Sitten des römischen Lebens gedient hatten, standen mit der alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlässigt: Spinnweben zogen sich über die Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen Badgemächer des Honorius, und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten die Eidechsen über das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern. Dagegen hatten die Bedürfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemächer des antiken Hauses zu den weiteren Räumen von Waffensälen, Trinkhallen, Wachtzimmern auszudehnen. Und man hatte anderseits durch neue Mauerführungen benachbarte Häuser mit dem Palast verbunden, daraus eine Festung mitten in der Stadt zu schaffen. Es trieben jetzt in der »piscina maxima,« dem ausgetrockneten Teich, blonde Buben ihre wilden Spiele und in den Marmorsälen der Palästra wieherten die Rosse der gotischen Wachen. So hatte der weitläufige Bau das unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltnen Ruine, halb eines unvollendeten Neubaus: und die Burg dieses Königs erschien so wie ein Sinnbild seines römisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischen halbunfertigen, halbverfallenden Schöpfung. –
An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten sah, lastete ein Gewölk von Spannung, Trauer und Düstre ganz besonders schwer auf diesem Haus: denn seine königliche Seele sollte daraus scheiden. –
Der große Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe und Haß bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Dietrich von Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmückend bemächtigt hatte, der große Amalungenkönig Theoderich sollte sterben.
[] So hatten es die Ärzte, wenn nicht ihm selbst doch seinen Räten verkündet und alsbald war es hinausgedrungen in die große volkreiche Stadt. Obwohl man seit lange einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des greisen Fürsten für möglich gehalten, er füllte doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhängnisvollen Schlages alle Herzen mit der höchsten Aufregung.
Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der römischen Bevölkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung. Denn hier in Ravenna, in der unmittelbaren Nähe des Königs hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch besondere Wohltaten zu erfahren am häufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner fürchtete man nach dem Tode dieses Königs, der während seiner ganzen Regierung, mit einziger Ausnahme der jüngsten Kämpfe mit dem Kaiser und dem Senat, in welchen Boëthius und Symmachus geblutet, die Italier vor der Gewalttätigkeit und Rauheit seines Volkes beschützt hatte, unter einem neuen Regiment Härte und Druck von Seite der Goten zu befahren.
Endlich aber wirkte noch ein anderes, Höheres: die Persönlichkeit dieses Heldenkönigs war so großartig, so majestätisch gewesen, daß auch diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewünscht hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erlöschen sollte, sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschütterung nicht erwehren konnten.
So war die Stadt schon seit grauendem Morgen – da man zuerst vom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Häuser der vornehmsten Goten und Römer hatte eilen sehen – in höchster Erregung. In den Straßen, auf den Plätzen, in den Bädern standen die Männer paarweise oder in Gruppen beisammen, fragten und [] teilten sich mit, was sie wußten, suchten eines Vornehmen habhaft zu werden, der vom Palaste herkam und sprachen über die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Häuser. Mit den wachsenden Stunden des Tages strömte sogar schon die Bevölkerung der nächsten Dörfer und Städte, besonders trauernde Goten, forschend in die Tore Ravennas. Die Räte des Königs, voraus der Präfectus Prätorio Cassiodorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechterhaltung der Ordnung hohes Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, vielleicht Schlimmeres erwartet.
Seit Mitternacht waren alle Zugänge zum Palast geschlossen und mit gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor der Stirnseite des Gebäudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den breiten Marmorstufen, die zu der stolzen Säulenreihe des Hauptportals hinaufführten, waren starke Scharen gotischen Fußvolks, mit Schild und Speer, in malerischen Gruppen gelagert.
Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Ein tritt in den Palast erlangen und nur die beiden Anführer des Fußvolks, der Römer Cyprian und der Gote Witichis durften die Erlaubnis dazu erteilen. Ersterer war es, der Cethegus einließ. Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des Königs verfolgte, fand er in den Hallen und Gängen der Burg die Goten und Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben, in ungleichen Gruppen verteilt.
Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die jungen Tausendführer und Hundertführer der Goten beisammen oder flüsterten einzelne besorgte Fragen, während hier und da ein älterer Mann, ein Waffengefährte des sterbenden Helden, in einer Nische der Bogenfenster lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; in der Mitte des Saales stand, laut weinend, das Haupt an einen Pfeiler drückend,[] ein reicher Kaufmann von Ravenna: der König, der jetzt scheiden sollte, hatte ihm eine Verschwörung verziehen und seine Warenhallen vor der Plünderung durch die ergrimmten Goten gerettet.
Mit einem kalten Blick der Geringschätzung schritt Cethegus an dem allen vorüber. Er ging weiter.
In dem nächsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal, fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzogen, Grafen und Edeln beisammen, die offenbar Beratung hielten über den Thronwechsel und den drohenden Umschwung aller Verhältnisse.
Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die Stadt Arles heldenmütig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Liguria, der Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der Bulgaren und Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren alten Adel, der dem Königshaus der Amaler wenig nachgab – denn sie waren aus dem Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte –, und auf ihre kriegerischen Verdienste, die das Reich beschirmt und erweitert.
Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen.
Das waren die Führer der Partei, die längst eine härtere Behandlung der Italier, welche sie haßten und scheuten zugleich, begehrt und die nur widerstrebend dem milden Sinn des Königs sich gefügt hatten. Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Römer, der da Zeuge der Sterbestunde des großen Gotenhelden sein wollte. Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf, der den nächsten Raum abschied, das Vorzimmer des Krankengemaches. Eintretend begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau, die, in schwarze Trauerschleier gehüllt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Tränen vor einem mit Urkunden [] bedeckten Marmortische stand: das war Amalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs.
Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher, wenn auch kalter Schönheit. Sie trug das reiche dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, das große, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast männlichen Züge und die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der Tat einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet.
An ihrem Arme hing, mehr gestützt als stützend, ein Knabe oder Jüngling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Gotenreiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seines unglücklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna, daß alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. Athalarich war schön wie alle Glieder dieses von den Göttern stammenden Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern beschatteten ein edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten Träumen zerfloß, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune wirre Locken hingen in die bleichen Schläfe, in denen bei lebhafter Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edlen Stirn hatte leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet, befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Marmorblässe und heißes Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hoch aufgeschossene aber geknickte Gestalt schien meistens wie müde in ihren Fugen zu hangen und schoß nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Höhe. Er sah den eintretenden Cethegus nicht, [] denn er hatte, an der Mutter Brust gelehnt, den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen, das bald eine schwere Krone tragen sollte. –
Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, der den Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewährte, stand, in träumerisches Sinnen verloren, ein Weib – oder war es eine Jungfrau? – von überraschender, blendender, überwältigender Schönheit: das war Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich der Mutter an Adel und Höhe der Gestalt, aber ihre schärferen Züge hatten ein feuriges leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unter angenommener Kälte barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenmaß von blühender Fülle und feiner Schlankheit, mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesander, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt verbannen müssen, weil diese marmorne höchste Einheit schönster Jungfräulichkeit und schönster Sinnlichkeit die Jünglinge des Eilands zu Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauber höchster reifer Mädchenschönheit zitterte über diesem Wesen. Ihr reichwallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so außerordentlicher Wirkung, daß er der Fürstin, selbst bei diesem durch die prächtigen Goldlocken seiner Weiber berühmten Volk, den Namen »Schönhaar« verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren glänzend schwarz und hoben die blendend weiße Stirn, die alabasternen Wangen leuchtend hervor. Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen manchmal leise zuckenden Flügeln senkte sich auf einen üppig schwellenden Mund. Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schönheit war das graue Auge, nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch den wunderbaren Ausdruck, mit dem es, meist in träumerisches Sinnen verloren, manchmal [] in versengender Leidenschaft aufleuchten konnte. In der Tat, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen, halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewählten Tracht, den weißen, hochgewölbten Arm um die dunkle Porphyrsäule geschlungen und hinausträumend in die Abendluft, glich ihre verführerische Schönheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmädchen, deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat. Und so groß war die Macht dieser Schönheit, daß selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus, der die Fürstin längst kannte, bei seinem Eintritt von neuem Staunen berührt wurde. –
Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuen Minister des Königs, dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aber hoffnungslosen Versöhnungspolitik, die seit einem Menschenalter im Gotenreich geübt wurde. Der alte Mann, dessen ehrwürdige und milde Züge der Schmerz um den Verlust seines königlichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches, stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen, der sich ehrfurchtvoll verneigte. In Tränen schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an die kalte Brust des Cethegus, der ihn für diese Weichheit verachtete.
»Welch ein Tag!« klagte er. – »Ein verhängnisvoller Tag,« sprach Cethegus ernst; »er fordert Kraft und Fassung.« – »Recht sprichst du, Patricius, und wie ein Römer,« – sagte die Fürstin, sich von Athalarich losmachend, »sei gegrüßt.« Sie reichte ihm die Hand, die nicht bebte, ihr Auge war klar. »Die Schülerin der Stoa bewährt an diesem Tage die Weisheit Zenos und die eigne Kraft,« sprach Cethegus.
[] »Sagt lieber, die Gnade Gottes kräftigt ihre Seele wunderbar,« verbesserte Cassiodor. »Patricius,« begann Amalaswintha, »der Präfectus Prätorio hat dich mir vorgeschlagen, zu einem wichtigen Geschäft. Sein Wort würde genügen, auch wenn ich dich nicht längst schon kennte. Du bist derselbe Cethegus, der die ersten beiden Gesänge der Äneis in griechische Hexameter übertragen hat!« – »Infandum renovare jubes, regina, dolorem. Eine Jugendsünde, Königin,« lächelte Cethegus. »Ich habe alle Abschriften aufgekauft und verbrannt an dem Tage, da die Übersetzung Tullias erschien.« Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas: Cethegus wußte das: aber die Fürstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung. Sie war in ihrer schwächsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort: »Du weißt, wie es hier steht. Die Atemzüge meines Vaters sind gezählt: nach dem Ausspruch der Ärzte kann er, obwohl noch rüstig und stark, jeden Augenblick tot zusammenbrechen. Athalarich hier ist der Erbe seiner Krone. Ich aber führe an seiner Statt die Regentschaft und über ihn die Mundschaft bis er zu seinen Tagen gekommen.« – »So ist der Wille des Königs, und Goten und Römer haben dieser Weisheit längst schon zugestimmt,« sagte Cethegus. – »So taten sie. Aber die Menge ist wandelbar. Die rohen Männer verachten die Herrschaft eines Weibes« – und sie zog bei diesem Gedanken die Stirn in zornige Falten. »Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten wie der Römer,« begütigte Cassiodor, »es ist ganz neu, daß ein Weib –« – »Die undankbaren Rebellen!« murmelte Cethegus, gleichsam für sich. »Wie man darüber denken mag,« fuhr die Fürstin fort, »es ist so. Gleichwohl baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen, mögen auch einzelne aus dem Adel Gelüste nach der Krone tragen. Auch von den Italiern hier in Ravenna, wie in den meisten Städten, fürchte ich nicht. Aber ich fürchte – Rom und die Römer.« Cethegus horchte hoch [] auf: sein ganzes Wesen war in plötzlicher Erregung: aber sein Antlitz blieb eisig kalt.
»Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewöhnen, es wird uns ewig widerstreben – wie könnte es anders!« setzte sie seufzend hinzu. Es war, als ob die Tochter Theoderichs eine römische Seele hätte.
»Wir fürchten deshalb,« – ergänzte Cassiodor, – »daß auf die Kunde von der Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin ausbrechen könnte, sei es für Anschluß an Byzanz, sei es für Erhebung eines eignen Kaisers des Abendlandes.«
Cethegus schlug, wie nachsinnend, die Augen nieder. –
»Darum,« fiel die Fürstin rasch ein, »muß, schon ehe jene Kunde zu Rom eintrifft, alles geschehen sein. Ein entschlossener, mir treu ergebener Mann muß die Besatzung für mich – ich meine für meinen Sohn – vereidigen, die wichtigsten Tore und Plätze besetzen, Senat und Adel einschüchtern, das Volk für mich gewinnen und meine Herrschaft unerschütterlich aufrichten, ehe sie noch bedroht ist. Und für dies Geschäft hat Cassiodor – dich vorgeschlagen. Sprich, willst du es übernehmen?«
Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erde gefallen. Cethegus bückte sich, ihn aufzuheben. Er hatte nur diesen einen Augenblick für die hundert Gedanken, die bei diesem Antrag sich in seinem Kopfe kreuzten.
War die Verschwörung in den Katakomben, war vielleicht er selbst verraten? Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschsüchtigen Weibes? Oder waren die Toren wirklich so blind, gerade ihm dies Amt aufzudringen? Und wenn dem so war, was sollte er tun? Sollte er den Moment benutzen, sogleich loszuschlagen, Rom zu gewinnen? Und für wen? für Byzanz? oder für einen Kaiser im Abendlande? Und wer sollte das werden? Oder waren die Dinge noch nicht reif? [] Sollte er für diesmal – aus Treulosigkeit – Treue üben? Für all diese und manche andere Zweifel und Fragen hatte er, sie zu stellen und zu lösen, nur den einen Moment, da er sich bückte: sein rascher Geist brauchte nicht mehr: er hatte im Bücken das arglos vertrauende Gesicht Cassiodors gesehen und entschlossen sprach er, den Griffel überreichend: »Königin, ich übernehme das Geschäft.« – »Das ist gut,« sagte die Fürstin. Cassiodor drückte seine Hand. »Wenn Cassiodor,« fuhr Cethegus fort, »mich zu diesem Amte vorgeschlagen, so hat er wieder einmal seine tiefe Menschenkenntnis bewährt. Er hat durch meine Schale auf meinen Kern gesehen.« – »Wie meinst du das?« fragte Amalaswintha. – »Königin, der Schein konnte ihn trügen. Ich gestehe, daß ich die Barbaren – verzeihe! – die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe.« – »Dieser Freimut ehrt dich und ich verzeih' es dem Römer.« – »Dazu kommt, daß ich seit Jahrzehnten dem Staat, dem öffentlichen Leben keine Teilnahme mehr zuwandte. Nach vielen Leidenschaften leb' ich – ohne alle Leidenschaft – nur einer spielenden Muse und leichten Gelehrsamkeit, unbekümmert um die Sorgen der Könige, auf meinen Villen.« – »Beatus ille qui procul negotiis«, zitierte seufzend die gelehrte Frau. – »Aber eben weil ich die Wissenschaft verehre, weil ich, ein Schüler Platons, will, daß die Weisen herrschen sollen, deshalb wünsche ich, daß eine Königin mein Vaterland regiere, die nur der Geburt nach Gotin, der Seele nach Griechin, der Tugend nach Römerin ist.
Ihr zu Liebe will ich meine Muße den verhaßten Geschäften opfern. Aber nur unter der Bedingung, daß dies mein letztes Staatsamt sei. Ich übernehme deinen Auftrag und stehe dir für Rom mit meinem Kopf.«
»Gut, hier findest du die Vollmachten, die Dokumente, deren du bedarfst.«
Cethegus durchflog die Urkunden. »Dies ist das Manifest [] des jungen Königs an die Römer, mit deiner Unterschrift. Seine Unterschrift fehlt noch.« Amalaswintha tauchte die gnidische Rohrfeder in das Gefäß mit Purpurtinte, deren sich die Amaler, wie die römischen Imperatoren bedienten: »Komm, schreibe deinen Namen, mein Sohn.« Athalarich hatte während der ganzen Verhandlung stehend und mit beiden Armen vorgebeugt auf den Tisch gestützt, Cethegus scharf beobachtet. Jetzt richtete er sich auf: er war gewohnt, in seinen Formen die Rechte eines Khronfolgers und eines Kranken zu gebrauchen: »Nein,« sagte er heftig, »Ich schreibe nicht. Nicht bloß, weil ich diesem kalten Römer nicht traue, – nein, ich traue dir gar nicht, du stolzer Mann! – es ist empörend, daß ihr, während mein hoher Großvater noch atmet, schon an seiner Krone herumtappt, ihr Zwerge nach der Krone des Riesen. Schämt euch eurer Fühllosigkeit. Hinter jenen Vorhängen stirbt der größte Held des Jahrhunderts – und ihr denkt nur an die Teilung seiner Königsgewänder.«
Er wandte ihnen den Rücken und schritt langsam nach dem Fenster zu, wo er den Arm um seine schöne Schwester schlang und ihr schimmervolles glänzendes Haar streichelte.
Lange stand er so, sie achtete seiner nicht. Plötzlich fuhr sie auf aus ihrem Sinnen: »Athalarich,« flüsterte sie, hastig seinen Arm fassend und hinausdeutend auf die Marmorstufen, »wer ist der Mann dort? im blauen Stahlhelm, der eben um die Säule biegt? Sprich, wer ist es?« »Laß sehn,« sagte der Jüngling sich vorbeugend, »der dort? ei, das ist Graf Witichis, der Besieger der Gepiden, ein wackrer Held.« Und er erzählte ihr von den Taten und Erfolgen des Grafen im letzten Kriege.
Indessen hatte Cethegus die Fürstin und den Minister fragend angesehen. »Laß ihn!« seufzte Amalaswintha. »Wenn er nicht will, zwingt ihn keine Macht der Erde.« Weiteres Fragen des Cethegus ward abgeschnitten, indem sich der dreifache [] Vorhang auftat, der das Schlafgemach des Königs von allem Geräusch des Vorzimmers schied. Es war Elpidios, der griechische Arzt, der, die schweren Falten aufhebend, berichtete, der Kranke, eben aus langem Schlummer erwacht, habe ihn fortgeschickt, um mit dem alten Hildebrand allein zu sein: dieser wich nie von seiner Seite.
Sechstes Kapitel.
Das Schlafgemach Theoderichs, schon von den Kaisern zu gleichem Zweck benutzt, zeigte die düstre Pracht des späten römischen Stils. Die überladenen Reliefs an den Wänden, die Goldornamentik der Decke schilderte noch Siege und Triumphzüge der römischen Konsuln und Imperatoren: heidnische Götter und Göttinnen schwebten stolz darüber hin: überall in der Architektur und Dekoration waltete drückender Prunk.
Dazu bildete einen merkwürdigen Gegensatz das Lager des Gotenkönigs in seiner schlichten Einfachheit. Kaum einen Fuß vom Marmorboden erhob sich das ovale Gestell von rohem Eichenholz, das wenige Decken füllten. Nur der köstliche Purpurteppich, der die Füße verhüllte, und das Löwenfell mit goldnen Tatzen, ein Geschenk des Vandalenkönigs aus Afrika, das vor dem Bette lag, bekundete die Königshoheit des Kranken. Alles Gerät, das sonst das Gemach erfüllt, war prunklos, schlicht, fast barbarisch schwer.
An einer Säule im Hintergrund hing der eherne Schild und das breite Schwert des Königs, seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Am Kopfende des Lagers stand, gebeugten Hauptes, der alte Waffenmeister, die Züge des Kranken sorglich prüfend: dieser, auf den linken Arm gestützt, kehrte ihm das gewaltige, das majestätische Antlitz zu. Sein Haar war [] spärlich und an den Schläfen abgerieben durch den langjährigen Druck des schweren Helmes, aber noch glänzend hellbraun, ohne irgend graue oder weiße Spuren. Die mächtige Stirn, die blitzenden Augen, die stark gebogene Nase, die tiefen Furchen der Wangen sprachen von großen Aufgaben und von großer Kraft, sie zu lösen und machten den Eindruck des Gesichts königlich und hehr: aber die wohlwollende Weichheit des Mundes bekundete, trotz dem grimmen und leise ergrauenden Bart, jene Milde und friedliche Weisheit, mit welcher der König ein Menschenalter lang für Italien eine goldne Zeit zurückgeführt und sein Reich zu einer Blüte erhoben hatte, die damals schon Sprichwort und Sage feierten.
Lang ließ er mit Huld und Liebe das goldbraune Adlerauge auf dem riesigen Krankenwart ruhen. Dann reichte er ihm die magre aber nervige Rechte. »Alter Freund,« sagte er, »nun wollen wir Abschied nehmen.«
Der Greis sank in die Knie und drückte die Hand des Königs an die breite Brust. »Komm, Alter, steh' auf: muß ich dich trösten?«
Aber Hildebrand blieb auf den Knieen und erhob nur das Haupt, daß er dem König ins Auge sehen konnte. »Sieh,« sprach dieser, »ich weiß, daß du, Hildungs Sohn, von deinen Ahnen, von deinem Vater her tiefere Geheimkunde hast von der Menschen Siechtum und Heilung, als alle diese griechischen Ärzte und lydischen Salbenkrämer. Und vor allem: du hast mehr Wahrhaftigkeit. Darum frage ich dich, du sollst mir redlich bestätigen, was ich selbst fühle: sprich, ich muß sterben? heute noch? noch vor Nacht?«
Und er sah ihn an mit einem Auge, das nicht zu täuschen war. Aber der Alte wollte gar nicht täuschen, er hatte jetzt seine zähe Kraft wieder. »Ja, Gotenkönig, Amalungen Erbe, du mußt sterben,« sagte er: »die Hand des Todes hat über dein Antlitz gestrichen. Du wirst die Sonne nicht mehr sinken sehen.«
[] »Es ist gut,« sagte Theoderich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Siehst du, der Grieche, den ich fortgeschickt, hat mir noch von ganzen Tag vorgelogen. Und ich brauche doch meine Zeit.«
»Willst du wieder die Priester rufen lassen?« fragte Hildebrand, nicht mit Liebe. – »Nein, ich konnte sie nicht brauchen. Und ich brauche sie nicht mehr.« – »Der Schlaf hat dich sehr gestärkt und den Schleier von deiner Seele genommen, der sie solang verdunkelt. Heil dir, Theoderich, Theodemers Sohn, du wirst sterben wie ein Heldenkönig.«
»Ich weiß,« lächelte dieser, »die Priester waren dir nicht genehm an diesem Lager. Du hast recht. Sie konnten mir nicht helfen.« – »Nun aber, wer hat dir geholfen?«
»Gott und ich selbst. Höre. Und diese Worte sollen unser Abschied sein! Mein Dank für deine Treue von fünfzig Jahren sei es, daß ich dir allein, nicht meiner Tochter, nicht Cassiodor es vertraue, was mich gequält hat. Sprich: was sagt man im Volk, was glaubst du, daß jene Schwermut war, die mich plötzlich befallen und in dieses Siechtum gestürzt hat?« – »Die Welschen sagen: Reue über den Tod des Boëthius und Symmachus.« – »Hast du das geglaubt?« – »Nein, ich mochte nicht glauben, daß dich das Blut der Verräter bekümmern kann.« – »Du hast wohlgetan. Sie waren vielleicht nicht des Todes schuldig nach dem Gesetz, nach ihren Taten. Und Boëthius habe ich sehr geliebt. Aber sie waren tausendfach Verräter! Verräter in ihren Gedanken. Verräter an meinem Vertrauen, an meinem Herzen. Ich habe sie, die Römer, höher gehalten als die Besten meines Volkes. Und sie haben, zum Dank, meine Krone dem Kaiser gewünscht, dem Byzantiner Schmeichelbriefe geschrieben: sie haben einen Justin und einen Justinian der Freundschaft des Theoderich vorgezogen: mich reut der Undankbaren nicht. Ich verachte sie. Rate weiter! Du, was hast du geglaubt?« – »König: [] dein Erbe ist ein Kind und du hast ringsum Feinde.« Der Kranke zog die kühnen Brauen zusammen: »Du triffst näher ans Ziel. Ich habe stets gewußt, was meines Reiches Schwäche. In bangen Nächten hab' ich geseufzt um seine innere Krankheit, wann ich am Abend beim Gastgelag den fremden Gesandten den Stolz höchster Zuversicht gezeigt hatte. Alter, du hast, ich weiß, mich für allzu sicher gehalten. Aber mich durfte niemand beben sehen. Nicht Freund noch Feind. Sonst bebte mein Thron. Ich habe geseufzt, wann ich einsam war und meine Sorge allein getragen.« – »Du bist die Weisheit, mein König, und ich war ein Tor!« rief der Alte. »Sieh,« fuhr der König fort, – mit der Hand über die des Alten streichend –, »ich weiß alles, was dir nicht recht an mir gewesen. Auch deinen blinden Haß gegen diese Welschen kenne ich. Glaube mir, er ist blind. Wie vielleicht meine Liebe zu ihnen war.« Hier seufzte er und hielt inne. »Was quälst du dich.« – »Nein, laß mich vollenden. Ich weiß es, mein Reich, das Werk meines ruhmvollen, mühevollen Lebens kann fallen, leicht fallen. Und vielleicht durch Schuld meiner Großmut gegen diese Römer. Sei es darum! Kein Menschenbau ist ewig und die Schuld zu edler Güte – ich will sie tragen.«
»Mein großer König!« – »Aber, Hildebrand, in einer Nacht, da ich so wachte, sorgte und seufzte über den Gefahren meines Reiches, – da stieg mir vor der Seele auf das Bild einer andern Schuld! Nicht der Güte, nein, der Ruhmsucht, der blutigen Gewalt. Und wehe, wehe mir, wenn das Volk der Goten sollte untergehn zur Strafe für Theoderichs Frevel! – Sein, sein Bild tauchte mir empor!«
Der Kranke sprach nun mit Anstrengung und zuckte einen Augenblick. »Wessen Bild? Wen meinst du?« fragte der Alte leise, sich vorbeugend. »Odovakar!« flüsterte der König. Hildebrand senkte das Haupt. Ein banges Schweigen unterbrach endlich Theoderich: »Ja, Alter, diese Rechte – du [] weißt es – hat den gewaltigen Helden durchstoßen, beim Mahl, meinen Gast. Heiß spritzte sein Blut mir ins Gesicht und ein Haß ohne Ende sprühte auf mich aus seinem brechenden Auge. Vor wenigen Monden, in jener Nacht, stieg sein blutiges, bleiches, zürnendes Bild wie eines Rachegottes vor mir auf. Fiebernd zuckte mein Herz zusammen. Und furchtbar sprach's in mir: um dieser Bluttat willen wird dein Reich zerfallen und dein Volk vergehn.«
Nach einer neuen Pause begann diesmal Hildebrand, trotzig aufblickend: »König, was quälst du dich wie ein Weib? Hast du nicht Hunderte erschlagen mit eigner Hand und dein Volk Tausende auf dein Gebot? Sind wir nicht von den Bergen in dies Land herabgestiegen in mehr als dreißig Schlachten, im Blute watend knöcheltief? Was ist dagegen das Blut des einen Mannes! Und denk': wie es stand. Vier Jahre hatte er dir widerstanden wie der Auerstier dem Bären. Zweimal hatte er dich und dein Volk hart an den Rand des Verderbens gedrängt. Hunger, Schwert und Seuche rafften deine Goten dahin. Endlich, endlich fiel das trotzige Ravenna; ausgehungert, durch Vertrag. Bezwungen lag der Todfeind dir zu Füßen. Da kömmt dir Warnung, er sinnt Verrat, er will noch einmal den gräßlichen Kampf aufnehmen, er will zur Nacht desselben Tages dich und die Deinen überfallen. Was solltest du tun? Ihn offen zu Rede stellen? War er schuldig, so konnte das nicht retten. Kühn kamst du ihm zuvor und tatest ihm abends, was er dir nachts getan hätte. Und wie hast du deinen Sieg benützt! Die Eine Tat hat all dein Volk gerettet, hat einen neuen Kampf der Verzweiflung erspart. Du hast all die Seinen begnadigt, hast Goten und Welsche dreißig Jahre leben lassen wie im Himmelreich. Und nun willst du um jene Tat dich quälen? Zwei Völker danken sie dir in Ewigkeit. Ich – ich hätt' ihn siebenmal erschlagen.«
[] Der Alte hielt inne, sein Auge blitzte, er sah wie ein zorniger Riese. Aber der König schüttelte das Haupt.
»Das ist nichts, alter Recke, alles nichts! Hundertmal hab' ich mir dasselbe gesagt, und verlockender, feiner, als deine Wildheit es vermag. Das hilft all' nichts. Er war ein Held, der einzige meinesgleichen! – Und ich hab' ihn ermordet, ohne Beweis seiner Schuld. Aus Argwohn, aus Eifersucht, ja – es muß gesagt sein, aus Furcht – aus Furcht, noch einmal mit ihm ringen zu sollen. Das war und ist und bleibt ein Frevel. – Und ich fand keine Ruhe hinter Ausreden. Düstre Schwermut fiel auf mich. Seine Gestalt verfolgte mich seit jener Nacht unaufhörlich. Beim Schmaus und im Rat, auf der Jagd, in der Kirche, im Wachen und im Schlafen. Da schickte mir Cassiodor die Bischöfe, die Priester. Sie konnten mir nicht helfen. Sie hörten meine Beichte, sahen meine Reue, meinen Glauben, und vergaben mir alle Sünden. Aber Friede kam nicht über mich, und ob sie mir verziehen, – ich konnte mir nicht verzeihen. Ich weiß nicht, ist es der alte Sinn meiner heidnischen Ahnen: – aber ich kann mich nicht hinter dem Kreuz verstecken vor dem Schatten des Ermordeten. Ich kann mich nicht gelöst glauben von meiner blutigen Tat durch das Blut eines unschuldigen Gottes, der am Kreuze gestorben.« – –
Freude leuchtete über das Antlitz Hildebrands: »Du weißt,« raunte er ihm zu, »ich habe niemals diesen Kreuzpriestern glauben können. Sprich, o sprich, glaubst auch du noch an Thor und Odhin? Haben sie dir geholfen?«
Der König schüttelte lächelnd das Haupt: »Nein, du alter, unverbesserlicher Heide. Dein Walhall ist nichts für mich. Höre, wie mir geholfen ward. Ich schickte gestern die Bischöfe fort und kehrte tief in mich selber ein. Und dachte und flehte und rang zu Gott. Und ich ward ruhiger. Und sieh, in der Nacht kam über mich tiefer Schlummer, wie ich ihn seit langen [] Monden nicht mehr gekannt«. Und als ich erwachte, da schauerte kein Fieber der Qual mehr in meinen Gliedern. Ruhig war ich und klar. Und dachte dieses: »Ich habe es getan und keine Gnade, kein Wunder Gottes macht es ungeschehen. Wohlan, er strafe mich. Und wenn er der zornige Gott des Moses, so räche er sich und strafe mit mir mein ganzes Haus bis ins siebente Glied. Ich weihe mich und mein Geschlecht der Rache des Herrn. Er mag uns verderben: er ist gerecht. Aber weil er gerecht ist, kann er nicht strafen dieses edle Volk der Goten um fremde Schuld. Er kann es nicht verderben um des Frevels seines Königs willen. Nein, das wird er nicht. Und muß dies Volk einst untergehen, – ich fühl' es klar, dann ist es nicht um meine Tat. Für diese weih' ich mich und mein Haus der Rache des Herrn. Und so kam Friede über mich, und mutig mag ich sterben.«
Er schwieg. Hildebrand aber neigte das Haupt und küßte die Rechte, welche Odovakar erschlagen hatte.
»Das war mein Abschied an dich. Und mein Vermächtnis, mein Dank für ein ganzes Leben der Treue. – Jetzt laß uns den Rest der Zeit noch diesem Volk der Goten zuwenden. Komm, hilf mir aufstehen, ich kann nicht in den Kissen sterben. Dort hangen meine Waffen. Gib sie mir! – Keine Widerrede –! Ich will. Und ich kann.«
Hildebrand mußte gehorchen. rüstig erhob sich mit seiner Hilfe der Kranke von dem Lager, schlug einen weiten Purpurmantel um die Schultern, gürtete sich mit dem Schwert, setzte den niedern Helm mit der Zackenkrone auf das Haupt und stützte sich auf den Schaft der schweren Lanze, den Rücken gegen die breite dorische Mittelsäule des Gemaches gelehnt.
»So, jetzt rufe meine Tochter. Und Cassiodor. Und wer sonst da draußen.«
[] Siebentes Kapitel.
So stand er ruhig, während der Alte die Vorhänge an der Tür zu beiden Seiten zurückschlug, so daß Schlafzimmer und Vorhalle nunmehr Einen ungeschiedenen Raum bildeten. Alle draußen Versammelten – es hatten sich inzwischen noch mehrere Römer und Goten eingefunden – näherten sich mit Staunen und ehrfürchtigem Schweigen dem König.
»Meine Tochter,« sprach dieser, »sind die Briefe aufgesetzt, die meinen Tod und meines Enkels Thronfolge nach Byzanz berichten sollen?«
»Hier sind sie,« sprach Amalaswintha.
Der König durchflog die Papyrusrollen.
»An Kaiser Justinus. Ein zweiter: an seinen Neffen Justinianus. Freilich, der wird bald das Diadem tragen und ist schon jetzt der Herr seines Herrn! Cassiodor hat sie verfaßt – ich sehe es an den schönen Gleichnissen. Aber halt« – und die hohe klare Stirn verdüsterte sich »Eurem kaiserlichen Schutze meine Jugend empfehlend.« »Schutze? Das ist des Guten zu viel. Wehe, wenn ihr auf Schutz von Byzanz gewiesen seid. Freundschaft mich empfehlend ist genug von dem Enkel Theoderichs.« Und er gab die Briefe zurück. »Und hier ein drittes Schreiben nach Byzanz? An wen? An Theodora, die edle Gattin Justinians? Wie! an die Tänzerin vom Zirkus? Des Löwenwärters schamlose Tochter?« Und sein Auge funkelte. »Sie ist von größtem Einfluß auf ihren Gemahl«, wandte Cassiodor ein. – »Nein, meine Tochter schreibt an keine Dirne, die aller Weiber Ehre besudelt hat.« Und er zerriß die Papyrusrolle und schritt über die Stücke zu den Goten im Mittelgrund der Halle. »Witichis, tapferer Mann, was wird dein Amt sein nach meinem Tod?«
»Ich werde unser Fußvolk mustern zu Tridentum.«
»Kein Bessrer könnte das. Du hast noch immer nicht den [] Wunsch getan, den ich dir damals freigestellt nach der Gepidenschlacht. Hast du noch immer nichts zu wünschen?«
»Doch, mein König.«
»Endlich! Das freut mich – sprich.« – »Heute soll ein armer Kerkerwart, weil er sich weigerte, einen Angeklagten zu foltern und nach dem Liktor schlug, selbst gefoltert werden. Herr König, gib den Mann frei: das Foltern ist schändlich und –«
»Der Kerkerwart ist frei und von Stund an wird die Folter nicht mehr gebraucht im Reich der Goten. Sorg dafür, Cassiodorus. Wackrer Witichis, gib mir die Hand. Auf daß alle wissen, wie ich dich ehre, schenk ich dir Wallada, mein lichtbraun Edelroß, zu Gedächtnis dieser Scheidestunde. Und kommst du je auf seinem Rücken in Gefahr, oder« – hier sprach er ganz leise zu ihm – »will es versagen, flüstre dem Roß meinen Namen ins Ohr. – Wer wird Neapolis hüten? Der Herzog Thulun war zu rauh. – Das fröhliche Volk dort muß durch fröhliche Mienen gewonnen werden.«
»Der junge Totila wird dort die Hafenwache übernehmen,« sprach Cassiodor.
»Totila! Ein sonniger Knabe! Ein Siegfried, ein Götterliebling! Ihm können die Herzen nicht widerstehen. Aber freilich! Die Herzen dieser Welschen!« Er seufzte und fuhr fort: »Wer versichert uns Roms und des Senats?« »Cethegus Cäsarius,« sagte Cassiodor mit einer Handbewegung, »dieser edle Römer.« – »Cethegus? Ich kenne ihn wohl. Sieh mich an, Cethegus.« Ungern erhob der Angeredete die Augen, die er vor dem großen Blick des Königs rasch niedergeschlagen. Doch hielt er jetzt das Adlerauge, das seine Seele durchdrang, ruhig aus, mit dem Aufgebot aller Kraft. »Es war krank, Cethegus, daß ein Mann von deiner Art sich solang vom Staat ferngehalten. Und von uns. Oder es war gefährlich. Vielleicht ist es noch gefährlicher, daß du dich – jetzt – dem Staat zuwendest.« – »Nicht mein Wunsch, o König.«
[] »Ich bürge für ihn,« rief Cassiodor. – »Still, Freund! Auf Erden mag keiner für den andern bürgen! – Kaum für sich selbst! – Aber,« fuhr er forschenden Blickes fort, »an die Griechlein wird dieser stolze Kopf – dieser Cäsarkopf – Italien nicht verraten.«
Noch einen scharfen Blick aus den goldnen Adleraugen mußte Cethegus tragen. Dann ergriff der König plötzlich den Arm des nur mit Mühe noch fest in sich geschlossenen Mannes und flüsterte ihm zu: »Höre, was ich dir warnend weissage. Es wird kein Römer mehr gedeihen auf dem Thron des Abendlands. Still, kein Widerwort. Ich habe dich gewarnt. – – Was lärmt da draußen?« fragte er, rasch sich wendend, seine Tochter, die einem meldenden Römer leisen Bescheid erteilte. »Nichts, mein König, nichts von Bedeutung, mein Vater!« – »Wie? Geheimnisse vor mir? Bei meiner Krone! Wollt ihr schon herrschen, solang ich noch atme? Ich vernahm den Laut fremder Zungen da draußen. Auf die Türen!« Die Pforte, welche die äußere Halle mit dem Vorzimmer verband, öffnete sich.
Da zeigten sich unter zahlreichen Goten und Römern kleine fremd aussehende Gestalten, in seltsamer Tracht, mit Wämsern aus Wolfsfell, mit spitz zulaufenden Mützen und langen zottigen Schafspelzen, die über ihren Rücken hingen. Überrascht und bewältigt von dem plötzlichen Anblick des Königs, der hochaufgerichtet auf sie zuschritt, sanken die Fremden wie vom Blitz getroffen auf die Kniee.
»Ah, Gesandte der Avaren. Das räuberische Grenzgesindel an unsern Ostmarken! Habt ihr den schuldigen Jahrestribut?« – »Herr, wir bringen ihn noch für diesmal – Pelzwerk – wollne Teppiche – Schwerter – Schilde. – Da hangen sie, – dort liegen sie. Aber wir hoffen, daß für nächstes Jahr – wir wollten sehn« – »Ihr wolltet sehen, ob der greise Dieterich von Bern nicht altersschwach geworden? Ihr hofftet, ich [] sei tot? Und meinem Nachfolger könntet ihr die Schatzung weigern? Ihr irrt, Späher!« Und er ergriff wie prüfend eines der Schwerter, welche die Gesandten vor ihm ausgebreitet, samt der Scheide, nahm es mit zwei Händen fest an Griff und Spitze: – ein Druck und in zwei Stücken warf er ihnen das Eisen vor die Füße »Schlechte Schwerter führen die Avaren«, sagte er ruhig. »Und nun komm, Athalarich, meines Reiches Erbe. Sie wollen dir nicht glauben, daß du meine Krone tragen kannst: zeig ihnen, wie du meinen Speer führest.«
Der Jüngling flog herbei. Die Gluthitze des Ehrgeizes zuckte über sein bleiches Antlitz. Er ergriff den schweren Speer seines Großvaters und schleuderte ihn mit solcher Kraft auf einen der Schilde, welche die Gesandten an die Holzpfeiler der Halle gelehnt, daß er ihn sausend durchbohrte und die Spitze noch tief in das Holzwerk drang. Stolz legte der König die Linke auf das Haupt seines Enkels und rief den Gesandten zu: »Jetzt geht, daheim zu melden, was ihr hier gesehen.«
Er wandte sich, die Pforten fielen zu und schlossen die staunenden Avaren aus. »Gebt mir einen Becher Wein. Leicht den letzten! Nein, ungemischten! Nach Germanen Art!« – und er wies den griechischen Arzt zurück – »Dank, alter Hildebrand, für diesen Trunk, so treu gereicht. Ich trinke der Goten Heil.« Er leerte langsam den Pokal. Und er setzte ihn noch fest auf den Marmortisch.
Aber da kam es über ihn, plötzlich, blitzähnlich, was die Ärzte lang erwartet: er wankte, griff an die Brust und stürzte rücklings in die Arme Hildebrands, der langsam niederknieend ihn auf den Marmorestrich gleiten ließ und das Haupt mit dem Kronhelm auf den Armen hielt.
Einen Augenblick hielten alle lauschend den Atem an: aber der König regte sich nicht, und laut aufschreiend warf sich Athalarich über die Leiche.
Zweites Buch: Athalarich
Erstes Kapitel.
Nicht ohne Grund fürchtete und hoffte Freund und Feind in diesem Augenblick schwere Gefahren für das junge Gotenreich. Noch waren es nicht vierzig Jahre, daß Theoderich im Auftrag des Kaisers von Byzanz mit seinem Volk den Isonzo überschritten und dem tapfern Abenteurer Odovakar, den ein Aufstand der germanischen Söldner auf den Thron des Abendlands erhoben, Krone und Leben entrissen hatte. Alle Weisheit und Größe des Königs hatte nicht die Unsicherheit beseitigen können, die in der Natur seiner mehr kühnen als besonnenen Schöpfung lag. Trotz der Milde seiner Regierung fühlten die Italier – und wir wollen uns hüten, solche Gesinnung zu verdammen – aufs tiefste die Schmach der Fremdherrschaft. Und diese Fremden waren als Barbaren und Ketzer doppelt verhaßt. Nach der Auffassung jener Zeit galten das weströmische und das oströmische Reich als eine unteilbare Einheit und, nachdem die Kaiserwürde im Okzident erloschen, erschien der oströmische Kaiser als der einzige rechtmäßige Herr des Abendlands. Nach Byzanz also waren die Augen aller römischen Patrioten, aller rechtgläubigen Katholiken von Italien gerichtet: von Byzanz erhofften sie Befreiung aus dem Joche der Ketzer, der Barbaren, Tyrannen. Und Byzanz hatte Macht und Neigung, diese Hoffnung zu erfüllen. Waren auch die Untertanen des Imperators nicht mehr die Römer Cäsars oder Trajans: – noch gebot das Ostreich über eine sehr ansehnliche, den Goten durch alle Mittel [] der Bildung und eines lang bestehenden Staatswesens unendlich überlegene Macht.
An der Lust aber, diese Überlegenheit zur Vernichtung des Barbarenreiches zu gebrauchen, konnte es nicht fehlen, da das Verhältnis beider Staaten von vornherein auf Überlistung, Mißtrauen und geheimen Haß gegründet war. Vor ihrem Abzug nach Italien hatte die Goten, in den Donauländern angesiedelt, an Byzanz ein für beide Teile unerfreuliches Bundesverhältnis geknüpft, das infolge des Ehrgeizes ihrer Könige, mehr noch der Treulosigkeit der Kaiser, fast alle paar Jahre in offnen Krieg zwischen den ungleichartigen Verbündeten umschlug: wiederholt hatte Theoderich, obwohl in Zeiten der Aussöhnung mit den höchsten Ehren des Reiches, mit den Titeln Konsul, Patricius, Adoptivsohn des Kaisers ausgezeichnet, seine Waffen bis vor die Tore der Kaiserstadt getragen.
Um diesen steten Reibungen ein Ende zu machen, hatte Kaiser Zeno, ein feiner Diplomat, das echt byzantinische Auskunftsmittel getroffen, den lästigen Gotenkönig mit seinem Volk dadurch aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen, daß er ihm als ein Danaergeschenk Italien übertrug, das erst dem eisernen Arm des Helden Odovakar entrissen werden mußte.
In der Tat, wie immer der Kampf zwischen den beiden deutschen Fürsten enden mochte: Byzanz mußte immer gewinnen. Siegte Odovakar, so waren die Goten und ihr furchtbarer König, denen man schöne Provinzen und schwere Jahrgelder hatte überlassen müssen, für immer beseitigt. Siegte Theoderich, nun, so war ein Anmaßer, den man zu Byzanz niemals anerkannt hatte, gestürztund, gestraft. und da Theoderich im Namen und Auftrag des Kaisers siegen und als Statthalter herrschen sollte, durch eine ruhmvolle Eroberung das Abendland wieder mit dem Ostreich vereinigt.
[] Aber der Ausgang des feinen Planes war doch nicht der erwünschte. Denn als Theoderich gesiegt und sein Reich in Italien gegründet hatte, entfaltete sich alsbald die ganze Großartigkeit seines Geistes und erwarb ihm eine Stellung, in der, bei aller Höflichkeit in den Formen, doch jede Abhängigkeit von Byzanz völlig verschwand.
Nur wo es ihm diente, so, um die Abneigung der Italier zu schwächen, berief er sich formell auf jenen Auftrag des Kaisers: in Wahrheit aber herrschte er auch über die Italier wie über seine Goten nicht als Statthalter und im Namen des Byzantiners, sondern kraft eignen Rechts, kraft seines Sieges, als »König der Goten und Italier.« Dies führte natürlich zu Mißhelligkeiten mit dem Kaiser, die wiederholt in offnen Krieg zwischen den beiden Reichen aufloderten. Es war also kein Zweifel, daß man zu Byzanz sehr bereit war, dem Seufzen Italiens nach Abwerfung des Barbarenjoches ein Ende zu bringen, so wie man sich stark genug fühlte. Und die Goten hatten keine Bundesgenossen gegen diese innern und äußern Feinde. Denn Theoderichs Ruhm und Ansehen und seine Politik der Verschwägerung mit allen Germanenfürsten hatten ihm doch nur eine Art moralischen Protektorats, keine sichre Verstärkung seiner Macht verschaffen können.
Es fehlte dem Gotenreich, das eine geniale Persönlichkeit allzuverwegen und vertrausam mitten in das Herz der römischen Bildungswelt gepflanzt hatte, der unmittelbare Zusammenhang mit noch nicht romanisierten Volkskräften, es fehlte der Nachschub an frischen germanischen Elementen, der das gleichzeitig entstehende Reich der Franken immer wieder verjüngt und wenigstens dessen nordöstliche Teile vor der mit der Romanisierung verbundenen Fäulnis bewahrt hatte, während die kleine gotische Insel, auf allen Seiten von den feindlichen Wellen des römischen Lebens umspült und benagt, diesen gegenüber von Jahr zu Jahr zusammenschmolz.
[] Solange Theoderich, der gewaltige Schöpfer dieses gewagten Werkes lebte, blendete der Glanz seines Namens über die Gefahren und Blößen seiner Schöpfung.
Aber mit Recht zitterte man vor dem Augenblick, da das Steuer dieses gefährdeten Schiffes in die Hand eines Weibes oder eines kranken Jünglings übergehen sollte: Aufstände der Italier, Einmischung des Kaisers, Abfall der unterworfenen, Angriffe der feindlichen Barbarenstämme waren zu besorgen. Wenn der gefährliche Augenblick gleichwohl ruhig vorüberging, so war dies vor allem der unermüdlich eifrigen und vorsorglichen Tätigkeit zu danken, die Cassiodor, des Königs Freund und langbewährter Minister, schon seit Wochen entfaltet hatte und jetzt, nach dem Tode Theoderichs, verdoppelte. Um die Italier in Ruhe zu erhalten, ward sofort ein Manifest erlassen, das die Thronbesteigung Athalarichs, unter Vormundschaft seiner Mutter, als eine bereits vollendete und in aller Ruhe vollzogene Tatsache Italien und den Provinzen verkündete. Sofort auch wurden in alle Teile des Reiches Beamte entsendet, die den Huldigungseid der Bevölkerung entgegennehmen, aber auch im Namen des jungen Königs eidlich geloben sollten, daß die neue Regierung alle Rechte und Freiheiten der Italier und Provinzialen achten und in allen Stücken die Milde, ja Vorliebe des großen Toten für seine römischen Untertanen zum Muster nehmen werde.
Gleichzeitig wurde aber auch dafür gesorgt, daß eine Furcht gebietende Entfaltung der gotischen Heeresmacht an den Grenzen und in den wichtigsten oder unruhigsten Städten des Reiches äußeren und inneren Gegnern die Lust zu Feindseligkeiten vertreibe, während mit dem Kaiserhof das gute Vernehmen durch Gesandtschaften und Briefe sehr verbindlicher Haltung befestigt oder erneuert wurde.
[] Zweites Kapitel.
Neben Cassiodor war es nun aber vor allen ein Mann, der in jenen Tagen des Übergangs eine bedeutende und, wie es der Regentschaft schien, hochverdienstliche Rolle spielte.
Das war kein andrer als Cethegus.
Er hatte das wichtige Amt eines Stadtpräfekten von Rom übernommen. Er war, sowie der König die Augen geschlossen, spornstreichs aus dem Palast und den Toren von Ravenna nach der ihm anvertrauten Tiberstadt geeilt und dort vor aller Kunde des Geschehenen eingetroffen.
Sofort, noch eh' der Tag angebrochen, hatte er die Senatoren in dem »Senatus,« d.h. dem geschlossenen Hallenbau Domitians nahe dem Janus Geminus, rechtsab vom Severusbogen, versammelt, darauf das Gebäude mit gotischen Truppen umstellt, die überraschten Senatoren – von denen er gar manchen erst neuerlich in den Katakomben gesehen und zur Vertreibung der Barbaren angefeuert hatte – von dem bereits vollzognen Thronwechsel benachrichtigt und (nicht ohne einige auf die von dem Saal aus deutlich sichtbaren Speere der Gotentausendschaft gelinde hinweisende Worte) mit einer keinen Widerspruch duldenden Raschheit für Athalarich in Eid und Pflicht genommen.
Dann verließ er den »Senatus,« wo er die Väter eingeschlossen hielt, bis er in dem flawischen Amphitheater, wohin er eine Volksversammlung der Römer berufen, diese unter Beiziehung der starken gotischen Besatzung abgehalten und die leicht beweglichen »Quiriten« durch eine meisterhafte Rede für den jungen König begeistert hatte. Er zählte die Wohltaten Theoderichs auf, verhieß gleiche Milde von dessen Enkel, der übrigens bereits von ganz Italien, den Provinzen und den Vätern dieser Stadt anerkannt sei, meldete eine allgemeine Speisung des römischen Volkes mit Brot und Wein [] als den ersten Regierungsakt Amalaswinthens an und schloß mit der Verkündung siebentägiger Zirkusspiele – Wettfahrten mit einundzwanzig spanischen Viergespannen – mit welchen er selbst die Thronbesteigung Athalarichs und den Antritt seiner Präfektur feiern werde.
Da erhob tausendstimmiges Jubelgeschrei die Namen der Regentin und ihres Sohnes, aber noch lauter den Namen Cethegus, das Volk verlief sich in heller Freude, die eingesperrten Senatoren wurden nunmehr entlassen und die ewige Stadt war für die Goten erhalten. Der Präfekt aber eilte nach seinem Hause am Fuß des Kapitols, schloß sich ein und schrieb eifrig seinen Bericht an die Regentin.
Jedoch ungestüm pochte es alsbald an der ehernen Vortür des Hauses. Es war Lucius Licinius, der junge Römer, den wir in den Katakomben kennengelernt: er schlug mit dem Schwertknauf gegen die Pforte, daß das Haus dröhnte. Ihm folgten Scävola, der Jurist – er war unter den Eingesperrten gewesen – mit schwer gefurchter Stirn und Silverius, der Priester, mit zweifelnder Miene.
Vorsichtig lugte der Ostiarius an der Türe durch eine verborgne Luke in der Mauer und ließ, als er Licinius erkannte, die Männer ein. Heftig stürmte der Jüngling den andern voraus den ihm wohlbekannten Weg durch das Vestibulum, das Atrium und dessen Säulengang in das Studierzimmer des Cethegus. Dieser, als er die hastig nahenden Schritte vernahm, erhob sich von dem Lectus, auf den hingestreckt er schrieb, und verschloß seine Briefe in einer Kapsula mit silberner Kuppel. »Ah, die Vaterlandsbefreier!« sagte er lächelnd und trat ihnen entgegen.
»Schändlicher Verräter!« schrie ihn Licinius an, die Hand am Schwert – der Zorn ließ ihn nicht weitersprechen, er zückte halb das breite Eisen aus der Scheide.
»Halt, erst laß ihn sich verteidigen, wenn er kann,« keuchte, [] dem Stürmischen in den Arm fallend, Scävola, der jetzt nachgekommen war. »Es ist unmöglich, daß er abgefallen von der Sache der heiligen Kirche,« sprach Silverius im Eintreten.
»Unmöglich?« lachte Licinius, »wie? seid ihr toll oder bin ich's? Hat er nicht uns, die Ritter, in ihren Häusern festhalten lassen? Hat er nicht die Tore gesperrt und den Pöbel für den Barbaren vereidigt?« – »Hat er nicht,« sprach Cethegus fortfahrend, »die edeln Väter der Stadt, dreihundert an der Zahl, in der Kurie wie soviel Mäuse in der Mausfalle gefangen, dreihundert hochadlige Mäuse?« – »Er höhnt uns noch! Wollt ihr das dulden?« rief Licinius. Und Scävola erbleichte vor Zorn. »Nun, und was hättet ihr getan, wenn man euch hätte handeln lassen?« fragte der Präfekt ruhig, die Arme auf der breiten Brust kreuzend. »Was wir getan hätten?« antwortete Licinius, »was wir – was du mit uns hundertmal verabredet! Sobald die Nachricht von dem Tod des Tyrannen eintraf, hätten wir die Goten in der Stadt erschlagen, die Republik ausgerufen und zwei Konsuln ernannt –« – »Namens Licinius und Scävola, das ist die Hauptsache. Nun, und dann? Was dann?« – »Was dann? die Freiheit hätte gesiegt!«
»Die Torheit hätte gesiegt!« herrschte Cethegus losbrechend den Erschrocknen an. »Wie gut, daß man euch die Hände band: ihr hättet alle Hoffnung erwürgt, auf immer. Seht her und dankt mir auf den Knieen!« Er nahm Urkunden aus einer andern Papyruskapsel und gab sie den Erstaunten. »Da, lest. Der Feind war gewarnt und hatte seine Schlinge meisterhaft um den Nacken Roms geschürzt. Wenn ich nicht handelte, so stand in diesem Augenblick Graf Witichis mit zehntausend Goten vor dem Salarischen Tor im Norden, morgen sperrte der junge Totila mit der Flotte von Neapel im Süden die Tibermündung, und gegen das Grabmal [] Hadrians und das Aurelische Tor war Herzog Thulun mit zwanzigtausend Mann von Westen her im Anzug. Hättet ihr heute früh einem Goten ein Haar gekrümmt, was wäre geschehen?«
Silverius atmete auf. Die beiden andern schwiegen beschämt. Doch faßte sich Licinius: »Wir hätten den Barbaren getrotzt hinter unsern Mauern,« sprach er, mutig das schöne Haupt aufwerfend. – »Ja. So wie ich diese Mauern herstellen werde – eine Ewigkeit, mein Licinius: wie sie jetzt sind – nicht einen Tag.« – »So wären wir gestorben als freie Bürger,« sprach Scävola. »Das hättet ihr vor drei Stunden in der Kurie auch gekonnt,« lachte Cethegus achselzuckend. Silverius trat mit offnen Armen, wie um ihn zu küssen, auf ihn zu; vornehm entzog sich Cethegus: »Du hast uns alle, du hast Kirche und Vaterland gerettet! Ich habe nie an dir gezweifelt!« sprach der Priester. Da ergriff Licinius die Hand des Präfekten, die dieser ihm willig ließ:
»Ich habe an dir gezweifelt,« rief er mit schöner Offenheit, »vergib, du großer Römer. Dies Schwert, das dich heute durchbohren sollte, dir ist es fortan für ewig zu Dienst. Und bricht der Tag der Freiheit an, dann keine Konsuln, dann salve, Diktator Cethegus!« Und mit leuchtenden Augen eilte er hinaus. Der Präfekt warf ihm einen befriedigten Blick nach. »Diktator, ja, doch nur bis zur vollen Sicherheit der Republik!« sprach der Jurist und folgte ihm. »Jawohl,« lächelte Cethegus, »dann wecken wir Camillus und Brutus wieder auf und führen die Republik da fort, wo sie diese vor tausend Jahren gelassen. Nicht wahr, Silverius?« – »Präfekt von Rom,« sprach der Priester, »du weißt, ich hatte den Ehrgeiz, die Sache des Vaterlands wie der Heiligen zu leiten: ich hab' ihn nicht mehr seit dieser Stunde. Dein sei die Führung, ich folge. Gelobe nur das Eine: Freiheit der römischen Kirche – freie Papstwahl.« – »Jawohl,« sagte Cethegus, [] »sowie nur erst Silverius Papst geworden. Es gilt.« – Der Priester schied mit einem Lächeln auf den Lippen, aber schwere Gedanken im Herzen. »Geht,« sagte Cethegus nach einer Pause, den dreien nachblickend, »ihr werdet keinen Tyrannen stürzen: – ihr braucht einen Tyrannen!« Dieser Tag, diese Stunde wurden entscheidend für Cethegus: fast ohne seinen Willen ward er durch die Ereignisse fortgetrieben zu neuen Stimmungen und Anschauungen, zu Zielen, die er sich bisher nie mit solcher Klarheit vorgesteckt, oder doch nie als mehr denn Träume, die er sich als Ziele eingestanden hatte.
Er erkannte sich in diesem Augenblick als alleinigen Herrn der Lage: er hatte die beiden großen Parteien der Zeit, die Gotenregierung und ihre Feinde, die Verschwornen, völlig in seiner Hand. Und in der Brust dieses gewaltigen Mannes wurde die Haupttriebfeder, die er seit Jahrzehnten für gelähmt erachtet, plötzlich wieder in mächtigste Tätigkeit gesetzt: der unbegrenzte Drang, ja das Bedürfnis, zu herrschen, machte sich mit einem Male alle Kräfte dieses reichen Lebens dienstbar und trieb sie an zu heftiger Bewegung.
Cornelius Cethegus Cäsarius war der Abkömmling eines alten und unermeßlich reichen Geschlechts, dessen Ahnherr den Glanz seines Hauses als Feldherr und Staatsmann Cäsars in den Bürgerkriegen gegründet: – man sagte, er sei ein Sohn des großen Diktators gewesen. – Unser Cethegus hatte von der Natur die vielseitigsten Anlagen und die gewaltigsten Leidenschaften und durch seine gewaltigen Reichtümer die Mittel erhalten, jene aufs großartigste zu entfalten, diese aufs großartigste zu befriedigen. Er empfing die sorgfältigste Bildung, die damals einem jungen Adligen Roms gegeben werden konnte.
Er übte sich bei den ersten Lehrern in den schönen Künsten. Er trieb zu Berytus, zu Alexandrien, zu Athen in den besten Schulen mit glänzenden Erfolgen das Studium des Rechts, der Geschichte, der Philosophie.
[] Aber all das befriedigte ihn nicht. Er fühlte den Hauch des Verfalls in aller Kunst und Wissenschaft seiner Zeit. Die Philosophie insbesondre vermochte nur die letzten Reste des Glaubens in ihm zu zerstören, ohne ihm irgendwelche Befriedigung in positiven Ergebnissen zu gewähren. Als er von seinen Studien zurückkam, führte ihn sein Vater nach der Sitte der Zeit in den Staatsdienst ein: rasch stieg der glänzend Begabte von Amt zu Amt.
Aber plötzlich sprang er aus.
Nachdem er die Staatsgeschäfte zur Genüge kennengelernt, mochte er nicht länger ein Rad in der großen Maschine des Reiches sein, das die Freiheit ausschloß und obenein dem Barbarenkönig diente. Da starb sein Vater, und Cethegus warf sich, nun Herr seiner selbst und eines ungeheuern Vermögens geworden, mit der Gewalt, mit welcher er alles verfolgte, in die wildesten Strudel des Lebens, des Genusses, der Lüste. Mit Rom war er bald fertig: da machte er große Reisen nach Byzanz, nach Ägypten, bis nach Indien drang er vor. Da war kein Luxus, kein unschuldiger und kein schuldiger Genuß, den er nicht schlürfte. Nur ein stählerner Körper konnte die Anstrengungen, die Entbehrungen, die Abenteuer, die Ausschweifungen dieser Fahrten ertragen.
Nach zwölf Jahren kehrte er zurück nach Rom.
Es hieß, er werde großartige Bauten aufführen; man freute sich, das üppigste Leben in seinen Häusern und Villen beginnen zu sehen, man täuschte sich sehr.
Cethegus baute sich nur das kleine Haus am Fuß des Kapitols, bequem und von feinstem Geschmack, und lebte mitten in dem volkreichen Rom wie ein Einsiedler.
Er gab unvermutet eine Schilderung seiner Reisen heraus, eine Charakterisierung der wenig bekannten Völker und Länder, die er besucht. Das Buch hatte unerhörten Erfolg; Cassiodor und Boëthius warben um seine Freundschaft, der große König [] wollte ihn an seinen Hof ziehen. Aber plötzlich war er aus Rom verschwunden. Das Ereignis, das ihn in jenen Tagen betroffen haben mußte, blieb allen Nachforschungen der Neugier, der Teilnahme, der Schadenfreude verborgen.
Man erzählte sich damals, arme Fischer hätten ihn eines Morgens am Ufer des Tibers vor den Toren der Stadt, bewußtlos und dem Tode nah, gefunden.
Wenige Wochen später tauchte er wieder an der Nordostgrenze des Reiches in den unwirtlichen Donauländern auf, wo der blutige Krieg mit Gepiden, mit Avaren und Sclavenen raste. Dort schlug er sich mit todverachtender Tapferkeit mit diesen wilden Barbaren herum, verfolgte sie mit erlesenen, von ihm besoldeten Scharen freiwillig in alle Schlupfwinkel ihrer Felsen, schlief alle Nächte auf der gefrornen Erde. Und als der gotische Feldherr ihm eine kleine Schar zu einem Streifzug anvertraute, griff er statt dessen Sirmium an, die feste Hauptstadt der Feinde, und eroberte sie mit nicht geringerer Feldherrnkunst als Tapferkeit. Nach dem Friedensschluß machte er abermals Reisen nach Gallien und Spanien und Byzanz, kehrte von da nach Rom zurück und lebte dort jahrelang in einer verbitterten Muße und Zurückgezogenheit, alle kriegerischen, bürgerlichen, wissenschaftlichen Ämter und Ehren ausschlagend, die ihm Cassiodor aufdringen wollte. Er schien für nichts mehr Interesse zu haben als für seine Studien.
Vor einigen Jahren brachte er von einer Reise nach Gallien einen schönen Jüngling oder Knaben mit, welchem er Rom und Italien zeigte und väterliche Liebe und Sorgfalt erwies. Es hieß, er wolle ihn adoptieren: solange dieser sein junger Gast um ihn war, trat er aus seiner Einsamkeit heraus, lud die adlige Jugend Roms zu glänzenden Festen in seine Villen und war bei den Gegeneinladungen. die er alle annahm, der liebenswürdigste Gesellschafter. Aber sowie er den jungen Julius Montanus mit einem stattlichen Gefolge von Pädagogen, [] Freigelassenen und Sklaven nach Alexandrien in die gelehrten Schulen entsendet hatte, brach er plötzlich wieder alle Verbindungen ab und zog sich in seine undurchdringliche Abgeschlossenheit zurück, grollend wie es schien mit Gott und der ganzen Welt. Mit schwerer Mühe gelang es dem Priester Silverius und Rusticianen, ihn aus seiner ablehnenden Ruhe heraus und zur Teilnahme an der Katakombenverschwörung fortzuziehen. Er wurde, wie er ihnen sagte, Patriot aus eitel Langweile. Und in der Tat, bis zu dem Tod des Königs hatte er das Unternehmen, dessen Leitung doch in seiner und des Diakons Hand lag, fast mit Abneigung betrieben.
Dies wurde jetzt anders. Der tiefste Zug seines Wesens, der Drang, in allen möglichen Gebieten des Geistes sich zu versuchen, die Schwierigkeiten zu überwinden, alle Nebenbuhler zu überflügeln, in jedem Lebenskreise, den er betrat, zu herrschen, allein und ohne Widerstand und, sobald er den Siegeskranz genommen, ihn gleichgültig wegzuwerfen und nach neuen Aufgaben auszuschauen, hatte ihn bisher bei keinem Ziele volle Befriedigung finden lassen. Kunst, Wissenschaft, Genuß, Amtsehre, Kriegsruhm: alles hatte ihn gereizt, alles hatte er wie kein andrer gewonnen und alles hatte ihn leer gelassen. Herrschen, der erste sein, über widerstrebende Verhältnisse mit allen Mitteln überlegner Kraft und Klugheit siegen und dann über knirschende Menschen ein ehernes Regiment führen, das allein hatte er unbewußt und bewußt von jeher erstrebt: nur darin fühlte er sich wohl.
In stolzen, vollen Atemzügen hob sich darum in dieser Stunde seine Brust: er, der Eisigkalte, erglühte in dem Gedanken, daß er über die beiden großen feindlichen Mächte der Zeit, Goten und Römer, heute mit einem Zucken seiner Wimper gebot: und aus diesem Wonnegefühl der Herrschaft stieg ihm mit dämonischer Gewalt die Überzeugung empor, [] daß es für ihn und seinen Ehrgeiz nur noch Ein Ziel gab, welches das Leben der Mühe des Lebens wert machen könne, nur noch Ein Ziel, ein sonnenfernes, jedem andern unerreichbares: – er glaubte gern an seine Abkunft von Julius Cäsar und er fühlte das Blut Cäsars aufwallen in seinen Adern bei dem Gedanken: – Cäsar, Imperator des Abendlands, Kaiser der römischen Welt! – – – –
Als vor Monaten dieser Blitz zum erstenmal seine Seele durchzuckt hatte – kein Gedanke – kein Wunsch – nur ein Schatten, ein Traum – erschrak er und lächelte zugleich über seine unermeßliche Kühnheit. Er Kaiser und Wiederaufrichter des römischen Weltreichs! Und Italien bebte unter dem Schritt von dreimalhunderttausend gotischen Kriegern! Und der größte aller Barbarenkönige, dessen Ruhm die Erde erfüllte, saß gewaltig herrschend zu Ravenna. Und wenn die Macht der Goten gebrochen war, so streckten die Franken über die Alpen, die Byzantiner übers Meer die gierigen Hände nach der italienischen Beute, zwei große Reiche gegen ihn, den einzelnen Mann! –
Denn wahrlich, einsam stand er in seinem Volk! Wie genau kannte, wie bitter verachtete er seine Landsleute, die unwürdigen Enkel großer Ahnen! Wie lachte er der Schwärmerei eines Licinius oder Scävola, die mit diesen Römern die Tage der Republik erneuern wollten!
Er stand allein.
Aber gerade dies reizte seinen stolzen Ehrgeiz. Und gerade in diesem Augenblick, da ihn die Verschworenen verlassen hatten, da seine Überlegenheit gewaltiger als je ihnen und ihm selbst klar geworden war, gerade jetzt schoß in seiner Brust was früher ein schmeichelnd Spiel seiner träumenden Stunden gewesen mit Blitzesschnelle zum klaren Gedanken, zum festen Entschluß empor.
Die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt, mit starken [] Schritten, wie ein Löwe seinen Käfig, das Gemach durchmessend, sprach er in abgerissenen Sätzen zu sich selbst:
»Mit einem tüchtigen Volk hinter sich die Goten hinaustreiben, Griechen und Franken nicht hereinlassen: das wäre nicht schwer, das könnte ein andrer auch. Aber allein, ganz allein, von diesen Männern ohne Mark und Willen mehr gehemmt als getragen, das Ungeheure vollenden, und diese Memmen erst wieder zu Helden, diese Sklaven zu Römern, diese Knechte der Pfaffen und Barbaren wieder zu Herren der Erde machen: – das, das ist der Mühe wert. Ein neues Volk, eine neue Zeit, eine neue Welt schaffen, allein, ein einziger Mann, mit der Kraft seines Willens und der Macht seines Geistes: – das hat noch kein Sterblicher vollbracht: – das ist größer als Cäsar: er führte Legionen von Helden! Und doch, es kann getan werden, denn es kann gedacht werden. Und ich, der's denken konnte, ich kann's auch tun. Ja, Cethegus, das ist ein Ziel, dafür verlohnt sich's zu denken, zu leben, zu sterben. Auf und ans Werk, und von nun an: – keinen Gedanken mehr und kein Gefühl als für dies Eine.«
Er stand still vor der Kolossalstatue Cäsars aus weißem parischem Marmor, die, das Meisterwerk des Arkesilaos und der edelste Schmuck, ja nach der Familientradition von Julius Cäsar selbst dem Sohne geschenkt, das Heiligtum dieses Hauses, gegenüber dem Schreibdiwan stand:
»Hör' es, göttlicher Julius, großer Ahnherr, es lüstet deinen Enkel, mit dir zu ringen: es gibt noch ein Höheres, als du erreicht: schon fliegen nach einem höheren Ziel als du, ist unsterblich und fallen, fallen aus solcher Höhe: das ist der herrlichste Tod. Heil mir, daß ich wieder weiß, warum ich lebe.«
Er schritt an der Bildsäule vorbei und warf einen Blick auf die auf dem Tisch aufgerollte Militärkarte des römischen Weltreichs:
»Erst diese Barbaren zertreten –: Rom! – Dann den [] Norden wieder unterwerfen –: Paris! – Dann zum alten Gehorsam unter die alte Cäsarenstadt das abtrünnige Ostreich zurückheischen –: Byzanz! Und weiter, immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros – und zurück nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber – die Bahn, welche dir, Cäsar, der Dolch des Brutus durchschnitten. – Und so größer als du, größer als Alexander – o halt, Gedanke, halt ein!«
Und der eisige Cethegus loderte und glühte; mächtig pochten seine Adern an den Schläfen: er drückte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust Julius Cäsars, der majestätisch auf ihn niederschaute.
Drittes Kapitel.
Aber nicht nur für Cethegus wurde dieser Tag von entscheidender Bedeutung, auch für die Verschwörung in den Katakomben, für Italien und das Reich der Goten.
Hatten die Umtriebe der Patrioten, geleitet von mehreren Häuptern, die über die Mittel, ja sogar über die Zwecke ihrer Pläne nicht immer einig waren, bisher nur langsame und unsichre Fortschritte gemacht, so ward dies anders von dem Augenblick an, da der weitaus begabteste Mann dieser Partei, da Cethegus die Führung in die kräftige Hand nahm.
Unbedingt hatten sich die bisherigen Häupter des Bundes – sogar, wie es schien, Silverius – dem Präfekten untergeordnet, der seine Überlegenheit so mächtig bewährt und das Leben ihrer Sache gerettet hatte.
Erst von jetzt an wurde der Geheimbund den Goten wahrhaft gefährlich.
Unermüdlich war Cethegus beschäftigt, die Macht und Sicherheit ihres Reiches auf allen Seiten zu untergraben: mit seiner großen Kunst, die Menschen zu durchschauen, zu [] gewinnen und zu beherrschen, wußte er die Zahl bedeutender Mitglieder und die Mittel der Partei von Tag zu Tag zu vermehren.
Aber er wußte auch mit kluger Vorsicht einerseits jeden Verdacht der gotischen Regierung zu vermeiden, andrerseits jede unzeitige Erhebung der Verschwornen zu verhindern. Denn ein leichtes wär' es freilich gewesen, plötzlich an Einem Tage in allen Städten der Halbinsel die Barbaren zu überfallen, die Erhebung zu beginnen und die Byzantiner. die längst hierauf lauerten, zur Vollendung des Sieges ins Land zu rufen. Aber damit hätte der Präfekt seine geheimen Pläne nicht hinausgeführt. Er hätte nur an die Stelle der gotischen Herrschaft die byzantinische Tyrannei gesetzt.
Und wir wissen, er verfolgte ein ganz andres Ziel.
Um dies zu erreichen, mußte er sich zuvor in Italien eine Machtstellung schaffen, wie sie kein andrer besaß.
Er mußte, wenn auch nur im stillen, der mächtigste Mann im Lande sein, ehe der Fuß eines Byzantiners es betrat, ehe der erste Gote fiel. Die Dinge mußten soweit vorbereitet sein, daß die Barbaren von Italien, das hieß von Cethegus allein, mit möglichst geringer Nachhilfe von Byzanz, vertrieben würden, so daß nach dem Siege der Kaiser gar nicht umhin konnte, die Herrschaft über das befreite Land seinem Befreier, wenn auch zunächst nur als Statthalter, zu überlassen. Alsdann hatte er Zeit und Anlaß gewonnen, den Nationalstolz der Römer gegen die Herrschaft der »Griechlein,« wie man die Byzantiner verächtlich nannte, aufzureizen.
Denn obwohl seit zweihundert Jahren, seit den Tagen des großen Konstantin, der Glanz der Weltherrschaft von der verwitweten Roma hinweg nach der goldnen Stadt am Hellespont verlegt und das Zepter von den Söhnen des Romulus auf die Griechen übergegangen schien, obwohl das Ost- und das Westreich zusammen der Barbarenwelt gegenüber [] Einen Staat der antiken Bildung bilden sollten, so waren doch auch jetzt noch die Griechen den Römern verhaßt und verächtlich, wie in den Tagen, da Flaminius das gedemütigte Hellas für eine Freigelassene Roms erklärt hatte: der alte Haß war jetzt durch Neid vermehrt. Deshalb war der Mann der Begeisterung und der Hilfe ganz Italiens gewiß, der nach Vertreibung der Barbaren auch die Byzantiner aus dem Lande weisen würde: die Krone von Rom, die Krone des Abendlands war sein sichrer Lohn. Und wenn es gelang, das neugeweckte Nationalgefühl wieder zum Angriffskrieg über die Alpen zu treiben, wenn Cethegus auf den Trümmern des Frankenreichs zu Aurelianum und Paris die Herrschaft des römischen Imperators über das Abendland wieder aufgerichtet hatte, dann war der Versuch nicht mehr zu kühn, auch das losgerissene Ostreich zurückzuzwingen zum Gehorsam unter das ewige Rom und die Weltherrschaft am Strand des Tibers da fortzuführen, wo sie Trajan und Hadrian gelassen. –
Doch um diese fernher leuchtenden Ziele zu erreichen, mußte jeder nächste Schritt auf dem schwindelsteilen Pfad mit größter Vorsicht geschehen: jedes Straucheln mußte für immer verderben. Um Italien zu beherrschen, als Kaiser zu beherrschen, mußte Cethegus vor allem Rom haben: denn nur an Rom ließen sich jene Gedanken knüpfen. Deshalb wandte der neue Präfekt höchste Sorgfalt auf die ihm anvertraute Stadt: Rom sollte ihm moralisch und physisch eine Burg der Herrschaft werden, ihm allein gehörig und unentreißbar. Sein Amt bot ihm dazu die beste Gelegenheit: es war ja die Pflicht des Präfectus Urbi, für das Wohl der Bevölkerung, für Erhaltung und Sicherheit der Stadt zu sorgen. Cethegus verstand es meisterhaft, die Rechte, die in dieser Pflicht lagen, für seine Zwecke auszubeuten. leicht hatte er alle Stände für sich gewonnen: der Adel ehrte in ihm das Haupt der Katakombenverschwörung, über die Geistlichkeit herrschte er durch Silverius, [] der die rechte Hand und der von der öffentlichen Stimme bezeichnete Nachfolger des greisen Papstes war und dem Präfekten eine diesem selbst befremdliche Ergebenheit an den Tag legte. Das niedre Volk aber fesselte er an seine Person nicht nur durch vorübergehende Brotspenden und Zirkusspiele aus seiner Tasche, sondern durch großartige Unternehmungen, die vielen Tausenden auf Jahre hinaus Arbeit und Unterhalt – auf Kosten der gotischen Regierung – erschafften.
Er setzte bei Amalaswintha den Befehl durch, die Befestigungen Roms, die seit den Tagen des Honorius durch die Zeit und durch den Eigennutz römischer Bauherren vielmehr als durch westgotische und vandalische Eroberer gelitten hatten, vollständig und rasch wieder herzustellen, »zur Ehre der ewigen Stadt und, – wie sie wähnte, – zum Schutz gegen die Byzantiner.«
Cethegus selbst hatte – und zwar, wie die alsbald folgenden vergeblichen Belagerungen durch Goten und Byzantiner bewiesen, mit genialem Feldherrnblick – den Plan der großartigen Werke entworfen. Und er betrieb nun mit größtem Eifer das Riesenwerk, die ungeheure Stadt in ihrem weiten Umfang von vielen Meilen zu einer Festung ersten Ranges umzuschaffen. Die Tausende von Arbeitern, die wohl wußten, wem sie diese reich bezahlte Beschäftigung verdankten, jubelten dem Präfekten zu, wenn er auf den Schanzen sich zeigte, prüfte, antrieb, besserte und wohl selbst mit Hand anlegte. Und die getäuschte Fürstin wies eine Million Solidi nach der andern an für einen Bau, an dem alsbald die ganze Streitmacht ihres Volkes zerschellen und verbluten sollte.
Der wichtigste Punkt dieser Befestigungen war das heute unter dem Namen der Engelsburg bekannte Grabmal Hadrians. Dies Prachtgebäude, von Hadrian aus parischen Marmorquadern, die ohne anderes Bindungsmittel zusammengefügt waren, aufgeführt, lag damals einen Steinwurf vor dem [] Aurelischen Tor, dessen Mauerseiten es weit überragte. Mit scharfem Auge hatte Cethegus erkannt, daß das unvergleichlich feste Gebäude, in seiner bisherigen Lage ein Festungswerk gegen die Stadt, sich durch ein einfaches Mittel in ein Hauptbollwerk für die Stadt verwandeln ließ: er führte vom Aurelischen Tor zwei Mauern gegen und um das Grabmal. Und nun bildete die turmhohe Marmorburg eine sturmfreie Schanze für das Aurelische Tor, um so mehr als der Tiber knapp davor einen natürlichen Festungsgraben zog. Oben auf der Mauer des Mausoleums aber standen, zum Teil noch von Hadrian und seinem Nachfolger hier aufgestellt, gegen dreihundert der schönsten Statuen aus Marmor, Bronze und Erz: darunter der Divus Hadrianus selbst, sein schöner Liebling Antinous, ein Zeus Soter, die Pallas »Städtebeschirmerin«, ein schlafender Faun und viele andere.
Cethegus freute sich seines Gedankens und liebte diese Stätte, wo er allabendlich zu wandeln pflegte, sein Rom mit dem Blick beherrschend und den Fortschritt der Schanzarbeiten prüfend: und er hatte deshalb eine reiche Zahl von schönen Statuen aus seinem Privatbesitz hier noch aufstellen lassen.
Viertes Kapitel.
Vorsichtiger mußte Cethegus bei Ausführung einer zweiten, für seine Ziele nicht minder unerläßlichen Vorbereitung sein. Um selbständig in Rom, in seinem Rom, wie er es, als Stadtpräfekt, zu nennen liebte, den Goten und nötigenfalls den Griechen trotzen zu können, bedurfte er nicht bloß der Wälle, sondern auch der Verteidiger auf denselben. Er dachte zunächst an Söldner, an eine Leibwache, wie sie in jenen Zeiten hohe Beamte, Staatsmänner und Feldherren häufig gehalten hatten, wie sie jetzt Belisar und[] dessen Gegner Narses in Byzanz hielten. Nun gelang es ihm zwar, durch früher auf seinen Reisen in Asien angeknüpfte Verbindungen und bei seinen reichen Schätzen tapfre Scharen der wilden isaurischen Bergvölker, die in jenen Zeiten die Rolle der Schweizer des sechzehnten Jahrhunderts spielten, in seinen Sold zu ziehen. Indessen hatte dies Verfahren doch zwei sehr eng gezogne Schranken.
Einmal konnte er auf diesem Wege, ohne seine für andre Zwecke unentbehrlichen Mittel zu erschöpfen, doch immer nur verhältnismäßig kleine Massen aufbringen, den Kern eines Heeres, nicht ein Heer. Und ferner war es unmöglich, diese Söldner, ohne den Verdacht der Goten zu wecken, in größerer Anzahl nach Italien, nach Rom zu bringen. Einzeln, paarweise, in kleinen Gruppen schmuggelte er sie mit vieler List und vieler Gefahr als seine Sklaven, Freigelassenen, Klienten, Gastfreunde in seine durch die ganze Halbinsel zerstreuten Villen oder beschäftigte sie als Matrosen und Schiffsleute im Hafen von Ostia oder als Arbeiter in Rom.
Schließlich mußten doch die Römer Rom erretten und beschützen und all seine ferneren Pläne drängten ihn, seine Landsleute wieder an die Waffen zu gewöhnen.
Nun hatte aber Theoderich wohlweislich die Italier von dem Heer ausgeschlossen – nur Ausnahmen bei einzelnen als besonders zuverlässig Erachteten wurden gemacht – und in den unruhigen letzten Zeiten seines Regiments während des Prozesses gegen Boëthius ein Gebot allgemeiner Entwaffnung der Römer erlassen.
Letzteres war freilich nie streng durchgeführt worden: aber Cethegus konnte doch nicht hoffen, die Regentin werde ihm erlauben, gegen den entschiedenen Willen ihres großen Vaters und gegen das offenbare Interesse der Goten eine irgendwie bedeutende Streitmacht aus Italien zu bilden.
Er begnügte sich, ihr vorzustellen, daß sie durch ein ganz [] unschädliches Zugeständnis sich das Verdienst erwirken könne, jene gehässige Maßregel Theoderichs in edlem Vertrauen aufgehoben zu haben und schlug ihr vor, ihm zu gestatten, nur zweitausend Mann aus der römischen Bürgerschaft als Schutzwache Roms rüsten, einüben und immer unter den Waffen gegenwärtig halten zu dürfen: die Römer würden ihr schon für diesen Schein, daß die ewige Stadt nicht von Barbaren allein gehütet werde, unendlich dankbar sein. Amalaswintha, begeistert für Rom und nach der Liebe der Römer als ihrem schönsten Ziele trachtend, gab ihre Einwilligung und Cethegus fing an seine »Landwehr«, wie wir sagen würden, zu bilden. Er rief in einer wie Trompetenschall klingenden Proklamation »die Söhne der Scipionen zu den alten Waffen zurück,« er bestellte die jungen Adligen der Katakomben zu »römischen Rittern« und »Kriegstribunen,« er verhieß jedem Römer, der sich freiwillig meldete, aus seiner Tasche Verdoppelung des von der Fürstin bestimmten Soldes: er hob aus den Tausenden, die sich darauf herbeidrängten die Tauglichsten aus; er rüstete die Ärmeren aus, schenkte denen, die sich besonders auszeichneten im Dienst, gallische Helme und spanische Schwerter aus seinen eignen Sammlungen und – was das Wichtigste – er entließ regelmäßig sobald als möglich die hinlänglich Eingeübten mit Belassung ihrer Waffen und hob neue Mannschaften aus, so daß, obwohl in jedem Augenblick nur die von Amalaswintha gestattete Zahl im Dienst stand, doch in kurzer Frist viele Tausende bewaffnete und waffengeübte Römer zur Verfügung ihres vergötterten Führers standen.
Während so Cethegus an seiner künftigen Residenz baute und seine künftigen Prätorianer heranbildete, vertröstete er den Eifer seiner Mitverschworenen, die unablässig zum Losschlagen drängten, auf den Zeitpunkt der Vollendung jener Vorbereitungen, den er natürlich allein bestimmen konnte. Zugleich unterhielt er eifrigen Verkehr mit Byzanz. Dort [] mußte er sich einer Hilfe versichern, die einerseits in jedem Augenblick, da er sie rief, auf dem Kampfplatz erscheinen könnte, die aber andrerseits auch nicht, ehe er sie rief, auf eigne Faust oder mit einer Stärke erschiene, die nicht leicht wieder zu entfernen wäre.
Er wünschte von Byzanz einen guten Feldherrn, der aber kein großer Staatsmann sein durfte, mit einem Heere, stark genug, die Italier zu unterstützen, nicht stark genug, ohne sie siegen oder gegen ihren Willen im Lande bleiben zu können. Wir werden in der Folge sehen, wie in dieser Hinsicht vieles nach Wunsch, aber auch ebenso vieles sehr gegen den Wunsch des Präfekten sich gestaltete. Daneben war gegenüber den Goten, die zurzeit noch unangefochten im Besitz der Beute standen, um die Cethegus bereits im Geiste mit dem Kaiser haderte, sein Streben dahin gerichtet, sie in arglose Sicherheit zu wiegen, in Parteiungen zu spalten und eine schwache Regierung an ihrer Spitze zu erhalten.
Das erste war nicht schwer. Denn die starken Germanen verachteten in barbarischem Hochmut alle offenen und geheimen Feinde. wir haben gesehen, wie schwer selbst der sonst scharfblickende, helle Kopf eines Jünglings wie Totila von der Nähe einer Gefahr zu überzeugen war: und die trotzige Sicherheit eines Hildebad drückte recht eigentlich die allgemeine Stimmung der Goten aus. Auch an Parteiungen fehlte es nicht in diesem Volk.
Da waren die stolzen Adelsgeschlechter, die Balten mit ihren weitverzweigten Sippen, an ihrer Spitze die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza: die reichbegüterten Wölsungen unter den Brüdern Herzog Guntharis von Tuscien und Graf Arahad von Asta und andre mehr, die alle den Amalern an Glanz der Ahnen wenig nachgaben und eifersüchtig ihre Stellung dicht neben dem Throne bewachten.
Da waren viele, welche die Vormundschaft eines Weibes, [] die Herrschaft eines Knaben nur mit Unwillen trugen, die gern, nach dem alten Recht des Volkes, das Königshaus umgangen und einen der erprobten Helden der Nation auf den Schild erhoben hätten. Andrerseits zählten auch die Amaler blind ergebene Anhänger, die solche Gesinnung als Treubruch verabscheuten. Endlich teilte sich das ganze Volk in eine rauhere Partei, die, längst unzufrieden mit der Milde, die Theoderich und seine Tochter den Welschen bewiesen, gern nunmehr nachgeholt hätten, was, wie sie meinten, bei der Eroberung des Landes versäumt worden, und die Italier für ihren heimlichen Haß mit offener Gewalt zu strafen begehrten. Viel kleiner natürlich war die Zahl der sanfter und edler Gesinnten, die, wie Theoderich selbst, empfänglich für die höhere Bildung der Unterworfenen, sich und ihr Volk zu dieser emporzuheben strebten. Das Haupt dieser Partei war die Königin.
Diese Frau nun suchte Cethegus im Besitz der Macht zu erhalten; denn sie, diese weibliche, schwache, geteilte Herrschaft, verhieß, die Kraft des Volkes zu lähmen, die Parteiung und Unzufriedenheit dauernd zu machen. Ihre Richtung schloß jedes Erstarken des gotischen Nationalgefühls aus. Er bebte vor dem Gedanken, einen gewaltigen Mann die Kraft dieses Volkes gewaltig zusammenfassen zu sehen.
Und manchmal machten ihn schon die Züge von Hoheit, die sich in diesem Weibe zeigten, mehr noch die feurigen Funken verhaltener Glut, die zuzeiten aus Athalarichs tiefer Seele aufsprühten, ernstlich besorgt. Sollten Mutter und Sohn solche Spuren öfter verraten, dann freilich mußte er beide ebenso eifrig stürzen wie er bisher ihre Regierung gehalten hatte. Einstweilen aber freute er sich noch der unbedingten Herrschaft, die er über die Seele Amalaswinthens gewonnen. Dies war ihm bald gelungen. Nicht nur, weil er mit großer Feinheit ihre Neigung zu gelehrten Gesprächen ausbeutete, [] in welchen er von dem, wie es schien, ihm überall überlegenen Wissen der Fürstin so häufig überwunden wurde, daß Cassiodor, der oft Zeuge ihrer Disputationen war, nicht umhin konnte, zu bedauern, wie dies einst glänzende Ingenium durch Mangel an gelehrter Übung etwas eingerostet sei.
Der vollendete Menschenerforscher hatte das stolze Weib noch viel tiefer getroffen. Ihrem großen Vater war kein Sohn, war nur diese Tochter beschieden: der Wunsch nach einem männlichen Erben seiner schweren Krone war oft aus des Königs, oft aus des Volkes Munde schon in ihren Kinderjahren an ihr Ohr gedrungen. Es empörte das hochbegabte Mädchen, daß man es lediglich um ihres Geschlechtes willen zurücksetzte hinter einem möglichen Bruder, der, wie selbstverständlich, der Herrschaft würdiger und fähiger sein würde. So weinte sie als Kind oft bittere Tränen, daß sie kein Knabe war.
Als sie herangewachsen, hörte sie natürlich nur noch von ihrem Vater jenen kränkenden Wunsch: jeder andre Mund am Hofe pries die wunderbaren Anlagen, den männlichen Geist, den männlichen Mut der glänzenden Fürstin. Und das waren nicht Schmeicheleien: Amalaswintha war in der Tat in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Geschöpf: die Kraft ihres Denkens und ihres Wollens, aber auch ihre Herrschsucht und kalte Schroffheit überschritten weit die Schranken, in welchen sich holde Weiblichkeit bewegt. Das Bewußtsein, daß mit ihrer Hand zugleich die höchste Stellung im Reich, vielleicht die Krone selbst, würde vergeben werden, machte sie eben auch nicht bescheidener: und ihre tiefste, mächtigste Empfindung war jetzt nicht mehr der Wunsch, Mann zu sein, sondern die Überzeugung, daß sie, das Weib, allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so gut wie der begabteste Mann, besser als die meisten Männer, gewachsen, daß sie berufen sei, das allgemeine Vorurteil von der geistigen Unebenbürtigkeit ihres Geschlechts glänzend zu widerlegen.
[] Die Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie, einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemüt, war kurz –: Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden – und wenig glücklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als Vormünderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu bewähren: sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer ihre Überlegenheit sollten einräumen müssen. Wir haben gesehen, wie die Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres großen Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen.
Sie übernahm das Regiment mit höchstem Eifer, mit unermüdlicher Tätigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein tun.
Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist nicht rasch und kräftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden.
Eifersüchtig wachte sie über ihre Alleinherrlichkeit. Und nur Einem ihrer Beamten lieh sie gern und häufig das Ohr; demjenigen, der ihr oft und laut die männliche Selbständigkeit ihres Geistes pries und noch öfter dieselbe still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie wagen zu können schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur den Einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Pläne der Königin mit eifriger Sorge durchzuführen. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Häupter der gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstützte sie darin: er half ihr, sich mit Römern und Griechen umgeben, den jungen König möglichst von der Teilnahme am Regiment ausschließen, die alten gotischen Freunde ihres Vaters, die, im Bewußtsein ihrer Verdienste und nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels erlaubten, als rohe Barbaren allmählich vom Hof entfernen, die Gelder, die für [] Kriegsschiffe, Rosse, Ausrüstung der gotischen Heere bestimmt waren, für Wissenschaften und Künste oder auch für die Verschönerung, Erhaltung und Sicherung Roms verwenden: – kurz, er war ihr behilflich in allem, was sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhaßt und ihr Reich wehrlos machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wußte er seine Verhandlungen mit der Fürstin so zu wenden, daß sich diese für die Urheberin ansehen mußte und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wünsche als ihrer Aufträge befehligte.
Fünftes Kapitel.
Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluß zu gewinnen und zu pflegen, häufigeren Aufenthalts am Hof, längerer Abwesenheit von Rom als seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die Nähe der Königin Persönlichkeiten zu bringen, die ihm diese Mühe zum Teil ersparen könnten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna verließen, mußten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden und Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana, die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boëthius, an den Hof zu bringen. Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverräter hingerichteten Männer war in Ungnade aus der Königsstadt verbannt. Vor allem mußte daher die Königin umgestimmt werden für sie.
Dies freilich gelang alsbald, indem die Großmut der edeln Frau gegen das so tief gefallne Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, daß sie an die niemals vollbewiesene Schuld von zwei edeln Römern nie von Herzen hatte glauben mögen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als großen Gelehrten [] und in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wußte Cethegus zu betonen, wie gerade diese Tat, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Gnade, die Herzen all ihrer römischen Untertanen rühren müsse. So war die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Königshaus erfüllten ihre ganze Seele, und Cethegus mußte sogar fürchten, ihr unbeherrschbarer Haß könnte sich in der steten Nähe der »Tyrannen« leicht verraten. Wiederholt hatte Rusticiana trotz all seiner sonst großen Gewalt über sie dieses Ansinnen zurückgewiesen.
Da machten sie eines Tages eine sehr überraschende Entdeckung, die zur Erfüllung der Wünsche des Präfekten führen sollte.
Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjährige Tochter, Kamilla. Aus ihrem echt römischen Gesicht mit den edeln Schläfen und den schöngeschnittenen Lippen leuchteten dunkle, schwärmerische Augen: der eben erst vollendete Wuchs zeigte feine, fast allzuzarte Formen, rasch und leicht und fein wie einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Mädchen. Mit aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren unglücklichen Vater geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das Leben des heranblühenden Mädchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergötterung seines Martyriums für Italien mischte, erfüllten alle Träume ihres jungfräulichen Entfaltens.
Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Königshof war sie nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter über die Alpen nach Gallien geflohen, wo ein alter Gastfreund den betrübten Frauen monatelang eine Zufluchtstätte bot, [] während Anicius und Severinus, Kamillas Brüder, anfänglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hölle gegen die Goten in Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung verzogen, nach Italien zurückgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir gesehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wußte.
Der Juni war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu fliehen und in seine kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus verloren.
Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er habe längst bemerkt, wie die »Patrona« unter seinem unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung – er war seines Zeichens Steinmetz – zu erdulden gehabt und so habe er denn an den letzten Kalenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines, Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Efeu und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Domna Kamilla liebe und so möchten [] sie denn Maultier und Sänfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen.
Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte an und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters.
Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepäck sobald als möglich folgen.
Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen würde.
Aber erstaunt blieb er stehen: – er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstraße sein bescheidnes Gebiet begrenzt hatten.
»Die Mutter Gottes steh mir bei und alle obern Götter!« rief der Steinmetz, »bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!« Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulett, das sie am Gürtel trug: aber Aufschluß konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum betrat [] und so blieb nichts übrig, als das Maultier zur größten Eile zu treiben und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab des Grauchens die Wiesenhänge hinunter.
Als sie nun näher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das Haus, das er gekauft: aber so verjüngt, erneuert, verschönt, daß er es kaum erkannte.
Sein Staunen über die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu abergläubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, ließ die Zügel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Reihe von christlichen und heidnischen Ausrufen, als plötzlich Kamilla ebenso überrascht ausrief: »Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Bäume, dieselben Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der Tempel der Venus! o wie schön, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das angefangen?« Und Tränen freudiger Rührung traten in ihre Augen. – »So sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuß, der ist also nicht mit verhext. Rede, du Zyklope, was ist hier geschehen?«
Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit ungeschlachtem Lächeln heran und erzählte nach vielen Fragen und Unterbrechungen des Staunens eine rätselhafte Geschichte. Vor drei Wochen etwa, wenige Tage nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es für seinen Herrn, der auf längere Zeit in die Marmorbrüche von Luna verreist war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Römer mit einem Troß von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte, ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia für die Witwe des Boëthius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als den Hortulanus Prinzeps d.h. als Oberintendanten [] der Gärten zu Ravenna zu erkennen. Ein alter Freund des Boëthius, der aus Furcht vor den gotischen Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wünsche, sich insgeheim der Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmücken und zu verschönern. Der Sklave dürfe die beabsichtigte Überraschung nicht verderben und halb mit Güte, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan, und seine Arbeiter gingen unverzüglich ans Werk.
Viele benachbarte Grundstücke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft und nun hob an ein Niederreißen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Hämmern und Klopfen, ein Putzen und Malen, daß dem guten Cappadox Hören und Sehen verging. Wollte er fragen und dreinreden, so lachten ihm die Arbeiter ins Gesicht. Wollte er sich davonmachen, so winkte der Intendant und ein halb Dutzend Fäuste hielten ihn fest. »Und« – schloß der Erzähler – »so ging's bis vorgestern morgen. Da waren sie fertig und zogen davon.
Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das alles bezahlen soll, dann weh über meinen Rücken! Und ich wollte dir's melden. Aber sie ließen mich nicht und obenein wußt' ich dich fern von Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten verspürte und wie der mit den Goldstücken um sich warf wie die Kinder mit Kieseln, siehe, da beruhigte sich allmählich mein Gemüte, und ich ließ alles gehen wie es ging. Nun, o Herr, weiß ich wohl: du kannst mich dennoch in den Block setzen und prügeln lassen. Mit der Rebe oder sogar mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? du bist der Herr und Cappadox der Knecht. Aber gerecht, Herr, wäre es kaum! bei allen Heiligen und allen Göttern! Denn du hast mich gesetzt [] über ein paar Kohlfelder und siehe, sie sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand.«
Kamilla war längst abgestiegen und davongeschlüpft, ehe der Sklave zu Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die Lauben, das Haus: sie schwebte wie auf Flügeln, kaum konnte ihr die flinke Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Überraschung des freudigen Schreckens jagte den andern: so oft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe, bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor ihrem entzückten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines Gemach desselben genau so bemalt, ausgerüstet, geschmückt fand wie jener Raum im Kaiserschloß gewesen war, in dem sie die letzten Tage der Kindheit verspielt und die ersten Träume des Mädchens geträumt, dieselben Bilder auf den bastgeflochtenen Vorhängen, die gleichen Vasen und zierlichen Citruskästchen und auf dem gleichen Schildpattischchen ihre kleine zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenflügeln, da, überwältigt von so vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefühl des Dankes gegen so zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Daphnidion beruhigen. »Es gibt noch edle Herzen, noch Freunde für das Haus des Boëthius«, rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet des Dankes gegen Himmel. –
Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von der seltsamen Überraschung.
Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres Gatten wohl in diesem geheimnisvollen Wohltäter zu suchen sei? Es war ihr eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Präfekt schüttelte nachdenklich den Kopf über ihren Brief und schrieb ihr zurück: er kenne niemand, an den ihn diese zartfühlende Weise mahnen[] könne. Sie möge scharf jede Spur beachten, die zur Lösung des Rätsels führen könne.
Es sollte sich bald genug enthüllen. –
Kamilla wurde nicht müde, den Garten zu durchstreifen und immer neue Ähnlichkeiten mit seinem trauten Vorbild zu entdecken. Oft führten sie diese Gänge über den Park hinaus und in den anstoßenden Bergwald. Dabei pflegte sie die muntre Daphnidion zu begleiten, die ihr gleiche Jugend und treue Anhänglichkeit rasch zur Vertrauten gemacht. Wiederholt hatte diese der Patrona bemerkt, ein Waldgeist müsse ihnen nachschleichen. Denn vielfach knacke es hörbar in den Büschen und rausche im Grase hinter oder neben ihnen. Und doch sei nirgends Mensch oder Tier zu sehen. Aber Kamilla lachte ihres Aberglaubens und nötigte sie immer wieder in die grünen Schatten der Ulmen und Platanen hinaus.
Eines Tages entdeckten die Mädchen, vor der Hitze tiefer und tiefer in die Kühle des Waldes flüchtend, eine lebhafte Quelle, die reichlich und klar von dunkeln Porphyrfelsen traufte. Doch sie rieselte ohne bestimmtes Rinnsal, und mühsam mußten die Durstenden die einzelnen Silbertropfen erhaschen. »Wie schade,« rief Kamilla, »um das köstliche Naß! Da hättest du die Tritonenquelle sehen sollen im Pinetum zu Ravenna. Wie anmutig sprudelte der Strahl aus den aufgeblasenen Backen des bronzenen Meergotts und fiel gesammelt in eine breite Muschel von braunem Marmor, wie schade!« Und sie gingen weiter.
Nach einigen Tagen kamen beide wieder an die Stelle.
Daphnidion, die voranschritt, blieb plötzlich laut aufschreiend stehen und wies sprachlos mit dem Finger auf die Quelle. Der Waldquell war gefaßt. Aus einem bronzenen Tritonenkopf sprudelte der Strahl in eine zierliche Muschel von braunem Marmor. Daphnidion, jetzt fest an Geisterspuk glaubend, wandte sich ohne weiteres zur Flucht: sie floh mit den Händen [] vor den Augen, die Waldgeister nicht zu sehen, was für höchst gefährlich galt, nach dem Hause zu, der Herrin laut rufend, ihr zu folgen. Aber Kamilla durchzuckte der Gedanke: der Lauscher, der uns neulich hierher gefolgt, ist gewiß auch jetzt in der Nähe, sich an unsrem Staunen zu weiden. Scharf sah sie umher: an einem wilden Rosenbusch fielen die Blüten von schwankenden Zweigen zur Erde. Rasch schritt sie auf das Dickicht zu. Und sieh, aus dem Gebüsch trat ihr mit Jagdtasche und Wurfspeer ein junger Jäger entgegen.
»Ich bin entdeckt,« sagte er mit leiser, schüchterner Stimme, anmutig in seiner Beschämung.
Aber mit einem Schreckensruf fuhr Kamilla zurück: »Athalarich« stammelte sie – »der König!«
Eine ganze Meerflut von Gedanken und Gefühlen wogte ihr durch Haupt und Herz und halb ohnmächtig sank sie auf den Rasenhang neben der Quelle. Der junge König stand in Schrecken und Entzücken sprachlos einige Sekunden vor der hingegossenen zarten Gestalt: durstig sog sein brennendes Auge die schönen Züge, die edeln Formen ein: flüchtiges Rot schoß zuckend wie Blitze über sein bleiches Gesicht. »O sie – sie ist mein heißer Tod« – hauchte er endlich beide Hände an das pochende Herz drückend – »jetzt sterben, sterben mit ihr.«
Da regte sie den Arm. Das brachte ihn zur Besinnung zurück. Er kniete neben ihr nieder und sprengte das kühle Naß des Brunnens auf ihre Schläfe. Sie schlug die Augen auf: »Barbar – Mörder!« schrie sie gellend, stieß seine Hand zurück, sprang auf und floh wie ein gescheuchtes Reh hinweg.
Athalarich folgte ihr nicht. »Barbar – Mörder,« hauchte er in tiefstem Schmerz vor sich hin. Und er verbarg die glühende Stirn in den Händen.
[] Sechstes Kapitel.
Kamilla kam in so hoher Aufregung nach Hause, daß Daphnidion sich's nicht nehmen ließ, die Domna müsse die Nymphen oder gar den altehrwürdigen Waldgott Picus selbst gesehen haben.
Aber das Mädchen warf sich in wilder Bewegung in die Arme der erschrockenen Mutter. Der Kampf verworrener Gefühle löste sich in einem Strom von heißen Tränen und erst spät vermochte sie, den besorgten Fragen Rusticianas Antworten und Aufschluß zu geben.
In der tiefen Seele dieses Kindes wogte ein schweres Ringen.
Es war dem am Hofe zu Ravenna heranreifenden Mädchen nicht ganz entgangen, daß der schöne, bleiche Knabe oft mit seltsamem, träumendem Blick die dunkeln Augen auf ihr ruhen ließ, daß er wie mit Andacht dem Tonfall ihrer Stimme lauschte. Aber niemals war diese Ahnung inneren Wohlgefallens ihr bestimmt ins Bewußtsein getreten; der Prinz, scheu und verschlossen, hatte die Augen niedergeschlagen, wenn sie ihn über einem solchen Blick ertappte und ihn unbefangen fragend ansah: waren sie doch beide damals beinahe noch Kinder. Sie wußte nicht zu nennen, was in Athalarich vorging – kaum wußte er es selbst – und nie war es ihr eingefallen, nachzudenken, warum auch sie gern in seiner Nähe lebte, gern dem kühnen, von der Art aller andrer Gespielen abweichenden Flug seiner Gedanken oder Phantasien folgte, gern auch schweigend neben dem Schweigenden im Abendlicht durch die stillen Gärten wandelte, wo er oft mitten aus seinen Träumereien abgerissene, aber immer sinnige Worte zu ihr sprach, deren Poesie, die Poesie schwärmerischer Jugend, sie so völlig verstand und würdigte.
In das zarte Weben dieser knospenden Neigung schlug nun die Katastrophe ihres über alles geliebten Vaters.
[] Und nicht nur sanfte Trauer um den Gemordeten, glühender Haß gegen die Mörder ergriff die Seele der leidenschaftlichen Römerin. Von jeher hatte Boëthius, selbst in der Zeit seiner höchsten Gunst am Hofe, ein hochmütiges Herabsehen auf das Barbarentum der Goten zur Schau getragen, und seit seinem Untergang atmete natürlich die ganze Umgebung Kamillas, die Mutter, die beiden rachedürstenden Brüder, die Freunde des Hauses nur Haß und Verachtung: nicht nur gegen den blutigen Mörder und Tyrannen Theoderich, nein, gegen alle Goten und vorab gegen Tochter und Enkel des Königs, die seine Schuld zu teilen schienen, weil sie dieselbe nicht verhindert. So hatte das Mädchen Athalarichs fast gar nicht mehr gedacht. Und wann er genannt wurde oder wann, was ihr manchmal begegnete, sein Bild im Traume vor ihre Seele trat, so gipfelte all ihr Haß gegen die Barbaren in höchstem Abscheu gegen ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil im geheimsten Grund ihres Herzens jetzt eine widerstrebende Ahnung von jener Neigung zitterte, die sie zu dem schönen Königssohn gezogen. –
Und nun – nun hatte es der Frevler gewagt, ihr argloses Herz mit tückischem Streich zu treffen!
Sie hatte, sowie sie ihn aus dem Dickicht schreiten sah, sowie sie ihn erkannte, blitzschnell erfaßt, daß er es war, der, wie die Fassung der Quelle, so die Umgestaltung der ganzen Villa geschaffen. Er, der verhaßte Feind, der Sproß des verfluchten Geschlechts, an welchem das Blut ihres Vaters klebte, der König der Barbaren! All die Freuden, mit welchen sie in diesen Tagen Haus und Garten durchmustert, brannten jetzt wie glühend Erz auf ihrer Seele. Der Todfeind ihres Volkes, ihres Geschlechts, hatte gewagt, sie zu beschenken, zu erfreuen, zu beglücken. Für ihn hatte sie Dankgebete zum Himmel gesandt. Er hatte sich erkühnt, ihren Schritten zu folgen, ihre Worte zu belauschen, ihre leisesten Wünsche zu erfüllen: – [] und im Hintergrund ihrer Seele stand, schrecklicher als all dies, der Gedanke, warum er das getan. Er liebte sie! Der Barbar erkühnte sich, es ihr zu zeigen.. Der Tyrann Italiens, er wagte wohl gar zu hoffen, daß des Boëthius Tochter –
O es war zu viel! und schmerzlich schluchzend barg sie das Haupt in den Kissen ihres Lagers, bis dumpfer Schlaf der Erschöpfung auf sie niedersank. Alsbald erschien der eilig herbeigerufene Cethegus bei den ratlosen Frauen. Rusticiana hatte ihrem wie Kamillens erstem Gefühle folgen, sofort die Villa und die verhaßte Nähe des Königs fliehen und ihr Kind jenseit der Alpen bergen wollen. Aber der Zustand Kamillas hatte bisher den Aufbruch verhindert und sowie der Präfekt das Haus betrat, schien sich die Flamme der Aufregung vor seinem kalten Blick zu legen. Er nahm Rusticianen allein mit sich in den Garten: ruhig und aufmerksam hörte er daselbst, den Rücken an einen Lorbeerstamm gelehnt, das Kinn in die linke Hand gestützt, ihrer leidenschaftlichen Erzählung zu.
»Und nun rede,« schloß sie, »was soll ich tun? Wie soll ich mein armes Kind retten? wohin sie bringen?«
Cethegus schlug die Augen auf, die er, wie er bei angestrengtem Nachsinnen pflegte, halb geschlossen hatte.
»Wohin Kamilla bringen?« sagte er. »An den Hof, nach Ravenna.«
Rusticiana fuhr empor: »Wozu jetzt der giftige Scherz!«
Aber Cethegus richtete sich rasch auf.
»Es ist mein Ernst. Still – höre mich. Kein gnädigeres Geschenk hat das Schicksal, das die Barbaren verderben will, in unsren Weg legen können. Du weißt, wie völlig ich die Regentin beherrsche.
Aber nicht weißt du, wie völlig machtlos ich bin über jenen eigensinnigen Schwärmer. Es ist rätselhaft. Der kranke Jüngling ist im ganzen Gotenvolk der einzige, der mich, wenn [] nicht durchschaut, doch ahnt. Und ich weiß nicht, ob er mich mehr fürchtet oder mehr haßt. Das wäre mir ziemlich gleichgültig, wenn der Verwegene mir nicht sehr entschieden und sehr erfolgreich entgegenarbeitete. Sein Wort wiegt natürlich schwer bei seiner Mutter. Oft schwerer als das meine. Und er wird immer älter, reifer, gefährlicher. Sein Geist überflügelt mächtig seine Jahre. Er nimmt ernstlichen Teil an den Beratungen der Regentschaft. Jedesmal spricht er gegen mich. Oft siegt er. Erst neulich hat er es gegen mich durchgesetzt, daß der schwarzgallige Teja den Befehl der gotischen Truppen in Rom erhielt, in meinem Rom! Kurz, der junge König wird höchst gefährlich. Und ich hatte bisher nicht einen Schatten von Gewalt über ihn. Zu seinem Verderben liebt er Kamilla. Durch sie wollen wir den Unbeherrschbaren beherrschen.«
»Nimmermehr!« rief Rusticiana. »Nie, solang ich atme. Ich an den Hof des Tyrannen! Mein Kind die Geliebte Athalarichs! des Boëthius Tochter! Sein blut'ger Schatte würde –«
»Willst du diesen Schatten rächen? Ja! willst du die Goten verderben? Ja! Also mußt du wollen, was dahin führt.« – »Nie, bei meinem Eide!« – »Weib, reize mich nicht. Trotze mir nicht. Du kennst mich! Bei deinem Eide! Wie? Hast du mir nicht Gehorsam geschworen, blinden, unbedingten, wie ich dir Rache verheißen? Hast du's nicht geschworen auf die Gebeine der Heiligen, dich und deine Kinder verflucht für den Eidbruch? Man sieht sich vor bei euch Weibern. Gehorche oder zittre für deine Seele.«
»Entsetzlicher! Soll ich all meinen Haß dir, deinen Plänen opfern?«
»Mir? Wer spricht von mir? Deine Sache führ' ich. Deine Rache vollend' ich: Mir haben die Goten nichts zuleid getan. Du hast mich aufgestört von meinen Büchern. [] Du hast mich aufgerufen, diese Amaler zu vernichten. Willst du nicht mehr? Auch gut! Ich kehre zurück zu Horatius und der Stoa! Leb wohl.«
»Bleib, bleibe. Aber soll denn Kamilla das Opfer werden?«
»Wahnsinn! Athalarich soll es werden. Sie soll ihn ja nicht lieben, sie soll ihn nur beherrschen. Oder,« fügte er, sie scharf ansehend, hinzu, »fürchtest du für ihr Herz?« – »Deine Zunge erlahme! Meine Tochter ihn lieben? eher erwürg' ich sie mit diesen Händen.«
Aber Cethegus war nachdenklich geworden.
Es ist nicht um das Mädchen, sagte er zu sich selbst. Was liegt an ihr! Aber wenn sie ihn liebt – und der Gote ist schön, geistvoll, schwärmerisch ... »Wo ist deine Tochter?« fragte er laut.
»Im Frauengemach. Auch wenn ich wollte, sie würde nie einwilligen, nie.«
»Wir wollen's versuchen. Ich gehe zu ihr.«
Und sie traten ins Haus. Rusticiana wollte mit ihm in das Gemach. Aber Cethegus wies sie zurück.
»Allein muß ich sie haben!« sprach er und schritt durch den Vorhang. Bei seinem Anblick erhob sich das schöne Mädchen von den Teppichen, auf denen sie in ratlosem Sinnen geruht. Gewöhnt, in dem klugen, beherrschenden Mann, dem Freund ihres Vaters, stets einen Berater und Helfer zu finden, begrüßte sie ihn vertrauend wie die Kranke den Arzt.
»Du weißt, Cethegus?« – »Alles.« – »Und du bringst mir Hilfe.« – »Rache bring ich dir, Kamilla!«
Das war ein neuer, ein mächtig ergreifender Gedanke! Nur Flucht, Rettung aus dieser qualvollen Lage hatten ihr bisher vorgeschwebt. Höchstens eine zornige Abweisung der königlichen Geschenke. Aber jetzt Rache! Vergeltung für die Schmerzen dieser Stunden! Rache für die erlittene Schmach! Rache an den Mördern ihres Vaters! Ihre Wunden waren [] frisch. Und in ihren Adern kochte das heiße Blut des Südens. Ihr Herz frohlockte über Cethegus' Wort!
»Rache? wer wird mich rächen? du?« – »Du dich selbst! Das ist süßer.«
Ihre Augen blitzten. »An wem?« – »An ihm. An seinem Haus. An allen unsern Feinden.« – »Wie kann ich das? Ein schwaches Mädchen?« – »Höre auf mich, Kamilla. Nur dir, nur des edeln Boëthius edler Tochter sag' ich, was ich sonst keinem Weib der Erde vertrauen würde. Es besteht ein starker Bund von Patrioten, der die Herrschaft der Barbaren spurlos austilgen wird aus diesem Lande: das Schwert der Rache hängt über den Häuptern der Tyrannen. Das Vaterland, der Schatte deines Vaters beruft dich, es herabzustürzen.«
»Mich? ich – meinen Vater rächen? sprich!« rief hocherglühend das Mädchen, die schwarzen Haare aus den Schläfen streichend. »Es gilt ein Opfer. Rom fordert es.« – »Mein Blut, mein Leben! wie Virginia will ich sterben.« – »Du sollst leben, den Sieg zu schauen. Der König liebt dich. Du mußt nach Ravenna. An den Hof. Du mußt ihn verderben. Durch diese Liebe. Wir alle haben keine Macht über ihn. Nur du hast Gewalt über seine Seele. Du sollst dich rächen und ihn vernichten.«
»Ihn vernichten?!« – Seltsam bewegt klang die leise Frage; ihr Busen wogte, ihre Stimme bebte in der Mischung ringender Gefühle, Tränen brachen aus ihren Augen, sie verbarg das Gesicht in den Händen. – Cethegus stand auf »Vergib,« sagte er. »Ich gehe. Ich wußte nicht, – – daß du den König liebst.«
Ein Weheschrei des Zornes wie bei physischem Schmerz drang aus des Mädchens Brust. Sie sprang auf und faßte ihn an der Schulter:
»Mann, wer sagt das? Ich hasse ihn! Hasse ihn, wie ich nie gewußt, daß ich hassen kann.« – »So beweis' es. Denn [] ich glaub' es dir nicht.« – »Ich will dir's beweisen!« rief sie. »Sterben soll er! Er soll nicht leben!«
Sie warf das Haupt zurück, wild funkelten die blitzenden Augen, ihr schwarzes Haar flog um die weißen Schultern.
Sie liebt ihn, dachte Cethegus. Aber es schadet nicht. Denn sie weiß es noch nicht. Sie haßt ihn daneben. Und das allein weiß sie. Es wird geh'n.
»Er soll nicht leben,« wiederholte sie. »Du sollst sehen,« lachte sie, »wie ich ihn liebe! Was soll ich tun?« – »Mir folgen in allem.« – »Und was versprichst du mir dafür? was soll er erleiden?« – »Verzehrende Liebe bis zum Tod.« – »Liebe zu mir? ja, ja, das soll er!« – »Er, sein Haus, sein Reich soll fallen.«
»Und er wird wissen, daß durch mich –?« – »Er soll es wissen. Wann reisen wir nach Ravenna?«
»Morgen! Nein, heute noch.« Sie hielt inne und faßte seine Hand: »Cethegus, sage, bin ich schön?«
»Der Schönsten eine.«
»Ha!« rief sie, die losgegangenen Locken schüttelnd. »Er soll mich lieben und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen!« Und sie stürmte aus dem Gemach. – Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei Athalarich zu sein.
Siebentes Kapitel.
Noch am nämlichen Tage wurde die kleine Villa verlassen und der Weg nach der Königsstadt angetreten.
Cethegus schickte einen Eilboten voraus mit einem Brief Rusticianas an die Regentin. Die Witwe des Boëthius erklärte darin, daß sie die durch Vermittelung des Präfekten von Rom wiederholt angebotene Rückberufung an den Hof nunmehr anzunehmen bereit sei. Nicht als eine Tat der Gnade, [] sondern der Sühne, als ein Zeichen, daß die Erben Theoderichs dessen Unrecht an den Verblichenen gutmachen wollten.
Diese stolze Sprache war wie aus Rusticianas tiefstem Herzen, und Cethegus wußte, daß solches Auftreten nicht schaden, nur alle verdächtige Auslegung der raschen Umstimmung ausschließen werde. Unterwegs noch traf die Reisenden die Antwort der Königin, die sie am Hof willkommen hieß. In Ravenna angelangt wurden sie von der Fürstin aufs ehrenvollste empfangen, mit Sklaven und Sklavinnen umgeben und in dieselben Räume des Palastes eingeführt, die sie ehedem bewohnt. Freudig begrüßten sie die Römer.
Aber der Zorn der Goten, die in Boëthius und Symmachus undankbare Verräter verabscheuten, wurde durch diese Maßregeln, die eine stillschweigende Verurteilung Theoderichs zu enthalten schienen, schwer gereizt. Die letzten Freunde des großen Königs verließen grollend den verwelschten Hof. –
Einstweilen hatten die Zeit, die Zerstreuungen der Reise und der Ankunft Kamillas Aufregung gemildert. Und ihr Zorn konnte sich um so eher beschwichtigen als ihr viele Wochen zu Ravenna verstrichen, ehe sie Athalarich begegnete. Denn der junge König war gefährlich erkrankt.
Am Hof erzählte man, er habe bei einem Aufenthalt zu Aretium – er wollte dort, mit geringer Begleitung, der Bergluft, der Bäder und der Jagd genießen – in den Wäldern von Tifernum in der Hitze der Jagd einen kalten Trunk aus einer Felsenquelle getan und sich dadurch einen heftigen Anfall seines alten Leidens zugezogen.
Tatsache war, daß ihn sein Gefolge an jener Quelle bewußtlos niedergesunken gefunden hatte.
Die Wirkung dieser Erzählung auf Kamilla war seltsam. Zu dem Haß gegen Athalarich trat jetzt ein Zug von leisem Bedauern. Ja eine Art von Selbstanklage. Aber andrerseits dankte sie dem Himmel, daß durch diese Krankheit eine Begegnung [] hinausgeschoben wurde, die sie jetzt in Ravenna nicht minder fürchtete als sie dieselbe, da sie noch fern von ihm in Tifernum war, lebhaft herbeigewünscht hatte. Und wenn sie jetzt in den weiten Anlagen des herrlichen Schloßgartens einsam wandelte, hatte sie immer und immer wieder zu bewundern, mit welcher Sorgfalt das kleine Gütchen des Corbulo diesem Muster nachgebildet worden war.
Tage und Wochen vergingen.
Man vernahm nichts von dem Kranken, als daß er zwar auf dem Weg der Besserung, aber noch streng an seine Gemächer gebunden sei. Ärzte und Hofleute, die ihn umgaben, priesen ihr oft seine Geduld und Kraft in den heftigsten Schmerzen, seine Dankbarkeit für jeden kleinen Liebesdienst, seine edle Milde. Aber wenn sie ihr Herz ertappte, wie gern es diesen Lobesworten lauschte, sagte sie heftig zu sich selbst: »Und meines Vaters Ermordung hat er nicht gehindert!« und ihre Brauen zogen sich zusammen, und sie legte heimlich die geballte Faust auf das pochende Herz.
In einer heißen Nacht war Kamilla nach langem friedlosem Wachen endlich gegen Morgen in unruhigen Schlaf gesunken. Angstvolle Träume quälten sie. Ihr war, als senke sich die Decke des Gemaches mit ihren Reliefgestalten auf sie nieder. Gerade über ihrem Haupte war ein jugendlich schöner Hypnos, der sanfte Gott des Schlafes, von hellenischer Hand gebildet, angebracht.
Ihr träumte, der Schlafgott nehme die ernsteren, trauervollen Züge seines bleichen Bruders Thanatos an.
Langsam und leise senkte der Gott des Todes sein Antlitz auf sie nieder. – Immer näher rückte er. – Immer bestimmter wurden seine Züge. – Schon fühlte sie den Hauch seines Atems auf ihrer Stirn. – Schon berührten fast feinen Lippen ihren Mund. – Da erkannte sie mit Entsetzen die bleichen Züge, das dunkle Auge. – Es war Athalarich – dieser Todesgott. – Mit einem Schrei fuhr sie empor.
[] Die zierliche Silberlampe war längst erloschen. Es dämmerte im Gemach.
Ein rotes Licht drang gedämpft durch das Fenster von Frauenglas. Sie erhob sich und öffnete es; die Hähne krähten, die Sonne tauchte mit den ersten Strahlenspitzen aus dem Meer, auf das sie, über den Schloßgarten hinweg, freien Ausblick hatte. Es litt sie nicht mehr in dem schwülen Gemach.
Sie schlug den faltigen Mantel um die Schultern und eilte leise, leise aus dem noch schlummernden Palast über die Marmorstufen in den Garten, aus dem ihr erfrischender Morgenwind von der nahen See her entgegenwehte. Sie eilte der Sonne und dem Meere zu. Denn im Osten stieß der Garten des Kaiserpalastes mit seinen hohen Mauern unmittelbar an die blauen Wellen der Adria. Ein vergoldetes Gittertor und jenseit desselben zehn breite Stufen von weißem hymettischem Marmor führten hinab zu dem kleinen Hafen des Gartens, in welchem die schwanken Gondeln mit leichten Rudern und dem dreieckigen lateinischen Segel von Purpurlinnen schaukelten, mit silbernen Kettchen an den zierlichen Widderköpfen von Erz befestigt, die links und rechts aus dem Marmorkai hervorragten. Diesseit des Gittertors, nach dem Garten zu, fanden die Anlagen ihren Abschluß in einer geräumigen Rundung, die von weit schattenden Pinien dicht umfriedet war. Ihre Bodenfläche, von üppigem, sorgfältig gezognem Graswuchs bedeckt, wurde von reinlichen Wegen durchschnitten und von reichen Beeten stark duftender Blumen unterbrochen. Eine Quelle, zierlich gefaßt, rieselte den Abhang hinab in das Meer. Die Mitte des Platzes bildete ein kleiner, altersgrauer Venustempel, den eine einsame Palme hochwipflig überragte, indes brennendroter Steinbrech in den leeren Halbnischen seiner Außenwände prangte. Vor seiner längst geschlossenen Pforte stand zur Rechten ein eherner Äneas. Der Julius Cäsar zur Linken war schon vor Jahrhunderten zusammengestürzt. [] Theoderich hatte auf dem Postament ein Erzbild des Amala errichten lassen, des mystischen Stammvaters seines Hauses. Hier, zwischen diesen Statuen an den Eingangsstufen des kleinen Fanum genoß man des herrlichsten Blickes durch das Gittertor auf das Meer mit seinen buschigen Laguneninseln und einer Gruppe von scharfkantigen malerischen Felsklippen, »die Nadeln der Amphitrite« genannt.
Es war ein alter Lieblingsort Kamillas.
Und hierher lenkte sie jetzt die leichten Schritte, den reichen Tau von dem hohen Grase streifend, wie sie mit leis gehobnem Gewand durch die schmalen Wieswege eilte. Sie wollte die Sonne über das Meer hin aufglühen sehen. Sie kam von der Rückseite des Tempels, ging an dessen linker Seite hin und trat eben auf die erste der Stufen, die von seiner Stirn zu dem Gitter hinabführten, als sie rechts, auf der zweiten Stufe, halb sitzend, halb liegend, eine weiße Gestalt erblickte, die, das Haupt an die Treppe gelehnt, das Antlitz dem Meere zuwandte.
Aber sie erkannte das braune, das seidenglänzende Haar: es war der junge König.
Die Begegnung war so plötzlich, daß an Ausweichen nicht zu denken. Wie angewurzelt hielt das Mädchen auf der ersten Stufe. Athalarich sprang auf und wandte sich rasch. Eine helle Röte flammte über sein marmorbleiches Gesicht. Doch er faßte sich zuerst von beiden und sprach:
»Vergib, Kamilla. Ich konnte dich nicht hier erwarten. Zu dieser Stunde. Ich gehe. Und lasse dich allein mit der Sonne.« Und er schlug den weißen Mantel über die linke Schulter. »Bleib, König der Goten. Ich habe nicht das Recht, dich zu verscheuchen – und nicht die Absicht,« fügte sie bei.
Athalarich trat einen Schritt näher. »Ich danke dir. Aber ich bitte dich um eins,« setzte er lächelnd hinzu, »verrate mich nicht an meine Ärzte, an meine Mutter. Sie sperren mich [] den ganzen Tag über so sorgsam ein, daß ich ihnen wohl vor Tag entschlüpfen muß. Denn die frische Luft, die Seeluft tut mir gut. Ich fühl's. Sie kühlt. Du wirst mich nicht verraten.« Er sprach so ruhig. Er blickte so unbefangen.
Diese Unbefangenheit verwirrte Kamilla. Sie wäre viel mutiger gewesen, wenn er bewegter. Sie sah diese Unbefangenheit mit Schmerz. Aber nicht um der Pläne des Präfekten willen. So schüttelte sie nur schweigend das Haupt zur Antwort. Und sie senkte die Augen.
Jetzt erreichten die Strahlen der Sonne die Höhe, auf der die beiden standen. Der alte Tempel und das Erz der Statuen schimmerten im Morgenlicht. Und eine breite Straße von zitterndem Gold bahnte sich von Osten her über die spiegelglatte Flut. »Sieh, wie schön!« rief Athalarich, fortgerissen von dem Eindruck. »Sieh die Brücke von Licht und Glanz.«
Sie blickte teilnehmend hinaus. »Weißt du noch, Kamilla?« fuhr er langsamer fort, wie in Erinnerungen verloren und ohne sie anzusehen, »weißt du noch, wie wir hier als Kinder spielten? Träumten? Wir sagten: die goldne Straße, von Sonnenstrahlen auf die Flut gezeichnet, führe zu den Inseln der Seligen.« –
»Zu den Inseln der Seligen!« wiederholte Kamilla. Im stillen bewunderte sie, mit welcher Zartheit und edlen Leichtigkeit er, jeden Gedanken an ihre letzte Begegnung fernhaltend, mit ihr in einer Weise verkehrte, die sie völlig entwaffnete. »Und schau, wie dort die Statuen glänzen: das wundersame Paar, Äneas und – Amala! Höre, Kamilla, ich habe dir abzubitten.« Lebhaft schlug ihr Herz. Jetzt wollte er der Ausschmückung der Villa, der Quelle gedenken. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie schwieg in peinlicher Erwartung. Aber ruhig fuhr der Jüngling fort: »Du weißt, wie oft wir, du die Römerin, ich der Gote, an diesem Ort in Wettreden den Ruhm und den Glanz und die Art unserer Völker priesen.« [] Dann standest du unter dem Äneas und sprachst mir von Brutus und Camillus, von Marcellus und den Scipionen. Ich aber, an meines Ahnherrn Amala Schild gelehnt, rühmte Ermanarich und Alarich und Theoderich. Aber du sprachst besser als ich. Und oft, wenn der Schimmer deiner Helden mich zu überstrahlen drohte, lachte ich deiner Toten und rief: »Das Heute und die lebendige Zukunft ist meines Volkes!«
»Nun, und jetzt?« – »Ich spreche nicht mehr so. Du hast gesiegt, Kamilla!«
Aber indem er so sprach, schien er so stolz wie nie zuvor. Und dieser überlegne Ausdruck empörte die Römerin. Sie war ohnehin gereizt durch die unnahbare Ruhe, mit welcher der Fürst, auf dessen Leidenschaft man solche Pläne gebaut, ihr gegenüberstand. Sie begriff diese Ruhe nicht. Sie hatte ihn gehaßt, weil er es gewagt, ihr seine Liebe zu zeigen. Und jetzt lebte dieser Haß auf, weil er es vermochte, diese Liebe zu verbergen. Mit der Absicht, ihm weh zu tun, sagte sie langsam: »So räumst du ein, König der Goten, daß deine Barbaren den Völkern der Menschlichkeit nachstehen?«
»Ja, Kamilla«, antwortete er ruhig, »aber nur in einem: im Glück! Im Glück des Geschickes wie im Glück der Natur. Sieh dort die Gruppe von Fischern, die ihre Netze aufhängen an den Olivenbäumen am Strande. Wie schön sind diese Gestalten! In Bewegung und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen! Hier das Mädchen mit der Amphora auf dem Haupt! dort der Alte, der den Kopf auf den linken Arm gestützt, im Sande liegt und hinausträumt ins Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter König. Wie sie schön sind! Und in sich eins und glücklich! Ein Schimmer ungebrochenen Glücks liegt über ihnen. Wie über Kindern! Oder edeln Tieren! Das fehlt uns Barbaren!« – »Fehlt euch nur das?« – »Nein, uns fehlt auch Glück im Schicksal.
Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier herein verschlagen [] in eine fremde Welt, in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen Alpen, dem Edelweiß, die vom Sturmwind vertragen ward in den heißen Sand der Niederung. Wir können nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben.« –
Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Kamilla hatte nicht die Stimmung, diesen weissagerischen Worten eines Königs über sein Volk nachzusinnen. »Warum seid ihr gekommen?« fragte sie mit Härte. »Warum seid ihr über die Berge gedrungen, die ein Gott als ewige Marken gesetzt hat zwischen euch und uns. Sprich, warum?« – »Weißt du,« sprach Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und für sich selber fortdenkend, »weißt du, warum die dunkle Motte nach der hellen Flamme fliegt? Wieder, immer wieder! Von keinem Schmerz gewarnt! bis sie verzehrt ist von der schönen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund! Aus einem süßen Wahnsinn! Und solch ein süßer Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen hat zu Lorbeer und Olive. Sie werden sich die Flügel verbrennen, die törichten Helden. Und werden doch nicht davon lassen. Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tief blau der Himmel! wie tief blau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel der Pinien und die Säulentempel voll Marmorglanz! und fern da drüben ragen schön gewölbte Berge und draußen in der Flut schwimmen grüne Inseln, wo sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drüber hin die weiche, die warme, die kosende Luft, die alles erhellt. Welche Wunder der Formen, der Farben trinkt das Auge und atmen die entzückten Sinne! Das ist der Zauber, der uns ewig locken und ewig verderben wird.«
Die tiefe und edle Erregung des jungen Königs blieb nicht ohne Eindruck auf Kamilla. Die tragische Gewalt dieser Gedanken ergriff ihr Herz: aber sie wollte nicht ergriffen sein. Sie wehrte sich gegen ihre weicher werdende Empfindung. [] Sie sagte kalt: »Ein ganzes Volk gegen Verstand und Einsicht vom Zauber angezogen?« und kalt und zweifelnd sah sie ihn an.
Aber sie erschrak: denn wie Blitze loderte es aus den dunkeln Augen des Jünglings und die lang zurückgehaltne Glut brach plötzlich aus den Tiefen seiner Seele: »Ja, sag' ich dir, Mädchen!« rief er leidenschaftlich. »Ein ganzes Volk kann eine törichte Liebe, einen süßen, verderblichen Wahnsinn, eine tödliche Sehnsucht pflegen so gut wie – so gut wie ein einzelner. Ja, Kamilla, es gibt eine Gewalt im Herzen, die stärker als Verstand und Wille, uns sehenden Auges ins Verderben reißt. Aber du weißt das nicht! Und mögest du's nie erfahren. Niemals. Leb wohl!«
Und rasch wandte er sich und bog rechts vom Tempel in den dichten Laubgang von rankendem Wein, der ihn sofort vor Kamilla wie vor den Fenstern des Schlosses verbarg.
Sinnend blieb das Mädchen stehen.
Seine letzten Worte klangen seltsam fort in ihren Gedanken: lange sah sie träumend ins offne Meer hinaus und mit wundersam gemischter Empfindung, mit verwandelter Stimmung, kehrte sie endlich wieder dem Schlosse zu.
Achtes Kapitel.
Noch am nämlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in wichtigen Geschäften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem Regentschaftsrat, der in des kranken Königs Gemach gehalten wurde. Verhaltner Zorn lagerte auf seinen herben Zügen.
»Ans Werk, Kamilla,« sprach er heftig. »Ihr säumt zu lang. Dieser vorlaute Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefährlichen Leuten. Mit dem alten Hildebrand, [] mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und empfängt Briefe hinter unsrem Rücken. Er hat es durchgesetzt, daß die Königin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und in diesem Rat kreuzt er all unsre Pläne. Das muß aufhören. So oder so.« – »Ich hoffe nicht mehr, Einfluß auf den König zu gewinnen,« sagte Kamilla ernst. – »Weshalb? hast du ihn schon gesehen.« Das Mädchen überlegte, daß sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Ärzte gelangen zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefühl, die Begegnung dieses Morgens zu entweihen, zu verraten.
Sie wich daher der Frage aus und sagte: »Wenn der König sich sogar seiner Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen Mädchen beherrschen lassen.« – »Goldne Einfalt!« lächelte Cethegus und ließ das Gespräch ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim trieb er Rusticianen, zu veranlassen, daß ihre Tochter den König fortan häufig sehe und spreche.
Dies ward möglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie äußerlich, wurde er innerlich zusehends männlicher, fester und reifer: es war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kräftige.
So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boëthius in den Abendstunden häufig trafen.
Und während Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte, um sie wörtlich dem Präfekten wiedererzählen zu können, wandelten die jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gänge des Gartens.
Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in jenem Hafen und Athalarich steuerte wohl selbst [] eine Strecke ins blaue Meer hinaus, nach einer der kleinen, grünbuschigen Inseln, die nicht weit vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel auf und ließ sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang zu erheben pflegte, langsam und mühelos zurücktragen. –
Oft waren es auch der König und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion begleitet, sich dieser Wanderungen im Grünen und auf den Wellen erfreuten.
Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes, die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwägungen segnete sie dankbar den günstigen Einfluß, den dieser Umgang augenscheinlich auf ihren Sohn übte: er wurde in Kamillas Nähe ruhiger, heiterer, und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft heftig und schroff gegenübertrat.
Auch beherrschte er sein Gefühl mit einer Sicherheit, die bei dem reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich würde die Regentin, im Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht abgeneigt gewesen sein, die den römischen Adel völlig zu gewinnen und jedes Andenken einer unseligen Bluttat auszulöschen versprach. –
In dem Mädchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Täglich mehr fühlte sie ihren Groll und Haß schwinden, wie sie täglich klarer die edle Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemüt des jungen Königs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung konnte sie gegen diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als Talisman ins Andenken zurückrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigeführt, mit Gerechtigkeit zu unterscheiden: immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei, Athalarich um eines Unglücks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert[] hatte und wohl schwerlich hätte verhindern können. Längst hätte sie ihn am liebsten völlig freigesprochen: aber sie mißtraute dieser Milde: sie scheute sie wie eine schwarze Sünde gegen Vater, Vaterland und eigne Freiheit.
Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr wurde, wie mächtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hören und in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fürchtete die frevelhafte Liebe, die sie sich nur schwer noch verhehlen konnte, und die einzige Waffe, mit der sie sich noch dagegen wehrte, der Vorwurf seiner Mitschuld an des Vaters Untergang, wollte sie sich nicht entwinden lassen. So schwankte sie in wogenden Gefühlen, desto unsichrer, je rätselhafter ihr Athalarichs geschlossene Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran zweifeln, daß er sie liebe, nach allem was geschehen – aber doch!
Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe: jene Äußerung, mit der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja das einzige bedeutsame Wort, das ihm entschlüpfte.
Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Jünglings durchgekämpft und durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch weniger, in welch neuem Gefühl er die männliche Kraft solcher Entsagung gefunden. Ihre Mutter, die ihn mit aller Schärfe des Hasses beobachtete und darüber das eigne Kind zu überwachen vergaß, schien noch mehr erstaunt über seine Kälte. »Aber Geduld,« sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft hinter Kamillas Rücken Beratung pflog, »Geduld, bald, binnen drei Tagen, wirst du ihn verwandelt sehen.« – »Es wäre Zeit,« meinte Cethegus; »aber auf was vertraust du?« – »Auf ein Mittel, das noch nie getäuscht hat.«
»Du wirst ihm doch kein Liebestränklein brauen?« lächelte der Präfekt. – »Allerdings, das werd' ich tun; das hab' ich [] schon getan.« – Jener sah sie spöttisch an: »Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des großen Philosophen Boëthius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!«
»Nicht Wahn und Aberglaube,« sagte Rusticiana ruhig. »Seit mehr als hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein ägyptisch Weib hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich bewährt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhörung geliebt.« – »Dazu braucht's keinen Zauber,« meinte der Präfekt: »ihr seid ein schönes Geschlecht.« – »Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar, und wenn er bis heute nicht wirkte –« – »So hast du wirklich – Unvorsichtige! wie konntest du unvermerkt?« – »Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der Gondelfahrt mit uns zurückkommt, nimmt er einen Becher gewürzten Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzuschütten.« – »Nun,« meinte Cethegus, »es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt.« – »Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kräuter müssen im Neumond gebrochen werden – ich wußte das wohl. Aber, gedrängt von deinen Mahnungen, versucht' ich's schon im Vollmond und du siehst, es wirkte nicht.« – Cethegus zuckte die Achseln. – »Aber gestern nacht trat Neumond ein. Ich war nicht müßig mit meiner goldnen Schere und wenn er jetzt trinkt –« – »Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schöne Augen. Weiß sie von deinen Künsten?«
»Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.« Das Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken.
»Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. [] O, er hat mich nie geliebt! der Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.« Und in Tränen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. – »Was ist geschehen, Kamilla?« fragte Cethegus. – »Schon oft,« begann sie tiefaufatmend, »spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei er der tief von mir Gekränkte, als habe er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein großes Opfer gebracht –« – »Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben.« Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: »Athalarich ist kein Knabe mehr und man soll ihn nicht verhöhnen.« Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: »Hassest du den König nicht mehr?« – »Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.«
»Was ist geschehen?« wiederholte Cethegus. – »Heute stand jener rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall äußerte ihn in Worten«. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildtätige Hand und biß mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. »Der Undankbare,« sagte ich. – »Oh,« sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt: »man verwundet die am meisten, die am meisten für uns getan.« Und dabei flog sein Blick mit stolzer Wehmut über mich dahin. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. »Ich aber«, und ihre Brust wogte, ihre fein geschnittenen Lippen schlossen sich – »ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! er soll mich lieben – oder sterben.« – »Das soll er,« sagte Cethegus kaum hörbar, »eins von beiden.«
[] Neuntes Kapitel.
Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor und Cethegus.
Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts Gutes. Aber ebendeshalb besann er sich bald eines andern. »Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten,« sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich – er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf seinem Haupt und unter dem Mantel klirrte das Schwert – von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: »Meine königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hierher beschieden, euch unsern Willen kundzutun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.«
Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: »Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor« – – »Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, [] bis sein Herr und König ihn um Rat befragt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem, was die Räte unsrer königlichen Mutter bisher getan haben und nicht getan. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst zum Rechten sehn.
Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen werden.«
Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust, nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen.
Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: »Mein Sohn, dies Alter der Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser« – – »Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt.
Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien Männer unsres Volkes, so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reichs zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.«
Überrascht schwieg die Versammlung.
»Das sind nur noch vierzehn Tage«, sprach endlich Cassiodor. »Wird es möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?« – »Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt.« – »Wer hat die Dekrete unterschrieben?« fragte Amalaswintha, sich ermannend. »Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch den Geladnen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.«
»Und ohne mein Wissen!« sprach die Regentin. – »Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.«
[] Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich entfalteten Kraft des jungen Königs. Nur in Cethegus stand sogleich der Entschluß fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den Grund all seiner Pläne wanken. gern wär' er mit aller Wucht seines Wortes der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen: gern hätte er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kühne Aufstreben des Jünglings mit seiner ruhigen Überlegenheit zu Boden gedrückt: – aber ihm hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden gefesselt.
Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geräusch zu vernehmen geglaubt und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Füße eines Mannes.
Freilich nur bis an die Knöchel. Aber an diesen Knöcheln saßen Beinschienen von Erz eigentümlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen, er wußte, daß sie zu einer vollen Rüstung gleicher Arbeit gehörten, er wußte auch in unbestimmter Gedankenverbindung, daß der Träger dieser Rüstung ihm verhaßt und gefährlich: aber es war ihm nicht möglich, sich zu sagen, wer dieser Feind sei. Hätte er die Schienen nur bis ans Knie verfolgen können! Gegen seinen Willen mußte er die Augen immer und immer wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte seinen Geist jetzt, – jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zürnte über sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische losreißen. Der König jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: »Ferner haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurückgerufen. Wir finden, daß allzuviele Römer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapfern Krieger werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unsres Reiches, [] die Festen und Schiffe untersuchen und alle Schäden aufdecken und heilen. Sie werden nächstens eintreffen.« Sie müssen sogleich wieder fort, sagte Cethegus rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund ist jener Mann dadrinnen versteckt.
»Weiter«, hob der königliche Jüngling wieder an, »haben wir Mataswinthen, unsre schöne Schwester, zurückbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Römers Weib zu werden. Sie soll wiederkehren, die schönste Blume unsres Volkes, und unsren Hof verherrlichen.«
»Unmöglich!« rief Amalaswintha: »Du greifst in das Recht der Mutter wie der Königin.« – »Ich bin das Haupt der Sippe, sobald ich mündig bin.«
»Mein Sohn, du weißt, wie schwach du warst noch vor wenigen Wochen. Glaubst du wirklich, die gotischen Heermänner werden dich waffenreif erklären?«
Der König wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh' er Antwort fand rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: »Sorge nicht darum, Frau Königin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfähig spricht, der gilt dafür bei allen Goten.« Lauter Beifall der anwesenden Goten bestätigte sein Wort.
Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner größten Feinde ist es, aber wer?
»Noch eine wichtige Sache ist euch kundzutun«, begann der König wieder, mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Präfekten nicht entging.
Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich überraschen? Das soll nicht gelingen! –
Aber es überraschte ihn doch, als plötzlich der König mit [] lauter Stimme rief: »Präfekt von Rom, Cethegus Cäsarius!« Er zuckte, aber rasch gefaßt, neigte er das Haupt und sprach: »Mein Herr und König.« – »Hast du uns nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quiriten? Was denkt man dort von den Goten?«
»Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!« – »Fürchtet man sie?« – »Man hat nicht Ursach, sie zu fürchten.« – »Liebt man sie?« – Gern hätte Cethegus geantwortet: Man hat nicht Ursach', sie zu lieben. Aber der König selbst fuhr fort:
»Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts Besonderes, das sich vorbereitet.«
»Ich habe nichts dir anzuzeigen.« – »Dann bist du schlecht unterrichtet, Präfekt – oder schlecht gesinnt. Muß ich, der in Ravenna kaum vom Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionäre führen bei ihren Waffenübungen drohende Reden. Höchstwahrscheinlich besteht bereits eine ausgebreitete Verschwörung, Senatoren, Priester an der Spitze: sie versammeln sich nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des Boëthius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weißt du wo? im Garten deines Hauses.« Der König stand auf. Die Augen aller Anwesenden richteten sich erstaunt, erzürnt, erschrocken auf Cethegus. Amalaswintha bebte für den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt wieder völlig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend sah er dem König ins Auge.
»Rechtfertige dich!« rief ihm dieser entgegen.
»Rechtfertigen? gegen einen Schatten? ein Gerücht, eine Klage sonder Kläger? Nie!« – »Man wird dich zu zwingen wissen.« Hohn zuckte um des Präfekten schmale Lippen.
»Man kann mich ermorden auf bloßen Verdacht, ohne Zweifel – wir haben das erfahren, wir Italier! – nicht [] mich verurteilen. Gegen Gewalt gibt es keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit.« – »Gerechtigkeit soll dir werden, zweifle nicht. Wir übertragen den hier anwesenden Römern die Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfällung. Wähle dir einen Verteidiger.« – »Ich verteidige mich selbst«, sprach Cethegus kühl. »Wie lautet die Anklage? Wer ist mein Ankläger? Wo ist er?« – »Hier«, rief der König und schlug den Vorhang zurück.
Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Rüstung trat hervor.
Wir kennen ihn. Es war Teja.
Dem Präfekten drückte der Haß die Wimper nieder. Jener aber sprach: »Ich, Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Cäsarius, des Hochverrats an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verräter Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und zuhehlen. Es steht der Tod darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen.«
»Das will ich nicht«, sprach Cethegus ruhig; »beweise deine Klage.« – »Ich habe Albinus vor vierzehn Nächten mit diesen Augen in deinen Garten treten sehen«, fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. »Er kam von der Via sacra her, in einen Mantel gehüllt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei Nächten war die Gestalt an mir vorbeigeschlüpft: diesmal erkannt ich ihn. Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an der Tür, die sich von innen schloß.« – »Seit wann spielt mein Amtsgenoß, der tapfre Kommandant von Rom, den nächtlichen Späher?« – »Seit er einen Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Flüchtling entkam, – diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält Namen von römischen Großen und neben den Namen Zeichen einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle.« Er reichte sie dem König. Dieser las: »Die Namen sind: Silverius, Cethegus, Licinius, Scävola, Calpurnius, Pomponius. [] – Kannst du beschwören, daß der Vermummte Albinus war?«
»Ich will's beschwören.« – »Wohlan, Präfekt. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?«
»Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Römer senatorischen Ranges.« Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Tejas blasses Antlitz aber wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert: »So vertret' ich mein Wort mit dem Schwert«, sprach er mit tonloser Stimme. »Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod und Leben.« – »Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote: – ich würde dem Bastard den Kampf versagen.« – »Geduld«, sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert leise in die Scheide zurück. »Geduld, mein Schwert. Es kömmt dein Tag.« Aber die Römer im Saale atmeten auf.
Der König nahm das Wort: »Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und das des Präfekten. Hildebrand, du verhafte den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.« – »Halt,« sprach Cethegus, »ich leiste Bürgschaft mit all meinem Gut, daß ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.«
»Kehr' dich nicht dran, mein Sohn,« rief der alte Hildebrand vortretend, »laß mich ihn fassen.« – »Laß,« sprach der König, [] »Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage überrascht. Er soll Zeit haben sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.«
Der König winkte mit dem Zepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Römer drückten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm prüfend ins Auge und fragte dann: »Cethegus, kann ich dir helfen?« – »Nein, ich helfe mir selbst«, sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus.
Zehntes Kapitel.
Der heftige Schlag, den der junge König so unerwartet gegen den ganzen Grundbau der Regentschaft geführt hatte, erfüllte bald den Palast und die Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boëthius brachte die erste bestimmte Kunde Cassiodor, der Rusticianen zum Trost der erschütterten Regentin beschied. Mit Fragen bestürmt erzählte er den ganzen Hergang ausführlich: und so bestürzt und unwillig er darüber war, auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft, der Mut des jungen Fürsten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Kamilla jedem seiner Worte: Stolz, Stolz auf den Geliebten – der Liebe glücklichstes Gefühl – erfüllte mächtig ihre ganze Seele.
»Es ist kein Zweifel,« schloß Cassiodor mit Seufzen, »Athalarich ist unser entschiedenster Gegner: er steht ganz zu der gotischen Partei, zu Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Präfekten verderben. Wer hätte das von ihm geglaubt! Immer muß ich daran denken, Rusticiana, wie so ganz anders er sich bei dem Prozeß deines Gatten benahm.«
[] Kamilla horchte hoch auf.
»Damals gewannen wir die Überzeugung, er werde zeitlebens der glühendste Freund, der eifrigste Vertreter der Römer sein.« – »Ich weiß davon nichts«, sagte Rusticiana. – »Es ward vertuscht. Das Todesurteil war gesprochen über Boëthius und seine Söhne. Vergebens hatten wir alle, Amalaswintha voran, die Gnade des Königs angerufen: sein Zorn war unauslöschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestürmte, fuhr er zornig auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Kerker büßen, der ihm noch einmal mit einer Fürbitte für die Verräter nahe. Da verstummten wir alle. Nur Einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, ließ sich nicht schrecken, er weinte und flehte und hing sich an seines Großvaters Knie.«
Kamilla erbebte. der Atem stockte ihr.
»Und nicht ließ er ab, bis Theoderich in höchstem Zorn emporfuhr, ihn mit einem Schlag in den Nacken von sich schleuderte und den Wachen übergab. Der ergrimmte König hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des Schlosses geführt und Boëthius sofort getötet.«
Kamilla wankte und hielt sich an einer Säule des Saales.
»Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten.
Tags darauf vermißte der König an der Tafel schwer den Liebling, den er von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, für seine Freunde gebeten, als die Männer in Furcht verstummten. Er stand endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend saß, stieg selbst hinab in den Kerker, öffnete die Pforte, umarmte seinen Enkel und schenkte auf seine Bitte deinen Söhnen, Rusticiana, das Leben.«
»Fort, fort zu ihm!« sprach Kamilla mit erstickter Stimme zu sich selbst und eilte aus dem Saal.
»Damals,« fuhr Cassiodor fort, »damals mochten Römer und [] Römerfreunde in dem künftigen König ihre beste Stütze sehen und jetzt – meine arme Herrin, arme Mutter!« und klagend schritt er hinaus.
Rusticiana saß lange wie betäubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre Rachepläne gebaut: sie versank in dumpfes Brüten. Länger und länger schon fielen die Schatten der hohen, starken Türme in den Schloßhof, auf welchen sie hinausstarrte.
Da weckte sie der feste Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig ruhig.
»Cethegus!« rief die Bekümmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine Kälte schreckte sie zurück. »Alles verloren!« seufzte sie, stehen bleibend. »Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit,« setzte er, umblickend im Gemach, hinzu, Als er sich allein mit ihr sah, griff er in die Brustfalten seiner Toga. »Dein Liebestrank hat nicht geholfen, Rusticiana. Hier ist ein anderer – stärkrer. Nimm.« Und rasch drückte er ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah ihn die Freundin an: »Glaubst du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer hat ihn gebraut?« – »Ich,« sagte er, »und meine Liebestränke wirken.« – »Du!« – es durchlief sie ein eisiges Grauen. »Frage nicht, forsche nicht, säume nicht,« sprach er herrisch. »Es muß noch heute geschehen. Hörst du? Noch heute.«
Aber Rusticiana zögerte noch und sah zweifelnd auf das Fläschchen in ihrer Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter berührend: »Du zauderst,« sagte er langsam. »Weißt du, was auf dem Spiele steht? nicht nur unser ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch mehr. Kamilla liebt, liebt den König mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boëthius die Buhle des Tyrannen werden?«
Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurück: was in den letzten [] Tagen wie eine böse Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiß mit diesem Einen Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen und hinwegeilte sie, zornig die Faust um das Fläschchen geballt.
Ruhig sah ihr Cethegus nach. »Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst rasch, ich bin rascher. – Es ist eigen,« sagte er dann, die Falten seiner Toga herabziehend, »ich glaubte längst nicht mehr, noch solche heftige Regung empfinden zu können. Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich kann wieder streben, hoffen, fürchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen Knaben, der sich unterfängt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu tappen. Er will mir trotzen – meinen Gang aufhalten, er stellt sich kühn in meinen Weg: Er – mir! wohlan, so trag' er denn die Folgen.«
Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten Menge zeigte und durch die eigne Sicherheit den bestürzten Herzen der Hofleute einige Ruhe wiedergab. Er sorgte dafür, zahlreicher Zeugen für all' seine Schritte an diesem verhängnisvollen Tag sich zu versichern. Beim Sinken der Sonne ging er mit Cassiodor und einigen andern Römern, seine Verteidigung für den nächsten Tag beratend, in den Garten, in dessen Laubgängen er sich umsonst nach Kamilla umsah.
Diese war, sowie sie Cassiodors Bericht zu Ende gehört, in den Hof des Palastes geeilt, wo sie zu dieser Stunde den König mit den andern jungen Goten seines Hofes beim Waffenspiel zu treffen hoffte. Nur sehen wollte sie ihn, noch nicht ihn sprechen und ihm zu Füßen ihr großes Unrecht abbitten. Sie hatte ihn verabscheut, von sich gestoßen, ihn als mit dem Blut ihres Vaters befleckt gehaßt – ihn, der sich für diesen Vater geopfert, der ihre Brüder gerettet hatte!
Aber sie fand ihn nicht im Hof. Die wichtigen Ereignisse [] des Tages hielten ihn in seinem Arbeitszimmer fest. Auch seine Waffengesellen fochten und spielten heute nicht: in dichten Gruppen beisammenstehend, priesen sie laut den Mut ihres jungen Königs.
Mit Wonne sog Kamilla dieses Lob ein: stolz errötend, selig träumend wandelte sie in den Garten und suchte dort an allen seinen Lieblingsstätten die Spuren des Geliebten. Ja, sie liebte ihn: kühn und freudig gestand sie sich's ein: er hatte es tausendfach um sie verdient. Was Gote, was Barbar! Er war ein edler herrlicher Jüngling, ein König, der König ihrer Seele. Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion aus ihrer Nähe, daß diese nicht höre, wie sie wieder und wieder den geliebten Namen selig vor sich hinsprach. Endlich am Venustempel angelangt, versank sie in süße Träume über die Zukunft, die unklar, aber golden dämmernd, vor ihr lag. Vor allem beschloß sie, dem Präfekten und ihrer Mutter schon morgen zu erklären, nicht mehr auf ihre Mithilfe gegen den König zählen zu sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre Schuld abbitten mit innigen Worten und dann – dann? sie wußte nicht was dann werden solle: aber sie errötete in holden Träumen.
Rote, duftige Mandelblüten fielen aus den nickenden Büschen: in dem dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle glitt rieselnd an ihr vorüber nach dem blauen Meer und die Wellen dieses Meeres rollten leise wie ihrer Liebe huldigend zu ihren Füßen.
Elftes Kapitel.
Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, daß sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in Haltung und Erscheinen, [] männlicher, kräftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur Brust gebeugte Haupt und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Hüfte.
»Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla,« rief er ihr laut und lebhaft entgegen. »Dein Anblick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.«
So hatte er noch nie zu ihr gesprochen.
»Mein König,« flüsterte sie erglühend. einen leuchtenden Blick noch warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein König! so hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt. »Dein König?« sagte er, sich neben ihr niederlassend, »ich fürchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was alles heute geschehen.«
»Ich weiß alles.« – »Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt nicht, ich bin kein Tyrann.« Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um seine schönsten Taten.
»Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es – sie sind ja dein Volk! – ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte. Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht,« fuhr er langsamer und feierlich fort, »vielleicht ist dies Reich schon verurteilt in den Sternen – gleichviel, ich, sein König, muß mit ihm stehen und fallen.«
»Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein König.«
»Dank dir, Kamilla! wie du heut gerecht bist oder gut! Solcher Güte darf ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir geworden. Sieh, ich war ein kranker, irrer Träumer: ohne Halt, ohne Freude, dem Tode gern entgegenwankend. Da trat an meine Seele die Gefahr dieses Reichs, die tätige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge wuchs in meiner Brust die Liebe, die mächtige Liebe zu meinen [] Goten, und diese stolze und bange und wachsame Liebe für mein Volk, sie hat mein Herz gestärkt und getröstet für ... für andres bitter schmerzliches Entsagen. Was liegt an meinem Glück, wenn nur dies Volk gedeiht: sieh, der Gedanke hat mich gesund gemacht und stark und wahrlich! des Größten könnt' ich jetzt mich unterwinden.«
Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend.
»O, Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! O, ging es zu Roß und in waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde Flut. Komm, komm mit in den Kahn.« Kamilla zögerte. Sie blickte um. »Die Dienerin? Ach laß sie!! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie schläft. Komm, komm rasch, eh' die Sonne versinkt. Sieh die goldne Straße auf der Flut. Sie winkt!« – »Zu den Inseln der Seligen?« fragte das liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht errötend.
»Ja, komm zu den seligen Inseln!« antwortete er glücklich, hob sie rasch in den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Kais, sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das Ruder in die Öse zur Linken: und im hintern Gransen des Schiffes stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische Bewegung, und ein echt germanischer Fergenbrauch.
Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar flog im Winde, und herrlich waren die raschen und kräftigen Bewegungen des fein gebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoß die leichte Barke durch die glatte Flut.
Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel, der leise Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, [] Ruhe, Harmonie. Endlich brach der König das Schweigen und sprach, dem Boot einen kräftigen Druck gebend, daß es gehorsam vorwärts schoß: »Weißt du, was ich denke? Wie schön muß es sein, ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu steuern zu Glück und Glanz. – Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken gewesen.« Sie errötete und blickte seitab in die Flut.
»O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.«
»Ich dachte,« flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch immer abgewendet, »wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so ganz vertraut, gesteuert werden durch die schwanke Flut des Lebens.« – »O Kamilla, glaub' mir, auch dem Barbaren kann man sich vertraun.« – – »Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig überwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen.« Entzückt hielt der König im Rudern inne, das Schiff stand: »Kamilla! träum ich? sprichst du das? und zu mir?«
»Mehr noch, Athalarich, mehr! ich bitte dich, vergib, daß ich dich so grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.« – »Kamilla, Perle meiner Seele« – Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief plötzlich: »was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine Mutter.« So war es, Rusticiana hatte, von des Präfekten furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie plötzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. Im höchstem Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des Königs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu lösen, gewann so einen unbelauschten Augenblick [] an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Präfekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle führte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. »Es ist geschehen,« flüsterte sie ihm dabei zu und die Gondel stieß ab. In diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: »Nein, sie sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß noch mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O, Kamilla, du mußt mir mehr, du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen sie uns finden.« Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf das Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß.
»Willst du nicht weiter sprechen?«
»O, mein Freund, mein König – dringe nicht in mich.« Er sah nur ihr in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel. »Nun warte dort auf der Insel – dort sollst du mir« – –
Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag – da erdröhnte ein dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück.
»Himmel! rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein ihr entgegen.«
»Das Schiff ist geborsten – wir sinken,« sprach sie erbleichend. – »Hierher zu mir, laß mich sehen,« rief Athalarich vorspringend. »Ah, das sind die Nadeln der Amphitrite – wir sind verloren.« Die Nadeln der Amphitrite – wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels kaum [] erkennen – waren zwei schmale, scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer und der nächsten der Laguneninseln: sie ragten kaum über den Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen über sie weg. Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt.
Mit einem Blick übersah er die Lage. Es gab keine Rettung.
Ein Brett im Boden des leicht gezimmerten Gefährts war durch den Anprall an der Klippe zertrümmert, gewaltig drang das Wasser durch den Leck.
Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde.
Schwimmend mit Kamilla die nächste Insel oder das Ufer zu erreichen, konnte er nicht hoffen, und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst abgestoßen. Mit Blitzesschnelle hatte er all' das überschaut, erwogen, eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Mädchen. »Geliebte, du stirbst,« jammerte er verzweifelnd, »und ich, ich hab's verschuldet.« Und er umfaßte sie stürmisch. »Sterben?« rief sie, »o nein! nicht so jung, nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir.« Und sie klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz.
Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst – immer höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. »Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.« – »Nein! nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: – o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet« – und glühend drückte sie das Haupt an seine Brust – »o laß dir sagen, laß dir noch gestehn, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit – seit immer. All' mein Haß war ja nur verschämte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen. Ja du sollst wissen, wie ich dich liebe.« Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Küssen. »O, jetzt will ich auch sterben [] – lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein« – und sie riß sich von ihm los – »du sollst nicht sterben – laß mich hier, springe, schwimme, versuch's, du allein erreichst die Insel wohl – versuch's und laß mich.«
»Nein,« rief er selig, »lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.«
Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch Hand breit über Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jähen Sprunge an – da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung.
Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie loseilte.
Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Königs: vierzig Ruder, aus zwei Stockwerken von Ruderbänken zugleich in die Flut getaucht, beförderten den Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln daherschoß. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren und bald – es war die höchste Zeit – lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches Wachtschiff, der goldene, steigende Löwe, das Wappen der Amalungen, glänzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es.
»Dank euch, wackre Freunde,« sprach Athalarich, da er wieder Worte gefunden, »Dank! ihr habt nicht euren König nur, ihr habt eure Königin gerettet.«
[] Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Glücklichen, der die laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. »Heil unsrer schönen jungen Königin!« jauchzte der rotblonde Aligern und die Mannschaft jubelte donnernd nach: »Heil, Heil unsrer Königin!« In diesem Augenblick rauschte der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betäubung, die sie ergriffen, da die beiden erschrockenen Rudersklaven die Gefahr des jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zu gleich erklärt hatten, es sei ihnen unmöglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen.
Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorüberrauschte, an der Brust des jungen Königs lag? und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen: »Heil, Kamilla, unsrer Königin?«
Sie starrte auf die vorübergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorüber und dem Lande nah. Es ankerte außerhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen hinein und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo, außer Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu begrüßen. Unter Glückwünschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen hinan.
»Seht hier,« sprach er, vor dem Tempel angelangt, »sehet, Goten und Römer, eure Königin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengeführt, nicht wahr, Kamilla?« [] Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die Aufregung und der jähe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum Genesenen übermächtig erschüttert: sein Antlitz war marmorblaß, er wankte und griff wie Luft schöpfend krampfhaft an seine Brust.
»Um Gott,« rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fürchtend, »dem König ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!« Sie flog an den Tisch, ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und drängte ihn in seine Hand.
Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner Bewegungen.
Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber plötzlich ließ er ihn nochmal sinken, er lächelte: »du mußt mir zutrinken, wie''s der gotischen Königin ziemt an ihrem Hof,« und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn aus seiner Hand.
Einen Augenblick durchzuckte es den Präfekten siedend heiß. Er wollte hinzustürzen, ihr den Trank aus der Hand reißen, ihn verschütten.
Aber er hielt sich zurück. Tat er's, so war er unrettbar verloren. Nicht nur morgen als Hochverräter, nein, sofort als Giftmörder angeklagt und überführt.
Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? – Um ein verliebtes Mädchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. – Nein, sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrückend, sie oder Rom: – also sie! Und ruhig sah er zu, wie das Mädchen, hold errötend, einen leichten Trunk aus dem Becher nahm, den der König darauf tief schlürfend bis zum Grund leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch niedersetzte. »Kommt hinauf ins Palatium,« sprach er fröstelnd, den Mantel über die linke Schulter schlagend, »mich friert.« Und er wandte sich.
Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah dem Präfekten eindringend ins Auge.
[] »Du hier?« sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte er nochmal und stürzte mit einem jähen Schrei neben der Quelle aufs Antlitz nieder.
»Athalarich!« rief Kamilla und warf sich taumelnd über ihn. Der alte Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: »Hilfe,« rief er, »sie stirbt – der König!«
»Wasser! rasch Wasser!« sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an den Tisch, ergriff den Silberbecher, bückte sich, spülte ihn schnell, aber gründlich in der Quelle und neigte sich über den König, der in Cassiodors Armen lag, indes Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Knie legte.
Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen Gestalten.
»Was ist geschehen? Mein Kind!« mit diesem Schrei drängte sich Rusticiana, die soeben gelandet, an der Tochter Seite. »Kamilla!« rief sie verzweifelt, »was ist mit dir?«
»Nichts!« sagte Cethegus ruhig, sich prüfend über die beiden beugend. »Es ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen König hat sein Herzkrampf hingerafft. Er ist tot.«
[]Drittes Buch: Amalaswintha
Erstes Kapitel.
Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende die gotische Partei, die an diesem nämlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch gespannt hatte. Alle Maßregeln, die der König in ihrem Sinne angeordnet, waren gelähmt, die Goten plötzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war.
Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem Präfekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf.
»Und du kannst schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!« – »Ich schlief,« sagte Cethegus, sich auf den linken Arm aufrichtend, »im Gefühle neuer Sicherheit.« – »Sicherheit! ja für dich, aber das Reich!«
»Das Reich war mehr gefährdet durch diesen Knaben als ich. Wo ist die Königin?« – »Am offenen Sarge ihres Sohnes sitzt sie, sprachlos! Die ganze Nacht.«
Cethegus sprang auf: »das darf nicht sein,« rief er. »Das tut nicht gut. Sie gehört dem Staat, nicht dieser Leiche. Um so weniger, als ich von Gift flüstern hörte. Der junge Tyrann hatte viele Feinde. Wie steht es damit?«
»Sehr ungewiß. Der griechische Arzt Elpidios, der die Leiche untersuchte, sprach zwar von einigen auffallenden Erscheinungen. Aber, wenn Gift gebraucht worden, meinte er, [] müßte es ein sehr geheimes, ihm völlig fremdes sein. In dem Becher, daraus der Arme den letzten Trunk getan, fand sich nicht die leiseste Spur verdächtigen Inhalts. So glaubt man allgemein, die Aufregung habe das alte Herzleiden zurückgerufen und dieses ihn getötet. Aber doch ist es gut, daß man dich von dem Augenblick, da du die Versammlung verließest, immer vor Zeugen gesehen: der Schmerz macht argwöhnisch.«
»Wie steht es um Kamilla?« forschte der Präfekt weiter. – »Sie soll von ihrer Betäubung noch gar nicht erwacht sein; die Ärzte fürchten das Schlimmste. – Aber ich kam, dich zu fragen: Was soll nun weiter geschehen? Die Regentin sprach davon, die Untersuchung gegen dich niederzuschlagen.« – »Das darf nicht sein!« rief Cethegus. »Ich fordre die Durchführung. Eilen wir zu ihr.« – »Willst du sie am Sarge ihres Sohnes stören?« – »Ja, das will ich! Deine zarte Rücksicht bebt davor zurück? Gut, komme du nach, wenn ich das Eis gebrochen.«
Er verabschiedete den Besuch und rief seine Sklaven, ihn anzukleiden. Bald darauf schritt er, in dunkelgraues Trauergewand gehüllt, hinab zu dem Gewölbe, wo die Leiche ausgestellt lag. Gebieterisch wies er die Wachen und die Frauen Amalaswinthens hinweg, die den Eingang hüteten und trat geräuschlos ein.
Es war die niedrig gewölbte Halle, in der ehedem die Leichen der Kaiser mit Salben und Brennstoffen waren für den Scheiterhaufen bereitet worden. Das schweigende Gelaß, mit dunkelgrünen Serpentin getäfelt, von kurzen dorischen Säulen aus schwarzem Marmor getragen, war nie von der Tageshelle beleuchtet; auch jetzt fiel auf die düstern byzantinischen Mosaiken auf dem Goldgrund der Wandplatten kein andres Licht als von den vier Pechfackeln, die an dem Steinsarkophag des jungen Königs mit unstetem Schimmer flackerten.
[] Dort lag er, auf einem tiefroten Purpurmantel, Helm, Schwert und Schild zu seinen Häupten.
Der alte Hildebrand hatte ihm einen Eichenkranz um die dunkeln Locken gewunden. Die edeln Züge ruhten in ernster, bleicher Schöne.
Zu seinen Füßen saß in langem Trauerschleier die hohe Gestalt der Regentin, das Haupt auf den linken Arm gestützt, der auf dem Sarkophage ruhte: der rechte hing erschlafft herab. Sie konnte nicht mehr weinen.
Das Knistern der Pechflammen war das einzige Geräusch in dieser Grabesstille. –
Lautlos trat Cethegus ein, nicht unbewegt von der Poesie des Anblicks. Aber mit einem Zusammenziehen der Brauen war dies Gefühl wie ein Anflug von Mitleid erstickt. Klarheit gilt es, sprach er zu sich selbst, und Ruhe. Leise trat er näher und ergriff die herabgesunkene Hand Amalaswinthens. »Erhebe dich, hohe Frau, du gehörst den Lebendigen, nicht den Toten.«
Erschrocken sah sie auf: »Du hier, Cethegus? Was suchst du hier?«
»Eine Königin.«
»O, du findest nur eine weinende Mutter!« rief sie schluchzend. – »Das kann ich nicht glauben. Das Reich ist in Gefahr und Amalaswintha wird zeigen, daß auch ein Weib dem Vaterland den eignen Schmerz opfern kann.«
»Das kann sie,« sagte sie, sich aufrichtend: »Aber sieh auf ihn hin. – Wie jung, wie schön –! Wie konnte der Himmel so grausam sein.« – »Jetzt oder nie,« dachte Cethegus. »Der Himmel ist gerecht, streng, nicht grausam.«
»Wie redest du? was hatte mein edler Sohn verschuldet? Wagst du ihn anzuklagen?« – »Nicht ich! Doch eine Stelle der heiligen Schrift hat sich erfüllt an ihm: ›Ehre Vater und Mutter, auf daß du lang lebest auf Erden.‹ Die Verheißung [] ist auch eine Drohung. Gestern hat er gefrevelt gegen seine Mutter und sie verunehrt in trotziger Empörung: – heute liegt er hier. Ich sehe darin den Finger Gottes.«
Amalaswintha verhüllte ihr Antlitz. Sie hatte dem Sohn an seinem Sarge seine Auflehnung herzlich vergeben. Aber diese Auffassung, diese Worte ergriffen sie doch mächtig und zogen sie ab von ihrem Schmerz zur liebgewordenen Gewohnheit des Herrschens. »Du hast, o Königin, die Untersuchung gegen mich niederschlagen wollen und Witichis zurückberufen. Letzteres mag sein. Aber ich fordere die Durchführung des Prozesses und feierliche Freisprechung als mein Recht.«
»Ich habe nie an deiner Treue gezweifelt. Weh mir, wenn ich es jemals müßte. Sage mir: ich weiß von keiner Verschwörung! und alles ist abgetan.« – Sie schien seine Beteurung zu erwarten. Cethegus schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: »Königin, ich weiß von einer Verschwörung.«
»Was ist das?« rief die Regentin und sah ihn drohend an. – »Ich habe diese Stunde, diesen Ort gewählt,« fuhr Cethegus mit einem Blick auf die Leiche fort, »dir meine Treue entscheidend zu besiegeln, daß sie dir unauslöschlich möge ins Herz geschrieben sein. Höre und richte mich.« – »Was werd' ich hören?« sprach die Königin wachsam und fest entschlossen, sich weder täuschen noch erweichen zu lassen. »Ich wär' ein schlechter Römer, Königin, und du müßtest mich verachten, liebte ich nicht vor allem andern mein Volk. Dies stolze Volk, das selbst du, die Fremde, liebst. Ich wußte, wie du es weißt – daß der Haß gegen euch als Ketzer, als Barbaren in den Herzen fortglimmt. Die letzten strengen Taten deines Vaters hatten ihn geschürt. Ich ahnte eine Verschwörung. Ich suchte, ich entdeckte sie.« – »Und verschwiegst sie!« sprach die Regentin, zürnend sich erhebend. – »Und verschwieg sie. Bis heute. Die Verblendeten wollten die Griechen herbeirufen und nach Vernichtung der Goten sich dem Kaiser unterwerfen.« – »Die [] Schändlichen!« rief Amalaswintha heftig. – »Die Toren! Sie waren schon soweit gegangen, daß nur Ein Mittel blieb, sie zurückzuhalten: ich trat an ihre Spitze, ich ward ihr Haupt.« – »Cethegus!« – »Dadurch gewann ich Zeit und konnte edle, wenn auch verblendete Männer von dem Verderben zurückhalten. Allgemach konnte ich ihnen die Augen darüber öffnen, daß ihr Plan, wenn er gelänge, nur eine milde mit einer despotischen Herrschaft vertauschen würde. Sie sahen es ein, sie folgten mir, und kein Byzantiner wird diesen Boden betreten bis ich ihn rufe, ich – oder du.«
»Ich! rasest du?« – »Nichts ist den Menschen zu verschwören! sagt Sophokles, dein Liebling. Laß dich warnen, Königin, die du die dringendste Gefahr nicht siehst. Eine andre Verschwörung, viel gefährlicher als jene römische Schwärmerei, bedroht dich, deine Freiheit, das Herrschaftsrecht der Amaler, in nächster Nähe – eine Verschwörung der Goten.«
Amalaswintha erbleichte.
»Du hast gestern zu deinem Schrecken ersehn, daß nicht deine Hand mehr das Ruder dieses Reiches führt. Ebensowenig dieser edle Tote, der nur ein Werkzeug deiner Feinde war. Du weißt es, Königin, viele in deinem Volk sind blutdürstende Barbaren, raubgierig, roh: sie möchten dies Land brandschatzen, wo Vergil und Tullius gewandelt. Du weißt, dein trotziger Adel haßt die Übermacht des Königshauses und will sich ihm wieder gleichstellen. Du weißt, die rauhen Goten denken nicht würdig von dem Beruf des Weibes zur Herrschaft.« – »Ich weiß es,« sprach sie stolz und zornig. – »Aber nicht weißt du, daß alle diese Parteien sich geeinigt haben. Geeinigt gegen dich und dein römerfreundlich Regiment. Dich wollen sie stürzen oder zu ihrem Willen zwingen. Cassiodor und ich, wir sollen von deiner Seite fort. Unser Senat, unsre Rechte sollen fallen, das Königtum ein Schatte werden. Krieg mit dem Kaiser soll entbrennen. Und Gewalt, Erpressung, [] Raub über uns Römer hereinbrechen.« – »Du malst eitle Schreckbilder!« – »War ein eitles Schreckbild, was gestern geschah? Wenn nicht der Arm des Himmels eingriff, warst nicht du selbst wie ich der Macht beraubt? Warst du denn noch Herrin in deinem Reich, in deinem Hause? Sind sie nicht schon so mächtig, daß der heidnische Hildebrand, der bäuerische Witichis, der finstre Teja in deines betörten Sohnes Namen offen deinem Willen trotzen? Haben sie nicht jene rebellischen drei Herzoge zurückberufen? Und deine widerspenstige Tochter und –« – »Wahr, zu wahr!« seufzte die Königin.
»Wenn diese Männer herrschen – dann lebt wohl Wissenschaft und Kunst und edle Bildung! Leb wohl, Italia, Mutter der Menschlichkeit! Dann lodert in Flammen auf, ihr weißen Pergamente, brecht in Trümmer, schöne Statuen. Gewalt und Blut wird diese Fluren erfüllen, und späte Enkel werden bezeugen: solches geschah unter Amalaswintha, der Tochter Theoderichs.«
»Nie, niemals soll das geschehen! Aber –«
»Du willst Beweise? Ich fürchte, nur zu bald wirst du sie haben. Du siehst jedoch schon jetzt: auf die Goten kannst du dich nicht stützen, wenn du jene Greuel verhindern willst. Gegen sie schützen nur wir dich, wir denen du ohnehin angehörst nach Geist und Bildung, wir Römer. Dann, wenn jene Barbaren lärmend deinen Thron umdrängen, dann laß mich jene Männer um dich scharen, die sich einst gegen dich verschworen, die Patrioten Roms: sie schützen dich und sich selbst zugleich.«
»Cethegus,« sprach die bedrängte Frau, »du beherrschest die Menschen leicht! Wer, sage mir, wer bürgt mir für die Patrioten, für deine Treue?«
»Dies Blatt, Königin, und dieses! Jenes enthält eine genaue Liste der römischen Verschwornen – du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die Glieder des gotischen Bundes, [] die ich freilich nur erraten konnte. Aber ich rate gut. Mit diesen beiden Blättern geb' ich die beiden Parteien, geb' ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick bei den Meinen selbst als Verräter entlarven, der vor allem deine Gunst gesucht, kannst mich preisgeben dem Haß der Goten – ich habe jetzt keinen Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden deiner Gunst.«
Die Königin hatte die Rollen mit leuchtenden Augen durchflogen. »Cethegus,« rief sie jetzt, »ich will deiner Treue gedenken und dieser Stunde!« Und sie reichte ihm gerührt die Hand.
Cethegus neigte leise das Haupt. »Noch eins, o Königin. Die Patrioten, fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens, des Hasses der Barbaren über ihren Häuptern hangen. Die Erschrocknen bedürfen der Aufrichtung. Laß sie mich deines hohen Schutzes versichern: stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und laß mich ihnen dadurch ein sichtbar Zeichen deiner Gnade geben.«
Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen Augenblick noch zögerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurück: »Hier, sie sollen mir treu bleiben, treu wie du.«
Da trat Cassiodorus ein: »o Königin, die gotischen Großen harren dein. Sie begehren dich zu sprechen.«
»Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen,« sprach sie heftig: »du aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der Präfekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron.«
Staunend führte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam folgte Cethegus. er hob die Wachstafel in [] die Höhe und sprach zu sich selbst: »Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser Liste trennt dich auf immer von deinem Volk.« – –
Zweites Kapitel.
Als Cethegus aus dem unterirdischen Gewölbe wieder zu dem Erdgeschoß des Palastes aufgetaucht war und sich anschickte, der Regentin zu folgen, ward sein Ohr berührt und sein Schritt gefesselt durch feierliche, klagende Flötentöne. Er erriet, was sie bedeuteten.
Sein erster Antrieb war, auszuweichen. Aber alsbald entschloß er sich zu bleiben. »Einmal muß es doch geschehen, also am besten gleich,« dachte er. »Man muß prüfen, wie weit sie unterrichtet ist.«
Immer näher kamen die Flöten, wechselnd mit eintönigen Klagegesängen. Cethegus trat in eine breite Nische des dunklen Ganges, in welchen schon die Spitze des kleinen Zuges einbog. Voran schritten paarweise sechs edle römische Jungfrauen in grauen Klageschleiern, gesenkte Fackeln in den Händen. Darauf folgte ein Priester, dem eine hohe Kreuzesfahne mit langen Wimpeln vorangetragen wurde. Hierauf eine Schar von Freigelassenen der Familie, angeführt von Corbulo, und die Flötenbläser. Dann erschien von vier römischen Mädchen getragen, ein offener, blumenüberschütteter Sarg: da lag auf weißem Linnentuch die tote Kamilla, in bräutlichem Schmuck, einen Kranz von weißen Rosen um das schwarze Haar: ein Zug lächelnden Friedens spielte um den leicht geöffneten Mund. Hinter dem Sarg aber wankte, mit gelöstem Haar, stier vor sich hinblickend, die unselige Mutter, von Matronen umgeben, welche die Sinkende stützten. Eine Reihe von Sklavinnen schloß den Zug, der sich langsam in das Totengewölbe verlor.
[] Cethegus erkannte die schluchzende Daphnidion und hielt sie an. »Wann starb sie?« fragte er ruhig. – »Ach, Herr, vor wenigen Stunden! O die gute, schöne freundliche Domna!« – »Ist sie noch einmal erwacht zu vollem Bewußtsein?«
»Nein, Herr, nicht mehr. Nur ganz zuletzt schlug sie die großen Augen nochmal auf und schien rings umher zu suchen«. »Wo ist er hin?« fragte sie die Mutter. »Ach, ich sehe ihn,« rief sie dann und hob sich aus den Kissen. »Kind, mein Kind, wo willst du hin?« weinte die Herrin. »Nun, dorthin,« sagte sie mit verklärtem Lächeln: »nach den Inseln der Seligen!« und sie schloß die Augen und sank zurück auf das Lager und jenes holde Lächeln blieb stehen auf ihrem Mund – und sie war dahin, dahin auf ewig! – »Wer hat sie hier herabbringen lassen?« – »Die Königin. Sie erfuhr alles und befahl, die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm auszustellen und zu bestatten.«
»Aber was sagt der Arzt? wie konnte sie so plötzlich sterben?« – »Ach der Arzt sah sie nur flüchtig; er hatte alle Gedanken bei der Königsleiche und die Herrin litt ja gar nicht, daß der fremde Mann ihre Tochter berühre. Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still, sie kommen.« Der Zug ging in derselben Ordnung ohne den Sarg, zurück. Daphnidion schloß sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten.
Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. »Rusticiana, fasse dich!«
»Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie ermordet!« Und sie brach auf seine Schulter zusammen. »Schweig, Unselige!« flüsterte er, sich umsehend.
»Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getötet. Ich habe den Trank gemischt, der ihm den Tod gebracht.«
[] Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, daß sie getrunken, geschweige, daß ich sie trinken sah. »Es ist ein grausamer Streich des Geschicks,« sagte er laut; »aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte ihn!« – »Was werden sollte?« rief Rusticiana, von ihm zurücktretend.
»O, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Wäre sie sein geworden, sein Weib – seine Geliebte, wenn sie nur lebte!« – »Aber du vergißt, daß er sterben mußte.« – »Mußte? warum mußte er sterben? auf daß du deine stolzen Pläne hinausführst! O Selbstsucht ohnegleichen!« – »Es sind deine Pläne, die ich ausführe, nicht die meinen; wie oft muß ich dir's wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser. Lebe wohl.«
Aber Rusticiana faßte heftig seinen Arm: »Und das ist alles? Und weiter hast du nichts, kein Wort, keine Träne für mein Kind? Und du willst mich glauben machen, um sie, um mich zu rächen habest du gehandelt? Du hast nie ein Herz gehabt. Du hast auch sie nicht geliebt – kalten Blutes siehst du sie sterben – ha, Fluch – Fluch über dich.« – »Schweig, Unsinnige.« – »Schweigen? nein, reden will ich und dir fluchen. O, wüßt' ich etwas, das dir wäre, was mir Kamilla war! O, müßtest du, wie ich, deines ganzen Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln. Wenn ein Gott ist im Himmel, wirst du das erleben.«
Cethegus lächelte.
»Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? wohlan, glaub' an die Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! ich eile zur Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!« – »Und du stirbst mit mir.«
»Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe.« Und sie wollte hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. »Halt, Weib. Glaubst du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? [] Deine Söhne, Anicius und Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem Hause. Du weißt, auf ihrer Rückkehr steht der Tod. Ein Wort – und sie sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Söhne, wie die Tochter, als durch dich gefallen zuführen. Ihr Blut über dein Haupt.« Und rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden.
»Meine Söhne!« rief Rusticiana und brach auf dem Marmorestrich zusammen. –
Wenige Tage darauf verließ die Witwe des Boëthius mit Corbulo und Daphnidion den Königshof für immer. Vergebens suchte die Regentin sie zu halten.
Der treue Freigelassene führte sie zurück auf die verborgne Villa bei Tifernum, die je verlassen zu haben sie jetzt tief betrauerte. Sie baute daselbst, an der Stelle des kleinen Venustempels, eine Basilika, in deren Krypta eine Urne mit den Herzen der beiden Liebenden beigesetzt wurde.
Ihre leidenschaftliche Seele verband mit dem Gebet für das Heil ihres Kindes unzertrennlich die Bitte der Rache an Cethegus, dessen wahre Beteiligung an Kamillens Tod sie nicht einmal ahnte: nur das durchschaute sie, daß er Mutter und Tochter als Werkzeuge seiner Pläne gebraucht und in herzloser Kälte des Mädchens Glück und Leben aufs Spiel gesetzt hatte.
Und kaum minder unablässig als das Licht der daselbst gestifteten ewigen Lampe stieg das Gebet und der Fluch der vereinsamten Mutter zum Himmel empor.
Die Stunde sollte nicht ausbleiben, die ihr die Schuld des Präfekten ganz enthüllte und auch die Rache nicht, die sie dafür vom Himmel niederrief.
[] Drittes Kapitel.
Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zäher und grimmiger Kampf geführt.
Die gotischen Patrioten, obwohl durch den plötzlichen Untergang ihres jugendlichen Königs schwer betrübt und für den Augenblick überwunden, wurden doch von ihren unermüdlichen Führern bald wieder aufgerafft. Das hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurückberufenen Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablässig. Wir haben gesehen, wie es diesen Männern gelungen war, Athalarich zur Abschüttelung der Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht, unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in welcher der ihnen als Hochverräter verhaßte Cethegus mehr als je in den Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevölkerung von Ravenna war genügend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit Mühe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurück, bis sie, durch wichtige Bundesgenossen verstärkt, desto sicherer siegen könnten.
Diese Bundesgenossen waren die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, die Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurückberufen hatte. Thulun und Ibba waren Brüder, Pitza ihr Vetter.
Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen angeblicher Verschwörung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht verschollen.
Sie stammten aus dem berühmten Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten die Königskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum führte, wie der des Königshauses, bis zu den Göttern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhängigen Colonen und der Ruhm ihrer Kriegstaten erhöhten Macht [] und Glanz ihres Hauses. Man sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeitlang daran gedacht, mit Übergehung seiner Tochter und ihres unmündigen Knaben, zum Heile des Reiches den kräftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen.
Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen, für den äußersten Fall, das heißt, wenn die Regentin von ihrem System nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen.
Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische Volksbewußtsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich immer heftiger gegen die romanisierende Regentschaft sträubte.
Mit Unmut gestand er sich, daß es ihm an wirklicher Macht fehle, diese Unzufriedenheit niederzuhalten. Ravenna war nicht sein Rom, wo er die Werke beherrschte, wo er die Bürger wieder an die Waffen gewöhnt und an seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten, und er mußte fürchten, daß sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit offnem Aufruhr beantworten würden. So faßte er den kühnen Gedanken, mit Einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten, herauszureißen: er beschloß, die Regentin, nötigenfalls mit Gewalt, nach Rom zu bringen, nach seinem Rom: dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort war Amalaswintha ausschließlich in seiner Gewalt und die Goten hatten das Nachsehen.
Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht. Rasch wie immer traf Cethegus seine Maßregeln. Auf den kürzern Weg zu Lande mußte er verzichten, da die große Via flaminia sowohl als die andern Straßen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis befehligte, bedeckt waren und daher zu fürchten [] stand, daß ihre Flucht auf diesem Wege zu früh entdeckt und vielleicht verhindert würde. So mußte er sich entschließen, einen Teil des Weges zur See zurückzulegen: aber auf die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen Zweck nicht zählen.
Zum Glück erinnerte sich der Präfekt, daß der Nauarch Pomponius, einer der Verschwornen, mit drei Trieren zuverlässiger, d.h. römischer Bemannung an der Ostküste des Adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf afrikanische Seeräuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in der Nacht des Epiphaniasfestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er hoffte vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und während kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschäftigte, leicht und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See über die gotischen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus war der Weg nach Rom kurz und ungefährdet.
Diesen Plan im Bewußtsein – sein Bote kam glücklich hin und zurück mit dem Versprechen des Pomponius, pünktlich einzutreffen – lächelte der Präfekt zu dem täglich wachsenden, trotzigen Haß der Goten, die seine Günstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres königlichen Zornes über die »Rebellen« vor dem Tag der Befreiung einen Zusammenstoß herbeizuführen, der leicht alle Pläne der Rettung vereiteln konnte.
Das Epiphaniasfest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den Basiliken, auf den Plätzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs. Es war Mittag. Amalaswintha und der Präfekt hatten soeben ihren Freund Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kühnheit ihn anfangs [] erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus dem Gemach der Beratung aufbrechen, als plötzlich der Lärm des Volkes, das vor dem Palast auf und nieder flutete, lauter und heftiger anschwoll: Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander.
Cethegus schlug den Vorhang des großen Rundbogenfensters zurück: doch er sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdrängen in die offenen Tore des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken.
Aber schon stieg im Palatium das Getöse die Treppen hinan, Zank mit der Dienerschaft wurde hörbar, einzelne Waffenschläge, bald nahe, schwere Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des Thronstuhls, auf den Cassiodor sie zurückgeführt.
Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. »Halt,« rief er, unter der Türe des Gemaches hinaus, »die Königin ist für niemand sichtbar.«
Einen Augenblick lautlose Stille.
Dann rief eine kräftige Stimme: »Wenn für dich Römer, auch für uns, für ihre gotischen Brüder. Vorwärts!«
Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen und im Augenblick war Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales zurückgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron.
Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus nicht kannte, und neben ihm – es litt keinen Zweifel – die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, in voller Rüstung, drei prachtvolle Kriegergestalten. Die Eingedrungnen neigten sich vor dem Thron. Dann rief Herzog Thulun nach rückwärts gewendet mit der Handbewegung eines gebornen Herrschers: »Ihr, gotische Männer, harret noch draußen eine [] kurze Weile; wir wollen's in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt es nicht – so rufen wir euch auf zur Tat – ihr wißt, zu welcher.«
Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurück und verloren sich bald in den Gängen und Hallen des Schlosses.
»Tochter Theoderichs,« hob Herzog Thulun an, das Haupt zurückwerfend, »wir sind gekommen, weil uns dein Sohn, der König, zurückberufen. Leider finden wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, daß du uns nicht gerne hier siehst.«
»Wenn ihr das wißt,« sprach Amalaswintha mit Hoheit, »wie könnt ihr wagen, dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern Willen zu uns zu dringen?« – »Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die schon stärkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfüllen wirst.« – »Welche Sprache! Weißt du, wer vor dir steht, Herzog Thulun?« – »Die Tochter der Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt.« – »Rebell!« rief Amalaswintha und erhob sich majestätisch vom Throne, »dein König steht vor dir.« Aber Thulun lächelte: »Du würdest klüger tun, Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. König Theoderich hat dir die Mundschaft über deinen Sohn übertragen, dem Weibe: – das war wider Recht, aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen Sohn zum Nachfolger gewünscht, den Knaben: – das war nicht klug. Aber Adel und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch eines Königs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewünscht, und niemals hätten wir gebilligt, daß nach jenem Knaben ein Weib über uns herrschen solle, die Spindel über die Speere.«
»So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Königin?« rief sie empört. »Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du verleugnest seine Tochter?«
[] »Frau Königin,« sprach der Alte, »wollest du selbst verhüten, daß ich dich verleugnen muß.«
Thulun fuhr fort: »Wir verleugnen dich nicht – noch nicht. Jenen Bescheid gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst und weil du wissen mußt, daß du ein Recht nicht hast.
Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren – wir ehren damit uns selbst – und weil es in diesem Augenblick zu bösem Zwiespalt im Reich führen könnte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die Bedingungen sagen, unter denen du sie fürder tragen magst.«
Amalaswintha litt unsäglich: wie gern hätte sie das stolze Haupt, das solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos mußte sie das dulden! Tränen wollten in ihr Auge dringen: sie preßte sie zurück, aber erschöpft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestützt.
Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: »Bewillige alles!« raunte er ihr zu, »'s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute nacht noch kömmt Pomponius.«
»Redet,« sprach Cassiodor, »aber schont des Weibes, ihr Barbaren.« – »Ei,« lachte Herzog Pitza, »sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist ja unser König.«
»Ruhig, Vetter,« verwies ihn Herzog Thulun, »sie ist von edlem Blut wie wir.«
»Fürs erste,« fuhr er fort, »entläßt du aus deiner Nähe den Präfekten von Rom. Er gilt für einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkönigin beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis.«
»Bewilligt!« sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas.
»Fürs zweite erklärst du in einem Manifest, daß fortan kein Befehl von dir vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, daß kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gültig ist.«
Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren [] Arm nieder. »Heute nacht kommt Pomponius!« flüsterte er ihr zu. Dann rief er laut: »Auch das wird zugestanden.«
»Das dritte,« hob Thulun wieder an, »wirst du so gern gewähren, als wir es empfangen. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Häupter zu bücken: das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am besten weit voneinander – wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres Arms an seinen Marken. Die Nachbarn wähnen, das Land sei verwaiset, seit dein großer Vater ins Grab stieg. Avaren, Gepiden, Sklavenen springen ungescheut über unsre Grenzen. Diese drei Völker zu züchtigen, rüstest du drei Heere, je zu dreißig Tausendschaften und wir drei Balten führen sie als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden.«
Die ganze Waffenmacht obenein in ihre Hände: – nicht übel! dachte Cethegus. »Bewilligt,« rief er lächelnd.
»Und was bleibt mir,« fragte Amalaswintha, »wenn ich all' das euch dahingegeben?«
»Die goldne Krone auf der weißen Stirn,« sagte Herzog Ibba.
»Du kannst ja schreiben wie ein Grieche,« begann Thulun aufs neue. »Wohlan, man lernt solche Künste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll enthalten – mein Sklave hat es aufgezeichnet – was wir fordern.«
Er reichte es Witichis zur Prüfung: »Ist es so? Gut. Das wirst du unterschreiben, Fürstin. – So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad, mit jenem Römer.«
Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Haß: »Präfekt von Rom,« sagte er, »Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du büßen« – der Zorn erstickte seine Stimme.
»Pah,« rief, ihn zurückschiebend, Hildebad – denn er war der baumlange Gote – »macht nicht soviel Aufhebens davon! [] Mein goldner Bruder kann leicht etwas missen von überflüssigem Blut. Und der andre hat mehr verloren, als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel,« rief er Cethegus zu und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, »kennst du das?«
»Des Pomponius Schwert!« rief dieser erbleichend und einen Schritt zurückweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken: »Pomponius?«
»Aha,« lachte Hildebad, »nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der Wasserfahrt kann nichts werden.«
»Wo ist Pomponius, mein Nauarch?« rief Amalaswintha heftig.
»Bei den Haifischen, Frau Königin, in tiefer See.«
»Ha, Tod und Vernichtung!« rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn, »wie geht das zu?«
»Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila – du kennst ihn ja, nicht wahr? – lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius, der machte ihm seit einigen Tagen ein so übermütiges Gesicht und ließ so dicke Worte fallen, daß es selbst meinem arglosen Blonden auffiel. Plötzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen entwischt. Totila schöpft Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm nach, holt ihn ein auf der Höhe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn, wohinaus?«
»Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben haben.«
»Doch, Vortrefflicher«, er gab ihm eine. Wie der sah, daß wir zu sieben allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: »Wohin ich segle? Nach Ravenna, du Milchbart, und rette die Regentin aus euren Klauen nach Rom.« Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war [] ein harter Stand, sieben gegen dreißig. Aber es währte zum Glück nicht lang, da hörten unsre Bursche im nächsten Schiff das Eisen klirren und flugs waren sie mit ihren Booten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir die mehreren: aber der Nauarch – gib dem Teufel sein Recht! – gab sich nicht, focht wie ein Rasender und stieß meinem Bruder das Schwert durch den Schild in den linken Arm, daß es hoch aufspritzte. Da aber ward mein Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, daß er fiel wie ein Schlachtstier. »Grüßt mir den Präfekten,« sprach er sterbend, »gebt ihm das Schwert, sein Geschenk, zurück und sagt ihm, es kann keiner wider den Tod: sonst hätte ich Wort gehalten. Ich hab's ihm gelobt, es zu bestätigen. Er war ein tapfrer Mann. Hier ist das Schwert.«
Schweigend nahm es Cethegus.
»Die Schiffe ergaben sich und mein Bruder führte sie zurück nach Ancona. Ich aber segelte mit dem schnellsten hierher und traf am Hafen mit den drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit.«
Eine Pause trat ein, in welcher die Überwundnen ihre böse Lage schmerzlich überdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sichern Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war.
Sein schönster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der Haß diesen Namen in des Präfekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward erst durch den Ausruf Thuluns gestört: »Nun, Amalaswintha, willst du unterzeichnen? oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Königs berufen?«
Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: »Du mußt, o Königin,« sagte er leise, »es bleibt dir keine Wahl.« Cassiodor gab ihr den Griffel, sie schrieb ihren Namen und Thulun nahm die Tafel zurück.
[] »Wohl,« sagte er, »wir gehn, den Goten zu verkünden, daß ihr Reich gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, daß alles ohne Gewalt geschehen ist.«
Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den gotischen Männern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit Cethegus allein sah, sprang die Fürstin heftig auf: nicht länger gebot sie ihren Tränen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja selbst als Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. »Das,« rief sie laut weinend, »das also ist die Überlegenheit der Männer. Rohe, plumpe Gewalt! o Cethegus, alles ist verloren.«
»Nicht alles, Königin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnädiges Andenken,« setzte er kalt hinzu, »ich gehe nach Rom.«
»Wie? du verläßt mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O besser, ich hätte widerstanden, dann wär' ich Königin geblieben, hätten sie auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt.«
Jawohl, dachte Cethegus, besser für dich, schlimmer für mich. Nein, kein Held soll mehr diese Krone tragen. – Rasch hatte er erkannt, daß Amalaswintha ihm nichts mehr nützen könne – und rasch gab er sie auf. Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug für seine Pläne um. Doch beschloß er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthüllen, damit sie nicht auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerriefe und dadurch Thulun die Krone zuwende. »Ich gehe, o Herrin,« sprach er, »doch ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nützen. Man hat mich aus deiner Nähe verbannt und man wird dich hüten, eifersüchtig wie eine Geliebte.«
[] »Aber was soll ich tun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei Herzogen?«
»Abwarten, zunächst dich fügen. Und die drei Herzoge,« setzte er zögernd bei – »die ziehn ja in den Krieg – vielleicht kehren sie nicht zurück.«
»Vielleicht!« seufzte die Regentin. »Was nützt ein vielleicht!« Cethegus trat fest auf sie zu: »Sie kehren nicht zurück – sobald du's willst.« Erschrocken bebte die Frau: »Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?« – »Das Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafür. Es ist Notwehr. Oder Strafe. Hattest du in dieser Stunde die Macht, du hattest das volle Recht, sie zu töten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen königlichen Willen. Sie erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient.«
»Und sie soll'n ihn finden,« flüsterte Amalaswintha, die Faust ballend, vor sich hin, »sie soll'n nicht leben, die rohen Männer, die eine Königin gezwungen. Du hast recht – sie sollen sterben.« – »Sie müssen sterben – sie, und,« fügte er ingrimmig bei, »und – – der junge Seeheld!«
»Warum auch Totila? Er ist der schönste Jüngling meines Volks.«
»Er stirbt,« knirschte Cethegus, »o, könnt' er zehnmal sterben.«
Und aus seinem Auge sprühte eine Glut des Hasses, die, plötzlich aus der eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken überraschte. »Ich schicke dir,« fuhr er rasch und leise fort, »aus Rom drei vertraute Männer, isaurische Söldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hörst du, du sendest sie, die Königin: denn sie sind Henker, keine Mörder. Die drei müssen an Einem Tage fallen. – Für den schönen Totila sorge ich selbst! Der Schlag wird alles erschrecken. In der ersten Bestürzung der Goten eile ich von Rom herbei. Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb' wohl.«
[] Er verließ rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den Erfolg ihrer Führer, die Besiegung Amalaswinthas feierten.
Sie fühlte sich ganz verlassen.
Daß die letzte Verheißung des Präfekten kaum mehr als ein leeres Trostwort zur Beschönigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll stützte sie die Wange auf die schöne Hand und verlor sich eine Weile finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhänge des Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: »Gesandte von Byzanz bitten um Gehör. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet dir seinen brüderlichen Gruß und seine Freundschaft.«
»Justinianus!« rief die ganze Seele der bedrängten Frau. Sie sah sich ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen: ringsumher hatte sie in trübem Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht, und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: »Byzanz – Justinianus!«
Viertes Kapitel.
In den Waldbergen von Fiesole findet heutzutage der Wandrer, der von Florenz heranzieht, rechts von der Straße die Ruinen eines ausgedehnten villenartigen Gebäudes.
Efeu, Steinbrech und Wildrosen haben um die Wette die Trümmer überkleidet: die Bauern des nahen Dorfes haben seit Jahrhunderten Steine davongetragen, die Erde ihrer Weingärten an den Hügelrändern aufzudämmen. Aber noch immer bezeichnen die Reste deutlich, wo die Säulenhalle vor dem Hause, wo das Mittelgebäude, wo die Hofmauer stand. Üppig wuchert das Unkraut auf dem Wiesgrund, wo dereinst[] der schöne Garten in Zier und Ordnung prangte: nichts davon hat sich erhalten als das breite Marmorbecken eines längst vertrockneten Brunnens, in dessen kiesigem Rinnsal sich jetzt die Eidechse sonnt.
Aber in den Tagen, von denen wir erzählen, sah es hier viel anders aus. »Die Villa des Mäcen bei Fäsulä,« wie man das Gebäude damals, wohl mit wenig Fug, benannte, war von glücklichen Menschen bewohnt, das Haus von sorglicher Frauenhand bestellt, der Garten von hellem Kindeslachen belebt. Zierlich war die rankende Klemmatis hinaufgebunden an den schlanken Schäften der korinthischen Säulen vor dem Haus und der Wein zog freundlich schmückend über das flache Dach. Mit weißem Sande waren die schlängelnden Wege des Gartens bestreut und in den Nebengebäuden, die der Wirtschaft dienten, glänzte eine Reinlichkeit, waltete eine stille Ordnung, die nicht auf römische Sklavenhände raten ließ.
Es war um Sonnenuntergang.
Die Knechte und Mägde kehrten von den Feldern zurück: die hoch mit Heu beladenen Wagen mit Rossen nicht italischer Zucht bespannt, schwankten heran: von den Hügeln herunter trieben die Hirten Ziegen und Schafe herzu, von großen zottigen Hunden umbellt.
Dicht vor dem Hoftor gab es die lebendigste Szene des bunten Schauspiels: ein paar römische Sklaven trieben mit tobenden Gebärden und gellendem Geschrei die keuchenden Pferde eines grausam überladnen Wagens an: nicht mit Peitschenhieben, sondern mit Stöcken, deren Eisenspitzen sie den Tieren immer in dieselbe wunde Stelle stießen. Nur ruckweise ging es trotzdem vorwärts. Jetzt lag ein großer Stein vor dem linken Vorderrad, jeden Fortschritt unmöglich machend. Aber der wütige Italier sah es nicht.
»Vorwärts, Bestie, und Kind einer Bestie,« schrie er dem zitternden Rosse zu, »vorwärts, du gotisches Faultier!« Und [] ein neuer Stich mit dem Stachel und ein neuer verzweifelter Ruck: aber das Rad ging nicht über den Stein, das gequälte Tier stürzte in die Knie und drohte den Wagen mit umzureißen. Darüber wurde der Treiber erst recht grimmig. »Warte, du Racker!« schrie er und schlug nach dem Auge des zuckenden Rosses. – Aber nur einmal schlug er, im nächsten Augenblick stürzte er selbst wie blitzgetroffen unter einem mächtigen Streiche nieder.
»Davus, du boshafter Hund!« brüllte eine Bärenstimme und über dem Gefallenen stand schier noch mal so lang und gewiß noch mal so breit wie der erschrockene Tierquäler ein ungeheurer Gote, einen derben Knüttel wiederholt auf den Rücken des Schreienden schwingend.
»Du elender Neiding,« schloß er mit einem Fußtritt, »ich will dich lehren, umgehn mit einem Geschöpf, das sechsmal besser ist als du. Ich glaube, du Schandbub quälst den Hengst, weil er von jenseit der Berge ist. Noch einmal laß mich das sehn, und ich zerbreche dir alle Knochen im Leibe. Jetzt auf und abgeladen: – du trägst alle Schwaden, die zuviel sind, auf deinem eignen Rücken in die Scheuer. Vorwärts.«
Mit einem giftigen Blick stand der Gezüchtigte auf und schickte sich hinkend an, zu gehorchen.
Der Gote hatte das zuckende Roß sogleich aufgerichtet und wusch ihm jetzt sorglich die geschürften Knie mit seinem eignen Abendtrunk von Wein und Wasser.
Kaum war er damit zu Ende, als ihn vom nahen Stall her dringend eine helle Knabenstimme rief: »Wachis, hierher, Wachis!« – »Komme schon, Athalwin, mein Bursch, was gibt's?« – und schon stand er in der offnen Türe des Pferdestalles, neben einem schönen Knaben von sieben bis acht Jahren, der sich heftig die langen, gelben Haare aus dem erglühenden Antlitz strich und mit Mühe in den himmelblauen Augen zwei Tränen des Zornes zerdrückte. Er hatte ein zierlich geschnitztes [] Holzschwert in der Rechten und hob es drohend gegen einen schwarzbraunen Sklaven, der mit gebognem Nacken und mit geballten Fäusten trotzig ihm gegenüberstand.
»Was gibt's da?« wiederholte Wachis über die Schwelle tretend.
»Der Rotschimmel hat wieder nichts zu saufen, und sieh nur, zwei Bremsen haben sich eingesogen oben an seinem Bug, wo er mit der Mähne nicht hinreichen kann und ich nicht mit der Hand und der böse Cacus da, wie ich's ihm sage, will mir nicht folgen: und gewiß hat er mich geschimpft auf römisch, was ich nicht verstehe.« Wachis trat drohend näher.
»Ich habe nur gesagt:« sprach Cacus langsam zurückweichend, »erst ess' ich meine Hirse; das Tier mag warten; bei uns zu Lande kömmt der Mensch vor dem Vieh.« – »So, du Tropf?« sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, »bei uns kommt das Roß vor dem Reiter zum Futter; mach vorwärts.«
Aber Cacus war stark und trotzig: er warf den Kopf auf und sagte: »wir sind hier in unserm Land – da gilt unser Brauch.« – »Eia, du verfluchter Schwarzkopf, wirst du gehorchen?« sprach Wachis ausholend. – »Gehorchen? Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben schon hier im Hause gelebt als deinesgleichen noch Küh' und Schafe stahlen jenseit der Berge.« Wachis ließ den Knüttel fallen und wiegte seine Arme: »Höre, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weißt schon, was für einen. Jetzt geht's in einem hin.« – »Ha,« lachte Cacus höhnisch, »wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin. Sie tanzt wie eine Jungkuh.« – »Jetzt ist's aus mit dir,« sagte Wachis ruhig und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine Katze aus dem Griff des Goten, riß ein spitzes Messer aus der Brustfalte des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wachis bückte, sauste es haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Tür. [] »Na, warte, du Mordwurm!« rief der Germane und wollte sich auf Cacus werfen; da fühlte er sich von hinten umklammert.
Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpaßt hatte.
Aber jetzt ward Wachis sehr zornig.
Er schüttelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit der Rechten Cacus an der Brust und stieß nun mit Bärenkraft seinen beiden Gegnern die Köpfe zusammen, jeden Stoß mit einem Ausruf begleitend, »so, meine Jungen – das für das Messer – und das für den Rückensprung – und den für die Jungkuh« – und wer weiß, wie lange diese seltsame Litanei noch fortgedauert haben würde, hätte sie nicht ein lautes Rufen gestört.
»Wachis – Cacus – auseinander sag' ich!« rief eine volle starke Frauenstimme, und vor der Tür erschien ein stattliches Weib in blauem gotischem Gewand. Sie war nicht groß und doch imposant: ihr schöner Bau eher mächtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Züge regelmäßig, aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tüchtigkeit, Verlässigkeit sprachen aus den fast allzugroßen graublauen Augen: die unbedeckten vollen Arme zeigten, daß sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Gürtel, über den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte, klirrte ein Bund von Schlüsseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Hüfte und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin.
»Eia, Rauthgundis, strenge Frau,« sagte Wachis loslassend, »mußt du denn überall die Augen haben?«
»Überall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis, solltest nicht auch der Hausfrau Verdruß machen. Komm, Athalwin, mit mir.« Und sie führte den Knaben an der Hand mit fort.
[] Sie ging in den Seitenhof und füllte aus einer Truhe Körner in ihr Gewand, die Hühner und Tauben zu füttern, die sie sogleich dicht umdrängten.
Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: »Du, Mutter, ist's wahr? ist der Vater ein Räuber?«
Rauthgundis hielt inne in ihrem Tun und sah das Kind an: »Wer hat das gesagt?«
»Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem großen Heuhaufen seiner Wiese drüben überm Zaun und ich zeigte ihm, wie weit das Land uns gehöre rechts vom Zaun – weit und breit – soweit unsre Knechte mähten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: ›Ja, und all' das Land gehörte früher uns, und dein Vater oder dein Großvater, die haben's gestohlen, die Räuber.‹«
»So? und was sagtest du drauf?«
»Ei, gar nichts, Mutter. Ich warf ihn nur über den Heuhaufen hinunter, daß er die Füße gen Himmel schlug. Aber jetzt, nachderhand, möcht' ich doch wissen, ob's wahr ist.«
»Nein, Kind, es ist nicht wahr. Gestohlen hat's der Vater nicht. Aber offen genommen, weil er besser war und stärker als diese Welschen. Und alle starken Helden haben's immer so gemacht zu allen Zeiten. Und die Welschen in den Tagen, da sie stark waren und ihre Nachbarn schwach, am allermeisten. Aber nun komm, wir müssen nach dem Linnen sehen, das auf dem Anger zur Bleiche liegt.«
Als sie nun den Stallungen den Rücken wandten und dem nahen Grashügel links vom Hause zuschritten, hörten sie den raschen Hufschlag eines Rosses, das auf der alten römischen Heerstraße nahte. Rasch hatte Athalwin den Gipfel des Hügels erreicht und blickte nach der Straße hin.
Da sprengte ein Reiter auf einem mächtigen Braunen die Waldhöhe herab auf die Villa zu: hell funkelte sein Helm und die Spitze der Lanze, die er schräg über dem Rücken trug.
[] »Der Vater, Mutter, der Vater!« rief der Knabe und rannte pfeilgeschwind den Hügel hinab dem Reiter entgegen.
Rauthgundis hatte jetzt auch die Höhe erreicht. Ihr Herz pochte. Sie legte die Hand vors Auge, in die schimmernde Abendröte zu schauen: dann sagte sie still glücklich vor sich hin: »Ja, er ist's. Mein Mann!«
Fünftes Kapitel.
Inzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an seinem Fuß hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderichs Streitroß, die Heimat und die Herrin erkennend und schlug freudig mit dem langen wallenden Schweif.
Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben. »mein liebes Weib!« sprach er, sie herzlich umarmend. »Mein Witichis!« flüsterte sie, an seiner Brust erglühend, entgegen, »willkommen bei den Deinen.« – »Ich hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen – schwer ging's –«
»Aber du hieltst Wort wie immer.« – »Mich zog das Herz,« sagte er, den Arm um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. »Dir, Athalwin, ist, scheint's, Wallada wichtiger als der Vater,« lächelte er dem Kleinen zu, der sorgfältig das Pferd am Zügel nachführte.
»Nein, Vater, aber gib mir noch die Lanze dazu – so gut wird mir's selten hier in dem Bauernleben« – und den langen schweren Speerschaft mit Mühe einherschleppend, rief er laut: »he, Wachis, Ansbrand, der Vater ist da! – Jetzt holt den Falernerschlauch aus dem Keller. Der Vaterhat Durst vom scharfen Ritt.«
[] Lächelnd strich Witichis über den Flachskopf des Knaben, der jetzt an ihnen vorüber und voran eilte. »Nun, und wie steht's hier draußen bei euch?« fragte er, auf Rauthgundis blickend. »Gut, Witichis, die Ernte ist glücklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet.« – »Nicht danach frag' ich,« sagte er, sie zärtlich an sich drückend, – »wie geht es dir?« – »Wie's einem armen Weibe geht,« antwortete sie, zu ihm aufblickend, »das seinen herzgeliebten Mann vermißt. Da hilft nur Arbeit, Freund, und tüchtig Schaffen, daß man das weiche Herz betäubt. Oft denk' ich, wie hart du dich mühen mußt, draußen, unter fremden Leuten, im Lager und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk' ich dann, kömmt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich finden.
Und das ist's, sieh, was mir all' die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet und veredelt.«
»Du bist mein wackeres Weib. Mühst du dich nicht zuviel?«
»Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruß, die Bosheit der Leute, das tut mir weh.« Witichis blieb stehen. »Wer wagt's, dir weh zu tun?« – »Ach, die welschen Knechte und die welschen Nachbarn.
Sie hassen uns alle. Weh uns, wenn sie uns nicht mehr fürchten. Calpurnius, der Nachbar, ist so frech, wenn er dich ferne weiß, und die römischen Sklaven sind trotzig und falsch; nur unsre gotischen Knechte sind brav.«
Witichis seufzte. Sie waren jetzt vor dem Hause angelangt und ließen in dem Säulengang sich vor einem Marmortisch nieder. »Du mußt bedenken,« sagte Witichis, »der Nachbar hat ein Drittel seines Guts und seiner Sklaven an uns abtreten müssen.« – »Und hat zwei Drittel behalten und das Leben dazu – er sollte Gott danken!« meinte Rauthgundis verächtlich.
Da sprang Athalwin heran mit einem Korb voll Äpfeln, [] die er vom Baum gepflückt; dann kamen Wachis und die andern germanischen Knechte mit Wein, Fleisch und Käse und sie begrüßten den Herrn mit freimütigem Handschlag. »Gut, meine Kinder, seid gegrüßt. Die Frau lobt euch. Aber wo stecken Davus, Cacus und die andern?« – »Verzeih, Herr,« schmunzelte Wachis, »sie haben ein schlecht Gewissen.«
»Warum? Weshalb?« – »Ei, ich glaube, – weil ich sie ein bißchen geprügelt habe – sie schämen sich.« Die andern Knechte lachten. »Nun, es kann ihnen nicht schaden,« meinte Witichis, »geht jetzt zu eurem Essen. Morgen seh' ich nach eurer Arbeit.« Die Knechte gingen. »Was ist's mit Calpurnius,« fragte Witichis, sich einschenkend. Rauthgundis errötete und besann sich: »Das Heu von der Bergwiese,« sagte sie dann, »das unsre Knechte gemäht, hat er nachts in seine Scheuer geschafft und gibt es nicht heraus.« – »Er wird es schon herausgeben, mein' ich ....« sagte er ruhig, trinkend. – »Jawohl,« rief Athalwin lebhaft, »das mein' ich auch. Und gibt er's nicht – mir noch lieber! Dann sagen wir Fehde an und ich zieh' hinüber mit Wachis und den reisigen Knechten, mit Waffen und Wehr. Er sieht mich immer so giftig an, der schwarze Schleicher.«
Rauthgundis wies ihn zur Ruh' und schickte ihn schlafen. »Wohl, ich gehe,« sagte er, »aber, Vater, wenn du wiederkömmst, bringst du mir statt dieses Steckens da ein richtig Gewaffen mit, nicht wahr?« Und er hüpfte ins Haus.
»Der Streit mit diesen Welschen endet nie,« sagte Witichis, »er vererbt sich auf die Kinder. Du hast hier allzuviel Verdruß damit. Desto lieber wirst du tun, was ich dir vorschlage: komm mit nach Ravenna an den Hof.«
Hoch erstaunt blickte ihn das Weib an: »Du scherzest!« sagte sie ungläubig. »Du hast das nie gewollt. In den neun Jahren, die ich dein bin, ist dir's nie eingefallen, mich an den Hof zu führen: ich glaube, es weiß niemand in dem Volk, daß eine [] Rauthgundis lebt. Du hast ja unsere Ehe geheim gehalten«, lächelte sie, »wie eine Schuld.« – »Wie einen Schatz,« sagte Witichis, die Arme um sie schlingend. – »Ich habe dich nie gefragt, warum. Ich war und bin glücklich dabei und dachte und denke: er wird wohl seinen Grund haben.«
»Ich hatte meinen guten Grund: er besteht nicht mehr. Du magst nun alles wissen. Wenige Monate, nachdem ich dich gefunden in deiner Felseneinsamkeit und lieb gewonnen, kam König Theoderich auf den seltsamen Gedanken, mich seiner Schwester Amalaberga, der Witwe des Thüringerkönigs, zu vermählen, die gegen ihre schlimmen Nachbarn, die Franken, Mannesschutz bedurfte.« – »Du solltest dort die Krone tragen?« sprach Rauthgundis mit strahlenden Augen. – »Mir aber,« fuhr Witichis fort, »war Rauthgundis lieber als Königin und Krone, und ich sagte nein.
Es verdroß ihn schwer, und er verzieh mir nur, als ich ihm sagte, ich würde wohl niemals freien. Konnt' ich doch damals nicht hoffen, dich je mein zu nennen: du weißt, wie lange dein Vater mißtrauisch und eisern dich mir nicht anvertrauen wollte. Als du nun aber doch mein geworden, da hielt ich's nicht für wohlgetan, ihm das Weib zu zeigen, um das ich seine Schwester ausgeschlagen.«
»Aber warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang?«
»Weil,« sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, »weil ich meine Rauthgundis kenne. Du hättest immer geglaubt, Wunder was ich an jener Krone verloren. Jetzt aber ist der König tot und ich bin dauernd an den Hof gebunden. Wer weiß, wann ich wieder ruhen werde im Schatten dieser Säulen, im Frieden dieses Daches.«
Und in kurzen Worten erzählte er ihr den Sturz des Präfekten, und welche Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam hörte ihn Rauthgundis an; dann [] drückte sie ihm die Hand: »Das ist wacker, Witichis, daß die Goten allmählich merken, was sie an dir haben. Und du bist heiterer, denk' ich, als sonst.«
»Ja, mir ist wohler, seit ich mit tragen darf an der Last der Zeit. Dabei stehen und sie wuchtig drücken sehen auf mein Volk, war viel schwerer. Mich dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangene.«
»Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Männer. Mir fiele das nie ein.«
»Du bist keine Königin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz.«
»Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muß nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine Art begriffen. Sie könnte sonst nicht die Männer ersetzen wollen.«
»Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof.«
»Nein, Witichis,« sagte sie ruhig, aufstehend, »der Hof paßt nicht für mich. Und ich nicht für den Hof. Ich bin des Ödbauern Kind und gar unhöfisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken,« lachte sie, »und diese rauhen Hände. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht taugt' ich zu den feinen Römerinnen und wenig Ehre würdest du haben von mir.«
»Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten für den Hof?« – »Nein, Witichis, zu gut.« – »Nun, man müßte sich gegenseitig ertragen, würdigen lernen.« – »Das würd' ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir, ich niemals sie. Ich würd' ihnen täglich ins Gesicht sagen, daß sie hohl, falsch und schlecht sind.«
»So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondelang?« – »Ja, lieber ihn entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein Witichis,« sagte sie, innig den Arm um seinen Nacken legend, »denk nur, wer ich bin und wie du mich gefunden.
[] Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolkes den Saum der Alpen umgürten, hoch auf den Felsschroffen der Skaranzia, wo die junge Isara schäumend aus den Steinklüften ins offne Land der Bajuvaren bricht, da steht meines Vaters stiller Ödhof. Nichts kannt' ich da als die strenge Arbeit des Sommers auf den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwärzten Halle am Rocken mit den Mägden. Früh starb die Mutter und den Bruder haben die Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater, der so treu, aber auch so hart und verschlossen wie seine Felsen. Da sah ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur hoch von oben sah ich manchmal neugierig, wie ein Saumroß mit Salz oder Wein unten in der Talschlucht des Weges zog. Da saß ich wohl manchen schimmervollen Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drüben überm Licus: und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie aufstieg drüben überm breiten Önus. Und daß ich wohl auch wissen möchte, wie's aussieht über dem Karwändel. Oder gar drüben, hinter dem Brennusberg, wo der Bruder hinüberzog und nie mehr wiederkam. Und doch fühlte ich, wie schön es sei droben in meiner grünen Einsamkeit, wo ich den Steinadler pfeifen hörte aus dem nahen Horst und wo ich prächtige Blumen brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebene und auch wohl einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stalltür heulen hörte und mit dem Kienbrand scheuchte.
Und auch in dem frühen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Muße, still in mich hineinzusinnen: wann um die hohen Tannen die weißen Nebelschleier spannen, wann der Bergwind die Felsblöcke von unserem Strohdach riß und die Schneestürze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich auf, fremd in der Welt jenseit der nächsten Wälder, [] nur zu Hause in der stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben.
Da kamest du – ich weiß es noch wie heute« – und sie hielt an, in Erinnerung verloren.
»Ich weiß es auch noch genau,« sagte Witichis. »Ich führte eine Hundertschaft zur Ablösung von Juvavia nach der Augustastadt am Licus – ich war vom Weg und meinen Leuten abgekommen: lang war ich den schwülen Sommertag pfadlos umhergeirrt – da sah ich Rauch aufsteigen überm Tannenhang und bald fand ich das versteckte Gehöft und trat ins Tor: da stand ein prächtig Mädchen am Ziehbrunnen und hob den Eimer.« –
»Und ich erschrak siedheiß – zum erstenmal in meinem Leben! – als der große, bräunliche Mann um die Hausecke bog mit dem krausen Bart und dem funkelnden Helm.«
»Ja, du wurdest blutrot bis in die Schläfe, und ich bat dich um einen Trunk Wasser. Und niemals hat mein Auge ein schöner Bild gesehen als wie du dich nun niederbeugtest und mit den kräftigen Armen den schweren Eimer auf den Brunnenrand hobst und mir schöpftest in dem Kürbiskrug: reich fielen die dichten goldbraunen Zöpfe übers schwarze Mieder bis in die Knie und deine Wangen waren pfirsichgleich: o wie wacker, frisch und blühend sahst du aus. Und wie wacker, frisch und blühend bist du mir geblieben seither alle Zeit.«
»Und darum, mein Witichis, auf daß ich dir blühend bleibe, führe mich nicht an den Hof. Sieh hier schon im Tal, im Südtal der Alpen, wird mir's oft zu schwül und ich sehne mich nach einem Atemzug aus der Tannenluft meiner Waldberge. Am Hofe aber in den engen Goldgemächern – da würd' ich dir verkümmern und verschmachten. Laß du mich hier – ich will schon fertig werden mit Nachbar Calpurnius. Und du, das weiß ich ja, du denkst doch auch im Königssaal nach Haus an Weib und Kind.«
[] »Ja, weiß Gott, mit sehnenden Gedanken. So bleibe denn hier und Gott behüte dich, mein gutes Weib.« –
Am zweiten Morgen darauf ritt Witichis wieder zurück, die Waldhöhe hinan. Der Abschied hatte ihn fast weich gemacht: mit Kraft hatte er den Ausdruck des Gefühls gehemmt, das er sich, schlicht und streng von Art, zu zeigen scheute. Wie hing des Wackern Herz an diesem kern'gen Weib und seinem Knaben!
Hinter ihm drein trabte Wachis, der sich's durchaus nicht hatte nehmen lassen, dem Herrn noch eine Strecke das Geleit zu geben. Plötzlich ritt er zu ihm hinan. »Herr,« sagte er, »ich weiß was.« – »So? warum sagst du's nicht?« – »Weil mich noch niemand darum gefragt hat.« – »Nun, ich frage dich drum.« – »Ja, wenn man gefragt ist, muß man freilich reden. – Die Frau hat dir gesagt, daß Calpurnius so ein böser Nachbar ist?« – »Ja. Und was soll's damit?« – »Sie hat dir aber nicht gesagt, seit wann?«
»Nein. Weißt du seit wann?« – »Nun, seit etwa einem halben Jahr. Da traf Calpurnius einmal die Frau im Wald allein, wie sie beide glaubten. Aber sie waren nicht allein. Es lag einer im Graben und hielt seinen Mittagsschlaf.«
»Der Faulpelz warst du.«
»Richtig erraten. Und da sagte Calpurnius etwas zur Frau.«
»Was sagte er?«
»Das hab' ich nicht verstanden. Aber die Frau war nicht faul, hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, daß es patschte. Das hab' ich verstanden. Und seither ist der Nachbar ein schlimmer Nachbar und das wollt' ich dir sagen, weil ich mir schon dachte, die Frau werde dich nicht ärgern wollen mit dem Wicht.
Aber es ist doch besser, du weißt darum. Und sieh, da steht Calpurnius gerade unter seiner Hoftür – siehst du dort – und jetzt fahr' wohl, lieber Herr.«
[] Und damit wandte er sein Pferd und jagte im Galopp nach Hause.
Witichis aber stieg das Blut zu Kopf. Er ritt an die Tür seines Nachbars, dieser wollte sich ins Haus drücken, aber Witichis rief ihn in einem Ton, daß er bleiben mußte.
»Was willst du mir, Nachbar Witichis,« sagte er, blinzelnd zu ihm aufsehend.
Witichis zog den Zügel an und schob sein Roß dicht neben jenen. Dann streckte er ihm die geballte erzgepanzerte Faust hart vor die Augen: »Nachbar Calpurnius,« sagte er ruhig, »wenn ich dir einmal ins Gesicht schlage, stehst du nie wieder auf.«
Calpurnius fuhr erschrocken zurück.
Witichis aber gab seinem Rosse den Sporn und ritt stolz und langsam seines Weges.
Sechstes Kapitel.
Zu Rom in seinem Arbeitszimmer lag, auf den weichen Kissen des Lectus behaglich ausgestreckt, Cethegus der Präfekt.
Er war guter Dinge.
Die Untersuchung gegen ihn hatte mit Freisprechung geendet: nur im Fall augenblicklicher Durchforschung seines Hauses, wie sie der junge König angeordnet, aber sein Tod vereitelt hatte, wäre Entdeckung zu befürchten gewesen. Er hatte durchgesetzt, daß die Befestigung von Rom fortgeführt wurde, mit Zuschüssen aus seinen eignen Geldern, was seinen Einfluß in der Stadt noch hob. In der letzten Nacht hatte er Versammlung gehalten in den Katakomben: alle Berichte lauteten günstig. Die Patrioten wuchsen an Zahl und Reichtum.
Der härtere Druck, der seit den letzten Vorgängen zu Ravenna auf den Italiern lastete, konnte die Zahl der Unzufriednen [] nur vermehren und, was die Hauptsache war, Cethegus hielt jetzt alle Fäden der Verschwörung in seiner Hand. Unbedingt erkannten selbst die eifersüchtigsten Republikaner die Notwendigkeit an, bis zum Tag der Freiheit dem Begabtesten die Führung zu überlassen. –
So vorgeschritten war die Stimmung gegen die Barbaren – bei allen Italiern, daß Cethegus den Gedanken fassen konnte, – sobald Rom vollends befestigt, ohne Hilfe der Byzantiner loszuschlagen. Denn, wiederholte er sich immer wieder, alle Befreier sind leicht gerufen und schwer abgedankt. Und mit Liebe pflegte er den Gedanken, Italien allein zu befreien.
So lag der Präfekt, legte Cäsars Bürgerkrieg, in dem er geblättert, zur Seite, stützte das Haupt auf den linken Arm und sagte zu sich selbst: »Die Götter müssen noch Großes mit dir vorhaben, Cethegus. So oft du stürzest, fällst du, heil wie eine Katze, auf die sichern Füße. Ah, wenn es uns wohl geht, möchten wir uns mitteilen. Aber Vertrauen ist ein zu gefährliches Vergnügen und das Schweigen ist der einzig treue Gott. Und doch bleibt man ein Mensch und möchte ...« –
Da trat ein Sklave ein, der alte Ostiarius Fidus, überreichte schweigend einen Brief auf flacher goldner Schale und ging. »Der Bote wartet,« sagte er.
Gleichgültig nahm Cethegus das Schreiben.
Aber sowie er auf dem Wachs, das die Schnüre der Tafeln zusammenhielt, das Siegel – die Dioskuren – erkannte, rief er lebhaft: »Von Julius! zu guter Stunde!« löste eilig die Fäden, legte die Tafeln auseinander und las – das kalte bleiche Antlitz überflogen von einem sonst völlig fremden Hauch freudiger Wärme.
»Cethegus dem Präfekten sein Julius Montanus.
Wie lange ist's, mein väterlicher Lehrer« (– »beim Jupiter, das klingt frostig« –), »daß ich Dir nicht den schuldigen Gruß [] gesendet. Das letztemal schrieb ich Dir an den grünen Ufern des Ilissos, wo ich in dem verödeten Hain des Akademos die Spuren Platons suchte – und nicht fand. Ich weiß wohl, mein Brief war nicht heiter. Die traurigen Philosophen dort, in vereinsamten Schulen wandelnd, zwischen dem Druck des Kaisers, dem Argwohn der Priester und der Kälte der Menge, sie konnten nichts in mir erwecken als Mitleid. Meine Seele war dunkel, ich wußte nicht weshalb.
Ich schalt meinen Undank gegen Dich – den großmütigsten aller Wohltäter – –« (»so unerträgliche Namen hat er mir nie gegeben,« schaltete Cethegus ein).
»Seit zwei Jahren reise ich, mit Deinen Reichtümern wie ein König der Syrer ausgestattet, von Deinen Freigelassenen und Sklaven begleitet, durch ganz Asien und Hellas, genieße alle Schönheit und Weisheit der Alten – und mein Herz bleibt unbefriedigt, mein Leben unausgefüllt. Nicht Platons schwärmerische Weisheit, nicht das Goldelfenbein des Pheidias, Homeros nicht und nicht Thukydides boten, was mir fehlte.
Endlich, endlich hier in Neapolis, der blühenden göttergesegneten Stadt hab' ich gefunden, was ich unbewußt überall vermißt und immer gesucht.
Nicht tote Weisheit: warmes, lebendiges Glück« (– »er hat eine Geliebte! nun endlich, du spröder Hippolyt, Dank euch, Eros und Anteros! –«), »o, mein Lehrer, mein Vater! weißt Du, welch ein Glück es ist, ein Herz, das Dich ganz versteht, zum erstenmal Dein eigen nennen?« (– »ah, Julius,« seufzte der Präfekt mit einem seltnen Ausdruck weicher Empfindung, »ob ich es wußte! –«) »Dem Du die ganze volle Seele offen zeigen magst? O, wenn Du's je erfahren, preise mich, opfre Zeus dem Erfüller endlich: zum erstenmal hab' ich einen Freund.«
»Was ist das?« rief Cethegus unwillig aufspringend mit einem Blick eifersüchtigen Schmerzes, »der Undankbare!«
[] »Denn, das fühlst Du wohl, ein Freund, ein Herzensvertrauter fehlte mir bis jetzt. Du, mein väterlicher Lehrer« –
Cethegus warf die Tafeln auf den Schildpattisch und machte einen hast'gen Gang durchs Zimmer. »Torheit!« sagte er dann ruhig, nahm den Brief auf und las weiter –
»Du, so viel älter, weiser, besser, größer als ich – Du hast mir eine solche Wucht von Dank und Verehrung auf die junge Seele geladen, daß sie sich Dir nie ohne Scheu öffnen konnte. Auch hörte ich oft mit Zagen, wie Du solche Weisheit und Wärme mit ätzendem Witze verhöhntest: ein scharfer Zug um Deinen stolzen festgeschlossenen Mund hat solche Gefühle in mir in Deiner Nähe stets getötet wie Nachtfrost die ersten Veilchen« (– »nun, aufrichtig ist er!« –). »Jetzt aber hab' ich einen Freund gefunden: offen, warm, jung, begeistert wie ich und nie gekannte Wonne ist mein Teil. Wir haben nur Eine Seele in zwei Körpern: die sonnigen Tage, die mondsilbernen Nächte wandeln wir miteinander durch diese elyseischen Gefilde und finden kein Ende der geflügelten Worte. – Aber ich muß ein Ende finden dieses Briefes. Er ist ein Gote« (– »auch noch,« sagte Cethegus ungehalten) »und heißt Totila.« –
Cethegus ließ die Hand mit dem Brief einen Augenblick sinken, er sagte nichts, nur die Augen schloß er einen Moment, dann las er ruhig nochmal:
»Und heißt Totila!«
»Als ich am Tage nach meiner Ankunft in Neapolis durch das Forum des Neptunus schlenderte und an der Bogenwölbung eines Hauses die Statuen bewunderte, die ein Bildhauer dort zum Kaufe ausgestellt, stürzt urplötzlich aus der Tür auf mich los ein grauköpfiger Mann mit einer wollnen Schürze, über und über mit Gips bestäubt, in der Hand ein spitzes Gerät: er packte mich an der Schulter und schrie: ›Pollux, mein Pollux, hab' ich dich endlich!‹
[] Ich dachte der Alte sei verrückt und sagte: ›Du irrst, guter Mann: ich heiße Julius und komme von Athen.‹
›Nein,‹ schrie der Alte, ›Pollux heißt du und kommst vom Olymp.‹ Und eh' ich wußte, wie mir geschah, hatte er mich zur Tür hineingedreht. Da erkannte ich denn allmählich, waran ich mit dem Alten war: er war der Bildhauer, der die Statuen ausgestellt.
In seiner Werkhalle standen andre halbvollendete umher und er erklärte mir, seit Jahren trage er sich mit der Idee einer Dioskurengruppe. Für den Kastor habe er vor kurzem ein köstlich Modell in einem jungen Goten gefunden. ›Aber umsonst erflehte ich‹ – fuhr er fort – ›all diese Tage vom Himmel einen Gedanken für meinen Pollux. Er soll dem Kastor gleichen, ein Bruder Helenas, ein Sohn des Zeus wie er, volle Ähnlichkeit in Zügen und Gestalt muß da sein. Und doch muß die Verschiedenheit so deutlich sein wie die Gleichheit: sie müssen zusammengehören und doch jeder ganz eigenartig sein. Umsonst lief ich alle Bäder und Gymnasien Neapolis' ab: ich fand den Ledazwilling nicht. Da hat dich ein Gott, Zeus selber hat dich mir ans eigne Fenster geführt: wie ein Blitz schlug's in mich ein, da steht mein Pollux, wie er sein muß: und nicht lebendig laß ich dich aus dieser Halle, bis du mir deinen Kopf und deinen Leib versprochen.‹
Gern sagte ich dem närrischen Alten zu, andern Tages wiederzukommen. Und das erfüllt ich um so lieber als ich erfuhr, daß mein gewalttätiger Freund Xenarchos sei, der größte Bildner in Marmor und Erz, den Italien seit lange gesehn. Am andern Tag kam ich denn wieder und fand meinen Kastor – es war Totila: – und ich kann nicht leugnen, daß mich die große Ähnlichkeit selbst überraschte, wenn auch Totila älter, höher, kräftiger und unvergleichlich schöner ist als ich. Xenarchos sagt, wir seien wie Hellcitrus und Goldcitrus. Denn Totila ist heller an Haar und Haut: und geradeso, [] schwört der Meister, haben sich die beiden Dioskuren geglichen und nicht geglichen. So lernten wir uns denn unter den Götterbildern Xenarchs kennen und lieben. wir wurden in Wahrheit Kastor und Pollux, innig und unzertrennlich wie sie, und schon ruft uns das heitre Volk von Neapolis bei diesem Namen, wann wir, Arm in Arm geschlungen durch die Straßen gehn.
Unsre junge Freundschaft ward aber noch besonders rasch gereift durch eine drohende Gefahr, die sie leicht in der Blüte geknickt hätte.
Wir waren eines Abends, wie wir pflegten, zur Porta Nolana hinausgewandelt, in den Bädern des Tiberius Kühlung von des Tages Hitze zu suchen. Nach dem Bade hatte ich in einer Laune spielender Zärtlichkeit Du wirst sie schelten – des Freundes weißen Gotenmantel umgeschlagen und seinen Helm mit den Schwanenflügeln aufs Haupt gesetzt. Lächelnd ging er, meine Chlamys umwerfend, aufs den Tausch ein und friedlich plaudernd schritten wir durch den Pinienhain im ersten Dunkel der Nacht nach der Stadt zurück.
Da springt aus dem Taxusgebüsch hinter mir ein Mann auf mich her und ich fühle kaltes Eisen an meinem Halse.
Aber im nächsten Augenblick lag der Mörder zu meinen Füßen, Totilas Schwert in der Brust. Nur leicht verwundet beugte ich mich zu dem Sterbenden nieder und fragte ihn, welcher Grund ihn habe zum Haß, zum Morde gegen mich treiben können.
Er aber starrte mir ins Antlitz und hauchte: ›Nicht dich – Totila, den Goten‹ – und er zuckte und war tot. Man sah's an Tracht und Waffen – es war ein isaurischer Söldner.«
Cethegus senkte den Brief und drückte die linke Hand vor die Stirn. »Wahnsinn des Zufalls,« sagte er, »wohin konntest du führen!«
Und er las zu Ende.
[] »Totila sagte, er habe der Feinde viele am Hofe zu Ravenna. Wir zeigten den Vorfall Uliaris, dem Gotengrafen zu Neapolis, an. Dieser ließ die Leiche durchsuchen und Nachforschungen anstellen – ohne Erfolg. Uns beiden aber hat diese ernste Stunde die junge Freundschaft befestigt und mit Blut geweiht für alle Zeit. Ernster und heiliger hat sie uns verbunden. Das Siegel der Dioskuren, das Du mir zum Abschied geschenkt, war ein freundlich Omen, das sich freundlich erfüllt hat. Und wenn ich mich frage, wem dank' ich all dies Glück? Dir, Dir allein, der mich in diese Stadt Neapolis gesendet, in der ich all mein Glück gefunden. So mögen Dir es alle Götter und Göttinnen vergelten! Ach ich sehe, dieser ganze Brief redet nur von mir und dieser Freundschaft – schreibe doch bald wie es um Dich steht. Vale.«
Ein bitteres Lächeln zuckte um des Präfekten ausdrucksvollen Mund.
Und wieder durchmaß er das Gemach in nur mit Mühe gehaltenen Schritten. Endlich blieb er stehen, das Kinn in die linke Hand stützend. – »Wie kann ich nur so – jugendlich sein, mich zu ärgern. Es ist alles sehr natürlich, wenn auch sehr einfältig. Du bist krank, Julius. Warte: ich will dir ein Rezept schreiben.« Und mit einem Anflug von grausamer Freude im Ausdruck, setzte er sich auf den Schreiblectus, nahm eine Papyrusrolle aus der Bronzevase, ergriff die gnidische Schilffeder und schrieb mit der roten Tinte aus einem Löwenkopf von Achat, der an dem Lectus angeschraubt war:
»An Julius Montanus Cethegus, der Präfekt
von Rom.
Deine rührende Epistel aus Neapolis hat mir viel Spaß gemacht. Sie zeigt, daß Du in der letzten Kinderkrankheit steckst. Hast Du sie abgetan, wirst Du ein Mann sein.
Die Krisis zu beschleunigen, verschreibe ich Dir das beste Mittel. Du suchst sogleich den Purpurhändler Valerius [] Procillus, meinen ältesten Gastfreund in Neapolis auf Er ist der reichste Kaufherr des Abendlandes, ein grimmiger Feind der Kaiser von Byzanz, die ihm Vater und Brüder getötet, ein Republikaner wie Cato und schon deshalb mein vertrauter Freund. Seine Tochter Valeria Procilla aber ist die schönste Römerin unsrer Zeit und eine echte Tochter der alten, der heidnischen Welt. Antigone oder Virginia würden sich der Freundin freuen. Sie ist nur drei Jahre jünger und folglich zehnmal reifer als Du. Gleichwohl wird sie Dir der Vater nicht versagen, erklärst Du ihm, daß Cethegus für Dich wirbt. Du aber wirst Dich beim ersten Anblick sterblich in sie verlieben.
Du wirst das: obgleich ich es Dir vorhersage, und obgleich Du weißt, daß ich es wünsche. In ihren Armen wirst Du alle Freunde der Welt vergessen: geht die Sonne auf, erbleicht der Mond. Übrigens, weißt Du, daß Dein Kastor einer der gefährlichsten Römerfeinde ist? Und ich habe einmal einen gewissen Julius gekannt, der geschworen: Rom über alles.
Vale.«
Cethegus rollte den Papyrus zusammen, umschnürte ihn mit den Bändern von rotem Bast, befestigte diese an der Schleife mit Wachs und drückte seinen Amethystring mit dem herrlichen Jupiterkopf auf dasselbe. Dann berührte er einen aus dem Marmorgetäfel hervorschauenden silbernen Adler: draußen an der Wand des Vestibulums schlug ein eherner Donnerkeil auf den Silberschild eines niedergeworfenen Titanen mit glockenhellem Ton.
Der Sklave trat wieder ein.
»Laß den Boten in meinen Thermen baden, gib ihm Speise und Wein, einen Goldsolidus und diesen Brief. Morgen mit Sonnenaufgang geht er damit zurück nach Neapolis.« – –
[] Siebentes Kapitel.
Mehrere Wochen darauf finden wir den ernsten Präfekten in einem Kreise, der sehr wenig zu seinem hohen Trachten, ja zu seinem Alter zu passen schien.
In dem seltsamen Nebeneinander von Heidentum und Christentum, das in den ersten Jahrhunderten nach der Konstantiner Bekehrung das Leben und die Sitten der Römerwelt mit grellen Widersprüchen erfüllte, spielte besonders die friedliche Mischung von Festen der alten und der neuen Religion eine auffallende Rolle. Neben den großen Feiertagen des christlichen Kirchenjahres bestanden auch noch größtenteils die fröhlichen Feste der alten Götter fort, wenn auch meist ihrer ursprünglichen Bedeutung, ihres religiösen Kernes beraubt.
Das Volk ließ sich etwa den Glauben an Jupiter und Juno nehmen und die Kultushandlungen und die Opfer, aber nicht die Spiele, die Feste, die Tänze und Schmäuse, die mit jenen Handlungen verbunden waren; und die Kirche war von jeher klug genug, zu dulden, was sie nicht ändern konnte.
So wurden ja sogar die echt heidnischen Lupercalien, mit welchen sich derber Aberglaube und wüster Unfug aller Art verband, erst im Jahre vierhundertsechsundneunzig – und nur mit Mühe – abgeschafft.
Viel länger natürlich behaupteten sich harmlose Feste wie die Floralien, die Palilien und zum Teil haben sich ja manche von ihnen in den Städten und Dörfern Italiens mit veränderter Bedeutung bis auf diese Stunde erhalten. So waren denn die Tage der Floralien gekommen, die, früher auf der ganzen Halbinsel, als ein Fest besonders der fröhlichen Jugend, mit lauten Spielen und Tänzen gefeiert, auch in jenen Tagen noch wenigstens mit Schmaus und Gelage begangen wurden.
Und so hatten sich denn die beiden Lizinier und ihr Kreis von jungen Rittern und Patriziern an dem Hauptfesttag der [] Floralien zu einem Symposion zusammenbestellt, für welches jeder der Gäste, wie bei unsern »Picknicks«, seinen Beitrag in Speisen oder Wein zu liefern hatte. Die Fröhlichen versammelten sich bei dem jungen Kallistratos, einem liebenswürdigen und reichen Griechen aus Korinth, der sich im Genuß künstlerischer Muße zu Rom niedergelassen und nahe bei den Gärten des Sallust ein geschmackvolles Haus gebaut hatte, das als der Mittelpunkt heitern Lebensgenusses und feiner Bildung. galt. Außer dem reichen Adel Roms verkehrten dort vornehmlich die Künstler und Gelehrten, und dann auch jene Schichten der römischer Jugend, denen über ihren Rossen und Wagen und Hunden wenige Zeit und Gedanken für den Staat übrigblieb und die daher bis jetzt dem Einfluß des Präfekten unzugänglich gewesen waren.
Deshalb war es diesem sehr erwünscht, als ihm der junge Lucius Licinius, jetzt sein glühendster Anhänger, die Einladung des Korinthers überbrachte. »Ich weiß wohl,« sagte er schüchtern, »wir können deinem Geist nicht ebenbürtige Unterhaltung bieten und wenn dich nicht die alten Kyprier und Falerner locken, die Kallistratos spenden wird, lehnst du ab.«
»Nein, mein Sohn, ich komme,« sagte Cethegus, »und mich locken nicht die alten Kyprier, sondern die jungen Römer.« –
Kallistratos, der sein Hellenentum mit Stolz zur Schau trug, hatte sein Haus mitten in Rom in griechischem Stil gebaut. Und zwar nicht in dem des damaligen, sondern des freien, des perikleischen Griechenlands und dies machte im Gegensatz zu der geschmacklosen Überladung jener Tage den Eindruck edler Einfachheit. Durch einen schmalen Gang gelangte man in das Peristil, den offenen, von Säulengängen umschlossenen Hof, dessen Mittelpunkt ein plätschernder Springbrunnen in braunem Marmorbecken bildete. Die nach Norden offne Säulenhalle enthielt außer andern Gelassen auch den Speisesaal, [] der heute die kleine Gesellschaft versammelt hielt. Cethegus hatte sich vorbehalten, nicht schon zu der »Cöna«, dem eigentlichen Schmause, sondern erst zu der »Commissatio«, dem darauffolgenden nächtlichen Trinkgelag, zu kommen. Und so fand er denn die Freunde in der vornehmen Trinkstube, wo längst schon die zierlichen Bronzelampen an den schildpattgetäfelten Wänden brannten und die Gäste, mit Rosen und Eppich bekränzt, auf den Polstern des hufeisenförmigen Trikliniums lagerten. Eine betäubende Mischung von Weinduft und Blumenduft, von Fackelglanz und Farbenglanz drang ihm an der Schwelle entgegen.
»Salve, Cethege!« rief der Wirt dem Eintretenden entgegen. »Du findest nur kleine Gesellschaft.«
Cethegus befahl dem Sklaven, der ihm folgte, einem herrlich gewachsenen jungen Mauren, dessen schlanke Glieder durch den Scharlachflor seiner leichten Tunika mehr gezeigt als verhüllt wurden, ihm die Sandalen abzubinden. Er zählte indessen: »Nicht unter den Grazien,« lächelte er, »nicht über die Musen.«
»Geschwind, wähle den Kranz,« mahnte Kallistratos, »und nimm deinen Platz da oben auf dem Ehrensitz der mittleren Kline. Wir haben dich im voraus zum Symposiarchen, zum Festkönig gewählt.«
Der Präfekt hatte sich vorgesetzt, diese jungen Leute zu bezaubern. Er wußte, wie gut er das konnte: und er wollte es heute. Er wählte einen Rosenkranz und ergriff das elfenbeinerne Zepter, das ihm ein syrischer Sklave knieend reichte. Das Rosendiadem zurechtrückend schwang er mit Würde den Stab: »So mach' ich eurer Freiheit ein Ende!«
»Ein geborner Herrscher,« rief Kallistratos, halb im Scherz, halb im Ernst. – »Aber ich will ein sanfter Tyrann sein! mein erst Gesetz: ein Drittel Wasser – zwei Drittel Wein.« – »Oho,« rief Lucius Licinius und trank ihm zu, »bene te! [] Du führst üppig Regiment. Gleiche Mischung ist sonst unser Höchstes.«
»Ja, Freund,« lächelte Cethegus, sich auf dem Ecksitz der mittleren Kline, dem »Konsulsplatz«, niederlassend, »ich habe meine Trinkstudien unter den Ägyptern gemacht, die trinken nur lautern. He, Mundschenk – wie heißt er?«
»Ganymedes – er ist aus Phrygien. Hübscher Wuchs, eh?« – »Also, Ganymed, gehorche deinem Jupiter und stelle neben jeden eine Patera Mamertiner Wein – doch neben Balbus zwei, weil er sein Landsmann ist.« Die jungen Leute lachten.
Balbus war ein reicher Gutsbesitzer auf Sizilien, noch sehr jung und schon sehr dick.
»Pah,« lachte der Trinker, »Efeu ums Haupt und Amethyst am Finger – so trotz ich den Mächten des Bacchus.« – »Nun, wo steht ihr im Wein?« fragte Cethegus, dem jetzt hinter ihm stehenden Mauren winkend, der ihm einen zweiten Kranz von Rosen, diesmal um den Nacken, schlang.
»Settiner Most mit hymettischem Honig war das letzte. Da, versuch!« so sprach Piso, der schelmische Poet, dessen Epigramme und Anakreontika die Buchhändler nicht rasch genug konnten abschreiben lassen und dessen Finanzen sich doch stets in poetischer Unordnung befanden. Und er reichte dem Präfekten was wir einen »Vexierbecher« nennen würden, einen bronzenen Schlangenkopf, der, unvorsichtig an den Mund gebracht, einen Strahl Weines heftig in die Kehle schoß. Aber Cethegus kannte das Spiel, behutsam trank er und gab den Becher zurück. »Deine trocknen Witze sind mir lieber, Piso«, lachte er und haschte ihm aus der Brustfalte ein beschriebenes Täfelchen.
»O gib,« sagte Piso, »es sind keine Verse – sondern – ganz im Gegenteil! – eine Zusammenstellung meiner Schulden für Wein und Pferde.« –
»Je nun,« meinte Cethegus, »ich [] hab' sie an mich genommen – sie sind also mein. Du magst morgen die Quittung bei mir einlösen: aber nicht umsonst – mit einem deiner boshaftesten Epigramme auf meinen frommen Freund Silverius!« – »O Cethegus,« rief der Poet erfreut und geschmeichelt, »wie boshaft kann man sein für vierzigtausend Solidi! Wehe dem heiligen Mann Gottes.«
Achtes Kapitel.
»Und im Schmause – wie weit seid ihr damit?« fragte Cethegus, »schon bei den Äpfeln? sind es diese?«
Und er sah blinzelnd nach zwei Fruchtkörben von Palmenbast, die hoch aufgehäuft auf einem Bronzetisch mit elfenbeinernen Füßen prangten. »Ha Triumph!« lachte Marcus Licinius, des Lucius jüngerer Bruder, der sich mit der liebhaberischen Spielplastik der Mode abgab. »Da siehst du meine Kunst, Kallistratos! Der Präfekt nimmt meine Wachsäpfel, die ich dir gestern geschenkt, für echt.« »Ah wirklich?« rief Cethegus wie erstaunt, obwohl er den Wachsgeruch längst ungern vermerkt. »Ja, Kunst täuscht die Besten. Bei wem hast du gelernt? Ich möchte dergleichen in meinem kyzikenischen Saal aufstellen.«
»Ich bin Autodidakt,« sagte Marcus stolz, »und morgen schicke ich dir meine neuen persischen Äpfel: – denn du würdigst die Kunst.«
»Aber das Gelag ist doch zu Ende?« fragte der Präfekt, den linken Arm auf das Polster der Kline stützend.
»Nein,« rief der Wirt, »ich will es nur gestehn: da ich auf unsern Festkönig erst zur Trinkstunde rechnen durfte, hab' ich noch einen kleinen Nachschmaus zu den Bechern gerüstet.« – »O du Frevler,« rief Balbus, sich mit der zottigen Purpurgausape [] die fettglänzenden Lippen wischend, »und ich habe so schrecklich viel von deinen Feigenschnepfen gegessen!« – »Das ist wider die Verabredung!« rief Marcus Licinius. – »Das verdirbt meine Sitten!« sagte der fröhliche Piso ernsthaft. – »Sprich, ist das hellenische Einfachheit?« fragte Lucius Licinius. – »Ruhig, Freunde,« tröstete Cethegus mit einem Zitat: »Auch unverhofftes Unheil trägt ein Römer stark.«
»Der hellenische Wirt muß sich nach seinen Gästen richten,« entschuldigte Kallistratos, »ich fürchte, ihr kämt mir nicht wieder, böte ich euch marathonische Kost.« – »Nun, dann bekenne wenigstens, was noch droht,« rief Cethegus, »du Nomenklator, lies die Schüsseln ab: ich werde dann die Weine bestimmen, die dazu gehören.«
Der Sklave, ein schöner lydischer Knabe, in einem bis an die Knie aufgeschlitzten Röckchen von blauer pelusischer Leinwand, trat dicht neben Cethegus an den Tisch von Zypressenholz und las von einem Täfelchen ab, das er an goldnem Kettchen um den Hals trug: »Frische Austern aus Britannien in Thunfischbrühe mit Lattich.« – »Dazu Falerner von Fundi,« sprach Cethegus ohne Besinnen. »Aber wo steht der Schenktisch mit den Pokalen? Rechter Trunk mundet nur aus rechter Schale.«
»Dort ist der Schenktisch!« und auf einen Wink des Hausherrn fiel der Vorhang zurück, der die eine Ecke des Zimmers, den Gästen gegenüber, verhüllt hatte.
Ein Ruf des Staunens flog von den Tischen.
Der Reichtum der dort zur Schau gestellten Prunkgeschirre und der Geschmack ihrer Anordnung war selbst diesen verwöhnten Augen überraschend. Auf der Marmorplatte des Tisches stand ein geräumiger silberner Wagen mit goldnen Rädern und ehernem Gespann: es war ein Beutewagen, wie sie in römischen Triumphen aufgeführt zu werden pflegten: und als köstliche Beute lagen darin Pokale, Gläser, Schalen [] jeder Gestalt und jedes Stoffes in scheinbarer Unordnung, doch mit kunstverständiger Hand, gehäuft.
»Bei Mars dem Sieger,« lachte der Präfekt, »der erste römische Triumph seit zweihundert Jahren. Ein seltner Anblick! Darf ich ihn zerstören?« – »Du bist der Mann, ihn wieder aufzurichten,« sagte Lucius Licinius feurig. – »Meinst du? Versuchen wir's! – Also zum Falerner die Kelche dort von Terebinthenholz.«
»Weindrosseln vom Tagus mit Spargeln von Tarent!« fuhr der Lydier fort. »Dazu den roten Massiker von Sinuessa aus jenen amethystnen Kelchen.«
»Junge Schildkröten von Trapezunt mit Flamingozungen –«
»Halt an, beim heiligen Bacchus,« rief Balbus. »Das sind ja die Qualen des Tantalus. Mir ist ganz gleich, aus was ich trinke, aus Terebinthen oder Amethyst – aber dies Aufzählen von Götterbissen mit trocknem Gaumen halt' ich nicht mehr aus. Nieder mit Cethegus dem Tyrannen, er sterbe, wenn er uns hungern läßt.« – »Mir ist, ich wäre Imperator und hörte das getreue Volk von Rom. Ich rette mein Leben und gebe nach. Tragt auf, ihr Sklaven.« Da tönten Flöten aus dem Vorgemach und im Takte der Musik schritten sechs Sklaven, Efeu um die glänzend gesalbten Locken, in roten Mänteln und weißen Tuniken heran. Sie reichten den Gästen frische Handtücher von feinstem sidonischen Linnen mit weichen Purpurfransen.
»Oh,« rief Massurius, ein junger Kaufmann, der vornehmlich mit schönen Sklaven und Sklavinnen handelte und in dem zweideutigen Ruhme stand, der feinste Kenner solcher Ware zu sein, »das weichste Handtuch ist ein schönes Haar« – und er fuhr dem eben neben ihm knieenden Ganymed durch die Locken. »Aber, Kallistratos, jene Flöten sind hoffentlich weiblichen Geschlechts – auf mit dem Vorhang – laß die Mädchen ein.«
[] »Noch nicht,« befahl Cethegus. »Erst trinken, dann küssen. Ohne Bacchus und Ceres, du weißt –«
»Friert Venus, nicht Massurius.«
Da erscholl aus dem Seitengemach der Klang von Lyra und Kithara, und ein trat ein Zug von acht Jünglingen in goldgrün schillernden Seidengewändern, vorauf der »Anrichter« und der »Zerleger«: die sechs andern trugen Schüsseln auf dem Haupt: sie zogen im Taktschritt an den Gästen vorüber und machten vor dem Anrichttisch von Citrus Halt. Während sie hier beschäftigt waren, erklangen vom Mittelgrunde her Kastagnetten und Zymbeln, die großen Doppeltüren drehten sich um ihre erzschimmernden Säulenpfosten und ein Schwarm von Sklaven in der schönen Tracht korinthischer Epheben strömte herein. Die einen reichten Brot in zierlich durchbrochenen Bronzekörben: andre verscheuchten die Mücken mit breiten Fächern von Straußenfedern und Palmblättern: einige gossen Öl in die Wandlampen aus doppelhenkeligen Krügen mit anmutvollen Bewegung, indes etliche mit zierlichen Besen von ägyptischem Schilf von dem Mosaikboden die Brosamen fegten und die übrigen Ganymed die Becher füllen halfen, die jetzt schon eifrig kreisten.
Damit stieg denn die Raschheit, die Wärme des Gesprächs und Cethegus, der, wie überlegen nüchtern blieb, völlig im Moment versunken schien, bezauberte durch seine Jugendlichkeit die Jünglinge.
»Wie ist's,« fragte der Hausherr, »wollen wir würfeln zwischen den Schüsseln? Dort neben Piso steht der Würfelbecher.« – »Nun, Massurius,« meinte Cethegus mit einem spöttischen Blick auf den Sklavenhändler, »willst du wieder einmal dein Glück wider mich versuchen? Willst du wetten gegen mich? Gib ihm den Becher, Syphax!« winkte er dem Mauren.
»Merkur soll mich bewahren!« antwortete Massurius [] in komischem Schreck. »Laßt euch nicht ein mit dem Präfekten – er hat das Glück seines Ahnherrn Julius Cäsar geerbt.«
»Omen accipio!« lachte Cethegus, »das nehm' ich an, mitsamt dem Dolch des Brutus.«
»Ich sag' euch, er ist ein Zauberer! Erst jüngst hat er eine ungewinnbare Wette gegen mich gewonnen an diesem braunen Dämon –« Und er wollte dem Sklaven eine Feige ins Gesicht werfen: aber dieser fing sie behende mit den glänzend weißen Zähnen und verzehrte sie mit ruhigem Behagen.
»Gut, Syphax,« lobte Cethegus, »Rosen aus den Dornen der Feinde! Du kannst ein Gaukler werden, sobald ich dich freilasse.«
»Syphax will nicht frei sein, er will dein Syphax sein und dein Leben retten wie du seins.«
»Was ist das – dein Leben?« fragte Lucius Licinius mit erschrockenem Blick. – »Hast du ihn begnadigt?« sagte Marcus.
»Mehr, ich hab' ihn losgekauft.«
»Ja, mit meinem Gelde!« brummte Massurius.
»Du weißt, ich hab' ihm dein verwettet Geld sofort als Peculium geschenkt.«
»Was ist das mit der Wette? erzähle, vielleicht ein Stoff für meine Epigramme,« fragte Piso.
»Laßt den Mauren selbst erzählen – sprich, Syphax, du darfst.«
Neuntes Kapitel.
Ohne Zögern trat der junge Sklave in das von den Tischen gebildete Hufeisen, den Rücken zur Türe gewandt. sein funkelndes Auge überflog rasch die Versammlung und haftete dann mit Glut auf seinem Herrn: alle bewunderten die jugendliche Kraft und Schönheit der schlanken Glieder, deren tiefes Braun nur um die Hüften ein kostbarer Schurz von Scharlach verhüllte.
[] »Leicht ist erzählt, was schwere Schmerzen barg. Ich bin daheim im Lieblingsland der Sonne; wo hundert Palmen die immer grüne Oase beschatten, außer uns nur dem Löwen bekannt und dem fleckigen Panther. Aber in einer götterverlassenen Nacht, da fand der Feind unser altes Versteck. Vandalische Reiter waren's und keine Rettung. Rot und schwarz stieg der Rauch unsrer Zelte durch die Zedernwipfel hinan, kreischend flohen Weiber und Kinder. Da traf mich ein sausender Speer.
Ich erwachte gebunden im Sklavenraum eines Griechenschiffs, das uns gekauft, mich und viele Männer und Weiber meines Stammes: ich hatte nichts gerettet als meinen Gott, den weißen Schlangenkönig, ich trug ihn im Gürtel geborgen. Sie brachten uns nach Rom, da kaufte mich einer, dessen Namen verflucht sei.«
»'s ist unser Freund Calpurnius,« unterbrach Cethegus.
»Und kein Stern soll ihm leuchten auf nächtlicher Fahrt, er soll verdursten im heißen Sand,« knirschte der Maure mit aufloderndem Haß. »Er schlug mich oft um nichts und ließ mich hungern. Ich schwieg und betete zu meinem Gott um Rache. Er zürnte, daß ich so ruhig seine Wut ertrug.
Er wußte nicht, daß Syphax seinen Gott bei sich trug in Gestalt einer Schlange. Da trat er eines Morgens an mein Lager und fand sie um meinen Hals geringelt. Er erschrak: ich sagte ihm seine Zähne seien nicht tödlich, aber seine Rache. Da ergrimmte er, schlug nach mir und sagte: ›Töte den Wurm!‹ Umsonst flehte ich und wand mich auf den Knieen vor ihm. Er schlug mich und schlug nach dem Gott: und als ich den deckte mit meinem Leibe, schrie er noch wilder: ›Töte das Tier.‹ Wie konnt' ich gehorchen! Da rief er seine Sklaven und befahl: ›Nehmt ihm die Bestie und kocht sie lebendig. Er soll seinen Gott fressen!‹ Ich erschrak zum Tode über diesen Frevel. Und sie griffen mich und haschten nach der Schlange. Aber [] der Gott gab mir die Kraft der Wut, die da gleich ist der Kraft des pfeilwunden Tigers, und ich sprang unter sie mit gellendem Schrei.
Nieder schlug ich den Verfluchten mit dieser Faust und gewann die Türe des Hauses und sprang hinaus ins Freie und dreißig Sklaven hinter mir drein. Da galt es das Leben.«
Die Gäste lauschten gespannt, selbst Balbus setzte den Becher ab, den er eben zu Munde führte.
»Ich laufe nicht schlecht: oft haben wir, drei Vettern und ich, die windschnelle Antilope müde gejagt. Und die Sklaven waren langsam und schwer.
Aber sie kannten die Stadt und ihre Straßen und ich nicht. So war es ein ungleich Spiel. Die Verfolger teilten sich in Scharen von drei, vier Mann und gewannen mir durch Seitengassen und Durchgänge den Weg ab.
Zum Glück hatte ich im Vorbeirennen an einer Schmiede einen schweren Feuerhaken errafft: zwei, dreimal braucht' ich ihn, die Verfolger zu scheuchen, zu treffen, die mir plötzlich von vorn entgegenkamen. Ich fühlte aber, lange konnte das nicht mehr dauern: wie rasch ich war, wie langsam sie, zuletzt mußte ich doch erliegen.
Da sandte mir der Gott, den ich fest mit der Linken an die Brust drückte, ihn,« – und sein schönes Auge funkelte, – »meinen Herrn, den gewaltigen, der mächtig ist wie der Löwe von Abaritana und klug wie der Elefant, der da gut ist wie milder Regen nach langer Dürre und herrlich wie –«
»Jetzt erzählst du schlecht, Syphax, ich will vollenden. Ich kam gerade von den Schanzwerken am aurelischen Tor, dem Grabmal Hadrians.«
»Deinem schönen, göttergeschmückten Lieblingsort,« unterbrach Kallistratos.
»Und bog am Fuße des Kapitols in das Forum Trajans: da stand eine gaffende, schreiende Menge und sah der Menschenjagd [] neugierig zu: wie ein Pfeil schoß der Maure von dem Forum des Nerva heran, seine Verfolger weit hinter ihm. Aber siehe, dicht neben mir bogen von links fünf, von rechts sieben der Sklaven des Calpurnius auf das Forum ein, bereit, ihn aufzufangen, sowie er auf dem Platz ankam. ›Der ist verloren!‹ sagte neben mir eine bekannte Stimme, es war Massurius, der aus dem Bade des Augustus trat.
›Wem gehört er?‹ fragte ich. ›Calpurnius ist unser Herr‹, antwortete der Sklave neben mir. ›Dann wehe ihm,‹ sprach Massurius zu mir, ›er hängt seine Strafsklaven bis an den Hals gebunden in seinen Fischweiher und läßt sie lebendig auffressen von seinen Muränen und Hechten.‹ – ›Ja,‹ sagte der Sklave, ›Syphax hat ihn niedergeschlagen,‹ und der Herr rief im Aufstehen: ›zu den Muränen den Hund! wer ihn einbringt, ist frei.‹
Ich blickte den Platz hinab auf den Mauren, der jetzt gleich heran war. ›Der ist zu gut für die Fische,‹ sagte ich, ›welch' herrlicher Wuchs! Und sieh, er kömmt durch, ich wette.‹
Denn eben hatte der Flüchtling die erste Kette der Sklaven, die sich ihm an der Mündung der Via julia entgegenwarf, durchbrochen und flog jetzt auf uns zu.«
»Und ich wette tausend Solidi, er kömmt nicht durch: sieh' dort die Lanzen,« sprach Massurius. – »Gerade vor uns standen fünf Sklaven mit Lanzen und Wurfspeeren. ›Es gilt!‹ rief ich, ›tausend Solidi.‹
Da war er heran.
Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter ihnen weg und, plötzlich aufschnellend, sprang er in hohem Satz über die Lanzen der beiden übrigen. Atemlos kam er dicht vor mir zu Boden: er blutete von Steinen und Pfeilen und schon kam jetzt vom Forum julium heran das ganze Rudel. Verzweifelnd sah er um sich und wollte nach rechts in die Friedenstempel-Straße, die ihn gerade [] nach seines Herrn Hause zurückgeführt hätte. Da sah ich vor uns das Portal der kleinen Basilika von Sankt Laurentius offen stehen. ›Dort hin,‹ rief ich ihm zu.«
»In meiner Sprache! er kennt meine Sprache,« rief Syphax.
»Er kennt, glaub' ich, alle Sprachen,« meinte Marcus Licinius.
»Dorthin, wiederholte ich, dort ist Asyl. Wie der Blitz war er die Stufen hinan, schon auf der letzten, da traf ihn ein Stein, daß er stürzte und sein nächster Verfolger war oben und packte ihn. Aber glatt wie ein Aal rang er sich aus seinem Griff, stieß ihn die Stufen hinab und sprang in die Türe der Kirche.«
»Da hattest du gewonnen,« sagte Kallistratos.
»Ich wohl, aber er nicht. Denn die Priester von St. Laurentius, so eifersüchtig sie ihre Asylrechte wahren, so wenig haben sie Mitleid mit einem Heiden. Einen Tag lang bargen sie ihn: als sie aber erfuhren, daß er um der Schlange willen seinen Herrn niedergeschlagen, da stellten sie ihm die Wahl, Christ zu werden und den Götzen aufzugeben, oder Calpurnius und die Muränen.
Syphax wählte den Tod. Ich erfuhr es und kaufte dem Zornigen seine Rache ab und das Leben dieses schlanken Burschen, des schönsten Sklaven in Rom.«
»Kein schlechtes Geschäft,« meinte Marcus, »der Maure ist dir treu.«
»Ich glaube,« sagte Cethegus, »tritt zurück, Syphax. Da bringt der Koch sein Meisterstück, so scheint's.«
Zehntes Kapitel.
Es war eine sechspfündige Steinbutte, seit Jahren im Meerwasserweiher des Kallistratos mit Gänselebern gemästet. Der [] vielgepriesene »Rhombus« kam auf silberner Schüssel, ein goldenes Krönchen auf dem Kopf.
»Alle guten Götter und du, Prophete Jonas!« lallte Balbus zurücksinkend in die Polster, »der Fisch ist mehr wert als ich selber.« – »Still, Freund,« warnte Piso, »daß uns nicht Cato höre, der gesagt: wehe der Stadt, wo ein Fisch mehr wert als ein Rind.« Schallendes Gelächter und der laute Ruf: Euge belle! übertönte den Zornruf des Halbberauschten.
Der Fisch ward zerschnitten und köstlich erfunden.
»Jetzt, ihr Sklaven, fort mit dem matten Massiker. Der edle Fisch will schwimmen in edlem Naß. Auf, Syphax, jetzt paßt, was ich zu dem Gelage beigesteuert. Geh' und laß die Amphora hereinbringen, welche die Sklaven draußen in Schnee gestellt. Dazu die Phialen von gelbem Bernstein.«
»Was bringst du seltenes, aus welchem Land?« fragte Kallistratos. »Frag, aus welchem Weltteil? bei diesem vielgereisten Odysseus,« sagte Piso.
»Ihr müßt raten. Und wer es errät, wer diesen Wein schon gekostet hat, dem schenk' ich eine Amphora, so hoch wie diese.«
Zwei Sklaven, eppichbekränzt, schleppten den mächtigen, dunkeln Krug herein: von schwarzbraunem Porphyr und fremdartiger Gestalt, mit hieroglyphischen Zeichen geschmückt und wohlvergipst oben an der Mündung.
»Beim Styx! kömmt er aus dem Tartarus? das ist ein schwarzer Gesell,« lachte Marcus.
»Aber er hat eine weiße Seele – zeige sie, Syphax.« Der Nubier schlug mit dem Hammer von Ebenholz, den ihm Ganymedes reichte, sorgfältig den Gips herunter, hob mit silberner Zange den Verschluß von Palmenrinde heraus, schüttete die Schicht Öl hinweg, die oben schwamm, und füllte die Pokale. Ein starker berauschender Geruch entstieg der weißen, klebrigen Flüssigkeit. Alle tranken mit forschender Miene.
[] »Ein Göttertrank!« rief Balbus absetzend. – »Aber stark wie flüssiges Feuer,« sagte Kallistratos.
»Nein, den kenn' ich nicht!« sprach Lucius Licinius.
»Ich auch nicht,« beteuerte Marcus Licinius. – »Aber ich freue mich, ihn kennen zu lernen,« rief Piso und hielt Syphax die leere Schale hin.
»Nun,« fragte der Wirt, zu dem letzten, bisher fast ganz stummen Gast zu seiner Rechten gewendet, »nun, Furius, großer Seefahrer, Abenteurer, Indiensucher, Weltumsegler, wird deine Weisheit auch zu schanden?«
Der Gefragte erhob sich leicht von den Kissen, ein schöner athletischer Mann von einigen dreißig Jahren, von bronzener wettergebräunter Gesichtsfarbe, kohlschwarzen, tiefliegenden Augen, blendend weißen Zähnen und vollem Rundbart nach orientalischem Schnitt.
Aber ehe er noch sprechen konnte, fiel Kallistratos rasch ein: »Doch, beim Zeus Xenios, ich glaube, ihr kennt euch gar nicht?« Cethegus maß die fesselnde Erscheinung mit scharfem Blick. »Ich kenne den Präfekten von Rom,« sagte der Schweigsame. – »Nun, Cethegus, und dies ist mein vulkanischer Freund, Furius Ahalla, aus Korsika, der reichste Schiffsherr des Abendlandes, tief wie die Nacht und heiß wie das Feuer. er hat fünfzig Häuser, Villen und Paläste an allen Küsten von Europa, Asien und Afrika, zwanzig Galeeren, ein paar tausend Sklaven und Matrosen und –«
»Und einen sehr geschwätzigen Freund,« schloß der Korse. »Präfekt, mir ist es leid um dich, aber die Amphora ist mein. Ich kenne den Wein.« – Und er nahm ein Kibitzei und zerschlug es mit goldenem Löffel.
»Schwerlich,« lächelte Cethegus spöttisch.
»Doch. Es ist Isiswein. Aus Ägypten. Aus Memphis.« Und ruhig schlürfte er das goldrötliche Ei.
Erstaunt sah ihn Cethegus an. »Erraten,« sagte er dann. [] »Wo hast du ihn gekostet?« – »Notwendig da, wo du. Er fließt ja nur aus Einer Quelle,« lächelte der Korse. – »Genug mit euren Geheimnissen! Keine Rätsel unter den Rosen!« rief Piso. – »Wo habt ihr beiden Marder dasselbe Nest gefunden?« fragte Kallistratos.
»Nun,« rief Cethegus, »wisset es immerhin«. Im alten Ägypten, im heil'gen Memphis voraus, haben sich immer noch, dicht neben den christlichen Einsiedlern und Mönchen in der Wüste, glaubenszähe Männer und namentlich Frauen erhalten, die nicht lassen wollen von Apis und Osiris und besonders treu den süßen Dienst der Isis pflegen. Sie flüchten von der Oberfläche, wo die Kirche das Kreuz der Askese siegreich aufgepflanzt, in die Tiefen, in den geheimen Schoß der großen Mutter Erde mit ihrem heiligen teuren Wahn. In einem Labyrinth unter den Pyramiden des Cheops haben sie noch einige hundert Krüge geborgen des mächtigen Weines, welcher dereinst die Eingeweihten zu den Orgien der Freude, der Liebe berauschte. Die Kunde geht geheim gehalten von Geschlecht zu Geschlecht, immer nur Eine Priesterin kennt den Keller und bewahrt den Schlüssel.
Ich küßte die Priesterin und sie führte mich ein: – sie war eine wilde Katze, aber ihr Wein war gut: – und sie gab mir zum Abschied fünf Krüge mit aufs Schiff.
»Soweit hab' ich es mit Smerda nicht gebracht,« sagte der Korse; »sie ließ mich trinken im Keller, aber als Andenken gab sie mir nur das mit« – und er entblößte den braunen Hals. – »Einen Dolchstich der Eifersucht,« lachte Cethegus. »Nun, mich freut, daß die Tochter nicht aus der Art schlägt. Zu meiner Zeit, das heißt, als mich die Mutter trinken ließ, lief die kleine Smerda noch im Kinderröckchen. Wohlan, es lebe der heil'ge Nil und die süße Isis.« Und die beiden tranken sich zu.
Aber es verdroß sie, ein Geheimnis teilen zu sollen, das jeder allein zu besitzen geglaubt.
[] Doch die andern waren bezaubert von der Laune des eisigen Präfekten, der jugendlich wie ein Jüngling mit ihnen plauderte und jetzt, da das beliebteste Thema für junge Herren unter den Bechern angeregt war – Liebesabenteuer und Mädchengeschichten –, unerschöpflich übersprudelte von Streichen und Schwänken, die er meistens selbst erlebt. Alle hingen mit Fragen an seinen Lippen. Nur der Korse blieb stumm und kalt.
»Sage,« rief der Wirt und winkte dem Schänken, als gerade das Gelächter über eine solche Geschichte verhallt war, »sag an, du Mann buntscheckiger Erfahrung: – ägyptische Isismädchen, gallische Druidinnen, nachtlockige Töchter Syriens und meine plastischen Schwestern von Hellas: – alle kennst du und weißt du zu schätzen, aber sprich, hast du je ein germanisch Weib geliebt?«
»Nein,« sagte Cethegus, seinen Isiswein schlürfend, »sie waren mir immer zu langweilig.«
»Oho,« meinte Kallistratos, »das ist zuviel gesagt. Ich sage euch, ich habe an den letzten Calenden einen Wahnsinn gehabt für ein germanisch Weib, die war nicht langweilig.«
»Wie, du, Kallistratos von Korinth, der Aspasia, der Helena Landsmann, erglühst für ein Barbarenweib? O arger Eros, Sinnenverwirrer, Männerbeschämer,« schalt der Präfekt.
»Ja, wenn du willst, war's eine Sinnesverwirrung: ich habe nie dergleichen erfahren.«
»Erzähle, erzähle,« drängten die andern.
Elftes Kapitel.
»Immerhin,« sagte der Hausherr, die Polster glättend, »obwohl ich keine glänzende Rolle dabei spiele.
Also an den vorigen Calenden etwa kam ich zur achten Stunde aus den Bädern des Abaskantos nach Hause.
[] Da steht auf der Straße niedergelassen eine Frauensänfte, vier Sklaven dabei, ich glaube, gefangne Gepiden. Unmittelbar aber vor der Türe meines Hauses stehen zwei verhüllte Frauen, die Calantica über den Kopf gezogen. Die eine trug sklavisch Gewand, aber die andre war sehr reich und geschmackvoll gekleidet und das Wenige, was von Wuchs und Gestalt zu sehen, war göttlich. Welch schwebender Schritt, welch feiner Knöchel, welch hochgewölbter Fuß! Als ich näher herankam, ließen sich beide rasch in die Sänfte heben, und fort waren sie. Ich aber – ihr wißt, es steckt des Bildhauers Blut in allen Hellenen – ich träumte des Nachts von dem feinen Knöchel und dem wogenden Schritt.
Mittags drauf, da ich die Türe öffne, aufs Forum zu gehn zu den Bibliographen, wie ich pflege, seh ich dieselbe Sänfte rasch von dannen eilen.
Ich gestehe, ohne sonst besonders eitel zu sein, diesmal hoffte ich eine Eroberung gemacht zu haben – ich wünschte es so sehr. Und ich zweifelte gar nicht mehr, als ich, um die achte Stunde nach Hause kommend, wieder meine Fremde, diesmal unbegleitet, an mir vorüberschlüpfen sah und nach ihrer Sänfte eilen. Folgen konnt' ich den raschen Sklaven nicht, so trat ich in mein Haus, froher Gedanken voll. Da sagte der Ostiarius: ›Herr, eine verhüllte Sklavin wartet dein in der Bibliothek.‹
Pochenden Herzens eile ich in das Gemach. Richtig! es war die Sklavin, die ich gestern gesehen. Sie schlug den faltigen Mantel zurück: eine hübsche, verschlagne Maurin oder Karthagerin – ich kenne den Schlag – sah mich mit schlauen Augen an.
›Ich bitte um Botenlohn,‹ sagte sie, ›Kallistratos, ich bringe dir gute Kunde.‹
Ich faßte ihre Hand und wollte ihr die dunkle Wange streicheln – denn wer die Herrin begehrt, der küsse die Sklavin [] – aber sie lachte und sprach: ›Nein, nicht Eros, Hermes sendet mich.‹
›Meine Herrin‹ – hoch horchte ich auf – ›meine Herrin ist – eine leidenschaftliche Freundin der Kunst. Sie bietet dir dreitausend Solidi für die Aresbüste, die in der Nische neben der Türe deines Hauses steht.‹«
Laut lachten die jungen Leute, Cethegus mit ihnen.
»Ja, lacht nur,« fuhr der Hausherr selbst einstimmend fort, »ich aber lachte damals nicht. Aus all meinen Träumen heruntergefallen, sprach ich verdrießlich: mir ist das Werk nicht feil. Die Sklavin bot fünftausend, bot zehntausend Solidi; ich wandte ihr den Rücken und griff nach der Tür.
Da sagte die Schlange: ›Ich weiß, Kallistratos von Korinth ist unwillig, weil er ein Abenteuer gehofft und fand ein Geldgeschäft.
Er ist Hellene, er liebt die Schönheit, er brennt vor Neugier, meine Herrin zu sehn.‹ Das war so richtig, daß ich nur lächeln konnte.
›Wohlan,‹ sprach sie, ›du sollst sie sehn. Und dann erneuere ich mein letzt Gebot. Schlägst du's dann dennoch aus, hast du immerhin den Vorteil, deine Neugier gestillt zu haben. Morgen um die achte Stunde kömmt die Sänfte wieder. Dann halte dich bereit mit deinem Ares.‹
Und sie schlüpfte hinweg. Unruhig blieb ich zurück.
Ich konnte nicht leugnen, meine Neugier war sehr gespannt. Fest entschlossen, meinen Ares nicht herzulassen und die Kunstnärrin doch zu sehen, erwartete ich gierig die bestimmte Stunde. Die Stunde kam und die Sänfte kam. Ich stand lauschend an meiner offnen Tür. Die Sklavin stieg heraus.
›Komm,‹ rief sie mir zu, ›du sollst sie sehn.‹
Bebend vor Aufregung trat ich heran, der Purpurvorhang der Sänfte fiel halb zurück und ich sah –«
»Nun,« rief Markus, sich vorbeugend, den Becher in der Hand.
[] »Was ich nie wieder vergessen werde. Ein Gesicht, Freunde, von ungeahnter Schönheit. Kypris und Artemis in Einer Person. Ich war wie geblendet. Ich kann sie nicht schildern. Der Vorhang fiel zu. Ich aber sprang zurück, hob den Ares aus der Nische, reichte ihn der Punierin, wies ihr Gold zurück und taumelte in meine Tür, betäubt, als hätt' ich eine Waldnymphe gesehn.«
»Nun, das ist stark,« lachte Massurius. »Bist doch sonst kein Neuling in den Werken des Eros.«
»Aber,« fragte Cethegus, »woher weißt du, daß diese Zauberin eine Gotin war?«
»Sie hatte dunkelrotes Haar und milchweiße Haut und schwarze Augenbrauen.«
»Alle guten Götter!« dachte Cethegus. Aber er schwieg und wartete.
Keiner der Anwesenden sprach den Namen aus.
»Sie kennen sie nicht,« sagte Cethegus zu sich. – »Und wann war das?« fragte den Wirt.
»An den vorigen Calenden.«
»Ganz richtig,« rechnete Cethegus; »da kam sie von Tarentum durch Rom nach Ravenna. Sie ruhte hier drei Tage.«
»Und so hast du,« lachte Piso, »deinen Ares eingebüßt für einen Blick. Schlechter Handel! diesmal waren Merkur und Venus im Bunde. Armer Kallistratos.«
»Ach,« sagte dieser, »die Büste war gar nicht soviel wert. Es war moderne Arbeit. Jon in Neapolis hat sie vor drei Jahren gemacht. Aber ich sag' euch, einen Pheidias hätt' ich hingegeben um jenen Anblick.«
»Ein Idealkopf?« fragte Cethegus, wie gleichgültig und hob den ehernen Mischkrug, der vor ihm stand, scheinbar bewundernd, auf.
»Nein, das Modell war ein Barbar – irgendein Gotengraf – Watichis oder Witichas – wer kann sich die hyperboräischen [] Namen merken!« sagte Kallistratos seinen Bericht schließend und einem Pfirsich die Haut abziehend.
Nachdenklich schlürfte Cethegus aus seiner Schale von Bernstein.
Zwölftes Kapitel.
»Ja, die Barbarinnen könnte man sich gefallen lassen,« rief Markus Licinius, »aber der Orkus verschlinge ihre Brüder!« Und er riß den welken Rosenkranz vom Haupt: – die Blumen ertrugen den Dunst des Gelages schlecht – und ersetzte ihn durch einen frischen. »Nicht nur die Freiheit haben sie uns genommen – sie schlagen uns bei den Töchtern Hesperiens in der Liebe sogar aus dem Felde. Erst neulich hat die schöne Lavinia meinem Bruder die Türe verschlossen und den fuchsroten Aligern eingelassen.«
»Barbarischer Geschmack!« meinte der Verschmähte achselzuckend und wie zum Trost nach seinem Isiswein langend. »Du kennst sie ja auch, Furius – ist es nicht Geschmacksverirrung?« – »Ich kenne deinen Nebenbuhler nicht,« sagte der Korse. »Aber es gibt schon Burschen unter diesen Goten, die einem Weib gefährlich werden mögen.
Und da fällt mir ein Abenteuer ein, das ich jüngst entdeckt, das aber freilich noch ohne Spitze ist.« – »Erzähle nur,« mahnte Kallistratos, die Hände in das laue Waschwasser steckend, das jetzt in korinthischen Erzschüsseln herumgereicht wurde, vielleicht finden wir die Spitze dazu.
»Der Held meiner Geschichte,« hob Furius an, »ist der schönste der Goten.« – »Ah, Totila der junge,« unterbrach Piso und ließ sich den kameengeschmückten Becher mit Eiswein füllen. »Derselbe. Ich kenne ihn seit Jahren und bin ihm sehr gut, wie alle müssen, die je sein sonnig Angesicht geschaut, abgesehen davon,« – und hier überflog des Korsen [] Züge ein Schatten ernsten Erinnerns, und er stockte – »daß ich ihm sonst verbunden bin.«
»Du bist, scheint's, verliebt in den Blondkopf,« spottete Massurius, dem Sklaven, den er mitgebracht, ein Tuch voll pizentinischen Zwiebacks zuwerfend, um es mit nach Hause zu nehmen. »Nein, aber er hat mir, wie allen, mit denen er zu tun hat, viel Freundliches erwiesen, und gar oft hatte er die Hafenwache in den italischen Seestädten, wo ich landete.«
»Ja, er hat große Verdienste um das Seewesen der Barbaren,« sagte Lucius Licinius. – »Wie um ihre Reiterei,« stimmte Markus bei, »der schlanke Bursche ist der beste Reiter seines Volks.«
»Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der Begegnung, aber vergebens drang ich in ihn, die fröhlichen Abendgelage auf meinem Schiffe zu teilen.«
»O, diese deine Schiffsabende sind berühmt und berüchtigt,« meinte Balbus, »du hast stets die feurigsten Weine.« – »Und die feurigsten Mädchen,« fügte Massurius bei.
»Wie dem sei, Totila schützte jedesmal Geschäfte vor und war nicht zu gewinnen. Ich bitte euch! Geschäfte nach der achten Stunde in Neapolis! Wo die Fleißigsten faul sind! Es waren natürlich Ausflüchte. Ich beschloß ihm auf die Sprünge zu kommen und umschlich abends sein Haus in der Via lata. Richtig: gleich den ersten Abend kam er heraus, vorsichtig umblickend und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie ein Gärtner war er angetan, einen Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine Abolla umgeschlagen. Ich schlich ihm nach. Er ging quer durch die Stadt nach der Porta Capuana zu. Dicht neben dem Tore steht ein dicker Turm, darinnen wohnt der Pförtner, ein alter patriarchenhafter Jude, dem König Theoderich ob seiner großen Treue die Hut des Tores anvertraut.
Vor dem Turme blieb mein Gote stehen und schlug leise in [] die Hand: da flog eine schmale Seitentür von Eisen, die ich gar nicht bemerkt, geräuschlos auf und hinein schlüpfte Totila geschmeidig wie ein Aal.«
»Ei, ei,« fiel Piso der Dichter eifrig ein, »ich kenne den Juden und Miriam, sein herrlich prachtäugiges Kind! Die schönste Tochter Israels, die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug' ist dunkelmeeresblau und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs.« – »Gut, Piso,« lächelte Cethegus – »dein Gedicht ist schön.« – »Nein,« rief dieser. »Miriam selbst ist die lebendige Poesie.« – »Stolz ist die Judendirne,« brummte Massurius dazwischen, »sie hat mich und mein Gold verschmäht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um Geld gekauft.« – »Siehe,« sprach Lucius Licinius, »so hat sich der hochmüt'ge Gote, der einherschreitet, als trüg' er alle Sterne des Himmels auf seinem Lockenhaupt, zu einer Jüdin herabgelassen.«
»So dacht' auch ich und ich beschloß, den Jungen bei nächster Gelegenheit schwer zu verhöhnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber nichts da. Ein paar Tage darauf mußte ich nach Capua. Ich breche vor Sonnenaufgang auf, die Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta Capuana zur Stadt hinaus beim ersten Frührot: und als ich in meinem Reisewagen über die harten Steine an dem Judenturm vorüberrassele, denk' ich neidvoll an Totila und sage mir, der liegt jetzt in weichen Armen. Aber am zweiten Meilenstein vor dem Tor begegnet mir, nach der Stadt zuschreitend, leere Blumenkörbe über Brust und Rücken, in Gärtnertracht, wie damals – Totila. Er lag also nicht in Miriams Armen. Die Jüdin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine Vertraute, und wer weiß, wo die Blume blüht, die dieser Gärtner pflegt. Der Glücksvogel! Bedenkt nur, auf der Via Capuana stehen all' die Villen und Lustschlösser der ersten Familien von Neapolis und in jenen Gärten prangen und blühen die herrlichsten Weiber.«
[] »Bei meinem Genius,« rief Lucius Licinius, die bekränzte Schale hebend, »dort leben ja die schönsten Weiber Italiens – Fluch über den Goten!« – »Nein,« schrie Massurius, von Wein erglühend, »Fluch über Kallistratos und den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten bewirten, wie der Storch aus Kelchgläsern den Fuchs. Laß endlich, Hausherr, deine Mädchen kommen, wenn du deren bestellt hast: nicht höher brauchst du unsre Erwartung zu spannen.« – »Jawohl, die Mädchen, die Tänzerinnen, die Psalterien!« riefen die jungen Leute durcheinander.
»Halt,« sprach der Wirt, »wo Aphrodite naht, muß sie auf Blumen wandeln. Dies Glas bring ich dir, Flora!« Er sprang auf und schleuderte an die getäfelte Decke eine köstliche Kristallschale, daß sie klirrend zersprang.
Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze Getäfel wie eine Falltür empor und ein reicher Regen von Blumen aller Art flutete auf die Häupter der erstaunten Gäste nieder, Rosen von Pästum, Veilchen von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblüten bedeckten wie ein dichtes Schneegestöber in duftigen Flocken den Mosaikboden, die Tische, die Polster und die Häupter der Gäste.
»Schöner,« rief Cethegus, »zog Venus nie auf Paphos ein.«
Kallistratos schlug in die Hände. Da teilte sich beim Klang von Lyra und Flöte dem Triklinium gerade gegenüber die Mittelwand des Gemachs: vier hochgeschürzte Tänzerinnen, ausgesucht schöne Mädchen, in persische Tracht, d.h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet, sprangen zimbelnschlagend aus einem Gebüsch von blühendem Oleander.
Hinter ihnen kam ein großer Wagen in Gestalt einer Fächermuschel, dessen goldne Räder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden, vier Flötenbläserinnen in lydischem Gewand – Purpur und Weiß mit goldgestickten Mänteln – schritten vorauf: und auf dem Sitz des Wagens ruhte, von Rosen übergossen, [] in halb liegender Stellung Aphrodite selbst, in Gestalt eines blühenden Mädchens von lockender üppiger Schönheit, dessen fast einzige Verhüllung der Aphroditen nachgebildete Gürtel der Grazien war.
»Ha, beim heiligen Eros und Anteros!« schrie Massurius und sprang unsichern Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe.
»Verlosen wir die Mädchen!« rief Piso, »ich habe ganz neue Würfel aus Gazellenknöcheln, weihen wir sie ein.« »Laß sie den Festkönig verteilen,« schlug Marcus Licinius vor. »Nein, Freiheit, Freiheit wenigstens in der Liebe,« rief Massurius und faßte die Göttin heftig am Arme, »und Musik, heda, Musik – –«
»Musik,« befahl Kallistratos.
Aber ehe noch die Zymbelschlägerinnen wieder an heben konnten, wurde die Eingangstüre hastig aufgerissen und die Sklaven, die ihn aufhalten wollten, zur Seite drängend, stürmte Scävola herein, er war leichenblaß.
»Hier also, hier wirklich find' ich dich, Cethegus? in diesem Augenblick!«
»Was gibt's?« sagte der Präfekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom Haupt.
»Was es gibt? das Vaterland schwankt zwischen Scylla und Charybdis. Die gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza –«
»Nun?« fragte Lucius Licinius.
»Sie sind ermordet!«
»Triumph!« rief der junge Römer und ließ die Tänzerin fahren, die er umfaßt hielt.
»Schöner Triumph!« zürnte der Jurist. »Als die Nachricht nach Ravenna kam, beschuldigte alles Volk die Königin, sie stürmten den Palast: – doch Amalaswintha war entfloh'n.«
»Wohin?« fragte Cethegus, rasch aufspringend.
»Wohin? auf einem Griechenschiff – nach Byzanz!«
[] Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte die Stirn.
»Aber das Ärgste ist – die Goten wollen sie absetzen und einen König wählen«. – »Einen König?« sagte Cethegus. »Wohlan, ich rufe den Senat zusammen. Auch die Römer sollen wählen.«
»Wen, was sollen wir wählen?« fragte Scävola.
Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt seiner: »Einen Diktator! fort, fort in den Senat.«
»In den Senat!« wiederholte Cethegus majestätisch. »Syphax, meinen Mantel.«
»Hier, Herr, und dabei dein Schwert,« flüsterte der Maure. »Ich führ' es immer mit, auf alle Fälle.«
Und Wirt und Gäste folgten halb taumelnd dem Präfekten, der, allein völlig nüchtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Straße schritt.
Dreizehntes Kapitel.
In einem der schmalen Gemächer des Kaiserpalastes zu Byzanz stand kurze Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht ansehnlicher Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken.
Es war still und einsam rings um ihn.
Obwohl es draußen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster, das nach dem Hofraum des weitläufigen Gebäudes führte, mit schweren golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleichköstliche Stoffe deckten den Mosaikboden des Zimmers, so daß kein Geräusch die Schritte des langsam auf und ab Wandelnden begleitete.
Gedämpftes, mattes Licht füllte den Raum.
Auf dem Goldrund der Wände prangte die lange Reihe der christlichen Imperatoren seit Constantius in kleinen weißen [] Büsten: gerade über dem Schreibdiwan hing ein großes mannshohes Kreuz von gediegenem Golde.
So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam, neigte er das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war, von Glas umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes angebracht.
Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus darstellend, auf purpurgesäumtem Pergament eine der Wände bedeckte: nach langem, prüfendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der Rechten Gesicht und Augen.
Es waren keine schönen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles, Gutes und Böses, lag darin.
Wachsamkeit, Mißtrauen und List sprachen aus dem unruhigen Blick der tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters, furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen.
»Wer den Ausgang wüßte!« seufzte er noch einmal, die knochigen Hände reibend. »Es treibt mich unablässig. Ein Geist ist in meine Brust gefahren und mahnt und mahnt.
Aber ist's ein Engel des Herrn oder ein Dämon? Wer mir meinen Traum deutete! Vergib dreieiniger Gott, vergib deinem eifrigsten Knecht. Du hast die Traumdeuter verflucht.
Aber doch träumte König Pharao und Joseph durfte ihm deuten: und Jakob sah im Traum den Himmel offen und ihre Träume kamen von dir. Soll ich? – darf ich es wagen?«
Und wieder schritt er unschlüssig auf und nieder, wer weiß, wie lange noch, wäre nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben worden.
Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur Erde mit auf der Brust gekreuzten Armen. »Imperator, die Patrizier, die du beschieden.«
»Geduld«, sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell [] von Gold und Elfenbein niederlassend, »rasch die Silberschuhe und die Chlamys.«
Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und den hohen Absätzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhöhten, und warf ihm den faltenreichen, mit Goldsternen übersäten Mantel um die Schulter, jedes Stück der Gewandung küssend, wie er es berührte: nach einer Wiederholung der fußfälligen Niederwerfung, die in dieser orientalischen Unterwürfigkeit erst neuerlich verschärft worden war, ging der Velarius.
Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine gebrochne Porphyrsäule aus dem Tempel von Jerusalem gestützt, die zu diesem Behuf nach seiner Größe zurechtgesägt war, in seiner »Audienzattitüde« dem Eingang gegenüber.
Der Vorhang ging zurück und drei Männer betraten das Gemach mit der gleichen Begrüßungsform wie jener Sklave und doch waren sie die ersten Männer dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre reichgeschmückten Gewänder, ihre hochbedeutenden Köpfe, ihre geistvollen Züge bewiesen.
»Wir haben euch beschieden,« hob der Kaiser an, ohne ihre demütige Begrüßung zu erwidern, »euren Rat zu hören – über Italien. Ich habe euch alle nötigen Kenntnisse über die Dinge daselbst verschafft: die Briefe der Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei Tage hattet ihr Zeit. Erst rede du, Magister Militum.«
Und er winkte dem Größten unter den dreien, einer stattlichen, ganz in eine reichvergoldete Rüstung gekleideten Heldengestalt. Die großen, offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine starke gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck gesunder Kraft, die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme hatten etwas Herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen Rundbartes Milde und Gutherzigkeit.
[] »Herr,« sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme, »Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab' ich auf dein Geheiß das Reich der Vandalen in Afrika zertrümmert mit fünfzehntausend Mann. Gib mir dreißigtausend, und ich werde dir die Gotenkrone zu Füßen legen.«
»Gut,« sprach der Kaiser erfreut, »dies Wort hat mir wohlgetan. Was sprichst du, Perle meiner Rechtsgelehrten Tribonianus?«
Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so breitschultrig und die Glieder nicht so sehr durch stete Übung entwickelt. Die hohe, ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund zeugten von einem mächtigen Geist. »Imperator«, sagte er gemessen, »ich warne dich vor diesem Krieg. Er ist un gerecht.«
Unwillig fuhr Justinianus auf: »Ungerecht! wiederzunehmen, was zum römischen Reich gehört.«
»Gehört hat. Dein Vorfahr Zeno überließ durch Vertrag das Abendland an Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmaßer Odovakar gestürzt.«
»Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht König von Italien.«
»Zugegeben. Aber nachdem er es geworden – wie er es werden mußte, ein Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein – hat ihn Kaiser Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn anerkannt, ihn und sein Königreich.«
»Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Stärkere, nehm' ich die Anerkennung zurück.«
»Das eben nenn' ich ungerecht.«
»Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zäher Rechthaber. Du taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In Politik werd' ich dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit der Politik zu tun!«
[] »Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik.«
»Bah, Alexander und Cäsar dachten anders.«
»Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet und dann zweitens« – er hielt inne.
»Nun, zweitens?«
»Zweitens bist du nicht Cäsar und nicht Alexander.« –
Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: »Du bist sehr offen, Tribonianus.«
»Immer, Justinianus.«
Rasch wandte sich der Kaiser zu dem dritten. »Nun, was ist deine Meinung, Patricius?«
Vierzehntes Kapitel.
Der Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes Lächeln, das ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt und richtete sich auf.
Es war ein verkrüppeltes Männchen, noch bedeutend kleiner als Justinian, weshalb dieser im Gespräch mit ihm den Kopf noch viel mehr als nötig gewesen wäre, herabsenkte. Er war kahlköpfig, die Wangen von krankhaftem Wachsgelb, die rechte Schulter höher als die linke und er hinkte etwas auf dem linken Fuß, weshalb er sich auf einen schwarzen Krückstock mit goldnem Gabelgriff stützte. Aber das durchdringende Auge war so adlergewaltig, daß es von dieser unansehnlichen Gestalt den Eindruck des Widrigen fernhielt, dem fast häßlichen Gesicht die Weihe geistiger Größe verlieh: und der Zug schmerzlicher Entsagung und kühler Überlegenheit um den feinen Mund hatte sogar einen fesselnden Reiz. »Imperator,« sagte er mit scharfer bestimmter Stimme, »ich widerrate diesen Krieg – für jetzt.«
Unwillig zuckte des Kaisers Auge: »Auch aus Gründen der Gerechtigkeit?« fragte er, fast höhnisch. – »Ich sagte für [] jetzt.« – »Und warum?« – »Weil das Notwendige dem Angenehmen vorgeht. Wer sein Haus zu verteidigen hat, soll nicht in fremde Häuser einbrechen.« – »Was soll das heißen?« – »Das soll heißen: vom Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr. Der Feind, der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird, kömmt vom Osten.«
»Die Perser!« rief Justinian verächtlich.
»Seit wann,« sprach Belisar dazwischen, »seit wann fürchtet Narses, mein großer Nebenbuhler, die Perser?«
»Narses fürchtet niemand,« sagte dieser, ohne seinen Gegner anzusehn, »weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die Perser geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser nicht, so sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das Byzanz bedroht, steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber.«
»Nun, und was soll das bedeuten?«
»Das soll bedeuten, daß es schimpflich ist für dich, o Kaiser, für den Römernamen, den wir noch immer führen, Jahr für Jahr von Chosroes dem Perserchan, den Frieden um viele Zentner Goldes zu erkaufen.«
Flammende Röte überflog des Kaisers Antlitz: »Wie kannst du Geschenke, Hilfsgelder also deuten!«
»Geschenke! und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur über den Zahltag, verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Dörfer. Hilfsgelder! und er besoldet damit Hunnen und Sarazenen, deiner Grenze gefährlichste Feinde.«
Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. »Was also rätst du?« fragte er, hart vor Narses stehenbleibend. »Nicht die Goten anzugreifen ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum erwehrt. Alle Kräfte deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen Tribute abzustellen, die schmählichen Verheerungen deiner Grenzen zu verhindern, die verbrannten Städte Antiochia, Dara, Edessa wieder aufzubauen, [] die Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten – trotz Belisars tapfrem Schwert – verloren, deine Grenzen durch einen siebenfachen Gürtel von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes zu schirmen. Und hast du dies Notwendige alles vollbracht – und ich fürchte sehr, du kannst es nicht vollbringen! – dann magst du versuchen, wozu der Ruhm dich lockt.«
Justinianus schüttelte leicht das Haupt. »Du bist mir nicht erfreulich, Narses,« sagte er bitter.
»Das weiß ich längst,« sprach dieser ruhig.
»Und nicht unentbehrlich!« rief Belisar stolz. »Kehre dich nicht, mein großer Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gib mir die dreißigtausend und ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien.«
»Und ich wette meinen Kopf,« sagte Narses, »was mehr ist, daß Belisar Italien nicht erobern wird, nicht mit dreißig-, nicht mit sechzig-, nicht mit hunderttausend Mann.«
»Nun,« fragte Justinian, »und wer soll's dann können und mit welcher Macht?«
»Ich,« sagte Narses, »mit achtzigtausend.«
Belisar erglühte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Worte fand.
»Du hast dich doch bei allem Selbstgefühl sonst nie so hoch über deinen Gegner gestellt«, sprach der Jurist.
»Und tu's auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der: Belisarius ist ein großer Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein großer Feldherr – und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur ein großer Feldherr überwinden.«
Belisarius richtete sich in seiner ganzen stolzen Höhe auf und preßte die Faust krampfhaft um seinen Schwertknauf. Es war als wollte er dem Krüppel neben ihm den Kopf zerdrücken. Der Kaiser sprach für ihn: »Belisar kein großer Feldherr! Der Neid verblendet dich, Narses.«
[] »Ich beneide Belisar um nichts, nicht einmal,« seufzte er leise, »um seine Gesundheit. Er wäre ein großer Feldherr, wenn er nicht ein so großer Held wäre. Er hat noch jede Schlacht, die er verlor, aus zu viel Heldentum verloren.«
»Das kann man von dir nicht sagen, Narses«, warf Belisar bitter ein.
»Nein, Belisarius, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren.«
Eine ungeduldige Antwort Belisars ward abgeschnitten durch den Velarius, der, den Vorhang aufhebend, meldete:
»Alexandros, den du nach Ravenna gesendet, o Herr, ist seit einer Stunde gelandet und fragt –«
»Herein mit ihm, herein!« rief der Kaiser, hastig von seiner Kline aufspringend. Ungeduldig winkte er dem Gesandten, von seiner Proskynesis sich zu erheben: »Nun, Alexandros, du kömmst allein zurück?«
Der Gesandte, ein schöner, noch junger Mann, wiederholte: »Allein.«
»Es verlautete doch – dein letzter Bericht – wie verließest du das Gotenreich?«
»In großer Verwirrung. Ich schrieb dir in meinem letzten Bericht, die Königin habe beschlossen, sich ihrer drei hochmütigsten Feinde zu entledigen. Sollte der Anschlag mißlingen, so war sie in Italien nicht mehr sicher und bat sich in diesem Fall aus, daß ich sie auf meinem Schiff nach Epidamnus, dann hierher nach Byzanz flüchten dürfe.«
»Was ich mit Freuden bewilligte. Nun, und der Anschlag?«
»Ist geglückt. Die drei Herzoge sind nicht mehr.
Aber nach Ravenna kam das Gerücht, der gefährlichste unter ihnen, Herzog Thulun, sei nur verwundet. Dies bewog die Regentin, da ohnehin die Goten in der Stadt sich drohend vor dem Palaste scharten, auf mein Schiff zu flüchten. Wir lichteten die Anker, aber bald nachdem wir den Hafen verlassen, [] schon auf der Höhe von Ariminum, holte uns Graf Witichis mit Übermacht ein, kam an Bord und forderte Amalaswinthen auf, zurückzukehren, indem er sich für ihre Sicherheit bis zu feierlicher Untersuchung vor der Volksversammlung verbürgte. Da sie von ihm erfuhr, daß jetzt auch Herzog Thulun seinen Wunden erlegen, und aus seinem Anerbieten sah, daß er und seine mächtigen Freunde noch nicht an ihre Schuld glaubten, da überdies Gewalt zu fürchten war, willigte sie darein, mit ihm umzukehren nach Ravenna. Zuvor aber schrieb sie noch an Bord der ›Sophia‹ diesen Brief an dich und sendet dir aus ihrem Schatze diese Geschenke.«
»Davon später, sprich weiter, wie stehn die Dinge jetzt in Italien?«
»Gut für dich, o großer Kaiser. Das vergrößerte Gerücht von dem Aufstand der Goten in Ravenna, von der Flucht der Regentin nach Byzanz durchflog das ganze Land. Vielfach kam es schon zum Zusammenstoß zwischen Römern und Barbaren. In Rom selbst wollten die Patrioten losschlagen, im Senat einen Diktator wählen, deine Hilfe anrufen. Aber alles wäre verfrüht gewesen, nachdem die Regentin in den Händen des Witichis: nur das geniale Haupt der Katakombenmänner hat es verhindert.«
»Der Präfekt von Rom?« fragte Justinian.
»Cethegus. Er mißtraute dem Gerücht. Die Verschworenen wollten die Goten überfallen, dich zum Kaiser Italiens ausrufen, ihn einstweilen zum Diktator wählen. Aber er ließ sich in der Kurie buchstäblich die Dolche auf die Brust setzen und sagte: nein.«
»Ein mutiger Mann!« rief Belisar.
»Ein gefährlicher Mann!« sagte Narses.
»Eine Stunde darauf kam die Nachricht von der Rückkehr Amalaswinthens und alles blieb beim alten. Der schwarze Teja aber hatte geschworen, Rom zu einer Viehweide zu machen, [] wenn es einen Tropfen Gotenblut vergossen. All das hab' ich auf meiner absichtlich zögernden Küstenfahrt bis nach Brundusium erfahren. Aber noch Besseres hab' ich zu melden. Nicht nur unter den Römern, unter den Goten selbst hab' ich eifrige Freunde von Byzanz gefunden, ja unter den Gliedern des Königshauses.«
»Das wäre!« rief Justinian. »Wen meinst du?«
»In Tuscien lebt, reichbegütert, Fürst Theodahad, Amalaswinthens Vetter.«
»Jawohl, der letzte Mann im Haus der Amalungen, nicht wahr?«
»Der letzte. Er und noch viel mehr Gothelindis, sein kluges, aber böses Gemahl, die stolze Baltentochter, hassen aufs gründlichste die Regentin: er, weil sie seiner maßlosen Habsucht, mit der er all' seiner Nachbarn Grundbesitz an sich zu reißen sucht, entgegentritt: sie, aus Gründen, die ich nicht entdecken konnte: ich glaube, sie reichen in die Mädchenzeit der beiden Fürstinnen zurück – genug, ihr Haß ist tödlich. Diese beiden nun haben mir zugesagt, dir in jeder Weise Italien zurückgewinnen helfen zu wollen: ihr genügt es, scheint's, die Todfeindin vom Thron zu stürzen: er freilich fordert reichen Lohn.«
»Der soll ihm werden.«
»Seine Hilfe ist deshalb wichtig, weil er schon halb Tuscien besitzt – das Adelsgeschlecht der Wölsungen hat den andern Teil – und spielend in unsre Hände bringen kann: dann aber, weil er, wenn Amalaswintha fällt, ihr auf den Thron zu folgen Aussicht hat. Hier sind Briefe von ihm und von Gothelindis. Aber lies vor allem das Schreiben der Regentin – ich glaube, es ist sehr wichtig.«
[] Fünfzehntes Kapitel.
Der Kaiser zerschnitt die Purpurschnüre der Wachstafel und las: »An Justinian, den Imperator der Römer, Amalaswintha, der Goten und Italier Königin!«
»Der Italier Königin,« lachte Justinian, »welch verrückter Titel!«
»Durch Alexandros, Deinen Gesandten, wirst Du erfahren, wie Eris und Ate in diesem Lande hausen. Ich gleiche der einsamen Palme, die von widerstreitenden Winden zerrissen wird. Die Barbaren werden mir täglich feindseliger, ich ihnen täglich fremder, die Römer aber, soviel ich mich ihnen nähere, werden mir nie vergessen, daß ich germanischen Stammes. Bis jetzt habe ich entschlossenen Geistes allen Gefahren getrotzt: jedoch ich kann es nicht länger, wenn nicht wenigstens mein Palast, meine fürstliche Person vor der Überraschung drängender Gewalt sicher ist. Ich kann mich aber auf keine der Parteien hier im Lande unbedingt verlassen.
So ruf ich Dich, als meinen Bruder in der königlichen Würde, zu Hilfe. Es ist die Majestät aller Könige, die Ruhe Italiens, die es zu beschirmen gilt.
Schicke mir, ich bitte Dich, eine verlässige Schar, eine Leibwache« – der Kaiser warf einen bedeutsamen Blick auf Belisar – »eine Schar von einigen tausend Mann mit einem mir unbedingt ergebenen Anführer: sie sollen den Palast von Ravenna besetzen: er ist eine Festung für sich. Was Rom betrifft, so müssen jene Scharen mir vor allem den Präfekten Cethegus, der ebenso mächtig als zweideutig ist und mich in der Gefahr, in die er mich geführt, plötzlich verlassen hat, fernhalten, nötigenfalls vernichten. Habe ich meine Feinde niedergeworfen und mein Reich befestigt, wie ich zum Himmel und der eignen Kraft vertraue, so werd' ich Dir Truppen und Führer mit reichen Geschenken und reicherem Dank zurücksenden. Vale.«
[] Justinian drückte krampfhaft die Wachstafel in seiner Faust: leuchtenden Auges sah er vor sich hin, seine nicht schönen Züge veredelten sich im Ausdruck hoher geistiger Macht, und dieser Augenblick zeigte, daß in dem Manne neben vielen Schwächen und Kleinheiten Eine Stärke, Eine Größe lebte: die Größe eines diplomatischen Genies.
»In diesem Brief,« rief er endlich strahlenden Blickes, »halt' ich Italien und das Gotenreich.« Und in mächtiger Bewegung durchschritt er das Gemach mit großen Schritten, jetzt sogar die Verbeugung vor dem Kreuz vergessend.
»Eine Leibwache – sie soll sie haben! Aber nicht ein paar tausend Mann, viele Tausende, mehr als ihr lieb sein wird, und du, Belisarius, sollst sie führen.«
»Sieh auch die Geschenke«, mahnte Alexandros und wies auf einen köstlichen Schrein von Thuienholz mit Gold eingelegt, den der Velarius hinter ihm niedergestellt hatte. »Hier ist der Schlüssel.« Er überreichte ein kleines Büchschen von Schildpatt, das mit der Regentin Siegel geschlossen war.
»Es ist ihr Bild dabei,« sagte er, wie zufällig mit lauterer Stimme.
In dem Augenblick, da der Gesandte die Stimme kräftiger erhoben, steckte sich, leise und unbemerkt von allen außer ihm, der Kopf eines Weibes durch den Vorhang, und zwei funkelnde schwarze Augen sahen scharf auf den Kaiser. Dieser öffnete den Schrein, schob rasch alle Kostbarkeiten beiseite und griff hastig nach einem unscheinbaren Täfelchen von geglättetem Buchs mit einem schmalen Goldrahmen. Ein Ruf des Staunens entflog unwillkürlich seinen Lippen, sein Auge blitzte, er zeigte das Bild Belisar: »Ein herrliches Weib, welche Majestät der Stirn! ja, man sieht die geborene Herrscherin, die Königstochter!« und bewundernd sah er auf die edeln Züge.
Da rauschte der Vorhang und die Lauscherin trat ein.
[] Es war Theodora, die Kaiserin: ein verführerisches Weib. Alle Künste weiblichen Erfindungsgeistes in einer Zeit des äußersten Luxus und alle Mittel eines Kaiserreichs wurden täglich stundenlang aufgeboten, diese an sich ausgezeichnete, aber durch ein zügelloses Sinnenleben früh angegriffene Schönheit frisch und blendend zu erhalten.
Goldstaub lieh ihrem dunkelblauschwarzen Haar metallischen Glanz: es war am Nacken mit aller Sorgfalt gegen den Wirbel hinaufgekämmt, den schönen Bau des Hinterkopfs, den feinen Ansatz des Halses zu zeigen.
Augenbrauen und Wimpern waren mit arabischem Stimmi glänzend schwarz gefärbt: und so künstlich war das Rot der Lippen aufgetragen, daß selbst Justinian, der diese Lippen küßte, nie an eine Unterstützung der Natur durch phönikischen Purpur dachte. Jedes Härchen an den alabasterweißen Armen war sorgfältig ausgetilgt und das zarte Rosa der Fingernägel beschäftigte täglich eine besondere Sklavin lange Zeit.
Und doch hätte Theodora, damals noch nicht vierzig Jahre alt, auch ohne all diese Künste für ein ganz auffallend schönes Weib gelten müssen.
Edel freilich war dieses Antlitz nicht: kein großer, ja kein stolzer Gedanke sprach aus diesen angestrengten, unheimlich glänzenden Augen: um die Lippen schwebte ein zur Gewohnheit gewordenes Lächeln, das die Stelle der ersten künftigen Falte ahnen ließ: und die Wangen zeigten in der Nähe der Augen Spuren müder Erschöpfung.
Aber wie sie jetzt mit ihrem süßesten Lächeln auf Justinian zuschwebte, das schwere Faltenkleid von dunkelgelber Seide zierlich mit der Linken aufhebend, übte die ganze Erscheinung einen betäubenden Zauber, ähnlich dem süßen einlullenden Geruch von indischem Balsam, der von ihr duftete.
»Was erfreut meinen kaiserlichen Herrn so sehr? darf ich seine Freude teilen?« fragte sie mit süßer, einschmeichelnder [] Stimme. Die Anwesenden warfen sich vor der Kaiserin zur Erde, kaum minder ehrerbietig als vor Justinian.
Dieser aber schrak bei ihrem Anblick, wie auf einer Schuld ertappt, zusammen und wollte das Bild in der Busenfalte seiner Chlamys verbergen. Aber zu spät. Schon haftete der Kaiserin scharfer Blick darauf.
»Wir bewunderten,« sagte er verlegen, »die – die schöne Goldarbeit des Rahmens.« Und er reichte ihr errötend das Bild.
»Nun, an dem Rahmen«, lächelte Theodora, »ist beim besten Willen nicht viel zu bewundern. Aber das Bild ist nicht übel. Gewiß die Gotenfürstin?« Der Gesandte nickte. »Nicht übel, wie gesagt. Aber barbarisch, streng, unweiblich. Wie alt mag sie sein, Alexandros?«
»Etwa fünfundvierzig.«
Justinian blickte fragend auf das Bild, dann auf den Gesandten. »Das Bild ist vor fünfzehn Jahren ge macht«, sagte Alexandros wie erklärend.
»Nein,« sprach der Kaiser, »du irrst; hier steht die Jahrzahl nach Indiktion und Konsul und ihrem Regierungsantritt: es ist von diesem Jahr.«
Eine peinliche Pause entstand.
»Nun,« stammelte der Gesandte, »dann schmeicheln die Maler wie –« – »Wie die Höflinge,« schloß der Kaiser. Aber Theodora kam ihm zu Hilfe.
»Was plaudern wir von Bildern und dem Alter fremder Weiber, wo es sich um das Reich handelt. Welche Nachrichten bringt Alexandros? Bist du entschlossen, Justinianus?« – »Beinahe bin ich es. Nur deine Stimme wollte ich noch hören und du, das weiß ich, bist für den Krieg.«
Da sagte Narses ruhig: »Warum, Herr, hast du uns nicht gleich gesagt, daß die Kaiserin den Krieg will? Wir hätten unsre Worte sparen können.« – »Wie? willst du damit sagen, daß [] ich der Sklave meines Weibes bin?« – »Hüte besser deine Zunge,« sagte Theodora zornig, »schon manchen, der sonst unverwundbar schien, hat die eigne spitze Zunge erstochen.«
»Du bist sehr unvorsichtig, Narses,« warnte Justinian.
»Imperator,« sagte dieser ruhig, »die Vorsicht hab' ich längst aufgegeben. Wir leben in einer Zeit, in einem Reich, an einem Hof, wo man um jedes mögliche Wort, das man gesprochen oder nicht gesprochen hat, in Ungnade fallen, zugrunde gehen kann. Da mir nun jedes Wort den Tod bringen kann, will ich wenigstens an solchen Worten sterben, die mir selbst gefallen.«
Der Kaiser lächelte: »Du mußt gestehn, Patricius, daß ich viel Freimut ertrage.«
Narses trat auf ihn zu: »Du bist groß von Natur, o Justinianus, und ein geborner Herrscher: sonst würde Narses dir nicht dienen. Aber Omphale hat selbst Herkules klein gemacht.«
Die Augen der Kaiserin sprühten tödlichen Haß. Justinian ward ängstlich.
»Geht,« sagte er, »ich will mit der Kaiserin allein beraten. Morgen vernehmt ihr meinen Entschluß.«
Sechzehntes Kapitel.
Sowie sie draußen waren, schritt Justinian auf seine Gattin zu und drückte einen Kuß auf ihre weiße niedre Stirn. »Vergib ihm,« sagte er, »er meint es gut.«
»Ich weiß es,« sagte sie, seinen Kuß erwidernd. »Darum, und weil er unentbehrlich ist gegen Belisar, darum lebt er noch.« – »Du hast recht, wie immer.« Und er schlang den Arm um sie. »Was hat er Besondres vor?« dachte Theodora. »Diese Zärtlichkeit deutet auf ein schlechtes Gewissen.«
»Du hast recht,« wiederholte er, mit ihr im Gemach auf und nieder schreitend. »Gott hat mir den Geist versagt, der [] die Schlachten entscheidet, aber mir dafür diese beiden Männer des Sieges gegeben – und zum Glück ihrer zwei. Die Eifersucht dieser beiden sichert meine Herrschaft besser als ihre Treue: jeder dieser Feldherren allein wäre eine stete Reichsgefahrund an dem Tage, da sie Freunde würden, wankte mein Thron. Du schürst doch ihren Haß?«
»Er ist leicht zu schüren: es ist zwischen ihnen eine natürliche Feindschaft wie zwischen Feuer und Wasser. Und jede Bosheit des Verschnittenen erzähl' ich mit großer Entrüstung meiner Freundin Antonina, des Helden Belisar Weib und Gebieterin.« – »Und jede Grobheit des Helden Belisar bericht' ich treulich dem reizbaren Krüppel. – Aber zu unsrer Beratung. Ich bin, nach dem Bericht des Alexandros, so gut wie entschlossen zu dem Zug nach Italien.«
»Wen willst du senden?« – »Natürlich Belisar. Er verheißt mit dreißigtausend zu vollbringen, was Narses kaum mit achtzigtausend übernehmen will.«
»Glaubst du, daß jene kleine Macht genügen wird?«
»Nein. Aber Belisars Ehre ist verpfändet: er wird all seine Kraft aufbieten und es wird ihm doch nicht ganz gelingen.« – »Und das wird ihm sehr heilsam sein. Denn seit dem Vandalensieg ist sein Stolz nicht mehr zu ertragen.« – »Aber er wird drei Viertel der Arbeit tun. Dann rufe ich ihn ab, breche selbst mit sechzigtausend auf, nehme Narses mit, vollende im Spiel das letzte Viertel und bin dann auch ein Feldherr und ein Sieger.«
»Fein gedacht,« sagte Theodora in aufrichtiger Bewunderung seiner Schlauheit: »dein Plan ist reif.«
»Freilich,« sagte Justinian seufzend stehen bleibend. »Narses hat recht, im geheimen Grund des Herzens muß ich's zugestehen. Es wäre dem Reiche heilsamer, die Perser abwehren, als die Goten angreifen. Es wäre mehr sichere, weisere Politik. Denn vom Osten kömmt einst das Verderben.«
[] »Laß es kommen! Das kann noch Jahrhunderte anstehn, wann von Justinian nur noch der Ruhm auf Erden lebt, wie Afrika, so Italien zurückgewonnen zu haben. Hast du für die Ewigkeit zu bauen? Die nach dir kommen, mögen für ihre Gegenwart sorgen: sorge du für die deine.« – »Wenn man aber dann sprechen wird: hätte Justinian verteidigt, statt zu erobern, so stünd' es besser? Wenn man sagen wird: Justinians Siege haben sein Reich zerstört?« – »So wird niemand sprechen. Die Menschen blendet der Glanz des Ruhms. Und noch Eins« – und hier verdrängte der Ernst der tiefsten Überzeugung den Ausdruck listiger Beschwatzung von ihren schmeichelnden Zügen.
»Ich ahn' es, doch vollende.«
»Du bist nicht nur Kaiser, du bist ein Mensch.
Höher als das Reich muß dir deiner Seele Seligkeit stehen. Auf deinem, auf unserm Pfad zur Herrschaft, zu dem Glanz dieser Herrschaft mußte mancher blut'ge Schritt geschehn: manches Harte mußte getan werden: Leben und Schätze so manchen gefährlichen Feindes mußten – genug.
Wohl bauen wir mit einem Teil dieser Schätze der heiligen, der christlichen Weisheit jenen Siegestempel, der allein schon unsern Namen unsterblich machen wird auf Erden. Aber für den Himmel – wer weiß, ob es genügt!
Laß uns« – und ihr Auge erglühte von unheimlichem Feuer – »laß uns die Ungläubigen vertilgen und über die Leichen der Feinde Christi hin den Weg zur Gnade suchen.« Justinian drückte ihre Hand. »Auch die Perser sind Feinde Christi, sind sogar Heiden.« – »Hast du vergessen, was der Patriarch gelehrt? Ketzer sind siebenmal schlimmer als Heiden! Ihnen ward der rechte Glaube gebracht und sie haben ihn verschmäht. Das ist die Sünde wider den heiligen Geist, die nie vergeben wird – auf Erden und im Himmel. Du aber bist das Schwert, das diese gottverfluchten Arianer schlagen soll: sie sind Christi verhaßteste Feinde: sie kennen ihn und [] leugnen dennoch, daß er Gott. Schon hast du in Afrika die ketzerischen Vandalen niedergeworfen und den Irrwahn dort in Blut und Feuer erstickt: jetzt ruft dich Italien, Rom, die Stätte, wo der Apostelfürsten Blut geflossen, die heil'ge Stadt: nicht länger darf sie diesen Ketzern dienen. Justinian, gib sie dem wahren Glauben wieder.«
Sie hielt inne. Der Kaiser blickte schwer aufatmend zu dem Goldkreuz empor. »Du deckst die letzten Tiefen meines Herzens auf: das ist es ja, was, noch mächtiger als Ruhm und Siegesehre, mich zu diesen Kriegen treibt. Aber bin ich fähig, bin ich würdig, so Großes, so Heiliges zu Gottes Ehre zu vollenden? Will er durch meine sündge Hand so Großes vollführen? Ich zweifle, ich schwanke. Und der Traum, der mir in dieser Nacht geworden, war er von Gott gesendet? und was soll er bedeuten? treibt er zum Angriff oder mahnt er ab? Nun, hatte deine Mutter Komito, die Wahrsagerin von Kypros, große Weisheit, Ahnungen und Träume zu deuten.« –
»Und du weißt, die Gabe ist erblich. Habe ich dir nicht auch den Ausgang des Vandalenkriegs aus deinem Traume gedeutet?«
»Du sollst mir auch diesen Traum erklären. Du weißt, ich werde irre an dem besten Plan, wenn ein Omen dawider spricht. Höre denn. Aber« – und er warf einen ängstlichen Blick auf sein Weib – »aber bedenke, daß es ein Traum war und kein Mensch für seine Träume kann.«
»Natürlich, sie sendet Gott.« – »Was werd ich vernehmen?« sagte sie zu sich selbst.
»Ich war gestern nacht eingeschlafen, erwägend den letzten Bericht über Amala – über Italien. Da träumte mir, ich ging durch eine Landschaft mit sieben Hügeln. Dort ruhte unter einem Lorbeer das schönste Weib, das ich je gesehn. Ich stand vor ihr und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Plötzlich brach aus dem Busch zur Rechten ein brüllender Bär, aus dem [] Gestein zur Linken eine zischende Schlange gegen die Schlummernde hervor. Aufwachend rief sie meinen Namen. Rasch ergriff ich sie, drückte sie an meine Brust und floh mit ihr: rückblickend sah ich, wie der Bär die Schlange zerriß und die Schlange den Bären zu Tode biß.«
»Nun, und das Weib?«
»Das Weib drückte einen flüchtigen Kuß auf meine Stirn und war plötzlich wieder verschwunden, und ich erwachte, vergebens die Arme nach ihr ausstreckend. Das Weib,« fuhr er rasch fort, ehe Theodora nachsinnen sollte, »ist natürlich Italien.«
»Jawohl,« sagte die Kaiserin ruhig. Aber ihr Busen wogte. »Der Traum ist der glücklichste. Bär und Schlange sind Barbaren und Italier, die um die Siebenhügelstadt ringen. Du entreißest sie beiden und läßt sie sich gegenseitig vernichten.«
»Aber sie entschwindet mir wieder – sie bleibt mir nicht.«
»Doch. Sie küßt dich und verschwindet in deinen Armen. So wird Italien aufgehn in deinem Reich.«
»Du hast recht,« rief Justinian aufspringend. »Sei bedankt, mein kluges Weib. Du bist die Leuchte meiner Seele. Es sei gewagt: – Belisar soll ziehn.«
Und er wollte den Velarius rufen. Doch hielt er plötzlich an. »Aber noch eins.« Und die Augen niederschlagend, faßte er ihre Hand.
»Ah,« dachte Theodora, »jetzt kommt's.«
»Wenn wir nun das Gotenreich zerstört und in die Hofburg von Ravenna mit Hilfe der Königin selbst eingezogen sind – was was soll dann mit ihr, der Fürstin, werden?«
»Nun,« sagte Theodora völlig unbefangen, »was mit ihr werden soll? Was mit dem entthronten Vandalenkönig geworden. Sie soll hierher, nach Byzanz.«
Justinian atmete hoch auf. »Mich freut es, daß du das Richtige fandest.«
[] Und in wirklicher Freude drückte er ihr die schmale, weiße, wunderzierliche Hand.
»Mehr als das,« fuhr Theodora fort. »Sie wird um so leichter auf unsre Pläne eingehen, je sicherer sie einer ehrenvollen Aufnahme hier entgegensieht. So will ich selbst ihr ein schwesterliches Schreiben senden, sie einzuladen. Sie soll im Fall der Not stets ein Asyl an meinem Herzen finden.«
»Du weißt gar nicht,« fiel Justinian eifrig ein, »wie sehr du dadurch unsern Sieg erleichterst. Die Tochter Theoderichs muß völlig von ihrem Volk hinweg zu uns gezogen werden. Sie selbst soll uns nach Ravenna führen.«
»Dann kannst du aber nicht gleich Belisar mit einem Heere senden. Das würde sie nur argwöhnisch machen und widerspenstig. Sie muß völlig in unsern Händen, das Barbarenreich von innen heraus gebrochen sein, ehe das Schwert Belisars aus der Scheide fährt.«
»Aber in der Nähe muß er von jetzt an stehen.«
»Wohl, etwa auf Sizilien. Die Unruhen in Afrika geben den besten Vorwand, eine Flotte in jene Gewässer zu senden. Und sowie das Netz gelegt, muß Belisars Arm es zuziehn.«
»Aber wer soll es legen?«
Theodora dachte eine Weile nach; dann sagte sie:
»Der geistgewaltigste Mann des Abendlandes: Cethegus Cäsarius, der Präfekt von Rom, mein Jugendfreund.«
»Recht. Aber nicht er allein. Er ist ein Römer, nicht mein Untertan, mir nicht völlig sicher. Wen soll ich senden? Noch einmal Alexandros?«
»Nein,« rief Theodora rasch, »er ist zu jung für ein solches Geschäft, Nein.« Und sie schwieg nachdenklich. »Justinian,« sprach sie endlich, »auf daß du siehst, wie ich persönlichen Haß vergessen kann, wo es das Reich gilt und der rechte Mann [] gewählt werden muß, schlage ich dir selber meinen Feind vor: Petros, des Narses Vetter, des Präfekten Studiengenossen, den schlauen Rhetor – ihn sende.«
»Theodora« – rief der Kaiser erfreut, sie umarmend, »du bist mir wirklich von Gott geschenkt. Cethegus – Petros – Belisar: Barbaren, ihr seid verloren!«
Siebzehntes Kapitel.
Am Morgen darauf erhob sich die schöne Kaiserin vergnügt von dem schwellenden Pfühl, dessen weiche Kissen, mit blaßgelber Seide überzogen, mit den zarten Halsfedern des pontischen Kranichs gefüllt waren.
Vor dem Bette stand ein Dreifuß mit einem silbernen Becken, den Okeanos darstellend, darin lag eine massiv goldne Kugel. Die weiche Hand der Kaiserin hob lässig die Kugel und ließ sie klingend in das Becken fallen: der helle Ton rief die syrische Sklavin in das Gemach, die im Vorzimmer schlief. Mit auf der Brust gekreuzten Armen trat sie an das Lager und schlug die schweren Vorhänge von violetter chinesischer Seide zurück. Dann ergriff sie den sanften iberischen Schwamm, der, in Eselmilch getränkt, in kristallner Schale ruhte und bestrich damit sorgfältig die Masse von öligem Teig, die Gesicht und Hals der Kaiserin während der Nacht bedeckte.
Dann kniete sie vor dem Bette nieder, das Haupt fast zur Erde gebeugt, und reichte die rechte Hand hinauf.
Theodora faßte diese Hand, setzte langsam den kleinen Fuß auf den Nacken der Knieenden und schwang sich dann elastisch zur Erde. Die Sklavin erhob sich und warf der Herrin, die jetzt, nur mit der Untertunika von feinstem Bast bekleidet, auf dem Palmenholzrand des Bettes saß, den feinen Ankleidemantel von Rosagewebe über die Schultern.
[] Dann verneigte sie sich, wandte sich zur Türe, rief »Agave!« und verschwand. Agave, eine junge, schöne Thessalierin, trat ein; sie rollte dicht vor die Herrin den mit unzähligen Büchschen und Fläschchen besetzten Waschtisch von Citrusholz und begann, ihr Gesicht, Nacken und Hände mit weichen, in verschiedene Weine und Salben getauchten Tüchern zu reiben.
Darauf erhob sich diese vom Lager und glitt auf den bunten, mit Pardelfell überzogenen Stuhl, die Kathedra.
»Das große Bad erst gegen Mittag!« sagte sie.
Da schob Agave eine ovale Wanne von Terebinthenholz heran, außen mit Schildpatt bekleidet, gefüllt mit köstlich duftendem Wasser und hob die zierlichen, glänzend weißen Füße der Herrin hinein. Hierauf löste sie das Netz von Goldfäden, das die Nacht über die blau glänzenden Haare der Kaiserin zusammenhielt, so daß jetzt die weichen schwarzen Wellen über Schultern und Brust wallen konnten. Sie schlang ihr noch das breite Busenband von Purpur um, verneigte sich und ging mit dem Rufe: »Galatea!«
Eine betagte Sklavin löste sie ab, die Amme und Wärterin und, leider müssen wir hinzufügen, die Kupplerin Theodoras in der Zeit, da sie nur erst des Akacius, des Löwenwärters im Zirkus flitterbehängtes Töchterlein und, fast noch ein Kind, der schon tief verdorbne Liebling des großen Zirkus war. Alle Demütigungen und Triumphe, alle Laster und Listen auf der Abenteurerin wechselndem Pfad bis zum Kaiserthron hatte Galatea getreulich geteilt.
»Wie hast du geschlafen, mein Täubchen?« fragte sie, ihr in einer Bernsteinschale die aromatische Essenz reichend, welche die Stadt Adana in Cilicien für die Toilette der Kaiserin in großen Massen als jährlichen Tribut einzusenden hatte.
»Gut, ich träumte von ihm.« – »Von Alexandros?« – »Nein, du Närrin, von dem schönen Anicius.« – »Aber der Bestellte wartet schon lange draußen in der geheimen Nische.«[] – »Er ist ungeduldig,« lächelte der kleine Mund, »nun, so laß ihn ein.« Und sie legte sich auf dem langen Diwan zurück, eine Decke von Purpurseide über sich ziehend; aber die feinen Knöchel der schönen Füße blieben sichtbar.
Galatea schob den Riegel vor den Haupteingang, durch welchen sie eingetreten und ging dann quer durch das Gemach zu der Ecke gegenüber, die durch eine eherne Kolossalstatue Justinians ausgefüllt war.
Die scheinbar unbewegliche Last wich sofort zur Seite, sowie die Vertraute eine Feder berührte, und zeigte eine schmale Öffnung in der Wand, welche durch die Statue in ihrer gewöhnlichen Stellung vollständig verdeckt wurde: ein dunkler Vorhang war vor den Spalt gezogen. Galatea hob den Vorhang auf und herein eilte Alexandros, der schöne junge Gesandte.
Er warf sich vor der Kaiserin aufs Knie, ergriff ihre schmale Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen.
Theodora entzog sie ihm leise. – »Es ist sehr unvorsichtig, Alexandros,« sagte sie, den schönen Kopf zurücklehnend, »den Geliebten zur Ankleidung zuzulassen.« Wie sagt der Dichter? »Alles dienet der Schönheit. Doch ist kein erfreulicher Anblick, das Entstehen zu sehn, was nur entstanden gefällt.«
»Allein ich hab' es dir bei der Abreise nach Ravenna verheißen, dich einmal in meiner Morgenstunde vorzulassen. Und du hast deinen Lohn reichlich verdient. Du hast viel für mich gewagt. – – Fasse die Flechten fester!« rief sie Galatea zu, die an die ihr allein zustehende Arbeit gegangen war, das prachtvolle Haar der Gebieterin zu ordnen.
– »Du hast das Leben für mich gewagt.« – Und sie reichte ihm wieder zwei Finger der rechten Hand.
»O Theodora,« rief der Jüngling, »für diesen Augenblick würd' ich zehnmal sterben.«
[] »Aber,« fuhr sie fort, »warum hast du mir nicht auch von dem letzten Brief der Barbarin an Justinian Abschrift zukommen lassen?« – »Es war nicht mehr möglich, es ging zu rasch. Ich konnte von meinem Schiff keinen Boten mehr senden: kaum gelang es gestern, nach der Landung, dir sagen zu lassen, daß ihr Bild bei den Geschenken sei. Du kamst im rechten Augenblick.«
»Ja, was würde aus mir, wenn ich die Türsteher Justinians nicht doppelt so hoch besoldete als er? Aber Unvorsichtigster aller Gesandten, wie täppisch war das mit der Jahrzahl!«
»O schönste Tochter von Kypros, ich hatte dich mondenlang nicht mehr gesehen. Ich konnte nichts denken als dich und deine berauschende Schönheit.«
»Nun, da muß ich wohl verzeihen. Das schwarze Stirnband, Galatea! Du bist ein besserer Liebhaber als Staatsmann. Deshalb hab' ich dich auch hierbehalten. Ja, du solltest wieder nach Ravenna. Aber ich denke, ich schicke einen ältern Gesandten und behalte den jungen für mich. Ist's recht so?« lächelte sie, die Augen halb schließend.
Alexandros, kühner und glühender werdend, sprang auf und drückte einen Kuß auf ihre roten Lippen.
»Halt ein, Majestätsverbrecher,« schalt sie und schlug mit dem Flamingofächer leicht seine Wange. »Jetzt ist's genug für heute. Morgen magst du wiederkommen und von jener Barbarenschönheit erzählen. Nein, du mußt jetzt gehn. Ich brauche diese Morgenstunde noch für einen andern.«
»Für einen andern!« rief Alexandros zurücktretend. »So ist es wahr, was man leise zischelt in den Gynäceen, in den Bädern von Byzanz? Du ewig Ungetreue hast –«
»Eifersüchtig darf ein Freund Theodoras nicht sein!« lachte die Kaiserin. Es war kein schönes Lachen. »Aber für diesmal sei unbesorgt – du sollst ihm selbst begegnen. Geh.«
[] Galatea ergriff ihn an der Schulter und drehte den Widerstrebenden ohne weiteres hinter die Statue und zur Türe hinaus.
Theodora setzte sich nun aufrecht, das faltige Untergewand mit dem Gürtel schließend.
Achtzehntes Kapitel.
Sogleich kam Galatea wieder zum Vorschein mit einem kleinen gebückten Mann, der viel älter aussah als seine vierzig Jahre. Kluge, aber allzu scharfe Züge, das stechende Auge, der bartlose, eingekniffne Mund – alles machte den Eindruck unangenehmer Pfiffigkeit.
Theodora nickte leicht auf seine kriechende Verbeugung; Galatea begann ihr die Augenbrauen zu malen.
»Kaiserin,« hob der Alte ängstlich an, »ich staune über deine Kühnheit. Wenn man mich hier sähe! Die Klugheit von neun Jahren wäre durch einen Augenblick vereitelt.«
»Man wird dich aber nicht sehen, Petros,« sagte Theodora ruhig. »Diese Stunde ist die einzige, da ich vor der zudringlichen Zärtlichkeit Justinians sicher bin. Es ist seine Betstunde. Ich muß sie ausbeuten, so gut ich kann. Gott erhalte ihm seine Frömmigkeit! Galatea, den Frühwein. Wie? Du fürchtest doch nicht, mich mit diesem gefährlichen Verführer allein zu lassen?« Die Alte ging mit häßlichem Grinsen und kam gleich zurück, einen Henkelkrug süßen gewärmten Chierweins in der einen Hand, Becher mit Wasser und Honig in der andern.
»Ich konnte heute unsre Unterredung nicht, wie gewöhnlich, in der Kirche veranstalten, wo du in dem dunkeln Beichtstuhl einem Priester täuschend ähnlich siehst. Der Kaiser wird dich noch vor der Kirchenzeit zu sich bescheiden und du mußt zuvor genau unterrichtet sein.«
[] »Was ist zu tun?«
»Petros,« sagte Theodora, sich behaglich zurücklehnend und langsam das süße Getränk schlürfend, das Galatea mischte, »heute kam der Tag, der unsere langjährige Mühe und Klugheit lohnen und dich zum großen Mann machen wird.«
»Zeit wär' es,« meinte der Rhetor.
»Nur nicht ungeduldig, Freund. (Galatea, etwas mehr Honig.) Um dich für das heutige Geschäft in die rechte Stimmung zu versetzen, wird es gut sein, dich an das Vergangne, an die Entstehungsart unsrer – Freundschaft zu erinnern.«
»Was soll das? Wozu ist das nötig?« sagte der Alte unbehaglich.
»Zu mancherlei. Also. Du warst der Vetter und Anhänger meines Todfeindes Narses. Folglich auch mein Feind. Jahrelang hast du im Dienste deines Vetters mir entgegengearbeitet, mir wenig geschadet, dir selbst aber noch weniger genützt. Denn Narses, dein tugendhafter Freund, setzt seine Ehre und seine Schlauheit darein, nie etwas für seine Verwandten zu tun, daß man ihn nie, wie die andern Höflinge dieses Reiches, des Nepotismus zeihen könne.
Aus lauter Vorsicht und eitel Tugend ließ er dich unbefördert. Du darbtest und bliebst einfacher Schreiber. Aber ein feiner Kopf wie du weiß sich zu helfen. Du fälschtest, du verdoppeltest die Steuerausschreiben des Kaisers. Die Provinzen zahlten neben der von Justinian verlangten noch eine zweite Steuer, die Petros und die Steuererheber untereinander teilten. Eine Weile ging das vortrefflich. Aber einmal –«
»Kaiserin, ich bitte dich –«
»Ich bin gleich zu Ende, Freund. Aber einmal hattest du das Unglück, daß einer von den neuen Steuerboten die Gunst der Kaiserin höher anschlug als den von dir verheißnen Teil der Beute. Er ging auf deinen Antrag ein, ließ sich die Urkunde von dir fälschen und – brachte sie mir.«
[] »Der Elende,« murrte Petros.
»Ja, es war schlimm,« lächelte Theodora, den Becher wegstellend. »Ich konnte jetzt meinem boshaften Feind, dem Vertrauten des verhaßten Eunuchen, den schlauen Kopf vor die Füße legen, und ich muß gestehen: es lüstete mich sehr danach, sehr! Aber ich opferte die kurze Rache einem großen, dauernden Vorteil. Ich rief dich zu mir und ließ dir die Wahl, zu sterben oder fortan mir zu dienen. Du warst gütig genug, das letztre zu wählen und so haben wir, vor der Welt nach wie vor die heftigsten Feinde, insgeheim seit Jahren zusammen gewirkt: du hast mir alle Pläne des großen Narses im Entstehen verraten und ich hab es dir wohl vergolten: du bist jetzt ein reicher Mann.«
»O, nicht der Rede wert.«
»Bitte, Undankbarer, das weiß mein Schatzmeister besser. Du bist sehr reich.«
»Wohl, aber ohne Rang und Würde. Meine Studiengenossen sind Patrizier, Präfekten, große Herren in Morgen- und Abendland: so Cethegus in Rom, Prokopius in Byzanz.«
»Geduld. Vom heutigen Tage an wirst du die Leiter der Ehren rasch erklimmen. Ich mußte doch immer etwas zu geben behalten. Höre: du gehst morgen als Gesandter nach Ravenna.«
»Als kaiserlicher Gesandter?« rief Petros freudig.
»Durch meine Verwendung. Aber das ist nicht alles.
Du erhältst von Justinian ausführliche Anweisungen, das Gotenreich zu verderben, Belisar den Weg nach Italien zu bahnen.«
»Diese Anweisungen – befolg' ich oder vereitl' ich?«
»Befolgst du. Aber du erhältst noch einen Auftrag, den dir Justinian ganz besonders ans Herz legen wird: die Tochter Theoderichs um jeden Preis aus der Hand ihrer Feinde zu retten und nach Byzanz zu bringen. Hier hast du einen Brief [] von mir, der sie dringend einladet, an meiner Brust ein Asyl zu suchen.« –
»Gut,« sagte Petros, den Brief einsteckend, »ich bringe sie also sofort hierher.«
Da schnellte Theodora wie eine springende Schlange vom Lager auf, daß Galatea erschrocken zurückfuhr.
»Bei meinem Zorn, Petros, nein. Dich send' ich deshalb. Sie darf nicht nach Byzanz, sie darf nicht leben!«
Bestürzt ließ Petros den Brief fallen. »O Kaiserin,« flüsterte er – »ein Mord!«
»Still, Rhetor,« sprach Theodora mit heiserer Stimme und unheimlich funkelten ihre Augen. »Sie muß sterben.«
»Sterben? O Kaiserin, warum?«
»Warum? das hast du nicht zu fragen. Doch halt: – du sollst es wissen, es gibt deiner Feigheit einen Sporn – wisse –« und sie faßte ihn wild am Arme und raunte ihm ins Ohr: »Justinian, der Verräter, fängt an, sie zu lieben.«
»Theodora!« rief der Rhetor erschrocken und trat einen Schritt zur Seite.
Die Kaiserin sank auf die Kline zurück.
»Aber er hat sie ja nie gesehen!« stammelte sich fassend Petros.
»Er hat ihr Bild gesehen: er träumt bereits von ihr, er glüht für dieses Bild.«
»Du hast nie eine Rivalin gehabt.«
»Ich werde dafür wachen, daß ich keine erhalte.«
»Du bist so schön.«
»Amalaswintha ist jünger.«
»Du bist so klug, bist seine Beraterin, die Vertraute seiner geheimsten Gedanken.«
»Das eben wird ihm lästig. Und« – sie ergriff wieder seinen Arm »merke wohl: sie ist eine Königstochter! eine geborne Herrscherin, ich des Löwenwärters plebejisch Kind. Und – so wahnwitzig lächerlich es ist! – Justinian vergißt [] im Purpurmantel, daß er des dardanischen Ziegenhirten Sohn. Er hat den Wahnsinn der Könige geerbt, er, selbst ein Abenteurer, er faselt von angebornen Majestät, von dem Mysterium königlichen Bluts. Gegen solche Grillen hab' ich keinen Schutz: von allen Weibern der Erde fürchte ich nichts: aber diese Königstochter – –«
Sie sprang zürnend auf und ballte die kleine Hand.
»Hüte dich, Justinian!« sagte sie, durchs Gemach schreitend. »Theodora hat mit diesem Auge, mit dieser Hand Löwen und Tiger bezaubert und beherrscht: laß sehen, ob ich nicht diesen Fuchs im Purpur in Treue erhalten kann.« Sie setzte sich wieder.
»Kurz, Amalaswintha stirbt,« sagte sie, plötzlich wieder kalt geworden.
»Wohl,« erwiderte der Rhetor, »aber nicht durch mich. Du hast der blutgewohnten Diener genug. Sie sende; ich bin ein Mann der Rede. –«
»Du bist ein Mann des Todes, wenn du nicht gehorchst. Gerade du, mein Feind mußt es tun: keiner meiner Freunde kann es ohne Verdacht.«
»Theodora,« mahnte der Rhetor sich vergessend, »die Tochter des großen Theoderich ermorden, eine geborne Königin – –«
»Ha,« lachte Theodora grimmig, »auch dich Armseligen blendet die geborne Königin. Narren sind die Männer alle, noch mehr als Schurken! Höre, Petros, an dem Tage, da die Todesnachricht aus Ravenna eintrifft, bist du Senator und Patricius.«
Wohl blitzte des Alten Auge. Aber Feigheit oder Gewissensangst war doch mächtiger als der Ehrgeiz. »Nein,« sagte er entschlossen, »lieber lasse ich den Hof und alle Pläne.«
»Das Leben läss'st du, Elender!« rief Theodora zornig. »Oh, du wähntest, du seiest frei und ungefährdet, weil ich damals vor deinen Augen die gefälschte Urkunde verbrannt? Du Tor! es war die rechte nicht! Sieh her – hier halte ich dein Leben.«
[] Und sie riß aus einer Capsula voller Dokumente ein vergilbtes Pergament. Sie zeigte es dem Erschrocknen, der jetzt willenlos in die Kniee brach.
»Befiehl,« stammelte er, »ich gehorche.«
Da pochte man an die Haupttüre.
»Hinweg,« rief die Kaiserin. »Hebe meinen Brief an die Gotenfürstin vom Boden auf und bedenk es wohl: Patricius, wenn sie stirbt, Folter und Tod, wenn sie lebt. Fort.«
Und Galatea schob den Betäubten durch den geheimen Eingang hinaus, drehte den bronzenen Justinian wieder an seine Stelle und ging, die Haupttür aufzutun.
Neunzehntes Kapitel.
Herein trat eine stattliche Frau, größer und von gröberen Formen als die kleine, zierliche Kaiserin, nicht so verführerisch schön, aber jünger und blühender, mit frischen Farben und ungekünstelter Art.
»Gegrüßt, Antonina, geliebtes Schwesterherz! komm an meine Brust!« rief die Kaiserin der tief sich Verbeugenden entgegen.
Die Gattin Belisars gehorchte schweigend.
»Wie diese Augengruben hohl werden!« dachte sie, sich wieder aufrichtend.
»Was das Soldatenweib für grobe Knöchel hat!« sagte die Kaiserin zu sich selbst, da sie die Freundin musterte. –
»Blühend bist du wie Hebe,« rief sie ihr laut zu, »und wie die weiße Seide deine frischen Wangen hebt! Hast du etwas Neues mitzuteilen von – von ihm?« fragte sie und nahm gleichgültig spielend vom Waschtisch ein gefürchtetes Werkzeug, eine spitze Lanzette an einem Stäbchen von Elfenbein, mit welchem ungeschickte oder auch nur unglückliche Sklavinnen von der [] zürnenden Herrin oft zolltief in Schultern und Arme gestochen wurden.
»Heute nicht,« flüsterte Antonina errötend, »ich hab' ihn gestern nicht gesehn.«
»Das glaub' ich,« lächelte Theodora in sich hinein. »O wie schmerzlich werd' ich dich bald vermissen,« sagte sie, Antoninens vollen Arm streichelnd. »Schon in der nächsten Woche vielleicht wird Belisarius in See stechen und du, treuste aller Gattinnen, ihn begleiten. Wer von euren Freunden wird euch folgen?«
»Prokopius,« sagte Antonina und – setzte sie, die Augen niederschlagend, hinzu – »die beiden Söhne des Boëthius.«
»Ach so,« lächelte die Kaiserin, »ich verstehe. In der Freiheit des Lagerlebens hoffst du dich des schönen Jünglings ungestörter zu erfreuen und indessen Held Belisarius Schlachten schlägt und Städte gewinnt –«
»Du errätst es. Aber ich habe dabei eine Bitte an dich. Dir freilich ward es gut. Alexandros, dein schöner Freund ist zurück: er bleibt in deiner Nähe und er ist sein eigner Herr, ein reifer Mann. Aber Anicius, du weißt es, der Jüngling, steht unter seines ältern Bruders Severinus strenger Hut. Nie würde dieser, der nur Rache an den Barbaren sinnt und Freiheitsschlachten, diese zarte – Freundschaft dulden. Er würde unsern Verkehr tausendfach stören. Deshalb tu' mir eine Liebe: Severinus darf uns nicht folgen. Wenn wir an Bord sind mit Anicius, halte den ältern Bruder in Byzanz zurück mit List oder Gewalt – du kannst es ja leicht – du bist die Kaiserin.«
»Nicht übel,« lächelte Theodora. »Welche Kriegslisten! Man sieht, du lernst von Belisarius.«
Da erglühte Antonina über und über.
»O nenne seinen Namen nicht. Und höhne nicht! Du weißt am besten, von wem ich gelernt, zu tun, worüber man erröten muß.«
[] Theodora schoß einen funkelnden Blick auf die Freundin.
»Der Himmel weiß,« fuhr diese fort, ohne es zu beachten, »Belisar selbst war nicht treuer als ich, bis ich an diesen Hof kam. Du warst es, Kaiserin, die mich gelehrt, daß diese selbstischen Männer, von Krieg und Staat und Ehrgeiz erfüllt, uns, wenn sie einmal unsre Eheherrn, vernachlässigen, uns nicht mehr würdigen, wenn sie uns besitzen. Du hast mich gelehrt, wie es keine Sünde, kein Unrecht sei, die unschuldige Huldigung, die schmeichelnde Verehrung, die der tyrannische Gemahl versagt, von einem noch hoffenden und deshalb noch dienenden Freunde hinzunehmen. Gott ist mein Zeuge, nichts andres als diesen süßen Weihrauch der Huldigung, den Belisar versagt und den mein eitles, schwaches Herz nicht missen kann, will ich von Anicius.«
»Zum Glück für mich wird das sehr bald langweilig für ihn,« sagte Theodora zu sich selbst.
»Und doch – schon dies ist ein Verbrechen, fürcht' ich, an Belisar. O wie ist er groß und edel und herrlich. Wenn er nur nicht allzugroß wäre für dies kleine Herz.« – Und sie bedeckte das Antlitz mit den Händen.
»Die Erbärmliche,« dachte die Kaiserin, »sie ist zu schwach zum Genuß wie zur Tugend.«
Da trat Agave, die hübsche junge Thessalierin, ins Gemach mit einem großen Strauß herrlicher Rosen.
»Von ihm,« flüsterte sie der Herrin zu. – »Von wem?« fragte diese. Aber jetzt sah Antonina auf, und Agave winkte warnend mit den Augen.
Die Kaiserin reichte Antoninen den Strauß, sie zu beschäftigen, »bitte, stell' ihn dort in die Marmorvase.«
Während die Gattin Belisars den Rücken wendend gehorchte, flüsterte Agave: »Nun, von ihm, den du gestern den ganzen Tag hier versteckt gehalten: von dem schönen Anicius –« setzte das holde Kind errötend bei.
[] Aber kaum hatte sie das unvorsichtige Wort gesagt, als sie laut schreiend nach ihrem linken Arme griff. Die Kaiserin schlug sie mit der noch blutigen Lanzette ins Gesicht. »Ich will dich lehren, Augen haben, ob Männer schön sind oder häßlich,« flüsterte sie grimmig. »Du läßt dich in die Spinnstube sperren auf vier Wochen – sogleich – und zeigst dich nie mehr in meinen Vorzimmern. Fort!«
Weinend ging das Mädchen, ihr Haupt verhüllend.
»Was hat sie getan?« fragte Antonina sich wendend.
»Das Riechfläschchen fallen lassen,« sagte Galatea rasch, ein solches von dem Teppich aufhebend. – »Herrin, dein Haar ist fertig.«
»So laß die Ankleiderinnen ein und wer sonst im Vorsaal. – Willst du einstweilen in diesen Versen blättern, Antonina? Es sind die neuesten Gedichte des Arator, ›über die Taten der Apostel,‹ gar erbaulich zu lesen! Zumal hier, die Steinigung des heiligen Stephanos! Aber lies und sprich sein Urteil.«
Galatea öffnete weit die Türe des Haupteingangs: ein ganzer Schwarm von Sklavinnen und Freigelassenen wogte herein. Die einen besorgten das Hinausräumen der gebrauchten Toilettegeräte, andre räucherten mit Kohlenpfännchen und sprengten aus schmalhalsigen Fläschchen Balsam durch das Gemach. Die meisten aber waren um die Person der Kaiserin beschäftigt, die jetzt ihren Anzug vollendete. Galatea nahm ihr den Rosaüberwurf ab. »Berenike,« rief sie, »die milesische Tunika mit dem Purpurstreif und der goldnen Falbel: es ist Sonntag heute.«
Während die erfahrene Alte, die allein das Haar der Kaiserin berühren durfte, die kostbare Goldnadel, mit der Venusgemme im Knopf, künstlich in die Knoten des Hinterhauptes schob, fragte die Kaiserin: »Was gibt es Neues in der Stadt, Delphine?«
[] »Du hast gesiegt, o Herrin!« antwortete die Gefragte, mit den Goldsandalen niederknieend. »Deine Farbe, die Blauen, haben gestern im Zirkus gesiegt über die Grünen zu Roß und Wagen.«
»Triumph!« frohlockte Theodora, »eine Wette von zwei Centenaren Gold, – es ist mein. – Nachrichten? woher? aus Italien?« rief sie einer eben mit Briefen eintretenden Dienerin entgegen.
»Jawohl, Herrin, aus Florentia von der Gotenfürstin Gothelindis, ich kenne das Gorgonensiegel: und von Silverius, dem Diakon.«
»Gib,« sagte Theodora, »ich nehme sie mit in die Kirche. Den Spiegel, Elpis.« – Eine junge Sklavin trat vor mit einer ovalen drei Fuß langen Platte von glänzend poliertem Silber in einem reich mit Perlen besetzten Goldrahmen und getragen von einem starken Fuß von Elfenbein. Die arme Elpis hatte harten Dienst. Sie mußte während der Vollendung des Ankleidens die schwere Platte bei jeder Bewegung der unruhigen Herrin sofort dermaßen drehen, daß diese sich ununterbrochen darin beschauen konnte, und weh ihr, wenn sie einer Wendung zu spät nachfolgte.
»Was gibt es zu kaufen, Zephyris?« fragte die Kaiserin eine dunkelfarbige libysche Freigelassene, die ihr eben die zahme Hausschlange, die in einem Körbchen auf weichem Moose ruhte, zur Morgenliebkosung reichte.
»Ach, nicht viel Besondres,« sagte die Libyerin, »komm, Glauke,« fuhr sie fort, indem sie die blendend weiße golddurchwirkte Chlamys aus der Kleiderpresse nahm und sorgfältig auf den Armen ausgebreitet hielt, bis die Gerufene ihr sie abnahm, mit Einem Wurf der Kaiserin in den schönsten Falten über die Schulter schlug, mit dem weißen Gürtel zusammenfaßte und das eine Ende mit einer Goldspange, die einst die Taube der Venus, jetzt aber im Gegenteil den heiligen [] Geist darstellte, über der weißen Achsel befestigte. Glauke, die Tochter eines athenischen Bildhauers, hatte jahrelang den Faltenwurf studiert, war deshalb von der Kaiserin um viele tausend Solidi angekauft worden und hatte den ganzen Tag über nur dies einzige Geschäft.
»Duftige Seifenkugeln aus Spanien,« berichtete Zephyris, »sind wieder frisch angekommen. Ein neues milesiches Märchen ist erschienen, und der alte Ägypter ist wieder da,« setzte sie leiser hinzu, »mit seinem Nilwasser. Er sagt, es helfe unfehlbar. Die Perserkönigin, die acht Jahre kinderlos – –«
Seufzend wandte sich Theodora ab, ein Schatte flog über das glatte Gesicht. »Schick' ihn fort,« sagte sie, »diese Hoffnung ist vorüber.« –
Und es war einen Augenblick, als wollte sie in trübes Sinnen versinken.
Aber sich aufraffend trat sie, Galateen winkend, zu ihrem Lager zurück, nahm den zerdrückten Eppichkranz, der auf ihrem Kopfkissen lag, und gab ihn der Alten mit den geflüsterten Worten: »für Anicius, schick' es ihm zu. – Den Schmuck, Erigone!« Diese, von zwei andern Sklavinnen unterstützt, trug mühsam die schwere Kiste von Erz herbei, deren Deckel, in getriebnen Figuren die Werkstätte des Vulcanus darstellend, mit dem Siegel der Kaiserin an die Lade befestigt war. Erigone zeigte, daß das Siegel unverletzt und schlug den Deckel auf: neugierig stellte sich da manches Mädchen auf die Fußspitzen, einen Blick von den schimmernden Schätzen zu erhaschen.»Willst du noch die Sommerringe, Herrin?« fragte Erigone. – »Nein,« sprach Theodora wählend, »die Zeit dafür ist um. Gib mir die schwereren, die Smaragden.« Erigone reichte ihr Ohrringe, Fingerring und Armband.
»Wie schön,« sagte Antonina, von ihren frommen Versen aufsehend, »steht das Weiß der Perle zu dem Grün des Steins!«
[] »Es ist ein Schatzstück der Kleopatra,« sagte die Kaiserin gleichgültig, »der Jude hat den Stammbaum der Perle eidlich erhärtet.«
»Aber du zögerst lange,« erinnerte Antonina, »Justinians Goldsänfte harrte schon als ich herauf kam.«
»Ja, Herrin,« rief eine junge Sklavin ängstlich, »der Sklave vor der Sonnenuhr sagte schon die vierte Stunde an. Eile, Herrin.«
Ein Stich mit der Lanzette war die Antwort. »Willst du die Kaiserin mahnen?« Aber Antoninen flüsterte sie zu: »Man muß die Männer nicht verwöhnen: sie müssen immer auf uns warten, wir nie auf sie.
Meinen Straußenfächer, Thais. Geh, Jone, die kappadokischen Sklaven sollen an meine Sänfte treten.«
Und sie wandte sich zum Gehen. »O Theodora,« rief Antonina rasch, »vergiß meine Bitte nicht.«
»Nein,« sagte diese, plötzlich stehenbleibend, »gewiß nicht! Und damit du ganz sicher gehst,« lächelte sie, »leg' ich's in deine eigne Hand. Meine Wachstafel und den Stift.« Galatea brachte sie eilig. Theodora schrieb und flüsterte der Freundin zu: »Der Präfekt des Hafens ist einer meiner alten Freunde. Er gehorcht mir blind. Lies, was ich schreibe: ›An Aristarchos den Präfekten Theodora der Kaiserin‹.
Wenn Severius, des Boëthius Sohn, das Schiff des Belisarius besteigen will, halt' ihn, nötigenfalls mit Gewalt, zurück und sende ihn hierher in meine Gemächer: er ist zu meinem Kämmerer ernannt. Ist's recht so, liebe Schwester?« flüsterte sie.
»Tausend Dank,« sagte diese mit leuchtenden Augen.
»Aber wie,« rief die Kaiserin laut, plötzlich an ihren Hals fassend, »und die Hauptsache hätten wir vergessen? Mein Amulett, den Mercurius! Bitte, Antonina, dort liegt es.« Hastig wandte sich diese, den kleinen goldnen Merkur, den [] besten Geleitsmann, der an seidner Schnur an dem Bette der Kaiserin hing, zu holen. Inzwischen aber strich Theodora schnell das Wort »Severinus« mit dem Goldgriffel aus und schrieb dafür »Anicius«. Sie klappte das Täfelchen zusammen, umschnürte und siegelte es mit ihrem Venusring.
»Hier das Amulett,« sagte Antonina zurückkommend.
»Und hier der Befehl!« lächelte die Kaiserin. »Du magst ihn selbst im Augenblick der Abfahrt an Aristarchos übergeben. Und jetzt,« rief sie, »jetzt auf: in die Kirche.«
Zwanzigstes Kapitel.
In Neapolis, derjenigen Stadt Italiens, über welcher die zu Byzanz aufsteigenden Wetterwolken sich zuerst entladen sollten, ahnte man nichts von einer drohenden Gefahr. Da wandelten damals Tag für Tag an den reizenden Hängen, welche nach dem Posilipp führen, oder an den Uferhöhen im Südosten der Stadt, in vertrautem Gespräch, alle Wonnen jugendlich begeisterter Freundschaft genießend, zwei herrliche Jünglinge, der eine in braunen, der andre in goldnen Locken: die Dioskuren, Julius und Totila.
O schöne Zeit, da es die reine Seele, umweht von der frischen Morgenluft des Lebens, noch unenttäuscht und unermüdet, trunken von der Fülle stolzer Träume, drängt, hinüberzufluten in ein gleich junges, gleich reiches, gleich überschwängliches Gemüt. Da stärkt sich der Vorsatz zu allem Edelsten, der Aufschwung zu dem Höchsten, der Flug bis in die lichte Nähe des Göttlichen wird in der Mitteilung gewagt, in der seligen Gewißheit, verstanden zu sein.
Wenn der Blütenkranz in unsren Locken gewelkt ist und die Ernte unsres Lebens beginnt, mögen wir lächeln über jene Träume der Jünglingszeit und Jünglingsfreundschaft; aber [] es ist kein Lächeln des Spottes; es ist ein Ausdruck von jener Wehmut, mit der wir in nüchterner Herbstluft der süßen, berauschenden Lüfte des ersten Frühlings gedenken. –
Der junge Gote und der junge Römer hatten sich gefunden in der glücklichsten Zeit für einen solchen Bund und sie ergänzten sich wunderbar. Totilas sonnige Seele hatte den vollen Schmelz der Jugend bewahrt: lachend sah er in die lachende Welt: er liebte den Menschen und der Glanz seines wohlwollenden Wesens gewann ihm leicht und rasch alle Herzen. Er glaubte nur an das Gute und des Guten Sieg: traf er das Böse, das Gemeine auf seinem Pfad, so trat er es mit dem heilig lodernden Zorn eines Erzengels in den Staub: durch seine sanfte Natur brach dann, den Helden verratend, die gewaltige Kraft, die in ihr ruhte und nicht eher ließ er ab, bis das verhaßte Element aus seinem Lebenskreise getilgt war. Aber im nächsten Augenblick war dann die Störung wie überwunden so vergessen und harmonisch wie seine Seele fühlte er ringsum Welt und Leben. Stolz und froh empfand er die Vollkraft seiner Jugend und jauchzend drückte er das goldne Dasein an die Brust. Singend schritt er durch die wimmelnden Straßen von Neapolis, der Abgott der Mädchen, der Stolz seiner gotischen Waffenfreunde, wie ein Gott der Freude, beglückend und beglückt.
Der helle Zauber seines Wesens teilte sich selbst der stilleren Seele seines Freundes mit. Julius Montanus, zart und sinnig angelegt, eine fast weibliche Natur, früh verwaist und von Cethegus' hochüberlegnem Geist eingeschüchtert, in Einsamkeit und unter Büchern aufgewachsen, von der trostlosen Wissenschaft jener Zeit mehr belastet als gehoben, sah das Leben ernst, fast wehmütig an. Ein Zug zur Entsagung und die Neigung, alles Bestehende an dem strengen Maß übermenschlicher Vollendung zu messen, lag in ihm und mochte sich leicht bis zur Schwermut verdüstern. Zur glücklichen [] Stunde fiel Totilas sonnige Freundschaft in seine Seele und erhellte sie bis in ihre tiefsten Falten so mächtig, daß seine edle Natur auch von einem schweren Schlage sich wieder elastisch aufrichten konnte, den eben diese Freundschaft auf sein Haupt ziehen sollte.
Hören wir ihn selbst darüber an den Präfekten berichten:
»Cethegus dem Präfekten Julius Montanus.
Die kaltherzige Antwort, die Du auf den warmgefühlten Bericht von meinem neuen Freundschafts-Glück erteiltest, hat mir zuerst – gewiß gegen Deine Absicht – sehr wehe getan, später aber das Glück eben dieser Freundschaft erhöht, freilich in einer Weise, welche Du weder ahnen noch wünschen konntest.
Der Schmerz durch Dich hat sich bald in Schmerz um Dich verwandelt. Wollte es mich anfangs kränken, daß Du meine tiefste Empfindung als die Schwärmerei eines kranken Knaben behandeltest und die Heiligtümer meiner Seele mit bittrem Spott antasten wolltest – nur wolltest, denn sie sind unantastbar, – so ergriff mich doch statt dessen bald das Gefühl des Mitleids mit Dir. Wehe, daß ein Mann wie Du, so überreich an Kräften des Geistes, darbest an den Gütern des Herzens. Wehe, daß Du die Wonne der Hingebung nicht kennst und jene opferfreudige Liebe, die ein von Dir mehr verspotteter als verstandner Glaube, den mir jeder Tag des Schmerzes näher bringt, die caritas, die Nächstenliebe, nennt: Wehe Dir, daß Du das Herrlichste nicht kennst! Vergib die Freiheit dieser meiner Rede: ich weiß, ich habe noch nie in solchen Worten zu Dir gesprochen: aber erst seit kurzem bin ich, der ich bin. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat noch Dein letzter Brief Spuren von Knabenhaftigkeit an mir gegeißelt. Ich glaube, sie sind seitdem verschwunden, und ein Verwandelter sprech' ich zu Dir. Dein Brief, Dein Rat, Deine ›Arznei‹ hat mich allerdings zum Manne gereift, aber nicht in Deinem Sinn und nicht nach Deinem Wunsch. Schmerz, heiligen, läuternden Schmerz [] hat er mir gebracht, er hat diese Freundschaft, die er verdrängen sollte, auf eine harte Probe gestellt, aber, der Güte Gottes sei's gedankt, er hat sie im Feuer nicht zerstört, sondern gehärtet für immer.
Höre und staune, was der Himmel aus Deinen Plänen geschaffen hat.
Wie wehe mir Dein Brief getan – in alter Gewohnheit des Gehorsams befolgte ich alsbald seinen Auftrag und suchte Deinen Gastfreund auf, den Purpurhändler Valerius Procillus. Er hatte bereits die Stadt verlassen und seine reizende Villa bezogen. Ich fand an ihm einen vielerfahrnen Mann und einen eifrigen Freund der Freiheit und des Vaterlandes: in seiner Tochter Valeria aber ein Kleinod.
Du hattest recht prophezeit. Meine Absicht, mich gegen sie zu verschließen, zerschmolz bei ihrem Anblick wie Nebel vor der Sonne: mir war, Elektra oder Kassandra, Clölia oder Virginia stehe vor mir. Aber mehr noch als ihre hohe Schönheit bezauberte mich der Schwung ihrer unsterblichen Seele, die sich alsbald vor mir auftat. Ihr Vater behielt mich sogleich als seinen Gast im Hause und ich verlebte unter seinem Dach mit ihr die schönsten Tage meines Lebens. Die Poesie der Alten ist der Äther ihrer Seele.
Wie rauschten die Chöre des Äschylos, wie rührend tönte Antigones Klage in ihrer melodischen Stimme; stundenlang lasen wir in Wechselrede, und herrlich war sie zu schauen, wann sie sich erhob im Schwunge der Begeisterung, wann ihr dunkles Haar, in freie Wellen gelöst, niederfloß und aus ihrem großen runden Auge ein Feuer blitzte nicht von dieser Welt.
Und – was ihr vielleicht noch tiefen Schmerz bereiten wird – eine Spaltung, die durch all ihr Leben geht, gibt ihr den höchsten Reiz. Du ahnst wohl, was ich meine, da Du seit Jahren das Schicksal ihres Hauses kennst. Du weißt wohl genauer als ich, wie es kam, daß Valeria schon bei ihrer Geburt [] von ihrer frommen Mutter einem ehelosen, einsamen Leben in Werken der Andacht geweiht, dann aber von ihrem reichen und mehr römisch als christlich gesinnten Vater um den Preis einer Kirche und eines Klosters, die er baute, losgekauft worden ist. Aber Valeria glaubt, daß der Himmel nicht totes Gold nehme für eine lebendige Seele: sie fühlt sich der Bande jenes Gelübdes nicht ledig, deren sie ewig, aber nur in Furcht, nicht in Liebe, gedenkt.
Denn Du hattest recht als Du schriebst: sie sei durch und durch ein Kind der alten, der heidnischen Welt. Das ist sie, die echte Tochter ihres Vaters: aber doch kann sie der frommen Mutter entsagend Christentum nicht abtun: es lebt nicht in ihr als ein Segen, es lastet auf ihr als ein Fluch, als der unentrinnbare Zwang jenes Gelübdes. Diesen wundersamen Zwiespalt, diesen verhängnisvollen Widerstreit trägt die edle Jungfrau im Gemüt: er quält sie, aber er veredelt sie zugleich.
Wer weiß, wie er sich lösen wird? der Himmel allein, der ihr Schicksal lenkt. Mich aber zieht dieser innere Kampf mit ernsten Schauern an: Du weißt ja, daß in mir selbst der Christenglaube und die Philosophie in ungeklärter Mischung durcheinander wogen. Zu meinem Staunen hat in diesen Tagen des Schmerzes der Glaube zugenommen und fast will mich bedünken, die Freude führe zu der heidnischen Weisheit, zu Christus aber der Schmerz und das Unglück.
Aber höre wie der Schmerz über mich gekommen.
Anfangs, als ich diese Liebe in mir keimen sah, war ich froher Hoffnung voll. Valerius, vielleicht schon früher von Dir für mich gewonnen, sah meine wachsende Neigung offenbar nicht ungern: vielleicht hatte er nur das an mir auszusetzen, daß ich seinen Traum von der Wiederaufrichtung der römischen Republik nicht eifrig genug teilte und nicht seinen Haß gegen die Byzantiner, in denen er die Todfeinde seines Hauses wie Italiens sieht. Auch Valeria war mir bald freundschaftlich [] geneigt und wer weiß, ob nicht damals die Verehrung gegen den Willen ihres Vaters und diese Freundschaft genügt hätten, sie in meine Arme zu führen. Aber ich danke – soll ich sagen Gott oder dem Schicksal? – daß es nicht so kam: Valeria einer halb gleichgültigen Ehe opfern wäre ein Frevel gewesen. Ich weiß nicht, welches seltsame Gefühl mich abhielt das Wort zu sprechen, das sie in jenen Tagen gewiß zu der Meinen gemacht hätte. Ich liebte sie doch so tief – aber so oft ich mir ein Herz fassen und bei ihrem Vater um sie werben wollte, immer beschlich mich ein Gefühl, als tu' ich unrecht an dem Gut eines andern, als sei ich ihrer nicht würdig oder doch nicht die ihr vom Schicksal zugedachte Hälfte ihrer Seele, und ich schwieg und bezähmte das pochende Herz.
Einstmals um die sechste Stunde – schwül brannte die Sonne rings auf Land und Meer – suchte ich Schatten in der kühlen Marmorgrotte des Gartens. Ich trat ein durch das Oleandergebüsch: da lag sie schlafend auf der weichen Rasenbank, die eine Hand auf dem leise wogenden Busen, der linke Arm unter dem edeln Haupt, das noch vom Frühmahl her der schöne Asphodeloskranz schmückte. Ich stand bebend vor ihr: so schön war sie noch nie gewesen, ich beugte mich über sie und staunte die edeln, wie in Marmor gebildeten Züge an: heiß schlug mein Herz, ich beugte mich über sie, diese roten feingeschnittenen Lippen zu küssen.
Da fiel mir's plötzlich zentnerschwer aufs Herz: es ist ein Raub, was du begehen willst. Totila! rief unwillkürlich meine ganze Seele und still, wie ich gekommen, schlich ich fort.
Totila! Was war er mir nicht früher eingefallen?
Ich machte mir Vorwürfe, den Bruder meines Herzens über dem neuen Glück fast vergessen zu haben.
Deine Prophezeiung, Cethegus, dachte ich, soll sich nicht erfüllen: diese Liebe soll mich dem Freunde nicht entfremden. Er soll Valeria sehen, gleich mir bewundern, meine Wahl lobpreisen, [] und dann, dann will ich werben, und Totila soll glücklich sein mit uns.
Andern Tages ging ich nach Neapolis zurück, ihn zu holen. Ich pries ihm den Schimmer des Mädchens, aber ich vermochte es nicht über mich, ihm von meiner Liebe zu sprechen. Er sollte sie sehen und alles erraten. Wir fanden sie bei unsrer Ankunft nicht in den Zimmern der Villa. So führte ich Totila in den Garten – Valeria ist die eifrigste Pflegerin der Blumen – wir bogen, Totila voran, aus einem dichten Taxusgang: da schimmerte uns ihre Erscheinung plötzlich entgegen: sie stand vor einer Statue ihres Vaters und kränzte sie mit frischgepflückten Rosen, die sie, hoch aufgehäuft in der Busenfalte der Tunika, mit der Linken auf der Brust zusammenhielt.
Es war ein überraschend schönes Bild: die herrliche Jungfrau, in dem Grün des Taxus gleichsam eingerahmt, vor dem weißen Marmor, die Rechte anmutvoll erhebend: und mächtig wirkte die Erscheinung auf Totila: mit einem lauten Ruf des Staunens blieb er sprachlos, ihr gerade gegenüber, stehen.
Sie sah auf und zuckte erschrocken, wie blitzgetroffen, zusammen: die Rosen fielen in dichten Flocken aus ihrem Gewand: sie sah es nicht: ihre Augen hatten sich getroffen, ihre Wangen erglühten – ich sah mit Blitzesschnelle ihr Geschick und mein Geschick entschieden.
Sie liebten sich beim ersten Anblick.
Schmerzlich, wie ein brennender Pfeil, durchdrang die Gewißheit meine Seele. Aber doch nur einen Augenblick herrschte der Schmerz ungemischt in meiner Brust. Sofort, wie ich die beiden betrachtete, die herrlichen Gestalten, empfand ich neidlose Freude, daß sie sich gefunden: denn es war, wie wenn die Macht, die der Sterblichen Leiber bildet und Seelen, sie aus Einem Stoff füreinander geschaffen: wie Morgensonne und Morgenröte schimmerten sie ineinander und jetzt erkannte ich auch das dunkle Gefühl, das mich wie ein Vorwurf von Valeria [] fern gehalten, das mir seinen Namen auf die Lippen geführt hatte: sein sollte Valeria werden nach Gottes Ratschluß oder dem Gang der Sterne und ich sollte nicht zwischen sie treten.
Erlaß mir, das Weitere zu berichten. Denn so selbstisch ist mein Sinn geartet, so wenig Macht hat noch die heilige Lehre des Entsagens über mich gewonnen, daß – ich schäme mich, das zu gestehen – daß mein Herz auch jetzt noch manchmal schmerzlich zuckt, statt freudig zu schlagen für das Glück der Freunde.
Rasch und unscheidbar, wie zwei Flammen ineinander lodern, schlugen ihre Seelen zusammen. Sie lieben sich und sind glücklich wie die seligen Götter: mir ist die Freude geblieben, ihr Glück zu schauen und ihnen beizustehen, es noch vor dem Vater zu verbergen, der sein Kind wohl schwerlich dem ›Barbaren‹ schenken wird, solang er in Totila nur den ›Barbaren‹ sieht.
Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt' ich vor dem Freunde tief verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glänzend Glück nur trüben könnte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von Deinem Ziel ein Gott Deinen Plan gewendet. Mir hast Du jenes Kleinod Italiens bringen wollen und hast es Totila zugeführt. Meine Freundschaft hast Du zerstören wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen durch der Liebe Glück – ich bin's geworden durch der Liebe Schmerz.
Lebe wohl und verehre das Walten des Himmels.«
[] Einundzwanzigstes Kapitel.
Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Präfekten auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer Abendspaziergänge an den reizenden Ufergeländen von Neapolis.
Sie wandelten nach der früh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines römischen Imperators über germanische Stämme verherrlichte.
Totila blieb stehen und bewunderte die schöne Arbeit.
»Wer ist wohl der Kaiser,« fragte er den Freund, »dort auf dem Siegeswagen, mit dem geflügelten Blitz in der Hand, wie ein Jupiter Tonans?« – »Es ist Marc Aurel,« sagte Julius und wollte weitergehen. – »O bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden Haaren, die den Wagen ziehn?«
»Es sind Germanenkönige.« – »Doch welches Stammes,« fragte Totila weiter – »sieh da, eine Inschrift: ›Gothi extincti!‹ ›Die Goten vernichtet!‹«
Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsäule und schritt rasch durch das Tor. »Eine Lüge in Marmor?« rief er rückwärts blickend. »Das hat der Imperator nicht gedacht, daß einst ein gotischer Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Lügen straft.« – »Ja, die Völker sind wie die wechselnden Blätter am Baume,« sagte Julius nachdenklich; »wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?« Totila blieb stehen. »Nach uns?« fragte er erstaunt. – »Nun, du wirst doch nicht glauben, daß deine Goten ewig dauern werden unter den Völkern?«
»Das weiß ich doch nicht,« sagte Totila langsam fortschreitend. – »Mein Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen will, auch wir Römer hatten [] ihre zugemessene Zeit: sie blühten, reiften und vergingen. Soll's anders sein mit den Goten?«
»Ich weiß das nicht,« sagte Totila unruhig, »ich habe den Gedanken nie gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, daß eine Zeit kommen könnte, da mein Volk« – – er hielt inne, als sei es Sünde, den Gedanken auszudenken. »Wie kann man sich dergleichen vorstellen! ich denke daran so wenig wie – wie an den Tod!«
»Das sieht dir gleich, mein Totila!«
»Und dir sieht es gleich, dich und andre mit solchen Träumereien zu quälen.«
»Träumereien! Du vergißt, daß es für mich, für mein Volk schon Wirklichkeit geworden. Du vergißt, daß ich ein Römer bin. Und ich kann mich nicht darüber täuschen, wie die meisten tun: es ist vorbei mit uns. Das Zepter ist von uns auf euch übergegangen; glaubst du, es lief so ohne Schmerz, ohne Nachsinnen für mich ab, in dir, meinem Herzensfreund, den Barbaren, den Feind meines Volkes zu vergessen?«
»Das ist nicht so, beim Glanz der Sonne!« fiel Totila eifrig ein. »Find' ich auch in deiner milden Seele den herben Wahn? Blick' doch nur um dich! Wann, sage mir, wann hat Italien herrlicher geblüht als unter unsrem Schilde? Kaum in den Tagen des Augustus. Ihr lehrt uns Weisheit und Kunst, wir leihen euch Friede und Schutz. Kein schöneres Wechselverhältnis läßt sich denken! Die Harmonie zwischen Römern und Germanen kann eine ganz neue Zeit erschaffen, schöner als je eine bestanden.«
»Die Harmonie! aber sie ist nicht da. Ihr seid uns ein fremdes Volk, geschieden durch Sprache und Glaube, durch Stammes- und Sinnesart und durch halbtausendjährigen Haß.
Wir brachen früher eure Freiheit, ihr jetzt die unsre; zwischen uns gähnt eine ewige Kluft.« – »Du verwirfst den Lieblingsgedanken meiner Seele.«
[] »Er ist ein Traum!« – »Nein, er ist Wahrheit, ich fühl' es und vielleicht kömmt noch die Zeit, dir's zu beweisen. Das Werk meines ganzen Lebens bau' ich drauf.« – »So wär's auf einen edeln Wahn gebaut. Keine Brücke zwischen Römern und Barbaren!« – »Dann,« sagte Totila heftig, »begreif' ich nicht, wie du leben kannst, wie du mich –«
»Vollende nicht,« sagte Julius ernst. »Es war nicht leicht: es war die schwerste der Entsagungen! Erst nach hartem Widerstreit der Selbstsucht ist sie mir gelungen: aber endlich hab' ich aufgehört, in meinem Volk allein zu leben. Der heil'ge Glaube, der jetzt schon – und er allein vermag's – Römer und Germanen verbindet, der meinen widerstrebenden Verstand durch lauter Schmerzen – Schmerzen, die Freuden sind – allmählich immer mächtiger umschlingt, er hat mir auch in diesem Zwiespalt Friede gebracht. In diesem Einen darf ich mich jetzt schon rühmen, ein Christ zu sein: ich lebe der Menschheit, nicht meinem Volk allein, ein Mensch, kein bloßer Römer mehr. Darum kann ich dich, den Barbaren, lieben wie einen Bruder: sind wir doch Bürger Eines Reichs: der Menschheit.
Darum kann ich es ertragen, zu leben, nachdem ich mein Volk gestorben sehe. Ich lebe der Menschheit: sie ist mein Volk!«
»Nein,« rief Totila lebhaft, »das könnt' ich nimmermehr. In meinem Volk allein kann ich und will ich leben: meines Volkes Art ist die Luft, in der allein meine Seele atmen kann. Warum soll'n wir nicht dauern können, ewig: oder doch solang diese Erde dauert? Was Perser und Griechen! Wir sind von besserem Stoff. Weil sie dahinsiechten und versanken, müssen darum auch wir siechen und versinken? Noch blühn wir in voller Jugendkraft! Nein, wenn ein Tag kömmt, da die Goten sinken – mög' ihn mein Auge nicht mehr sehn. O all ihr Götter, laßt uns nur nicht dahinkranken jahrhundertelang wie diese Griechen, die nicht leben können und nicht sterben! Nein, muß es sein, so sendet ein furchtbar Kampfgewitter [] und laßt uns rasch und herrlich fallen, alle, alle und mich voran!«
Der Jüngling hatte sich in die wärmste Begeisterung gesprochen. Er sprang empor von der Marmorbank auf der Straße, darauf sie sich niedergelassen, den Lanzenschaft hoch gen Himmel erhebend.
»Mein Freund,« sagte Julius, ihn liebevoll anblickend, »wie schön steht dir dieser Eifer! Aber bedenke, ein solcher Kampf würde mit uns, mit meinem Volk entbrennen und sollte ich –?«
»Zu deinem Volke sollst du stehn mit Leib und Seele, das ist klar, wenn es jemals zu solchem Kampfe kömmt. Du glaubst, das würde unsrer Freundschaft Eintrag tun? mit nichten! Zwei Helden können sich knochentiefe Wunden hau'n und dabei doch die besten Freunde sein. Ha, mich würd' es freuen, dich in einer Schlachtreihe mir entgegenschreiten sehn mit Schild und Speer!«
Julius lächelte. »Meine Freundschaft ist nicht so grimmiger Art, du wilder Gote. – Diese Fragen und Zweifel haben mich lange und bitter gequält und all meine Philosophen zusammen haben mir nicht den Frieden gebracht. Erst seit ich's in Schmerzen erfahren, daß ich dem Gott im Himmel allein zu dienen habe und auf Erden der Menschheit und nicht Einem Volk –«
»Gemach, Freund,« rief Totila, »wo ist denn die Menschheit, von der du schwärmst? Ich sehe sie nicht. Ich sehe nur Goten, Römer, Byzantiner! Eine Menschheit über den wirklichen Völkern, irgendwo in den Lüften, kenn' ich nicht. Ich diene der Menschheit, indem ich meinem Volke lebe. Ich kann gar nicht anders! ich kann nicht die Haut abstreifen, darin ich geboren bin. Gotisch denk' ich, in gotischen Worten, nicht in einer allgemeinen Sprache der Menschheit; die gibt es nicht. Und wie ich nur gotisch denke, kann ich auch nur gotisch fühlen. Ich kann das Fremde anerkennen, o ja. Ich bewundre eure [] Kunst, euer Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles so streng geordnet ist.
Wir können vieles von euch lernen – aber tauschen könnt' ich und möcht ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten! Im Grund des Herzens sind mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden.«
»Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Römer!«
»Du bist kein Römer! vergib, mein Freund, es gibt schon lange keine Römer mehr. Sonst wär' ich nicht der Seegraf von Neapolis! So wie du kann nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muß jeder fühlen, der eines lebendigen Volkes ist.«
Julius schwieg eine Weile. »Und wenn dem so ist – wohl mir! Heil, wenn ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Völker, was ist der Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo alles anders ist als hier.«
»Halt ein, mein Julius,« sprach Totila, stehenbleibend, die Lanze auf den Boden stoßend. »Hier, auf Erden, hab' ich festen Grund, hier laß mich stehn und leben, hier nach Kräften das Schöne genießen, das Gute schaffen nach Kräften. In deinen Himmel kann und will ich dir nicht folgen. Ich ehre deine Träume, ich ehre deine heil'ge Sehnsucht – aber ich teile sie nicht. Du weißt,« fügte er lächelnd hinzu, »ich bin ein Heide, unverbesserlich, wie meine Valeria – unsere Valeria. Zur rechten Stunde denk' ich ihrer. Deine erdenflücht'gen Träume ließen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurückgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Süden und ich soll noch vor Nacht die bestellten Sämereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter Gärtner,« lächelte er, »der seiner Blume vergäße. Leb wohl – ich biege rechts hinab.«
[] »Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.«
»Was liesest du jetzt? Noch Platon?«
»Nein, Augustinus. Lebe wohl!«
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Rasch eilte Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Tores, mit starken Mauern und massiv gewölbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren zwei niedre, aber breite Gelasse zur Wohnung des Türmers bestimmt.
Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind.
In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strenger Ordnung die großen schweren Schlüssel zu den Haupttüren und den Nebenpforten des wichtigen Torgebäudes, dann das krumme Wächterhorn und der breite, hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse.
Er hielt einen langen Stab zwischen den Knieen, und aufmerksam hörte er den Worten eines jungen, unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des jüdischen Stammes lag.
»Sieh, Vater Isak,« schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, »meine Rede ist keine eitle Rede und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern [] aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab' ich mit mir gebracht Brief und Urkund für jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien, jährlich fünfzig Goldsoldi und für jedes neue Werk zehn Soldi besonders. Eben erst hab' ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstücke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gib mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.«
Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam das Haupt. »Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn – ich sage dir, laß ab, laß ab.«
»Warum? was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?«
»Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehn, daß sich die Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir selbst, ob du passest für Miriam, mein Kind.«
Und er schob mit seinem langen Stock sachte den grünwollenen Vorhang zur Seite, der das vordere Gemach abschloß.
Leise silberne Töne waren schon herübergeklungen in das Gespräch der Männer: jetzt sah man in den einfachen aber gefälligen Raum. An dem weiten Rundbogenfenster, das über die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Mädchen, ein fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von überraschender Schönheit. Glühend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne noch in das hochgelegene [] Gemach und übergoß wie das weiße Faltengewand so das edel geschnittene Profil des Mädchens mit purpurnem Schimmer: es spielte auf dem glänzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr zurückgestrichen, die edeln Schläfe zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden träumerischen Blick aus diesen dunkelblauen Augen, die, in weiches Sinnen versunken, über die Stadt und das Meer hinschweiften. »Dunkelmeeresblau« hatte diese Augen Piso, der Dichter, genannt. –
Wie im halben Traum berührten die Finger nur leise, leise die Saiten, während von den halbgeöffneten Lippen, geflüstert mehr als gesungen, eine alte, melancholische Weise klang:
»Nicht mehr zu weinen hat!« wiederholte sie träumend und neigte das Haupt auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbrüstung hielt.
»Sieh hin,« sprach der Alte leise, »ist sie nicht lieblich wie die Rose in den Gärten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram und ist kein Fehl an ihrem Leibe?«
Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch mit der Hand über die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter.
Jochem trat an das Fenster und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten. »Ha, der Christ, der gottverfluchte,« knirschte er und ballte die Faust. »Schon wieder der blonde Gote mit dem unbändigen Stolz! Vater Isak, ist das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin paßt?« – »Sohn, rede nicht Hohnwort wider Isak! Du weißt ja, der Jüngling hat sein Herz [] gesetzt auf ein Römermädchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda.«
»Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!«
»Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten Jagd, welche die verdammten Römer machten auf die Schätze und Goldhaufen von Israel, und als sie niederbrannten die heil'ge Synagoge mit unheiligem Feuer, wie da eine Rotte dieser bösen Buben mein armes Kind aufjagte auf der Straße, wie ein Rudel Wölfe das weiße Lamm, und zerrten ihr den Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: – wo war da Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der Gefahr mit hurtigen Füßen und ließ die Taube in den Krallen der Geier!«
»Ich bin ein Mann des Friedens,« sagte Jochem unbehaglich, »meine Hand führt nicht das Schwert der Gewalt.«
»Aber Totila führt es, wie einst der Löwe Juda und der Herr ist mit ihm. Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Räuber und schlug den frechsten mit der Schärfe des Schwertes und verscheuchte die andern, wie der Turmfalk die Krähen, und hüllte sorglich den Schleier über mein bebendes Kind und stützte ihren wankenden Schritt und führte sie heim, ungeschädigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehova der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades.«
»Nun wohl,« sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, »ich gehe, diesmal für lange Zeit. Ich reise über das große Wasser zu machen ein groß Geschäft.«
»Ein groß Geschäft? Mit wem?«
»Mit Justinianus, dem Kaiser über Morgenland. Es ist eingestürzt ein Stück der großen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt des Konstantin. Ich hab' [] entworfen Plan und saubern Grundriß, wieder aufzubauen das Gebäude.«
Heftig sprang der Alte auf und stieß seinen Stab auf den Boden: »Wie, Jochem, Sohn Rachels, dem Römer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in Asche gelegt den Tempel des Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des frommen Manasse? Wehe, wehe über dich!« – »Was rufest du Wehe und weißt nicht warum? Riechst du's dem Goldstück an, ob es kommt aus der Hand des Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer und glänzt es nicht gleich lieblich?«
»Sohn Manasses, du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon.«
»Aber du selbst, dienst du nicht den Ungläubigen? Seh ich nicht das Wächterhorn an der Wand deines Hauses? führst du nicht die Schlüssel für diese Goten und tust ihnen auf und zu die Pforten für ihren Ausgang und Eingang und hütest die Burg ihrer Stärke?«
»Ja, das tu' ich,« sagte der Alte stolz, »und wachen will ich für sie treulich, Tag und Nacht, wie der Hund für den Herrn, und solang Isak Odem hat, der Sohn Ruben, soll kein Feind dieses Volkes schreiten durch dies Tor. Denn Dank schulden die Kinder Israel ihnen und ihrem großen König, der weise war wie Salomo und wie Gideons war sein Schwert! Dank wie unsre Väter dem großen König Cyrus, der sie befreiet hat aus Babylon. Die Römer haben gebrochen den Tempel des Herrn und zerstreut sein Volk über das Angesicht der Erde. Sie haben uns verspottet und geschlagen und verbrannt unsre heiligen Stätten und geplündert unsre Truhen und verunreinigt unsre Häuser und gezwungen unsre Weiber überall in ihren Landen und haben geschrieben gegen uns manch grausam Gesetz. Da kam dieser große König von Mitternacht, dessen Samen Jehova segne, und hat wieder aufgebaut unsre Synagogen: [] und wenn sie die Römer niederrissen, mußten sie alles wieder aufrichten mit eigner Hand und eignem Gelde, und er hat beschützt den Frieden unsrer Dächer und wer Einen schädigte aus Israel, der mußte es büßen, wie wer einen Christen gekränkt. Er hat uns gelassen unsern Gott und unsern Glauben und hat beschirmt unsre Schritte auf den Straßen unsres Handels und wir feierten das Passah in Frieden und Freude, wie nicht mehr seit den Tagen, da der Tempel noch stand auf den Höhen von Zion. Und als ein Großer unter den Römern mir mit Gewalt meine Sarah geraubt, mein Weib, ließ ihm König Theoderich das stolze Haupt abschlagen noch am selben Tage und gab mir wieder mein Weib unversehret. Und das will ich gedenken, solange meine Tage dauern und will dienen seinem Volke treu bis zum Tode und man soll wieder sagen, weit in allen Landen: treu und dankbar wie ein Jude.«
»Mögest du nicht Undank ernten von den Goten für deinen Dank,« sagte Jochem, sich zum Gehen rüstend: »mir ist, einmal kömmt die Stunde für mich, wieder um Miriam zu werben, zum letztenmal. Vielleicht, Vater Isak, bist du dann minder stolz.« Und er schritt durch Miriams Gemach zur Treppe hinaus, wo er Totila begegnete. Mit einer häßlichen Verbeugung und einem stechenden Blick drückte sich der Kleine an dem schlanken Goten vorbei, der beim Eintritt in die Türmerwohnung sich tief bücken mußte. Miriam folgte ihm auf dem Fuß.
»Dort hängen deine Gärtnerkleider,« sagte sie, ohne die langen Wimpern aufzuschlagen, »und hier am Fenster hab' ich die Blumen bereitgestellt. Sie liebt die weißen Narzissen, sagtest du neulich. Ich habe weiße Narzissen besorgt. Sie duften lieblich.« Und die melodische Stimme schwieg.
»Du bist ein gutes Mädchen, Miriam,« sagte Totila, den Helm mit den silberweißen Schwanenflügeln abhebend und [] auf den Tisch setzend, »wo ist dein Vater?« – »Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldnen Locken,« sprach der Alte, in das Gemach tretend. – »Gegrüßt, treuer Isak!« rief Totila, warf den langen, glänzendweißen Mantel ab, der ihm von den Schultern floß, und hüllte sich in einen braunen Überwurf, den ihm Miriam von der Wand reichte. »Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene Treue wüßte ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!« – »Dank?« sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und ließ sie leuchtend auf ihm ruhen. »Du hast voraus gedankt für alle Zeit.«
»Nein, Miriam,« sagte der Gote, den braunen, breitkrempigen Filzhut tief in die Stirne ziehend, »ich mein' es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak, wer ist der Kleine, den ich schon öfter hier gesehen und eben wieder begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen, wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt – ich helfe gern.« – »Es fehlt an der Liebe, Herr, bei ihr,« sagte Isak ruhig. – »Da kann ich freilich nicht helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewählt – ich möchte gern etwas tun für meine Miriam.« Und er legte freundlich die Hand auf das glänzende schwarze Haar des Mädchens. Nur leise war die Berührung. Aber wie vom heißen Blitz getroffen fiel Miriam plötzlich auf die Kniee: die Arme über dem Busen kreuzend, und das schöne Haupt tief nach vorn beugend: wie eine tauschwere Blume glitt sie zu den Füßen Totilas nieder.
Dieser trat bestürzt einen Schritt zurück.
Aber im Augenblick war das Mädchen wieder auf: »Verzeih, es war nur eine Rose – sie fiel vor deinen Fuß.«
Sie legte die Blume auf den Tisch und so gefaßt war sie, daß weder ihr Vater noch der Jüngling des Vorfalls weiter achteten.
»Es dunkelt schon, eile Herr,« sprach sie ruhig und reichte [] ihm den Korb mit den Blumen. – »Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich habe ihr viel von dir erzählt und sie fragt mich stets nach dir. Sie möchte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald – heut' ist's wohl das letztemal, daß ich diese Vermummung brauche.«
»Willst du sie entführen, die Tochter von Edom?« rief der Alte. »Bring sie nur hierher! hier ist sie wohl geborgen.«
»Nein,« fiel Miriam ein, »nicht hierher, nein, nein!«
»Weshalb nicht, du seltsames Kind?« zürnte der Alte.
»Das ist kein Raum für seine Braut – dies Gemach – es brächte ihr kein Heil.« – »Beruhigt euch,« sagte Totila, schon an der Türe, »offne Werbung soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl.« Und er schritt hinaus. Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schlüssel von der Wand; er folgte, ihm zu öffnen und die Abendrunde längs allen Pforten des großen Torbaues zu machen.
Miriam blieb oben allein.
Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben Stelle. Endlich strich sie mit beiden Händen über Schläfe und Wangen und schlug die Augen auf. Still war's im Gemach; durch das offene Fenster glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen Mantel, der in langen Falten über dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf den weißen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heißen Küssen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf dem Tische stand, sie umfaßte ihn mit beiden Armen und drückte ihn zärtlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile träumend vor sich hin: endlich – sie konnte nicht – wiederstehen – hob sie ihn rasch auf und setzte ihn auf das schöne Haupt: sie zuckte als die Wölbung ihre Stirn berührte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schläfen und drückte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Händen an die glühende Stirn, [] Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu umblickend, auf seinen frühern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht. Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen aus in der alten Weise:
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas rascher, sehnsuchtbeflügelter Schritt alsbald die Villa des reichen Purpurhändlers, die etwa eine Stunde vor dem Capuanischen Tor gelegen war, erreicht.
Der Türstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen Valerias, dem die Sorge für die Gärten überlassen war. Dieser, der Vertraute der Liebenden, nahm dem Gärtnerburschen die Blumen und Sämereien ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhändler von Neapolis brachte, und geleitete ihn in sein gewöhnliches Schlafgemach im Erdgeschoß, dessen niedrige Fenster in den Garten führten: am andern Morgen noch vor Aufgang der Sonne – so wollte es die Geheimlehre der antiken Gärtnerei – müßten die Blumen eingesetzt werden, auf daß das erste Sonnenlicht, das sie in dem neuen Boden träfe, das segenbringende der Morgensonne sei. –
Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen Nachtmahl verabschieden konnte.
[] Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den Vorhang zurück, der die Fensteröffnung schloß; stille war's in dem weiten Garten. In der Ferne plätscherte nur leise der Springbrunnen und Zikaden zirpten in den Myrtengebüschen: der warme üppige Südwind strich in schwülem Hauch durch die Nacht, stoßweise ganze Wolken von Wohlgerüchen aus Rosenbäumen auf seinen Fittichen mit sich führend: und weithin aus dem Pinienwäldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der tiefgezogene heiße Schlag der Nachtigall.
Endlich hielt sich Totila nicht länger. Geräuschlos schwang er sich über die Marmorbrüstung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen Schritten der weiße Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebüsche dahineilte. Vorüber an den dunkeln Taxusgängen und den Lauben von dichten Oliven, vorüber an der hohen Statue der Flora, deren weißer Marmor geisterhaft im Mondlicht schimmerte, vorüber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den Wasserstrahl hoch aus den Nüstern bliesen, rasch eingebogen in den dicht verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden und nun, noch ein Oleandergebüsch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in der die Quellnymphe über einer dunkeln, großen Urne lehnte.
Wie er eintrat, glitt eine weiße Gestalt hinter der Statue hervor.
»Valeria, meine schöne Rose!« rief Totila und umschlang glühend die Geliebte, die leise seinem Ungestüm wehrte. »Laß, laß ab, mein Geliebter,« flüsterte sie, sich seinem Arm entziehend. »Nein, du Süße, ich will nicht von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab' ich dein entbehrt! Hörst du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fühlst du wie der [] warme Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geißblattes Liebe atmet? Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen glücklich sein! O laß sie uns festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug all' ihr Glück zu fassen: all' deine Schönheit, all' unsre Jugend und diese glühende, blühende Sommernacht; in mächtigen Wogen rauscht das volle Leben durch das Herz und will's vor Wonne sprengen.«
»O mein Freund! gern möcht' ich, wie du, aufgehn im Glücke dieser Stunden. Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der üppigen Schwüle dieser Sommernächte: sie dauert nicht: sie brütet Unheil: ich kann nicht glauben an das Glück unsrer Liebe.«
»Du liebe Törin, warum nicht?«
»Ich weiß es nicht: der unselige Zwiespalt, der all mein Leben scheidet, übt seinen Fluch auch hier. Gern möchte mein Herz sich trunken, wie du, diesem Glücke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert nicht – du sollst nicht glücklich sein.«
»So bist du nicht glücklich in meinen Armen?«
»Ja und nein! Das Gefühl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater lastet auf mir. Sieh, Totila, was mich zumeist an dir beglückt ist nicht diese deine jugendschöne Kraft, selbst deine große Liebe nicht. Es ist der Stolz meines Herzens auf deine Seele, auf deine offne, lichte, edle Seele. Ich habe mich gewöhnt, dich klar und hell wie einen Gott des Lichts durch diese dunkle Welt schreiten zu sehen: der edle Mut siegessichrer Kraft, der Schwung, die freudige Wahrhaftigkeit deines Wesens ist mein Stolz: daß alles Kleine, Dumpfe, Gemeine versinken muß, wo du nahest, das ist mein Glück. Ich liebe dich wie eine Sterbliche den Sonnengott, der ihr in Fülle seines Lichts genaht. Und deshalb kann ich an dir nichts Heimliches, Verstecktes dulden. Auch die Wonnen dieser Stunden nicht – sie sind erlistet und es kann nicht länger also sein.«
[] »Nein, Valeria, und es soll auch nicht. Ich fühle ganz wie du. Auch mir ist die Lüge dieser Mummerei verhaßt, ich trage sie nicht länger. Ich bin gekommen, ihr ein Ende zu machen. Morgen, morgen werf ich diese Täuschung ab und spreche zu deinem Vater offen und frei.« – »Dieser Entschluß ist der beste, denn« –
»Denn er rettet dein Leben, Jüngling!« unterbrach plötzlich eine tiefe Stimme und aus dem dunkeln Hintergrund der Grotte trat ein Mann und stieß das blanke Schwert in die Scheide.
»Mein Vater!« rief Valeria überrascht, doch in mutiger Fassung. Totila schlang seinen Arm um sie, sein Kleinod zu verteidigen.
»Hinweg, Valeria, fort von dem Barbaren!« sprach Valerius, befehlend den Arm ausstreckend.
»Nein, Valerius,« sagte Totila, die Geliebte fester an sich drückend, »ihr Platz ist forthin an dieser Brust.«
»Verwegner Gote!«
»Höre mich, Valerius, und zürne uns nicht um dieser Täuschung willen. Du hast es selbst gehört, schon morgen sollte sie enden.«
»Zu deinem Glück hab' ich's gehört. Gewarnt von dem ältesten meiner Freunde, wollt' ich doch kaum glauben, daß meine Tochter – mich hintergeht. Als ich's glauben mußte, beschloß ich, daß dein Blut deine List bezahlen sollte. Dein Entschluß hat dein Leben gerettet. Jetzt aber flieh: du siehst ihr Antlitz niemals wieder.« –
Totilo wollte heftig erwidern, aber Valeria kam ihm zuvor: »Vater,« sprach sie ruhig, zwischen die Männer tretend, »höre dein Kind. Ich will meine Liebe nicht entschuldigen, sie bedarf es nicht, sie ist göttlich und notwendig wie die Sterne: die Liebe zu diesem Mann ist das Leben meines Lebens.
Du kennst meine Seele: Wahrheit ist ihr Äther und ich sage [] dir, bei meiner Seele: nie werd' ich lassen von diesem Mann!« – »Und niemals ich von ihr,« rief Totila und ergriff ihre Rechte.
Hochaufgerichtet stand das junge Paar, vom Licht des Mondes voll beleuchtet, vor dem Alten: ihre edlen Züge und Gestalten trugen im Augenblick die Weihe heiliger Begeisterung: und so schön war die Gruppe, daß ein rührendes, erweichendes Gefühl davon sich unwillkürlich dem zürnenden Vater aufdrängte. »Valeria, mein Kind!«
»O mein Vater! Du hast mit einer Liebe und Treue all meine Schritte geleitet, daß ich bisher die Mutter, die verlorne, zwar beklagte, aber kaum vermißte. Jetzt, in dieser Stunde, vermiß ich sie zum erstenmal: jetzt, ich fühl' es, bedürfte ich ihrer Fürsprache. O so laß ihr Andenken wenigstens für mich sprechen. Laß mich dir ihr Bild vor die Seele führen und dich an den Augenblick erinnern, da dich die Sterbende zum letztenmal an ihr Lager rief und dir, wie du mir oft gesagt, mein Glück auf die Seele band als heiligstes Vermächtnis. –«
Valerius drückte die linke Hand vor die Stirn; seine Tochter wagte die andre zu fassen, er entzog sie ihr nicht: offenbar rang es gewaltig in des Alten Brust. Endlich sprach er: »Valeria, du hast ein mächtig Wort gesprochen, ohne es zu wissen. Es wäre unrecht, dir zu verschweigen, was du ahnungsvoll berührt. Erfahre, was deine Mutter in jener Sterbestunde mir auferlegt. Noch immer drückte ihre Seele jenes Gelübde, das wir doch lange abgelöst. ›Soll unser Kind nicht die Braut des Himmels werden,‹ sprach sie ›so gelobe mir wenigstens, die Freiheit ihrer Wahl zu ehren. Ich weiß wie römische Mädchen, zumal die Töchter unsres Standes, in die Ehe gegeben werden, ungefragt, ohne Liebe: ein solcher Bund ist ein Elend auf Erden und ein Greuel vor dem Herrn. Meine Valeria wird edel wählen – gelobe mir, sie dem Mann ihrer Wahl anzuvertrauen und keinem sonst.‹«
[] »Und ich gelobte es in ihre bebende Hand. – Aber mein Kind einem Barbaren geben, einem Feind Italiens, nein, nein!« Und mit heftiger Armbewegung riß er sich von ihr los.
»Ich bin vielleicht so gar barbarisch nicht, Valerius«, hob Totila an. »Wenigstens bin ich in meinem ganzen Volk der wärmste Freund der Römer. Glaube mir, nicht euch hasse ich; die ich verabscheue, sind eure wie unsre verderblichsten Feinde – die Byzantiner!«
Das war ein glückliches Wort. Denn in dem Herzen des alten Republikaners war der Haß gegen Byzanz die Kehrseite seiner Liebe zur Freiheit und zu Italien. Er schwieg, aber sein Auge ruhte sinnend auf dem Jüngling.
»Mein Vater,« sprach Valeria, »dein Kind würde keinen Barbaren lieben. Lern' ihn kennen: und schiltst du ihn dann noch barbarisch – so will ich nie die Seine werden. Ich fordre nichts von dir als: lern' ihn kennen, entscheide du selbst, ob meine Wahl edel sei oder nicht.
Ihn lieben alle Götter und alle Menschen müssen ihm gut sein – du allein wirst ihn nicht verwerfen.«
Und sie faßte seine Hand.
»O lerne mich kennen, Valerius,« bat Totila, innig seine andre Hand ergreifend. Der Alte seufzte. Endlich sprach er: »Kommt mit mir zum Grabe der Mutter. Dort ragt es unter den Zypressen. Da ruht die Urne mit ihrem Herzen. Dort laßt uns ihrer gedenken, der edelsten Frau, und ihren Schatten anrufen. Und ist es echte Liebe und eine edle Wahl, so werd' ich erfüllen, was ich gelobt.«
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Einige Wochen später finden wir zu Rom in dem uns wohl erinnerlichen Schreibgemach mit der Cäsarstatue Cethegus, den [] Präfekten und unsern neuen Bekannten, Petros, des Kaisers oder vielmehr der Kaiserin Gesandten.
Die beiden Männer hatten unter lebhaftem Gespräch und wechselseitigem Erinnern an frühere Zeiten – sie waren Studiengenossen, wie wir erfuhren – zu einfachem Mahl einen Krug alten Massikers geleert und waren soeben aus dem Speisesaal in das abgelegene Arbeitszimmer getreten, um jetzt ungestört von den bedienenden Sklaven Geheimeres zu bereden.
»Sobald ich mich überzeugt hatte,« schloß Cethegus seinen Bericht über die letzten Ereignisse, »daß die Schreckensnachrichten aus Ravenna nur erst Gerüchte waren, vielleicht erdichtet, jedenfalls übertrieben, setzte ich der Aufregung und dem Eifer meiner Freunde die größte Ruhe entgegen. Der Feuerkopf Lucius Licinius mit seiner törichten Begeisterung für mich hätte bald alles verdorben. Unablässig forderte er meine Diktatur, buchstäblich setzte er mir das Schwert auf die Brust und schrie, man müsse mich zwingen, das Vaterland zu retten. Er schwatzte so viel aus der Schule, daß es nur ein Glück war, der schwarze Korse – der es mit den Barbaren zu halten scheint, niemand weiß recht, warum – nahm ihn für mehr berauscht als er war. Endlich kam die Nachricht, Amalaswintha sei zurückgekehrt, und so beruhigte sich allmählich Volk und Senat.«
»Du aber,« sagte Petros, »hattest zum zweitenmal Rom vor der Rache der Barbaren gerettet – ein unvergeßliches Verdienst, das dir die ganze Welt, zunächst aber die Regentin, danken muß.« – »Die Regentin – arme Frau!« meinte Cethegus achselzuckend, »wer weiß wie lange die Goten oder deine Gebieter zu Byzanz sie noch werden auf dem Throne lassen.« – »Wie? da irrst du sehr!« fiel Petros eifrig ein. »Meine Sendung hat vor allem den Zweck, ihren Thron zu stützen; und bei dir wollte ich eben anfragen, wie man das am besten könne,« setzte er pfiffig hinzu.
[] Aber der Präfekt lehnte sein Haupt zurück an die Marmorwand und sah den Gesandten lächelnd an: »O Petros, o Petre,« sagte er, »warum so verdeckt? Ich dächte doch, wir kennten uns besser.«
»Was meinst du?« fragte der Byzantiner befangen.
»Ich meine, daß wir nicht umsonst Recht und Geschichte miteinander studiert haben zu Berytus und Athen. Ich meine, daß wir damals schon unzählige Male als Jünglinge, lustwandelnd und Weisheit austauschend, zu dem Ergebnis gelangten: der Kaiser müsse diese Barbaren austreiben aus Italien und wie der zu Rom herrschen wie zu Byzanz. Und da nun ich noch denke wie dazumal, wirst wohl auch du nicht ein andrer geworden sein.« – »Ich habe meine Ansicht der meines Herrn zu unterwerfen, und Justinian« – »Erglüht natürlich für die Herrschaft der Barbaren in Italien.« – »Freilich,« sagte der Rhetor verlegen, »es könnten Fälle eintreten –«
»Petre,« rief jetzt Cethegus, sich unwillig aufrichtend, »keine Phrasen und keine Lügen. Sie sind nicht angewandt bei mir. Sieh, Petros, es ist wieder dein alter Fehler: du bist immer zu pfiffig, um klug zu sein. du meinst, es muß immer gelogen sein, und hast nie den Mut zur Wahrheit. Man muß aber nur dann lügen, wenn man in seiner Lüge ganz sicher ist. Wie kannst du mich darüber täuschen wollen, daß der Kaiser Italien wieder haben will? Ob er die Regentin stürzen oder halten will, hängt davon ab, ob er glaubt ohne oder mit ihr leichter ans Ziel zu kommen. Wie er hierüber denkt, das soll ich nicht erfahren. Aber sieh', trotz all deiner Verschmitztheit, sobald wir noch einmal zusammengewesen, sag' ich dir ins Gesicht, was dein Kaiser hierin vor hat.«
Ein boshaftes und bittres Lächeln spielte um des Gesandten Mund: »Noch immer so stolz, wie in der Dialektik zu Athen,« sagte er giftig. – »Jawohl und du weißt, zu Athen war ich [] immer der Erste, Prokopius der Zweite und erst der Dritte warst du.«
Da trat Syphax ein:
»Eine verhüllte Frau, o Herr,« meldete er, »sie wartet dein im Zeussaal.«
Sehr froh, diese Unterhaltung abgebrochen zu sehen, denn er fühlte sich dem Präfekten nicht gewachsen, grinste Petros: »Nun, ich wünsche Glück zu solcher Störung.«
»Ja, dir!« lächelte Cethegus und ging hinaus.
»Hochmütiger, du sollst noch deinen Spott bereuen,« dachte der Byzantiner.
Cethegus fand in dem Saale, der von einer schönen Zeusstatue des Glykon von Athen den Namen trug, eine in gotischer Tracht reich gekleidete Frau; sie schlug bei seinem Eintritt die Kapuze des braunen Mantels zurück.
»Fürstin Gothelindis«, fragte der Präfekt überrascht, »was führt dich zu mir?«
»Die Rache!« erwiderte eine heisere, unschöne Stimme und die Gotin trat dicht an ihn heran. Sie zeigte scharfe, aber nicht häßliche Züge: und man hätte sie sogar schön nennen müssen, wenn nicht das linke Auge ausgeflossen und die ganze linke Wange durch eine große Narbe entstellt gewesen wäre: diese Wunde schien jetzt frisch zu bluten, da dem leidenschaftlichen Weibe die Röte in die Wangen schoß, wie sie bei jedem Wort die Faust ballte. So tödlicher Haß loderte aus dem einen grauen Auge, daß Cethegus unwillkürlich von ihr zurücktrat.
»Rache?« fragte er, »an wem?«
»An – davon später. Vergib,« sagte sie, sich fassend, »daß ich euch störe. Dein Freund Petros, der Rhetor von Byzanz, ist bei dir, nicht wahr?«
»Ja. Woher weißt du –«
[] »O, ich sah ihn vor der Coena durch deine Portikus eintreten,« sagte sie gleichgültig.
»Das ist nicht wahr,« sprach Cethegus im Geiste: »ich hab' ihn ja zur Gartentür hereinführen lassen. Also haben sich die beiden hier zusammenbestellt. Ich soll das nicht ahnen. Aber was haben sie mit mir vor?«
»Ich will dich nicht lange hier festhalten,« fuhr Gothelindis fort. »Ich habe nur Eine Frage an dich. Antworte kurz ja oder nein. Ich kann das Weib – die Tochter Theoderichs – stürzen und ich will's: bist du darin für mich oder gegen mich?«
»O, Freund Petros,« dachte der Präfekt, »jetzt weiß ich bereits, was du mit Amalaswinthen vorhast. Aber wir wollen sehen, wie weit ihr schon seid.«
»Gothelindis,« hob er ausholend an, »du willst die Regentin stürzen – das glaub' ich dir gern – aber daß du's kannst, bezweifle ich.«
»Höre, dann entscheide ob ich's kann. Das Weib hat die drei Herzoge ermorden lassen.«
Cethegus zuckte die Achseln: »Das glauben man che Leute.«
»Aber ich kann es beweisen.«
»Das wäre,« meinte Cethegus ungläubig. – »Herzog Thulun, wie du weißt, starb nicht sofort. Er ward auf der Ämilischen Straße überfallen, nahe bei meiner Villa zu Tannetum: meine Colonen fanden ihn und brachten ihn in mein Haus. Du weißt, er war mein Vetter – ich bin aus dem Hause der Balten – er verschied in meinen Armen.«
»Nun, und was sagte der Kranke im Wundfieber?«
»Nichts Wundfieber! Herzog Thulun traf noch im Stürzen den Mörder mit dem Schwert: er entkam nicht weit; meine Colonen suchten ihn und fanden ihn sterbend im nächsten Walde: er hat mir alles gestanden.«
Cethegus drückte nur unmerklich die Lippen zusammen. »Nun, was war er? was hat er ausgesagt.«
[] »Er war,« sprach Gothelindis scharf, »ein isaurischer Söldner, ein Aufseher der Schanzarbeiten zu Rom, und sagte aus: Cethegus, der Präfekt, hat mich zur Regentin, die Regentin zu Herzog Thulun gesendet.«
»Wer hörte dies Geständnis außer dir?« fragte Cethegus lauernd.
»Niemand. Und niemand soll davon hören, wenn du zu mir stehest. Wenn aber nicht, dann –«
»Gothelindis,« unterbrach der Präfekt, »keine Drohung: sie nützt dir nichts. Du solltest einsehn, daß du mich dadurch nur erbittern, nicht zwingen kannst. Ich lasse es im Notfall zur offnen Anklage kommen: du bist als grimmige Feindin Amalaswinthens bekannt: dein Zeugnis allein – du warst unvorsichtig genug, zu gestehen, daß niemand sonst das Geständnis gehört – wird weder sie noch mich verderben. Zwingen kannst du mich zum Kampfe gegen die Regentin nicht: höchstens überreden, wenn du mir's als meinen eignen Vorteil darstellen kannst. Und dazu will ich selbst dir einen Verbündeten schaffen. Du kennst doch Petros, meinen Freund?«
»Genau, seit lange.«
»Erlaube, daß ich ihn zu dieser Unterredung herbeihole.«
Er ging in das Studierzimmer zurück. »Petros, mein Besuch ist die Fürstin Gothelindis, Theodahads Gemahlin. Sie wünscht uns beide zu sprechen. Kennst du sie?«
»Ich? o nein; ich habe sie nie gesehen!« sagte der Rhetor rasch.
»Gut; folge mir.« Sowie sie in den Saal des Zeus traten, rief Gothelindis ihm entgegen:
»Gegrüßt, alter Freund, welch überraschend Wiedersehn.«
Petros verstummte.
Cethegus, die Hände auf den Rücken gelegt, weidete sich an der Bestürzung des Diplomaten von Byzanz. Nach einer peinlichen Pause hob er an: »Du siehst, Petros, immer zu [] pfiffig, immer unnötige Feinheiten. Aber komm, laß dich eine entdeckte List mehr nicht so niederschlagen. Ihr beide habt euch also verbunden, die Regentin zu stürzen. Mich wollt ihr gewinnen, euch dabei zu helfen. Dazu muß ich genau wissen, was ihr weiter vorhabt. Wen wollt ihr auf Amalaswinthens Thron setzen? Denn noch ist der Weg für Justinian nicht frei.«
Beide schwiegen eine Weile. Es überraschte sie sein klares Durchschauen der Lage. Endlich sprach Gothelindis: »Theodahad, meinen Gemahl, den letzten der Amelungen.«
»Theodahad, den letzten, der Amelungen,« wiederholte Cethegus langsam. Indessen überlegte er alle Gründe für und wider. Er bedachte, daß Theodahad, unbeliebt bei den Goten, durch Petros erhoben, bald ganz in der Hand der Byzantiner stehen und die Katastrophe durch Herbeirufung des Kaisers anders, früher als Er wollte, herbeiführen würde.
Er bedachte, daß er jedenfalls die Heere der Oströmer möglichst lange fernhalten müsse und er beschloß bei sich, die gegenwärtige Lage und Amalaswintha aufrecht zu halten, da sie ihm Zeit zu seinen Vorbereitungen ließen. All das hatte er im Augenblick gedacht, erwogen, beschlossen. »Und wie wollt ihr nun eure Sache angehn?« fragte er ruhig.
»Wir werden das Weib auffordern, zugunsten meines Gatten abzudanken, unter Androhung, sie des Mordes anzuklagen.«
»Und wenn sie's darauf wagt?«
»So vollführen wir die Drohung,« sagte Petros, »und erregen unter den Goten einen Sturm, der ihr –«
»Das Leben kostet,« rief Gothelindis.
»Vielleicht die Krone kostet,« sagte Cethegus. »Aber gewiß sie nicht Theodahad zuwendet. Nein, wenn die Goten einen König wählen, heißt er nicht Theodahad.«
»Nur zu wahr!« knirschte Gothelindis.
[] »Dann könnte leicht ein König kommen, der uns allen viel unerfreulicher wäre als Amalaswintha.«
Und deshalb sag' ich euch offen: »ich bin nicht für euch, ich halte die Regentin.«
»Wohlan,« rief Gothelindis grimmig, sich zur Türe wendend, »also Kampf zwischen uns, komm, Petros.«
»Gemach, ihr Freunde,« sprach der Byzantiner.
»Vielleicht ändert Cethegus seinen Sinn, wenn er dies Blatt gelesen.«
Und er reichte dem Präfekten jenen Brief, den Alexandros von Amalaswintha an Justinian überbracht.
Cethegus las: seine Züge verfinsterten sich.
»Nun,« meinte Petros höhnisch, »willst du noch die Königin stützen, die dich dem Untergang geweiht? Wo warst du, wenn sie ihren Plan durchführte und deine Freunde nicht für dich wachten.«
Cethegus hörte ihn kaum »Armseliger,« dachte er, »als ob es das wäre! Als ob die Regentin daran nicht ganz recht hätte. Als ob ich ihr das verargen könnte! Aber die Unvorsichtige hat bereits getan, was ich von Theodahad erst fürchtete: sie hat sich selbst vernichtet und all' meine Pläne bedroht: sie hat die Byzantiner schon ins Land gerufen und sie werden jetzt kommen, ob sie noch will oder nicht. Solange Amalaswintha Königin, wird Justinian ihren Beschützer spielen.« Und nun wandte er sich scheinbar in großer Bestürzung an den Gesandten, den Brief zurückgebend: »Und wenn sie ihren Entschluß durchführte, wenn sie auf dem Thron bliebe – bis wann können eure Heere landen?«
»Belisar ist schon auf dem Wege nach Sizilien,« sagte Petros, stolz darauf, den Hochmütigen eingeschüchtert zu haben, »in einer Woche kann er vor Rom liegen.«
»Unerhört,« rief Cethegus in unverstellter Bewegung.
»Du siehst,« sprach Gothelindis, welcher Petros inzwischen den Brief gereicht, »die du halten wolltest, will dich verderben. Komm ihr zuvor.«
[] »Und im Namen des Kaisers, meines Herrn, fordre ich dich auf, mir beizustehn, dies Gotenreich zu vernichten und Italien seine Freiheit wiederzugeben. Man weiß am Kaiserhof dich und deinen Geist zu schätzen und nach dem Siege verheißt dir Justinian: – die Würde eines Senators zu Byzanz.«
»Ist's möglich!« rief Cethegus. »Aber nicht einmal diese höchste Ehre treibt mich dringender in euren Bund als die Entrüstung über die Undankbare, die zum Lohn für meine Dienste mein Leben bedroht. – Du bist doch gewiß,« fragte er ängstlich, »daß Belisar noch nicht sobald landen wird?«
»Beruhige dich,« lächelte Petros, »diese meine Hand ist's, die ihn herbeiwinkt, wann es Zeit. Erst muß Amalaswintha durch Theodahad ersetzt sein.«
»Gut,« dachte Cethegus, »Zeit gewonnen, alles gewonnen. Und nicht eher soll der Byzantiner landen, bis ich ihn an der Spitze des bewaffneten Italiens empfangen kann.« – »Ich bin der eure«, sprach er, »und ich denke, ich werde die Regentin dahin bringen, deinem Gatten mit eigner Hand die Krone aufs Haupt zu setzen. Amalaswintha soll dem Zepter entsagen.«
»Nie tut sie das!« rief Gothelindis.
»Vielleicht doch! Ihr Edelmut ist noch größer als ihr Herrscherstolz. Man kann seine Feinde auch durch ihre Tugenden verderben,« sagte Cethegus nachsinnend. »Ich bin meiner Sache gewiß, und ich grüße dich, Königin der Goten!« schloß er mit leichter Verbeugung.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Die Regentin Amalaswintha stand in der Zeit nach der Beseitigung der drei Herzoge in einer abwartenden Haltung.
Hatte sie durch den Fall der Häupter des ihr feindlichen Adels etwas mehr freie Hand gewonnen, so stand doch die [] Volksversammlung zu Regeta bei Rom in naher Aussicht, in der sie sich von dem Verdacht des Mordes völlig reinigen oder die Krone, vielleicht das Leben, lassen mußte. Nur bis dahin hatten ihr Witichis und die Seinen ihren Schutz zugesagt. Sie spannte deshalb ihre Kräfte an, ihre Stellung bis zu jener Entscheidung nach allen Seiten zu befestigen.
Von Cethegus hoffte sie nichts mehr: sie hatte seine kalte Selbstsucht durchschaut; doch vertraute sie, daß die Italier und die Verschwornen in den Katakomben, an deren Spitze ja ihr Name stand, ihre römerfreundliche Herrschaft einem aus der rauhen Gotenpartei hervorgegangenen König vorziehen würden. Sehnlich wünschte sie das Eintreffen der vom Kaiser erbetenen Leibwache herbei, um für den ersten Augenblick der Gefahr eine Stütze zu haben: und eifrig war sie bemüht, unter den Goten selbst die Zahl ihrer Freunde zu vermehren.
Sie berief mehrere der alten Gefolgsleute ihres Vaters, eifrige Anhänger des Hauses der Amaler, greise Helden von großem Namen im Volk, Waffenbrüder und beinahe Jugendgenossen des alten Hildebrand, zu sich nach Ravenna, besonders den weißbärtigen Grippa, den Mundschenk Theoderichs, der dem Waffenmeister an Ruhm und Ansehn kaum nachstand: sie überhäufte ihn und die andern Gefolgen mit Ehren, übertrug Grippa und seinen Freunden das Kastell von Ravenna und ließ sie schwören, diese Feste dem Geschlecht der Amaler sicher zu erhalten.
Wenn die Verbindung mit diesen volkbeliebten Namen eine Art von Gegengewicht wider Hildebrand, Witichis und ihre Freunde schaffen sollte – und Witichis konnte die Auszeichnung der Freunde Theoderichs nicht als staatsgefährlich verhindern – so sah sich die Königin auch gegen die Adelspartei der Balten und ihrer Bluträcher nach einer Stütze um. Sie erkannte diese mit scharfem Blick in dem edeln Hause der Wölsungen, nach den Amalern und Balten der dritthöchsten [] Adelssippe unter den Goten, reich begütert und einflußreich in dem mittleren Italien, deren Häupter dermalen zwei Brüder, Herzog Guntharis und Graf Arahad, waren. Diese zu gewinnen, hatte sie ein besonders wirksames Mittel ersonnen: sie bot für die Freundschaft der Wölsungen keinen geringern Preis als die Hand ihrer schönen Tochter. –
Zu Ravenna in einem reich geschmückten Gemach standen Mutter und Tochter in ernstem, aber nicht vertraulichem Gespräch hierüber.
Mit hastigen Schritten, fremd ihrer sonstigen Ruhe, durchmaß die junonische Gestalt der Regentin den schmalen Raum, manchmal mit einem zornigen Blick das herrliche Geschöpf messend, welches ruhig und gesenkten Auges vor ihr stand, die linke Hand in die Hüfte, die Rechte auf die Platte des Marmortisches gestützt.
»Besinne dich wohl,« rief Amalaswintha heftig, plötzlich stehen bleibend, »besinne dich anders. Ich gebe dir noch drei Tage Bedenkzeit.«
»Das ist umsonst: ich werde immer sprechen wie heute,« sagte Mataswintha, die Augen nicht erhebend.
»So sage nur, was du an Graf Arahad auszusetzen hast.«
»Nichts, als daß ich ihn nicht liebe.«
Die Königin schien dies gar nicht zu hören. »Es ist doch in diesem Fall ganz anders als damals, da du mit Cyprianus vermählt werden solltest. Er war alt und – was in deinen Augen vielleicht ein Nachteil« – fügte sie bitter hinzu – »ein Römer!«
»Und doch ward ich um meiner Weigerung willen nach Tarentum verbannt.«
»Ich hoffte, Strenge würde dich heilen. Mondelang halt' ich dich ferne von meinem Hof, von meinem Mutterherzen« –
Mataswintha verzog die schöne Lippe zu einem herben Lächeln.
[] »Umsonst! ich rufe dich zurück« –
»Du irrst. Mein Bruder Athalarich hat mich zurückgerufen.«
»Ein andrer Freier wird dir vorgeschlagen. Jung, blühend schön, ein Gote von edelstem Adel, sein Haus jetzt das zweite im Reich. Du weißt, du ahnst wenigstens, wie sehr mein rings bedrängter Thron der Stütze bedarf: er und sein kriegsgewalt'ger Bruder verheißen uns die Hilfe ihrer ganzen Macht: Graf Arahad liebt dich und du – du schlägst ihn aus! Warum? Sage warum?«
»Weil ich ihn nicht liebe.«
»Albernes Mädchengerede. Du bist eine Königstochter – du hast dich deinem Hause, deinem Reiche zu opfern.«
»Ich bin ein Weib,« sagte Mataswintha, die blitzenden Augen aufschlagend, »und opfre mein Herz keiner Macht im Himmel und auf Erden.« –
»Und so spricht meine Tochter! Sieh auf mich, törichtes Kind. Großes hab' ich erstrebt und erreicht. Solange Menschen das Hohe bewundern, werden sie meinen Namen nennen. Ich habe alles gewonnen, was das Leben Herrlichstes bietet und doch hab' ich –«
»Nie geliebt. Ich weiß es,« seufzte ihre Tochter.
»Du weißt es?«
»Ja, es war der Fluch meiner Kindheit. Wohl war ich noch ein Kind, als mein geliebter Vater starb: ich wußte es nicht zu sagen, aber ich konnte es empfinden, damals schon, daß seinem herzen etwas fehle, wenn er seufzend, mit schmerzlicher Liebe, Athalarich und mich umfing und küßte und wieder seufzte.
Und ich liebte ihn darum desto inniger, daß ich fühlte, er suchte Liebe, die ihm fehlte. Jetzt freilich weiß ich längst, was mich damals unerklärlich peinigte: du wardst unsres Vaters Weib, weil er nach Theoderich der nächste am Thron: aus Herrschsucht, nicht aus Liebe, wardst du sein und nur kalten Stolz hattest du für sein warmes Herz.«
[] Überrascht blieb Amalaswintha stehen: »Du bist sehr kühn.«
»Ich bin deine Tochter.«
»Du redest von der Liebe so vertraut – du kennst sie besser scheint's mit zwanzig als ich mit vierzig Jahren – du liebst!« rief sie schnell, »und daher dieser Starrsinn.«
Mataswintha errötete und schwieg.
»Rede,« rief die erzürnte Mutter, »gesteh' es oder leugne!«
Mataswintha senkte die Augen und schwieg: nie war sie so schön gewesen.
»Willst du die Wahrheit verleugnen? Bist du feige, Amelungentochter?«
Stolz schlug das Mädchen die Augen auf:
»Ich bin nicht feige und ich verleugne die Wahrheit nicht. Ja, ich liebe.«
»Und wen, Unselige?«
»Das wird mir kein Gott entreißen.«
Und so entschieden sah sie dabei aus, daß Amalaswintha keinen Versuch machte, es zu erfahren.
»Wohlan,« sagte sie, »meine Tochter ist kein gewöhnlich Wesen. So fordere ich das Ungewöhnliche von dir: dein Alles dem Höchsten zu opfern.«
»Ja, Mutter, ich trage im Herzen einen hohen Traum. Er ist mein Höchstes. Ihm will ich alles opfern.«
»Mataswintha«, sprach die Regentin, »wie unköniglich! Sieh, dich hat Gott vor Tausenden gesegnet an Herrlichkeit des Leibes und der Seele: du bist zur Königin geboren.«
»Eine Königin der Liebe will ich werden. Sie preisen mich alle um meine Weibesschönheit: wohlan: ich hab' mir's vorgesteckt, liebend und geliebt, beglückend und beglückt, ein Weib zu sein.«
»Ein Weib! ist das dein ganzer Ehrgeiz!«
»Mein ganzer. O wär' es auch der deine gewesen!«
»Und der Enkelin Theoderichs gilt das Reich und die Krone nichts? Und nichts dein Volk die Goten?«
[] »Nein, Mutter,« sagte Mataswintha ernst: »es schmerzt mich beinahe, es beschämt mich: aber ich kann mich nicht zwingen zu dem, was ich nicht fühle: ich empfinde nichts bei dem Worte, ›Goten‹: vielleicht ist es nicht meine Schuld: du hast von jeher diese Goten verachtet, diese Barbaren gering geschätzt: das waren die ersten Eindrücke: sie sind geblieben. Und ich hasse diese Krone, dieses Gotenreich: es hat in deiner Brust dem Vater, dem Bruder, mir den Platz fortgenommen. Diese Gotenkrone, nichts ist sie mir von je gewesen und geblieben als eine verhaßte, feindliche Macht.«
»O mein Kind, weh mir, wenn ich das verschuldet hätte! Und tust du's nicht um des Reiches, o tu's um meinetwillen. Ich bin so gut wie verloren ohne die Wölsungen. Tu's um meiner Liebe willen.«
Und sie faßte ihre Hand. –
Mataswintha entzog sie mit bittrem Lächeln: »Mutter, entweihe den höchsten Namen nicht. Deine Liebe! Du hast mich nie geliebt. Nicht mich, nicht den Bruder, nicht den Vater.«
»Mein Kind! Was hätt' ich geliebt, wenn nicht euch!«
»Die Krone, Mutter, und diese verhaßte Herrschaft. Wie oft hast du mich von dir gestoßen vor Athalarichs Geburt, weil ich ein Mädchen war und du einen Thronerben wolltest. Denke an meines Vaters Grab und an –«
»Laß ab,« winkte Amalaswintha.
»Und Athalarich? Hast du ihn geliebt, oder vielmehr sein Recht auf den Thron? O wie oft haben wir armen Kinder geweint, wenn wir die Mutter suchten und die Königin fanden.«
»Du hast mir nie geklagt. Erst jetzt, da du mir Opfer bringen sollst.«
»Mutter, es gilt ja auch jetzt nicht dir, nur deiner Krone, deiner Herrschaft. Leg' diese Krone ab und du bist aller Sorgen frei. Die Krone hat dir und uns allen kein Glück, nur Schmerzen [] gebracht. Nicht du bist bedroht: dir wollt' ich alles opfern – nur dein Thron, nur der goldne Reif des Gotenreichs, der Götze deines Herzens, der Fluch meines Lebens: nie werd' ich dieser Krone meine Liebe opfern, nie, nie, nie!«
Und sie kreuzte die weißen Arme über ihrer Brust, als wollte sie die Liebe darin beschirmen.
»Ah,« sagte die Königin zürnend, »selbstisches, herzloses Kind! Du gestehst, daß du kein Herz hast für dein Volk, für die Krone deiner großen Ahnen – du gehorchst nicht freiwillig der Stimme der Ehre, des Ruhmes deines Hauses – wohlan, so gehorche dem Zwang. Du sprichst mir die Liebe ab, so erfahre meine Strenge. Zur Stunde verläßt du mit deinem Gefolge Ravenna.
Du gehst als Gast nach Florentia in das Haus des Herzogs Guntharis: seine Gattin hat dich geladen. Graf Arahad wird deine Reise begleiten. Verlaß mich. Die Zeit wird dich beugen.«
»Mich?« sprach Mataswintha, sich hoch aufrichtend: »keine Ewigkeit!«
Schweigend blickte ihr die Königin nach: die Anklagen der Tochter hatten einen mächtigeren Eindruck auf sie gemacht als sie zeigen wollte. »Herrschsucht?« sagte sie zu sich selbst. »Nein, das ist es nicht, was mich erfüllt. Ich fühlte, daß ich dies Reich schirmen und beglücken konnte, darum liebte ich die Krone. Und gewiß, ich könnte, wie mein Leben, so meine Krone opfern, verlangte es das Heil meines Volks. Könntest du das, Amalaswintha?« fragte sie sich, zweifelnd die Linke auf die Brust legend.
Sie ward aus ihrem Sinnen geweckt durch Cassiodor, der langsam und gesenkten Hauptes eintrat.
»Nun,« rief Amalaswintha, erschreckt von dem Ausdruck seiner Züge, »bringst du ein Unglück?«
»Nein nur eine Frage.«
[] »Welche Frage?«
»Königin,« hob der Alte feierlich an, »ich habe deinem Vater und dir dreißig Jahre lang gedient, treu und eifrig, ein Römer den Barbaren, weil ich eure Tugenden ehrte, und weil ich glaubte, Italien, der Freiheit nicht mehr fähig, sei unter eurer Herrschaft am sichersten geborgen: denn eure Herrschaft war gerecht und mild. Ich habe fortgedient, obwohl ich meiner Freunde Boëthius und Symmachus, Blut fließen sah, wie ich glaube, unschuldig Blut: aber sie starben durch offnes Gericht, nicht durch Mord. Ich mußte deinen Vater ehren, auch wo ich ihn nicht loben konnte. Jetzt aber –«
»Nun, jetzt aber?« fragte die Königin stolz.
»Jetzt komme ich, von meiner vieljährigen Freundin, ich darf sagen, meiner Schülerin –«
»Du darfst es sagen,« sprach Amalaswintha weicher.
»Von des großen Theoderich edler Tochter ein einfach schlichtes Wort, ein Ja zu erbitten. Kannst du dies Ja sprechen – ich flehe zu Gott, daß du es könnest – so will ich dir dienen treu wie je, solang es dieses greise Haupt vermag.«
»Und kann ich's nicht?«
»Und könntest du es nicht, o Königin,« rief der Alte schmerzlich, »o dann Lebewohl dir und meiner letzten Freude an dieser Welt.«
»Und was hast du zu fragen?«
»Amalaswintha, du weißt ich war fern an der Nordgrenze des Reichs, als hier der Aufstand losbrach, als jene furchtbare Kunde, jene furchtbare Anklage sich erhob. Ich glaubte nichts – ich flog hierher von Tridentum. – Seit zwei Tagen bin ich hier und keine Stunde vergeht, keinen Goten spreche ich, ohne daß die schwere Klage mir schwerer aufs Herz fällt. Und auch du bist verwandelt, ungleich, unstet, unruhig – und doch will ich's nicht glauben. – Ein treues Wort von dir soll all diese Nebel zerstreuen.«
[] »Wozu die vielen Reden,« rief sie, auf die Armlehne des Thrones sich stützend, »sage kurz, was hast du zu fragen?«
»Sprich nur ein schlichtes Ja: bist du schuldlos an dem Tode der drei Herzoge?«
»Und wenn ich es nicht wäre – haben sie nicht reichlich den Tod verdient?«
»Amalaswintha, ich bitte dich: sage ja.«
»Du nimmst ja auf einmal großen Anteil an den gotischen Rebellen!«
»Ich beschwöre dich,« rief der Greis auf die Kniee fallend, »Tochter Theoderichs, sage ja, wenn du kannst.«
»Steh auf,« sprach sie finster sich abwendend, »du hast kein Recht, so zu fragen.«
»Nein,« sagte der Alte ruhig aufstehend, »nein, jetzt nicht mehr. Denn von diesem Augenblick an gehör' ich der Welt nicht mehr an.«
»Cassiodor!« rief die Königin erschrocken.
»Hier ist der Schlüssel zu meinen Gemächern in dieser Königsburg: du findest darin alle Geschenke, die ich von dir und Theoderich erhalten, die Urkunden meiner Würden, die Abzeichen meiner Ämter. Ich gehe.«
»Wohin, mein alter Freund, wohin?«
»In das Kloster, das ich gegründet zu Squillacium in Apulien. Fortan werd' ich, fern den Werken der Könige, nur die Werke Gottes auf Erden verwalten: längst verlangt meine Seele nach Frieden, und jetzt hab' ich auf Erden nichts mehr, was mir teuer. Noch einen Rat will ich dir scheidend geben: lege das Zepter aus der blutbefleckten Hand: sie kann diesem Reiche nicht mehr Segen, nur Fluch kann sie ihm bringen. Denke an das Heil deiner Seele, Tochter Theoderichs: Gott sei dir gnädig.«
Und ehe sie sich von ihrer Bestürzung erholt, war er verschwunden.
[] Sie wollte ihm nacheilen, ihn zurückrufen, aber an dem Vorhang trat ihr Petros, der Gesandte von Byzanz, entgegen.
»Königin,« sagte er rasch und leise, »bleib' und höre mich. Es gilt ein dringendes Wort. Man folgt mir auf dem Fuß.«
»Wer folgt dir?«
»Leute, die es nicht so gut meinen mit dir als ich. Täusche dich nicht länger: die Geschicke dieses Reiches erfüllen sich: du hältst sie nicht mehr auf, so rette für dich was zu retten ist: ich wiederhole meinen Vorschlag.«
»Welchen Vorschlag?«
»Den von gestern.«
»Den der Schande, des Verrats! Niemals! Ich werde diese Beleidigung deinem Herrn, dem Kaiser, melden und ihn bitten, dich abzurufen. Mit dir verhandle ich nicht mehr.«
»Königin, es ist nicht mehr Zeit, dich zu schonen. Der nächste Gesandte Justinians heißt Belisar und kommt mit einem Heere.«
»Unmöglich!« rief die verlassene Fürstin. »Ich nehme meine Bitte zurück.«
»Zu spät. Belisars Flotte liegt schon bei Sizilien. Den Vorschlag, den ich dir gestern als meinen Gedanken mitteilte, hast du als solchen verworfen. Vernimm: nicht ich, der Kaiser Justinian selbst ist es, der ihn ausspricht als letztes Zeichen seiner Huld.«
»Justinian, mein Freund, mein Schützer, will mich und mein Reich verderben!« rief Amalaswintha, der es schrecklich tagte.
»Nicht dich verderben, dich erretten! Wiedergewinnen will er dies Italien, die Wiege des Römischen Reichs: dieser unnatürliche, unmögliche Staat der Goten, er ist gerichtet und verloren. Trenne dich von dem sinkenden Fahrzeug. Justinian reicht dir die Freundeshand, die Kaiserin bietet dir ein Asyl an ihrem Herzen, wenn du Neapolis, Rom, Ravenna und[] alle Festungen in Belisars Hände lieferst und geschehen läßt, daß die Goten entwaffnet über die Alpen geführt werden.«
»Elender, soll ich mein Volk verraten, wie ihr mich? Zu spät erkenne ich eure Tücke! Eure Hilfe rief ich an und ihr wollt mich verderben.«
»Nicht dich, nur die Barbaren.«
»Diese Barbaren sind mein Volk, sind meine einzigen Freunde: ich erkenne es jetzt, und ich stehe zu ihnen in Tod und Leben.«
»Aber sie steh'n nicht mehr zu dir.«
»Verwegner! fort aus meinen Augen, fort von meinem Hof.«
»Du willst nicht hören? Merke wohl, o Königin, nur unter jener Bedingung bürg' ich für dein Leben.«
»Für mein Leben bürgt mein Volk in Waffen.«
»Schwerlich. Zum letztenmal frag' ich dich«
»Schweig. Ich liefere die Krone nicht ohne Kampf an Justinian.«
»Wohlan,« sagte Petros zu sich selbst, »so muß es ein andrer tun. – Tretet ein, ihr Freunde,« rief er hinaus. –
Aber aus dem Vorhang trat langsam mit gekreuzten Armen Cethegus.
»Wo ist Gothelindis? wo Theodahad?« flüsterte Petros.
Seine Bestürzung entging der Fürstin nicht.
»Ich ließ sie vor dem Palast. Die beiden Weiber hassen sich zu grimmig. Ihre Leidenschaft würde alles verderben.«
»Du bist mein guter Engel nicht, Präfekt von Rom,« sprach Amalaswintha finster und von ihm zurückweichend.
»Diesmal vielleicht doch,« flüsterte Cethegus, auf sie zuschreitend. »Du hast die Vorschläge von Byzanz verworfen? Das erwartete ich von dir. Entlaß den falschen Griechen.«
Auf einen Wink der Königin trat Petros in ein Seitengemach.
[] »Was bringst du mir, Cethegus! Ich traue dir nicht mehr!«
»Du hast, statt mir zu trauen, dem Kaiser vertraut und du siehst den Erfolg.«
»Ich sehe ihn,« sagte sie schmerzlich.
»Königin, ich habe dich nie belogen und getäuscht darin: ich liebe Italien und Rom mehr als deine Goten: Du wirst dich erinnern, ich habe dir dies niemals verhehlt.«
»Ich weiß es und kann es nicht tadeln.«
»Am liebsten säh' ich Italien frei. Muß es dienen, so dien' es nicht dem tyrannischen Byzanz, sondern euch, der milden Hand der Goten. Das war von je mein Gedanke, das ist er noch heute. Um Byzanz abzuhalten, will ich dein Reich erhalten: aber offen sag' ich dir, du, deine Herrschaft läßt sich nicht mehr stützen. Rufst du zum Kampfe gegen Byzanz, so werden dir die Goten nicht mehr folgen, die Italier nicht vertrauen.«
»Und warum nicht? Was trennt mich von den Italiern und von meinem Volk?«
»Deine eignen Taten. Zwei unselige Dokumente, in der Hand des Kaisers Justinian. Du selbst hast zuerst seine Waffen ins Land gerufen, eine Leibwache von Byzanz!«
Amalaswintha erbleichte: »Du weißt –«
»Leider nicht nur ich, sondern meine Freunde, die Verschworenen in den Katakomben: Petros hat ihnen den Brief mitgeteilt: sie fluchen dir.«
»So bleiben mir meine Goten.«
»Nicht mehr. Nicht bloß der ganze Anhang der Balten steht dir nach dem Leben: – die Verschworenen von Rom haben im Zorn über dich beschlossen, sowie der Kampf entbrennt, aller Welt kund zu tun, daß dein Name an ihrer Spitze stand gegen die Goten, gegen dein Volk. Jenes Blatt mit deinem Namen ist nicht mehr in meiner Hand, es liegt im Archiv der Verschwörung.«
»Ungetreuer!«
[] »Wie konnte ich wissen, daß du hinter meinem Rücken mit Byzanz verkehrst und dadurch meine Freunde dir verfeindest? Du siehst: Byzanz, Goten, Italier, alles steht gegen dich. Beginnt nun der Kampf gegen Byzanz unter deiner Führung, so wird Uneinigkeit Italier und Barbaren spalten, niemand dir gehorchen, und dies Reich hilflos vor Belisar erliegen. Amalaswintha, es gilt ein Opfer: ich fordere es von dir im Namen Italiens, deines und meines Volkes.«
»Welches Opfer? ich bringe jedes.«
»Das höchste: deine Krone. Übergib sie einem Mann, der Goten und Italier gegen Byzanz zu vereinen vermag und rette dein Volk und meines.«
Amalaswintha sah ihn forschend an: es kämpfte und rang in ihrer Brust: »Meine Krone! Sie war mir sehr teuer.«
»Ich habe Amalaswinthen stets jedes höchsten Opfers fähig gehalten.«
»Darf ich, kann ich deinem Rate trauen!«
»Wenn der dir süß wäre, dürftest du zweifeln. Wenn ich deinem Stolze schmeichelte, dürftest du mißtrauen: aber ich rate dir die bittre Arznei der Entsagung. Ich wende mich an deinen Edelsinn, an deinen Opfermut: laß mich nicht zuschanden werden.«
»Dein letzter Rat war ein Verbrechen,« sagte Amalaswintha schaudernd.
»Ich hielt deinen Thron durch jedes Mittel, solang er zu halten war, solang er Italien nützte: jetzt schadet er Italien, und ich verlange, daß du dein Volk mehr liebst als dein Zepter.«
»Bei Gott! Du irrst darin nicht: für mein Volk hab' ich mich nicht gescheut, fremdes Leben zu opfern« – sie verweilte gern bei diesem Gedanken, der ihr Gewissen beschwichtigte –, »ich werde mich nicht weigern, jetzt – aber wer soll mein Nachfolger werden?«
[] »Dein Erbe, dem die Krone gebührt, der letzte der Amaler.«
»Wie? Theodahad, der Schwächling?«
»Er ist kein Held, das ist wahr. Aber die Helden werden ihm gehorchen, dem Neffen Theoderichs, wenn du ihn einsetzest. Und bedenke noch eins: seine römische Bildung hat ihm die Römer gewonnen: ihm werden sie beistehen: einen König nach des alten Hildebrand, nach Tejas Herzen würden sie hassen und fürchten.«
»Und mit Recht,« sagte die Regentin sinnend: »aber Gothelindis Königin!«
Da trat Cethegus ihr näher und sah ihr scharf ins Auge: »So klein ist Amalaswintha nicht, daß sie kläglicher Weiberfeindlichkeit gedenkt, wo es edler Entschlüsse bedarf. Du erschienst mir von jeher größer als dein Geschlecht. Beweis' es jetzt. Entscheide dich!«
»Nicht jetzt,« sprach Amalaswintha, »meine Stirne glüht, und verwirrend pocht mein Herz. Laß mir diese Nacht, mich zu fassen. Du hast mir Entsagung zugetraut: ich danke dir. Morgen die Entscheidung.«
[]Viertes Buch: Theodahad
Erstes Kapitel.
Am andern Morgen verkündete ein Manifest dem staunenden Ravenna, daß die Tochter Theoderichs zugunsten ihres Vetters Theodahad auf die Krone verzichtet und daß dieser, der letzte Mannessproß der Amelungen, den Thron bestiegen habe. Italier und Goten wurden aufgefordert, dem neuen Herrscher den Eid der Treue zu schwören.
So hatte Cethegus richtig gerechnet.
Das Gewissen der unseligen Frau fühlte sich durch manche Torheit, ja durch blut'ge Schuld schwer belastet. edle Naturen suchen Erleichterung und Buße in Opfer und Entsagung: durch ihrer Tochter und Cassiodors Anklagen war ihr Herz mächtig bewegt worden und der Präfekt hatte sie in günstiger Stimmung für seinen Rat gefunden. Weil er so bitter war, befolgte sie ihn: ja sie hatte, um ihr Volk zu retten und ihre Schuld zu sühnen, sich noch weitere Demütigungen vorgesteckt.
Ohne Schwierigkeit vollzog sich der Thronwechsel.
Die Italier zu Ravenna waren zu einer Erhebung keineswegs vorbereitet und wurden von Cethegus auf gelegenere Zeit vertröstet. Auch war der neue König als Freund römischer Bildung bei ihnen bekannt und beliebt.
Die Goten freilich schienen sich nicht ohne weiteres den Tausch gefallen lassen zu wollen. Fürst Theodahad war allerdings ein Mann – das empfahl ihn gegenüber Amalaswinthen – und ein Amaler: das wog schwer zu seinen Gunsten gegenüber jedem andern Bewerber um die Krone.
[] Aber im übrigen war er im Volke der Goten keineswegs hoch angesehen. Unkriegerisch und feige, verweichlicht an Leib und Seele hatte er keine der Eigenschaften, welche die Germanen von ihren Königen forderten. Nur Eine Leidenschaft erfüllte seine Seele: Habsucht, unersättliche Goldgier. Reich begütert in Tuscien lebte er mit allen seinen Nachbarn in ewigen Prozessen: mit List und Gewalt und dem Schwergewicht seiner königlichen Geburt wußte er seinen Grundbesitz nach allen Seiten auszudehnen und die Ländereien weit in der Runde an sich zu reißen: »denn« – sagt ein Zeitgenosse – »Nachbarn zu haben schien dem Theodahad eine Art von Unglück.«
Dabei war seine schwache Seele vollständig abhängig von der bösartigen, aber kräftigen Natur seines Weibes.
Einen solchen König sahen denn die Tüchtigsten unter den Goten nicht gern auf dem Throne Theoderichs. Und kaum war das Manifest Amalaswinthens bekannt geworden, als Graf Teja, der kurz zuvor mit Hildebad in Ravenna angekommen war, diesen sowie den alten Waffenmeister und den Grafen Witichis zu sich beschied und sie aufforderte, die Unzufriedenheit des Volkes zu steigern, zu leiten und einen Würdigern an Theodahads Stelle zu setzen.
»Ihr wißt,« schloß er seine Worte, »wie günstig die Stimmung im Volke. Seit jener Bundesnacht im Merkuriustempel haben wir unablässig geschürt unter den Goten, und Großes ist schon gelungen: des edeln Athalarich Aufschwung, der Sieg am Epiphaniasfeste, das Zurückholen Amalaswinthens, wir haben es bewirkt. Jetzt winkt die günstige Gelegenheit. Soll an des Weibes Stelle treten ein Mann, der schwächer als ein Weib? Haben wir keinen Würdigern mehr als Theodahad im Volk der Goten?«
»Recht hat er, beim Donner und Strahl,« rief Hildebad. »Fort mit diesen verwelkten Amalern! Einen Heldenkönig [] hebt auf den Schild und schlagt los nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!«
»Nein,« sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, »noch nicht! Vielleicht, daß es noch einmal so kom men muß: aber nicht früher darf es geschehen als es muß. Der Anhang der Amaler ist groß im Volk: nur mit Gewalt würde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich entwinden lassen sie würden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch zum Kampf.
Kampf aber unter den Söhnen eines Volks ist schrecklich, nur die Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag sich bewähren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich unfähig erwiesen, so ist's noch immer Zeit.«
»Wer weiß, ob dann noch Zeit ist,« warnte Teja.
»Was rätst du, Alter?« fragte Hildebad, auf welchen die Gründe des Grafen Witichis nicht ohne Wirkung blieben.
»Brüder,« sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, »ihr habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden. Die alten Gefolgen des großen Königs haben einen Eid getan, solang sein Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden.«
»Welch törichter Eid!« rief Hildebad.
»Ich bin alt und nenn' ihn nicht töricht. Ich weiß, welcher Segen auf der festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Söhne der Götter,« schloß er geheimnisvoll.
»Ein schöner Göttersohn, Theodahad!« lachte Hildebad.
»Schweig,« rief zornig der Alte, »das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem kläglichen Verstand. Das Rätsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute liegt – dafür habt ihr den Sinn verloren. Darum schweig' ich von solchen Dingen zu euch.
[] Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Tut ihr, was ihr wollt, ich tue, was ich muß.«
»Nun,« sprach Graf Teja nachgebend, »auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn dieser letzte Amaler dahin ...« –
»Dann ist das Gefolge seines Schwures frei.«
»Vielleicht,« schloß Witichis, »ist es ein Glück, daß auch uns dein Eid die Wahl erspart: denn gewiß wollen wir keinen Herrscher, den du nicht anerkennen könntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen und tragen wir diesen König solang er zu tragen ist.«
»Aber keine Stunde länger,« sagte Teja und ging zürnend hinaus.
Zweites Kapitel.
Am nämlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten Krone der Gotenkönige gekrönt.
Ein reiches Festmahl, besucht von allen römischen und gotischen Großen des Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas Liebe kennengelernt. Bis tief in die Nacht währte das lärmende Gelage. Der neue König, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte sich frühe zurückgezogen.
Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr für die lauten Jubelrufe, die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei nur Eine Freude: den Gedanken, daß dieser Jubel hinunterdringen müsse bis in die Königsgruft, wo Amalaswintha, die verhaßte, besiegte Feindin, am Sarkophage ihres Sohnes trauerte.
[] Unter der Menge von jenen Gästen, die immer fröhlich sind, wenn sie bei vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu bemerken: mancher Römer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den Kaiser gesehen hätte: so mancher Gote, der in der gefährlichen Lage des Reiches einem König wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte.
Zu letzteren zählte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem kranzgeschmückten Säulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberührt stand die goldne Schale vor ihm und auf den lauten Zuruf Hildebads, der ihm gegenüber saß, achtete er kaum. Endlich – schon leuchteten längst im Saale die Lampen und am Himmel die Sterne – stand er auf und ging hinaus in das grüne Dunkel des Gartens.
Langsam wandelte er durch die Taxusgänge dahin: sein Auge hing an den funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So führte ihn sein sinnendes Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah hinaus nach der flimmernden See – da blitzte etwas dicht vor seinen Füßen im schwachen Mondlicht: es war eine Rüstung, daneben die kleine, gotische Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase, und ein bleiches Antlitz hob sich ihm entgegen.
»Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest.«
»Nein, ich war bei den Toten.«
»Auch mein Herz weiß nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und Kind,« sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend.
»Bei Weib und Kind,« wiederholte Teja seufzend.
»Viele fragten nach dir, Teja.«
»Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?«
»Dein Erbe nahm?«
[] »Wenigstens besitzt er's. Und über den Ort, wo meine Wiege stand, ging seine Pflugschar.«
Und schweigend sah er lange vor sich hin.
»Dein Harfenspiel – es schweigt? Man rühmt dich unsres Volkes besten Harfenschläger und Sänger!«
»Wie Gelimer, der letzte König der Vandalen, seines Volkes bester Harfenschläger war. – – Aber mich würden sie nicht im Triumph einführen nach Byzanz!«
»Du singst nicht oft mehr?«
»Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen werde.«
»Tage der Freude?«
»Tage der höchsten, der letzten Trauer.«
Lange schwiegen beide.
»Mein Teja,« hob endlich Witichis an, »in allen Nöten von Krieg und Frieden hab' ich dich erfunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du soviel jünger als ich und nicht leicht der Ältere sich dem Jüngling verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiß, daß auch dein Herz mehr an mir hängt als an deinen Jugendgenossen.«
Teja drückte ihm die Hand: »Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch wo du sie nicht verstehst. Die andern –! und doch: den einen hab' ich sehr lieb.«
»Wen?«
»Den alle lieb haben.«
»Totila!«
»Ich hab' ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er kann's nicht fassen, daß andre dunkel sind und bleiben müssen.«
»Bleiben müssen! Warum? Du weißt, Neugier ist meine Sache nicht. Und wenn ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: lüfte den Schleier, der über dir und deiner finstern Trauer [] liegt, so bitt' ich's nur, weil ich dir helfen möchte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene.«
»Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Rädergang des Schicksals verspürt hat, wie es, blind und taub für das Zarte und Hohe, mit eherner grundloser Gewalt alles vor sich niedertritt, ja, wie es das Edle, weil es zart ist, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Notwendigkeit, welche Toren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menschen beherrscht, der ist hinaus über Hilfe und Trost: er hört ewig, wenn er es einmal erlauscht, mit dem leisen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen Taktschlag des fühllosen Rades im Mittelpunkt der Welt, das gleichgültig mit jeder Bewegung Leben zeugt und Leben tötet. Wer das einmal empfunden und erlebt, der entsagt einmal und für immer und allem: nichts wird ihn mehr erschrecken. Aber freilich – die Kunst des Lächelns hat er auch vergessen auf immerdar.«
»Mir schaudert. Gott bewahre mich vor solchem Wahn! Wie kamst du so jung zu so fürchterlicher Weisheit?«
»Freund, mit deinen Gedanken allein ergrübelst du die Wahrheit nicht, erleben mußt du sie. Und nur, wenn du des Mannes Leben kennst, begreifst du, was er denkt und wie er denkt. Und auf daß ich dir nicht länger erscheine wie ein irrer Träumer, wie ein Weichling, der sich gern in seinen Schmerzen wiegt – und damit ich dein Vertrauen und deine schöne Freundschaft ehre, vernimm –, höre ein kleines Stück meines Grams. Das größere, das unendlich größere behalt' ich noch für mich,« sagte er schmerzlich, die Hand auf die Brust drückend – »es kömmt wohl noch die Stunde auch für dies. Vernimm heute nur, wie über meinem Haupte der Stern des Unheils schon leuchtete, da ich gezeugt ward. – Und von all den tausend [] Sternen da oben bleibt nur dieser Stern getreu. Du warst dabei – du erinnerst dich – wie der falsche Präfekt mich laut vor allen einen Bastard schalt und mir den Zweikampf weigerte: – ich mußte es dulden: ich bin noch Schlimmeres als ein Bastard. – –
Mein Vater, Tagila, war ein tüchtiger Kriegsheld, aber kein Adaling, gemeinfrei und arm. Er liebte, schon seit der Bart ihm sproßte, Gisa seines Vaterbruders Tochter. Sie lebten draußen, weit an der äußersten Ostgrenze des Reichs, an dem kalten Ister, wo man stets im Kampfe liegt mit den Gepiden und den wilden räuberischen Sarmaten und wenig Zeit hat, an die Kirche zu denken und die wechselnden Gebote, die ihre Konzilien erlassen. Lange konnte mein Vater seine Gisa nicht heimführen: er hatte nichts als Helm und Speer und konnte ihrem Mundwalt den Malschatz nicht zahlen und einem Weibe keinen Herd bereiten.
Endlich lachte ihm das Glück. Im Krieg gegen einen Sarmatenkönig eroberte er dessen festen Schatzturm an der Alutha: und die reichen Schätze, welche die Sarmaten seit Jahrhunderten zusammengeplündert und hier aufgehäuft, wurden seine Beute. Zum Lohn seiner Tat ernannte ihn Theoderich zum Grafen und rief ihn nach Italien. Mein Vater nahm seine Schätze und Gisa, jetzt sein Weib, mit sich über die Alpen und kaufte sich weite schöne Güter in Tuscien zwischen Florentia und Luca. Aber nicht lange währte sein Glück.
Kaum war ich geboren, da verklagte ein Elender, ein feiger Schurke, meine Eltern wegen Blutschande beim Bischof von Florentia. Sie waren katholisch – nicht Arianer – und Geschwisterkinder: ihre Ehe war nichtig nach dem Recht der Kirche und die Kirche gebot ihnen, sich zu trennen.
Mein Vater drückte sein Weib an die Brust und lachte des Gebots. Aber der geheime Ankläger ruhte nicht –«
– »Wer war der Neiding?«
[] »O wenn ich es wüßte, ich wollte ihn erreichen und thronte er in allen Schrecken des Vesuvius! Er ruhte nicht. Unablässig bedrängten die Priester meine arme Mutter und wollten ihre Seele mit Gewissensbissen schrecken.
Umsonst: sie hielt sich an ihren Gott und ihren Gatten und trotzte dem Bischof und seinen Sendboten. Und mein Vater, wenn er einen der Pfaffen in seinem Gehöfte traf, begrüßte ihn, daß er nicht wiederkam.
Aber wer kann mit denen kämpfen, die im Namen Gottes sprechen! Eine letzte Frist ward den Ungehorsamen gesteckt: hätten sie sich bis dahin nicht getrennt, so sollten sie dem Bann verfallen und ihr Hab und Gut der Kirche.
Entsetzt eilte jetzt mein Vater an den Hof des Königs, Aufhebung des grausamen Spruches zu erflehen. Aber die Satzung des Konzils sprach zu klar und Theoderich konnte es nicht wagen, das Recht der katholischen Kirche zu kränken. Als mein Vater zurückkehrte von Ravenna, mit Gisa zu flüchten, starrte er entsetzt auf die Stätte, wo sein Haus gestanden: der Termin war abgelaufen, und die Drohung erfüllt: sein Haus zerstört, sein Weib, sein Kind verschwunden.
Rasend stürmte er durch ganz Italien, uns zu suchen. Endlich entdeckte er, als Priester verkleidet, seine Gisa in einem Kloster zu Ticinum: ihren Knaben hatte man ihr entrissen und nach Rom geschleppt. Mein Vater bereitet mit ihr alles zur Flucht: sie entkommen um Mitternacht über die Mauern des Klostergartens. Aber am Morgen fehlt die Büßerin bei der Hora: man vermißt sie, ihre Zelle ist leer. Die Klosterknechte folgen den Spuren des Rosses, – sie werden eingeholt: grimmig fechtend fällt mein Vater: meine Mutter wird in ihre Zelle zurückgebracht. Und so furchtbar drücken die Macht des Schmerzes und die Zucht des Klosters auf die zermürbte Seele, daß sie in Wahnsinn fällt und stirbt. Das sind meine Eltern!«
[] »Und du?«
»Mich entdeckte in Rom der alte Hildebrand, ein Waffenfreund meines Großvaters und Vaters: – er entriß mich, mit des Königs Beistand, den Priestern und ließ mich mit seinen eigenen Enkeln in Regium erziehen.«
»Und dein Gut, dein Erbe?«
»Verfiel der Kirche, die es, halb geschenkt, an Theodahad überließ: er war meines Vaters Nachbar, er ist jetzt mein König!«
»Mein armer Freund! Aber wie erging es dir später? Man weiß nur dunkles Gerede – du warst einmal in Griechenland gefangen ... –«
Teja stand auf. »Davon laß mich schweigen; vielleicht ein andermal. Ich war Tor genug, auch einmal an Glück zu glauben und an eines liebenden Gottes Güte. Ich hab' es schwer gebüßt. Ich will's nie wieder tun. Leb wohl, Witichis, und schilt nicht auf Teja, wenn er nicht ist wie andre.«
Er drückte ihm die Hand und war rasch im dunkeln Laubgang verschwunden.
Witichis sah lange schweigend vor sich hin. Dann blickte er gen Himmel, in den hellen Sternen eine Widerlegung der finstern Gedanken zu finden, die des Freundes Worte in ihm geweckt. Er sehnte sich nach ihrem Licht voll Frieden und Klarheit. Aber während des Gesprächs war Nebelgewölk rasch aus den Lagunen aufgestiegen und hatte den Himmel überzogen: es war finster ringsum.
Mit einem Seufzer stand Witichis auf und suchte in ernstem Sinnen sein einsames Lager.
[] Drittes Kapitel.
Während unten in den Hallen des Palatiums Italier und Goten tafelten und zechten, ahnten sie nicht, daß über ihren Häuptern in dem Gemach des Königs eine Verhandlung gepflogen ward, die über ihr und ihres Reiches Schicksale entscheiden sollte.
Unbeobachtet war dem König alsbald der Gesandte von Byzanz nachgefolgt und lange und geheim sprachen und schrieben die beiden miteinander. Endlich schienen sie handelseinig geworden und Petros wollte anheben, nochmal vorzulegen, was sie gemeinsam beschlossen und aufgezeichnet. Aber der König unterbrach ihn. »Halt,« flüsterte der kleine Mann, der in seinem weiten Purpurmantel verloren zu gehen drohte, »halt – noch eins!«
Und er hob sich aus dem schön geschweiften Sitz, schlich durch das Gemach und hob den Vorhang, ob niemand lausche.
Dann kehrte er beruhigt zurück und faßte den Byzantiner leise am Gewand.
Das Licht der Bronzeampel spielte im Winde flackernd auf den gelben vertrockneten Wangen des häßlichen Mannes, der die kleinen Augen zusammenkniff: »Noch dies. Wenn jene heilsamen Veränderungen eintreten sollen – auf daß sie eintreten können, wird es gut sein, ja notwendig, einige der trotzigsten meiner Barbaren unschädlich zu machen.« – »Daran hab' ich bereits gedacht,« nickte Petros. »Da ist der alte halbheidnische Waffenmeister, der grobe Hildebad, der nüchterne Witichis.« –
»Du kennst deine Leute gut,« grinste Theodahad, »du hast dich tüchtig umgesehen. Aber,« raunte er ihm ins Ohr, »einer, den du nicht genannt hast, einer vor allen muß fort.«
»Der ist?«
»Graf Teja, des Tagila Sohn.«
[] »Ist der melancholische Träumer so gefährlich?«
»Der gefährlichste von allen! Und mein persönlicher Feind! schon von seinem Vater her.«
»Wie kam das?«
»Er war mein Nachbar bei Florentia. Ich mußte seine Äcker haben – umsonst drang ich in ihn. Ha,« lächelte er pfiffig, »zuletzt wurden sie doch mein. Die heilige Kirche trennte seine verbrecherische Ehe, nahm ihm sein Gut dabei und ließ mir's – billig – ab. Ich hatte einiges Verdienst um die Kirche in dem Prozeß – dein Freund, der Bischof von Florentia kann dir's genau erzählen.«
»Ich verstehe,« sagte Petros, »was gab der Barbar seine Äcker nicht in Güte! Weiß Teja –?«
»Nichts weiß er. Aber er haßt mich schon deshalb, weil ich sein Erbgut – kaufte. Er wirft mir finstere Blicke zu. Und dieser schwarze Träumer ist der Mann, seinen Feind zu den Füßen Gottes zu erwürgen.«
»So?« sagte Petros, plötzlich sehr nachdenklich. »Nun, genug von ihm: er soll nicht schaden. Laß dir jetzt nochmal den ganzen Vertrag Punkt für Punkt vorlesen; dann unterzeichne.
Erstens. König Theodahad verzichtet auf die Herrschaft über Italien und die zugehörigen Inseln und Provinzen des Gotenreichs: nämlich Dalmatien, Liburnien, Istrien, das zweite Pannonien, Savien, Noricum, Rätien und den gotischen Besitz in Gallien, zugunsten des Kaisers Justinian und seiner Nachfolger auf dem Throne von Byzanz. Er verspricht, Ravenna, Rom, Neapolis und alle festen Plätze des Reichs dem Kaiser ohne Widerstand zu öffnen.«
Theodahad nickte.
»Zweitens. König Theodahad wird mit allen Mitteln dahin wirken, daß das ganze Heer der Goten entwaffnet und in kleinen Gruppen über die Alpen geführt werde. Weiber und Kinder haben nach Auswahl des kaiserlichen Feldherrn [] dem Heere zu folgen oder als Sklaven nach Byzanz zu gehen. Der König wird dafür sorgen, daß jeder Widerstand der Goten erfolglos bleiben muß.
Drittens. Dafür beläßt Kaiser Justinian dem König Theodahad und seiner Gemahlin den Königstitel und die königlichen Ehren auf Lebenszeit, und viertens« –
»Diesen Abschnitt will ich doch mit eigenen Augen lesen«, unterbrach Theodahad, nach der Urkunde langend. »Viertens beläßt der Kaiser dem König der Goten nicht nur alle Ländereien und Schätze, die dieser als sein Privateigentum bezeichnen wird, sondern auch den ganzen Königsschatz der Goten, der allein an geprägtem Gold auf vierzigtausend Pfunde geschätzt ist. Er übergibt ihm ferner zu Erb und Eigen ganz Tuscien von Pistoria bis Cäre, von Populonia bis Clusium, und endlich überweist er an Theodahad auf Lebenszeit die Hälfte aller öffentlichen Einkünfte des durch diesen Vertrag seinem rechtmäßigen Herrn zurückerworbenen Reiches. Sage, Petros, meinst du nicht, ich könnte drei Viertel fordern?« – –
»Fordern kannst du sie, allein ich zweifle sehr, daß sie dir Justinian gewährt. Ich habe schon die Grenzen, die äußersten, meiner Vollmacht überschritten.«
»Fordern wollen wir's doch immerhin,« meinte der König die Zahl ändernd. »Dann muß Justinian heruntermarkten oder dafür andre Vorteile gewähren.«
Um des Petros schmale Lippen spielte ein falsches Lächeln:
»Du bist ein kluger Handelsmann, o König. – Aber hier verrechnest du dich doch,« sagte er zu sich selbst.
Da rauschten schleppende Gewänder den Marmorgang heran und eintrat ins Gemach in langem schwarzem Mantel und schwarzem, mit silbernen Sternen besätem Schleier Amalaswintha, bleich von Antlitz, aber in edler Haltung, eine Königin trotz der verlornen Krone: überwältigende Hoheit der Trauer sprach aus den bleichen Zügen.
[] »König der Goten,« hob sie an, »vergib, wenn an deinem Freudenfeste ein dunkler Schatte noch einmal auftaucht von der Welt der Toten. Es ist zum letztenmal.«
Beide Männer waren von ihrem Anblick betroffen.
»Königin« – stammelte Theodahad.
»Königin! O wär' ich's nie gewesen. Ich komme, Vetter, von dem Sarge meines edeln Sohnes, wo ich Buße getan für all meine Verblendung, und all meine Schuld bereut. Ich steige herauf zu dir, König der Goten, dich zu warnen vor gleicher Verblendung und gleicher Schuld.«
Theodahads unstetes Auge vermied ihren ernsten, prüfenden Blick.
»Es ist ein übler Gast,« fuhr sie fort, »den ich in mitternächtlicher Stunde als deinen Vertrauten bei dir finde. Es ist kein Heil für einen Fürsten als in seinem Volk: zu spät hab' ich's erkannt, zu spät für mich, nicht zu spät, hoff' ich, für mein Volk. Traue du nicht Byzanz: es ist ein Schild, der den erdrückt, den er beschirmen soll.«
»Du bist ungerecht,« sagte Petros, »und undankbar.«
»Tu nicht, mein königlicher Vetter,« fuhr sie fort, »was dieser von dir fordert. Bewillige nicht du, was ich ihm weigerte. Sizilien sollen wir abtreten und dreitausend Krieger dem Kaiser stellen für alle seine Kriege – ich wies die Schmach von mir. Ich sehe«, sprach sie, auf das Pergament deutend, »du hast schon mit ihm abgeschlossen. Tritt zurück, sie werden dich immer täuschen.«
Ängstlich zog Theodahad die Urkunde an sich: er warf einen mißtrauischen Blick auf Petros.
Da trat dieser gegen Amalaswintha vor: »Was willst du hier, du Königin von gestern? Willst du dem Beherrscher dieses Reiches wehren? Deine Zeit und deine Macht ist um.« – »Verlaß uns,« sagte Theodahad, ermutigt. »Ich werde tun was mir gutdünkt. Es soll dir nicht gelingen mich von meinen [] Freunden in Byzanz zu trennen. Sieh her, vor deinen Augen soll unser Bund geschlossen sein.« Und er zeichnete seinen Namen auf die Urkunde.
»Nun,« lächelte Petros, »kamst du noch eben recht, als Zeugin mit zu unterzeichnen.«
»Nein,« sprach Amalaswintha mit einem drohenden Blick auf die beiden Männer, »ich kam noch eben recht, euren Plan zu vereiteln. Ich gehe geradeswegs von hier zum Heere, zur Volksversammlung, die nächstens bei Regeta tagt. Aufdecken will ich da selbst vor allem Volk deine Anträge, die Pläne von Byzanz und dieses schwachen Fürsten Verrat.«
»Das wird nicht angehn«, sagte Petros ruhig, »ohne dich selbst zu verklagen.«
»Ich will mich selbst verklagen. Enthüllen will ich all meine Torheit, all meine blutige Schuld und gern den Tod erleiden, den ich verdient. Aber warnen, aufschrecken soll diese meine Selbstanklage mein ganzes Volk vom Ätna bis zu den Alpen; eine Welt von Waffen soll euch entgegenstehn, und retten werd' ich meine Goten durch meinen Tod von der Gefahr, in die mein Leben sie gestürzt.« Und in edler Begeisterung eilte sie aus dem Gemach.
Verzagt blickte Theodahad auf den Gesandten: lang fand er keine Worte: »Rate, hilf –«, stammelte er endlich.
»Raten? Da hilft nur Ein Rat. Die Rasende wird sich und uns verderben, läßt man sie gewähren. Sie darf ihre Drohung nicht erfüllen. Dafür mußt du sorgen.«
»Ich?« rief Theodahad erschreckt; »ich kann dergleichen nicht! Wo ist Gothelindis? Sie, sie allein kann helfen.«
»Und der Präfekt,« sagte Petros – »sende nach ihnen.«
Alsbald waren die beiden Genannten von dem Festmahle heraufbeschieden. Petros verständigte sie von den Worten der Fürstin, ohne jedoch dem Präfekten den Vertrag als Veranlassung des Auftritts zu nennen.
[] Kaum hatte er gesprochen, so rief die Königin:
»Genug, sie darf es nicht vollenden. Man muß ihre Schritte bewachen, sie darf mit keinem Goten in Ravenna sprechen – sie darf den Palast nicht verlassen. Das vor allem!« Und sie eilte hinaus, vertraute Sklaven vor Amalaswinthens Gemächer zu senden. Alsbald kehrte sie wieder. »Sie betet laut in ihrer Kammer,« sprach sie verächtlich. »Auf, Cethegus, laß uns ihre Gebete vereiteln.«
Cethegus hatte, mit dem Rücken an die Marmorsäulen des Eingangs gelehnt, die Arme über der Brust gekreuzt, diese Vorgänge schweigend und sinnend mit angehört. Er erkannte die Notwendigkeit, die Fäden der Ereignisse wieder mehr in seine Hand zu versammeln und straffer anzuziehen. Er sah Byzanz immer mehr in den Vordergrund dringen: – das durfte nicht weiter angehn.
»Sprich, Cethegus,« mahnte Gothelindis nochmals, »was tut jetzt vor allem not?«
»Klarheit,« sagte dieser sich aufrichtend. »In jedem Bunde muß der Zweck, der besondere Zweck jedes der Verbündeten klar sein: sonst werden sie stets sich durch Mißtrauen hemmen. Ihr habt eure Zwecke – ich habe den meinen. Eure Zwecke liegen am Tage: ich habe sie euch neulich schon gesagt: du Petros, willst, daß Kaiser Justinian an der Goten Statt in Italien herrsche: ihr, Gothelindis und Theodahad, wollt dies auch, gegen reiche Entschädigung an Rache, Geld und Ehren. Ich aber – ich habe auch meinen Zweck: was hilft es, das zu verhehlen? Mein schlauer Petros, du würdest doch nicht lange mehr glauben, daß ich nur den Ehrgeiz habe, dein Werkzeug zu sein, und dereinst Senator in Byzanz zu werden. Also auch ich habe meinen Zweck: all eure dreieinige Schlauheit würde ihn nie entdecken, weil er zu nahe vor Augen liegt. Ich muß ihn euch selbst verraten.
Der versteinerte Cethegus hat noch eine Liebe: sein Italien. [] Drum will er, wie ihr, die Goten fort haben aus diesem Land.
Aber er will nicht, wie ihr, daß Kaiser Justinianus unbedingt an ihre Stelle trete: er will nicht die Traufe statt des Regens.
Am liebsten möchte ich, der unverbesserliche Republikaner – du weißt, mein Petros, wir waren es damals beide mit achtzehn Jahren auf der Schule von Athen und ich bin es noch: aber du brauchst es dem Kaiser, deinem Herrn, nicht zu melden, ich hab' es ihm lange selbst geschrieben – die Barbaren hinauswerfen, ohne euch hereinzulassen.
Das geht nun leider nicht an: wir können eurer Hilfe nicht entbehren. Doch will ich diese auf das Unvermeidliche beschränken. Kein byzantinisch Heer darf diesen Boden betreten, als um ihn im letzten Augenblick der Not aus der Hand der Italier zu empfangen. Italien sei mehr ein von den Italiern dargebrachtes Geschenk als eine Eroberung für Justinian. Die Segnungen der Feldherrn und Steuerrechner, die Byzanz über die Länder bringt, die es befreit, sollen uns erspart bleiben: wir wollen euern Schutz, nicht eure Tyrannei.«
Über Petros' Züge zog ein feines Lächeln, das Cethegus nicht zu bemerken schien; er fuhr fort: »So vernehmt meine Bedingung. Ich weiß, Belisarius liegt mit Flotte und Heer nah bei Sizilien. Er darf nicht landen. Er muß heimkehren. Ich kann keinen Belisar in Italien brauchen. Wenigstens nicht eher als ich ihn rufe. Und sendest du, Petros, ihm nicht sofort diesen Befehl zu, so scheiden sich unsre Wege. Ich kenne Belisar und Narses und ihre Soldatenherrschaft und ich weiß, welch' milde Herren diese Goten sind. Und mich erbarmt Amalaswinthens: sie war eine Mutter meines Volks. Deshalb wählet, wählet zwischen Belisar und Cethegus. Landet Belisar, so steht Cethegus und ganz Italien zu Amalaswintha und den Goten: und dann laß sehn, ob ihr uns eine Scholle dieses Landes entreißt. Wählt ihr Cethegus, so bricht er die[] Macht der Barbaren und Italien unterwirft sich dem Kaiser als seine freie Gattin, nicht als seine Sklavin. Wähle, Petros.«
»Stolzer Mann,« sprach Gothelindis, »du wagst uns Bedingungen zu setzen, uns, deiner Königin?« Und drohend erhob sie die Hand.
Aber mit eiserner Faust ergriff Cethegus diese Hand und zog sie ruhig herab. »Laß die Possen, Eintagskönigin. Hier unterhandeln nur Italien und Byzanz. Vergißt du deine Ohnmacht, so muß man dich dran mahnen. Du thronst, solange wir dich halten.« Und mit so ruhiger Majestät stand er vor dem zornmütigen Weib, daß sie verstummte. Aber ihr Blick sprühte unauslöschlichen Haß.
»Cethegus,« sagte jetzt Petros, der sich einstweilen entschlossen, »du hast recht. Byzanz kann für den Augenblick nicht mehr erreichen als deine Hilfe, weil nichts ohne sie. Wenn Belisar umkehrt, so gehst du ganz mit uns und unbedingt?«
»Unbedingt.«
»Und Amalaswinthen?«
»Geb' ich preis.«
»Wohlan,« sagte der Byzantiner, »es gilt.«
Er schrieb auf eine Wachstafel in kurzen Worten den Befehl zur Heimkehr an Belisar und reichte sie dem Präfekten: »Du magst die Botschaft selbst bestellen.«
Cethegus las sorgfältig: »Es ist gut,« sagte er, die Tafel in die Brust steckend, »es gilt.«
»Wann bricht Italien los auf die Barbaren?« fragte Petros.
»In den ersten Tagen des nächsten Monats. Ich gehe nach Rom. Leb' wohl.«
»Du gehst? Und hilfst uns nicht das Weib – die Tochter Theoderichs verderben?« fragte die Königin mit bittrem Vorwurf. »Erbarmt dich ihrer abermals?«
»Sie ist gerichtet,« sagte Cethegus, an der Tür sich kurz [] umwendend. »Der Richter geht – der Henker Amt hebt an.« Und stolz schritt er hinaus.
Da faßte Theodahad, der sprachlos vor Staunen den Byzantiner hatte handeln sehn, mit Entsetzen dessen Hand: »Petros,« rief er, »um Gott und aller Heiligen willen, was hast du getan? Unser Vertrag und alles ruht auf Belisar und du schickst ihn nach Hause?«
»Und läßt diesen Übermütigen triumphieren?« knirschte Gothelindis.
Aber Petros lächelte: der Sieg der Schlauheit strahlte auf seinem Antlitz. »Seid ruhig,« sagte er, »diesmal ist er überwunden, der Allüberwinder Cethegus, besiegt von dem verhöhnten Petros.« Er ergriff Theodahad und Gothelindis an den Händen, zog sie nahe an sich, sah sich um, und flüsterte dann: »Vor jenem Brief an Belisar steht ein kleiner Punkt: der bedeutet ihm: all das Geschriebene ist nicht ernst gemeint, ist nichtig. Ja, ja, man lernt, man lernt die Schreibekunst am Hofe von Byzanz.«
Viertes Kapitel.
Zwei Tage nach der nächtlichen Begegnung mit Theodahad und Petros verbrachte Amalaswintha in einer Art von wirklicher oder vermeinter Gefangenschaft.
So oft sie ihre Gemächer verließ, so oft sie einbog in einen Gang des Palastes, jedesmal glaubte sie hinter oder neben sich Gestalten auftauchen, hingleiten, verschwinden zu sehen, die ebenso eifrig bedacht schienen, all ihre Schritte zu beobachten als sich selbst ihren Blicken zu entziehen: kaum zu dem Grabe ihres Sohnes konnte sie unbewacht niedersteigen.
Umsonst fragte sie nach Witichis, nach Teja: sie hatten gleich am Morgen nach dem Krönungsfest in Aufträgen des Königs die Stadt verlassen. Das Gefühl, vereinsamt und von [] bösen Feinden umlauert zu sein, ruhte drückend auf ihrer Seele.
Schwer und düster hingen am Morgen des dritten Tages die herbstlichen Regenwolken auf Ravenna herab, als sich Amalaswintha von dem schlummerlosen Lager erhob. Unheimlich berührte es sie, daß, als sie an das Fenster von Frauenglas trat, ein Rabe krächzend von dem Marmorsims aufstieg und mit heiserem Schrei und schwerem Flügelschlag langsam über die Gärten dahinflog.
Die Fürstin fühlte schon daran, wie geknickt ihre Seele war durch diese Tage von Schmerz, Furcht und Reue, daß sie sich des finstern Eindrucks nicht erwehren konnte, den ihr die frühen Herbstnebel, aus den Lagunen der Seestadt aufsteigend, brachten. Seufzend blickte sie in die graue Sumpflandschaft hinaus.
Schwer war ihr Herz von Reue und Sorge.
Und ihr einziger Halt der Gedanke, durch freie Selbstanklage und volle Demütigung vor allem Volk das Reich noch zu retten um den Preis ihres Lebens. Denn sie zweifelte nicht, daß die Gesippen und Bluträcher der drei Herzoge ihre Pflicht vollauf erfüllen würden. In solchen Gedanken schritt sie durch die öden Hallen und Gänge des Palastes, diesmal, wie sie glaubte, unbelauscht, hinunter zu der Ruhestätte ihres Sohnes, sich in den Vorsätzen der Buße und Sühne an ihrem Volk zu befestigen.
Als sie nach geraumer Zeit aus der Gruft wieder emporstieg und in einen dunkeln Gewölbgang einlenkte, huschte ein Mann in Sklaventracht aus einer Nische hervor – sie glaubte sein Gesicht schon oft gesehen zu haben – drückte ihr eine kleine Wachstafel in die Hand und war seitab verschwunden.
Sie erkannte sofort – die Handschrift Cassiodors –.
Und sie erriet nun auch den geheimnisvollen Überbringer: es war Dolios, der Briefsklave ihres treuen Ministers. Rasch [] die Tafel in ihrem Gewande bergend eilte sie in ihr Gemach. Dort las sie: »In Schmerz, nicht in Zorn, schied ich von Dir. Ich will nicht, daß Du unbußfertig abgerufen werdest und deine unsterbliche Seele verloren gehe«. Flieh aus diesem Palast, aus dieser Stadt: dein Leben ist keine Stunde mehr sicher. Du kennst Gothelindis und ihren Haß. Traue niemand als meinem Schreiber und finde Dich um Sonnenuntergang bei dem Venustempel im Garten ein. Dort wird Dich meine Sänfte erwarten und in Sicherheit bringen, nach meiner Villa im Bolsener See. Folge und vertraue.
Gerührt ließ Amalaswintha den Brief sinken: der vielgetreue Cassiodor! Er hatte sie doch nicht ganz verlassen. Er bangte und sorgte noch immer für das Leben der Freundin. Und jene reizende Villa auf der einsamen Insel im blauen Bolsener See! Dort hatte sie, vor vielen, vielen Jahren, als Gast Cassiodors, in voller Blüte der Jugendschönheit, Hochzeit gehalten mit Eutharich, dem edeln Amalungen, und, von allem Schimmer der Macht und Ehren umflossen, ihrer Jugend stolzeste Tage gefeiert.
Ihr sonst so hartes, aber jetzt vom Unglück erweichtes Gemüt beschlich mächtige Sehnsucht, die Stätte ihrer schönsten Freuden wiederzusehen. Schon dies Eine Gefühl trieb sie mächtig an, der Mahnung Cassiodors zu folgen: noch mehr die Furcht – nicht für ihr Leben, denn sie wollte sterben –, die Raschheit ihrer Feinde möchte ihr unmöglich machen, das Volk zu warnen und das Reich zu retten. Endlich überlegte sie, daß der Weg nach Regeta bei Rom, wo in Bälde die große Volksversammlung, wie alljährlich im Herbst, statthaben sollte, sie am Bolsener See vorüberführte. Also war es nur eine Beschleunigung ihres Planes, wenn sie schon jetzt in dieser Richtung aufbrach. Um aber auf alle Fälle sicher zu gehn, um, auch wenn sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen sollte, ihre warnende Stimme an das Ohr des Volks gelangen zu lassen, [] beschloß sie einem Brief an Cassiodor, den auf seiner Villa anzutreffen sie nicht bestimmt voraussetzen konnte, ihre ganze Beichte und die Enthüllung aller Pläne der Byzantiner und Theodahads anzuvertrauen.
Bei geschlossenen Türen schrieb sie die schmerzreichen Worte nieder: heiße Tränen des Dankes und der Reue fielen auf das Pergament, das sie sorgfältig siegelte und dem treuesten ihrer Sklaven übergab, es sicher nach dem Kloster Squillacium in Apulien, der Stiftung und dem gewöhnlichen Aufenthalt Cassiodors, zu befördern.
* * *
Langsam verstrichen der Fürstin die zögernden Stunden des Tages. Mit ganzer Seele hatte sie des Freundes dargebotene Hand ergriffen. Erinnerung und Hoffnung malten ihr um die Wette das Eiland im Bolsener See als ein teures Asyl: dort hoffte sie Ruhe und Frieden zu finden. Sie hielt sich sorgsam innerhalb ihrer Gemächer, um keinem ihrer Wächter Veranlassung zum Verdacht, Gelegenheit, sie aufzuhalten, zu geben. Endlich war die Sonne gesunken.
Mit leisen Schritten eilte Amalaswintha, ihre Sklavinnen zurückweisend und nur einige Kleinodien und Dokumente unter dem weiten Mantel bergend, aus ihrem Schlafgemach in den breiten Säulengang, der zur Gartentreppe führte. Sie zitterte, hier wie gewöhnlich auf einen der lauschenden Späher zu stoßen, gesehen, angehalten zu werden. Häufig sah sie sich um, vorsichtig blickte sie sogar in die Statuennischen: alles war leer, kein Lauscher folgte diesmal ihren Tritten. So erreichte sie unbeobachtet die Plattform der Freitreppe, die Palast und Garten verband und weiten Ausblick über diesen hin gewährte. Scharf überschaute sie den nächsten Weg, der zum Venustempel führte. Der Weg war frei.
Nur die welken Blätter raschelten wie unwillig von den [] rauschenden Platanen auf die Sandpfade nieder, gewirbelt von dem Winde, der fern, jenseits der Gartenmauer, Nebel und Wolken in geisterhaften Gestalten vor sich her trieb: es war unheimlich in dem ausgestorbenen Garten und seiner grauen Dämmerung.
Die Fürstin fröstelte, der kalte Abendwind zerrte an ihrem Schleier und Mantel: einen scheuen Blick warf sie noch auf die düstern, lastenden Steinmassen des Palastes hinter sich, in dem sie so stolz gewaltet und geherrscht und aus dem sie nun einsam, scheu, verfolgt wie eine Verbrecherin flüchtete. Sie dachte des Sohnes, der in den Tiefen des Palastes ruhte. – Sie dachte der Tochter, die sie selbst aus diesen Mauern, aus ihrer Nähe verbannt hatte.
Und einen Augenblick drohte der Schmerz die Verlassene zu überwältigen: sie wankte, mühsam hielt sie sich aufrecht an dem breiten Marmorgeländer der Terrasse: ein Fieberschauer rüttelte an ihrem Leibe wie das Grauen der Verlassenheit an ihrer Seele.
»Aber mein Volk!« sprach sie zu sich selbst, »und meine Buße – ich will's vollenden.« Gekräftigt von diesem Gedanken eilte sie die Stufen der Treppe hinab und bog in den von Efeu überwölbten Laubgang ein, der quer durch den Garten führte und an dem Venustempel mündete. Rasch schritt sie voran, erbebend, wann zu einem der Seitengänge das Herbstlaub wie seufzend hereinwirbelte.
Atemlos langte sie vor dem kleinen Tempel an und ließ ringsum die suchenden Blicke schweifen. Aber keine Sänfte, keine Sklaven waren zu sehen, rings war alles still: nur die Äste der Platanen seufzten im Winde.
Da schlug das nahe Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr.
Sie wandte sich: um den Vorsprung der Mauer bog mit hastigen Schritten ein Mann. Es war Dolios. Er winkte, scheu umherspähend. Rasch eilte die Fürstin auf ihn zu, folgte [] ihm um die Ecke: und vor ihr stand Cassiodors wohlbekannter gallischer Reisewagen, die bequeme und vornehme Carruca, von allen vier Seiten mit verschiebbaren Gitterläden von feinem Holzwerk umschlossen, und mit dem raschen Dreigespann belgischer Manni beschirrt.
»Eile tut not, o Fürstin,« flüsterte Dolios, sie in die weichen Polster hebend. »Die Sänfte ist zu langsam für den Haß deiner Feinde. Stille und Eile, daß uns niemand bemerkt.«
Amalaswintha blickte noch einmal um sich.
Dolios öffnete das Tor des Gartens und führte den Wagen vor dasselbe hinaus. Da traten zwei Männer aus dem Gebüsch: der eine bestieg den Sitz des Wagenlenkers vor ihr: der andre schwang sich auf eines der beiden gesattelt vor dem Tore stehenden Rosse: sie erkannte die Männer als vertraute Sklaven Cassiodors: sie waren wie Dolios mit Waffen versehen. Dieser sperrte wieder sorgfältig das Gartentor und ließ die Gitterladen des Wagens herab. Dann warf er sich auf das zweite der Pferde und zog das Schwert: »Vorwärts!« rief er.
Und von dannen jagte der kleine Zug, als wär' ihm der Tod auf der Ferse.
Fünftes Kapitel.
Die Fürstin wiegte sich in Gefühlen des Dankes, der Freiheit, der Sicherheit. Sie baute schöne Entwürfe der Sühne.
Schon sah sie ihr Volk durch ihre warnende Stimme gerettet vor Byzanz, vor dem Verrat des eigenen Königs: schon hörte sie den begeisterten Ruf des tapferen Heeres, der den Feinden Verderben, ihr aber Verzeihung verkündete. In solchen Träumen verflogen ihr die Stunden, die Tage und Nächte. Unausgesetzt eilte der Zug vorwärts: drei-, viermal des Tages wurden die Pferde des Wagens und der Reiter [] gewechselt, so daß sie Meile um Meile wie im Fluge zurücklegten.
Wachsam hütete Dolios die ihm anvertraute Fürstin: mit gezogenem Schwert schützte er den Zugang zum Wagen, während seine Begleiter Speisen und Wein aus den Stationen holten. Jene geflügelte Eile und diese treue Wachsamkeit benahm Amalaswinthen eine Besorgnis, deren sie sich eine Weile nicht hatte erwehren können: ihr war, sie würden verfolgt.
Zweimal, in Perusia und in Clusium, glaubte sie, wie der Wagen hielt, dicht hinter sich Rädergerassel zu hören und den Hufschlag eilender Rosse: ja in Clusium meinte sie, aus dem niedergelassenen Gitterladen zurückspähend, eine zweite Carruca, ebenfalls von Reitern begleitet, in das Tor der Stadt einbiegen zu sehen.
Aber als sie Dolios davon sprach, jagte der spornstreichs nach dem Tore zurück und kam sogleich mit der Meldung wieder, daß nichts wahrzunehmen sei; auch hatte sie von da ab nichts mehr bemerkt: und die rasende Eile, mit der sie sich dem ersehnten Eiland näherte, ließ sie hoffen, daß ihre Feinde, selbst wenn sie ihre Flucht entdeckt und eine Strecke weit verfolgt haben sollten, alsbald ermüdet zurückgeblieben seien.
Da verdüsterte ein Unfall, unbedeutend an sich, aber unheilkündend durch seine begleitenden Umstände, plötzlich die hellere Stimmung der flüchtenden Fürstin.
Es war hinter der kleinen Stadt Martula.
Öde baumlose Heide dehnte sich unabsehbar nach jeder Richtung: nur Schilf und hohe Sumpfgewächse ragten aus den feuchten Niederungen zu beiden Seiten der römischen Hochstraße und nickten und flüsterten gespenstisch im Nachtwind. Die Straße war hin und wieder mit niedern, von Reben überflochtenen Mauern eingefaßt und, nach altrömischer Sitte, mit Grabmonumenten, die aber oft traurig zerfallen [] waren und mit ihren auf dem Wege zerstreuten Steintrümmern den Pferden das Fortkommen erschwerten.
Plötzlich hielt der Wagen mit einem heftigen Ruck und Dolios riß die rechte Türe auf. »Was ist geschehen,« rief die Fürstin erschreckt, »sind wir in Feindes Hand?«
»Nein,« sprach Dolios, der, ihr von je als verschlossen und finster bekannt, auf dieser Reise fast unheimlich schweigsam schien, »ein Rad ist gebrochen. Du mußt aussteigen und warten, bis es gebessert.«
Ein heftiger Windstoß löschte in diesem Augenblick seine Fackel und naßkalter Regen schlug in der Bestürzten Antlitz. »Aussteigen? hier? und wohin dann? hier ist nirgend ein Haus, ein Baum, der Schutz böte vor Regen und Sturm. Ich bleibe in dem Wagen.« – »Das Rad muß abgehoben werden. Dort das Grabmal, mag dir Schutz gewähren.«
Mit einem Schauer von Furcht gehorchte Amalaswintha und schritt über die Steintrümmer, die ringsum zerstreut lagen, nach der rechten Seite des Weges, wo sie jenseit des Grabens ein hohes Monument aus der Dunkelheit ragen sah. Dolios half ihr über den Graben.
Da schlug von der Straße hinter ihrem Wagen her das Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Erschrocken blieb sie stehen.
»Es ist unser Nachreiter,« sagte Dolios rasch, »der uns den Rücken deckt, komm.«
Und er führte sie durch feuchtes Gras den Hügel heran, auf dem sich das Monument erhob. Oben angelangt setzte sie sich auf die breite Steinplatte eines Sarkophags.
Da war Dolios plötzlich im Dunkel verschwunden, vergebens rief sie ihn zurück: bald sah sie unten auf der Straße seine Fackel wieder brennen: rot leuchtete sie durch die Nebel der Sümpfe: und der Sturm entführte rasch den Schall der Hammerschläge der Sklaven, die an dem Rade arbeiteten.
So saß die Tochter des großen Theoderich, einsam und [] todesflüchtig, auf der Heerstraße in unheimlicher Nacht; der Sturm riß an ihrem Mantel und Schleier, der feine kalte Regen durchnäßte sie, in den Zypressen hinter dem Grabmal seufzte melancholisch der Wind, oben am Himmel jagte zerfetztes Gewölk und ließ nur manchmal einen flüchtigen Mondstrahl durch, der die gleich wieder folgende Dunkelheit noch düsterer machte.
Banges Grauen durchschlich fröstelnd ihr Herz.
Allmählich gewöhnte sich ihr Auge an die Dunkelheit und umhersehend konnte sie die Umrisse der nächsten Dinge deutlicher unterscheiden: da – ihr Haar sträubte sich vor Entsetzen – da war ihr, als säße dicht hinter ihr auf dem erhöhten Hintereck des Sarkophags eine zweite Gestalt: – ihr eigener Schatten war es nicht –: eine kleinere Gestalt in weitem faltigem Gewand, die Arme auf die Kniee, das Haupt in die Hände gestützt und zu ihr herunterstarrend.
Ihr Atem stockte, sie glaubte flüstern zu hören, fieberhaft strengte sie die Sinne an zu sehen, zu hören: da flüsterte es wieder: »Nein, nein: noch nicht!« So glaubte sie zu hören. Sie richtete sich leise auf, auch die Gestalt schien sich zu regen, es klirrte deutlich wie Stahl auf Stein.
Da schrie die Geängstigte: »Dolios! Licht! Hilfe! Licht!« Und sie wollte den Hügel hinab, aber zitternd versagten die Kniee, sie fiel und verletzte die Wange an dem scharfen Gestein.
Da war Dolios mit der Fackel heran, schweigend erhob er die Blutende: er fragte nicht. »Dolios,« rief sie, sich fassend, »gib die Leuchte: ich muß sehen, was dort war, was dort ist.«
Sie nahm die Fackel und schritt entschlossen um die Ecke des Sarkophags: es war nichts zu sehen: aber jetzt, im Glanze der Fackel, erkannte sie, daß das Monument nicht, wie die übrigen, ein altes, daß es sichtlich erst neu errichtet war, so unverwittert war der weiße Marmor, so frisch die schwarzen Buchstaben der Inschrift. –
[] Von jener seltsamen Neugier, die sich mit dem Grauen verbindet, unwiderstehlich fortgerissen, hielt sie die Fackel dicht an den Sockel des Monuments und las bei flackerndem Licht die Worte: »Ewige Ehre den drei Balten Thulun, Ibba und Pitza. Ewiger Fluch ihren Mördern.«
Mit einem Aufschrei taumelte Amalaswintha zurück.
Dolios führte die Halbohnmächtige zu dem Wagen. Fast bewußtlos legte sie die noch übrigen Stunden des Weges zurück. Sie fühlte sich krank an Leib und Seele. Je näher sie dem Eiland kam, desto lebhafter ward die fieberhafte Freude, mit der sie es ersehnt, verdrängt von einer ahnungsvollen Furcht: mit Bangen sah sie die Sträucher und Bäume des Weges immer rascher an sich vorüberfliegen.
Endlich machten die dampfenden Rosse halt.
Sie senkte die Läden und blickte hinaus: es war die kalte, unheimliche Stunde, da das erste Tagesgrauen ankämpft gegen die noch herrschende Nacht: sie waren, so schien es, angelangt am Ufer des Sees: aber von seinen blauen Fluten war nichts zu sehen; ein düstrer grauer Nebel lag undurchdringlich wie die Zukunft vor ihren Augen: von der Villa, ja von der Insel selbst war nichts zu entdecken. Rechts vom Wagen stand eine niedrige Fischerhütte tief in dem dichten, ragenden Schilf, durch welches wie seufzend der Morgenwind fuhr, daß die schwankenden Häupter sich bogen.
Seltsam: ihr war, als warnten und winkten sie hinweg von dem dahinter verborgenen See.
Dolios war in die Hütte gegangen; er kam jetzt zu rück und hob die Fürstin aus dem Wagen, schweigend führte er sie durch den feuchten Wiesengrund nach dem Schilf zu.
Da lag am Ufer eine schmale Fähre: sie schien mehr im Nebel als im Wasser zu schwimmen.
Am Steuer aber saß in einem grauen zerfetzten Mantel gehüllt ein alter Mann, dem die langen weißen Haare wirr [] ins Gesicht hingen. Er schien vor sich hin zu träumen mit geschlossenen Augen, die er nicht aufschlug, als die Fürstin in den schwankenden Nachen stieg und sich in der Mitte desselben auf einem Feldstuhl niederließ.
Dolios trat an den Schnabel des Schiffes und ergriff zwei Ruder, die Sklaven blieben bei dem Wagen zurück.
»Dolios,« rief Amalaswintha besorgt, »es ist sehr dunkel, wird der Alte steuern können in diesem Nebel, und an keinem Ufer ein Licht?« – »Das Licht würde ihm nichts nützen, Königin, er ist blind.« – »Blind?« rief die Erschrockene, »laß landen! kehr' um!« – »Ich fahre hier seit bald zwanzig Jahren,« sprach der greise Ferge, »kein Sehender kennt den Weg gleich mir.« – »So bist du blind geboren?«
»Nein, Theoderich der Amaler ließ mich blenden, weil mich Alarich, der Baltenherzog, des Thulun Bruder, gedungen hätte, ihn zu morden. Ich bin ein Knecht der Balten, war ein Gefolgsmann Alarichs, aber ich war so unschuldig wie mein Herr, Alarich der Verbannte. Fluch über die Amalungen!« rief er mit zornigem Ruck am Steuer.
»Schweig! Alter,« sprach Dolios.
»Warum soll ich heute nicht sagen, was ich bei jedem Ruderschlag seit zwanzig Jahren sage? Es ist mein Taktspruch. – Fluch den Amalungen!«
Mit Grauen sah die Flüchtige auf den Alten, der in der Tat mit völliger Sicherheit und pfeilgerade fuhr. Sein weiter Mantel und wirres Haar flogen im Winde: ringsum Nebel und Stille, nur das Ruder hörte man gleichförmig einschlagen, leere Luft und graues Licht auf allen Seiten. Ihr war, als führe sie Charon über den Styx in das graue Reich der Schatten. – Fiebernd hüllte sie sich in ihren faltigen Mantel.
Noch einige Ruderschläge und sie landeten.
Dolios hob die Zitternde heraus: der Alte aber wandte sein Boot schweigend und ruderte so rasch und sicher zurück [] wie er gekommen. Mit einer Art von Grauen sah ihm Amalaswintha nach, bis er in dem dichten Nebel verschwand.
Da war es ihr, als höre sie den Schall von Ruderschlägen eines zweiten Schiffes, die rasch näher und näher drangen. Sie fragte Dolios nach dem Grund dieses Geräusches.
»Ich höre nichts,« sagte dieser, »du bist allzu erregt, komm in das Haus.« Sie wankte, auf seinen Arm gestützt die in den Felsboden gehauenen Stufen hinan, die zu der burgähnlichen, hochgetürmten Villa führten: von dem Garten, der, wie sie sich lebhaft erinnerte, zu beiden Seiten dieses schmalen Weges sich dehnte, waren in dem Nebel kaum die Linien der Baumreihen zu sehen.
Endlich erreichten sie das hohe Portal, eine eherne Tür im Rahmen von schwarzem Marmor. Der Freigelassene pochte mit dem Knauf seines Schwertes: – dumpf dröhnte der Schlag in den gewölbten Hallen nach – die Türe sprang auf.
Amalaswintha gedachte, wie sie einst durch dieses Tor, das die Blumengewinde fast versperrt hatten, an ihres Gatten Seite eingezogen, war: sie gedachte, wie sie die Pförtner, gleichfalls ein jung vermähltes Paar, so freundlich begrüßt.
Der finstersehende Sklave mit wirrem grauem Haar, der jetzt mit Ampel und Schlüsselbund vor ihr stand, war ihr fremd.
»Wo ist Fuscina, des früheren Ostiarius Weib? ist sie nicht mehr im Hause?« fragte sie.
»Die ist lang ertrunken im See,« sagte der Pförtner gleichgültig und schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fürstin: sie mußte sich die kalten dunkeln Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken ihrer Fähre geleckt. Sie gingen durch Bogenhöfe und Säulenhallen: – alles leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Öde: – die ganze Villa schien ein weites Totengewölbe.
»Das Haus ist unbewohnt? ich bedarf einer Sklavin.«
»Mein Weib wird dir dienen.«
[] »Ist sonst niemand in der Villa?«
»Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt.«
»Ein Arzt – ich will ihn –«
Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige dumpfe Schläge: schwer dröhnten sie durch die leeren Räume. Entsetzt fuhr Amalaswintha zusammen. »Was war das?« fragte sie, Dolios' Arm fassend. Sie hörte die schwere Türe zufallen.
»Es hat nur jemand Einlaß begehrt,« sagte der Ostiarius und schloß die Türe des für die Flüchtige bestimmten Gemaches auf. Die dumpfe Luft eines lang nicht mehr geöffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit Rührung erkannte sie die Schildplattbekleidung der Wände: es war dasselbe Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt: überwältigt von der Erinnerung glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunkeln Polstern belegt war.
Sie verabschiedete die beiden Männer, zog die Vorhänge des Lagers um sich her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf.
Sechstes Kapitel.
So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild jagte Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber.
Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: – Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien ihr zu sich herabzuwinken: – das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens – dann Nebel und Wolken und blattlose Bäume, drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewändern: und der blinde Fährmann: in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem [] Steine hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher und näher, – beengend, – erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da – nein, es war kein Traumgesicht – da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter Schatten.
Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhangs auseinander – da war nichts mehr zu sehen.
Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf in der Wand, der draußen einen Hammer in Bewegung setzte.
Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen: sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen.
Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebtüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badstube des unteren, deren Decke – eine große, kreisförmige Metallplatte, – den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm- und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfüllt werden konnte.
[] Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten.
Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief, erschien das Weib des Türsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den Heizstübchen, den Auskleide- und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Tür.
Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief: gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und köstliche Düfte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschliffenem Glas: gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Zedernholz, die auf zwölf Staffeln zu einer Sprungbrücke führte: rings an den Marmorwänden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten.
[] Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten und wandte sich zur Türe. »Woher bist du mir bekannt?« fragte die Fürstin sie nachdenklich betrachtend, »wie lange bist du hier?«
»Seit acht Tagen.« Und sie ergriff die Türe.
»Wie lange dienst du Cassiodor?«
»Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.«
Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes – zu spät: sie war hinaus, die Türe war zugefallen und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem andern Ausgang.
Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei: Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke.
Aber keine Flucht schien möglich: die Türe war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken: nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen: verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen: endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenüber – und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben, und die ovale Öffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt.
War es ein menschlich Antlitz?
Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens [] verzerrte Züge: und eine Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick.
Amalaswintha brach in die Kniee und verhüllte ihr Gesicht. »Du – du hier!«
Ein heiseres Lachen war die Antwort. »Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! – es wird dein Grab! mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht Tagen.
Ich habe dich hierher gelockt: ich bin dir hierher nachgeschlichen wie dein Schatte: lange Tage, lange Nächte hab' ich den brennenden Haß getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese hochmütigen Züge zuckt: o ein Meer von Rache will ich trinken.«
Händeringend erhob sich Amalaswintha: »Rache! Wofür? Woher dieser tödliche Haß?«
»Ha, du fragst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen und das Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die ersten unter ihren Gespielinnen: beide jung, schön und lieblich: Königskind die eine, die andre die Tochter der Balten. Und die Mädchen sollten eine Königin des Spieles wählen: und sie wählten Gothelindis, denn sie war noch schöner als du und nicht so herrisch: und sie wählten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei von wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt: und als man mich zum dritten wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere« –
»Halt ein, o schweig, Gothelindis.«
– »Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange [] eine klaffende Wunde und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.«
»Verzeih, vergib, Gothelindis!« jammerte die Gefangene. »Du hattest mir ja längst verziehn.«
»Verzeihen? ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich verzeihen? Du hattest gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich: sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen.
Und Jahre vergingen.
Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunkeln Auge und der weichen Seele: und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld – denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet –, daß die arme, mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte.
Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz, weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest.
Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen: und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung – oder war es zum Hohne? – gab man auch mir einen Amaler: – Theodahad, den elenden Feigling!«
»Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich –«
[] »Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? O, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt – alles hätt' ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Zepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht – Rache, Rache für ihn.«
Und die weite Wölbung widerhallte von dem Ruf: »Rache! Rache!«
»Zu Hilfe!« rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang.
»Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab' ich solang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab' ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor Einer Stunde an deinem Bette, hab' ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: – denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.«
»Entsetzliche!«
»O, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.«
»Was willst du tun?« rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend.
»Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen [] Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich, und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen! In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die stolzen Glieder getrocknet; – in diesem Bade sollst du sterben!«
Und sie drückte an einer Feder.
Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Füßen.
»Denk an mein Auge!« rief Gothelindis, und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusentüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit.
Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder: sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi: das erquickte ihre Seele: sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und stiegen, schon rauschten sie an den Stufen der Galerie.
»Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!« rief Gothelindis grimmig, »denk' an die drei Herzoge!« Und plötzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren.
Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: »Gothelindis, ich vergebe dir! töte mich, aber verzeih [] auch du meiner Seele.« Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. »Ich dir vergeben? Niemals! Denk' an Eutharich!«
Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte.
Wenn sie die hier angebrachte Sprungbrücke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlängerten Qual weiden zu wollen. schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der Brücke: »Höre mich, Gothelindis! meine letzte Bitte! Nicht für mich – für mein Volk, für unser Volk: – Petros will es verderben und Theodahad ...« –
»Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese törichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht, und niemand ist, der sie warnt.«
»Du irrst, Teufelin, sie sind gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!«
Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die Fluten, die sich brausend über ihr schlossen.
Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. »Sie ist verschwunden,« sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm das Brusttuch Amalaswinthens. »Noch im Tode überwindet mich dieses Weib,« sagte sie langsam: »wie lang war der Haß und wie kurz die Rache!«
[] Siebentes Kapitel.
Wenige Tage nach diesen Ereignissen finden wir zu Ravenna in dem Gemach des Gesandten von Byzanz eine Anzahl von vornehmen Römern, geistlichen und weltlichen Standes versammelt: auch die Bischöfe Hypatius und Demetrius aus dem Ostreich weilten bei ihm.
Große Aufregung, aus Zorn und Furcht gemischt, sprach aus allen Gesichtern, als der gewandte Rhetor seine Ansprache mit folgenden Worten schloß: »Deshalb, ihr ehrwürdigen Bischöfe des Westreichs und des Ostreichs und ihr edeln Römer, hab' ich euch hierher beschieden. Laut und feierlich lege ich vor euch im Namen meines Kaisers Verwahrung ein gegen alle Taten der Arglist und Gewalt, die im geheimen gegen die hohe Frau verübt werden mögen.
Seit neun Tagen ist sie verschwunden aus Ravenna: wohl mit Gewalt hinweggeführt aus eurer Mitte: sie, die von jeher die Freundin, die Beschützerin der Italier gewesen. Verschwunden ist am gleichen Tage die Königin, ihre grimme Feindin. Ich habe Eilboten ausgesandt, nach allen Richtungen, noch bin ich ohne Nachricht; aber wehe, wenn ... –«
Er konnte nicht vollenden.
Dumpfes Geräusch scholl von dem Forum des Herkules herauf, bald hörte man hastige Schritte im Vestibulum, der Vorhang ward zurückgeschlagen und ins Gemach eilte staubbedeckt einer der byzantinischen Sklaven des Gesandten: »Herr,« rief er, »sie ist tot! Sie ist ermordet!«
»Ermordet!« scholl es in der Runde.
»Durch wen?« fragte Petros.
»Von Gothelindis auf der Villa im Bolsener See.«
»Wo ist die Leiche? Wo die Mörderin?«
»Gothelindis gibt vor, die Fürstin sei im Bad ertrunken, unkundig mit den Wasserkünsten spielend. Aber man weiß, [] daß sie ihrem Opfer von hier auf dem Fuße nachgefolgt. Römer und Goten eilen zu Hunderten nach der Villa, die Leiche in feierlichem Zuge hierher zu geleiten. Die Königin floh vor der Rache des Volks in das feste Schloß von Feretri.«
»Genug,« rief Petros entrüstet, »ich eile zum König und fordre euch auf, ihr edeln Männer, mir zu folgen. Auf euer Zeugnis will ich mich berufen vor Kaiser Justinian.« Und sofort eilte er an der Spitze der Versammelten nach dem Palast.
Sie fanden auf den Straßen eine Menge Volks in Bestürzung und Entrüstung hin und her wogend: die Nachricht war in die Stadt gedrungen und flog von Haus zu Haus.
Als man den Gesandten des Kaisers und die Vornehmen der Stadt erkannte, öffnete sich die Menge vor ihnen, schloß sich aber dicht hinter ihnen wieder und flutete nach auf dem Wege in den Palast, von dessen Toren sie kaum abgehalten wurde. Von Minute zu Minute stieg die Zahl und der Lärm des Volkes: auf dem Forum des Honorius drängten sich die Ravennaten zusammen, die mit der Trauer um ihre Beschützerin schon die Hoffnung vereinten, bei diesem Anlaß die Barbarenherrschaft fallen zu sehen: das Erscheinen des kaiserlichen Gesandten steigerte diese Hoffnung und der Auflauf vor dem Palast nahm mehr und mehr eine Richtung, die keineswegs bloß Theodahad und Gothelindis bedrohte.
Inzwischen eilte Petros mit seiner Begleitung in das Gemach des hilflosen Königs, den mit seiner Gattin alle Kraft des Widerstandes verlassen hatte: er zagte vor der Aufregung der unten wogenden Menge und hatte nach Petros gesendet, von ihm Rat und Hilfe zu erlangen, da ja dieser es gewesen, der mit Gothelindis den Untergang der Fürstin beschlossen und die Art der Ausführung beraten hatte. er sollte ihm jetzt auch die Folgen der Tat tragen helfen. Als daher der Byzantiner auf der Schwelle erschien, eilte er, beide Arme ausbreitend, auf ihn zu: aber erstaunt blieb er plötzlich stehen: erstaunt über [] die Begleitung, noch mehr erstaunt über die finster drohende Miene des Gesandten.
»Ich fordre Rechenschaft von dir, König der Goten,« rief dieser schon an der Türe, »Rechenschaft im Namen von Byzanz für die Tochter Theoderichs. Du weißt, Kaiser Justinian hat sie seines besondern Schutzes versichert: jedes Haar ihres Hauptes ist daher heilig und heilig jeder Tropfe ihres Blutes. Wo ist Amalaswintha?«
Der König sah ihn staunend an. Er bewunderte diese Verstellungskunst. Aber er begriff ihren Zweck nicht. Er schwieg.
»Wo ist Amalaswintha?« wiederholte Petros, drohend vortretend und sein Anhang folgte ihm einen Schritt.
»Sie ist tot,« sagte Theodahad, ängstlich werdend.
»Ermordet ist sie,« rief Petros, »so ruft ganz Italien, ermordet von dir und deinem Weibe. Justinian, mein hoher Kaiser, war der Schirmherr dieser Frau, er wird ihr Rächer sein: Krieg künd' ich dir in seinem Namen an, Krieg gegen euch, ihr blutigen Barbaren, Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht.«
»Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht!« wiederholten die Italier, fortgerissen von der Gewalt des Augenblicks und den alten, langgenährten Haß entzügelnd: und wie eine Woge brausten sie heran auf den zitternden König.
»Petros,« stammelte dieser entsetzt, »du wirst gedenken des Vertrages, du wirst doch ... –«
Aber der Gesandte zog eine Papyrusrolle aus dem Mantel und riß sie mitten durch. »Zerrissen ist jedes Band zwischen meinem Kaiser und deinem blutbefleckten Haus. Ihr selber habt durch eure Greueltat alle Schonung verwirkt, die man euch früher gewährt. Nichts von Verträgen. Krieg!«
»Um Gott,« jammerte Theodahad, »nur nicht Krieg und Kampf! Was forderst du, Petros?«
»Unterwerfung! Räumung Italiens! Dich selber und [] Gothelindis lad' ich zum Gericht nach Byzanz vor den Thron Justinians, dort ... –«
Aber seine Rede unterbrach der schmetternde Ruf des gotischen Kriegshorns und in das Gemach eilte mit gezogenen Schwertern eine starke Schar gotischer Krieger, von Graf Witichis geführt.
Die gotischen Führer hatten sofort auf die Nachricht von Amalaswinthens Untergang die tüchtigsten Männer ihres Volks in Ravenna zu einer Beratung vor die Porta romana beschieden und dort Maßregeln der Sicherung und der Gerechtigkeit beraten.
Zur rechten Zeit erschienen sie jetzt auf dem Forum des Honorius, wo der Auflauf immer drohender wurde: schon blinkte hier und dort ein Dolch, schon ertönte manchmal der Ruf: »Wehe den Barbaren!«
Diese Zeichen und Stimmen verschwanden und verstummten sofort, als nun die verhaßten Goten in geschlossenem Zug von dem Forum des Herkules her durch die Via palatina anrückten: ohne Widerstand zogen sie quer durch die grollenden Haufen und indessen Graf Teja und Hildebad die Tore und die Terrasse des Palastes besetzten, waren Graf Witichis und Hildebrand gerade rechtzeitig im Gemache des Königs angelangt, die letzten Worte des Gesandten noch zu hören. Ihr Zug stellte sich in einer Schwenkung rechts vom Thronsitz des Königs, zu dem dieser zurückgewichen war: und Witichis auf sein langes Schwert gestützt, trat hart vor den Griechen hin und sah ihm scharf ins Auge.
Eine erwartungsvolle Pause trat ein.
»Wer wagt es,« fragte Witichis ruhig, »hier den Herrn und Meister zu spielen im Königshaus der Goten?«
Von seiner Überraschung sich erholend entgegnete Petros: »Es steht dir übel an, Graf Witichis, Mörder zu beschützen. Ich hab' ihn nach Byzanz geladen vor Gericht.«
»Und darauf hast du keine Antwort, Amalunge?« rief der alte Hildebrand zornig.
[] Aber das böse Gewissen band dem Könige die Stimme.
»So müssen wir statt seiner sprechen,« sagte Witichis. »Wisse, Grieche, vernehmt es wohl, ihr falschen und undankbaren Ravennaten: das Volk der Goten ist frei und erkennt auf Erden keinen Herrn und Richter über sich.«
»Auch nicht für Mord und Blutschuld?«
»Wenn schwere Taten unter uns geschehn, richten und strafen wir sie selbst. Den Fremdling geht das nichts an, am wenigsten unsern Feind, den Kaiser in Byzanz.«
»Mein Kaiser wird diese Frau rächen, die er nicht retten konnte. Liefert die Mörder aus nach Byzanz.«
»Wir liefern keinen Gotenknecht nach Byzanz, geschweige unsern König,« sprach Witichis.
»So teilt ihr seine Strafe wie seine Schuld und Krieg erklär' ich euch, im Namen meines Herrn. Erbebt vor Justinian und Belisar.«
Eine freudige Bewegung der gotischen Krieger war die Antwort. Der alte Hildebrand trat ans Fenster und rief zu den unten stehenden Goten hinab: »Hört, ihr Goten, frohe Kunde: Krieg, Krieg mit Byzanz.«
Da brach unten ein Getöse los, wie wenn das Meer entfesselt über seine Dämme bricht, die Waffen klirrten und tausend Stimmen jubelten: »Krieg, Krieg mit Byzanz!«
Dieser Widerhall blieb nicht ohne Eindruck auf Petros und die Italier: das Ungestüm solcher Begeisterung erschreckte sie: schweigend sahen sie vor sich nieder. Während die Goten sich glückwünschend die Hände schüttelten, trat Witichis ernst, gesenkten Hauptes, in die Mitte, hart neben Petros und sprach feierlich: »Also Krieg! Wir scheuen ihn nicht: – du hast es gehört. Besser offner Kampf als die langjährige, lauernde, wühlende Feindschaft. Der Krieg ist gut: aber wehe dem Frevler, der ohne Recht und ohne Grund den Krieg beginnt. Ich sehe Jahre voraus, viele Jahre von Blut und Mord und [] Brand, ich sehe zerstampfte Saaten, rauchende Städte, zahllose Leichen die Ströme hinabschwimmen. Hört unser Wort: auf euer Haupt dies Blut, dies Elend. Ihr habt geschürt und gereizt jahrelang: wir haben's ruhig getragen. Und jetzt habt ihr den Krieg hereingeschleudert, richtend, wo ihr nicht zu richten habt, ohne Grund euch mischend in das Leben eines Volkes, das so frei wie ihr: auf euer Haupt die Schuld. Dies unsre Antwort nach Byzanz.«
Schweigend hörte Petros diese Worte an, schweigend wandte er sich und schritt mit seinen italischen Freunden hinaus. Einige von diesen gaben ihm das Geleit bis in seine Wohnung, unter ihnen der Bischof von Florentia.
»Ehrwürdiger Freund,« sagte er zu diesem beim Abschied, »die Briefe Theodahads in der bewußten Sache, die ihr mir zur Einsicht anvertraut, mußt du mir ganz belassen. Ich bedarf ihrer und für deine Kirche sind sie nicht mehr nötig.« – »Der Prozeß ist längst entschieden,« erwiderte der Bischof, »und die Güter unwiderruflich erworben. Die Dokumente sind dein.« –
Darauf verabschiedete der Gesandte seine Freunde, die ihn bald mit dem kaiserlichen Heer in Ravenna wiederzusehen hofften, und eilte in sein Gemach, wo er zuerst einen Boten an Belisar abfertigte, ihn zum sofortigen Angriff aufzufordern.
Darauf schrieb er einen ausführlichen Bericht an den Kaiser, der mit folgenden Worten schloß: »Und so scheinst Du, o Herr, wohl Grund zu haben, mit den Diensten Deines getreuesten Knechts zufrieden zu sein und mit der Lage der Dinge. Das Volk der Barbaren in Parteien zerspalten: auf dem Thron ein verhaßter Fürst, unfähig und treulos: die Feinde sonder Rüstung überrascht: die italische Bevölkerung überall für Dich gewonnen: es kann nicht fehlen: wenn keine Wunder geschehen, müssen die Barbaren fast ohne Widerstand erliegen.
[] Und wie so oft tritt auch hier mein erhabener Kaiser, dessen Stolz das Recht, als Schirmherr und Rächer der Gerechtigkeit auf: – es ist ein geistvoller Zufall, daß die Triere, die mich trägt, den Namen ›Nemesis‹ führt.
Nur das Eine betrübt mich unendlich, daß es meinem treuen Eifer nicht gelungen, die unselige Tochter Theoderichs zu retten. Ich flehe Dich an, meiner hohen Herrin, der Kaiserin, die mir niemals gnädig gesinnt war, wenigstens zu versichern, daß ich allen ihren Aufträgen bezüglich der Fürstin, deren Schicksal sie mir noch in der letzten Unterredung als Hauptsorge ans Herz legte, aufs treueste nachzukommen suchte.
Auf die Anfrage bezüglich Theodahads und Gothelindens, deren Hilfe uns das Gotenreich in die Hände liefert, wage ich es, der hohen Kaiserin mit der ersten Regel der Klugheit zu antworten: es ist zu gefährlich, die Mitwisser unsrer tiefsten Geheimnisse am Hof zu haben.«
Diesen Brief sandte Petros eilig durch die beiden Bischöfe Hypatius und Demetrius voraus. Sie sollten nach Brundusium und von da über Epidamnus auf dem Landwege nach Byzanz eilen. Er selbst wollte erst nach einigen Tagen folgen, langsam die gotische Küste des Ionischen Meerbusens entlang fahrend, überall die Stimmung der Bevölkerung in den Hafenstädten zu prüfen und zu schüren.
Dann sollte er um den Peloponnes und Euböa her nach Byzanz segeln: denn die Kaiserin hatte ihm den Seeweg vorgeschrieben und ihm Aufträge für Athen und Lampsakos erteilt.
Er überrechnete schon vor der Abreise von Ravenna mit vergnügten Sinnen immer wieder seine Wirksamkeit in Italien und den Lohn, den er dafür in Byzanz erwartete.
Er kehrte zurück, noch einmal so reich als er gekommen.
Denn er hatte der Königin Gothelindis nie eingestanden, daß er mit dem Auftrag, Amalaswintha zu verderben, ins Land gekommen. Er hatte ihr vielmehr lange die Gefahr der [] Ungnade bei Kaiser und Kaiserin entgegengehalten und sich nur mit Widerstreben durch sehr hohe Summen von ihr für den Plan gewinnen lassen, in welchem er sie doch nur als Werkzeug brauchte. Er erwartete in Byzanz mit Sicherheit die versprochene Würde des Patriziats und freute sich schon, seinem hochmütigen Vetter Narses, der ihn nie befördert hatte, nun bald in gleichem Range gegenüberzutreten.
»So ist denn alles nach Wunsch gelungen,« sagte er selbstzufrieden, während er seine Briefschaften ordnete: »und diesmal, du stolzer Freund Cethegus, hat sich die Verschmitztheit doch trefflich bewährt. Und der kleine Rhetor aus Thessalonike hat es doch weiter gebracht mit seinen kleinen, leisen Schritten, denn du mit deinem stolzen, herausfordernden Gang. Nur muß noch dafür gesorgt werden, daß Theodahad und Gothelindis nicht nach Byzanz an den Hof entrinnen: wie gesagt, das wäre zu gefährlich: vielleicht hat die Frage der klugen Kaiserin eine Warnung sein sollen. Nein, dieses Königspaar muß verschwinden aus unsern Wegen.«
Und er ließ den Gastfreund rufen, bei dem er gewohnt, und nahm Abschied von ihm. Dabei übergab er ihm eine dunkle, schmale Vase von der Form derer, die zur Aufbewahrung von Urkunden dienten: er versiegelte den Deckel mit seinem Ring, der einen feingeschnittenen Skorpion zeigte, und schrieb einen Namen auf die daran hängende Wachstafel. »Diesen Mann,« sagte er dem Gastfreund, »suche auf bei der nächsten Versammlung der Goten zu Regeta und übergib ihm die Vase: was sie enthält ist sein. Leb wohl, auf baldig Wiedersehen hier in Ravenna.«
Und er verließ mit seinen Sklaven das Haus und bestieg alsbald das Gesandtenschiff: von stolzen Erwartungen hoch gehoben trug ihn die »Nemesis« dahin.
Und als sich nun sein Schiff dem Hafen von Byzanz näherte, von Lampsakos aus hatte er – auch dies hatte die Kaiserin gewünscht – seine baldige Ankunft durch einen kaiserlichen [] Schnellsegler, der eben abging, melden lassen, überflog des Gesandten Auge erwartungsvoll die schönen Landhäuser, die marmorweiß aus den Schatten immergrüner Gärten blinkten.
»Hier wirst du künftig wohnen, unter den Senatoren des Reichs,« sprach wohlgefällig Petros.
Vor dem Einlaufen in den Hafen flog die »Thetis«, das prachtvolle Lustboot der Kaiserin, ihnen entgegen, sowie es des Gesandten Galeere erkannte die Purpurwimpel entrollend, und sie zum Halten anrufend. Alsbald stieg an Bord der Galeere ein Bote der Kaiserin: es war Alexandros, der frühere Gesandte am Hof von Ravenna.
Er wies dem Trierarchen ein Schreiben des Kaisers, in das dieser einen erschrockenen Blick warf: dann wandte er sich zu Petros: »Im Namen des Kaisers Justinian! Du bist wegen jahrelang fortgesetzter Urkundenfälschung und Steuerunterschlagung lebenslänglich zu den Metallarbeiten in den Bergwerken von Cherson bei den ultziagirischen Hunnen verurteilt. Du hast die Tochter Theoderichs ihren Feinden preisgegeben. Der Kaiser hätte Dich durch Deinen Brief für entschuldigt erachtet: aber die Kaiserin, untröstlich über den Untergang ihrer königlichen Schwester, hat Deine alte Schuld dem Kaiser entdeckt. Und ein Brief des Präfekten von Rom an diesen hat dargetan, daß Du mit Gothelindis geheim der Königin Verderben geplant. Die Kaiserin hat den Kaiser auch hierin überzeugt. Dein Vermögen ist eingezogen: die Kaiserin aber läßt Dir sagen« – hier flüsterte er in des Zerschmetterten Ohr –, »du habest in Deinem klugen Brief ihr selbst den Rat erteilt, Mitwisser von Geheimnissen zu verderben. Trierarch, Du führst den Verurteilten sofort an seinen Strafort ab.«
Und Alexandros ging auf die »Thetis« zurück.
Die »Nemesis« aber drehte rauschend ihr Steuer, wandte dem Hafen von Byzanz den Rücken und trug den Sträfling für immer aus dem Leben der Men schen.
[] Achtes Kapitel.
Wir haben Cethegus, den Präfekten, seit seiner Abreise nach Rom aus den Augen verloren.
Er hatte daselbst in den Wochen der erzählten Ereignisse die eifrigste Tätigkeit entfaltet: denn er erkannte, daß die Dinge jetzt zur Entscheidung drängten; er konnte ihr getrost entgegensehen.
Ganz Italien war einig in dem Haß gegen die Barbaren: und wer anders vermochte es, der Kraft dieses Hasses Bewegung und Ziel zu geben, als das Haupt der Katakombenverschwörung und der Herr von Rom.
Das war er durch die jetzt völlig ausgebildeten und ausgerüsteten Legionare und durch die nahezu vollendete Befestigung der Stadt, an der er in den letzten Monaten Nachts wie Tages hatte arbeiten lassen. Und nun war es ihm zuletzt noch gelungen, wie er glaubte, ein sofortiges Austreten der byzantinischen Macht in seinem Italien, die Hauptgefahr, die seinen ehrgeizigen Plänen gedroht, abzuwenden: durch zuverlässige Kundschafter hatte er erfahren, daß die byzantinische Flotte, die bisher lauernd bei Sizilien geankert, sich wirklich von Italien hinweggewandt und der afrikanischen Küste genähert habe, wo sie die Seeräuberei zu unterdrücken beschäftigt schien.
Freilich sah Cethegus voraus, daß es zu einer Landung der Griechen in Italien kommen werde: er konnte derselben als einer Nachhilfe nicht entbehren.
Aber alles war ihm daran gelegen, daß dies Auftreten des Kaisers eben nur eine Nachhilfe bleibe: und deshalb mußte er, ehe ein Byzantiner den italischen Boden betreten, eine Erhebung der Italier aus eigner Kraft veranlaßt und zu solchen Erfolgen geführt haben, daß die spätere Mitwirkung der Griechen nur als eine Nebensache erschien und mit der Anerkennung einer losen Oberhoheit des Kaisers abgelohnt werden konnte.
[] Und er hatte zu diesem Zweck seine Pläne trefflich vorbereitet.
Sowie der letzte römische Turm unter Dach, sollten die Goten in ganz Italien an einem Tag überfallen, mit einem Schlag alle festen Plätze, Burgen und Städte, Rom, Ravenna und Neapolis voran, genommen werden. Und waren die Barbaren ins flache Land hinausgeworfen, so stand nicht mehr zu fürchten, daß sie bei ihrer großen Unkunde in Belagerungen und bei der Anzahl und Stärke der italischen Festen diese und damit die Herrschaft über die Halbinsel wieder gewinnen würden.
Dann mochte ein byzantinisches Bundesheer helfen, die Goten vollends über die Alpen zu drängen: und Cethegus wollte schon dafür sorgen, daß diese Befreier ebenfalls keinen Fuß in die wichtigsten Festungen setzen sollten, um sich ihrer später unschwer wieder entledigen zu können.
Dieser Plan setzte nun aber voraus, daß die Goten durch die Erhebung Italiens überrascht würden. Wenn der Krieg mit Byzanz in Aussicht oder gar schon ausgesprochen war, dann natürlich ließen sich die Barbaren die in Kriegsstand gesetzten Städte nicht durch einen Handstreich entreißen. Da nun aber Cethegus, seit er die Sendung des Petros durchschaut hatte, bei jeder Gelegenheit Justinians Hervortreten aus seiner drohenden Stellung erwarten mußte, da es kaum noch gelungen war, Belisar wieder abzuwenden von Italien, beschloß er, keinen Augenblick mehr zu verlieren.
Er hatte auf den Tag der Vollendung der Befestigungen Roms eine allgemeine Versammlung der Verschworenen in den Katakomben anberaumt, in der das mühsam und erfindungsreich vorbereitete Werk gekrönt, der Augenblick des Losschlagens bestimmt und Cethegus als Führer dieser rein italischen Bewegung bezeichnet werden sollte. Er hoffte sicher, den Widerstand der Bestochenen oder Furchtsamen, die nur für und mit Byzanz zu handeln geneigt waren, durch die Begeisterung [] der Jugend zu überwältigen, wenn er diese sofort in den Kampf zu führen versprach.
Noch vor jenem Tag kam die Nachricht von Amalaswinthens Ermordung, von der Verwirrung und Spaltung der Goten nach Rom und ungeduldig sehnte der Präfekt die Stunde der Entscheidung herbei. Endlich war auch der einzige noch unfertige Turm des aurelischen Tores unter Dach: Cethegus führte die letzten Hammerschläge: ihm war dabei, er höre die Streiche des Schicksals von Rom und von Italien dröhnen.
Bei dem Schmause, den er darauf den Tausenden von Arbeitern in dem Theater des Pompejus gab, hatten sich auch die meisten der Verschworenen eingefunden, und der Präfekt benutzte die Gelegenheit, diesen seine unbegrenzte Beliebtheit im Volk zu zeigen. Auf die jüngeren unter den Genossen machte dies freilich den Eindruck, welchen er gewünscht hatte; aber ein Häuflein, dessen Mittelpunkt Silverius war, zog sich mit finstern Mienen von den Tischen zurück.
Der Priester hatte seit lange eingesehen, daß Cethegus nicht bloß Werkzeug sein wollte, daß er eigene Pläne verfolgte, die der Kirche und seinem persönlichen Einfluß sehr gefährlich werden konnten. Und er war entschlossen, den kühnen Verbündeten zu stürzen, sobald er entbehrt werden konnte; es war ihm nicht schwer geworden, die Eifersucht so manches Römers gegen den Überlegenen im geheimen zu schüren.
Die Anwesenheit aber zweier Bischöfe aus dem Ostreich, Hypatius von Ephesus und Demetrius von Philippi, die in Glaubensfragen öffentlich mit dem Papst, aber geheim mit König Theodahad, in Unterstützung des Petros, in Politik verhandelten, hatte der kluge Archidiakon benutzt, um mit Theodahad und mit Byzanz in enge Verbindung zu treten.
»Du hast recht, Silverius,« murrte Scävola im Hinausgehen aus dem Tor des Theaters, »der Präfekt ist Marius und Cäsar in Einer Person.« – »Er verschwendet diese ungeheuren [] Summen nicht umsonst, man darf ihm nicht zu sehr trauen,« warnte der geizige Albinus. – »Lieben Brüder,« mahnte der Priester, »sehet zu, daß ihr nicht einen unter euch lieblos verdammet. Wer solches täte, wäre des höllischen Feuers schuldig. Freilich beherrscht unser Freund die Fäuste der Handwerker wie die Herzen seiner jungen ›Ritter‹: es ist das gut, er kann dadurch die Tyrannei zerbrechen ... –«
»Aber dadurch auch eine neue aufrichten,« meinte Calpurnius.
»Das soll er nicht, wenn Dolche noch töten, wie in Brutus' Tagen,« sprach Scävola.
»Es bedarf des Blutes nicht. Bedenket nur immer«: sagte Silverius, »je näher der Tyrann, desto drückender die Tyrannei: je ferner der Herrscher, desto erträglicher die Herrschaft. Das schwere Gewicht des Präfekten ist aufzuwiegen durch das schwerere des Kaisers.«
»Jawohl,« stimmte Albinus bei, der große Summen von Byzanz erhalten hatte, »der Kaiser muß der Herr Italiens werden.« – »Das heißt,« beschwichtigte Silverius den unwillig auffahrenden Scävola, »wir müssen den Präfekten durch den Kaiser, den Kaiser durch den Präfekten niederhalten. Siehe, wir stehen an der Schwelle meines Hauses. Laßt uns eintreten. Ich habe geheim euch mitzuteilen, was heute abend in der Versammlung kundwerden soll. Es wird euch überraschen. Aber andre Leute noch mehr.«
Inzwischen war auch der Präfekt von dem Gelage nach Hause geeilt, sich in einsamem Sinnen zu seinem wichtigen Werke zu bereiten. Nicht seine Rede überdachte er: wußte er doch längst was er zu sagen hatte und, ein glänzender Redner, dem die Worte so leicht wie die Gedanken kamen, überließ er den Ausdruck gern dem Antrieb des Augenblicks, wohl wissend, daß das eben frisch aus der Seele geschöpfte Wort am lebendigsten wirkt.
[] Aber er rang nach innerer Ruhe: denn seine Leidenschaft schlug hohe Wellen.
Er überschaute die Schritte, die er nach seinem Ziele hin getan, seit zuerst dieses Ziel mit dämonischer Gewalt ihn angezogen: er erwog die kurze Strecke, die noch zurückzulegen war: er überzählte die Schwierigkeiten, die Hindernisse, die noch auf diesem Wege lagen und ermaß dagegen die Kraft seines Geistes, sie zu überwinden: und das Ergebnis dieses prüfenden Wägens erzeugte in ihm eine Siegesfreude, die ihn mit jugendlicher Aufregung ergriff.
Mit gewaltigen Schritten durchmaß er das Gemach.
Die Muskeln seiner Arme spannten sich wie in der Stunde beginnender Schlacht: er umgürtete sich mit dem breiten, siegreichen Schwert seiner Kriegsfahrten und drückte krampfhaft dessen Adlergriff, als gelte es, jetzt gegen zwei Welten, gegen Byzanz und die Barbaren, sein Rom zu erkämpfen. Dann trat er der Cäsarstatue gegenüber und sah ihr lange in das schweigende Marmorantlitz. Endlich ergriff er mit beiden Händen die Hüften des Imperators und rüttelte an ihnen: »lebwohl«, sagte er, »und gib mir dein Glück mit auf den Weg. Mehr brauch' ich nicht.«
Und rasch wandte er sich und eilte aus dem Gemache und durch das Atrium hinaus auf die Straße, wo ihn schon die ersten Sterne begrüßten.
Zahlreicher als je hatten sich die Verschwornen an diesem Abend in den Katakomben eingefunden: waren doch durch ganz Italien die Ladungen zu dieser Versammlung als zu einer entscheidungsvollen ergangen. So waren auf den Wunsch des Präfekten besonders alle strategisch wichtigen Punkte vertreten: von den starken Grenzhüterinnen Tridentum, Tarvisium und Verona, die das Eis der Alpen schauen, bis zu Otorantum und Consentia, welche die laue Welle des Ausonischen Meeres bespült, hatten sie alle ihre Boten zugesendet, jene berühmten [] Städte Siziliens und Italiens mit den stolzen, den schönen, den weltgeschichtlichen Namen: Syrakusä und Catana, Panormus und Messana, Regium, Neapolis und Cumä, Capua und Beneventum, Antium und Ostia, Reate und Narnia, Volsinii, Urbsvetus und Spoletum, Clusium und Perusia, Auximum und Ancon, Florentia und Fäsulä, Pisa, Luca, Luna und Genua, Ariminium, Cäsena, Faventia und Ravenna, Parma, Dertona und Placentia, Mantua, Cremona und Ticinum (Pavia), Mediolanum, Comum und Bergamum, Asta und Pollentia: dann von der Nord- und Ostküste des Ionischen Meerbusens: Concordia, Aquileja, Jadera, Scardona und Salona.
Da waren ernste Senatoren und Decurionen, ergraut in dem Rat ihrer Städte, deren Häupter ihre Ahnen seit Jahrhunderten gewesen: kluge Kaufleute, breitschultrige Gutsherrn, rechthaberische Juristen, spöttische Rhetoren: und namentlich eine große Anzahl von Geistlichen jedes Ranges und jedes Alters: die einzige fest organisierte Macht und Silverius unbedingt gehorsam.
Wie Cethegus, noch hinter der Mündung des schmalen Ganges verborgen, die Massen in dem Halbrund der Grotte übersah, konnte er sich eines verächtlichen Lächelns nicht erwehren, das aber in einen Seufzer auslief. Außer der allgemeinen Abneigung gegen die Barbaren, die doch bei weitem nicht stark genug war, schwere politische Pläne mit Opfern und Entsagungen zu tragen – welch' verschiedene und oft welch kleine Motive hatten diese Verschwornen hier zusammengeführt!
Cethegus kannte die Beweggründe der einzelnen genau: hatte er sie doch durch Bearbeitung ihrer schwächsten Seiten beherrschen gelernt. Und er mußte zuletzt noch froh darum sein: echte Römer hätte er nie, wie diese Verschworenen, so völlig unter seinen Einfluß gebracht.
[] Aber wenn er sie nun hier alle beisammen sah, diese Patrioten, und bedachte, wie den einen die Hoffnung auf einen Titel von Byzanz, den andern plumpe Bestechung, einen dritten Rachsucht wegen irgendeiner Beleidigung oder auch nur die Langeweile oder Schulden oder ein schlechter Streich unter die Unzufriedenen geführt: und wenn er sich nun vorstellte, daß er mit solchen Bundesgenossen den gotischen Heermännern entgegentreten sollte – da erschrak er fast über die Vermessenheit seines Planes.
Und eine Erquickung war es ihm, als die helle Stimme des Lucius Licinius seinen Blick auf die Schar der jungen »Ritter« lenkte, denen wirklich kriegerischer Mut und nationale Begeisterung aus den Augen sprühte: so hatte er doch einige verlässige Waffen. –
»Gegrüßt, Lucius Licinius,« sprach er, aus dem Dunkel des Ganges hervortretend. »Ei, du bist ja gerüstet und gewaffnet, als ging es von hier gegen die Barbaren.«
»Kaum bezwing ich das Herz in der Brust vor Haß und vor Freude,« sagte der schöne Jüngling. »Sieh, alle diese hier hab' ich für dich, für das Vaterland geworben.«
Cethegus blickte grüßend umher:
»Auch du hier, Kallistratos – du heitrer Sohn des Friedens?«
»Hellas wird ihre Schwester Italia nicht verlassen in der Stunde der Gefahr,« sagte der Hellene und legte die weiße Hand auf das zierliche Schwert mit dem Griff von Elfenbein. Und Cethegus nickte ihm zu und wandte sich zu den andern: Marcus Licinius, Piso, Massurius, Balbus, die, seit den Floralien ganz von dem Präfekten gewonnen, ihre Brüder, Vettern, Freunde mitgebracht hatten. Prüfend flog sein Blick über die Gruppe, er schien einen aus diesem Kreise zu vermissen. Lucius Licinius erriet seine Gedanken: »Du suchst den schwarzen Korsen, Furius Ahalla?
[] Auf den kannst du nicht zählen. Ich holte ihn von weitem aus, aber er sprach: ›Ich bin ein Korse, kein Italier: mein Handel blüht unter gotischem Schutz: laßt mich aus eurem Spiel.‹ Und als ich weiter in ihn drang – denn ich gewönne gern sein kühnes Herz und die vielen Tausende von Armen, über die er gebeut – sprach er kurz abweisend: ›Ich fechte nicht gegen Totila.‹«
»Die Götter mögen wissen, was den tigerwilden Korsen an jenen Milchbart bindet,« meinte Piso.
Cethegus lächelte, aber er furchte die Stirn. »Ich denke, wir Römer genügen,« sprach er laut: und das Herz der Jünglinge schlug.
»Eröffne die Versammlung,« mahnte Scävola unwillig den Archidiakon, »du siehst, wie er die jungen Leute beschwatzt; er wird sie alle gewinnen. Unterbrich ihn: rede.«
»Sogleich. Bist du gewiß, daß Albinus kommt?«
»Er kommt; er erwartet den Boten am appischen Tor.«
»Wohlan,« sagte der Priester, »Gott mit uns!« Und er trat in die Mitte der Rotunde, erhob ein schwarzes Kreuz und begann: »Im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal haben wir uns versammelt im Grauen der Nacht zu den Werken des Lichts. Vielleicht zum letztenmal: denn wunderbar hat der Sohn Gottes, dem die Ketzer die Ehre weigern, unsere Mühen zu seiner Verherrlichung, zur Vernichtung seiner Feinde gesegnet. Nächst Gott dem Herrn aber gebührt der höchste Dank dem edeln Kaiser Justinian und seiner frommen Gemahlin, die mit tätigem Mitleid die Seufzer der leidenden Kirche vernehmen: und endlich hier unsrem Freund und Führer, dem Präfekten, der unablässig für unsres Herrn, des Kaisers Sache, wirkt ...« –
»Halt, Priester!« rief Lucius Licinius dazwischen, »wer nennt den Kaiser von Byzanz hier unsern Herrn? wir wollen nicht den Griechen dienen statt den Goten! Frei wollen wir sein!«
[] – »Frei wollen wir sein,« wiederholte der Chor seiner Freunde.
»Frei wollen wir werden!« fuhr Silverius fort. »Gewiß. Aber das können wir nicht aus eigner Macht, nur mit des Kaisers Hilfe. Glaubt auch nicht, geliebte Jünglinge, der Mann, den ihr als euren Vorkämpfer verehrt, Cethegus, denke hierin anders. Justinian hat ihm einen köstlichen Ring – sein Bild in Karneol – gesendet, zum Zeichen, daß er billige, was der Präfekt für ihn, den Kaiser, tue und der Präfekt hat den Ring angenommen: sehet hier, er trägt ihn am Finger.«
Betroffen und unwillig sahen die Jünglinge auf Cethegus. Dieser trat schweigend in die Mitte. Eine peinliche Pause entstand.
»Sprich, Feldherr!« rief Lucius, »widerlege sie! Es ist nicht wie sie sagen mit dem Ring.«
Aber Cethegus zog den Ring kopfnickend ab: »Es ist wie sie sagen: der Ring ist vom Kaiser und ich hab' ihn angenommen.«
Lucius Licinius trat einen Schritt zurück.
»Zum Zeichen?« fragte Silverius.
»Zum Zeichen,« sprach Cethegus mit drohender Stimme, »daß ich der herrschsüchtige Selbstling nicht bin, für den mich einige halten, zum Zeichen, daß ich Italien mehr liebe als meinen Ehrgeiz. Ja, ich baute auf Byzanz und wollte dem mächtigen Kaiser die Führerstelle abtreten – darum nahm ich diesen Ring. Ich baue nicht mehr auf Byzanz, das ewig zögert: deshalb hab' ich diesen Ring heute mitgebracht, ihn dem Kaiser zurückzustellen. Du, Silverius, hast dich als den Vertreter von Byzanz erwiesen: hier, gib deinem Herrn sein Pfand zurück: er säumt zu lang: sag' ihm, Italien hilft sich selbst.«
»Italien hilft sich selbst!« jubelten die jungen Ritter.
»Bedenket, was ihr tut!« warnte mit verhaltnem Zorn der Priester. »Den heißen Mut der Jünglinge begreif' ich, – aber [] daß meines Freundes, des gereiften Mannes, Hand nach dem Unerreichbaren greift, – befremdet mich. Bedenket die Zahl und wilde Kraft der Barbaren! Bedenket, wie die Männer Italiens seit lange des Schwertes entwöhnt, wie alle Zwingburgen des Landes in der Hand ...« –
»Schweig, Priester,« donnerte Cethegus, »das verstehst du nicht! Wo es die Psalmen zu erklären gilt und die Seele nach dem Himmelreich zu lenken, da rede du: denn solches ist dein Amt; wo's aber Krieg und Kampf der Männer gilt, laß jene reden, die den Krieg verstehen. Wir lassen dir den ganzen Himmel – laß uns nur die Erde. Ihr römischen Jünglinge, ihr habt die Wahl. Wollt ihr abwarten, bis dieses wohlbedächtige Byzanz sich doch vielleicht Italiens noch erbarmt ihr könnt müde Greise werden bis dahin – oder wollt ihr, nach alter Römer Art, die Freiheit mit dem eignen Schwert erkämpfen? Ihr wollt's, ich seh's am Feuer eurer Augen. Wie? man sagt uns, wir sind zu schwach, Italien zu befreien? Ha, seid ihr nicht die Enkel jener Römer, die den Weltkreis bezwangen? Wenn ich euch aufrufe, Mann für Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus, Cornelius, Valerius, Licinius – wollt ihr mit mir das Vaterland befreien?«
»Wir wollen es! Führe uns, Cethegus!« riefen die Jünglinge begeistert.
Nach einer Pause begann der Jurist: »Ich heiße Scävola. Wo römische Heldennamen aufgerufen werden, hätte man auch des Geschlechts gedenken mögen in dem das Heldentum der Kälte erblich ist. Ich frage dich, du jugendheißer Held Cethegus, hast du mehr als Träume und Wünsche, wie diese jungen Toren, hast du einen Plan?« –
»Mehr als das, Scävola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste fast aller Festungen Italiens: an den nächsten Iden, in dreißig Tagen also, fallen sie, alle, auf Einen Schlag, in meine Hand.«
[] »Wie? dreißig Tage sollen wir noch warten?« fragte Lucius.
»Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Städte wieder erreicht, bis meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt über vierzig Jahre warten müssen!«
Aber der ungeduldige Eifer der Jünglinge, den er selbst geschürt, wollte nicht mehr ruhen: sie machten verdroßne Mienen zu dem Aufschub – sie murrten.
Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. »Nein, Cethegus,« rief er, »solang kann nicht mehr gezögert werden! Unerträglich ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie länger duldet, als er muß. Ich weiß euch bessern Trost, ihr Jünglinge! Schon in den nächsten Tagen können die Waffen Belisars in Italien blitzen.«
»Oder sollen wir vielleicht,« fragte Scävola, »Belisar nicht folgen, weil er nicht Cethegus ist?«
»Ihr sprecht von Wünschen,« lächelte dieser, »nicht von Wirklichem. Landete Belisar, ich wäre der erste, mich ihm anzuschließen. Aber er wird nicht landen. Das ist's ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser hält nicht Wort.«
Cethegus spielte ein sehr kühnes Spiel. Aber er konnte nicht anders.
»Du könntest irren und der Kaiser früher sein Wort erfüllen, als du meinst. Belisar liegt bei Sizilien.«
»Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht mehr auf Belisar.«
Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange, und eilfertig stürzte Albinus herein:
»Triumph,« rief er, »Freiheit, Freiheit!«
»Was bringst du?« fragte freudig der Priester.
»Den Krieg, die Rettung! Byzanz hat den Goten den Krieg erklärt.«
»Freiheit, Krieg!« jauchzten die Jünglinge.
»Es ist unmöglich!« sprach Cethegus, tonlos.
[] »Es ist gewiß!« rief eine andre Stimme vom Gange her – es war Calpurnius, der jenem auf dem Fuß gefolgt – »und mehr als das: der Krieg ist begonnen. Belisar ist gelandet auf Sizilien, bei Catana: Syrakusä, Messana sind ihm zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist übergesetzt nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden.«
»Freiheit!« rief Marcus Licinius.
»Überall fällt ihm die Bevölkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien flüchten die überraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien gen Neapolis.«
»Es ist erlogen, alles erlogen!« sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu den andern.
»Du scheinst nicht sehr erfreut über den Sieg der guten Sache. Aber der Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreißigtausend Mann.« – »Ein Verräter, wer noch zweifelt,« sprach Scävola. – »Nun laß sehen,« höhnte Silverius, »ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der erste von uns sein, dich Belisar anzuschließen?«
Vor Cethegus Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, seine Welt. So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, für einen verhaßten Feind alles getan, was er getan.
Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getäuscht, machtlos, überwunden! Wohl jeder andre hätte jetzt alles weitere Streben ermüdet aufgegeben. In des Präfekten Seele fiel nicht ein Schatten der Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestürzt: noch betäubte der Schlag sein Ohr und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Muße ihr einen Seufzer nachzusenden: denn aller Augen hingen an ihm. Er beschloß, eine zweite zu schaffen.
»Nun! was wirst du tun?« wiederholte Silverius.
Cethegus würdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung [] gewendet sprach er mit ruhiger Stimme: »Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt: ich gehe in sein Lager.« Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges, gefaßten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorüber.
Silverius wollte ein Wort des Hohnes flüstern: aber er verstummte, da ihn der Blick des Präfekten traf: »Frohlocke nicht, Priester,« schien er zu sagen, »diese Stunde wird dir vergolten.«
Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn.
Neuntes Kapitel.
Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich unerwartet gekommen.
Denn die letzte Bewegung Belisars nach Südosten hatte alle Erwartungen von der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel zur Verteidigung Siziliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das gerade in die lichten Kreise seines eignen Lebens zuerst verhängnisvolle Schatten werfen und die Bande des Glückes zerreißen sollte, mit welchen ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Götter bisher umwoben hatte.
Denn in Bälde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen, das edle, wenn auch strenge Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben gesehen, wie mächtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der nächtlichen Überraschung auf den würdigen Alten gewirkt.
Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden [] Güte, wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen und ihren vereinten Einflüssen gab der Sinn des Vaters allmählich nach. Dies war jedoch bei dem strengen Römertum des Alten nur dadurch möglich, daß von allen Goten Totila an Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Römern am nächsten stand, so daß Valerius bald einsah, er könne einen Jüngling nicht »barbarisch« schelten, der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schönheit der hellenischen und römischen Literatur kannte und würdigte, und, wie er seine Goten liebte, so die Kultur der alten Welt bewunderte.
Dazu kam endlich, daß im politischen Gebiet den alten Römer und den jungen Germanen der gemeinsame Haß gegen die Byzantiner verband. Wenn der offnen Heldenseele Totilas in den tückischen Erbfeinden seiner Nation die Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkürlich wie dem Lichte die Nacht verhaßt war, so war für Valerius die ganze Tradition seiner Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz. Die Valerier hatten von jeher zu der aristokratisch-republikanischen Opposition wider das Cäsarentum gezählt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den Tagen des Tiberius die alt-republikanische Gesinnung mit dem Tode gebüßt und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Übertragung der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt: in dem byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fernhalten. Es kam dazu, daß sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch Byzanz von einem Vorgänger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und, wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung, unter Konfiskation ihrer im Ostreich belegenen Güter, hingerichtet worden, so daß [] den politischen Haß des Patrioten mit aller Macht persönliche Schmerzen verstärkten. Er hatte, als Cethegus ihn in die Katakombenverschwörung einweihte, eifrig den Gedanken einer Selbstbefreiung Italiens ergriffen, aber alle Annäherungen der kaiserlichen Partei mit den Worten abgewiesen: »lieber den Tod, als Byzanz!«
So vereinten sich die beiden Männer in dem Entschluß, keine Byzantiner in dem schönen Lande zu dulden, das dem Goten kaum minder teuer war als dem Römer.
Die Liebenden hüteten sich, den Willen des Alten schon jetzt zu einem bindenden Wort zu drängen; sie begnügten sich für die Gegenwart mit der Freiheit des Umgangs, die Valerius ihnen beließ, und warteten ruhig ab, bis der Einfluß allmählicher Gewöhnung ihn auch mit dem Gedanken an ihre völlige Vereinigung befreunden würde. So verlebten unsre jungen Freunde goldene Tage.
Das Liebespaar hatte neben seinem eigensten Glücke die Freude an der wachsenden Neigung des Vaters zu Totila: und Julius genoß jene weihevolle Erhebung, die für edle Naturen in dem Überwinden eigner Schmerzen um des Glückes geliebter Herzen willen liegt.
Seine suchende, von der Weisheit der alten Philosophie nicht befriedigte Seele wandte sich mehr und mehr jener Lehre zu, die den höchsten Frieden im Entsagen findet.
Eine sehr entgegengesetzte Natur war Valeria.
Sie war der Ausdruck der echt römischen Ideale ihres Vaters, der an der frühe verstorbnen Mutter Stelle ihre ganze Erziehung geleitet und im geistigen und sittlichen Gebiet die Ergebnisse des antiken heidnischen Geistes ihr angeeignet hatte. Das Christentum, dem ihre Seele bei dem Eintritt in das Leben durch eine äußere Nötigung war zugewendet und später ebenso durch ein äußerliches Mittel wieder war entrissen worden, erschien ihr als eine gefürchtete, nicht als eine verstandene und [] geliebte Macht, die sie gleich wohl nicht aus dem Kreise ihrer Gedanken und Gefühle zu scheiden vermochte. Als echte Römerin sah sie auch nicht mit bangem Zagen, sondern mit freudigem Stolz die kriegerische Begeisterung, die im Gespräch mit ihrem Vater über Byzanz und seine Feldherrn aus der Seele Totilas leuchtete, den künftigen Helden verkündend.
Und so trug sie es mit edler Fassung, als den Geliebten seine Kriegerpflicht plötzlich abrief aus den Armen der Liebe und Freundschaft. Denn sowie die Flotte der Byzantiner auf der Höhe von Syrakusä erschienen war, loderte in dem jungen Goten der Gedanke, der Wunsch des Krieges unauslöschlich empor. Als Befehlshaber des unteritalischen Geschwaders lag ihm die Pflicht ob, die Feinde zu beobachten, die Küste zu decken. Er setzte rasch seine Schiffe instand und segelte der griechischen Seemacht entgegen, Erklärung heischend über den Grund ihres Erscheinens in diesen Gewässern.
Belisar, der den Auftrag hatte, erst nach einem Ruf von Petros feindlich aufzutreten, gab eine friedliche und unanfechtbare Auskunft, die Unruhen in Afrika und Seeräubereien mauretanischer Schiffe vorschützend. Mit dieser Antwort mußte sich Totila begnügen: aber in seiner Seele stand der Ausbruch des Krieges fest, vielleicht nur deshalb, weil er ihn wünschte. Er traf daher alle Anstalten, schickte warnende Boten nach Ravenna und suchte vor allem, das wichtige Neapolis wenigstens von der Seeseite her zu decken, da die Landbefestigung der Stadt während des langen Friedens vernachlässigt und der alte Uliaris, der Stadtgraf von Neapolis, nicht aus seiner stolzen Sicherheit und Griechenverachtung aufzurütteln war.
Die Goten wiegten sich überhaupt in dem gefährlichen Wahn, die Byzantiner würden gar nie wagen, sie anzugreifen: und ihr verräterischer König bestärkte sie gern in diesem Glauben. Die Warnungen Totilas blieben deshalb unbeachtet und es wurde dem eifrigen Seegrafen sogar sein ganzes Geschwader [] abgenommen und in den Hafen von Ravenna zu angeblicher Ablösung beordert: aber die Schiffe, welche die abgesegelten ersetzen sollten, blieben aus.
Und Totila hatte nichts als ein paar kleine Wachtschiffe, mit welchen er, wie er den Freunden erklärte, die Bewegungen der zahlreichen Griechenflotte nicht beobachten, geschweige denn aufhalten konnte. Diese Mitteilungen bewogen den Kaufherrn, die Villa bei Neapolis zu verlassen und seine reichen Besitzungen und Handelsniederlassungen bei Regium, an der Südspitze der Halbinsel, aufzusuchen, um die wertvollste Habe aus dieser Gegend, für die Totila den ersten Angriff der Feinde besorgte, nach Neapolis zu flüchten und überhaupt seine Anordnungen für den Fall eines längeren Krieges zu treffen. Auf dieser Reise sollte Julius ihn begleiten, und auch Valeria war nicht zu bewegen, in der leeren Villa zurückzubleiben: von Gefahr war, wie Totila versichert hatte, für die nächsten Tage nichts zu fürchten.
So reisten denn die drei, von einigen Sklaven begleitet, nach der Hauptvilla bei dem Passe Jugum nördlich von Regium ab, die, unmittelbar am Meere gelegen, ja zum Teil mit jenem schon von Horatius gescholtnen Luxus in das Meer selbst »wagend hinausgebaut« war.
Valerius traf die Dinge in schlechter Ordnung. Seine Institoren hatten, sicher gemacht durch lange Abwesenheit des Herrn, übel gewirtschaftet: und mit Unwillen erkannte dieser, daß seine prüfende, ordnende, strafende Tätigkeit, nicht tage-, sondern wochenlang in dieser Gegend notwendig sein werde.
Unterdessen mehrten sich die drohenden Anzeichen. Totila schickte warnende Winke: aber Valeria erklärte, ihren Vater in der Gefahr nicht verlassen zu können: und dieser verschmähte es, vor den »Griechlein« zu flüchten, die er noch mehr verachtete, als haßte.
Da wurden sie eines Tages durch zwei Boote überrascht, [] die fast gleichzeitig in den kleinen Hafen der Villa einliefen: das eine trug Totila, das andre den Korsen Furius Ahalla. Die Männer begrüßten sich überrascht, doch erfreut als alte Bekannte und wandelten miteinander durch die Taxus- und Lorbeergänge des Gartens zu der Villa hinan. Hier trennten sie sich: Totila gab vor, seinen Freund Julius besuchen zu wollen, indes den Korsen ein Geschäft zu dem Kaufherrn führte, mit dem er seit Jahren in einer für beide Teile gleich vorteilhaften Handelsverbindung stand.
Mit Freuden sah daher Valerius den klugen, kühnen und stattlichschönen Seefahrer bei sich eintreten und nach herzlicher Begrüßung wandten sich die beiden Handelsfreunde ihren Büchern und Rechnungen zu.
Nach kurzen Erörterungen erhob sich der Korse von den Rechentafeln und sprach: »So siehst du, Valerius, aufs neue hat Mercurius unser Bündnis gesegnet. Meine Schiffe haben dir Purpur und köstlichen Wollstoff aus Phönikien und aus Spanien zugeführt: und deine köstlichen Fabrikate des verflossenen Jahres verführt nach Byzanz und Alexandria, nach Massilia und Antiochia. Ein Centenar Goldes Mehrgewinn gegen das Vorjahr! Und so wird er steigen und steigen von Jahr zu Jahr, solang die wackern Goten den Frieden schirmen und die Rechtspflege im Abendland.« Er schwieg wie abwartend.
»Solang sie schirmen können!« seufzte Valerius, »solang diese Griechen Frieden halten. Wer steht dafür, daß uns nicht diese Nacht der Seewind die Flotte Belisars an die Küste treibt!«
»Also auch du erwartest den Krieg? Im Vertrauen: er ist mehr als wahrscheinlich, er ist gewiß.«
»Furius,« rief der Römer, »woher weißt du das?«
»Ich komme von Afrika, von Sizilien. Ich habe die Flotte des Kaisers gesehen: so rüstet man nicht gegen Seeräuber. [] Ich habe die Heerführer Belisars gesprochen: sie träumen Nacht und Tag von den Schätzen Italiens. Sizilien ist zum Abfall reif, sowie die Griechen landen.«
Valerius erbleichte vor Aufregung. Furius bemerkte es und fuhr fort: »Und deshalb vor allem bin ich hierher geeilt, dich zu warnen. Der Feind wird in dieser Gegend landen, und ich wußte, daß deine Tochter dich begleitet.«
»Valeria ist eine Römerin.«
»Ja, aber diese Feinde sind die wildesten Barbaren. Denn Hunnen, Massageten, Skythen, Avaren, Sclavenen und Sarazenen sind es, die dieser Kaiser der Römer losläßt auf Italien. Wehe, wenn dein minervengleiches Kind in ihre Hände fiele.«
»Das wird sie nicht!« sagte Valerius, die Hand am Dolch. »Aber du sprichst wahr – sie muß fort in Sicherheit.« – »Wo ist in Italien Sicherheit? Bald werden die Wogen dieses Krieges brausend zusammenschlagen über Neapolis, über Rom, und kaum sich an Ravennas Mauern brechen.« – »Denkst du so groß von diesen Griechen? Hat doch Griechenland nie etwas anderes nach Italien geschickt als Mimen, Seeräuber und Kleiderdiebe!« – »Belisarius aber ist ein Sohn des Sieges. Jedenfalls entbrennt ein Kampf, dessen Ende so mancher von euch nicht erleben wird!« – »Von euch, sagst du? wirst du nicht mit kämpfen?«
»Nein, Valerius! Du weißt, in meinen Adern fließt nur korsisch Blut, trotz meines römischen Adoptivnamens: ich bin nicht Römer, nicht Grieche, nicht Gote. Ich wünsche den Goten den Sieg, weil sie Zucht und Ordnung halten zu Wasser und zu Land und weil mein Handel blüht unter ihrem Zepter: aber wollt' ich offen für sie fechten, der Fiskus von Byzanz verschlänge, was irgend von meinen Schiffen und Waren in den Häfen des Ostreichs liegt, drei Viertel all' meines Guts. Nein, ich gedenke mein Eiland so zu befestigen – du weißt ja, halb Korsika ist mein –, daß keine der kämpfenden Parteien mich [] viel belästigen wird: meine Insel wird eine Friedensinsel sein, während rings die Länder und Meere vom Krieg erdröhnen. Ich werde dies Asyl beschirmen wie ein König seine Krone, wie ein Bräutigam die Braut und deshalb« – seine Augen funkelten, und seine Stimme bebte vor Erregung »deshalb wollte ich jetzt heute ein Wort aussprechen, das ich seit Jahren auf dem Herzen trage« – Er stockte.
Valerius sah voraus, was kommen werde, und sah es mit tiefem Schmerz: seit Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem mächtigen Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten gewonnen, er würde doch den langjährigen Handelsgenossen als Eidam vorgezogen haben. Und er kannte den unbändigen Stolz und die zornige Rachsucht des Korsen: er fürchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe und Freundschaft alsbald in lodernden Haß umschlagen zu sehen: man erzählte dunkle Geschichten von der jähzornigen Wildheit des Mannes und gern hätte Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurückweisung erspart.
Aber jener fuhr fort: »Ich denke, wir beide sind Männer, die Geschäfte geschäftlich abtun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem Vater, nicht erst mit der Tochter. Gib mir dein Kind zur Ehe, Valerius: du kennst zum Teil mein Vermögen – nur zum Teil: denn es ist viel größer als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb' ich, wie groß sie sei, das doppelte ...« –
»Furius!« unterbrach der Vater.
»Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib beglücken mag. Jedenfalls kann ich sie beschützen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich führe sie, wird Korsika bedrängt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach Afrika; an jeder Küste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine Königin soll [] sie beneiden. Ich will sie hoch halten: höher als meine Seele.« Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend.
Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: es war nur eine Sekunde: aber der Anschein nur, daß sich der Vater besinne, empörte den Korsen. Sein Blut kochte auf, sein schönes bronzefarbenes Antlitz, eben noch beinahe weich und mild, nahm plötzlich einen furchtbaren Ausdruck an: dunkelrote Glut schoß in die braunen Wangen. »Furius Ahalla,« sprach er rasch und hastig, »ist nicht gewöhnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine Ware aufs erste Angebot mit beiden Händen zu ergreifen –: nun biete ich mich selbst –: ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur« –
»Mein Freund,« hob der Alte an, »wir leben nicht mehr in der Zeit alten, strengen Römerbrauchs: der neue Glaube hat den Vätern fast das Recht genommen, die Töchter zu vergeben. Mein Wille würde sie dir und keinem andern geben, aber ihr Herz ...« –
»Sie liebt einen andern!« knirschte der Korse, »wen?« Und seine Faust fuhr an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es lag etwas vom Tiger in dieser Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges. Valerius empfand, wie tödlich dieser Haß, und wollte den Namen nicht nennen. – »Wer kann es sein?« fragte halblaut der Wütende. »Ein Römer? Montanus? Nein! O nur – nur nicht er – sag' nein, Alter, nicht Er« ... – Und er faßte ihn am Gewande.
»Wer? wen meinst du?«
»Der mit mir landete – der Gote: doch ja, er muß es sein, es liebt ihn ja alles: Totila!«
»Er ist's!« sagte Valerius und suchte begütigend seine Hand zu fassen.
Doch mit Schrecken ließ er sie los: ein zuckender Krampf [] rüttelte den ehernen Leib des starken Korsen: er streckte beide Hände starr vor sich hin, als wollte er den Schmerz, der ihn quälte, erwürgen. Dann warf er das Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Fäuste grausam gegen die Stirn, den Kopf schüttelnd und laut auflachend.
Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepreßten Hände langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. »Es ist aus,« sagte er dann mit bebender Stimme. »Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll nicht glücklich werden im Weibe. Schon einmal – hart vor der Erfüllung! Und jetzt – ich weiß es –, Valerias Seelenzucht und klare Ruhe hätte auch in mein wild schäumendes Leben rettenden Frieden gebracht: ich wäre anders geworden – – besser. Und sollte es nicht sein« – hier funkelte sein Auge wieder –, »nun, so wär' es fast das gleiche Glück gewesen, den Räuber dieses Glücks zu morden. Ja, in seinem Blute hätte ich gewühlt und von der Leiche die Braut hinweggerissen – und nun ist Er es!
Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet und welchen Dank« – – – Und er schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung. »Valerius,« rief er dann plötzlich sich aufraffend, »ich weiche keinem Mann auf Erden – ich hätt' es nicht getragen, hinter einem andern zurückzustehen – doch Totila! – Es sei ihr vergeben, daß sie mich ausschlägt, weil sie Totila gewählt. Leb wohl, Valerius, ich geh' in See, nach Persien, Indien – ich weiß nicht, wohin – ach, überallhin nehm' ich diese Stunde mit.« Und rasch war er hinaus, und gleich darauf entführte ihn sein pfeilgeschwindes Boot dem kleinen Hafen der Villa. –
Seufzend verließ Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur gekommen, zu rascher Rückreise nach Neapolis zu treiben.
[] Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei Panormus: jeden Tag könne die Landung auf Sizilien, in Italien selbst erfolgen und trotz all' seines Dringens sende der König keine Schiffe. In den nächsten Tagen wolle er selbst nach Sizilien, sich Gewißheit zu schaffen. Die Freunde seien daher hier völlig unbeschützt: und er beschwor den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren. Aber den alten Soldaten empörte es, vor den Griechen flüchten zu sollen: vor drei Tagen könne und wolle er nicht weichen von seinen Geschäften, und kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur notdürftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in seinen Kahn und ließ sich an Bord des Wachtschiffes zurückbringen.
Es war dunkler Abend geworden, als er dort ankam, ein Nebelschleier verhüllte die Dinge in nächster Nähe.
Da scholl Ruderschlag von Westen her, und ein Schiff, kenntlich an der roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen Vorgebirges.
Totila lauschte und fragte seine Wachen: »Segel zur Linken! was für Schiff? was für Herr?«
»Schon angezeigt vom Mastkorb:« – hallte es wieder – »Kauffahrer – Furius Ahalla – lag hier vor Anker.«
»Fährt wohin?«
»Nach Osten – nach Indien!« –
Zehntes Kapitel.
Am Abend des dritten Tages seit Totila die gotische Bedeckung geschickt, hatte Valerius endlich seine Geschäfte beendet und auf den andern Morgen die Abreise festgesetzt. Er saß mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und sprach von den [] Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen Helden Kriegesdurst doch wohl unterschätzt habe: es war dem Römer ein unerträglicher Gedanke, daß »Griechen« das teure Italien in Waffen betreten sollten. »Auch ich wünsche den Frieden,« sprach Valeria, nachsinnend – »und doch –« »Nun?« fragte Valerius. »Ich bin gewiß, du würdest,« vollendete das Mädchen, »im Krieg erst Totila so lieben lernen, wie er es verdient: er würde für mich streiten und für Italien.« – »Ja,« sagte Julius, »es steckt in ihm ein Held und Größeres als das.« – »Ich kenne nichts Größeres,« antwortete Valerius.
Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atriums klirrende Schritte und der junge Thorismuth, der Anführer der zwanzig Goten und Totilas Schildträger, trat hastig ein.
»Valerius,« sprach er schnell, »laß die Wagen anschirren, die Sänften in den Hof – ihr müßt fort.«
Die Drei sprangen auf: »Was ist geschehn – sind sie gelandet?« – »Rede,« sprach Julius, »was macht dich besorgt?« – »Für mich nichts,« lachte der Gote, »und euch wollt ich nicht früher schrecken als unvermeidlich. Aber ich darf nicht mehr schweigen – gestern früh spülte die Flut eine Leiche ans Land ... –«
»Eine Leiche?« – »Einen Goten von unsrer Schiffsmannschaft – es war Alb, der Steuermann auf Totilas Schiff.« Valeria erbleichte, aber erbebte nicht. »Das kann ein Zufall sein – er ist ertrunken.« – »Nein,« sagte der Gote fest, »er ist nicht ertrunken: es stak ein Pfeil in seiner Brust.« – »Das deutet auf einen Kampf zur See! Nicht auf mehr!« meinte Valerius. »Aber heute –«
»Heute?« fragte Julius. – »Heute sind alle Landleute ausgeblieben, die sonst täglich von Regium hier durch nach Colum gehen. Auch ein Reiter, den ich auf Kundschaft nach Regium schickte, ist nicht zurückgekommen.« – »Beweist noch immer nichts,« sprach Valerius eigensinnig. – Sein Herz sträubte [] sich gegen den Gedanken einer Landung der Verhaßten solang als möglich – »oft schon hat die Brandung die Straße gesperrt.«
»Aber als ich selbst soeben auf der Straße nach Regium vorging und das Ohr auf die Erde legte, hörte ich die Erde zittern unter dem Hufschlag von vielen Rossen, die in rasender Eile nahen. Ihr müßt fliehn.«
Jetzt griffen Valerius und Julius zu den Waffen, die an den Pfeilern des Gemaches hingen, Valeria legte schwer atmend die Hand aufs Herz: »Was ist zu tun?« fragte sie.
»Besetzt den Engpaß von Jugum,« befahl Valerius, »in den die Straße längs der Küste verläuft: er ist schmal; er ist lange zu halten.« – »Er ist schon besetzt von acht meiner Goten, ich fliege hin, sobald ihr zu Pferde sitzt, die Hälfte meiner Schar deckt eure Reise: eilt.«
Aber ehe sie das Gemach verlassen konnten, stürzte ein gotischer Krieger, mit Schlamm und Blut bedeckt, herein: »flieht,« rief er, »sie sind da!« – »Wer ist da, Gelaris?« fragte Thorismuth. – »Die Griechen! Belisar! der Teufel!« – »Rede,« befahl Thorismuth. – »Ich kam bis in den Pinienwald von Regium, ohne etwas Verdächtiges zu spüren, freilich auch ohne einer Seele auf der Straße zu begegnen. Als ich an einem dicken Baumstamm vorbeireite, eifrig vorwärts spähend, fühle ich einen Ruck am Halse, als risse mir ein Blitz den Kopf von den Schultern und im Nu lag ich unter meinem Tier am Boden ... –«
»Schlecht gesessen, o Gelaris!« schalt Thorismuth. – »Jawohl, eine Roßhaarschlinge ums Genick und eine Bleikugel an den Kopf geschnellt, da fällt auch ein besserer Reitersmann als Gelaris, Genzos Sohn. Zwei Unholde – Waldschraten oder Alraunen acht' ich sie ähnlich – setzten aus dem Busch über den Graben, banden mich auf mein Pferd, nahmen mich zwischen ihre kleinen, zottigen Gäule – und hui ...« –
[] »Das sind die Hunnen Belisars!« rief Valerius.
»Jagten sie mit mir davon. Als ich wieder ganz zu mir gekommen, war ich in Regium, mitten unter den Feinden, dort erfuhr ich denn alles. Die Regentin ist ermordet, der Krieg ist erklärt, die Feinde haben Sizilien überrascht, die ganze Insel ist zum Kaiser abgefallen – –« – »Und das feste Panormus?«
»Fiel durch die Flotte, die in den Hafen drang: die Mastkörbe waren höher als die Mauern der Stadt: von den Masten schossen und sprangen sie herab.« – »Und Syrakusä?« fragte Valerius. »Fiel durch Verrat der Sizilianer – die Goten der Besatzung sind ermordet: in Syrakusä ist Belisarius eingeritten unter einem Blumenregen, als scheidender Konsul des Jahres – denn es war am letzten Tage seines Konsulats – Goldmünzen streuend, unter Händeklatschen alles Volks.« – »Und wo ist der Seegraf? wo ist Totila?« – »Zwei seiner drei Schiffe sind in den Grund gebohrt vom Schnabelstoße der Trieren. Sein Schiff und noch eins: er sprang ins Meer mit voller Rüstung – und ist – noch nicht – aufgefischt.«
Da sank Valeria schweigend auf das Lager.
»Der Griechenfeldherr,« fuhr der Bote fort, »landete gestern in dunkler stürmischer Nacht bei Regium: die Stadt hat ihn mit Jubel aufgenommen; er ordnet nur sein Heer, dann soll's im Fluge nach Neapolis gehen: seine Vorhut, die gelbhäutigen Reiter, die mich eingebracht, mußten sogleich wieder umkehren und den Paß gewinnen. Ich sollte ihnen Führer dahin sein. Ich führte sie weit ab – nach Westen – in den Meeressumpf – und – entsprang ihnen im Dunkel – des Abends aber – sie schickten mir – Pfeile nach – und einer traf – ich kann nicht mehr.« – Und klirrend stürzte der Mann zu Boden.
»Er ist verloren!« sprach Valerius, »sie führen vergiftetes Geschoß! Auf, Julius und Thorismuth, ihr geleitet mein Kind auf der Straße gen Neapolis: ich gehe in den Paß und [] decke euch den Rücken.« Vergebens waren die Bitten Valerias: Gesicht und Haltung des Alten nahmen einen Ausdruck eisernen Entschlusses an. »Gehorcht!« befahl er den Widerstrebenden, »ich bin der Herr dieses Hauses, der Sohn dieses Landes, und ich will die Hunnen Belisars fragen, was sie zu tun haben in meinem Vaterland. Nein, Julius! Dich muß ich bei Valeria wissen – lebet wohl.«
Während Valeria mit ihrer gotischen Bedeckung und mit den meisten der Sklaven spornstreichs auf der Straße nach Neapolis hinwegeilte, stürmte Valerius mit Schild und Schwert einem halben Dutzend Sklaven voran, zum Garten der Villa hinaus, nach dem Engpaß zu, der nicht weit vor dem Anfang seiner Besitzungen die Straße nach Regium überwölbte.
Der Felsenbogen zur Linken, im Norden, war unübersteiglich, und zur Rechten, nach Süden, fielen jene Wände senkrecht in das tiefe Meer, dessen Brandung oft die Straße überflutete. Die Mündung des Passes aber war so schmal, daß zwei nebeneinanderstehende Männer sie mit ihren Schilden wie eine Pforte schließen konnten: so durfte Valerius hoffen, den Paß auch gegen große Übermacht lang genug zu decken, um den raschen Pferden der Fliehenden hinlänglichen Vorsprung zu gewähren. Während der Alte den schmalen Pfad, der sich zwischen dem Meere und seinen Weinbergen nach dem Engpaß hinzog, durch die mondlose Nacht vorwärts eilte, bemerkte er zur Rechten, draußen, in ziemlicher Entfernung vom Lande, im Meer den hellen Strahl eines kleinen Lichtes, das offenbar von dem Mast eines Schiffes niederleuchtete. Valerius erschrak: sollten die Byzantiner zur See gegen Neapolis vorrücken? Sollten sie Bewaffnete in seinem und des Engpasses Rücken ans Land werfen wollen? Aber würden sich dann nicht mehrere Lichter zeigen? Er wollte die Sklaven fragen, die auf seinen Befehl, aber schon mit sichtlichem Widerwillen, ihm aus der Villa gefolgt waren.
[] Umsonst: sie waren verschwunden in dem Dunkel der Nacht. Sie waren dem Herrn entwischt, sobald dieser ihrer nicht mehr achtete. So kam Valerius allein an dem Engpaß an, dessen hintere Mündung zwei der gotischen Wachen besetzt hielten, während zwei andere den östlichen, dem Feinde zugekehrten Eingang ausfüllten und die übrigen vier in dem innern Raum hielten. Kaum war Valerius dicht hinter die beiden vordersten Wächter getreten, als man plötzlich ganz nahes Pferdegetrappel vernahm: und alsbald bogen um die letzte Krümmung, welche die Straße vor dem Paß um eine Felsennase machte, zwei Reiter im vollen Trabe. Beide trugen Fackeln in der Rechten: es warfen nur diese Fackeln Licht auf die nächtliche Szene, denn die Goten vermieden alles, was ihre kleine Zahl verraten konnte. »Beim Barte Belisars!« schalt der vorderste der Reiter, in Schritt übergehend, »hier wird der Katzensteig so schmal, daß kaum ein ehrlich Roß drauf Platz hat – und da kömmt noch ein Hohlweg oder –, halt, was rührt sich da?« Und er hielt sein Pferd an und bog sich, die Fackel weit vor sich streckend, vorsichtig nach vorn: so bot er dicht vor dem Eingang, in dem Licht seiner Kienfackel ein bequemes Ziel.
»Wer ist da?« rief er seinem Begleiter nochmals zu.
Da fuhr ein gotischer Wurfspeer durch die breiten Panzerringe in seine Brust. »Feinde, weh!« schrie der Sterbende und stürzte rücklings aus dem Sattel. »Feinde, Feinde!« rief der Mann hinter ihm, schleuderte die verderbliche Fackel weit von sich ins Meer, warf sein Pferd herum und jagte zurück, während das Tier des Gefallenen ruhig stehenblieb bei der Leiche seines Herrn.
Nichts hörte man jetzt in der Stille der Nacht als den Hufschlag des enteilenden Rosses, und, zur Rechten des Passes, den leisen Schlag der Wellen am Fuße der Felswand. Den Männern im Engpaß schlug das Herz in Erwartung. »Jetzt bleibt kalt, ihr Männer,« mahnte Valerius, »lasse sich keiner [] aus dem Passe locken. Ihr in der ersten Reihe schließt die Schilde fest aneinander und streckt die Lanzen vor: wir in der Mitte werfen. Ihr drei im Rücken reicht uns die Speere und habt acht auf alles.«
»Herr,« rief der Gote, der hinter dem Passe auf der Straße, stand, »das Licht! das Schiff nähert sich immer mehr.«
»Hab' acht und ruf' es an, wenn –«
Aber schon waren die Feinde da, deren Vorhut die beiden Späher gebildet hatten, es war ein Trupp von fünfzig hunnischen Reitern, mit einigen Fackeln. Wie sie um die Krümmung des Weges bogen, erhellte sich die Szene mit wechselndem, grellem Licht neben tiefem Dunkel.
»Hier war es, Herr!« sprach der entkommene Reiter, »seht euch vor.« – »Schafft den Toten zurück und das Roß!« sprach eine rauhe Stimme, und der Anführer, eine Fackel erhebend, ritt im Schritt gegen den Eingang vor.
»Halt« rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen, »wer seid ihr und was wollt ihr?« – »Das habe ich zu fragen!« entgegnete der Führer der Reiter in derselben Sprache. – »Ich bin ein römischer Bürger und verteidige mein Vaterland gegen Räuber.«
Der Anführer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze Örtlichkeit besehen: sein geübtes Auge erkannte die Unmöglichkeit, links oder rechts den Engpaß zu umgehen und zugleich die Enge seiner Mündung. »Freund,« sagte er etwas zurückweichend, »so sind wir Bundesgenossen. Auch wir sind Römer und wollen Italien von seinen Räubern befreien. Also gib Raum und laß uns durch.« Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen wollte, sprach: »Wer bist du und wer sendet dich?« – »Ich heiße Johannes: die Feinde Justinians nennen mich ›den Blutigen‹, und ich führe die leichten Reiter Belisars. Alles Land von Regium bis hierher hat uns mit Jubel aufgenommen: hier ist das erste Hemmnis; längst wären wir [] weiter, hätt' uns nicht ein Hund von einem Goten in den dicksten Sumpf geführt, drin je ein guter Gaul versank. Köstliche Zeit ging uns verloren. Halt' uns nicht auf! Leben und Habe ist dir gesichert, und reicher Lohn, wenn du uns führen willst. Eile ist der Sieg. Die Feinde sind betäubt: sie dürfen sich nicht besinnen, bis wir vor Neapolis stehen, ja vor Rom. ›Johannes‹ sprach Belisar, zu mir, ›da ich's dem Sturmwind nicht befehlen kann, vor mir her durch dieses Land zu fegen, befehl ich's dir.‹ Also fort und laßt uns durch –.« Und er spornte sein Pferd.
»Sag Belisar, solange Genius Valerius lebt, soll er keinen Fußbreit vorwärts in Italien. Zurück, ihr Räuber!« – »Verrückter Mensch! du hältst es mit den Goten gegen uns?« – »Mit der Hölle – wenn gegen euch.«
Der Führer warf nochmals prüfende Blicke nach rechts und links: »Höre«, sprach er, »du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang. Weichst du, so sollst du leben. Weichst du nicht, so laß ichdich erst schinden und dann pfählen!« Und er hob die Fackel, nach einer Blöße spähend.
»Zurück,« rief Valerius. »Schieß', Freund!« Und eine Sehne klirrte, und ein Pfeil schlug an den Helm des Reiters. »Warte!« rief dieser und spornte sein Tier zurück. »Absitzen,« befahl er, »alle Mann!« Aber die Hunnen trennten sich nicht gern von ihren Rossen. »Wie, Herr? absitzen!« fragte einer der nächsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der Mann rührte sich nicht. »Absitzen!« donnerte er noch mal; »wollt ihr zu Pferde in das Mauseloch schlüpfen?« Und er selbst schwang sich aus dem Sattel: »Sechs steigen auf die Bäume und schießen von oben. Sechs legen sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Straße vor und schießen im Liegen. Zehn schießen stehend, auf Brusthöhe. Zehn hüten die Pferde; die andern zwanzig folgen mir mit dem Speer, sowie die Sehnen geschwirrt. Vorwärts.« Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze.
[] Während die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal den Paß. »Ergebt euch!« rief er. – »Kommt an,« riefen die Goten.
Da winkte Johannes und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich.
Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel; einer der Schützen auf den Bäumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den wütenden Anprall des anstürmenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze in die Lücke rannte. Er fing den Lanzenstoß mit dem Schilde und schlug nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurückprallte, strauchelte und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurück.
Da konnte sich's der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen Führer unschädlich zu machen: er sprang mit gezücktem Speer aus dem Engpaß einen Schritt vorwärts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell hatte er sich aufgerafft, den überraschten Goten von der Straßenwand zur Rechten des Felsenpasses hinabgestoßen, und im selben Augenblick stand er an der rechten, schildlosen Seite des Valerius, der die wieder vordringenden Hunnen abwehrte, und stieß diesem mit aller Kraft das lange Persermesser in die Weichen.
Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit ihren Schildschnäbeln wieder zurück- und hinauszustoßen. Er ging zurück, einen neuen Pfeilregen zu befehlen.
Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Mündung, der dritte hielt den blutenden Valerius in seinen Armen.
Da stürzte die Wache von der Rückseite in den Engpaß: »Das Schiff! Herr das Schiff! sie sind gelandet: sie fassen uns im Rücken! Flieht, wir wollen euch tragen – ein Versteck in den Felsen. –«
[] »Nein,« sprach Valerius, sich aufrichtend, »hier will ich sterben; stemme mein Schwert gegen die Wand und –«
Aber da schmetterte von der Rückseite her laut der Ruf des gotischen Heerhorns: Fackeln blitzten, und eine Schar von dreißig Goten stürmte in den Paß: Totila an ihrer Spitze: sein erster Blick fiel auf Valerius: »Zu spät, zu spät!« rief er schmerzlich. »Aber folgt mir! Rache! hinaus!«
Und wütend brach er mit seinem speeretragenden Fußvolk aus dem Paß. Und schrecklich war der Zusammenstoß auf der schmalen Straße zwischen Felsen und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getümmel, und der anbrechende Morgen gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kühnen Angreifern überlegen, waren durch den plötzlichen Ausfall völlig überrascht: sie glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knäuel stürzte Mann und Roß die Felsen hinab.
Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den nächsten Goten an. Aber er kam übel an: es war Totila, er erkannte ihn. »Verfluchter Flachskopf,« schrie er, »so bist du nicht ersoffen?«
»Nein, wie du siehst!« rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den Helmkamm und noch ein Stück in den Schädel, daß er taumelte. Da war aller Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die nächsten seiner Reiter auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geräumt.
Totila eilte nach dem Hohlweg zurück. Er fand Valerius, bleich, mit geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu ihm nieder und drückte die erstarrende Hand an seine Brust. »Valerius,« rief er, »Vater! scheide [] nicht! scheide nicht so von uns. Noch ein Wort des Abschieds.« Der Sterbende schlug matt die Augen auf.
»Wo sind sie?« fragte er. »Geschlagen und geflohn.« – »Ah, Sieg!« atmete Valerius auf; »ich darf im Siege sterben. Und Valeria – mein Kind – sie ist gerettet?«
»Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Straße, zwischen deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr deine Gefahr; eins meiner Schiffsboote nahm sie auf und führt sie nach Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher, dich zu retten – ach, nur zu rächen!« Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust.
»Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir dank' ich es.« Und wohlgefällig streichelte er die langen Locken des Jünglings. »Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten – trotz Belisar und Narses. Du kannst es – du wirst es und dein Lohn sei mein geliebtes Kind.« – »Valerius! Mein Vater!« – »Sie sei dein! Aber schwöre mir's,« – und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge – »schwöre mir's beim Genius Valerias: nicht eher wird sie dein, als bis Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen Byzantiner trägt.«
»Ich schwör' es dir,« rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, »ich schwör's beim Genius Valerias!«
»Dank, dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben – grüße sie und sage ihr: dir hab' ich sie empfohlen und anvertraut: sie – und Italien.« Und er legte das Haupt zurück auf seinen Schild und kreuzte die Arme über der Brust – und war tot.
Lange hielt Totila schweigend die Hand auf seiner Brust.
[] Ein blendendes Licht weckte ihn plötzlich aus seinem Träumen: es war die Morgensonne, deren goldne Scheibe prächtig über den Kamm des Felsgebirges emportauchte: er stand auf und sah dem steigenden Gestirn entgegen. Die Fluten glitzerten in hellem Widerschein, und ein Schimmer flog über alles Land.
»Beim Genius Valerias!« wiederholte er leise mit innigster Empfindung und hob die Hand zum Schwur dem Morgenlicht entgegen. Wie der Tote fand er Kraft und Trost und Begeisterung in seinem schweren Gelübde: die hohe Pflicht erhob ihn. Gekräftigt wandte er sich zurück und befahl, die Leiche auf sein Schiff zu tragen, um sie nach dem Grabmal der Valerier in Neapolis zu führen.
Elftes Kapitel.
Während dieser drohenden Ereignisse waren wohl freilich auch die Goten nicht völlig müßig geblieben. Doch waren alle Maßregeln kraftvoller Abwehr gelähmt, ja absichtlich vereitelt durch den feigen Verrat ihres Königs.
Theodahad hatte sich von seiner Bestürzung über die Kriegserklärung des byzantinischen Gesandten alsbald wieder erholt, da er sich nicht von der Überzeugung trennen konnte und wollte, sie sei doch im Grunde nur erfolgt, um den Schein zu wahren und die Ehre des Kaiserhofes zu decken. Er hatte ja Petros nicht mehr allein gesprochen: und dieser mußte doch vor Goten und Römern einen Vorwand haben, Belisar in Italien erscheinen zu lassen. Das Auftreten dieses Mannes war ja das längst verabredete Mittel zur Durchführung der geheimen Pläne. Den Gedanken, Krieg führen zu sollen – von allen ihm der unerträglichste! –, wußte er sich dadurch fernzuhalten, daß er weislich überlegte, zum Kriegführen gehören zwei. »Wenn ich mich nicht verteidige,« dachte er, »ist der Angriff bald vorüber. Belisar mag kommen – ich will nach Kräften [] dafür sorgen, daß er auf keinen Widerstand stößt, der des Kaisers Stimmung gegen mich nur verschlimmern könnte. Berichtet der Feldherr im Gegenteil nach Byzanz, daß ich seine Erfolge in jeder Weise befördert, so wird Justinian nicht anstehn, den alten Vertrag ganz oder doch zum größten Teil zu erfüllen.«
In diesem Sinne handelte er, berief alle Streitkräfte der Goten zu Land und zur See aus Unteritalien, wo er die Landung Belisars erwartete, hinweg, und schickte sie massenhaft an die Ostgrenze des Reiches nach Liburnien, Dalmatien, Istrien und gen Westen nach Südgallien, indem er, gestützt auf die Tatsache, daß Byzanz eine kleine Truppenabteilung nach Dalmatien gegen Salona gesendet und mit den Frankenkönigen Gesandte gewechselt hatte, vorgab, der Hauptangriff sei von den Byzantinern zu Lande, in Istrien, und von den mit ihnen verbündeten Franken am Rhodanus und Padus zu befahren.
Die Scheinbewegungen Belisars unterstützten diesen Glauben: und so geschah das Unerhörte, daß die Heerscharen der Goten, die Schiffe, die Waffen, die Kriegsvorräte in großen Massen in aller Eile gerade vor dem Angriff hinweggeführt, daß Unteritalien bis Rom, ja alles Land bis Ravenna entblößt und alle Verteidigungsmaßregeln in den Gegenden vernachlässigt wurden, auf die alsbald die ersten Schläge der Feinde fallen sollten.
An dem Dravus, Rhodanus und Padus wimmelte es von gotischen Waffen und Segeln, während bei Sizilien, wie wir sahen, sogar die nötigsten Boote zum Wachtdienst fehlten.
Auch das ungestüme Drängen der gotischen Patrioten besserte daran nicht viel. Witichis und Hildebad hatte sich der König aus der Nähe geschafft, indem er sie mit Truppen und Aufträgen nach Istrien und nach Gallien entsandte: und dem argwöhnischen Teja leistete der alte Hildebrand, der nicht ganz [] den Glauben an den letzten der Amaler aufgeben wollte, zähen Widerstand.
Am meisten aber ward Theodahad gekräftigt, als ihm seine entschlossene Königin zurückgegeben wurde. Witichis war alsbald nach der Kriegserklärung der Byzantiner mit einer gotischen Schar vor die Burg von Feretri gezogen, wo Gothelindis mit ihren pannonischen Söldnern Zuflucht gesucht, und hatte sie bewogen, sich freiwillig wieder in Ravenna einzufinden, unter Verbürgung für ihre Sicherheit, bis in der bevorstehenden großen Volks- und Heeresversammlung bei Rom ihre Sache nach allen Formen des Rechts untersucht und entschieden werde. Diese Bedingungen waren beiden Parteien genehm: denn den gotischen Patrioten mußte alles daran gelegen sein, jetzt, bei dem Ausbruch des schweren Krieges, nicht durch Parteiung in der Oberleitung gespalten zu sein.
Und wenn der gerade Gerechtigkeitssinn des Grafen Witichis wider jede Anklage das Recht voller Verteidigung gewahrt wissen wollte, so sah auch Teja ein, daß, nachdem der Feind die schwere Beschuldigung des Königsmordes auf das ganze Volk der Goten geschleudert, nur ein strenges und feierliches Verfahren in allen Formen, nicht eine stürmische Volksjustiz auf blinden Argwohn hin, die Volksehre wahren könne.
Gothelindis aber blickte jenem Verfahren mit kühner Stirn entgegen: mochten die Stimmen innerer Überzeugung auch gegen sie sprechen, sie glaubte ganz sicher zu sein, daß sich ein genügender Beweis ihrer Tat nicht erbringen lasse. – Hatte doch nur ihr Auge das Ende der Feindin gesehen. – Und sie wußte wohl, daß man sie ohne volle Überführung nicht strafen werde.
So folgte sie willig nach Ravenna, flößte dem zagen Herzen ihres Gatten neuen Mut ein und hoffte, war nur der Gerichtstag überstanden, alsbald im Lager Belisars und am Hofe von Byzanz Ruhe von allen weitern Anfechtungen zu finden. [] Die Zuversicht des Königspaares über den Ausgang jenes Tages wurde nun noch dadurch erhöht, daß die Rüstungen der Franken ihnen den Vorwand gegeben hatten, außer Witichis und Hildebad auch noch den gefährlichen Grafen Teja mit einer dritten Heerschar in den Nordwesten der Halbinsel zu entsenden: mit ihm zogen viele Tausende gerade der eifrigsten Anhänger der Gotenpartei, – so daß an dem Tag bei Rom eine von ihren Gegnern nicht allzu zahlreich besuchte Versammlung sich einfinden würde. – Und unablässig waren sie tätig, sowohl ihre persönlichen Anhänger als alte Gegner Amalaswinthens, die mächtige Sippe der Balten in ihren weitverbreiteten Zweigen, in möglichst großer Anzahl zur Entscheidung jenes Tages heranzuziehen. So hatte das Königspaar Ruhe und Zuversicht gewonnen. Und Theodahad war von Gothelindis bewogen worden, selbst als Vertreter seiner Gemahlin gegen jede Anklage unter den Goten zu erscheinen, um durch solchen Mut und den Glanz des königlichen Ansehens vielleicht von vornherein alle Widersacher einzuschüchtern.
Umgeben von ihren Anhängern und einer kleinen Leibwache verließen Theodahad und Gothelindis Ravenna und eilten nach Rom, wo sie mehrere Tage vor dem für die Versammlung anberaumten Termin eintrafen und in dem alten Kaiserpalast abstiegen.
Nicht unmittelbar vor den Mauern, sondern in der Nähe Roms, auf einem freien offnen Felde, Regeta genannt, zwischen Anagni und Terracina, sollte die Versammlung gehalten werden. Früh am Morgen des Tages, da sich Theodahad allein auf die Reise dorthin aufmachen wollte und von Gothelindis Abschied nahm, ließ sich ein unerwarteter und unwillkommener Name melden: Cethegus, der während ihres mehrtägigen Aufenthalts in der Stadt nicht erschienen: er war vollauf mit der Vollendung der Befestigungen beschäftigt.
[] Als er eintrat, rief Gothelindis entsetzt über seinen Ausdruck: »Um Gott, Cethegus! welch ein Unheil bringst du?«
Aber der Präfekt furchte nur einen Augenblick die Stirn bei ihrem Anblick, dann sprach er ruhig: »Unheil? für den, den's trifft. Ich komme aus einer Versammlung meiner Freunde, wo ich zuerst erfuhr, was bald ganz Rom wissen wird: Belisar ist gelandet.«
»Endlich,« rief Theodahad. Und auch die Königin konnte eine Miene des Triumphs nicht verbergen.
»Frohlockt nicht zu früh! Es kann euch reuen. Ich komme nicht, Rechenschaft von euch und eurem Freunde Petros zu verlangen: wer mit Verrätern handelt, muß sich aufs Lügen gefaßt machen. Ich komme nur, um euch zu sagen, daß ihr jetzt ganz gewiß verloren seid.«
»Verloren?« – »Gerettet sind wir jetzt!«
»Nein, Königin. Belisar hat bei der Landung ein Manifest erlassen: er sagt, er komme, die Mörder Amalaswinthens zu strafen; ein hoher Preis und seine Gnade ist denen zugesichert, die euch lebend oder tot einliefern.«
Theodahad erbleichte. »Unmöglich!« rief Gothelindis.
»Die Goten aber werden bald erfahren, wessen Verrat den Feind ohne Widerstand ins Land gelassen.
Mehr noch. Ich habe von der Stadt Rom den Auftrag, in dieser stürmischen Zeit als Präfekt ihr Wohl zu wahren. Ich werde euch im Namen Roms ergreifen und Belisar übergeben lassen.«
»Das wagst du nicht!« rief Gothelindis, nach dem Dolche greifend.
»Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden. Ich lasse euch aber entkommen – was liegt mir an eurem Leben oder Sterben! – gegen einen billigen Preis.«
»Ich gewähre jeden!« stammelte Theodahad.
[] »Du lieferst mir die Urkunden deiner Verträge mit Silverius – schweig! lüge nicht! ich weiß, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du hast wieder einmal einen hübschen Handel mit Land und Leuten getrieben! Mich lüstet nach dem Kaufbrief.«
»Der Kauf ist jetzt eitel! die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! sie liegen verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in der Krypta!« Seine Furcht zeigte, daß er wahr sprach.
»Es ist gut,« sagte Cethegus. »Alle Ausgänge des Palastes sind von meinen Legionaren besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am bezeichneten Ort, so werd' ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen.« Und er ging, das Paar ratlosen Ängsten überlassend.
»Was tun?« fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. »Weichen oder trotzen?« – »Was tun?!« wiederholte Theodahad unwillig. »Trotzen? das heißt bleiben? Unsinn! Fort von hier sobald als möglich; kein Heil als die Flucht!« – »Wohin willst du fliehn?« – »Nach Ravenna zunächst – das ist fest! Dort erheb ich den Königsschatz. Von da, wenn es sein muß, zu den Franken. Schade, schade, daß ich die hier verborgnen Gelder preisgeben muß. Die vielen Millionen Solidi!« – »Hier? auch hier,« fragte Gothelindis aufmerksam, »in Rom hast du Schätze geborgen. Wo? und sicher?« »Ach, allzusicher! In den Katakomben! Ich selber würde Stunden brauchen, sie alle aufzufinden in jenen finstern Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch über die Solidi! Folge mir, Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte Marc Aurels.«
Und er verließ das Gemach. Aber Gothelindis blieb überlegend [] stehn. Ein Gedanke, ein Plan hatte sie bei seinen Worten erfaßt: sie erwog die Möglichkeit des Widerstands.
Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. »Gold ist Macht,« sprach sie zu sich selber, »und nur Macht ist Leben.« Ihr Entschluß stand fest. Sie gedachte der kappadokischen Söldner, die des Königs Geiz aus seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der Einschiffung gewärtig. Sie hörte Theodahad hastig die Treppe hinuntersteigen und nach seiner Sänfte rufen. »Ja, flüchte nur, du Erbärmlicher!« sprach sie, »ich bleibe.«
Zwölftes Kapitel.
Herrlich tauchte am nächsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten.
Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt, gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der großen Musterung, die alljährlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden.
Eine solche Volksversammlung war das schönste Fest und der edelste Ernst der Nation zugleich: ursprünglich, in der heidnischen Zeit, war ihr Mittelpunkt das große Opferfest gewesen, das alljährlich zweimal, an der Winter- und Sommersonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung der gemeinsamen Götter vereinte: daran schlossen sich dann Markt- und Tauschverkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung: die Versammlung hatte zugleich die höchste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden und die Verhältnisse zu andern Staaten.
Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der König so manches Recht, das sonst dem Volke [] zukam, erworben, hatte die Volksversammlung eine höchst feierliche Weihe, wenn auch deren alte heidnische Bedeutung vergessen war: und die Reste der alten Volksfreiheit, die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen schwächern Nachfolgern kräftiger wieder auf.
Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die Strafe zu verhängen, wenn auch der Graf des Königs in dessen Namen das Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische Völker selbst ihre Könige wegen Verrates, Mordes und andrer schwerer Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getötet. In dem stolzen Bewußtsein, sein eigner Herr zu sein und niemand, auch dem König nicht, über das Maß der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane in allen seinen Waffen zu dem »Ding«, wo er sich im Verband mit seinen Genossen sicher und stark fühlte und seine und seines Volkes Freiheit, Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Taten vor Augen sah.
Zur diesmaligen Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken Gründen. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem verhaßten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern: diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau sein. Dazu kam, daß wenigstens in den nächsten Landschaften den meisten Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden über die Mörder der Tochter Theoderichs: die große Aufregung, die diese Tat erweckt hatte, mußte ebenfalls mächtig nach Regeta ziehn.
Während ein Teil der Herbeigewanderten in den nächsten Dörfern bei Freunden und Bekannten eingesprochen, hatten sich große Scharen schon einige Tage vor der feierlichen Eröffnung auf dem weiten Blachfeld selbst, zweihundertachtzig [] Stadien (gegen sechsunddreißig römische Meilen zu tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Hütten oder auch unter dem milden freien Himmel gelagert. Diese waren mit den frühsten Stunden des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nützten die geraume Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und Kurzweil.
Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses Ufens (oder »Decemnovius«, weil er nach neunzehn römischen Meilen bei Terracina in das Meer mündet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere zeigten ihre Kunst, über ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfüßigsten, angeklammert an die Mähnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den sattellosen Rücken schwangen.
»Schade,« rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich, »schade, daß Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm' ich's mit ihm auf.« – »Ich bin froh, daß er nicht da ist,« lachte Gunthamund, der als der zweite herangesprengt war, »sonst hätte ich gestern schwerlich den ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen.« – »Ja,« sprach Hilderich, ein stattlicher, junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, »Totila ist gut mit der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die Rippe vorher, die er treffen wird.« – »Bah,« brummte Hunibad, ein älterer Mann, der dem Treiben der Jünglinge prüfend zugesehn, »das ist doch all nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rückt, daß du nicht mehr [] ausholen kannst zum Wurf. Und da lob ich mir den Grafen Witichis von Fäsulä!
Das ist mein Mann! War das ein Schädelspalten, im Gepidenkrieg! Durch Stahl und Leder schlug der Mann als wär' es trocken Stroh. Der kann's noch besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Wölsung, in Florentia. Doch was wißt ihr davon, ihr Knaben. – Seht, da steigen die frühesten Ankömmlinge von den Hügeln nieder: auf! ihnen entgegen!«
Und auf allen Wegen strömte jetzt das Volk heran: zu Fuß, zu Roß und zu Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfüllte mehr und mehr das Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden die Rosse abgezäumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben und durch die Lagergassen hin flutete nun die stündlich wachsende Menge.
Da suchten und fanden und begrüßten sich Freunde und Waffenbrüder, die sich seit Jahren nicht gesehn. Es war ein buntgemischtes Bild: die alte germanische Gleichartigkeit war in diesem Reiche lang geschwunden. Da stand neben dem vornehmen Edeln, der sich in einer der reichen Städte Italiens niedergelassen, in den Palästen senatorischer Geschlechter wohnte und die feinere und üppigere Sitte der Welschen angenommen hatte, neben dem Herzog oder Grafen aus Mediolanum oder Ticinum, der über dem reichvergoldeten Panzer das Wehrgehänge von Purpurseide trug, neben einem solchen zieren Herrn ragte wohl ein rauher, riesiger Gotenbauer, der in den tiefen Eichwäldern am Margus in Mösien hauste oder der in dem Tann am rauschenden Önus dem Wolf die zottige Schur abgerungen hatte, die er um die mächtigen Schultern schlug, und dessen rauher erhaltene Sprache befremdlich an das Ohr der halbromanisierten Genossen schlug. Und wieder friedliche Schafhirten aus Dakien, die, ohne Acker und ohne Haus, mit ihren Herden von Weide zu Weide wanderten, ganz in derselben [] Weise noch, welche die Ahnen vor tausend Jahren aus Asien herübergeführt hatte. Da war ein reicher Gote, der in Ravenna oder Rom eines römischen Geldwechslers Kind geheiratet und bald Handel und Verkehr gleich seinem römischen Schwager zu treiben und seinen Gewinn nach Tausenden zu berechnen gelernt hatte. Und daneben stand ein armer Senne, der an dem brausenden Isarkus die magern Ziegen auf die magre Weide trieb, und dicht neben der Höhle des Bären seine Bretterhütte errichtet hatte.
So verschieden war den Tausenden, die sich hier zusammenfanden, das Los gefallen, seit ihre Väter dem Ruf des großen Theoderich nach Westen gefolgt waren, hinweg aus den Tälern des Hämus.
Aber doch fühlten sie sich als Brüder, als Söhne Eines Volkes: dieselbe stolzklingende Sprache redeten sie, dieselben Goldlocken, dieselbe schneeweiße Haut, dieselben hellen blitzenden Augen und – vor allem – das gleiche Gefühl in jeder Brust: als Sieger stehen wir auf dem Boden, den unsre Väter dem römischen Weltreich abgetrotzt, und den wir decken wollen, lebendig oder tot.
Wie ein ungeheurer Bienenschwarm wogten und rauschten die Tausende durcheinander, die sich hier begrüßten, alte Bekanntschaften aufsuchten und neue schlossen und das wirre Getreibe schien nimmer enden zu wollen und zu können.
Aber plötzlich tönten von dem Kamm der Hügel her eigentümliche, feierlich gezogene Töne des gotischen Heerhorns: und augenblicklich legte sich das Gesumme der brausenden Stimmen. Aufmerksam wandten sich aller Augen nach der Richtung der Hügel, von denen ein geschlossener Zug ehrwürdiger Greise nahte. Es war ein halbes Hundert von Männern in weißen, wallenden Mänteln, die Häupter eichenbekränzt, weiße Stäbe und altertümlich geformte Steinbeile führend: die Sajonen und Fronwärter des Gerichts, welche die feierlichen Formen [] der Eröffnung, Hegung und Aufhebung des Dings zu vollziehen hatten.
Angelangt in der Ebene begrüßten sie mit dreifachem, langgezogenem Hornruf die Versammlung der freien Heermänner, die, nach feierlicher Stille, mit klirrenden Waffen lärmend antworteten.
Alsbald begannen die Bannboten ihr Werk. Sie teilten sich nach rechts und links und umzogen mit Schnüren von roter Wolle, die alle zwanzig Schritt um einen Haselstab, den sie in die Erde stießen, geschlungen wurden, die ganze weite Ebene, und begleiteten diese Handlung mit uralten Liedern und Sprüchen.
Genau gegen Aufgang und Mittag wurden die Wollschnüre auf mannshohe Lanzenschäfte gespannt, so daß sie die zwei Tore der nun völlig umfriedeten Dingstätte bildeten, an denen die Fronboten mit gezückten Beilen Wache hielten, alle Unfreien, alle Volksfremden und alle Weiber fernzuhalten.
Als diese Arbeit vollendet war, traten die beiden Ältesten unter die Speertore und riefen mit lauter Stimme:
Auf die hiernach eingetretne Stille folgte unter der versammelten Menge ein anfangs leises, dann lauter tönendes und endlich fast betäubendes Getöse von fragenden, streitenden, zweifelnden Stimmen.
Es war nämlich schon bei dem Zug der Sajonen aufgefallen, daß er nicht, wie gewöhnlich, von dem Grafen geführt war, der im Namen und Bann des Königs das Gericht abzuhalten und zu leiten pflegte. Doch hatte man erwartet, daß dieser Vertreter des Königs wohl während der Umschnürung des Platzes er scheinen werde. Als nun aber diese Arbeit geschehen,[] und der Spruch der Alten, der zum Beginn des Gerichts aufforderte, ergangen und doch immer noch kein Graf, kein Beamter erschienen war, der allein die Eröffnungsworte sprechen konnte, ward die Merksamkeit aller auf jene schwer auszufüllende Lücke gelenkt. Während man nun überall nach dem Grafen, dem Vertreter des Königs, fragte und suchte, erinnerte man sich, daß dieser ja verheißen hatte, in Person vor seinem Volk zu erscheinen, sich und seine Königin gegen die erhobnen schweren Anklagen zu verteidigen.
Aber da man jetzt bei des Königs Freunden und Anhängern sich nach ihm erkundigen wollte, ergab sich die verdächtige Tatsache, die man bisher, im Gedräng der allgemeinen Begrüßungen, gar nicht wahrgenommen, daß nämlich auch nicht Einer der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des Königshauses, die zur Unterstützung der Beschuldigten zu erscheinen Recht, Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Straßen und in der Umgegend Roms gesehen hatte.
Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Lärm über diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Königsgrafen der rechtmäßige Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedene Redner hatten bereits vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen. –
Da erscholl plötzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles übertönender Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetümes vergleichbar. Aller Augen folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Rücken einer hohen Steineiche gelehnt, eine hohe ragende Gestalt, die in den hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen Schlachtruf ertönen ließ. Als sie den Schild senkte, erkannte man das mächtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu sprühen schienen.
Begeisterter Jubel begrüßte den greisen Waffenmeister des [] großen Königs, den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon bei lebendem Leib zu einer mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf gelegt, hob der Alte an: »Gute Goten, meine wackern Männer. Es ficht euch an und will euch befremden, daß ihr keinen Grafen seht und Vertreter des Mannes, der eure Krone trägt.
Laßt's euch nicht Bedenken machen! Wenn der König meint, damit das Gericht zu stören, so soll er irren. Ich denke noch die alten Zeiten und sage euch: das Volk kann Recht finden ohne König, und Gericht halten ohne Königsgrafen. Ihr seid alle herangewachsen in neuer Übung und Sitte, aber da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter jünger denn ich: der wird's mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt: das Gotenvolk ist frei!«
»Ja, wir sind frei!« rief ein tausendstimmiger Chor.
»Wir wählen uns unsern Dinggrafen selbst, schickt der König den seinen nicht,« rief der graue Haduswinth, »Recht und Gericht war, eh' König war und Graf. Und wer kennt besser alten Brauch des Rechts als Hildebrand, Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Dinggraf sein.«
»Ja!« hallte es ringsum wider, »Hildebrand soll unser Dinggraf sein.«
»Ich bin's durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als hätte mir König Theodahad Brief und Pergament darüber ausgestellt. Auch haben meine Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft mir öffnen das Gericht.«
Da eilten zwölf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die Trümmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus: die Sajonen säuberten die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und lehnten links und rechts zwei der viereckigen Platten an den Stamm der Eiche, so daß ein stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, [] von dem Altar des altitalischen Wald- und Hirtengottes herab, der Gotengraf Gericht.
Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem, weißem Kragen über Hildebrands Schultern, gaben ihm den oben gekrümmten Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Häupten einen blanken Stahlschild an die Zweige der Eiche.
Dann stellten sie sich in zwei Reihen zu seiner Rechten und Linken auf: der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild, daß er hell erklang, dann setzte er sich, das Antlitz gegen Osten und sprach: »Ich gebiete Stille, Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und Scheltwort und Waffenzücken, und alles, was den Dingfrieden kränken mag. Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil' und Stunde, an Ort und Stätte, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer?«
Da traten die nächststehenden Goten heran und sprachen im Chor: »Hier ist rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender Eiche, hier ist rechte Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem gotischem Erdgrund, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer.«
»Wohlan,« fuhr der alte Hildebrand fort, »wir sind versammelt, zu richten zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis, die Königin, und schwere Rüge wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider Theodahad, unsern König. Ich frage ... –«
Da ward seine Rede unterbrochen durch lauten, schallenden Hornruf, der von Westen her näher und näher drang.
Dreizehntes Kapitel.
Erstaunt sahen die Goten um und erblickten einen Zug von Reitern, welche die Hügel herab gegen die Gerichtsstätte eilten. Die Sonne fiel grell blendend auf die waffenblitzenden Gestalten, [] daß sie nicht erkenntlich waren, obwohl sie in Eile nahten.
Da richtete sich der alte Hildebrand hoch auf in seinem erhöhten Sitz, hielt die Hand vor die falkenscharfen Augen und rief sogleich: »Das sind gotische Waffen! – Die wallende Fahne trägt als Bild die Wage: – das ist das Hauszeichen des Grafen Witichis! Und dort ist er selbst! An der Spitze des Zugs. Und an seiner Linken die hohe Gestalt, das ist der starke Hildebad! Was führt die Feldherrn zurück? ihre Scharen sollten schon weit auf dem Weg nach Gallien und Dalmatien sein!«
Ein Brausen von fragenden, staunenden, grüßenden Stimmen erfolgte.
Indes waren die Reiter heran und sprangen von den dampfenden Rossen. Mit Jubel empfangen, schritten die Führer, Witichis und Hildebad, durch die Menge den Hügel heran, bis zu Hildebrands Richterstuhl.
»Wie?« rief Hildebad noch atemlos, »ihr sitzt hier und haltet Gericht, wie im tiefsten Frieden: und der Feind, Belisar, ist gelandet!«
»Wir wissen es,« sprach Hildebrand ruhig, »und wollten mit dem König beraten, wie ihm zu wehren sei.«
»Mit dem König!« lachte Hildebad bitter.
»Er ist nicht hier,« sagte Witichis umblickend, »das verstärkt unsern Verdacht. Wir kehrten um, weil wir Grund zu schwerem Argwohn erhielten. Aber davon später! fahrt fort, wo ihr haltet. Alles nach Recht und Ordnung! still, Freund!« Und den ungeduldigen Hildebad zurückdrängend, stellte er sich bescheiden zur Linken des Richterstuhles in die Reihe der andern.
Nachdem es wieder stiller geworden, fuhr der Alte fort: »Gothelindis, unsre Königin, ist verklagt wegen Mordes an Amalaswintha, der Tochter Theoderichs. Ich frage: sind wir Gericht zu richten solche Klage?«
[] Der alte Haduswinth, gestützt auf seine lange Keule, trat vor und sprach: »Rot sind die Schnüre dieser Malstätte. Beim Volksgericht ist das Recht über roten Blutfrevel, über warmes Leben und kalten Tod. Wenn's anders geübt ward in letzten Zeiten, so war das Gewalt, nicht Recht. Wir sind Gericht, zu richten solche Klage.«
»In allem Volk,« fuhr Hildebrand fort, »geht wider Gothelindis schwerer Vorwurf: im stillen Herzen verklagen wir alle sie darob. Wer aber will hier, im offnen Volksgericht, mit lautem Wort, sie dieses Mordes zeihen?«
»Ich!« sprach eine helle Stimme: und ein schöner, junger Gote, in glänzenden Waffen, trat von rechts vor den Richter, die rechte Hand auf die Brust legend.
Ein Murmeln des Wohlgefallens drang durch die Reihen: »Er liebt die schöne Mataswintha!« – »Er ist der Bruder des Herzogs Guntharis von Tuscien, der Florentia besetzt hält.« – »Er freit um sie!« – »Als Rächer ihrer Mutter tritt er auf!«
»Ich, Graf Arahad von Asta, des Aramuth Sohn, aus der Wölsungen Edelgeschlecht,« fuhr der junge Gote mit einem anmutigen Erröten fort. »Zwar bin ich nicht versippt mit der Getöteten: allein die Männer ihrer Sippe, Theodahad voran, ihr Vetter und ihr König, erfüllen nicht die Pflicht der Blutrache; ist er doch selbst des Mordes Helfer und Hehler.
So klag' ich denn, ein freier unbescholtner Gote edeln Stammes, ein Freund der unseligen Fürstin, an Mataswinthens, ihrer Tochter, Statt. Ich klag' um Mord! Ich klag' auf Blut!«
Und unter lautem Beifall des Volkes zog der stattliche schöne Jüngling das Schwert und streckte es gerad vor sich auf den Richterstuhl.
»Und dein Beweis? sag' an ... –«
»Halt, Dinggraf,« scholl da eine ernste Stimme. Witichis trat vor, dem Kläger entgegen. »Bist du so alt und kennst [] das Recht so wohl, Meister Hildebrand, und läßt dich fortreißen von der Menge wildem Drang? Muß ich dich mahnen, ich, der jüngere Mann, an alles Rechtes erstes Gebot? Den Kläger hör' ich, die Beklagte nicht.«
»Kein Weib kann stehen in der Goten Ding,« sprach Hildebrand ruhig.
»Ich weiß: doch wo ist Theodahad, ihr Gemahl und Mundwalt, sie zu vertreten?«
»Er ist nicht erschienen.«
»Ist er geladen?«
»Er ist geladen! Auf meinen Eid und den dieser Boten,« sprach Arahad: »tretet vor, Sajonen.« Zwei der Fronwärter traten vor und rührten mit ihren Stäben an den Richterstuhl.
»Nun,« sprach Witichis weiter, »man soll nicht sagen, daß im Volk der Goten ein Weib ungehört, unverteidigt verurteilt werde; wie schwer sie auch verhaßt sei, – sie hat ein Recht auf Rechtsgehör und Rechtsschutz. Ich will ihr Mundwalt und ihr Fürsprecher sein.«
Und er trat ruhig dem jugendlichen Ankläger entgegen, gleich ihm das Schwert ziehend.
Eine Pause der ehrenden Bewunderung trat ein. »So leugnest du die Tat?« fragte der Richter. »Ich sage: sie ist nicht erwiesen!« – »Erweise sie!« sprach der Richter zu Arahad gewendet.
Dieser, nicht vorbereitet auf ein förmliches Verfahren und nicht gefaßt auf einen Widersacher von Witichis' großem Gewicht und kräftiger Ruhe, ward etwas verwirrt. »Erweisen?« rief er ungeduldig. »Was braucht's noch Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, daß Gothelindis die Fürstin lang und tödlich haßte. Die Fürstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die Mörderin: ihr Opfer kömmt in einem Hause Gothelindens wieder zum Vorschein – tot: die Mörderin aber flieht auf ein festes Schloß. Was braucht's da noch Erweis?«
[] Und ungeduldig sah er auf die Goten rings umher.
»Und darauf hin klagst du auf Mord im offnen Ding?« sprach Witichis ruhig. »Wahrlich, der Tag sei fern vom Gotenvolk, da man nach solchem Anschein Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Männer, ist Licht und Luft! Weh, weh dem Volk, das seinen Haß zu seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir.«
Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, daß aller Goten Herzen dem treuen Manne zuschlugen.
»Wo sind die Beweise?« fragte nun Hildebrand. »Hast du handhafte Tat? hast du blickenden Schein? hast du gichtigen Mund? hast du echten Eid? heischest du der Verklagten Unschuldseid?«
»Beweis!« wiederholte Arahad zornig. »Ich habe keinen als meines Herzens festen Glauben.«
»Dann,« sprach Hildebrand –
Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Tore her den Weg zu ihm und sprach: »Römische Männer stehen am Eingang. Sie bitten um Gehör: sie wissen, sagen sie, alles um der Fürstin Tod.«
»Ich fordre, daß man sie höre,« rief Arahad eifrig, »nicht als Kläger, als Zeugen des Klägers.«
Hildebrand winkte und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige Menge heraufzuführen. Voran schritt ein von Jahren gebeugter Mann in härener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Überwurfs machte seine Züge unkenntlich: zwei Männer in Sklaventracht folgten. Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei aller Einfachheit, ja Armut, von seltner Würde geadelt war.
Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad dicht ins Antlitz und trat mit Staunen rasch zurück.
[] »Wer ist es,« fragte der Richter, »den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?« – »Nein,« rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurück, »ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorus.«
Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Dingstätte.
»So hieß ich,« sprach der Zeuge, »in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus.« Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen – die Weihe der Entsagung.
»Nun, Bruder Marcus,« forschte Hildebrand, »was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag' uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit.«
»Die werd' ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung führt mich her: nicht den Mord zu rächen bin ich gekommen, die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! – Nein, den letzten Auftrag der Unseligen, der Tochter meines großen Königs, zu erfüllen, bin ich da.« Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. »Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich, als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe: ›Den Dank einer zerknirschten Seele für Deine Freundschaft. Mehr noch als der Hoffnung der Rettung labt das Gefühl unverlorner Treue. Ja, ich eile auf Deine Villa im Bolsener See: führt doch der Weg von da nach Rom, nach Regeta, wo ich vor meinen Goten all' meine Schuld aufdecken und auch büßen will. Ich will sterben, wenn es sein muß, aber nicht durch die tückische Hand meiner Feinde: nein, durch den Richterspruch meines Volkes, das ich Verblendete ins Verderben geführt. Ich habe den Tod verdient: nicht nur um des Blutes willen der drei Herzoge, die, alle sollen es erfahren, durch mich starben: mehr noch um des Wahnes willen, mit dem ich mein Volk zurückgesetzt um Byzanz. Gelange ich lebend nach Regeta, so will ich warnen und mahnen mit der letzten Kraft meines Lebens: fürchtet Byzanz! Byzanz ist falsch [] wie die Hölle, und ist kein Friede denkbar zwischen ihm und uns.
Aber warnen will ich auch vor dem Feind im Innern.
König Theodahad spinnt Verrat: er hat an Petros, den Gesandten von Byzanz, Italien und die Gotenkrone verkauft: er hat getan, was ich dem Griechen weigerte. Seht euch vor, seid stark und einig. Könnt' ich sterbend sühnen, was ich lebend gefehlt‹.«
In tiefer Stille hatte das Volk die Worte vernommen, die Cassiodor mit zitternder Stimme gesprochen, und die jetzt wie aus dem Jenseits herüberzutönen schienen.
Auch als er geendet, wirkte noch der Eindruck des Mitleids und der Trauer fort in feierlichem Schweigen.
Endlich erhob sich der alte Hildebrand und sprach: »Sie hat gefehlt: sie hat gebüßt. Tochter Theoderichs, das Volk der Goten verzeiht dir deine Schuld und dankt dir deine Treue.«
»So mög' ihr Gott vergeben, Amen!« sprach Cassiodor. »Ich habe niemals die Fürstin an den Bolsener See geladen: ich konnt' es nicht: vierzehn Tage zuvor hatt' ich all' meine Güter verkauft an die Königin Gothelindis.«
»Sie also hat ihre Feindin,« fiel Arahad ein, »seinen Namen mißbrauchend, in jenes Haus gelockt. Kannst du das leugnen, Graf Witichis?«
»Nein,« sprach dieser ruhig, »aber,« fuhr er zu Cassiodor gewendet fort, »hast du auch Beweis, daß die Fürstin daselbst nicht zufälligen Todes gestorben, daß Gothelindis ihren Tod herbeigeführt?«
»Tritt vor, Syrus, und sprich!« sagte Cassiodor, »ich bürge für die Treue dieses Mundes.« Der Sklave trat vor, neigte sich und sprach: »Ich habe seit zwanzig Jahren die Aufsicht über die Schleusen des Sees und die Wasserkünste des Bades der Villa im Bolsener See: niemand außer mir kannte dessen Geheimnisse. Als die Königin Gothelindis das Gut erkauft, [] wurden alle Sklaven Cassiodors entfernt und einige Diener der Königin eingesetzt: ich allein ward belassen.«
Da landete eines frühen Morgens die Fürstin Amalaswintha auf der Insel, bald darauf die Königin. Diese ließ mich sofort kommen, erklärte, sie wolle ein Bad nehmen, und befahl mir, ihr die Schlüssel zu allen Schleusen des Sees und zu allen Röhren des Bades zu übergeben und ihr den ganzen Plan des Druckwerks zu erklären. Ich gehorchte, gab ihr die Schlüssel und den auf Pergament gezeichneten Plan, warnte sie aber nachdrücklich, nicht alle Schleusen des Sees zu öffnen und nicht alle Röhren spielen zu lassen: das könne das Leben kosten.
Sie aber wies mich zürnend ab und ich hörte, wie sie ihrer Badsklavin befahl, die Kessel nicht mit warmem, sondern mit heißem Wasser zu füllen.
Ich ging, besorgt um ihre Sicherheit, und hielt mich in der Nähe des Bades.
Nach einiger Zeit hörte ich an dem mächtigen Brausen und Rauschen, daß die Königin dennoch gegen meinen Rat, die ganze Flut des Sees hereingelassen: zugleich hörte ich in allen Wänden das dampfende Wasser zischend aufsteigen, und da mir obenein dünkte, als vernehme ich, gedämpft durch die Marmormauern, ängstlichen Hilfschrei, eilte ich auf den Außengang des Bades, die Königin zu retten. Aber wie erstaunte ich, als ich an dem mir wohlbekannten Mittelpunkt der Künste, an dem Medusenhaupt, die Königin, die ich im Bad, in Todesgefahr wähnte, völlig angekleidet stehen sah.
Sie drückte an den Federn und wechselte mit jemand, der im Bade um Hilfe rief, zornige Worte. Entsetzt und dunkel ahnend, was da vorging, schlich ich, zum Glück noch unbemerkt, hinweg.
»Wie, Feigling?« sprach Witichis, »du ahntest, was vorging, und schlichst hinweg?«
»Ich bin nur ein Sklave, Herr, kein Held: und hätte mich [] die grimme Königin bemerkt, ist stünde wohl nicht hier, sie anzuklagen. Gleich darauf erscholl der Ruf, die Fürstin Amalaswintha sei im Bad ertrunken.«
Ein Murren und Rufen drang tosend durch das versammelte Volk.
Frohlockend rief Arahad: »Nun, Graf Witichis, willst du sie noch beschützen?« – »Nein,« sprach dieser ruhig, das Schwert einsteckend, »ich schütze keine Mörderin. Mein Amt ist aus.« Und mit diesem Wort trat er von der linken auf die rechte Seite, zu den Anklägern, hinüber.
»Ihr, freie Goten, habt das Urteil zu finden und das Recht zu schöpfen,« sprach Hildebrand, »ich habe nur zu vollziehen, was ihr gefunden. So frag' ich euch, ihr Männer des Gerichts, was dünkt euch von dieser Klage, die Graf Arahad, des Aramuth Sohn, der Wölsung, erhoben gegen Gothelindis, die Königin? Sagt an: ist sie des Mordes schuldig?«
»Schuldig! schuldig!« scholl es mit vielen tausend Stimmen, und keine sagte nein.
»Sie ist schuldig,« sagte der Alte aufstehend. »Sprich, Kläger, welche Strafe forderst du um diese Schuld?«
Arahad erhob das Schwert gerade gegen Himmel: »Ich klagte um Mord. Ich klagte auf Blut. Sie soll des Todes sterben.«
Und ehe Hildebrand seine Frage an das Volk stellen konnte, war die Menge von zorniger Bewegung ergriffen, alle Schwerter flogen aus den Scheiden und blitzten gen Himmel auf, und alle Stimmen riefen: »Sie soll des Todes sterben!« –
Wie ein furchtbarer Donner rollte das Wort, die Majestät des Volksgerichts vor sich her tragend, über das weite Gefild, daß bis in weite Ferne die Lüfte widerhallten. –
»Sie stirbt des Todes,« sprach Hildebrand aufstehend, »durch das Beil. Sajonen, auf, und sucht, wo ihr sie findet.«
»Halt an,« sprach der starke Hildebad vortretend, »schwer [] wird unser Spruch erfüllt werden, solang dies Weib unsres Königs Gemahlin. Ich fordre deshalb, daß die Volksgemeinde auch gleich die Klagen prüfe, die wir gegen Theodahad auf der Seele haben, der ein Volk von Helden so unheldenhaft beherrscht. Ich will sie aussprechen, diese Klagen. Merkt wohl, ich zeihe ihn des Verrates, nicht nur der Unfähigkeit, uns zu retten, uns zu führen.
Schweigen will ich davon, daß wohl schwerlich ohne sein Wissen seine Königin ihren Haß an Amalaswintha kühlen konnte, schweigen davon, daß diese in ihren letzten Worten uns vor Theodahads Verrat gewarnt. Aber ist es nicht wahr, daß er den ganzen Süden des Reiches von Männern, Waffen, Rossen, Schiffen entblößt, daß er alle Kraft nach den Alpen geworfen hat, bis daß die elenden Griechlein ohne Schwertstreich Sizilien gewinnen, Italien betreten konnten? Mein armer Bruder Totila mit seiner Handvoll Leuten allein steht ihnen entgegen. Statt ihm den Rücken zu decken, sendet der König auch noch Witichis, Teja, mich nach dem Norden. Mit schwerem Herzen gehorchten wir: denn wir ahnten, wo Belisar landen werde. Nur langsam rückten wir vor, jede Stunde den Rückruf erwartend. Umsonst. Schon lief durch die Landschaften, die wir durchzogen, das dunkle Gerücht, Sizilien sei verloren und die Welschen, die uns nach Norden ziehen sahen, machten spöttische Gesichter. So waren wir ein paar Tagemärsche an der Küste hingezogen. Da traf mich dieser Brief meines Bruders Totila:
›Hat denn, wie der König, so das ganze Volk der Goten, so mein Bruder mich aufgegeben und vergessen? Belisar hat Sizilien überrascht. Er ist gelandet. Alles Volk fällt ihm zu. Unaufhaltsam dringt er gegen Neapolis. Vier Briefe hab' ich an König Theodahad um Hilfe, geschrieben. Alles umsonst. Kein Segel erhalten. Neapolis ist in höchster Gefahr. Rettet, rettet Neapolis und das Reich!‹«
[] Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Männer.
»Ich wollte,« fuhr Hildebad fort, »augenblicklich mit all unsren Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es nicht. Nur das setzte ich durch, daß wir die Truppen Halt machen ließen und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu rächen. Denn Rache, Rache heisch ich an König Theodahad: nicht nur Torheit und Schwäche, Arglist war es, daß er den Süden den Feinden preisgegeben. Hier dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten. All umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh uns, wenn Neapolis fällt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht länger herrschen, nicht leben soll er länger, der das verschuldet hat. Reißt ihm die Krone der Goten vom Haupt, die er geschändet, nieder mit ihm! Er sterbe!«
»Nieder mit ihm! Er sterbe!« donnerte das Volk in mächtigem Echo nach.
Unwiderstehlich schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu zerreißen, der ihm widerstehen wollte. Nur Einer blieb ruhig und gelassen inmitten der stürmenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Lärm etwas gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit, die ihm so wohl anstand: »Landsleute, Volksgenossen! Hört mich an! Ihr habt unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Väter Zeit, Haß und Gewalt des Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter König! Nicht länger soll er allein des Reiches Zügel lenken! Gebt ihm einen Vormund wie einem Unmündigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod, sein Blut dürft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, daß er verraten hat? [] Daß Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: hütet euch vor Ungerechtigkeit, sie stürzt die Reiche der Völker.«
Und groß und edel stand er auf seinem erhöhten Boden, im vollen Glanz der Sonne, voll Kraft und edler Würde.
Bewundernd ruhten die Augen der Tausende auf ihm, der ihnen an Hoheit und Maß und klarer Ruhe so überlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte. Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnte gegen den Mann, der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem dichten Walde gezogen, der im Süden die Aussicht begrenzte, und der auf einmal lebendig zu werden schien.
Vierzehntes Kapitel.
Denn man hörte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das Klirren von Waffen: alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem Wald: aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Roß ein Mann, der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt.
Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein mächtiger schwarzer Roßschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken: vorwärts gebeugt trieb er das schaumbespritzte Roß zu rasender Eile und sprang am Südeingang des Dings sausend vom Sattel.
Alle wichen links und rechts zurück, die der grimme, tödlichen Haß sprühende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schönen Antlitz traf. Wie von Flügeln getragen stürmte er den Hügel hinan, sprang auf einen Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter Kraft: »Verrat, Verrat!« und stürzte dann wie blitzgetroffen nieder. Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund erkannt: »Teja, Teja!« riefen sie, »was ist geschehen? [] rede!« – »Rede!« wiederholte Witichis, »es gilt das Reich der Goten!«
Wie mit übermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der stählerne Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler Stimme:
»Verraten sind wir. Goten, verraten von unserm König. Ich erhielt Auftrag vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich gebeten. Ich schöpfe Verdacht, doch ich gehorche und gehe unter Segel mit meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlägt zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den ›Mercurius‹, den raschen Keles – das leichte Postschiff Theodahads. Ich kannte das Fahrzeug wohl, es gehörte einst meinem Vater. Wie das unsrer Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwöhnisch, jage ihm nach und hole es ein. Es trug diesen Brief an Belisar von des Königs Hand: ›Du wirst zufrieden sein mit mir, großer Feldherr. Alle Gotenheere stehen in dieser Stunde nordöstlich von Rom, ohne Gefahr könntest Du landen. Vier Briefe des Seegrafen von Neapolis habe ich zerstört, seine Boten in den Turm geworfen.
Zum Dank erwart' ich, daß Du den Vertrag genau erfüllst und den Kaufpreis in Bälde bezahlst.‹« Teja ließ den Brief sinken, die Stimme versagte ihm.
Ein Ächzen und Stöhnen der Wut zog durch die Versammlung.
»Ich ließ umkehren, sogleich landen, ausschiffen und jage hierher seit drei Tagen und drei Nächten unausgesetzt. Ich kann nicht mehr.« Und taumelnd sank er in Witichis' Arme.
Da sprang der alte Hildebrand empor auf den höchsten Stein seines Stuhles: weit überragte er die ganze Menge: er riß dem Träger, der die Lanze mit des Königs kleiner Marmorbüste auf der Querstange trug, den Schaft aus der Hand und hielt ihn vor sich in der Linken, in der Rechten hob [] er sein Steinbeil: »Verkauft, verraten sein Volk für gelbes Gold? Nieder mit ihm, nieder, nieder!« Und ein Beilschlag zertrümmerte die Büste. Dieser Akt war wie der erste Donnerschlag, der ein lange brütendes Gewitter entfesselt. Nur dem Wüten empörter Elemente war das Stürmen vergleichbar, welches nun das in seinen Grundtiefen aufgewühlte Volk durchbrauste. »Nieder, nieder, nieder mit ihm!« hallte es tausendfach wieder unter betäubendem Klirren der Waffen.
Und darauf erhob abermals der alte Waffenmeister seine eherne Stimme und sprach feierlich: »Wisset es, Gott im Himmel und Menschen auf Erden, sehende Sonne, und wehender Wind, wisset es, das Volk der Goten, frei und alten Ruhmes voll und zu den Waffen geboren, hat abgetan seinen ehemaligen König Theodahad, des Theodis Sohn, weil er Volk und Reich an den Feind verraten.
Wir sprechen dir ab, Theodahad, die goldne Krone und das Gotenreich, das Gotenrecht und das Leben. Und solches tun wir nicht nach Unrecht, sondern nach Recht. Denn frei sind wir gewesen allewege unter unsern Königen und wollten eh' der Könige missen als der Freiheit. Und so hoch steht kein König, daß er nicht um Mord, Verrat und Eidbruch zu Recht stehe vor seinem Volk.
So sprech' ich dir ab Krone und Reich, Recht und Leben. Landflüchtig sollst du sein, echtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Christenleute zur Kirche gehen und Heidenleute zum Opferstein. Soweit Feuer brennt und Erde grünt. Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet. Soweit Himmel sich höht und Welt sich weitet. Soweit der Falke fliegt den langen Frühlingstag, wann ihm der Wind steht unter seinen beiden Flügeln. Versagt soll dir sein Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung, ausgenommen die Hölle. Dein Erb und Eigen teil' ich zu dem Gotenvolk. Dein Blut und Fleisch den Raben in den Lüften.
[] Und wer dich findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstraße, soll dich erschlagen, ungestraft, und soll bedankt sein dazu von Gott und den guten Goten. Ich frage euch, soll's so geschehn?«
»So soll's geschehn!« antworteten die Tausende und schlugen Schwert an Schild.
Kaum war Hildebrand herabgestiegen, als der alte Haduswinth seine Stelle einnahm, das zottige Bärenfell zurückwarf und sprach: »Des Neidkönigs wären wir ledig! Er wird seinen Rächer finden. Aber jetzt, treue Männer, gilt es, einen neuen König wählen. Denn ohne König sind wir nie gewesen. Soweit unsre Sagen und Sprüche zurückdenken, haben die Ahnen einen auf den Schild gehoben, das lebende Bild der Macht, des Glanzes, des Glückes der guten Goten. Solang es Goten gibt, werden sie Könige haben: und solang sich ein König findet, wird ihr Volk bestehn. Und jetzt vor allem gilt's, ein Haupt, einen Führer zu haben. Das Geschlecht der Amelungen ist glorreich aufgestiegen, wie eine Sonne: lang hat sein hellster Strahl, Theoderich, geleuchtet: aber schmählich ist's erloschen in Theodahad. Auf, Volk der Goten, du bist frei! frei wähle dir den rechten König, der dich zu Sieg und Ehre führt. Dein Thron ist leer: mein Volk, ich lade dich zur Königswahl!«
»Zur Königswahl!« sprach diesmal feierlich und machtvoll der Chor der Tausende.
Da trat Witichis auf den Dingstein, hob den Helm vom Haupt und die Rechte gen Himmel: »Du weißt es, Gott, der in den Sternen geht, uns treibt nicht frevler Kitzel des Ungehorsams und des Übermuts: uns treibt das heilige Recht der Not. Wir ehren das Recht des Königtums, den Glanz, der von der Krone strahlt: geschändet aber ist dieser Glanz, und in der höchsten Not des Reiches üben wir des Volkes höchstes Recht. Herolde sollen ziehen zu allen Völkern der [] Erde und laut verkünden: nicht aus Verachtung, aus Verehrung der Krone haben wir es getan.
Wen aber wählen wir? Viel sind der wackern Männer im Volk, von altem Geschlecht, von tapfrem Arm und klugem Geist. Wohl mehrere sind der Krone würdig. Wie leicht kann es kommen, daß einer diesen, der andre jenen vorzieht? Aber um Gott, nur jetzt keinen Zwist, keinen Streit! Jetzt, da der Feind im Lande liegt! Drum laßt uns schwören vorher feierlich: wer das Stimmenmehr erhält, sei's nur um Eine Stimme, den wollen wir alle als unsern König achten, unweigerlich, und keinen andern. Ich schwöre es – schwört mit mir.«
»Wir schwören!« riefen die Goten.
Aber der junge Arahad stimmte nicht ein. Ehrgeiz und Liebe loderten in seinem Herzen: er bedachte, daß sein Haus jetzt, nach dem Fall der Balten und der Amaler, das edelste war im Volk: er hoffte, Mataswinthens Hand zu gewinnen, wenn er ihr eine Krone bieten konnte: und kaum war der Schwur verhallt, als er vortrat und rief: »Wen sollen wir wählen, gotische Männer? bedenkt euch wohl! Vor allem, das ist klar, einen Mann jungkräftigen Armes wider den Feind. Aber das allein genügt nicht. Weshalb haben unsre Ahnen die Amaler erhöht? Weil sie das edelste, das älteste, Götter entstammte Geschlecht waren. Wohlan, das erste Gestirn ist erloschen, gedenkt des zweiten, gedenkt der Balten!«
Von den Balten lebte nur Ein männlicher Sproß, ein noch nicht wehrhafter Enkel des Herzogs Pitza – denn Alarich, der Bruder der Herzoge Thulun und Ibba, war seit langen Jahren geächtet und verschollen. – Arahad rechnete sicher, man werde jenen Baltenknaben nicht wählen und vielmehr des dritten Gestirns gedenken. Aber er irrte. Der alte Haduswinth trat zornig vor und schrie:
[] »Was Adel! was Geschlecht! sind wir Adelsknechte oder freie Männer? Beim Donner! werden wir Ahnen zählen, wenn Belisar im Lande steht? Ich will dir sagen, Knabe, was ein König braucht.
Einen tapferen Arm, das ist wahr, aber nicht das allein. Der König soll ein Hort des Rechts, ein Schirm des Friedens sein, nicht nur der Vorkämpfer im Schwertkampf. Der König soll haben einen immer ruhigen, immer klaren Sinn, wie der blaue Himmel ist, und wie die lichten Sterne sollen darin auf- und niedergehen gerechte Gedanken. Der König soll haben eine stete Kraft, aber noch mehr ein stetes Maß: er soll nie sich selbst verlieren und vergessen in Haß und Liebe, wie wir wohl dürfen, wir unten im Volk. Er soll nicht nur mild sein den Freunden, er soll gerecht sein dem Verhaßtesten, selbst dem Feind. In dessen Brust ein klarer Friede wohnt bei kühnem Mut und edles Maß bei treuer Kraft, – der Mann, Arahad, ist königlich geartet und hätt' ihn der letzte Bauer gezeugt.«
Lauter Beifall folgte dem Wort des Alten und beschämt trat Arahad zurück. Aber jener fuhr fort: »Gute Goten! ich meine, wir haben einen solchen Mann! Ich will ihn euch nicht nennen: nennt ihr ihn mir.
Ich kam hierher aus fernem Hochgebirg aus unsrer Mark gegen die Karanthanen, wo der wilde Turbidus schäumend die Felsen zerstäubt. Da leb' ich mehr, als sonst ein Menschenalter ist, stolz, frei, einsam. Wenig erfahr' ich von der Menschen Händeln, selbst von des eignen Volkes Taten, wenn nicht ein Salzroß halbverirrt des Weges kommt. Und doch drang mir bis in jene öde Höhe der Waffenruhm Eines vor allen unsern Helden, der nie das Schwert zu ungerechtem Streit erhob und es noch niemals sieglos eingesteckt. Seinen Namen hört' ich immer wieder, wenn ich fragte: Wer wird uns schirmen, wenn Theoderich schied? Seinen Namen hört' ich bei jedem Sieg, den wir erfochten, bei jedem weisen Werke des Friedens, [] das geschehn. Ich hatt' ihn nie gesehen. Ich sehnte mich danach, ihn zu sehen. Heute hab' ich ihn gesehen und gehört. Ich habe sein Aug' gesehen, das klar und milde wie die Sonne. Ich hab' sein Wort gehört; ich hab' gehört, wie er dem Feind selbst, dem verhaßten, zu Recht und zu Gerechtigkeit verhalf. Ich hab' gehört, wie er allein, da uns alle der blinde Haß fortriß mit dunkler Schwinge, klar blieb und ruhig und gerecht. Da dacht' ich mir in meinem alten Herzen: ›Der Mann ist königlich geartet, stark im Kampf und gerecht im Frieden, hart wie Stahl und klar wie Gold‹. Goten: der Mann soll unser König sein. Nennt mir den Mann!«
»Graf Witichis, ja Witichis, heil König Witichis!«
Während dieser brausende Jubelruf durch das Gefilde hallte, hatte ein erschütternder Schreck den bescheidnen Mann ergriffen, der gespannt der Rede des Alten gefolgt war und erst ganz zu Ende von der Ahnung ergriffen ward, daß er der so Gepriesne sei.
Als er nun aber seinen Namen in diesem tausendstimmigen Jauchzen erschallen hörte, überkam ihn vor allen andern Gedanken das Gefühl: »Nein, das kann, das soll nicht sein.«
Er riß sich von Teja und Hildebad, die freudig seine Hände drückten, los, und sprang hervor, das Haupt schüttelnd und, wie abwehrend, den Arm ausstreckend. »Nein!« rief er, »nein, Freunde! nicht das mir! Ich bin ein schlichter Kriegsmann, nicht ein König. Ich bin vielleicht ein gutes Werkzeug, kein Werkmeister! Wählt einen andern, einen Würdigern!«
Und wie bittend streckt er beide Hände gegen das Volk.
Aber der donnernde Ruf: »Heil König Witichis!« ward ihm statt aller Antwort. Und nun trat der alte Hildebrand vor, faßte seine Hand und sprach laut: »Laß ab, Witichis! wer war es, der zuerst geschworen, unweigerlich den König anzuerkennen, der auch nur eine Stimme mehr hätte? Siehe, du hast alle Stimmen und willst dich wehren?«
[] Aber Witichis schüttelte das Haupt und preßte die Hand vor die Stirn. Da trat der Alte ganz nah zu ihm und flüsterte in sein Ohr: »Wie? muß ich dich stärker mahnen? Muß ich dich mahnen jenes mächtigen Eides und Bundes, da du gelobtest: ›Alles zu meines Volkes Heil.‹ Ich weiß, – ich kenne deine klare Seele, –: dir ist die Krone mehr eine Last als eine Zierde: ich ahne, daß dir diese Krone große, bittre Schmerzen bringen wird. Vielleicht mehr als Freuden: deshalb fordre ich, daß du sie auf dich nimmst.«
Witichis schwieg und drückte noch die andre Hand vor die Augen. Schon viel zu lang währte dem begeisterten Volk das Zwischenspiel. Schon rüsteten sie den breiten Schild, ihn darauf zu erheben, schon drängten sie den Hügel hinan, seine Hand zu fassen: und fast ungeduldig scholl aufs neue der Ruf: »Heil König Witichis.«
»Ich fordre es bei deinem Bluteid! – willst du ihn halten oder brechen?« flüsterte Hildebrand. »Halten!« sprach Witichis und richtete sich entschlossen auf.
Und nun trat er, ohne falsche Scham und ohne Eitelkeit, einen Schritt vor und sprach: »Du hastge wählt, mein Volk, wohlan, so nimm mich hin. Ich will dein König sein!«
Da blitzten alle Schwerter in die Luft und lauter scholl's: »Heil König Witichis!«
Jetzt stieg der alte Hildebrand ganz herab von seinem Dingstuhl und sprach: »Ich weiche nun von diesem hohen Stuhl. Denn unserm König ziemt jetzt diese Stätte. Nur einmal noch laßt mich des Grafenamtes warten.
Und kann ich dir nicht den Purpur umhängen, den die Amaler getragen, und ihr goldenes Zepter reichen, – nimm meinen Richtermantel und den Richterstab als Zepter, zum Zeichen, daß du unser König wardst um deiner Gerechtigkeit willen. Ich kann sie nicht auf deine Stirne drücken, die alte Gotenkrone, Theoderichs goldnen Reif. So laß dich krönen mit dem frischen Laub der Eiche, der du an Kraft und Treue gleichst.«
[] Mit diesen Worten brach er ein zartes Gewinde von der Eiche und schlang es um Witichis' Haupt: »Auf, gotische Heerschar, nun warte deines Schildamts.«
Da ergriffen Haduswinth, Teja und Hildebad einen der altertümlichen breiten Dingschilde der Sajonen, hoben den König, der nun mit Kranz, Stab und Mantel geschmückt war, darauf, und zeigten ihn auf ihren hohen Schultern allem Volk: »Sehet, Goten, den König, den ihr selbst gewählt: so schwört ihm Treue.«
Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht knieend, die Hände hoch gen Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod.
Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: »Wie ihr mir Treue, so schwör' ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter König sein: des Rechtes walten und dem Unrecht wehren: gedenken will ich, daß ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte: und mein Leben, mein Glück, mein alles, euch will ich's weihen, dem Volk der guten Goten. Das schwöre ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue.«
Und den Dingschild vom Baume hebend, rief er: »Das Ding ist aus. Ich löse die Versammlung.«
Die Sajonen schlugen sofort die Haselstäbe mit den Schnüren nieder, und bunt und ordnungslos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Römer, die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer Volksfreiheit mit angesehen, wie sie Italien seit mehr als fünfhundert Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Männer mischen, denen sie Wein und Speisen verkauften.
Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Führern des Heeres nach einem der Zelte sich zu begeben, die am Ufer des Flusses aufgeschlagen waren.
Da drängte sich ein römisch gekleideter Mann, wie es schien, ein wohlhabender Bürger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja, des Tagila Sohn.
»Der bin ich: was willst du mir, Römer?« sprach dieser sich [] wendend. »Nichts, Herr, als diese Vase überreichen: seht nach: das Siegel, der Skorpion, ist unversehrt.« – »Was soll mir die Vase? ich kaufe nichts dergleichen.« – »Die Vase ist Euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und Rollen, die Euch zugehören. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie Euch zu geben. Ich bitt' Euch, nehmt.«
Und damit drängte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedränge verschwunden. Gleichgültig löste Teja das Siegel und nahm die Urkunden heraus, gleichgültig sah er hinein. Aber plötzlich schoß ein brennend Rot über seine bleichen Wangen, sein Auge sprühte Blitze und er biß krampfhaft in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber drängte sich in Fieberhast vor Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: »Mein König! – König Witichis – eine Gnade!«
»Was ist dir, Teja? um Gott? Was willst du?«
»Urlaub! Urlaub auf sechs – auf drei Tage! Ich muß fort.« – »Fort, wohin?« – »Zur Rache! Hier lies – der Teufel, der meine Eltern verklagte, in Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb – er ist es – den ich längst geahnt: hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen Hand – es ist Theodahad! –«
»Er ist's, es ist Theodahad,« sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. »Geh denn! Aber, zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom: er ist gewiß längst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen.«
»Ich hole ihn ein, ob er auf den Flügeln des Sturmadlers säße.«
»Du wirst ihn nicht finden.«
»Ich finde ihn, und müßte ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hölle oder im Schoße des Himmelsgottes suchen.«
»Er wird mit starker Bedeckung geflüchtet sein,« warnte der König.
»Aus tausend Teufeln hol' ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb' wohl, König der Goten. Ich vollstrecke die Acht.«
Fünftes Buch: Witichis
1. Abteilung
Erstes Kapitel.
Langsam sank die Sonne hinter die grünen Hügel von Fäsulä und vergoldete die Säulen vor dem schlichten Landhaus, in welchem Rauthgundis als Herrin schaltete.
Die gotischen Knechte und die römischen Sklaven waren beschäftigt, die Arbeit des Tages zu beschließen. Der Mariskalk brachte die jungen Rosse von der Weide ein. Zwei andre Knechte leiteten den Zug stattlicher Rinder von dem Anger auf dem Hügel nach den Ställen, indes der Ziegenbub mit römischen Scheltworten seine Schutzbefohlnen vorwärts trieb, die genäschig hier und da an dem salzigen Steinbrech nagten, der auf dem zerbröckelten Mauerwerk am Wege grünte. Andre germanische Knechte räumten das Ackergerät im Hofraum auf: und ein römischer Freigelassener, gar ein gelehrter und vornehmer Herr, der Obergärtner selbst, verließ mit einem zufriedenen Blick die Stätte seiner blühenden und duftenden Wissenschaft.
Da kam aus dem Roßstall unser kleiner Freund Athalwin im Kranze seiner hellgelben Locken. »Vergiß mir ja nicht, Kakus, einen rostigen Nagel in den Trinkkübel zu werfen. Wachis hat's noch besonders aufgetragen! Daß er dich nicht wieder schlagen muß, wenn er heimkommt.« Und er warf die Tür zu. »Ewiger Verdruß mit diesen welschen Knechten!« [] sprach der kleine Hausherr mit wichtigem Stolz. »Seit der Vater fort ist und Wachis ihm ins Lager gefolgt, liegt alles auf mir: denn die Mutter, lieber Gott, ist wohl gut für die Mägde, aber die Knechte brauchen den Mann.« Und mit großem Ernst schritt das Büblein über den Hof.
»Und sie haben vor mir gar nicht den rechten Respekt,« sprach er und warf die kirschroten Lippen auf und krauste die weiße Stirn. »Woher soll er auch kommen? Mit nächster Sunnwend bin ich volle neun Jahr: und sie lassen mich noch immer herumgehn mit einem Ding wie ein Kochlöffel.« Und verächtlich riß er an dem kleinen Schwert von Holz in seinem Gurt. »Sie dürften mir keck ein Weidmesser geben, ein rechtes Gewaffen. So kann ich nichts ausrichten und sehe nichts gleich.«
Und doch sah er so lieblich, einem zürnenden Eros gleich, in seinem kniekurzen, ärmellosen Röckchen von feinstem weißem Leinen, das die liebe Hand der Mutter gesponnen und genäht und mit einem zierlichen roten Streifen durchwirkt hatte.
»Gern lief' ich noch auf den Anger und brächte der Mutter zum Abend die Waldblumen, die sie so liebt, mehr als unsre stolzesten Gartenblumen. Aber ich muß noch Rundschau halten, ehe sie mir die Tore schließen, denn: ›Athalwin‹, hat der Vater gesagt, wie er ging, ›halt mir das Erbe recht in acht, und wahre mir die Mutter! Ich verlaß mich auf dich!‹ Und ich gab ihm die Hand drauf. So muß ich Wort halten.«
Damit schritt er den Hof entlang, an der Vorderseite des Wohnhauses vorüber, durchmusterte die Nebengebäude zur Rechten und wollte sich eben nach der Rückseite des Gevierts wenden, als er durch lautes Bellen der jungen Hunde zur Linken auf ein Geräusch an dem Holzzaun, der das Ganze umfriedete, merksam wurde.
Er schritt nach der bezeichneten Ecke hin und erstaunte, denn auf dem Zaune saß oder über denselben herein stieg [] eine seltsame Gestalt. Es war ein großer, alter, hagrer Mann in grobem Wams von ganz rauhem Loden, wie ihn die Berghirten trugen: als Mantel hing eine mächtige Wolfsschur unverarbeitet von seinen Schultern nieder, und in der Rechten trug er einen riesigen Bergstock mit scharfer Stahlspitze, mit welchem er die Hunde abwehrte, die zornig an dem Zaun hinaufsprangen. Eilends lief der Knabe hinzu. »Halt, du landfremder Mann, was tust du auf meinem Zaun? – willst du gleich hinaus und herab?«
Der Alte stutzte und sah forschend auf den schönen Knaben. »Herunter, sag' ich!« wiederholte dieser. – »Begrüßt man so in diesem Hof den wegmüden Wandrer?« – »Ja, wenn der wegmüde Wandrer über den Hinterzaun steigt. Bist du was Rechtes und willst du was Rechtes, – da vorn steht das große Hoftor sperrangelweit offen: da komm herein.«
»Das weiß ich selbst, wenn ich das wollte.« Und er machte Anstalt, in den Hof hereinzusteigen.
»Halt,« rief zornig der Kleine, »da kommst du nicht herab! Faß, Griffo! Faß, Wulfo! Und wenn du die zwei Jungen nicht scheust, so ruf' ich die Alte! Dann gib acht! He Thursa, Thursa, leid's nicht!«
Auf diesen Ruf schoß um die Ecke des Roßstalles ein riesiger, grauborstiger Wolfshund mit wütendem Gebell herbei und schien ohne weiteres dem Eindringling an die Gurgel springen zu wollen.
Aber kaum stand das grimmige Tier vor dem Zaun, dem Alten gegenüber, so verwandelte sich seine Wut plötzlich in Freude: sein Bellen verstummte und wedelnd sprang er an dem Alten hinan, der nun ganz gemütlich hereinstieg. »Ja, Thursa, treues Tier, wir halten noch zusammen,« sagte er. – – »Nun sage mir, kleiner Mann, wie heißt du?« – »Athalwin heiß' ich,« versetzte dieser, scheu zurücktretend, »du aber, – ich glaube, du hast den Hund behext – wie heißt du?« – »Ich [] heiße wie du,« sagte der Alte freundlicher. »Und das ist hübsch von dir, daß du heißest wie ich. Sei nur ruhig, ich bin kein Räuber! führ' mich zu deiner Mutter, daß ich ihr sage, wie tapfer du deine Hofwehr verteidigt hast.«
Und so schritten die beiden Gegner friedlich in die Halle, Thursa bellte freudig springend voran.
Das korinthische Atrium der Römervilla mit seinen Säulenreihen an den vier Wänden hatte die gotische Hausfrau mit leichter Änderung in die große Halle des germanischen Hofbaues verwandelt. In Abwesenheit des Hausherrn war sie zu festlicher Bewirtung nicht bestimmt, und Rauthgundis hatte für diese Zeit ihre Mägde aus der Frauenkammer hierher versetzt. In langer Reihe saßen rechts die gotischen Mägde mit sausender Spule; ihnen gegenüber einige römische Sklavinnen mit feineren Arbeiten beschäftigt. In der Mitte der Halle schritt Rauthgundis auf und nieder und ließ selbst die flinke Spule auf dem glatten Mosaik des Estrichs tanzen, aber dabei auch nach rechts und links stets die wachen Blicke gleiten.
Das kornblumenblaue Kleid von selbstgewirktem Stoff war über die Kniee heraufgeschürzt und hing gebauscht über dem Gurt von stählernen Ringen, der ihren einzigen Schmuck, ein Bündel von Schlüsseln, trug. Das dunkelblonde Haar war rings an Stirn und Schläfen zurückgekämmt und am Hinterkopf in einen einfachen Knoten geschürzt. Es lag viel schlichte Würde in der Gestalt, wie sie mit ernst prüfendem Blick auf und nieder schritt.
Sie trat zu der jüngsten der gotischen Mägde, die zuunterst in der Reihe saß und beugte sich zu ihr. »Brav, Liuta«, sprach sie, »dein Faden ist glatt, und du hast heut' nicht so oft ausgesehen nach der Tür wie sonst. Freilich,« fügte sie lächelnd hinzu – »es ist jetzt kein Verdienst, da doch kein Wachis zur Tür hereinkommen kann.« Die junge Magd errötete. Rauthgundis legte die Hand auf ihr glattes Haar: »Ich weiß,« sagte [] sie, »du hast mir im stillen gegrollt, daß ich dich, die Verlobte, dieses Jahr über täglich morgens und abends eine Stunde länger spinnen ließ als die andern: es war grausam, nicht? Nun, sieh: es war dein eigner Gewinn. Alles, was du dies Jahr aus meinem besten Garn gesponnen, ist dein; ich schenk' es dir zur Aussteuer: so brauchst du nächstes Jahr, das erste deiner Ehe, nicht zu spinnen.«
Das Mädchen faßte ihre Hand und sah ihr dankbar weinend ins Auge. »Und dich nennen sie streng und hart!« war alles, was sie sagen konnte. – »Mild mit den Guten, streng mit den Bösen, Liuta. Alles Gut, dessen ich hier walte, ist meines Herrn Eigen und meines Knaben Erbe. Da heißt es genau sein.«
Jetzt wurden der Alte und Athalwin in der Tür sichtbar: der Knabe wollte rufen, aber sein Begleiter verhielt ihm den Mund und sah eine Weile unbemerkt dem Schalten und Walten Rauthgundens zu, wie sie der Mägde Arbeit prüfte, lobte und schalt und neue Aufträge gab.
»Ja,« sprach der Alte endlich zu sich selbst, »stattlich sieht sie aus, und sie scheint wohl die Herrin im Hause – doch! wer weiß alles?« Da war Athalwin nicht mehr zu halten: »Mutter,« rief er, »ein fremder Mann, der Thursa behext und über den Zaun gestiegen und zu dir will. Ich kann's nicht begreifen.«
Da wandte sich die stattliche Frauengestalt würdevoll dem Eingang zu, die Hand vor die Augen haltend, die blendende Abendsonne, die in die offne Tür brach, abzuwehren. »Was führst du den Gast hierher? Du weißt, der Vater ist nicht hier. Führ' ihn in die große Halle. Sein Platz ist nicht bei mir.«
»Doch, Rauthgundis! hier, bei dir, ist mein Platz,« sprach der Alte vortretend.
»Vater!« rief die Frau und lag an der Brust des Fremden. Verdutzt und nicht ohne Mißbehagen sah Athalwin auf die Gruppe. »Du bist also der Großvater, der da oben in den [] Nordbergen haust? Nun grüß Gott, Großvater! Aber warum sagst du denn das nicht gleich? Und warum kommst du nicht durchs Tor wie andre ehrliche Leute?«
Der Alte hielt seine Tochter bei beiden Händen und sah ihr scharf ins Auge. »Sie sieht glücklich aus und gedeihend,« brummte er vor sich hin.
Da faßte sich Rauthgundis: rasch warf sie einen Blick durch die Halle. Alle Spindeln ruhten außer Liutas – aller Augen musterten neugierig den Alten.
»Ob ihr wohl spinnen wollt, fürwitzige Elstern?« rief sie streng. »Du, Marcia, hast vor lauter Gaffen den Flachs herabfallen lassen, du kennst den Brauch, du spinnst eine Spule mehr, – ihr andern macht Feierabend. Komm, Vater! Liuta, rüst' ein laues Bad und Fleisch und Wein. –«
»Nein!« sprach der Vater, »der alte Bauer hat am Berg auch nur Bad und Trunk am Wasserfall. Und was das Essen anlangt – draußen, vor'm Hinterzaun, am Grenzpfahl, liegt mein Rucksack, den holt mir: da hab' ich mein Speltbrot und meinen Schafkäse, den bringt mir. – Wieviel habt ihr Rinder im Stall und Rosse auf der Weide?« Es war seine erste Frage.
Eine Stunde darauf – schon war es dunkel geworden, und der kleine Athalwin war kopfschüttelnd über den Großvater zu Bett gegangen, da wandelten Vater und Tochter beim Licht des aufgehenden Mondes ins Freie. »Ich hab' nicht Luft genug da drinnen,« hatte der Alte gesagt.
Sie sprachen viel und ernst, wie sie durch den Hof und durch den Garten schritten. Mittendrein warf der Alte immer wieder Fragen nach ihrer Wirtschaft auf, wie sie ihm Gerät oder Gebäude nahelegten: und in seinem Ton lag keine Zärtlichkeit: nur manchmal in dem Blick, der verstohlen sein Kind musterte.
»Laß doch endlich Roggen und Rosse,« lächelte Rauthgundis, »und sage mir, wie's dir gegangen ist die langen Jahre? [] Und was dich endlich einmal herabgeführt hat von den Bergen zu deinen Kindern?« – »Wie's mir gegangen? Nun: halt einsam, einsam! Und kalte Winter! Ja, bei uns ist's nicht so hübsch warm, wie hier im Welschtale.« Und er sagte das wie einen Vorwurf. »Und warum ich herunter bin? Ja sieh, letztes Jahr hat sich der Zuchtstier zerfallen auf dem Firnjoch. Und da wollt' ich mir einen andern kaufen hier unten.«
Da hielt sich Rauthgundis nicht länger: mit warmer Liebe warf sie sich an des Alten Brust und rief: »Und den Zuchtstier hast du nicht näher gefunden als hier? Lüge doch nicht, Steinbauer, gegen dein eigen Herz und dein eigen Kind. Du bist gekommen, weil du gemußt, weil du's doch endlich nicht mehr ausgehalten vor Heimweh nach deinem Kinde.«
Der Alte blieb stehen und streichelte ihr Haar: »Woher du's nur weißt! Nun ja! ich mußte doch mal selbst sehen, wie's um dich steht, und wie er dich hält, der Herr Gotengraf.«
»Wie seinen Augapfel,« sprach das Weib selig. – »So? und warum ist er denn nicht daheim bei Hof und Haus und Weib und Kind?« – »Er steht beim Heer in des Königs Dienst.«
»Ja, das ist's ja eben. Was braucht er einen Dienst und einen König? Doch – sage: warum trägst du keinen goldnen Armreif? Ein Gotenweib aus dem Welschtal kam einmal des Wegs bei uns vorbei, vor fünf Jahren, die trug Gold handbreit: da dacht' ich: so trägt's deine Tochter, und freute mich, und nun –«
Rauthgundis lächelte: »Soll ich Gold tragen für meiner Mägde Augen? Ich schmücke mich nur, wenn Witichis es sieht.« – »So? mög' er's verdienen! Aber du hast doch Goldspangen und Goldreife wie andre Gotenfrauen hier unten?« – »Mehr als andre, truhenvoll. Witichis brachte große Beute vom Gepidenkrieg.« – »So bist du ganz glücklich?« – »Ganz, Vater, aber nicht wegen der Goldspangen.« – [] »Hast du über nichts zu klagen? Sag's mir nur, Kind! Was es auch sei, sag's deinem alten Vater, und er schafft dir dein Recht.«
Da blieb Rauthgundis stehen. »Vater, sprich nicht so! Das ist nicht recht von dir zu sprechen, nicht von mir zu hören. Wirf ihn doch weg, den unglückseligen Irrwahn, als müßte ich elend werden, weil ich zu Tal gezogen. Ich glaube fast, nur diese Furcht hat dich hier herabgeführt.«
»Nur sie!« rief der Alte hastig, mit dem Stock aufstoßend. »Und du nennst einen Wahn, was deines Vaters tiefstes, inneres Wesen? Ein Wahn! Ah, ist's ein Wahn, daß sich's schwer atme hier unten? Ein Wahn, daß unsre hochgewachsenen, weißen Goten klein und braun geworden hier unten im Tal? Ist es ein Wahn, daß alles Unheil von jeher von Süden hergekommen, von diesem weichen, falschen Tal? Woher kommen die Bergstürze über unsre Hütten? von Süden her. Von wo kommt der giftige Wind, der Mensch und Vieh verdirbt? Von Süden. Warum stürzt mir Kuh und Schaf, wann sie am Südhang grasen? Warum starb deine Mutter, wie sie das erstemal von unserm Berge nach Bolsanum herabkam, in der schwülen Stadt? Ein Bruder von dir stieg auch herab, trat in des Königs Theoderich Waffenschar zu Ravenna: erstochen haben ihn die Welschen beim Wein. Warum taugt kein Knecht mehr was, der je hier in den Süden herabstieg auch nur auf einen Winter? Wo hat unser großer Held Theoderich das verfluchte Regieren gelernt, mit Steuern und Folter und Kerker und Schreiben? Was haben unsre Väter von all' dem gewußt?
Von woher kommt aller Trug, alle Unfreiheit, alle Üppigkeit, alle Unkraft, alle List? Von hier: aus dem Welschtal, aus dem Süden, wo die Menschen zu Tausenden beisammen nisten, wie unsauber Gewürm, und einer dem andern die Luft vergiftet. Und da kommt mir so einer auf meinen Fels und [] holt mein frisches Kind herab in dieses Land des Unsegens! Dein Eheherr hat was Gutes und Klares, ich leugn' es nicht; und hätte er sich droben bei mir ein Gehöft gebaut, ich hätte ihm gern mein Kind und das Joch der besten Ochsen dazu gegeben. Aber nein! Da herunter mußte er sie führen ins heiße Sumpftal. Und er selbst bückt den Kopf in goldnen Sälen zu Rom und in der Rabenstadt. Wohl hab' ich mich lang gewehrt –«
»Aber endlich gabst du nach –«
»Was wollt' ich machen? War doch mein kernfrisches Mädel ganz herzenssiech geworden nach dem Unglücksmann.«
»Und zehn Jahre hat der Unglücksmann dein Kind beglückt.« – »Wenn's nur auch wahr ist!« – »Vater!« – »Und wahr bleibt. Es wäre das erstemal, daß Glück von Süden käme. Sieh, mein Abscheu ist so groß vor der Ebne, daß ich die sieben Jahr nicht niederstieg, gar mein Enkelkind nie gesehn habe. Wenn ich es jetzt doch getan, hat's schweren Grund.«
»Also nicht die Liebe? nicht dein Herz?«
»Freilich! doch mein banges Herz! Ein böses Zeichen ist geschehen. Du denkst doch noch der freudigen Buche, die am Felsbache stand, rechts vorm Hause? Ich pflanzte sie, nach altem Brauch, an dem Tag, da du geboren wardst. Und prächtig, wie du selbst, gedieh der Baum. In dem Jahr, da du fortzogst freilich, fand ich, er sehe krank und traurig. Aber die andern sahen es nicht und lachten mich aus.
Nun, sie erholte sich wieder und war frisch und grün. Doch in der letzten Woche kam des Nachts ein Hochgewitter, so wütig, wie ich's selten gehört da droben in den Felsen, und als wir am Morgen vor das Tor treten – ist der Stamm vom Blitz zerspalten, und die Krone hat der Gießbach mit sich fortgerissen – nach Süden.«
»Schad' um den lieben Baum! Doch kann dich das ängstigen?«
[] »Es ist nicht alles. Traurig grub ich am Abend, nach dem Tagewerk, den armen Stamm aus der Erde und warf ihn ins Herdfeuer, daß er nicht verunehrt und elend am Wege stehe, der meines Kindes ein Bild und Zeichen war. Und ich nahm mir's sehr zu Herzen, und ich sann und sann mit schweren Sorgen über deinen Mann, und meine Zweifel an ihm kamen dicht und dichter. Und ich sah ins Feuer, drin der Stamm verkohlte.
So schlief ich ein und im Traum sah ich dich und Witichis. Er tafelte im Goldsaal unter stolzen Männern und schönen Frauen, in Glanz und Pracht gekleidet. Du aber standest vor der Tür, im Bettlerkleid, und weintest bittre Tränen und riefst ihn beim Namen. Er aber sprach: ›Wer ist das Weib? ich kenne sie nicht!‹ – Und es ließ mich nicht mehr droben in den Bergen. Herab zog's mich: ich mußte sehen, wie mein Kind gehalten ist im Tal und überraschen wollt' ich ihn – deshalb wollt' ich nicht durchs Tor ins Haus.«
»Vater,« sprach Rauthgundis zornig, »dergleichen soll man selbst im Traume nicht denken. Dein Mißtrauen –«
»Mißtrauen! ich traue niemand als mir selbst. Und in dem Blitzschlag und in dem Traumgesicht hat sich's mir deutlich gemeldet: dir droht ein Unglück! Weich' ihm aus! Nimm deinen Knaben und geh mit mir in die Berge! Nur auf kurze Zeit. Glaub' mir, du wirst es bald wieder schön finden in der freien Luft, wo man über aller Herren Länder hinwegsieht.«
»Ich soll meinen Mann verlassen? Niemals.« – »Hat er nicht dich verlassen? Ihm ist Hof- und Königsdienst mehr als Weib und Kind. So laß ihm seinen Willen.«
»Vater,« sprach jetzt Rauthgundis, seine Hand heftig fassend, »kein Wort mehr! Hast du denn meine Mutter nicht geliebt, daß du so reden kannst von Ehegatten? Mein Witichis ist mir alles, Luft und Licht des Lebens. Und er liebt mich mit seiner ganzen treuen Seele. Und wir sind eins.
[] Und wenn er für recht hält, fern von mir zu schaffen, zu wirken, so ist es recht. Er führt seines Volkes Sache. Und zwischen mich und ihn soll kein Wort, kein Hauch, kein Schatte treten. Und auch ein Vater nicht.«
Der Alte schwieg. Aber sein Mißtrauen schwieg nicht. »Warum,« hob er nach einer Pause wieder an, »wenn er am Hof so wichtige Geschäfte hat, warum nimmt er dich nicht mit? Schämt er sich der Bauerntochter?« und zornig stieß er seinen Stock auf die Erde.
»Der Zorn verwirrt dich! Du grollst, daß er mich vom Berg ins Tal der Welschen geführt – und grollst ebenso, weil er mich nicht nach Rom mitten unter sie führt!«
»Du sollst's auch nicht tun! Aber er soll's wollen. Er soll dich nicht entbehren können. Aber des Königs Feldherr wird sich des Bauernkindes schämen.«
Da, ehe Rauthgundis antworten konnte, sprengte ein Reiter an das jetzt verschlossene Hoftor, vor dem sie eben standen. »Auf, aufgemacht!« rief er, mit der Streitaxt an die Pfosten schlagend. – »Wer ist da draußen?« fragte der Alte vorsichtig. – »Aufgemacht! so lang läßt man einen Königsboten nicht warten!«
»Es ist Wachis«, sprach Rauthgundis, den schweren Riegelbalken im Ring zurückschiebend, »was bringt dich so plötzlich zurück?«
»Du bist es selbst, die mir öffnet!« rief der treue Mann, »o Gruß und Heil, Frau Königin der Goten! Der Herr ist zum König des Volks gewählt. Diese meine Augen sahen ihn hoch auf den Heerschild gehoben: er läßt dich grüßen: und entbittet dich und Athalwin nach Rom. In zehn Tagen sollst du aufbrechen.«
In allem Schrecken und in aller Freude und zwischen allen Fragen durch konnte sich Rauthgundis nicht enthalten eines freudig stolzen Blicks auf ihren Vater: dann warf sie sich an [] seine Brust und weinte. »Nun,« fragte sie endlich sich losmachend, »Vater, was sagst du nun?«
»Was ich sage? Jetzt ist das Unglück da, das mir geahnt! Ich gehe noch heute Nacht zurück auf meinen Berg.«
Zweites Kapitel.
Während die Goten bei Regeta tagten, umklammerte in weit geschwungenem Halbkreis das mächtige Heerlager Belisars die hart bedrängte Stadt Neapolis.
Rasch, unaufhaltsam wie ein Brand in getrocknetem Heidegras, hatte sich das Heer der Byzantiner von der äußersten Südostspitze Italiens bis vor die Mauern der pathenopeischen Stadt gewälzt, ohne Widerstand zu finden. Denn, dank den Befehlen Theodahads, waren nicht hundert Gotenkrieger in jenen Gegenden zu finden.
Das kurze Vorpostengefecht am Passe Jugum war der einzige Aufenthalt, auf den die Griechen stießen: die römische Bevölkerung von Bruttien mit den Städten Regium, Vibo und Squyllacium, Tempsa und Croton, Ruscia und Thurii, von Calabrien mit den Städten Gallipolis, Tarentum und Brundusium, von Lucanien mit den Städten Vella und Buxentum, von Apulien mit den Städten Acheruntia und Canusium, Salernum, Nuceria und Campsä, und viele andre Städte nahmen Belisar mit Jubel auf, als er ihnen im Namen des rechtgläubigen Kaisers Justinian die Befreiung von dem Joche der Ketzer und Barbaren verkündete. Bis an den Aufidus im Osten, bis an den Sarnus im Südwesten war Italien den Goten entrissen, und erst an den Wällen von Neapel brach sich der Ungestüm dieser feindlichen Wogen.
Und wohl ein herrliches Kriegsschauspiel waren diese Heerlager Belisars zu nennen. Im Norden, vor der Porta Nolana, [] dehnte sich das Lager Johannes des Blutigen. Diesem tapfern Führer war die Via Nolana anvertraut und die Aufgabe, die Straße nach Rom zu erzwingen. Hier in den breiten Wiesenflächen, auf den Saatfeldern fleißiger Goten, tummelten die Massageten und die gelben Hunnen ihre kleinen, häßlichen Gäule. Daneben lagerten leichte persische Söldner, in Linnenpanzern, mit Pfeil und Bogen; dann schwere armenische Schildträger, Makedonen mit zehn Fuß langen »Sarissen« (Lanzen) und große Massen thessalischer und thrakischer, aber auch sarazenischer Reiter, zu verhaßter Untätigkeit in diesem Belagerungskampf verurteilt und ihre Muße nach Kräften ausfüllend mit Streifzügen ins Innere des Landes.
Das mittlere Lager, gerade im Osten der Stadt, war von dem Hauptheer erfüllt: Belisars großes Feldherrnzelt von blauer sidonischer Seide, mit dem Purpurwimpel, ragte in seiner Mitte. Hier stolzierte die Leibwache, die Belisar selbst bewaffnete und besoldete, und zu der nur die erlesensten Leute, die sich dreimal durch Todesverachtung im Kampf ausgezeichnet, zugelassen wurden: – aus ihr gingen Belisars Schüler und beste Heerführer hervor – in reichvergoldeten Helmen mit roten Roßhaarkämmen, den besten Brust-und Beinharnischen, ehernen Schilden, dem breiten Schwert und der partisanen-gleichen Lanze. Hier bildeten den Kern des Fußvolks achttausend Illyrier, die einzige gute Truppe, die das Griechenreich noch selbst stellte; hier aber lagerten auch unter dem Befehl ihrer Stammesfürsten die avarischen, bulgarischen, sarmatischen und auch germanischen Scharen, wie Heruler und Gepiden, die Byzanz um schweres Geld werben mußte, den Mangel der kriegsfähigen Mannschaft zu decken. Hier auch die ausgewanderten und die vielen tausend übergegangenen Italier.
Endlich das südwestliche Lager, das sich dem Strand entlang dehnte, befehligte Martinus, der den Belagerungswerkzeugen [] vorstand: hier standen die Katapulten und Ballisten, die Mauerbrecher und Wurfmaschinen in Vorrat: hier wogten die isaurischen Bundesgenossen und die Scharen, die das neu von den Vandalen zurückeroberte Afrika stellte: maurische, numidische Reiter, libysche Schleuderer durcheinander.
Aber vereinzelt waren Abenteurer und Söldner fast aus allen Barbarenstämmen der drei Erdteile vertreten: Bajuwaren von der Donau, Alamannen vom Rhein, Franken von der Maas, Burgunden von der Rhone, dann wieder Anten vom Dniester, Lazier vom Phasis, pfeilkundige Abasgen, Sabiren, Lebanthen und Lykaonen aus Asien und Afrika. So bunt zusammengesetzt aus barbarischen Haufen war die Kriegsmacht, mit der Justinian die gotischen »Barbaren« vertreiben und Italien befreien wollte. Den Befehl über die Vorposten hatten immer und überall die Leibwächter Belisars: und diese Kette zog sich um die Stadt her von der Porta Capuana fast bis an die Wogen des Meeres. Neapolis aber war schlecht befestigt und schwach besetzt. Nicht tausend Goten waren es, welche die ausgedehnten Werke gegen ein Heer von vierzigtausend Byzantinern und Italiern verteidigen sollten.
Graf Uliaris, der Befehlshaber der Stadt, war ein tapfrer Mann und hatte bei seinem Bart geschworen, die Feste nicht zu übergeben. Aber auch er hätte der überlegnen Macht und Feldherrnkunst Belisars wohl nicht lange widerstehen können, wäre nicht ein glücklicher Umstand ihm zu Hilfe gekommen. Das war die unzeitige Rückkehr der griechischen Flotte nach Byzanz. Als nämlich Belisar, nachdem er sein gelandetes Heer in Regium eine Nacht geruht und gemustert hatte, den allgemeinen Aufbruch mit der Land- und Seemacht gegen Neapolis befahl, sandte ihm sein Nauarchos Konon einen bisher geheim gehaltnen Auftrag des Kaisers, wonach die Flotte sofort nach der Landung nach Nikopolis an der griechischen Küste zurücksegeln sollte, angeblich, neue Verstärkungen[] herüberzuholen, in Wahrheit aber nur, den Prinzen Germanus, Justinians Neffen, mit den kaiserlichen Lanzenträgern nach Italien zu führen, der die Siegesschritte Belisars beobachten, überwachen, nötigenfalls hemmen und, als Oberfeldherr, die Interessen des kaiserlichen Mißtrauens gegen den Unterfeldherrn Belisar wahren sollte. Zähneknirschend mußte Belisar seine Flotte im Augenblick, da er ihrer am meisten bedurfte, absegeln sehen: und nur mit vielen Bitten erlangte er, daß ihm der Nauarch vier Kriegstrieren, die noch bei Sizilien kreuzten, zu senden versprach.
So hatte denn Belisar, als er sich anschickte, Neapolis zu belagern, die Stadt zwar von Nordost, Ost und Südost mit seiner Landmacht eng einschließen können: – den Westen, die Straße nach Rom, durch Castellum Tiberii gedeckt, hielt Graf Uliaris mit höchster Kraft frei: – aber den Hafen von Neapolis und seine Verbindung mit der See hatte er nicht zu sperren vermocht.
Anfangs zwar tröstete er sich damit, daß ja auch die Belagerten keine Flotte hätten und also von ihrer Verbindung mit dem Meer nicht eben viel Vorteil würden ziehen können. Aber hier trat ihm zuerst die Begabung und die Kühnheit eines Gegners in den Weg, den er später noch mehr fürchten lernen sollte. Das war Totila. Kaum hatte dieser Neapolis erreicht, der Leiche des alten Valerius mit Julius die letzte Ehre erwiesen und die ersten Tränen Valerias getrocknet, als er mit rastloser Tätigkeit an der Aufgabe arbeitete, eine Flotte aus dem Nichts zu schaffen.
Er war Befehlshaber des Geschwaders von Neapolis: aber dieses ganze Geschwader hatte König Theodahad schon vor Wochen, trotz Totilas Vorstellungen, Belisar aus dem Wege, nach Pisa beordert, wo es die Arnusmündung bewachen sollte. So besaß Totila von Anfang nichts als drei leichte Wachtschiffe, von denen er zwei bei Sizilien verloren hatte: und er [] war nach Neapolis gekommen, an jedem Widerstand zur See verzweifelnd. Aber da er das Unglaubliche vernahm, daß die byzantinische Flotte nach Hause gegangen sei, belebte sich sofort seine Hoffnung. Und nun ruhte er nicht, bis er auf großen Fischerbooten, Kaufmannsschiffen, Hafenkähnen und in der Eile notdürftig seetüchtig gemachten Wracks der Werften sich eine kleine Flottille von etwa zwölf Segeln gebildet, die freilich weder einem Sturm auf hoher See noch einem einzigen Kriegsschiff Trotz bieten konnte, aber doch vortreffliche Dienste leistete, die sonst völlig abgeschnittene Stadt von Bajä, Cumä und andern Städten im Nordwesten her mit Lebensmitteln zu versehen, die Bewegungen der Feinde an den Küsten zu beobachten und mit unaufhörlichen Angriffen zu quälen, indem Totila mit einer kleinen Schar oft im Süden, im Rücken der griechischen Lager, landete, sich ins Land schlich, bald hier, bald da einen Trupp der Feinde überfiel und zersprengte und solche Unsicherheit verbreitete, daß sich die Byzantiner nur in starken Abteilungen und nie zu weit von ihren Lagern zu entfernen wagten, während diese Erfolge die hart bedrängte, von steten Wachdiensten und Kämpfen angegriffene Mannschaft des Uliaris immer wieder ermutigten.
Bei alledem konnte sich Totila nicht verhehlen, daß die Lage schon jetzt eine höchst bedenkliche und, sowie einige griechische Schiffe vor der Stadt erschienen, eine unhaltbare werde. Er verwandte daher einen Teil seiner Boote dazu, täglich eine Anzahl von wehrunfähigen Einwohnern aus Neapolis aufwärts nach Bajä und Cumä zu schaffen, wobei er die Anforderung der Reichen, daß diese Rettungsfahrten nur gegen Bezahlung stattfinden sollten, streng zurückwies und ohne Unterschied Arme wie Reiche in seine rettenden Schiffe aufnahm. Vergebens hatte Totila wiederholt und immer dringender Valeria gebeten, unter dem Schutz von Julius auf diesen Schiffen zu flüchten: noch wollte sie sich von dem Sarge [] ihres Vaters, noch von dem Geliebten nicht trennen, dessen Lob als des Schirmers der Stadt sie nur zu gern aus aller Munde einsog. Und ruhig fuhr sie fort, in dem väterlichen Hause ihrer Trauer und ihrer Liebe zu leben.
Drittes Kapitel.
In diesen ersten Tagen der Belagerung empfand auch Miriam die höchsten Freuden und die höchsten Schmerzen ihrer Liebe.
Häufiger als je konnte sie sich in des Geliebten Anblick sonnen: denn die Porta Capuana war ein wichtiger Punkt der Befestigung, den der Seegraf oft besuchen mußte. In der Turmstube des alten Isak hielt er täglich mit Graf Uliaris den traurigen Kriegsrat. Dann pflegte Miriam, wann sie die Männer begrüßt und das schlichte Mahl von Früchten und Wein auf den Tisch gestellt, hinunterzuschlüpfen in das enge Gärtlein, das dicht hinter der Turmmauer lag. Der Raum war ursprünglich ein kleiner Hof im Tempel der Minerva, der Mauerbeschützerin, gewesen, der man gern an den Haupttoren der Städte einen Altar errichtete.
Seit Jahrhunderten war der Altar verschwunden: aber noch ragte hier der alte, mächtige Olivenstamm, der einst die der Göttin geweihte Statue beschattet hatte: und ringsum dufteten die Blumen, die Miriams liebevolle Hand hier gepflegt und oft für die Braut des Geliebten gebrochen hatte. Gerade gegenüber dem riesigen Ölbaum, dessen knorrige Wurzeln über die Erde hervorstarrten und eine dunkle Öffnung in den Erdgeschossen des alten Tempels zeigten, war von dem Christentum ein großes, schwarzes Holzkreuz angebracht über einem kleinen Betschemel, der aus einer Marmorstufe des Minervatempels gebildet war: – man liebte, die Stätten [] des alten Gottesdienstes dem neuen zu unterwerfen und die alten Götter, die jetzt zu Dämonen geworden, durch die Sinnbilder des siegreichen Glaubens zu verscheuchen.
Unter diesem Kreuz saß das schöne Judenmädchen oft stundenlang mit der alten Arria, der halbblinden Witwe des Unterpförtners, die, nach dem frühen Tod von Isaks Weib, wie eine Mutter das Heranblühen der kleinen Miriam mit ihren Blumen in dem öden Gestein der alten Mauern überwacht hatte. Da hatte diese viele Jahre lang still lauschend zugehört, wie die fromme Alte in fleißigem Gebet zu dem Gott der Christen flehte: und unwillkürlich war so mancher Strahl der mildern, hellern Liebeslehre des Nazareners in das Herz der Heranwachsenden gedrungen.
Jetzt, da Alter und Erblindung die Witwe hilfsbedürftig gemacht, vergalt Miriam mit liebevoller Treue der Pflegerin ihrer Kindheit. Mit Rührung nahm Arria diese Treue hin; ihr altes Herz umschloß mit Dank und Liebe und Mitleid das herrliche Geschöpf, dessen mächtige Liebe zu dem jungen Goten sie längst erkannt und beklagt, aber nie gegenüber der scheuen Jungfrau berührt hatte.
Am Abend des dritten Tages der Belagerung schritt Miriam nachdenklich die breiten Mauerstufen nieder, die von der Turmpforte in den Garten führten: ihr edles, seelentiefes Auge glitt, in ernstes Sinnen verloren, über die duftigen Blumen der Beete hin: auf der letzten Stufe blieb sie träumend stehen, die linke Hand auf den Mauerrand lehnend. Arria kniete auf dem Betschemel, ihr den Rücken wendend, und betete laut. Sie würde die Nahende nicht bemerkt haben, wenn nicht geflügeltes Leben plötzlich den stillen Hof beseelt hätte: denn in den breiten Zweigen der Olive nisteten die schönsten weißen Tauben, der einsamen Miriam einzige Gespielinnen. Als diese die vertraute Gestalt auf den Stufen erscheinen sahen, erhoben sie sich alle, in schwirrendem Flug [] ihr Haupt umschwärmend; eine ließ sich auf des Mädchens linke Schulter nieder, die andre auf das feine Gelenk der Rechten, die Miriam, aus ihrem Traume geweckt, lächelnd ausstreckte.
»Du bist's, Miriam! deine Tauben verkünden dich!« sprach Arria sich wendend. Und das schöne Mädchen stieg die letzte Stufe nieder, langsam, die Vögel nicht zu verscheuchen; die Abendsonne fiel durch die Blätter der Olive auf ihre pfirsichroten Wangen: es war ein lieblich Bild.
»Ich bin's, Mutter!« sagte Miriam, sich zu ihr setzend. »Und ich hab' eine Bitte. Wie lautet,« fragte sie leiser, »dein Spruch vom Leben nach dem Tode, dein Glaubensspruch? – ›ich glaube an die Gemeinschaft‹.« – –
»An die Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben.« – »Wie kömmst du auf diese Gedanken.«
»Ei nun,« sagte Miriam, »mitten im Leben stehen wir im Tode, sagt der Sänger von Zion. Und jetzt wir besonders! Fliegen nicht täglich Pfeile und Steine in die Straßen? Aber ich will noch Blumen pflücken!« sprach sie wieder aufstehend.
Arria schwieg einen Augenblick. »Jedoch der Seegraf war heute schon da: mir ist, ich hätte seine helle Stimme gehört.«
Miriam errötete leicht. »Sie sind nicht für ihn,« – sprach sie dann ruhig – »für sie.« – »Für sie?« – »Ja, für seine Braut. Ich habe sie heute zum erstenmal gesehen. Sie ist sehr schön. Ich will ihr Rosen schenken.« – »Du hast sie gesprochen? Wie ist sie geartet?«
»Nur gesehen, sie bemerkte mich nicht. Ich schlich schon lange um den Palast der Valerier, seit sie hier ist. Heute ward sie in die Sänfte gehoben, sie ward in die Basilika getragen. Ich lehnte hinter der Säule ihres Hauses.«
»Nun, ist sie seiner würdig?«
»Sie ist sehr schön. Und vornehm. Und klug sieht sie aus: auch gut. Aber,« seufzte Miriam, »nicht glücklich. Ich will [] ihr Rosen schenken. – Mutter,« sagte sie, nach einiger Zeit sich wieder mit ihren duftigen Blumen zu ihr setzend, »was bedeutet das: die Gemeinschaft der Heiligen. Sollen nur die Christen dann beisammen leben? Nein, nein!« fuhr sie fort, ohne die Antwort abzuwarten, »das kann nicht sein. Entweder alle, alle Guten oder« – und sie seufzte. »Mutter, in den Büchern Mosis steht nichts davon, daß die Menschen erwachen aus dem Tode. O und es wäre auch so schrecklich nicht,« sprach sie, die Rosen zusammenfügend, »endlich ausruhn! Ganz ausruhn! In süßer, stiller, traumloser Nacht. Ausruhn vom Leben! Denn gibt es Leben ohne Schmerz? ohne Sehnen? ohne leisen, niegestillten Wunsch? Ich kann's nicht denken.«
Und sie hielt inne im Flechten ihres Kranzes, und stützte das Haupt auf das Handgelenk. Die Tauben flogen weg: denn die Herrin achtete ihrer nicht.
»Den Seinen hat der Herr,« sprach Arria feierlich, »die selige Stätte bereitet: sie wird nicht mehr hungern noch dürsten. Es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne, oder irgendeine Hitze. Denn Gott der Herr wird sie leiten zu dem lebendigen Wasserbrunnen und abwischen alle Tränen von ihren Augen.«
»Alle Tränen von ihren Augen,« sprach Miriam nach. »Rede weiter. Es klingt so gut.«
»Dort werden sie leben, wunschlos, den Engeln gleich: und sie werden Gott schauen und sein Friede wird Palmenschatten über sie breiten: sie werden vergessen Haß und Liebe und Schmerz und alles, was ihre Herzen bewegt auf Erden. Und ich habe viel gebetet, Miriam, für dich: und auch deiner wird sich der Herr erbarmen und dich versammeln zu den Seinen.«
Aber Miriam schüttelte leise das Haupt. »Nein, Arria, da ist fast besserer Trost der ewige Schlaf. Denn wie kann deine Seele lassen von dem, was deiner Seele Leben ist? Wie kannst du abtun dein tiefstes Sein und doch dieselbe bleiben? Wie soll ich selig sein und vergessen, was ich liebe? Ach, nur das, [] daß wir lieben, ist ja des Lebens wert. Und hätt' ich zu wählen: hier alle Seligkeit des Himmels und sollte abtun meines Herzens einzig Gut: oder behalten meines Herzens Liebe mit all' ihrer ewigen Sehnsucht, – ich neidete den Seligen ihren Himmel nicht. Ich wählte meine Liebe und mein Weh.«
»Kind, sprich nicht so! lästre nicht. Sieh, was geht über Mutterliebe? nichts auf Erden! Doch wird auch sie im Himmel nicht mehr leben! Die Liebe, die das Mädchen zieht zum Mann, sie ist ein Traum von Gold. Mutterliebe ist ein ehern Band, das ewig schmerzend bindet. O mein Jucundus, mein Jucundus! Möchtest du bald wiederkommen, daß ich dich noch schauen kann hienieden, eh' meine Augen volle Nacht bedeckt. Denn droben im Himmelreich wird auch die Mutterliebe untergehen in der ewigen Liebe Gottes und der Heiligen. Und doch möcht ich ihn noch einmal fassen und umfangen und mit den Händen betasten sein geliebtes Haupt. Und höre nur, Miriam: ich hoffe und vertraue: bald, bald werd' ich ihn wiedersehen.«
»Du darfst mir nicht sterben, Arria.« – »Nein, so mein' ich's nicht! hier auf Erden noch muß ich ihn wiedersehen. Ich muß ihn wiederkommen sehen des Weges, den er gegangen.«
»Mutter,« sagte Miriam sanft, wie man einem Kinde einen Wahn ausredet, »wie magst du noch immer daran glauben! Dein Jucundus ist seit dreißig Jahren verschwunden!«
»Und doch kann er wiederkommen! Es ist nicht möglich, daß der Herr all' meiner Tränen nicht geachtet, all' meiner Gebete. Was war er für ein braver Sohn! Mit seiner Hände Arbeit ernährte er mich, bis er erkrankte und Axt und Schaufel nicht mehr führen konnte: und wir litten Not. Da sprach er: ›Mutter, ich kann's nicht mehr mit ansehen, daß du darbest. Du weißt, in den Gängen des alten Tempels, dort unter dem Olivenstamm, sind Schätze der Heidenpriester vergraben: [] der Vater drang einmal hinein und brachte eine goldene Spange zurück. Ich will hineinschlüpfen, so tief ich kann, ob ich von dem verborgnen Gold nichts finde, und Gott wird mich beschützen.‹ – Und ich sagte Amen. Denn die Not war schwer: und ich wußte wohl, der Herr werde den frommen Sohn der Witwe behüten.
Und wir beteten miteinander eine Stunde, hier vor dem Kreuz. Und dann erhob sich mein Jucundus und drang in die Höhlung dort unter den Wurzeln der Olive. Ich horchte dem Schall seiner Bewegungen, bis er verhallte.
Er ist noch immer nicht zurückgekommen.
Aber tot ist er nicht! O nein! Kein Tag vergeht, daß ich nicht denke: heut' führt ihn Gott zurück. War nicht auch Joseph fern lange Jahre in Ägyptenland? und doch haben Jakobs Augen ihn wiedergesehen. Und mir ist, heut' oder morgen sehe ich ihn wieder. Denn heute nacht im Traum hab' ich ihn gesehen, wie er im weißen Gewand heraufschwebte aus der Höhlung dort: und beide Arme breitete er aus: und ich rief ihn beim Namen, und wir waren vereint auf ewig. Und so wird's werden: denn der Herr erhöret das Flehen der Betrübten, und wer ihm traut, wird nicht zuschanden werden.«
Und die Alte erhob sich, drückte Miriams Hand und ging in ihr kleines Häuschen.
Allmählich war der Mond voll aufgegangen und erhellte zauberisch das enge Gärtchen, in das des Turmes schwere Schatten fielen: und stark dufteten die Rosen. Miriam stand auf und blickte an dem Kreuz empor. »Welch mächtiger Glaube! welch lebendiger Trost! welch milde Lehre! Ist es so? Ist der Mann, der dort am Kreuz in Todesweh das Haupt gebeugt, ist er der Messias? Ist er aufgefahren gen Himmel und sorget für die Seinen, wie ein Hirt, der seine Lämmer weidet? – – – Ich aber zähle nicht zu seiner Herde! An [] jenem Trost hat Miriam keinen Teil. Mein Trost ist meine Liebe mit all ihrem Weh: sie ist meine Seele selbst geworden. Und ich sollte einst dort oben über den Sternen hinschweben, ohne diese Liebe? Dann wär' ich nicht Miriam mehr! Oder soll ich sie mit hinauftragen, und wieder zurückstehen? und wieder durch alle Ewigkeit die Römerin an seiner Seite sehen? Sollen sie dort wohnen und wandeln in der Fülle des Glanzes und ich im trüben Nebel einsam folgen und nur von ferne leuchten sehen den Saum seines weißen Gewandes? Nein, o nein, viel besser, wie meine Blumen hier, erblühen am Sonnenblick der Liebe, duften und glühen eine kurze Weile, bis sie die Sonne versengt, die sie geweckt und geopfert hat: und verwehen in ewige Ruhe, nachdem der weiche, süße, unselige Drang nach dem Lichte gebüßt ...« – –
»Gute Nacht, Miriam, lebe wohl!« rief eine melodische Stimme.
Und fast erschrocken blickte sie auf: und sah noch des Goten weißen Mantel vor der Treppe um die Ecke verschwinden. Uliaris ging nach der entgegengesetzten Seite. Rasch sprang sie die Stufen hinan und sah dem weißen Mantel, der silbern im Mondlicht glänzte, nach, lang, lang, bis er verschwand in fernen Schatten.
Viertes Kapitel.
Alle Tage zweimal traten so Uliaris und Totila zusammen, berichteten ihre Erfolge, ihre Verluste und prüften ihre Aussichten zur Rettung der Stadt.
Aber am zehnten Tage der Belagerung etwa rasselte Uliaris vor Tagesanbruch auf das Verdeck von Totilas »Admiralschiff«, eines morschen Muränenfängers, wo der Seegraf von Neapel, von einem zerfetzten Segel gedeckt, schlief. »Was ist?« rief Totila auffahrend, noch im Traum, »der Feind? [] wo?« – »Nein, mein Junge, diesmal ist's noch Uliaris, nicht Belisar, der dich weckt. Aber lange, beim Strahl, wird's nicht mehr dauern.« – »Uliaris, du blutest – dein Kopf ist verbunden!« – »Bah, war nur ein Streifpfeil! Zum Glück kein giftiger. Ich holt' ihn mir heut' nacht. Du mußt wissen: die Dinge stehen schlecht, schlechter als je seit gestern. Der blutige Johannes, Gott hau' ihn nieder, gräbt sich wie ein Dachs an unser Kastell Tiberii: und hat er das, dann: gute Nacht, Neapolis! Gestern abend hat er eine Schanze auf dem Hügel über uns vollendet und wirft uns Brandpfeile auf die Köpfe. Ich wollt' ihn heute nacht aus seinem Bau werfen, ging aber nicht. Sie waren sieben gegen einen und ich gewann nichts damit als diesen Schuß vor meinen grauen Kopf.«
»Die Schanze muß weg,« sagte Totila nachsinnend.
»Den Teufel auch, aber sie will nicht!
Allein mehr. Die Bürger, die Einwohner fangen an, schwierig zu werden. Täglich schießt Belisar hundert stumpfe Pfeile mit seinem ›Aufruf zur Freiheit‹ herein. Die wirken mehr noch als die tausend scharfen. Schon fliegt hier und da ein Steinwurf von den Dächern auf meine armen Burschen. Wenn das wächst – –! – Wir können nicht mit tausend Mann vierzigtausend Griechen draußen abhalten und dreißigtausend Neapolitaner drinnen: drum meine ich« – und sein Auge blickte finster –
»Was meinst du?«
»Wir brennen ein Stück der Stadt nieder! Die Vorstadt, wenigstens ...« –
»Damit uns die Leute lieber gewinnen? Nein, Uliaris, sie sollen uns nicht mit Recht Barbaren schelten. Ich weiß ein besser Mittel – sie hungern: ich habe gestern vier Schiffsladungen Öl und Korn und Wein hereingeführt, die will ich verteilen.« – »Öl und Korn, meinethalben! aber den Wein, nein! Den fordre ich für meine Goten, die trinken schon lang [] Zisternenwasser, pfui Teufel!« – »Gut, durstiger Held, ihr sollt den Wein für euch haben.« – »Nun? Und noch keine Botschaft von Ravenna? von Rom?« – »Keine! Mein fünfter Bote ist gestern fort.« – »Gott hau' ihn nieder, unsern König.«
»Höre Totila, ich glaube nicht, daß wir lebendig aus diesen wurmstichigen Mauern kommen!«
»Ich auch nicht!« sagte Totila ruhig und bot seinem Gast einen Becher Wein.
Uliaris sah ihn an: dann trank er und sagte: »Goldjunge, du bist echt und dein Cäkuber auch. Und muß ich hier umkommen, wie ein alter Bär unter vierzig Hunden, mich freut's doch, daß ich dich dabei so gut kennengelernt: dich und deinen Cäkuber.« Mit dieser rauhen Freundlichkeit stieg der graue Gote vom Verdeck.
Totila schickte den Leuten im Kastell Wein und Korn, und sie labten sich herzlich daran. Als aber Uliaris am andern Morgen aus dem Turm des Kastells lugte, rieb er sich die Augen. Denn auf der Hügelschanze wehte die blaue gotische Fahne. Totila war in der Nacht im Rücken der Feinde gelandet und hatte das Werk in kühnem Anlauf genommen.
Aber diese neue Keckheit reizte den ganzen Zorn Belisars. Er schwur, den verwegnen Planken ein Ende zu machen um jeden Preis. Höchst erwünscht trafen ihm zur Stunde die vier Kriegsschiffe von Sizilien her auf der Höhe von Neapolis ein. Er befahl, sie sollten sofort in den Hafen von Neapolis dringen und den Seeräubern das Handwerk legen. Stolz rauschten noch am Abend des gleichen Tages die vier mächtigen Trieren heran und legten sich an der Einfahrt des Hafens vor Anker. Belisar selbst eilte mit seinem Gefolge an die Küste und freute sich, die Segel von der Abendsonne vergoldet zu sehen: »Die aufgehende Sonne sieht sie in den Hafen der Stadt fahren trotz jenem Tollkopf,« sprach er zu Antonina, die ihn begleitete, und wandte seinen Schecken zurück nach dem Lager.
[] Noch hatte er am andern Morgen das Feldbett nicht verlassen – Prokopius, sein Rechtsrat, stand vor ihm und las ihm den entworfnen Bericht an Justinian – da erschien in seinem Zelt Chanaranges, der Perser, der Führer der Leibwächter, und rief: »Die Schiffe, Feldherr, die Schiffe sind genommen.«
Wütend sprang Belisar aus den Decken und rief: »Der soll sterben, der das sagt.«
»Besser wäre es,« meinte Prokopius, »der stürbe, der es getan.« – »Wer war es?« – »Ach Herr, der junge Gote mit blitzenden Augen und dem leuchtenden Haar.« – »Totila!« sprach Belisar, »schon wieder Totila.«
»Die Bemannung lag zum Teil am Strand, bei meinen Vorposten, zum Teil schlaftrunken unter Deck. Plötzlich, um Mitternacht, wird's lebendig ringsum, als wären hundert Schiffe aus der Tiefe des Meeres getaucht.« – »Hundert Schiffe! Zehn Nußschalen hat er!« – »Im Augenblick und lang, eh' wir vom Strand zu Hilfe kommen können, sind die Schiffe geentert, die Leute gefangen, eine der Trieren, deren Ankertau nicht rasch zu kappen war, in Brand gesteckt, die andern drei nach Neapolis geführt.«
»Sie sind noch früher in den Hafen gekommen, als du dachtest, o Belisar«, sprach Prokopius. Aber Belisar hatte sich jetzt wieder ganz in der Gewalt. »Nun hat der kecke Knabe Kriegsschiffe! nun wird er unerträglich werden. Jetzt muß ein Ende werden.« Er drückte den prächtigen Helm auf das majestätische Haupt: »Ich wollte der Stadt, der römischen Einwohner schonen: es geht nicht länger. Prokopius, geh und entbiete hierher die Feldherren Magnus, Demetrius und Constantianus, Bessas und Ennes, und Martinus, den Geschützmeister; ich will ihnen zu tun geben vollauf. Sie sollen ihres Sieges nicht froh werden, die Barbaren, sie sollen Belisar kennenlernen.«
[] Alsbald erschien im Zelte des Oberfeldherrn ein Mann, der trotz des Brustpanzers, den er trug, mehr einem Gelehrten als einem Krieger glich. Martinus, der große Mathematiker, war eine friedliche, sanfte Natur, die lange im stillen Studium des Euklid ihre Seligkeit gefunden. Er konnte kein Blut sehen und keine Blume knicken. Aber seine mathematischen und mechanischen Studien hatten ihn eines Tages dahin geführt, eine neue Wurfmaschine von furchtbarer Schleuderkraft, wie im Vorbeigehn, zu erfinden; er legte den Plan Belisar vor und dieser, entzückt, ließ ihn gar nicht mehr in sein Studierzimmer zurück, sondern schleppte ihn sofort zum Kaiser und zwang ihn, »Geschützmeister des Magister Militum per Orientem«, d.h. eben Belisars, zu werden; er erhielt einen glänzenden Sold und war kontraktlich verpflichtet, jedes Jahr eine neue Kriegsmaschine herzustellen. Mit Seufzen ersann nun der sanfte Mathematiker jene gräßlichen Zerstörungswerkzeuge, welche die Wälle der Festen, die Tore der Burgen niederschmetterten, unlöschbares Feuer in die Städte der Feinde Justinians schleuderten und Menschen zu vielen Tausenden niederrafften. Er hatte wohl jedes Jahr seine Freude an der mathematischen Aufgabe, die er in unermüdlichem Fleiß sich stellte: aber war nun die Aufgabe gelöst, so dachte er mit Schaudern an die Wirkungen seiner Gedanken. Mit trauriger Miene erschien er deshalb vor Belisar.
»Martine, Zirkeldreher,« rief dieser ihm zu, »jetzt zeige deine Kunst! Wie viele Katapulten, Ballisten, Wurfmaschinen im ganzen haben wir?« – »Dreihundertfünfzig, Herr!« – »Gut! Verteile sie um unsre ganze Belagerungslinie! Oben im Norden, bei der Porta Capuana und bei dem Kastell, die Mauerbrecher gegen die Wälle! Sie müssen nieder und wären sie Diamant. Vom Mittellager aus richte die Geschosse von oben, im Bogenwurf, in die Straßen der Stadt. Biete alle Kraft auf, setze keinen Augenblick aus, vierundzwanzig Stunden [] lang! Laß die Truppen sich ablösen. Laß alle Werkzeuge spielen.«
»Alle, Herr?« sprach Martinus. »Auch die neuen? Die Pyroballisten, die Brandgeschosse?« – »Auch die! die zumeist!« – »Herr, sie sind gräßlich! du kennst noch ihre Wirkung nicht.« – »Wohlan! Ich will sie kennenlernen und erproben.« – »An dieser herrlichen Stadt? An des Kaisers Stadt? Willst du Justinian einen Schutthaufen erobern?« Die Seele Belisars war edel und groß.
Er war unwillig über sich, über Martinus, über die Goten. »Kann ich denn anders?« zürnte er, »diese eisenköpfigen Barbaren, dieser tolldreiste Totila zwingen mich ja. Fünfmal hab' ich ihnen Ergebung angeboten. Es ist Wahnsinn! Nicht dreitausend Mann stecken in den Wällen. Beim Haupte Justinians! warum stehen die dreißigtausend Neapolitaner nicht auf und entwaffnen die Barbaren?«
»Sie fürchten wohl deine Hunnen ärger als ihre Goten,« meinte Prokop. »Schlechte Patrioten sind sie! Vorwärts Martinus! In einer Stunde muß es brennen in Neapolis.«
»In kürzerer Zeit,« seufzte der Geschützmeister, »wenn es denn doch sein muß. Ich habe einen kundigen Mann mitgebracht, der uns viel helfen kann und die Arbeit vereinfachen: er ist ein lebendiger Plan der Stadt. Darf ich ihn bringen?«
Belisar winkte und die Wache rief einen kleinen, jüdisch aussehenden Mann herein. »Ah, Jochem, der Baumeister!« sprach Belisar. »Ich kenne dich wohl, von Byzanz her. Du wolltest ja die Sophienkirche bauen. Was ward daraus?« – »Mit Eurer Gunst, Herr: nichts.« – »Warum nichts?«
»Mein Plan belief sich nur auf eine Million Zentenare Goldes: das war der kaiserlichen Heiligkeit zu wenig. Denn je mehr eine Christenkirche gekostet, desto heiliger und gottgefälliger ist sie. Ein Christ forderte das Doppelte und erhielt den Auftrag.«
[] »Aber ich sah dich doch bauen in Byzanz?«
»Ja, Herr, mein Plan gefiel dem Kaiser doch! Ich änderte ein wenig, nahm die Altarstelle heraus und baute ihm danach eine Reitschule.«
»Du kennst Neapolis genau? Von außen und innen?«
»Von außen und innen. Wie meinen Geldsack.«
»Gut, du wirst dem Strategen die Geschütze richten gegen die Wälle und in die Stadt. Die Häuser der Gotenfreunde müssen zuerst nieder. Vorwärts! mache deine Sache gut! sonst wirst du gepfählt. Fort!« – »Die arme Stadt!« seufzte Martinus. »Aber du sollst sehen, Jochem, die Pyroballisten, sie sind höchst genau – und sie gehen so leicht – ein Kind kann sie loslassen! Und sie wirken allerliebst.«
Und nun begann entlang dem ganzen Lager eine ungeheure und verderbenschwangere Tätigkeit. Die Gotenwachen auf den Zinnen sahen herab, wie die schweren Kolosse, die Maschinen, mit zwanzig bis dreißig Rossen, Kamelen, Eseln, Rindern bespannt, längs den Mauern hingezogen und auf der ganzen Linie verteilt wurden. Besorgt eilten Totila und Uliaris auf die Wälle und suchten, Gegenmaßregeln zu treffen. Säcke mit Erde wurden an den von den Mauerbrechern bedrohten Stellen herabgelassen: Feuerbrände bereitgehalten, die Maschinen, wann sie nahten, in Brand zu stecken; siedendes Wasser, Pfeile, und Steine gegen die Bespannung und die Bedienung gerichtet: und schon lachten die Goten der feigen Feinde, als sie bemerkten, wie die Maschinen, weit außer der gewohnten Schußweite und den Belagerten völlig unerreichbar, Halt machten.
Aber Totila lachte nicht.
Er erschrak, wie die Byzantiner ruhig die Bespannung abschirrten und ihre Maschinen spannten. Noch war kein Geschoß entsandt.
»Nun?« spottete der junge Agila neben Totila, »wollen sie [] uns von da aus beschießen? Doch lieber gleich von Byzanz her übers Meer! Es wäre noch sicherer!« Er hatte noch nicht ausgeredet, als ein vierzigpfündiger Stein ihn und die ganze Zinne, auf der er stand, herunterschmetterte: Martinus hatte die Tragweite der Ballisten verdreifacht. Totila sah ein, daß sie völlig widerstandslos sich von den Feinden mit Geschossen überhageln lassen mußten.
Entsetzt sprangen die Goten von den Wällen herab und suchten Schutz in den Straßen, den Häusern, den Kirchen. Vergebens! Tausende und Tausende von Pfeilen, Speeren, schweren Balken, Steinen, Steinkugeln, sausten und pfiffen im sichern Bogenschuß auf ihre Köpfe: ganze Felstrümmer kamen geflogen und schlugen krachend durch Holzwerk und Getäfel der festesten Dächer, während im Norden, gegen das Kastell unaufhörlich der Sturmbock mit seinen zermürbenden Stößen donnerte. Indes der dichte Hagel der Geschosse buchstäblich die Luft verfinsterte, betäubte das prasselnde Niederfallen der Steine, das brechende Gebälk, die zerschmetterten Zinnen und der Weheschrei der Getroffenen das Ohr mit furchtbarem Lärm. Erschrocken flüchtete die zitternde Bevölkerung in die Keller und Gewölbe ihrer Häuser, Belisar und die Goten um die Wette verfluchend.
Aber noch hatte die bebende Stadt das Ärgste nicht erfahren.
Auf dem Marktplatz, dem Forum des Trajan, nahe dem Hafen, stand ein ungedecktes Haus, eine Art Schiffsarsenal, mit altem wohlgetrocknetem Holz, Werg, Flachs, Teer und dergleichen vollgefüllt. Da kam zischend und dampfend ein seltsames Geschoß gefahren, traf in das Holzwerk, und im Augenblick, da es niederfiel, schlug hellauflodernd die Flamme hervor und verbreitete sich, von dem Schiffsmaterial genährt, mit Windeseile. Jubelnd begrüßten draußen die Belagerer den hochaufwirbelnden Qualm und richteten eifrig die Geschosse nach der Stelle, das Löschen zu hindern.
[] Belisar ritt zu Martinus heran. »Gut,« rief er, »Mann der Zirkel, gut! Wer hat das Geschoß gerichtet?« – »Ich,« sprach Jochem, »o Ihr sollt zufrieden sein mit mir. Gebt ach! Seht Ihr da, rechts von der Brandstätte, das hohe Haus mit den Statuen auf flachem Dach? Das ist das Haus der Valerier, der größten Freunde des Volkes von Edom. Gebt acht! Es soll brennen.«
Und sausend fuhr der Brandpfeil durch die Luft, und bald darauf schlug eine zweite Flamme aus der Stadt gen Himmel.
Da sprengte Prokop heran und rief: »Belisarius, dein Feldherr Johannes läßt dich grüßen: das Kastell des Tiberius brennt, der erste Wall liegt nieder.« Und so war es, und bald standen vier, sechs, zehn Häuser in allen Teilen der Stadt in vollen Flammen.
»Wasser!« rief Totila, durch eine brennende Straße nach dem Hafen sprengend, »heraus, ihr Bürger von Neapolis! Löscht eure Häuser. Ich kann keinen Goten von dem Wall lassen. Schafft Fässer aus dem Hafen in alle Straßen! Die Weiber in die Häuser! – was willst du, Mädchen? laß mich – Du bist's, Miriam? Du hier? Unter Pfeilen und Flammen? Fort, was suchst du?«
»Dich,« sprach das Mädchen. »Erschrick nicht. Ihr Haus brennt. Aber sie ist gerettet.«
»Valeria! um Gott, wo ist sie?« – »Bei mir. In unserm dichtgewölbten Turm: dort ist sie sicher. Ich sah die Flammen aufsteigen. Ich eilte hin. Dein Freund mit der sanften Stimme trug sie aus dem Schutt: er wollte mit ihr in die Kirche. Ich rief ihn an und führte sie unter unser Dach. Sie blutet. Ein Stein hat sie verletzt, an der Schulter. Aber es ist ohne Gefahr. Sie will dich sehen. Ich kam, dich zu suchen!«
»Kind, Dank! Aber komm! komm fort von hier!«
Und rasch faßte er sie und schwang sie vor sich auf den Sattel. Zitternd schlang sie beide Arme um seinen Nacken.
[] Er aber hielt schützend mit der Linken den breiten Schild über ihr Haupt, und im Sturm sprengte er mit ihr durch die dampfende Straße nach der Porta Capuana.
»O jetzt – jetzt sterben – sterben an seiner Brust, wenn nicht mit ihm!« betete Miriam.
Im Turme traf er Valeria, auf Miriams Lager gestreckt, unter Julius' und ihrer Sklavinnen Hut. Sie war bleich und geschwächt vom Blutverlust, aber gefaßt und ruhig. Totila flog an ihre Seite: hochklopfenden Herzens stand Miriam am Fenster und sah schweigend hinaus in die brennende Stadt. – –
Kaum hatte sich Totila überzeugt, daß die Verwundung ganz leicht, als er aufsprang und rief: »Du mußt fort! sogleich! in dieser Stunde! In der nächsten vielleicht erstürmt Belisar die Wälle. Ich habe alle meine Schiffe nochmals mit Flüchtenden gefüllt: sie bringen dich nach Cajeta, von da weiter nach Rom. Eile dann nach Taginä, wo ihr Güter habt. Du mußt fort! Julius wird dich begleiten.«
»Ja,« sprach dieser, »denn wir haben Einen Weg.«
»Einen Weg? wohin willst du?«
»Nach Gallien, in meine Heimat. Ich kann den furchtbaren Kampf nicht länger mit ansehen. Du weißt es selbst: ganz Italien erhebt sich gegen euch, für eure Feinde: Meine Mitbürger fechten unter Belisar: soll ich gegen sie, soll ich gegen dich meinen Arm erheben? Ich gehe.«
Schweigend wandte sich Totila zu Valeria.
»Mein Freund,« sagte diese, »mir ist: der Glückstern unsrer Liebe ist erloschen für immer! Kaum hat mein Vater jenen Eid mit vor Gottes Thron genommen, so fällt Neapolis, die dritte Stadt des Reichs.«
»So traust du unserm Schwerte nicht?«
»Ich traue eurem Schwert, – nicht eurem Glück! Mit den stürzenden Balken meines Vaterhauses sah ich die Pfeiler [] meiner Hoffnung fallen. Leb wohl, zu einem Abschied für lange. Ich gehorche dir. Ich gehe nach Taginä.«
Totila und Julius eilten mit den Sklaven hinaus, Plätze in einer der Trieren zu sichern.
Valeria erhob sich vom Lager: da eilte Miriam herzu, ihr die glänzenden Sandalen unter die Füße zu binden.
»Laß, Mädchen! du sollst mir nicht dienen,« sprach Valeria. – »Ich tue es gern,« sagte diese flüsternd. »Aber gönne mir eine Frage.« Und mit Macht traf ihr blitzendes Auge die ruhigen Züge Valerias. »Du bist schön und klug und stolz – aber sage mir, liebst du ihn? – du kannst ihn jetzt verlassen! – Liebst du ihn mit heißer, alles verzehrender, allgewaltiger Glut, liebst du ihn mit einer Liebe wie –«
Da drückte Valeria das schöne, glühende Haupt des Mädchens wie verbergend an ihre Brust: »Mit einer Liebe wie du? Nein, meine süße Schwester! Erschrick nicht! Ich ahnt' es längst nach seinen Berichten über dich. Und ich sah es klar bei deinem ersten Blick auf ihn. Sorge nicht; dein Geheimnis ist wohl gewahrt bei mir; kein Mann soll darum erfahren. Weine nicht, bebe nicht, du süßes Kind. Ich liebe dich sehr um dieser Liebe willen. Ich fasse sie ganz. Glücklich, wer, wie du, in seinem Gefühl ganz aufgehen kann im Augenblick. Mir hat ein feindlicher Gott den vorschauenden Sinn gegeben, der stets von der Stunde nach der Ferne blickt. Und so seh' ich vor uns dunkeln Schmerz und einen langen, finstern Pfad, der nicht in Licht endet. Ich kann dir aber den Stolz nicht lassen, daß deine Liebe edler sei als meine, weil sie hoffnungslos. Auch meine Hoffnung liegt in Schutt. Vielleicht wäre es sein Glück geworden, die duftige Rose deiner schönen Liebe zu entdecken: denn Valeria, – fürcht' ich – wird die Seine nie. Doch leb' wohl, Miriam! Sie kommen. Gedenke dieser Stunde. Gedenke mein als einer Schwester und habe Dank, Dank für deine schöne Liebe.«
[] Wie ein entdecktes Kind hatte Miriam gezittert und vor der Allesdurchschauenden fliehen wollen. Aber diese edle Sprache überwältigte die Scheu ihres Herzens: reich flossen die Tränen über die glühendroten Wangen: und heftig preßte sie, vor Scheu und Scham und Weinen bebend, das Haupt an der Freundin Brust.
Da hörte man Julius kommen, Valeria abzurufen.
Sie mußten sich trennen: nur einen einzigen raschen Blick aus ihren innigen Augen wagte Miriam auf der Römerin Antlitz. Dann sank sie rasch vor ihr nieder, umfaßte ihre Kniee, drückte einen brennenden Kuß auf Valerias kalte Hand und war im Nebengemach verschwunden.
Valeria erhob sich wie aus einem Traum und sah um sich.
Am Fenster in einer Vase duftete eine dunkelrote Rose.
Sie küßte sie, barg sie an ihrer Brust, segnete mit rascher Handbewegung die trauliche Stätte, die ihr ein Asyl geboten, und folgte dann rasch entschlossen Julius in einer gedeckten Sänfte nach dem Hafen, wo sie noch von Totila kurzen Abschied nahm, ehe sie mit Julius das Schiff bestieg. Alsbald drehte sich dieses mit mächtiger Wendung und rauschte zum Hafen hinaus.
Totila sah ihnen wie träumend nach.
Er sah Valeriens weiße Hand noch Abschied winken: er sah und sah den fliehenden Segeln nach, nicht achtend der Geschosse, die jetzt immer dichter in den Hafen zu rasseln begannen. Er lehnte an einer Säule und vergaß einen Augenblick die brennende Stadt und sich und alles.
Da weckte ihn der treue Thorismuth aus seinen Träumen.
»Komm, Feldherr,« rief ihm dieser zu, »überall such' ich dich: Uliaris will dich sprechen. – Komm, was starrst du hier in die See unter klirrenden Pfeilen?«
Totila raffte sich langsam auf: »Siehst du,« sagte er, »siehst du das Schiff? – Da fahren sie hin! –«
[] »Wer?« fragte Thorismuth.
»Mein Glück und meine Jugend,« sprach Totila und wandte sich, Uliaris zu suchen.
Dieser teilte ihm mit, daß er, Zeit zu gewinnen, soeben einen Waffenstillstand auf drei Stunden, den Belisar, um Unterhandlungen zu führen, angetragen, angenommen habe. »Ich werde nie übergeben! Aber wir müssen Ruhe haben, unsre Wälle zu flicken und zu stützen. Kömmt denn nirgends Entsatz? hast du noch keine Nachricht auf dem Seeweg vom König?«
»Keine.«
»Verflucht! Über sechshundert von meinen Goten sind vor den höllischen Geschossen gefallen. Ich kann gar die wichtigsten Posten nicht mehr besetzen! Wenn ich nur wenigstens noch vierhundert Mann hätte!«
»Nun,« sprach Totila nachsinnend, »die kann ich dir schaffen, denk' ich. In dem Castellum Aurelians, auf der Straße nach Rom, liegen vierhundertfünfzig Mann Goten. Sie haben bisher erklärt, vom König Theodahad den unsinnigen, aber strengen Befehl zu haben, nicht Neapolis zu verstärken. Aber jetzt in dieser höchsten Not! – Ich selbst will hin, während des Waffenstillstandes, und alles aufbieten, sie zu holen.«
»Geh nicht! du kommst erst nach Ablauf des Stillstandes zurück, und die Straße ist dann nicht mehr frei. Du kommst nicht durch.«
»Ich komme durch, mit Gewalt oder mit List: halte dich nur, bis ich zurück bin! Auf, Thorismuth, zu Pferd.«
Während Totila mit Thorismuth und wenigen Reitern zur Porta Capuana hinausjagte, war der alte Isak, der unermüdlich auf den Wällen ausgeharrt hatte, die Pause des Waffenstillstands benutzend, in seine Turmklause zurückgekehrt, die Tochter wiederzusehen und sich an Trank und Speise zu laben. Als Miriam Wein und Brot gebracht hatte und ängstlich [] dem Bericht Isaks von den Fortschritten der Feinde lauschte, erscholl ein hastiger, unsteter Schritt auf der Treppe und Jochem stand vor dem erstaunten Paar.
»Sohn Rachels, wo kommst du her zu übler Stunde, wie der Rabe vor dem Unglück? Wie kommst du herein? zu welchem Tor?« – »Das laß du meine Sorge sein. Ich komme, Vater Isak, noch einmal zu fordern deiner Tochter Hand: – zum letztenmal in diesem Leben.«
»Ist jetzt Zeit zu freien und Hochzeit zu machen?« fragte Isak unwillig, »die Stadt brennt, und die Straßen liegen voll Leichen.«
»Warum brennt die Stadt? warum liegen voll Leichen die Straßen? Weil die Männer von Neapolis halten zu dem Volk von Edom. Ja, jetzt ist Zeit zu freien. Gib mir dein Kind, Vater Isak, und ich rette dich und sie. Ich allein kann's.« Und er griff nach Miriams Arm.
»Du mich retten?« rief diese, mit Ekel zurücktretend. »Lieber sterben!«
»Ha, Stolze!« knirschte der grimmige Freier, »du ließest dich wohl lieber retten von dem blondgelockten Christen? Laß sehen, ob er dich retten wird, der Verfluchte, vor Belisar und mir. Ha, bei den langen, gelben Haaren will ich ihn durch die Straßen schleifen und spucken in sein bleich Gesicht.«
»Hebe dich hinweg, Sohn Rachels,« rief Isak, aufstehend und den Spieß fassend. »Ich merke, du hältst zu denen, die da draußen liegen! Aber das Horn ruft, ich muß hinab; das jedoch sag' ich dir: noch mancher unter euch wird rücklings fallen, eh' ihr steigt über diese morschen Mauern.«
»Vielleicht,« grinste Jochem, »fliegen wir drüber wie die Vögel der Luft. Zum letztenmal, Miriam, ich frage dich: laß diesen Alten, laß den verfluchten Christen: – ich sage dir, der Schutt dieser Wälle wird sie bald bedecken. Ich weiß, du hast ihn getragen im Herzen: – ich will dir's verzeihen, [] nur werde jetzt mein Weib.« Und wieder griff er nach ihrer Hand. – »Du mir meine Liebe verzeihn? Verzeihn, was so hoch über dir wie die leuchtende Sonne über dem schleichenden Wurm? Wär ich's wert, daß ihn je mein Auge gesehen, wenn ich dein Weib würde? Hinweg; hinweg von mir!«
»Ha,« rief Jochem, »zu viel, zu viel! Mein Weib – du sollst es nimmer werden! Aber winden sollst du dich in diesen Armen, und den Christen will ich dir aus dem blutenden Herzen reißen, daß es zucken soll in Verzweiflung. Auf Wiedersehen.«
Und er war aus dem Hause und alsbald aus der Stadt verschwunden.
Miriam, von bangen Gefühlen bedrängt, eilte ins Freie: es trieb sie zu beten: aber nicht in der dumpfen Synagoge: sie betete ja für ihn: und es drängte sie, zu seinem Gott zu beten. Sie wagte sich scheuen Fußes in die nahe Basilika Sankt Mariä, aus der man an Friedenstagen oft die Jüdin mit Flüchen verscheucht hatte. Aber jetzt hatten die Christen keine Zeit, zu fluchen.
Sie kauerte sich in eine dunkle Ecke des Säulenganges und vergaß in heißem Gebet bald sich selbst und die Stadt und die Welt: sie war bei ihm und bei Gott. –
Inzwischen verlief die letzte Stunde der Waffenruhe; schon neigte sich die Sonne dem Meeresspiegel zu. Die Goten flickten und stopften nach Kräften die zertrümmerten Mauerstellen, räumten den Schutt und die Toten aus dem Wege und löschten die Brände. Da lief die Sanduhr zum drittenmal ab, während Belisar vor seinem Zelte seine Heerführer versammelt hielt, des Zeichens der Übergabe auf dem Kastell des Tiberius harrend. »Ich glaub' es nicht!« flüsterte Johannes zu Prokop. »Wer solche Streiche tut, wie ich von jenem Alten gesehen, gibt die Waffen nicht ab. Es ist auch besser so: da gibt's einen tüchtigen Sturm und dann eine tüchtige Plünderung.«
[] Und auf der Zinne des Kastells erschien Graf Uliaris und schleuderte trotzig seinen Speer unter die harrenden Vorposten.
Belisar sprang auf. »Sie wollen ihr Verderben, die Trotzigen; wohlan, sie sollen's haben. Auf, meine Feldherrn, zum Sturm. Wer mir zuerst unsre Fahne auf den Wall pflanzt, dem geb' ich ein Zehntel der Beute.«
Nach allen Seiten eilten die Anführer auseinander: Ehrgeiz und Habsucht spornten sie. Eben bog Johannes um die zerstörten Bogen des Aquädukts, welchen Belisar durchbrochen, den Belagerten das Wasser zu entziehen, da rief ihn eine leise Stimme.
Schon dämmerte es so stark, daß er nur mit Mühe den Rufenden erkannte. »Was willst du, Jude?« rief Johannes eilig. »Ich habe keine Zeit! Es gilt harte Arbeit! Ich muß der erste sein in der Stadt.«
»Das sollt Ihr, Herr, ohne Arbeit, wenn Ihr mir folgt.«
»Dir folgen? weißt du einen Weg über die Mauer durch die Luft?«
»Nein! Aber unter der Mauer, durch die Erde. Und ich will ihn Euch zeigen, wenn Ihr mir tausend Solidi schenkt und ein Mädchen zur Beute zusprecht, das ich fordre.«
Johannes blieb stehen: »Was du willst, sei dein. Wo ist der Weg?« – »Hier!« sagte Jochem und schlug mit der Hand auf die Steine. – »Wie? die Wasserleitung? woher weißt du?« – »Ich habe sie gebaut. Ein Mann kann, gebückt, durchschleichen; es ist kein Wasser mehr drin. Eben komme ich auf diesem Wege aus der Stadt. Die Leitung mündet in einem alten Tempelhaus an der Porta Capuana; nimm dreißig Mann und folge mir.«
Johannes sah ihn scharf an. »Und wenn du mich verrätst?«
»Ich will zwischen euren Schwertern gehen. Lüge ich, so stoßt mich nieder.« – »Warte!« rief Johannes und eilte hinweg.
[] Fünftes Kapitel.
Bald darauf erschien Johannes wieder mit seinem Bruder Perseus und ungefähr dreißig entschlossenen armenischen Söldnern, die außer ihren Schwertern kurze Handbeile führten. »Wenn wir drin sind,« sprach Johannes, »reißest du, Perseus, das Ausfallpförtchen auf, rechts von der Porta Capuana, im Augenblick, da die andern unsre Fahne auf dem Wall entfalten. Auf dies Zeichen stürzen von außen meine Hunnen auf die Ausfallpforte. Aber wer hütet den Turm an der Porta? Den müssen wir haben.«
»Isak, ein großer Freund der Edomiten, der muß fallen.«
»Er fällt,« sprach Johannes und zog das Schwert: »Vorwärts!« Er war der erste, der in den Hohlgang der Wasserleitung stieg. »Ihr beiden, Paukaris und Gubazes, nehmt den Juden in die Mitte: beim ersten Verdacht – nieder mit ihm!«
Und so, bald auf allen Vieren kriechend, bald gebückt tastend, bei völliger Dunkelheit, rutschten und schlichen die Armenier ihm nach, sorgfältig jeden Lärm ihrer Waffen vermeidend: lautlos krochen sie vorwärts.
Plötzlich rief Johannes mit halber Stimme: »Faßt den Juden! Nieder mit ihm! – Feinde! Waffen! – – Nein, laßt!« rief er rasch, »es war nur eine Schlange, die vorüber rasselte! Vorwärts.«
»Jetzt zur Rechten!« sprach Jochem, »hier mündet die Wasserleitung in einen Tempelgang.«
»Was liegt hier? – Knochen – ein Skelett!«
»Ich halt's nicht länger aus! der Modergeruch erstickt mich! Hilfe!« seufzte einer der Männer.
»Laßt ihn liegen! vorwärts!« befahl Johannes. »Ich sehe einen Stern.« – »Das ist das Tageslicht in Neapolis,« sagte der Jude – »nun nur noch wenige Ellen.« –
[] Johannes' Helm stieß an die Wurzeln eines hohen Ölbaums, die sich im Atrium des Tempelhauses breit über die Mündung des Tempelgangs spannten.
Wir kennen den Baum.
Den Wurzeln ausweichend, stieß er den Helm hell klirrend an die Seitenwand: erschrocken hielt er an. Aber er hörte zunächst nur den heftigen Flügelschlag zahlreicher Tauben, die da hoch oben wild verscheucht aus den Zweigen der Olive flogen.
»Was war das?« fragte über ihm eine heisere Stimme. »Wie der Wind in dem alten Gestein wühlt!« Es war die Witwe Arria. »Ach Gott,« sprach sie, sich wieder vor dem Kreuze niederwerfend: »erlöse uns von dem Übel und laß die Stadt nicht untergehen, bis daß mein Jucundus wieder kommt! Wehe, wenn er ihre Spur und seine Mutter nicht mehr findet. O laß ihn wieder des Weges kommen, den er von mir gegangen: zeig ihn mir wieder, wie ich ihn diese Nacht gesehen, aufsteigend aus den Wurzeln des Baumes.«
Und sie wandte sich nach der Höhlung. »O! dunkler Gang, darin mein Glück verschwunden, gib mir's wieder heraus! Gott, führ' ihn mir zurück auf diesem Wege.« Sie stand mit gefalteten Händen gerade vor der Höhlung, die Augen fromm gen Himmel gewendet.
Johannes stutzte. »Sie betet!« sagte er, »soll ich sie im Gebet erschlagen?« – Er hielt inne; er hoffte, sie solle aufhören und sich wenden. »Das dauert zu lange: ich kann unserm Herrgott nicht helfen!« Und rasch hob er sich aus den Wurzeln heraus. Da schaute die Betende mit den halberblindeten Augen nieder; sie sah aus der Erde steigen eine schimmernde Mannesgestalt.
Ein Strahl der Verklärung spielte um ihre Züge. Selig breitete sie die Arme aus. »Jucundus!« rief sie.
Es war ihr letzter Hauch. Schon traf sie des Byzantiners Schwert ins Herz.
[] Ohne Weheruf, ein Lächeln auf den Lippen, sank sie auf die Blumen: – Miriams Blumen.
Johannes aber wandte sich und half rasch seinem Bruder Perseus, dann dem Juden und den ersten dreien seiner Krieger herauf. »Wo ist das Pförtchen?« – »Hier links, ich gehe zu öffnen!« Perseus wies die Krieger an. – »Wo ist die Treppe zum Turm!« – »Hier rechts,« sprach Jochem – es war die Treppe, die zu Miriams Gemach führte, wie oft war Totila hier hereingeschlüpft! – »still, der Alte läßt sich hören.«
Wirklich, Isak war es. Er hatte von oben Geräusch vernommen: er trat mit Fackel und Speer an die Treppe: »Wer ist da unten? bist du's, Miriam, wer kommt?« fragte er.
»Ich, Vater Isak,« antwortete Jochem, »ich wollte Euch nochmal fragen ...« – und er stieg katzenleise eine Stufe höher. Aber Isak hörte Waffen klirren.
»Wer ist bei dir?« rief er und trat vorleuchtend um die Ecke. Da sah er die Bewaffneten hinter Jochem kauern. »Verrat, Verrat!« schrie er, »stirb, Schandfleck der Hebräer!« Und wütend stieß er Jochem, der nicht zurück konnte, die breite Partisane in die Brust, daß dieser rücklings hinabstürzte. »Verrat!« schrie er noch einmal.
Aber gleich darauf hieb ihn Johannes nieder, sprang über die Leiche hinweg, eilte auf die Zinne des Turmes und entfaltete die Fahne von Byzanz. Da krachten unten Beilschläge: das Pförtchen fiel, von innen eingeschlagen, hinaus, und mit gellendem Jauchzen jagten – schon war es ganz dunkel geworden – die Hunnen zu Tausenden in die Stadt.
Da war alles aus.
Ein Teil stürzte sich mordend in die Straßen, ein Haufe brach die nächsten Tore ein, den Brüdern draußen Eingang schaffend.
Rasch eilte der alte Uliaris mit seinem Häuflein aus dem Kastell herbei: er hoffte, die Eingedrungenen noch hinauszutreiben, [] umsonst: ein Wurfspeer streckte ihn nieder. Und um seine Leiche fielen fechtend die zweihundert treuen Goten, die ihn noch umgaben.
Da, als sie die kaiserliche Fahne auf den Wällen flattern sahen, erhoben sich – unter Führung alter Römerfreunde, wie Stephanos und Antiochos des Syrers – ein eifriger Anhänger der Goten, Kastor, der Rechtsanwalt, ward, da er sie hemmen wollte, erschlagen – auch die Bürger von Neapolis: sie entwaffneten die einzelnen Goten in den Straßen und schickten, glückwünschend und dankend und ihre Stadt der Gnade empfehlend, eine Gesandtschaft an Belisar, der, von seinem glänzenden Stab umgeben, zur Porta Capuana hereinritt.
Aber finster furchte er die majestätische Stirn und ohne seinen Rotscheck anzuhalten, sprach er: »Fünfzehn Tage hat mich Neapolis aufgehalten. Sonst lag ich längst vor Rom, ja vor Ravenna. Was glaubt ihr, daß das dem Kaiser an Recht und mir an Ruhm entzieht? Fünfzehn Tage lang hat sich eure Feigheit, eure schlechte Gesinnung von einer handvoll Barbaren beherrschen lassen. Die Strafe für diese fünfzehn Tage seien nur fünfzehn Stunden – Plünderung. Ohne Mord: – die Einwohner sind Kriegsgefangene des Kaisers – ohne Brand: denn die Stadt ist jetzt eine Feste von Byzanz. Wo ist der Führer der Goten? Tot?«
»Ja,« sprach Johannes, »hier ist sein Schwert, Graf Uliaris fiel.«
»Den meine ich nicht!« sprach Belisar. »Ich meine den jungen, den Totila. Was ward aus ihm? Ich muß ihn haben.«
»Herr,« sprach einer der Neapolitaner, der reiche Kaufherr Asklepiodot, vortretend, »wenn Ihr mein Haus und Warenlager von der Plünderung ausnehmt, will ich's Euch wohl sagen.«
[] Aber Belisar winkte: zwei maurische Lanzenreiter ergriffen den Zitternden. »Rebell, willst du mir Bedingungen machen? Sprich, oder die Folter macht dich sprechen.« – »Erbarmen! Gnade!« schrie der Geängstigte. »Der Seegraf eilte mit wenigen Reitern während der Waffenruhe hinaus, Verstärkung zu holen vom Castellum Aurelians: er kann jeden Augenblick zurückkehren.«
»Johannes,« rief Belisar, »der Mann wiegt so schwer wie ganz Neapolis. Wir müssen ihn fangen! Du hast, wie ich befahl, den Weg nach Rom abgesperrt? das Tor besetzt?«
»Es hat niemand nach dieser Richtung die Stadt verlassen können,« sprach Johannes.
»Auf! Blitzesschnell! wir müssen ihn hereinlocken!
Zieh rasch das gotische Banner auf dem Kastell des Tiberius wieder auf und auf der Porta Capuana. Die gefangenen Neapolitaner stelle wieder bewaffnet auf die Wälle: wer ihn warnt, mit einem Augenwinken, ist des Todes. Zieht meinen Leibwächtern gotische Waffen an. Ich selbst will dabei sein! dreihundert Mann in der Nähe des Tors. Man lasse ihn ruhig herein. Sowie er das Fallgitter hinter sich hat, läßt man's nieder. Ich will ihn lebend fangen. Er soll nicht fehlen beim Triumphzug in Byzanz.«
»Gib mir das Amt, mein Feldherr,« bat Johannes. »Ich schuld' ihm noch Vergeltung für einen Kernhieb.« Und er flog zurück zur Porta Capuana, ließ die Leichen und alle Spuren des Kampfes wegschaffen und traf sonst seine Maßregeln.
Da drängte sich eine verschleierte Gestalt heran: »Um der Güte Gottes willen,« flehte eine liebliche Stimme, »ihr Männer, laßt mich heran! Ich will ja nur seine Leiche, o gebt acht! sein weißer Bart! o mein Vater.« Es war Miriam, die der Lärm plündernder Hunnen aus der Kirche nach Hause gescheucht hatte. Und mit der Kraft der Verzweiflung schob sie [] die Speere zurück und nahm das bleiche Haupt Isaks in ihre Arme.
»Weg, Mädel!« rief der nächste Krieger, ein sehr langer Bajuvare, ein Söldner von Byzanz: – Garizo hieß er. »Halt uns nicht auf! wir müssen den Weg säubern! In den Graben mit dem Juden!«
»Nein, nein!« rief Miriam und stieß den Mann zurück.
»Weib!« schrie dieser zornig und hob das Beil.
Aber die Arme schützend über des Vaters Leiche breitend und mit leuchtenden Augen aufblickend blieb Miriam furchtlos stehen: – wie gelähmt hielt der Krieger inne: »Du hast Mut, Mädel!« sagte er, das Beil senkend. »Und schön bist du auch, wie die Waldfrau der Luisacha. Was kann ich dir Liebes tun? du bist ganz wundersam anzuschauen.« – »Wenn der Gott meiner Väter dein Herz gerührt,« bat Miriams herzgewinnende Stimme, »hilf mir die Leiche dort im Garten bergen – das Grab hat er sich lange selbst geschaufelt neben Sara, meiner Mutter, das Haupt gegen Osten.« – »Es sei!« sprach der Bajuvare und folgte ihr. Sie trug das Haupt, er faßte die Knie der Leiche: wenige Schritte führten sie in den kleinen Garten: da lag ein Stein unter Trauerweiden: der Mann wälzte ihn weg, und sie senkten die Leiche hinein, das Antlitz gegen Osten. –
Ohne Worte, ohne Tränen starrte Miriam in die Grube: sie fühlte sich so arm jetzt, so allein; mitleidig, leise schob der Bajuvare die Steinplatte darüber. »Komm!« sagte er dann. »Wohin?« fragte Miriam tonlos. »Ja, wohin willst du?« – »Das weiß ich nicht! – Hab Dank,« sprach sie und nahm ein Amulett vom Halse und reichte es ihm: es war von Gold, eine Schaumünze vom Jordan, aus dem Tempel.
»Nein!« sagte der Mann und schüttelte das Haupt.
Er nahm ihre Hand und legte sie über seine Augen.
»So,« sagte er, »das wird mir gut tun mein Leben lang. [] Jetzt muß ich fort, wir müssen den Grafen fangen, den Totila. Leb' wohl.«
Dieser Name schlug in Miriams Herz: – noch einen Blick warf sie auf das stille Grab und hinaus schlüpfte sie aus dem Gärtchen. Sie wollte zum Tore hinaus auf die Straße: aber das Fallgitter war gesenkt, an den Toren standen Männer mit gotischen Helmen und Schilden. Erstaunt sah sie um sich.
»Ist alles vollzogen, Chanaranges?« – »Alles, er ist so gut wie gefangen.« – »Horch, vor dem Wall, – Pferdegetrappel – sie sind's, zurück, Weib.«
Draußen aber sprengten einige Reiter die Straße heran gegen das Tor.
»Auf! auf, das Tor,« rief Totila von weitem. Da spornte Thorismuth sein Roß heran. »Ich weiß nicht, ich traue nicht!« rief er, »die Straße war wie ausgestorben und ebenso drüben das Lager der Feinde: kaum ein paar Wachtfeuer brennen.«
Da scholl von der Zinne ein Ruf des gotischen Hornes. »Der Bursch bläst ja gräßlich!« sprach Thorismuth zürnend. »Es wird ein Welscher sein,« meinte Totila. »Gebt die Losung,« rief's herab auf lateinisch. »Neapolis,« antwortete Totila entgegen. »Hörst du's? Uliaris hat die Bürger bewaffnen müssen. Auf das Tor! ich bringe frohe Kunde,« fuhr er fort zu den oben Aufgestellten, »vierhundert Goten folgen mir auf dem Fuß: und Italien hat einen neuen König.«
»Wer ist's?« fragte es leise drinnen. »Der auf dem weißen Roß, der erste.« Da sprangen die Torflügel auf, gotische Helme füllten den Eingang. Fackeln glänzten, Stimmen flüsterten.
»Auf mit dem Fallgitter,« rief Totila, dicht heranreitend. Spähend blickte Thorismuth vor, die Hand vor den Augen. »Sie haben gestern getagt zu Regeta,« fuhr Totila fort, »Theodahad ist abgesetzt, und Graf Witichis ...« –
Da hob sich langsam das Gitter und Totila wollte eben dem Roß den Sporn geben, da warf sich vor die Hufen seines [] Hengstes ein Weib aus der Reihe der Krieger. »Flieh,« rief sie, »Feinde über dir! die Stadt ist gefallen!« Aber sie konnte nicht vollenden: ein Lanzenstoß durchbohrte ihre Brust.
»Miriam!« schrie Totila entsetzt und riß sein Pferd zurück.
Doch Thorismuth, der längst Argwohn geschöpft, zerhieb, rasch entschlossen, mit dem Schwert, durch das Gitter hindurch, das haltende Seil, an dem das Tor auf und nieder ging, daß es dröhnend vor Totila niederschlug.
Ein Hagel von Speeren und Pfeilen fuhr durch das Gitter. »Auf das Gitter! Hinaus auf sie!« rief Johannes von innen: aber Totila wich nicht.
»Mirim, Miriam«, rief er im tiefstem Schmerz. Da schlug sie nochmal die Augen auf, mit einem brechenden, von Liebe und Schmerz verklärten Blick: – dieser Blick sagte alles: er drang tief in Totilas Herz. »Für dich!« hauchte sie und fiel zurück. – Da vergaß er Neapolis und die Todesgefahr. »Miriam,« rief er nochmals, beide Hände gegen sie ausbreitend. –
Da streifte ein Pfeil den Bug seines Pferdes, blitzschnell prallte das edle Tier hochbäumend zurück. Das Fallgitter fing an, sich zu heben: da faßte Thorismuth nach Totilas Zügel, riß das Pferd herum und gab ihm einen Schlag mit der flachen Klinge, daß es hinwegschoß. »Auf und davon, Herr,« rief er, »ja, sie müssen flink sein, die uns einholen.« Und brausend sprengten die Reiter auf der Via Capuana den Weg zurück, den sie gekommen; nicht weit verfolgte sie Johannes im Dunkel der Nacht und des Wegs unkundig. Bald begegnete ihnen die heranziehende Besatzung vom Kastell Aurelians: auf einem Hügel machten sie Halt, von wo man die Stadt mit ihren Zinnen, in dem Schein der byzantinischen Wachtfeuer auf den Wällen, liegen sah.
Erst jetzt raffte sich Totila aus seinem Schmerz, aus seiner Betäubung auf. »Uliaris!« seufzte er, »Miriam!« »Neapolis, [] – wir sehen uns wieder.« Und er winkte zum Aufbruch gen Rom.
Aber von Stund' an war ein Schatte gefallen in des jungen Goten Seele: mit dem heiligen Recht des Schmerzes hatte sich Miriam in sein Herz gegraben für immerdar.
Als Johannes mit den Reitern von seiner fruchtlosen Verfolgung heimkehrte, rief er, vom Pferde springend, mit wütiger Stimme: »Wo ist die Dirne, die ihn gewarnt? Werft sie vor die Hunde.« Und er eilte zu Belisar, das Mißgeschick zu melden.
Aber niemand wußte zu sagen, wohin der schöne Leichnam geraten. Die Rosse hätten sie zertreten, meinte die Menge. Aber einer wußte es besser: Garizo, der Bajuvare. Der hatte sie im Tumult sachte, wie ein schlafend Kind, auf seinen starken Armen davongetragen in das nahe Gärtchen, hatte die Steinplatte von dem kaum geschlossenen Grabe gewälzt und die Tochter sorglich an des Vaters Seite gelegt: dann hatte er sie still betrachtet.
Aus der Ferne scholl das Getöse der geplünderten Stadt, in der die Massageten Belisars, trotz seines Verbots, brannten und mordeten und sogar die Kirchen nicht verschonten, bis der Feldherr selbst, mit dem Schwert unter sie fahrend, Einhalt schuf. –
Es lag ein edler Schimmer auf ihrem Antlitz, daß er nicht wagte, wie er so gern gewollt, sie zu küssen. So legte er denn ihr Gesicht gegen Osten und brach eine Rose, die neben dem Grabe blühte, und legte sie ihr auf die Brust. Dann wollte er fort, seinen Teil an der Plünderung zu nehmen. Aber es ließ ihn nicht fort: er wandte sich wieder um. Und er hielt die Nacht über, an seinen Speer gelehnt, Totenwacht am Grabe des schönen Mädchens.
Er sah auf zu den Sternen und betete einen uralten heidnischen Totensegen, den ihn die Mutter daheim an der Luisacha [] gelehrt. Aber es war ihm nicht genug: andächtig betete er noch dazu ein christlich Vaterunser. Und als die Sonne emporstieg, schob er sorgfältig den Stein über das Grab und ging.
So war Miriam spurlos verschwunden.
Aber das Volk in Neapolis, das im stillen warm an Totila hing, erzählte, schönheitstrahlend sei sein Schutzengel herabgestiegen, ihn zu retten, und wieder aufgefahren gen Himmel.
Sechstes Kapitel.
Der Fall von Neapolis war erfolgt wenige Tage nach der Versammlung zu Regeta.
Und Totila stieß schon bei Formiä auf seinen Bruder Hildebad, den König Witichis mit einigen Tausendschaften schleunig abgesandt hatte, die Besatzung der Stadt zu verstärken, bis er selbst mit einem größeren Heere zum Entsatz herbeieilen könne. Wie jetzt die Dinge standen, konnten die Brüder nichts andres tun, als sich auf die Hauptmacht, nach Regeta, zurückziehen, wo Totila seinen traurigen Bericht von den letzten Stunden von Neapolis erstattete. Der Verlust der dritten Stadt des Reiches, des dritten Hauptbollwerks Italiens, mußte den ganzen Kriegsplan der Goten verändern.
Witichis hatte die zu Regeta versammelten Scharen gemustert: es waren gegen zwanzigtausend Mann. Diese, mit der kleinen Schar, die Graf Teja eigenmächtig zurückgeführt, waren im Augenblick die ganze verfügbare Macht: bis die starken Heere, die Theodahad weit weg nach Südgallien und Noricum, nach Istrien und Dalmatien entsendet, wiewohl sofort zur schnellen Rückkehr aufgefordert, einzutreffen vermochten, konnte ganz Italien verloren sein.
Gleichwohl hatte der König beschlossen, sich mit diesen zwanzig Tausendschaften in die Werke von Neapolis zu werfen [] und hier dem durch den Zufluß der Italier auf mehr als die dreifache Übermacht angeschwollenen Heere der Feinde bis zum Eintreffen der Verstärkungen Widerstand zu leisten. Aber jetzt, da jene feste Stadt in Belisars Hand gefallen, gab Witichis den Plan, sich ihm entgegenzustellen, auf. Sein ruhiger Mut war ebensoweit von Tollkühnheit wie von Zagheit entfernt.
Ja, der König mußte seiner Seele noch einen andern schmerzlicheren Entschluß abringen. Während in den Tagen nach dem Eintreffen Totilas in dem Lager vor Rom sich der Schmerz und der Grimm der Goten in Verwünschungen über den Verräter Theodahad, über Belisar, über die Italier Luft machte, während schon die kecke Jugend hier und da anhob, auf das Zaudern des Königs zu schelten, der sie nicht gegen diese Griechlein führen wolle, deren je vier auf einen Goten gingen, während der Ungestüm des Heeres schon über den Stillstand grollte, gestand sich der König mit schwerem Herzen die Notwendigkeit, noch weiter zurückzuweichen und selbst Rom vorübergehend preiszugeben.
Tag für Tag kamen Nachrichten, wie Belisars Heer anwachse: aus Neapolis allein führte er zehntausend Mann – als Geiseln zugleich und Kampfgenossen –, von allen Seiten strömten die Welschen zu seinen Fahnen: von Neapolis bis Rom war kein Waffenplatz fest genug, Schutz gegen solche Übermacht zu gewähren und die kleineren Städte an der Küste öffneten dem Feind mit Jubel die Tore.
Die gotischen Familien aus diesen Gegenden flüchteten in das Lager des Königs und berichteten, wie gleich am Tage nach dem Falle von Neapolis Cumä und Atella sich ergeben, darauf folgten Capua, Cajeta und selbst das starke Benevent. Schon standen die Vorposten Belisars, hunnische, sarazenische und maurische Reiter, bei Formiä. Das Gotenheer erwartete und verlangte eine Schlacht vor den Toren Roms.
Aber längst hatte Witichis die Unmöglichkeit erkannt, mit [] zwanzigtausend Mann einem Belisar, der bis dahin hunderttausend zählen konnte, im offnen Feld entgegenzutreten. Eine Zeitlang hegte er die Hoffnung, die mächtigen Befestigungen Roms, das stolze Werk des Cethegus, gegen die byzantinische Überflutung halten zu können, aber bald mußte er auch diesen Gedanken aufgeben.
Die Bevölkerung Roms zählte, dank dem Präfekten, mehr waffenfähige und waffengeübte Männer denn seit manchem Jahrhundert: und stündlich überzeugte sich der König, von welcher Gesinnung diese beseelt waren. Schon jetzt hielten die Römer kaum noch ihren Haß wider die Barbaren zurück: es blieb nicht bei feindlichen und höhnischen Blicken: schon konnten sich Goten in den Straßen nur in guter Bewaffnung und großen Scharen blicken lassen: täglich fand man vereinzelte gotische Wachen von hinten erdolcht.
Und Witichis konnte sich nicht verhehlen, daß diese Elemente des Volksgeistes gegliedert und geleitet waren von schlauen und mächtigen Häuptern: den Spitzen des römischen Adels und des römischen Klerus. Er mußte sich sagen, daß, sowie Belisar vor den Mauern erscheinen werde, das Volk von Rom sich erheben und mit dem Belagerer vereint die kleine gotische Besatzung erdrücken würde.
So hatte Witichis den schweren Entschluß gefaßt, Rom, ja ganz Mittelitalien aufzugeben, sich nach dem festen und verlässigen Ravenna zu werfen, hier die mangelhaften Rüstungen zu vollenden, alle gotischen Streitkräfte an sich zu ziehen und dann mit einem gleichstarken Heere den Feind aufzusuchen.
Er war ein Opfer, dieser Entschluß.
Denn auch Witichis hatte sein redlich Teil der germanischen Rauflust, und es war seinem Mut eine herbe Zumutung, anstatt frisch draufloszuschlagen, zurückweichend seine Verteidigung zu suchen. Aber noch mehr. Nicht rühmlich war es für den König, der um seiner Tapferkeit willen auf den [] Thron des feigen Theodahad gehoben worden, wenn er sein Regiment mit schimpflicher Flucht begann: er hatte Neapolis verloren in den ersten Tagen seiner Herrschaft: sollte er jetzt freiwillig Rom, die Stadt der Herrlichkeiten, sollte er mehr als die Hälfte von Italien preisgeben? Und wenn er seinen Stolz bezwang um des Volkes willen, – wie mußte das Volk von ihm denken? Diese Goten mit ihrem Ungestüm, ihrer Verachtung der Feinde! Konnte er irgend hoffen, ihren Gehorsam zu erzwingen? Denn ein germanischer König hatte mehr zu raten, vorzuschlagen, als zu befehlen und zu gebieten. Schon mancher germanische König war von seinem Volksheer wider seinen Willen zu Kampf und Niederlage gezwungen worden. Er fürchtete ein Gleiches: und schweren Herzens wandelte er einst des Nachts im Lager zu Regeta in seinem Zelte auf und ab.
Da nahten hastige Schritte und der Vorhang des Zeltes ward aufgerissen: »Auf, König der Goten,« rief eine leidenschaftliche Stimme, »jetzt ist nicht Zeit zu schlafen!« – »Ich schlafe nicht, Teja,« sprach Witichis, »seit wann bist du zurück? Was bringst du?« – »Eben schritt ich ins Lager, der Tau der Nacht ist noch auf mir. Wisse zuerst: sie sind tot.« – »Wer?« – »Der Verräter und die Mörderin!« – »Wie? du hast sie beide erschlagen?« – »Ich schlage keine Weiber. Theodahad, dem Schandkönig, folgte ich zwei Tage und zwei Nächte. Er war auf dem Weg nach Ravenna, er hatte starken Vorsprung. Aber mein Haß war noch rascher als seine Todesangst. Schon bei Narnia holte ich ihn ein: zwölf Sklaven begleiteten seine Sänfte: sie hatten nicht Lust, für den Elenden zu sterben: sie warfen die Fackeln weg und flohn.
Ich riß ihn aus der Sänfte und drückte ihm sein eigenes Schwert in die Faust: er aber fiel nieder, bat um sein Leben und führte zugleich einen heimtückischen Stoß nach mir. Da schlug ich ihn, wie ein Opfertier: mit drei Streichen. Einen [] für das Reich: und zwei für meine Eltern. Und ich hing ihn an seinem goldenen Gürtel auf, an der offenen Heerstraße, an einem dürren Eibenbaum: da mag er hangen, ein Fraß für die Vögel des Himmels, eine Warnung für die Könige der Erde.«
»Und was ward aus ihr?«
»Sie fand ein schrecklich Ende!« sprach Teja schaudernd.
»Als ich von hier nach Rom kam, wußte man nur, daß sie verschmäht, den Feigling zu begleiten: er floh allein. Gothelindis aber rief seine kappadokische Leibwache zusammen und verhieß den Männern goldne Berge, wenn sie zu ihr halten und mit ihr nach Dalmatien und in das feste Salona sich werfen wollten.
Die Söldner schwankten und wollten erst das verheißne Gold sehen. Da versprach Gothelindis, es zu bringen und ging. Seitdem war sie verschwunden. Wie ich wieder durch Rom kam, war sie freilich gefunden.« – »Nun?« – »Sie hatte sich in die Katakomben gewagt, allein, ohne Führer, einen dort vergrabnen Schatz zu holen. Sie muß sich in diesem Labyrinth verirrt haben, sie fand den Ausgang nicht mehr. Suchende Söldner trafen sie noch lebend: ihre Fackel war nicht herabgebrannt, sondern fast völlig erhalten: sie mußte alsbald erloschen sein, nachdem sie die Höhlung beschritten. Wahnsinn sprach aus ihrem Blick: lange Todesangst, Verzweiflung haben dieses böse Weib zermürbt: sie starb, sowie sie ans Tageslicht gebracht war.«
»Schrecklich!« rief Witichis. – »Gerecht!« sagte Teja. »Aber höre weiter.«
Eh' er beginnen konnte, eilten Totila, Hildebad, Hildebrand und andre gotische Führer ins Zelt: »Weiß er's?« fragte Totila. – »Noch nicht,« sagte Teja. – »Empörung!« rief Hildebad! »Empörung! Auf, König Witichis, wehre dich deiner Krone! Lege dem Knaben das Haupt vor die Füße.« –
[] »Was ist geschehn?« fragte Witichis ruhig.
»Graf Arahad von Asta, der eitle Laffe, hat sich empört. Er ist gleich nach deiner Wahl davongeritten gegen Florentia, wo sein älterer Bruder, der stolze Herzog von Tuscien, Guntharis, haust und herrscht. Da haben die Wölsungen viel Anhang gefunden, haben die Goten überall aufgerufen gegen dich zum Schutz der, ›Königslilie‹, wie sie sie nennen: Mataswintha sei die Erbin der Krone. Sie haben sie als Königin ausgerufen. Sie weilte in Florentia, fiel also gleich in ihre Gewalt. Man weiß nicht, ist sie Guntharis' Gefangene oder Arahads Weib. Nur das weiß man, daß sie avarische und gepidische Söldner geworben, den ganzen Anhang der Amaler und ihre ganze Sippe und Gefolgschaft, zu all dem großen Anhang der Wölsungen, bewaffnet haben. Dich schelten sie den Bauernkönig: sie wollen Ravenna gewinnen!«
»O schicke mich nach Florentia mit nur drei Tausendschaften!« rief Hildebad zornig. »Ich will dir diese Königin der Goten samt ihrem adeligen Buhlen in einem Vogelkäfig gefangen bringen.«
Aber die andern machten besorgte Gesichter. »Es sieht finster her!« sprach Hildebrand. »Belisar mit seinen Hunderttausenden vor uns: im Rücken das schlangenhafte Rom, – all' unsre Macht noch fünfzig Meilen fern – und jetzt noch Bruderkrieg und Aufruhr im Herzen des Reiches! der Donner schlag' in dieses Land.«
Aber Witichis blieb ruhig und gefaßt wie immer. Er strich mit der Hand über die Stirn. »Es ist vielleicht gut so,« sagte er dann. »Jetzt bleibt uns keine Wahl. Jetzt müssen wir zurück.« – »Zurück?« fragte Hildebrand zürnend. – »Ja! Wir dürfen keinen Feind im Rücken lassen. Morgen brechen wir das Lager ab und gehn ...« – »Gegen Neapolis vor?« sagte Hildebad. »Nein! Zurück nach Rom! Und weiter, nach Florentia, nach Ravenna! Der Brand der Empörung [] muß zertreten sein, eh' er noch recht entglommen.« – »Wie? du weichst vor Belisar zurück?« – »Ja, um desto stärker vorzugehen, Hildebad! Auch die Bogensehne spannt die Kraft zurück, den tödlichen Pfeil zu schnellen.« – »Nimmermehr!« sprach Hildebad, »das kannst – das darfst du nicht.«
Aber ruhig trat Witichis auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter: »Ich bin dein König. Du hast mich selbst gewählt. Hell klang vor andern dein Ruf: Heil König Witichis! Du weißt es, Gott weiß es: nicht ich habe die Hand ausgestreckt nach dieser Krone! Ihr habt sie mir auf das Haupt gedrückt: nehmt sie herunter, wenn ihr sie mir nicht mehr anvertraut. Aber solang ich sie trage, traut mir und gehorcht: sonst seid ihr mit mir verloren.«
»Du hast recht,« sagte der lange Hildebad und senkte das Haupt. »Vergib mir! Ich mach' es gut im nächsten Gefecht.«
»Auf, meine Feldherrn,« schloß Witichis, den Helm aufsetzend, »du, Totila, eilst mir in wichtiger Sendung zu den Frankenkönigen nach Gallien: ihr andern, fort zu euren Scharen, brecht das Lager ab: mit Sonnenaufgang geht's nach Rom.«
Siebentes Kapitel.
Wenige Tage darauf, am Abend des Einzugs der Goten in Rom, finden wir die jungen »Ritter«: Lucius und Marcus Licinius, Piso, den Dichter, Balbus, den Feisten, Julianus, den jungen Juristen, bei Cethegus, dem Präfekten, in vertrautem Gespräch.
»Das also ist die Liste der blinden Anhänger des künftigen Papstes Silverius, meiner schlimmsten Argwöhner? Ist sie vollständig?« – »Sie ist es. Es ist ein hartes Opfer,« rief Lucius Licinius, »das ich dir bringe, Feldherr. Hätt' ich gleich, wie das Herz mich antrieb, Belisar aufgesucht, ich hätte jetzt [] schon Neapolis mit belagert und bestürmt, statt daß ich hier die Katzentritte der Priester belausche und die Plebejer marschieren und in Manipeln schwenken lehre.« – »Sie lernen's doch nie wieder,« meinte Marcus.
»Geduldet euch,« sagte Cethegus ruhig, ohne von einer Papyrusrolle aufzublicken, die er in der Hand hielt. »Ihr werdet euch bald genug und lang genug mit diesen gotischen Bären balgen dürfen. Vergeßt nicht, daß das Raufen doch nur Mittel ist, nicht Zweck.«
»Weiß nicht,« zweifelte Lucius.
»Die Freiheit ist der Zweck und Freiheit fordert Macht,« sprach Cethegus; »wir müssen diese Römer wieder an Schild und Schwert gewöhnen, sonst –« der Ostiarius meldete einen gotischen Krieger. Unwillige Blicke tauschten die jungen Römer.
»Laß ihn ein!« sprach Cethegus, seine Schreibereien in einer Kapsel bergend. Da eilte ein junger Mann im braunen Mantel der gotischen Krieger, einen gotischen Helm auf dem Haupt, herein und warf sich an des Präfekten Brust.
»Julius!« sprach dieser kalt zurücktretend. »Wie sehn wir uns wieder! Bist du denn ganz ein Barbar geworden. Wie kamst du nach Rom?«
»Mein Vater, ich geleite Valeria unter gotischem Schutz: ich komme aus dem rauchenden Neapolis.« – »Ei,« grollte Cethegus, »hast du mit deinem blonden Freund gegen Italien gestritten? Das steht einem Römer gut! Nicht wahr, Lucius?« – »Ich habe nicht gefochten und werde nicht fechten in diesem Krieg, dem unseligen. Weh denen, die ihn entzündet.«
Cethegus maß ihn mit kalten Blicken. »Es ist unter meiner Würde und über meiner Geduld, einem Römer die Schande solcher Gesinnung vorzuhalten. Wehe, daß ein solcher Abtrünniger, mein Julius. Schäme dich vor diesen deinen Altersgenossen. Seht, römische Ritter, hier ist ein Römer ohne Freiheitsdurst, ohne Zorn auf die Barbaren!«
[] Aber ruhig schüttelte Julius das Haupt. »Du hast sie noch nicht gesehen, die Hunnen und Massageten Belisars, die euch die Freiheit bringen sollen. Wo sind denn die Römer, von denen du sprichst? Hat sich Italien erhoben, seine Fesseln abzuwerfen? Kann es sich noch erheben? Justinian kämpft mit den Goten, nicht wir. Wehe dem Volk, das ein Tyrann befreit.«
Cethegus gab ihm im geheimen recht, aber er wollte solche Worte nicht billigen vor Fremden: »Ich muß allein mit diesem Philosophen disputieren. Berichtet mir, wenn bei den Frommen etwas geschieht.«
Und die Kriegstribunen gingen, mit verächtlichen Blicken auf Julius.
»Ich möchte nicht hören, was die von dir reden!« sagte Cethegus ihnen nachsehend. – »Das gilt mir gleich. Ich folge meinen eignen und nicht fremden Gedanken.« – »Er ist Mann geworden«, sagte Cethegus zu sich selbst.
»Und meine tiefsten und besten Gedanken, die diesen Krieg verfluchen, führen mich hierher. Ich komme, dich zu retten und zu entführen aus dieser schwülen Luft, aus dieser Welt von Falschheit und Lüge. Ich bitte dich, mein Freund, mein Vater: folge mir nach Gallien.« – »Nicht übel,« lächelte Cethegus. »Ich soll Italien aufgeben im Augenblick, da die Befreier nahen! Wisse: ich war es, der sie herbeigerufen, ich habe diesen Kampf entfacht, den du verfluchst.« – »Ich dacht' es wohl,« sprach Julius schmerzlich. »Aber wer befreit uns von den Befreiern, wer endet diesen Kampf?«
»Ich,« sprach Cethegus ruhig und groß. »Und du, mein Sohn, sollst mir dabei helfen. Ja, Julius, dein väterlicher Freund, den du so kalt und nüchtern schiltst, hat auch eine begeisterte Schwärmerei, wenn auch nicht für Mädchenaugen und gotische Freundschaften. Laß diese Knabenspiele jetzt, du bist ein Mann. Gib mir die letzte Freude meines öden Lebens [] und sei der Genosse meiner Kämpfe und der Erbe meiner Siege! Es gilt Rom, Freiheit, Macht! Jüngling, können dich diese Worte nicht rühren? Denk dir,« fuhr er, wärmer werdend, fort, »diese Goten, diese Byzantiner – ich hasse sie wie du – die einen durch die andern erschöpft, aufgerieben, und über den Trümmern ihrer Macht erhebt sich Italien, Rom in alter Herrlichkeit! Auf dem kapitolinischen Hügel thront wieder der Herrscher über Morgen- und Abendland: eine neue römische Weltherrschaft, stolzer, als sie dein cäsarischer Namensvetter geträumt, verbreitet Zucht, Segen und Frucht über die Erde ...« –
»Und der Herrscher dieses Weltreichs heißt Cethegus Cäsarius!«
»Ja – und nach ihm: Julius Montanus! Auf, Julius, du bist kein Mann, wenn dich dies Ziel nicht lockt!«
Julius sprach bewundernd: »Mir schwindelt! Das Ziel ist sternenhoch: aber deine Wege, sie sind nicht gerade. Ja, wären sie gerade, bei Gott, ich teilte deinen Gang.
Ja, rufe die römische Jugend zu den Waffen, herrsche beiden Barbarenheeren zu: ›Räumt das heilige Latium!‹, führe einen offnen Krieg gegen die Barbaren und gegen die Tyrannen: und an deiner Seite will ich stehen und fallen!« – »Du weißt recht gut, daß dieser Weg unmöglich ist.« – »Und deshalb – ist's dein Ziel!« – »Tor, erkennst du nicht, daß es gewöhnlich ist, aus gutem Stoff ein Gebilde fertigen, daß es aber göttlich ist, aus dem Nichts, nur mit eigner schöpferischer Kraft, eine neue Welt schaffen.« – »Göttlich? durch List und Lüge? Nein.« – »Julius,« – »Laß mich offen sprechen, deshalb bin ich gekommen.
O könnt' ich dich zurückrufen von dem dämonischen Pfade, der dich sicher in Nacht und Verderben führt. Du weißt, – wie ich dein Bild verehre und liebe. Es will mir nicht stimmen zu dieser Verehrung, was Griechen, Goten, Römer von dir flüstern.«
[] »Was flüstern sie?« fragte Cethegus stolz.
»Ich mag's nicht denken: aber alles, was in diesen Zeiten Furchtbares geschehen: Athalarichs, Kamillas, Amalaswinthens Untergang, der Byzantiner Landung, du wirst dabei genannt, wie der Dämon, der alles Böse schafft. Sage mir, schlicht und treu, daß du frei bist von dunkeln –«
»Knabe!« fuhr Cethegus auf, »willst du mir zur Beichte sitzen und zu Gericht? Lerne erst das Ziel begreifen, eh' du die Mittel schiltst.
Meinst du, man baut die Weltgeschichte aus Rosen und Lilien? Wer das Große will, muß das Große tun, nennen's die Kleinen gut oder schlecht.« – »Nein und dreimal nein! ruft dir mein ganzes Herz entgegen. Fluch dem Ziel, zu dem nur Frevel führen. Hier scheiden sich unsre Pfade.«
»Julius, geh' nicht! Du verschmähst, was noch nie einem Sterblichen geboten ward. Laß mich einen Sohn haben, für den ich ringe, dem ich die Erbschaft meines Lebens hinterlassen kann.« – »Fluch und Lüge und Blut kleben daran. Und sollt' ich sie schon jetzt antreten: – ich will sie nie! Ich gehe, daß sich dein Bild nicht noch mehr vor mir verdunkle. Aber ich flehe dich um Eins: wann der Tag kommt (und er wird kommen), da dich ekelt all' des Blutes und des frevlen Trachtens und des Zieles selbst, das solche Taten fordert, – – dann rufe mir: ich will herbeieilen, wo immer ich sei, und will dich losringen und loskaufen von den dämonischen Mächten und sei's um den Preis meines Lebens.«
Leichter Spott zuckte zuerst um des Präfekten Lippe, aber er dachte: »Er liebt mich noch immer. Gut, ich werde ihn rufen, wenn das Werk vollendet: laß sehen, ob er ihm dann widerstehen kann, ob er den Thron des Erdkreises ausschlägt.« – »Wohl,« sagte er, »ich werde dich rufen, wenn ich dein bedarf. Leb' wohl.« Und mit kalter Handbewegung entließ er den Heißbewegten.
[] Aber als die Türe hinter ihm zugefallen, nahm der eisige Präfekt ein kleines Relief von getriebenem Erz aus einer Kapsel und betrachtete es lang. Dann wollte er es küssen. Aber plötzlich flog der höhnische Zug wieder um seine Lippen. »Schäme dich vor Cäsar, Cethegus,« sagte er, und legte das Medaillon wieder in die Kapsel. Es war ein Frauenkopf und Julius sehr ähnlich.
Achtes Kapitel.
Inzwischen war es dunkler Abend geworden. Der Sklave brachte die zierliche Bronzelampe, korinthische Arbeit: ein Adler, der im Schnabel den Sonnenball trägt, gefüllt mit persischem Duftöl. »Ein gotischer Krieger steht draußen, Herr, er will dich allein sprechen. Er sieht sehr unscheinbar aus. Soll er die Waffen ablegen?« »Nein,« sagte Cethegus, »wir fürchten die Barbaren nicht. Laß ihn kommen.« Der Sklave ging und Cethegus legte die Rechte an den Dolch im Busen seiner Tunika.
Ein stattlicher Gote trat ein, die Mantelkapuze über den Kopf geschlagen: er warf sie jetzt zurück.
Cethegus trat erstaunt einen Schritt näher. »Was führt den König der Goten zu mir?«
»Leise!« sprach Witichis. »Es braucht niemand zu wissen, was wir beide verhandeln. Du weißt: seit gestern und heute ist mein Heer von Regeta in Rom eingezogen. Du weißt noch nicht, daß wir Rom morgen wieder räumen werden.«
Cethegus horchte hoch auf.
»Das befremdet dich?« – »Die Stadt ist fest,« sagte Cethegus ruhig. »Ja, aber nicht die Treue der Römer. Benevent ist schon abgefallen zu Belisar. Ich habe nicht Lust, mich zwischen Belisar und euch erdrücken zu lassen.«
Vorsichtig schwieg Cethegus, er wußte nicht, wo das hinaus [] sollte. »Weshalb bist du gekommen, König der Goten?« – »Nicht um dich zu fragen, wie weit man den Römern trauen kann. Auch nicht, um zu klagen, daß wir ihnen so wenig trauen können, die doch Theoderich und seine Tochter mit Wohltaten überhäuft; sondern um grad und ehrlich ein paar Dinge mit dir zu schlichten, zu eurem wie zu unsrem Frommen.«
Cethegus staunte. In der stolzen Offenheit dieses Mannes lag etwas, das er beneidete. Er hätte es gern verachtet. »Wir werden Rom verlassen: und alsbald werden die Römer Belisar aufnehmen. Das wird so kommen. Ich kann's nicht hindern. Man hat mir geraten, die Häupter des Adels als Geiseln mit hinwegzuführen.«
Cethegus erschrak und hatte Mühe, das zu verbergen.
»Dich vor allen, den Princeps Senatus.« – »Mich!« lächelte Cethegus. – »Ich werde dich hier lassen. Ich weiß es wohl: du bist die Seele von Rom.«
Cethegus schlug die Augen nieder. »Ich nehme das Orakel an,« dachte er.
»Aber eben deshalb laß ich dich hier. Hunderte, die sich Römer nennen, wollen die Byzantiner zu ihren Herren, – du, du willst das nicht.« Cethegus sah ihn fragend an.
»Täusche mich nicht! Wolle mich nicht täuschen. Ich bin der Mann verschlagner Künste nicht. Aber mein Auge sieht der Menschen Art. Du bist zu stolz, um Justinian zu dienen. Ich weiß, du hassest uns. Aber du liebst auch diese Griechen nicht und wirst sie nicht länger hier dulden als du mußt. Deshalb laß ich dich hier: vertritt du Rom gegen die Tyrannen: ich weiß, du liebst die Stadt.«
Es war etwas an diesem Mann, das Cethegus zum Staunen zwang. »König der Goten,« sagte er, »du sprichst klar und groß wie ein König, ich danke dir. Man soll nicht sagen von [] Cethegus, daß er die Sprache der Größe nicht versteht. Es ist, wie du sagst: ich werde mein Rom nach Kräften römisch erhalten.«
»Gut,« sagte Witichis, »sieh, man hat mich gewarnt vor deiner Tücke: ich weiß viel von deinen schlauen Plänen: ich ahne noch mehr: und ich weiß, daß ich gegen Falschheit keine Waffe habe. Aber du bist kein Lügner. Ich wußte, ein männlich Wort ist unwiderstehlich bei dir: und Vertrauen entwaffnet einen Feind, der ein Mann.«
»Du ehrst mich, König der Goten.«
»Ich will dich warnen: weißt du, wer die wärmsten Freunde Belisars?« – »Ich weiß es: Silverius und die Priester.« – »Richtig. Und weißt du, daß Silverius, sowie der alte Papst Agapetus gestorben, den Bischofsstuhl von Rom besteigen wird?«
»So hör' ich.«
»Man riet mir, auch ihn als Geisel fortzuführen. Ich werd' es nicht tun. Die Italier hassen uns genug. Ich will nicht noch in das Wespennest der Pfaffen stoßen. Ich fürchte die Märtyrer.«
Aber Cethegus wäre den Priester gern losgeworden. »Er wird gefährlich auf dem Stuhl Petri,« meinte er.
»Laß ihn nur! Der Besitz dieses Landes wird nicht durch Priesterkunst entschieden.« – »Wohlan,« sprach Cethegus, die Papyrusrolle vorzeigend, »ich habe hier die Namen seiner wärmsten Freunde zufällig beisammen. Es sind wichtige Männer.«
Er wollte ihm die Liste aufdringen und hoffte, die Goten sollten so seine gefährlichsten Feinde als Geiseln mitführen.
Aber Witichis wies ihn ab. »Laß das! Ich werde gar keine Geiseln nehmen. Was nützt es, ihnen die Köpfe abzuschlagen? Du, dein Wort soll mir für Rom bürgen.«
»Wie meinst du das? ich kann Belisar nicht abhalten.«
[] »Du sollst es nicht: Belisar wird kommen: aber verlaß dich drauf: er wird auch wieder gehn. Wir Goten werden diesen Feind bezwingen: vielleicht erst nach hartem Kampf: aber gewiß. Dann aber gilt es den zweiten Kampf um Rom.«
»Einen zweiten?« fragte Cethegus ruhig, »mit wem?«
Aber Witichis legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm ins Antlitz mit einem Auge wie die Sonne: »Mit dir, Präfekt von Rom!«
»Mit mir!« Und er wollte lächeln, aber er konnte nicht.
»Verleugne nicht dein Liebstes, Mann: es ist deiner nicht würdig. Ich weiß es, für wen du die Türme und Schanzen um diese Stadt erbaut: nicht für uns und nicht für die Griechen! für dich! Ruhig! Ich weiß, was du sinnest, oder ich ahn' es: kein Wort! Es sei! Sollen Griechen und Goten um Rom kämpfen und kein Römer? Aber höre: Laß nicht einen zweiten jahrelangen Krieg unsre Völker hinraffen.
Wenn wir die Byzantiner niedergekämpft, hinausgeworfen aus unserm Italien, – dann, Cethegus, will ich dich erwarten vor den Mauern Roms; nicht zur Schlacht unsrer Völker, – zum Zweikampf: Mann gegen Mann, du und ich, wir wollen's um Rom entscheiden.«
Und in des Königs Blick und Ton lag eine Größe, eine Würde und Hoheit, die den Präfekten verwirrte. Er wollte heimlich spotten der einfältigen Schlichtheit des Barbaren. Aber es war ihm, als könne er sich selbst nie mehr achten, wenn er diese Größe nicht zu achten, nicht zu ehren, nicht zu erwidern fähig sei. So sprach er ohne Spott: »Du träumst, Witichis, wie ein gotischer Knabe.«
»Nein, ich denke und handle wie ein gotischer Mann. Cethegus, du bist der einzige Römer, den ich würdige, so mit ihm zu reden. Ich habe dich fechten sehen im Gepidenkrieg: du bist meines Schwertes würdig. Du bist älter als ich, wohlan: ich gebe dir den Schild voraus!«
[] »Seltsam seid ihr Germanen,« sagte Cethegus unwillkürlich: »was für Phantasien!«
Aber jetzt furchte Witichis die offne Stirn: »Phantasien? Wehe dir, wenn du nicht fähig bist, zu fühlen, was aus mir spricht. Wehe dir, wenn Teja recht behält! Er lachte zu meinem Plan sprach: ›Das faßt der Römer nicht!‹ Und er riet mir, dich gefangen mitzufahren. Ich dachte größer von dir und Rom. Aber wisse: Teja hat dein Haus umstellt: und bist du so klein oder so feig, mich nicht zu fassen, – in Ketten führen wir dich aus deinem Rom. Schmach dir, daß man dich zwingen muß zur Ehre und zur Größe.«
Da ergrimmte Cethegus. Er fühlte sich beschämt. Jenes Ritterliche war ihm fremd und es ärgerte ihn, daß er es nicht verhöhnen konnte.
Es ärgerte ihn, daß man ihn mit Gewalt nötigte, daß man seiner freien Wahl mißtraut habe. Wütender Haß gegen Tejas Mißachtung wie gegen des Königs brutale Offenheit loderte in ihm auf. All diese Eindrücke rangen in ihm, er hätte gern den Dolch in des Germanen breite Brust gestoßen. Fast hätte er vorhin aus soldatischem Ehrgefühl im vollen Ernst sein Wort gegeben. Jetzt durchzuckte ihn ein davon sehr verschiedenes, unschönes Gefühl der Schadenfreude. Sie hatten ihm nicht getraut, die Barbaren: sie hatten ihn gering erachtet: nun sollten sie gewiß betrogen sein! Und mit scharfem Blick vortretend faßte er des Königs Hand. »Es gilt,« rief er.
»Es gilt,« sprach Witichis, fest seine Hand drückend.
»Mich freut es, daß ich recht behielt und nicht Teja. Leb wohl! hüte mir unser Rom. Von dir fordre ich es wieder in ehrlichem Kampf.« Und er ging.
»Nun,« sprach Teja draußen mit den andern Goten rasch vortretend, »soll ich das Haus stürmen?«
»Nein,« sagte Witichis, »er gab mir sein Wort.«
»Wenn er's nur hält!«
[] Da trat Witichis heftig zurück. »Teja! dich macht dein finstrer Sinn ungerecht! Du hast kein Recht, an eines Helden Ehre zu zweifeln. Cethegus ist ein Held.«
»Er ist ein Römer. Gute Nacht!« sagte Teja, das Schwert einsteckend. Und er ging mit seinen Goten andren Weges.
Cethegus aber warf sich diese Nacht unwillig aufs Lager. Er war uneins in sich. Er grollte mit Julius. Er grollte bitter mit Witichis, bittrer noch mit Teja. Am bittersten mit sich selbst.
* * *
Am folgenden Tage versammelte Witichis noch einmal Volk, Senat und Klerus der Stadt bei den Thermen des Titus. Von der höchsten Stufe der Marmortreppe des stolzen Gebäudes herab, die von den Großen des Heeres besetzt war, hielt der König eine schlichte Ansprache an die Römer. Er erklärte, daß er auf kurze Zeit die Stadt räumen und zurückweichen werde. Bald aber werde er wiederkehren.
Er erinnerte sie der Milde der gotischen Herrschaft, der Wohltaten Theoderichs und Amalaswinthens, und forderte sie auf, Belisar, falls er heranrücke, mutig zu widerstehen, bis die Goten zum Entsatz wieder heranrückten: der Römer wieder an die Waffen gewöhnte Legionare und ihre starken Mauern machten langen Widerstand möglich.
Zuletzt forderte er den Eid der Treue und ließ sie nochmals feierlich schwören, daß sie ihre Stadt auf Leben und Tod gegen Belisar verteidigen wollten. Die Römer zögerten: denn ihre Gedanken waren jetzt schon im Lager Belisars und sie scheuten den Meineid.
Da scholl dumpfer feierlicher Gesang von der Sacra Via her: und an dem slavischen Amphitheater vorbei zog eine große Prozession von Priestern mit Psalmengesang und Weihrauchschwang heran. In der Nacht war Papst Agapet gestorben [] und in aller Eile hatte man Silverius, den Archidiakon, zu seinem Nachfolger gewählt.
Langsam und feierlich wogte das Heer von Priestern heran: die Insignien der Bischofswürde von Rom wurden vorausgetragen: silberstimmige Knaben sangen in süßen und doch weihevollen Weisen.
Endlich nahte die Sänfte des Papstes: offen, breit, reichvergoldet, einem Schiffe nachgebildet. Die Träger gingen langsam, Schritt für Schritt, nach dem Takt der Musik, von ringsum drängendem Volk umwogt, das nach dem Segen seines neuen Bischofs verlangte.
Silverius spendete unablässig denselben, mit seinem klugen Haupte rechts und links hin nickend.
Eine große Zahl von Priestern und ein Zug von speertragenden Söldnern schloß die Prozession. Sie hielt inne, als sie in die Mitte des Platzes gelangt war.
Schweigend, mit trotzigen Augen, sahen die arianischen, gotischen Krieger, die alle Mündungen des Platzes besetzt hielten, den stolzen, prachtentfaltenden Aufzug der ihnen feindlichen Kirche, indes die Römer die Ankunft ihres Seelenhirten um so freudiger begrüßten, als seine Stimme ihre Gewissenszweifel wegen des zu leistenden Eides lösen sollte.
Eben wollte Silverius seine Ansprache an das versammelte Volk beginnen, als der Arm eines turmlangen Goten, über die Brüstung der Sänfte hereinlangend, ihn an dem goldbrokatnen Mantel zupfte.
Unwillig ob der wenig ehrerbietigen Störung wandte Silverius das strenge Gesicht, aber uneingeschüchtert sprach der Gote, den Ruck wiederholend: »Komm, Priester, du sollst hinauf zum König.«
Silverius hätte es angemessener gefunden, wenn der König zu ihm heruntergekommen wäre, und Hildebad schien etwas dergleichen in seinen Mienen zu lesen. Denn er rief: »'s ist nicht anders! duck' dich, Pfäfflein!«
[] Und damit drückte er einen der die Sänfte tragenden Priester an der Schulter nieder: die Träger ließen sich nun auf die Kniee herab, und seufzend stieg Silverius heraus, Hildebad auf die Treppe folgend.
Als er vor Witichis angelangt war, ergriff dieser seine Hand, trat mit ihm vor, an den Rand der Treppe, und sprach: »Ihr Männer von Rom, diesen hier haben eure Priester zu eurem Bischof bezeichnet. Ich genehmige die Wahl: er sei Papst, sobald er mir Gehorsam geschworen und euch den Eid der Treue für mich abgenommen hat. Schwöre, Priester!«
Nur einen Augenblick war Silverius betroffen.
Aber sogleich wieder gefaßt, wandte er sich mit salbungsvollem Lächeln zu dem Volk, dann zum König. »Du befiehlst?« sprach er.
»Schwöre,« rief Witichis, »daß du in unsrer Abwesenheit alles aufbieten wirst, diese Stadt Rom in Treue zu den Goten zu erhalten, denen sie soviel verdankt; in allen Stücken uns zu fördern, unsre Feinde aber zu schädigen. Schwöre Treue den Goten.«
»Ich schwöre,« sagte Silverius, sich zu dem Volke wendend. »Und so fordre ich, der ich die Macht habe, die Seelen zu binden und zu lösen, euch, ihr Römer, umstarret rings von gotischen Waffen, auf, im gleichen Sinne zu schwören, wie ich geschworen habe.«
Die Priester und einige der Vornehmen schienen verstanden zu haben und erhoben unbedenklich die Finger zum Schwur. Da besann sich auch die Menge nicht länger, und der Platz erscholl von dem lauten Ruf: »Wir schwören Treue den Goten.«
»Es ist gut, Bischof von Rom,« sprach der König. »Wir bauen auf euren Schwur. Lebt wohl, ihr Römer! Bald werden wir uns wiedersehen.« Und er schritt die breiten Stufen nieder. Teja und Hildebad folgten ihm.
»Jetzt bin ich nur begierig ...« – sagte Teja.
[] »Ob sie es halten?« meinte Hildebad.
»Nein. Gar nicht. Aber wie sie's brechen. Nun, der Priester wird's schon finden.«
Und mit fliegenden Fahnen zogen die Goten ab zur Porta Flaminia hinaus, die Stadt ihrem Papst und dem Präfekten überlassend, während Belisar in Eilmärschen auf der Via Latina nahte.
Neuntes Kapitel.
In der Stadt Florentia waltete eifriges kriegerisches Leben. Die Tore waren geschlossen: auf den Zinnen und Mauerkronen schritten zahlreiche Wachen, in den Straßen klirrte es von Zügen reisiger Goten und bewaffneter Söldner: denn die Wölsungen Guntharis und Arahad hatten sich in diese Stadt geworfen und sie einstweilen zum Hauptwaffenplatz des Aufstandes gegen Witichis gemacht.
In der schönen Villa, die sich Theoderich in einer Vorstadt am Ufer des Arnus, aber noch in den Ringmauern der Stadt, gebaut, hausten die beiden Brüder.
Herzog Guntharis von Tuscien, der ältere, war ein gefürchteter Kriegsmann und seit Jahren Graf der Stadt Florentia: rings in ihrem Weichbild lagen die Güter des mächtigen Adelsgeschlechts, von Tausenden von Colonen und Hintersassen bebaut: ihre Macht in dieser Stadt und Landschaft war ohne Schranken und Herzog Guntharis war entschlossen, sie völlig zu gebrauchen.
In voller Rüstung, den Helm auf dem Haupt, schritt der stattliche Mann unwillig durch das marmorgetäfelte Zimmer, indes der jüngere Bruder in schmucker Feiertracht, ohne Waffen, schweigend und sinnend an dem Citrustisch lehnte, der von Briefen und Pergamenten bedeckt war.
[] »Entschließe dich, mach' vorwärts, mein Junge!« sprach Guntharis: »es ist mein letztes Wort. Noch heute bringst du mir das Ja des störrigen Kindes oder ich – hörst du? – ich selbst gehe, es zu holen. Aber dann, wehe ihr. Ich weiß besser als du umzuspringen mit einem launischen Mädchenkopf.«
»Bruder, das wirst du nicht.«
»Beim Donner, das werd' ich. Meinst du, ich wage meinen Kopf, ich versäume das Glück unsres Hauses um deine schmachtende Zartheit? Jetzt oder nie ist der Augenblick, den Wölsungen endlich die erste Stelle im Volk zu schaffen, die ihnen gebührt und von der Amaler und Balten sie seit Jahrhunderten ausgeschlossen. Wird die letzte Amalungentochter dein Weib, kann niemand dir die Krone bestreiten: und mein Schwert soll sie schon schützen auf deinem Haupt gegen diesen Bauernkönig Witichis.
Aber nicht zu lange mehr darf's währen. Ich habe noch keine Nachricht von Ravenna: doch ich fürchte, die Stadt wird nur Mataswintha, nicht uns, zufallen, das heißt, nicht uns allein; wer sie hat, hat aber Italien, nachdem Neapolis und Rom verloren: die mächtige Festung müssen wir haben. Deshalb muß sie dein Weib sein, eh' wir vor die Rabenmauern ziehen: sonst wird ruchbar, daß sie mehr unsre Gefangene als unsre Königin.«
»Wer wünscht das mehr, heißer als ich? aber ich kann sie doch nicht zwingen?« – »Nicht? warum nicht? Suche sie auf und gewinne sie im guten oder bösen. Ich gehe, die Wachen auf den Wällen zu verstärken. Bis ich zurück bin, will ich Antwort!«
Herzog Guntharis ging: und seufzend machte sich sein Bruder nach dem Garten auf, Mataswintha zu suchen.
Der Garten war von einem kunstverständigen Freigelassenen aus Kleinasien angelegt. Er hatte im Hintergrund einen waldähnlichen Abschluß, der, frei von Beeten und Terrassen, das [] wunderbar reiche Wiesengrün noch erhalten hatte. Diese blumigen Wiesenufer und dichte Oleanderbüsche durchrieselte ein klarer Bach, mit anmutigem Gewoge.
Dicht an dem Rande des Baches, im weichen Grase hingegossen, lag eine jugendliche Frauengestalt. Sie hatte von dem rechten Arm das Gewand zurückgeschlagen und schien bald mit den murmelnden Wellen, bald mit den nickenden Blumen am Rande zu spielen. Sinnend sah sie vor sich hin und warf wie träumend hier und da ein Veilchen oder einen Krokus in die Wellen, mit leise geöffneten Lippen der Blüte nachsehend, die rasch die klaren Wellen entführten.
Dicht hinter ihren Schultern kniete ein junges Mädchen in maurischer Sklaventracht, eifrig beschäftigt, einen Kranz fertig zu flechten, an welchem nur die letzten Verbindungen fehlten: sorgsam spähte die anmutfeine Kleine manchmal, ob die Träumende ihre heimliche Arbeit nicht gewahre.
Aber diese schien ganz in ihre Phantasien verloren.
Endlich war der zierliche Kranz vollendet: mit lachenden Augen drückte sie ihn auf das prachtvolle feuerfarbne Haar der Herrin und bog sich um ihre Schulter, deren Blick zu suchen. Aber diese hatte gar nicht bemerkt, wie die Blumen ihr Haupt berührten. Da ward die Kleine unwillig und rief mit schmollend aufgeworfnen Lippen: »Aber Herrin, bei den Palmenwipfeln des Auras, was denkest du wieder? Bei wem bist du?«
Mataswintha schlug die leuchtenden Augen auf: »Bei ihm!« flüsterte sie.
»Weiße Göttin, das trag' ich nicht mehr!« rief die Kleine aufspringend, »es ist zu arg, die Eifersucht bringt mich um! Nicht mich, deine Gazelle nur, auch die eigne Schönheit vergißt du – über dem unsichtbaren Mann: schau' doch nur einmal in die Wellen und sieh, wie reizend dein Haar von den dunkeln Veilchen und weißen Anemonen sich hebt.«
»Dein Kranz ist schön!« sagte Mataswintha, ihn herunterlangend [] und dann leicht in die Wellen werfend, »welch süße Blumen! Grüßt ihn von mir.«
»Ach, meine armen Blumen!« rief die Sklavin, ihnen nachblickend; aber sie wagte nicht, weiter zu schelten. »Sag' mir nur,« rief sie, sich wieder niederlassend, »wie all dies enden soll? Da sind wir jetzt schon viele Tage, wir wissen nicht recht, Königin oder Gefangne? Jedenfalls in fremder Gewalt: haben den Fuß nicht aus deinem Gemach oder diesem hochummauerten Garten gesetzt und wissen nichts von der ganzen Welt. Du aber bist immer still und selig, als müßte das alles so sein.«
»Es muß auch alles so sein.«
»So? und wie wird es enden?«
»Er wird kommen und wird mich befreien.«
»Nun, Weißlilie! du hast einen starken Glauben. Wären wir daheim im Mauretanierland und sähe ich dich nachts zu den Sternen blicken, so sagte ich wohl: du habest das alles in den Sternen gelesen. Aber so! Ich begreife das nicht« – und sie schüttelte die schwarzen Locken – »Ich werde dich nie begreifen.«
»Doch, Aspa! du wirst und sollst,« sprach Mataswintha sich aufraffend und zärtlich den weißen Arm um den braunen Nacken schlingend, »deine treue Liebe verdient längst diesen Lohn, den besten, den ich zu spenden habe.«
In der Sklavin dunkles Auge trat eine Träne. »Lohn?« sprach sie. »Aspa ward geraubt von wilden Männern mit roten, fliegenden Locken. Aspa ist eine Sklavin. Alle haben sie gescholten, viele geschlagen. Du hast mich gekauft wie man eine Blume kauft. Und du streichelst mir Wange und Haar. Und bist so schön wie die Göttin der Sonne und sprichst von Lohn?« Und sie schmiegte das Köpfchen an der Herrin Busen.
»Du bist meine Gazelle!« sagte diese, »und hast ein Herz wie Gold. Du sollst alles wissen, was niemand weiß, außer [] mir. Höre also. Ich hatte eine Kindheit ohne Freude, ohne Liebe: und doch verlangte meine junge Seele nach Weichheit, nach Liebe. Meine arme Mutter hatte einen Knaben, einen Thronerben heiß gewünscht und sicher erwartet: – und mit Widerwillen, mit Kälte und Härte behandelte sie das Mädchen. Als Athalarich geboren war, nahm die Härte ab, aber die Kälte nahm zu: dem Erben der Krone allein ward alle Liebe und Sorge. Ich hätte es nicht empfunden, hätte ich nicht in meinem weichen Vater den Gegensatz gesehen: ich fühlte, wie auch er litt unter der kalten Härte seiner Gattin: und oft drückte mich der kranke Mann mit Seufzen, mit Tränen an die Brust.
Und als er gestorben und begraben war, da war mir alle Liebe in der Welt erstorben. Wenig sah ich Athalarich, der von andern Lehrern und im andern Teil des Palastes erzogen ward: weniger noch die Mutter: fast nur, wenn sie mich zu strafen hatte. Und doch liebte ich sie so sehr: und doch sah ich, wie meine Wärterinnen und Lehrerinnen ihre eignen Kinder liebten, herzten und küßten: und nach gleicher Wärme verlangte mit aller Macht mein Herz.
So wuchs ich heran, wie eine bleiche Blume ohne Sonnenlicht!
Da war denn mein liebster Ort in der Welt das Grab meines Vaters Eutharich im stillen Königsgarten zu Ravenna. Da suchte ich bei dem Toten die Liebe, die ich bei den Lebenden nicht fand: und sowie ich meinen Wärtern entrinnen konnte, eilte ich dorthin, zu sehnen und zu weinen. Und dies Sehnen wuchs, je älter ich ward: in Gegenwart der Mutter mußte ich all meine Gefühle zusammenpressen: sie verachtete es, wenn ich sie zeigte.
Und wie ich vom Kind zum Mädchen heranwuchs, merkte ich wohl, daß die Augen der Menschen oft wie bewundernd auf mir ruhten: aber ich dachte, sie bedauerten mich: und das tat mir weh. Und öfter und öfter flüchtete ich zum Grabe des [] Vaters, bis es der Mutter gemeldet ward: und ich ward verklagt, daß ich dort weinte und ganz verstört zurückkäme.
Zornig verbat mir die Mutter, ohne sie das Grab wieder zu besuchen: und sprach von verächtlicher Schwäche.
Aber dawider empörte sich mein Herz und ich besuchte das Grab trotz dem Verbot. Da überraschte sie mich einst daselbst: und schlug mich: und ich war doch kein Kind mehr: und führte mich in den Palast zurück: und schalt mich schwer: und drohte, mich zu verstoßen für immer: und fragte im Scheiden zürnend den Himmel, warum er sie mit einem solchen Kinde gestraft.
Das war zuviel.
Namenlos elend beschloß ich, dieser Mutter zu entrinnen, der ich zur Strafe leben sollte, und davonzugehen, wo mich niemand kennte: ich wußte nicht wohin: am liebsten in das Grab zu meinem Vater.
Als es Abend geworden, stahl ich mich aus dem Palast, ich eilte nochmals an das geliebte Grab zu langem, tränenreichem Abschied. Schon gingen die Sterne auf, da huschte ich aus dem Garten, aus dem Palast und eilte durch die dunkeln Straßen der Stadt an das faventinische Tor. Glücklich schlüpfte ich an der Wache vorbei ins Freie und lief nun eine Strecke auf der Straße fort, gradaus in die Nacht, ins Elend.
Aber auf der Straße kam mir entgegen ein Mann im Kriegsgewand. Als ich an ihm vorüber wollte, schritt er plötzlich heran, sah mir ins Antlitz und legte die Hand leicht auf meine Schulter: ›Wohin, Jungfrau Mataswintha, allein, in so später Nacht?‹
Ich erbebte unter seiner Hand, Tränen brachen aus meinen Augen, und schluchzend rief ich: ›In die Verzweiflung!‹
Da faßte der Mann meine beiden Hände und sah mich an, so freundlich, so mild, so besorgt. Dann trocknete er meine Tränen mit seinem Mantel und sprach in weichem Ton der tiefsten Güte: ›Und warum? Was quält dich so?‹
[] Mir ward so weh und wohl ums Herz beim Klange dieser Stimme. Und wie ich in sein mildes Auge sah, war ich meiner selbst nicht mehr mächtig. ›Weil mich die eigne Mutter haßt, weil's keine Liebe für mich gibt auf Erden.‹ – ›Kind! Kind! Du bist krank‹, sagte er, ›und redest irr. Komm, komm mit mir zurück! Du? warte nur! du wirst noch eine Königin der Liebe werden.‹
Ich verstand ihn nicht. Aber ich liebte ihn unendlich für diese Worte, diese Milde. Fragend, staunend, hilflos sah ich ihm ins Auge. Ich bebte und zitterte. Es mußte ihn rühren; oder er dachte, es sei die Kälte.
Er nahm seinen warmen Mantel ab, schlug ihn um meine Schultern und führte mich langsam zurück durchs Tor, auf unbelebten Straßen, durch die Stadt nach dem Palast.
Willenlos, hilflos, wankend wie ein krankes Kind folgte ich ihm, das Haupt, das er mir sorglich verhüllte, an seine Brust gelehnt. Er schwieg und trocknete mir nur manchmal die Augen. Unbemerkt, wie ich glaubte, gelangten wir an die Türe der Palasttreppe: er öffnete sie, schob mich sanft hinein: dann drückte er mir die Hand. ›Gut sein‹, sagte er, ›und ruhig. Dein Glück wird dir schon kommen. Und Liebe genug.‹ Und er legte leise die Hand auf mein Haupt, schloß die Türe hinter mir und stieg die Treppe hinab.
Ich aber lehnte an der halbgeschlossenen Tür und konnte nicht fort. Mein Fuß versagte, mein Herz pochte.
Da hört' ich, wie eine rauhe Stimme ihn ansprach:
›Wen schmuggelst du da zur Nachtzeit in das Schloß, mein Freund?‹ Er aber antwortete: ›Du bist's, Hildebrand? Du verrätst sie nicht! Es war das Kind Mataswintha: sie hat sich verirrt in der Nacht, in der Stadt, und fürchtete den Zorn ihrer Mutter.‹ – ›Mataswintha! sprach der andre, die wird täglich schöner.‹ Und mein Beschützer sprach« – und sie stockte und flammend Rot schoß über ihre Wangen ... –
[] »Nun,« fragte Aspa, sie groß ansehend, »was sagte er?«
Aber Mataswintha drückte Aspas Köpfchen nieder an ihre Brust. »Er sagte,« flüsterte sie – »er sagte: – ›die wird das schönste Weib auf Erden!‹«
»Da hat er recht gesagt,« sprach die Kleine, »was brauchst du da rot zu werden? Ist's doch so! Nun aber weiter! Was tatest du?«
»Ich schlich auf mein Lager und weinte, weinte Tränen der Trauer, der Wonne, der Liebe, alles durcheinander. In jener Nacht stieg eine Welt, ein Himmel in mir auf: er war mir gut, das fühlte ich, und er nannte mich schön. Ja, jetzt wußt' ich es: ich war schön, und ich war selig darüber: ich wollte schön sein: für ihn! O wie glücklich war ich! seine Begegnung brachte Glanz in mein Dunkel, Segen in mein Leben. Ich wußte jetzt, man konnte mir gut sein, man konnte mich lieben! Sorglich pflegte ich des Leibes, den er gelobt. Die süße Macht in meinem Herzen breitete eine milde Wärme über mein ganzes Wesen: ich ward weicher und inniger: und selbst der Mutter strenger Sinn ward jetzt liebevoller gegen mich, seit ich nur sanfte Liebe ihrer Härte entgegengab: und täglich wurden alle Herzen gütiger gegen mich, wie ich weicher gegen alle.
Und all' das dankte ich ihm: er hatte mir die Flucht in Schmach und Elend erspart und mir eine ganze Welt von Liebe gewonnen. Seitdem lebte und lebe ich nur für ihn.« Und sie hielt inne und legte die Linke auf die wogende Brust.
»Aber, Herrin, wann hast du ihn wieder gesehen? gesprochen? Lebt deine Liebe von so karger Kost?«
»Gesprochen nie mehr: gesehen nur einmal noch: am Todestage Theoderichs befehligte er die Palastwache, da sagte mir Athalarich seinen Namen: denn nie hätte ich gewagt, nach ihm zu forschen, aus Furcht, meine Flucht, ach, mein Geheimnis zu verraten. Er war nicht am Hof: und wann er dort erscheinen mochte, war ich auf den Villen.«
[] »So weißt du weiter gar nichts von ihm, von seinem Leben, von seiner Vergangenheit.«
»Wie hätt' ich forschen können! glühende Scham hätte mich verraten! Lieb' ist des Schweigens Tochter und der Sehnsucht. Aber von seiner, von unsrer Zukunft weiß ich.«
»Von eurer Zukunft?« lächelte Aspa.
»An den Hof kam alle Sonnenwende die alte Radrun und erhielt von König Theoderich fremde Kräuter und Wurzeln, die er ihr aus Asien bringen ließ und vom Nil. Das hatte sie sich ausbedungen zum einzigen Lohn dafür, daß sie ihm als Knaben sein ganzes Schicksal geweissagt hatte: und war alles eingetroffen aufs Haar: sie braute Salben und mischte Tränke: ›das Waldweib‹ nannte man sie laut: aber leise: ›die Wala, das Zauberweib.‹ Und wir alle am Hof wußten – außer den Priestern, die hätten es gewehrt –, daß jede Sommersonnenwende, wann sie kam, der König sich das Jahr vorhersagen ließ. Und kam sie von ihm heraus, so riefen sie, das wußte ich, meine Mutter und Theodahad und Gothelindis und fragten sie aus: und nie blieb noch aus, was sie verkündet.
Da, in der nächsten Sonnenwende, faßte auch ich mir ein Herz, lauerte der Alten auf und lockte sie, wie ich sie allein fand, in mein Gemach und bot ihr Gold und lichte Steine, wenn sie mir weissagen wollte.
Aber sie lachte und zog ein Fläschchen von Bernstein hervor und sprach: ›Nicht um Gold! Aber um Blut! Um mächtig Blut von einem reinen Königskind.‹
Und sie ritzte mir eine Ader im linken Arm und fing den Strahl in ihrem Bernstein. Dann sah sie forschend in meine beiden Hände und sang endlich tonlos: ›Den du hältst im Herzen hoch, der gibt dir größten Glanz und größtes Glück, schafft dir allerschärfsten Schmerz, wird dein Gemahl, dein Gatte nicht.‹ Und damit war sie hinaus.«
»Das ist wenig tröstlich, – soviel ich's fasse.«
[] »Du kennst der Alten Sprüche nicht: sie sind alle so dämmmer-dunkel: sie fügt jeder Verheißung eine Drohung bei, für alle Fälle: ich aber halte mich an das Helle, nicht an das Dunkle. Weissagung erfüllt sich, wie man sie faßt: ich weiß: er wird mein und bringt mir Glanz und Glück: den Schmerz daneben will ich tragen: Schmerz um ihn ist Wonne.«
»Ich bewundre dich, Herrin, und deinen Glauben. Und auf den Spruch der Hexe hin hast du ausgeschlagen all' die Könige und Fürsten, vom Vandalen- und Westgoten-, Franken- und Burgunderland, die um dich freiten? selbst Germanus, den edeln, den kaiserlichen Prinzen von Byzanz? und harrst auf ihn?«
»Und harr' auf ihn! Aber nicht des Spruches allein wegen. In meinem Herzen lebt ein Vögelein, das singt mir alle Tage: ›er wird dein, er muß dein werden‹. Ich weiß es sternengewiß«, schloß sie, das Auge zum Himmel aufschlagend und in die frühere Träumerei versinkend.
Rasche Schritte tönten von der Villa her. »Ah,« rief Aspa, »dein schmucker Freier! Armer Arahad, du verlierst deine Mühe!«
»Ich will dem Spiel ein Ende machen heut'!« sprach Mataswintha, sich erhebend: und auf ihrer Stirn, in ihren Augen; lag jetzt eine zornige Strenge, die das Blut der Amaler in ihren Adern bekundete: es lebte eine seltsame Mischung von lodernder Leidenschaft und hinschmelzender Weichheit in dem Mädchen. Aspa staunte oft über das verhaltne Feuer in ihrer Herrin. »Du bist wie die Götterberge in meiner Heimat,« sagte sie: »Schnee auf dem Gipfel: Rosen um den Gürtel: aber im Innern versengendes Feuer: das oft über Schnee und Rosen strömt.«
Indes bog Graf Arahad aus dem buschigen Wege und neigte sich vor dem schönen Weibe mit einem Erröten, das ihm wohl anstand. »Ich komme,« sagte er, »Königin ...« –
[] Aber herb unterbrach sie ihn. »Hoffentlich, Graf von Asta, kommst du, endlich diesem schnöden Spiel von Gewalt und Lüge ein Ende zu machen.
Nicht länger will ich's tragen. Dein kecker Bruder überfällt mich plötzlich, die wehrlose, in die Trauer um ihre Mutter versunkene Waise, in meinen Gemächern, nennt mich in einem Atem seine Königin und seine Gefangene und hält mich wochenlang in unwürdiger Haft. Er bringt mir den Purpur und nimmt mir die Freiheit. Darauf kommst du und verfolgst mich mit deiner eiteln Werbung, die dich nie zum Ziele führt. Ich habe dich verschmäht in der Freiheit: glaubst du, gefangen, in deiner Zwanggewalt, wird dich, du Tor, das Kind der Amaler erhören? Du schwörst, du liebest mich? Wohlan, so achte mich. Ehre meinen Willen, laß mich frei. Oder zittre, wenn mein Befreier naht.« Und drohend trat sie auf den Bestürzten zu, der keine Worte finden konnte.
Da eilte heftigen Schrittes Herzog Guntharis herbei, mit funkelnden Augen.
»Auf, Arahad,« rief er, »komm zu Ende. Wir müssen fort, sogleich. Er naht, er dringt mit Macht heran.« – »Wer?« fragte Arahad hastig. – »Er sagt, er kommt sie zu befreien. Er hat gesiegt, der Bauernkönig, und unsre Vorposten geschlagen bei Castrum Sivium.«
»Wer?« fragte jetzt Mataswintha eifrig.
»Nun,« antwortete Guntharis zornig, »jetzt magst du's erfahren: es ist doch nicht mehr zu bergen: Graf Witichis von Fäsulä.«
»Witichis!« hauchte Mataswintha mit leuchtenden Augen und hochaufatmend.
»Ja! ihn haben die Rebellen von Regeta, das Recht des Adels vergessend, zum König der Goten erhoben.«
»Er! er mein König!« sprach Mataswintha wie im Traume.
[] »Ich hätte dir's gesagt, schon da ich dich als Königin begrüßte; aber in deinem Gemach stand seine Marmorbüste, bekränzt. Das war mir verdächtig. Später sah ich's: es war ein Zufall: es ist ein Areskopf.«
Mataswintha schwieg und suchte die glühende Röte zu verbergen, die ihr Antlitz überflog.
»Nun,« rief Arahad, »was ist zu tun?«
»Wir müssen fort. Wir müssen ihm zuvorkommen in Ravenna. Florentia, die Feste, hält ihn eine Weile auf: indessen gewinnen wir Ravenna und wenn du Beilager gehalten in der Burg Theoderichs mit dessen Enkelin, ist alles Volk der Goten unser. Auf, Königin! Ich lasse deinen Wagen schirren: in einer Stunde gehst du nach Ravenna in der Mitte unsrer Scharen.« Und die Brüder eilten hinweg.
Blitzenden Auges sah ihnen Mataswintha nach:
»Ja, führt mich fort, gefangen und gebunden; wie der Adler aus der Höhe wird mein König auf euch niederstoßen und mich retten aus eurer Gewalt. Komm, Aspa, der Befreier naht.«
Zehntes Kapitel.
Kaum hatten die Goten den Mauern Roms den Rücken gewendet, so berief Papst Silverius – es war am Tage nach seinem Eide – die Spitzen der Priesterschaft, des Adels, der Beamten und der Bürgerschaft der Stadt in die Thermen des Caracalla zu einer Beratung über Heil und Gedeihen der Stadt des heiligen Petrus. Auch Cethegus war geladen und erschienen.
Mit Unbefangenheit stellte Silverius darauf den Antrag, da endlich die Stunde gekommen sei, das Joch der Ketzer abzuwerfen, eine Gesandtschaft an Belisarius, den Feldherrn des rechtgläubigen Kaisers Justinian, des einzig rechtmäßigen Herrn [] Italiens, abzuordnen, ihm die Schlüssel der ewigen Stadt zu überreichen und ihm und seinem Heere den Schutz der Kirche und der Gläubigen gegen die Rache der Barbaren zu empfehlen.
Den Gewissenszweifel eines noch sehr jungen Priesters und eines ehrlichen Schmiedemeisters wegen des gestern geleisteten Eides beseitigte er lächelnden Mundes mit der Berufung auf seine apostolische Macht, wie zu binden, so zu lösen: und auf die offenbare Gewalt gotischer Waffen, unter deren Eindruck sie den Schwur geleistet. Darauf ging der Antrag einstimmig durch: und der Papst selbst, Scävola, Albinus und Cethegus wurden als die Gesandten gewählt.
Aber Cethegus widersprach: schweigend hatte er die Verhandlung mit angehört und sich der Abstimmung enthalten: jetzt stand er auf und sprach: »Ich bin gegen den Beschluß. Nicht wegen des Eides. Ich brauche deshalb apostolische Lösungsgewalt nicht in Anspruch zu nehmen. Denn ich habe nicht geschworen. Aber um der Stadt willen. Das heißt: uns ohne Not dem gerechten Zorn der Goten aussetzen, die wohl einmal wiederkommen können und dann solch offnen Abfall nicht mit apostolischer Lösung entschuldigen werden. Laßt uns gebeten oder gezwungen werden von Belisar: wer sich wegwirft, wird mit Füßen getreten.«
Silverius und Scävola tauschten bedeutsame Blicke.
»Solche Gesinnung,« sprach der Jurist, »wird dem Feldherrn des Kaisers gewiß sehr gefallen, kann aber an dem Beschluß nichts ändern. Du gehst also nicht mit uns zu Belisar?«
Cethegus stand auf: »Ich gehe zu Belisar. Aber nicht mit euch,« sagte er und ging hinaus.
Als die übrigen die Thermen verlassen, sprach der Papst zu Scävola: »Das gibt ihm den Rest. Er hat sich vor Zeugen gegen die Übergabe erklärt!« – »Und er geht selbst in die Höhle des Löwen.« – »Er soll sie nicht mehr verlassen. Du hast doch die Anklageakte aufgesetzt?« – »Schon längst. Ich [] fürchtete, er werde die Gewalt in der Stadt an sich reißen: und er geht selbst zu Belisar! Er ist verloren, der Stolze.« – »Amen!« sagte Silverius. »Und so mag jeder untergehen, der in weltlichem Trachten dem heiligen Petrus widerstreitet. Übermorgen um die vierte Stunde machen wir uns auf.«
Aber er irrte, der heilige Vater: diesmal sollte der Stolze noch nicht untergehen.
Cethegus war sofort nach seinem Hause geeilt, wo der gallische Reisewagen angeschirrt seiner wartete. »Gleich brechen wir auf,« rief er dem Sklaven zu, der auf dem vordersten Rosse saß, »ich hole nur mein Schwert.«
Im Vestibulum traf er die Licinier, die ihn ungeduldig erwarteten. »Heut' kam der Tag«, rief ihm Lucius entgegen, »auf den du uns solang vertröstet!« – »Wo ist die Probe deines Vertrauens in unseren Mut, unser Geschick, unsere Treue?« fragte Marcus. – »Geduld!« sprach Cethegus mit erhobenem Zeigefinger und schritt in sein Gemach.
Alsbald kam er wieder, sein Schwert und mehrere Pergamente unterm linken Arm, eine versiegelte Rolle in der Rechten: sein Auge leuchtete: »Ist das äußerste Eisentor der Moles Hadriani fertig?« fragte er. – »Fertig,« sprach Lucius Licinius. – »Ist das Getreide aus Sizilien in dem Kapitol geborgen?« – »Geborgen.« – »Sind die Waffen verteilt und die Schanzen am Kapitol vollendet, wie ich befahl?« – »Vollendet,« antwortete Marcus. – »Gut. Nehmt diese Rolle. Entsiegelt sie morgen, sowie Silverius die Stadt verlassen, und erfüllt jedes ihrer Worte genau. Es gilt nicht nur mein Leben und das eure –: es gilt Rom! Die Stadt Cäsars wird eure Taten sehen. Geht: auf Wiedersehen!«
Und aus seinen Augen sprühte Feuer in die Herzen der jungen Römer. – »Du sollst zufrieden sein!« – »Du und Cäsar!« riefen sie und eilten hinweg. Mit einem Lächeln, das selten auf seinem Antlitz mit solcher Freudigkeit spielte, sprang [] Cethegus in seinen Wagen. »Heiliger Vater^,« sagte er zu sich selbst, »ich bin noch in deiner Schuld für die letzte Versammlung in den Katakomben: ich will sie zahlen! – Die Via latina hinab!« rief er rasch dem Sklaven zu, »und laß die Rosse jagen, was sie können.«
Der Präfekt hatte einen Vorsprung von mehr als einem Tag vor der langsamer reisenden Gesandtschaft. Und er nutzte ihn wohl. –
Er hatte in seinem unermüdlichen Geist einen Plan ersonnen, trotz Belisars Landung in Italien, doch in Rom Herr und Meister zu bleiben. Und er ging jetzt mit all' seiner Umsicht an die Ausführung.
Kaum konnte er erwarten, bis er auf die Vorposten der Byzantiner bei Capua traf, deren Führer, Johannes, ihn durch einige Reiter und seinen eignen jüngeren Bruder, Perseus, nach dem Hauptquartier geleiten ließ. Im Lager angekommen, fragte Cethegus nicht nach dem Feldherrn, sondern ließ sich sofort nach dem Zelt des Rechtsrats Prokopius von Cäsarea führen.
Prokopius war sein Studiengenosse in Berytus auf der Juristenschule gewesen: und die beiden bedeutenden Geister hatten sich mächtig angezogen. Aber nicht die Wärme der Freundschaft führte den Präfekten vor allem zu diesem Mann: dieser Mann war der beste Kenner von Belisars ganzer politischer Vergangenheit, wohl auch der Vertraute seiner Pläne für die Zukunft.
Mit Freuden empfing den Jugendfreund Prokopius.
Er war ein Mann von frischem, gesundem Menschenverstand, einer von den wenigen Gelehrten jener Zeit, denen die gekünstelte Bildung in den Rhetorenschulen nicht die Fähigkeit, einfach aufzufassen und gesund zu fühlen, unter den Schnörkeln byzantinischer Gelehrtheit erstickt hatte. Heller Verstand lag auf der offnen Stirn und in dem noch jugendlich leuchtenden Auge glänzte die Freude an allem Guten.
[] Nachdem Cethegus Staub und Mühsal der Reise in einem sorgfältigen Bad abgespült, machte sein Wirt, ehe er ihn zur Abendtafel in sein Zelt führte, mit ihm die Runde durch das Lager, ihm die Quartiere der wichtigsten Truppenteile, der bedeutendsten Heerführer weisend und mit ein paar Worten deren Eigenart, Verdienste und oft bunt zusammengesetzte Vergangenheit erläuternd.
Da waren die Söhne des rauhen Thrakiens, Constantinus und Bessas, die sich aus rohem Söldnerhandwerk emporgerungen, tapfre Soldaten, aber ohne Bildung, mit dem ganzen Eigendünkel selbstgemachter Männer: – sie betrachteten sich als Belisars unentbehrliche Stützen und ihn vollersetzende Nachfolger.
Daneben der vornehme Iberier Peranius, aus dem Königsgeschlecht der Iberier, der feindlichen Nachbarn der Perser, der aus Haß gegen die persischen Überwinder Vaterland und Hoffnung des Thrones aufgegeben und Dienste in des Kaisers Heer genommen hatte.
Dann Valentinus, Magnus und Innocentius, verwegene Führer der Reiterei, Paulus, Demetrius, Ursicinus, die Führer des Fußvolks, Ennes, der isaurische Häuptling und Heerführer der Isaurier Belisars, Aigan und Askan, die Führer der Massageten, Alamundarus und König Abocharabus, die Sarazenen, Ambazuch und Bleda, die Hunnen, Arsakes, Amazaspes und Artabanes, die Armenier – der Arsakide Phaza war mit dem Rest der Armenier in Neapolis zurückgelassen worden – Azarethas und Barasmenes, die Perser, Antallas und Cabaon, die Mauren. Sie alle kannte und nannte Prokopius, karg sein Lob, reichlich und mit Behagen spitzen, aber geistvollen Tadel spendend.
Eben wandten sie sich zu dem Quartier des Martinus, des friedlichen Städteverbrenners, zur Rechten, da fragte Cethegus, stehen bleibend: »Und wessen ist das Seidenzelt dort auf dem [] Hügel, mit den goldnen Sternen und dem Purpurwimpel? und seine Wachen tragen goldne Schilde?«
»Dort,« sprach Prokop, »wohnt seine unüberwindliche Köstlichkeit, des römischen Reiches Oberpurpurschneckenintendant, Prinz Areobindos, den Gott erleuchte.«
»Des Kaisers Neffe, nicht?«
»Jawohl, er hat des Kaisers Nichte, Projecta, geheiratet: sein höchstes und einziges Verdienst. Er ist hierher gesendet mit der Kaisergarde, uns zu ärgern und dafür zu sorgen, daß wir nicht so leicht siegen. Er ist Belisarius gleichgestellt, versteht vom Krieg so wenig wie Belisar von den Purpurschnecken, und soll Statthalter von Italien werden.«
»So,« sprach Cethegus.
»Er wollte beim Lagerschlagen sein Zelt durchaus zur Rechten Belisars haben. Wir gaben nicht nach. Zum Glück hat Gott in seiner Allweisheit jenen Hügel zur Lösung unsres Rangstreits schon vor Jahrtausenden hier aufgeworfen: nun lagert der Prinz zwar links, aber höher als Belisarius.« – »Und wessen sind die bunten Zelte dort, hinter Belisars Quartier? Wer wohnt darin?« – »Dort,« seufzte Prokop, »ein sehr unglückliches Weib: Antonina, Belisars Gemahlin.« – »Sie unglücklich? die Gefeierte, die zweite Kaiserin? warum?« – »davon ist nicht gut reden in offner Lagergasse. Komm mit ins Zelt, der Wein wird genug gekühlt sein.«
Elftes Kapitel.
Im Zelte fanden sie die zierlichen Polster des Feldbetts um einen niedern Bronzetisch von durchbrochner Arbeit gelegt, den Cethegus lobte.
»Das ist ein afrikanisches Beutestück aus dem Vandalenkrieg: ich nahm es aus Karthago mit. Und diese weichen [] Kissen lagen einst auf dem Bett des Perserkönigs: ich erbeutete sie in der Schlacht von Dara.«
»Du bist mir ein praktischer Gelehrter!« lächelte Cethegus. »Wie bist du so anders geworden seit den Tagen von Athen.«
»Das will ich hoffen!« sprach Prokop und zerschnitt selbst – er hatte die aufwartenden Sklaven entfernt – die dampfende Hirschkeule vor ihm. »Du mußt wissen: ich wollte Philosophie zu meinem Beruf machen, Weltweiser werden. Drei Jahre hörte ich die Platoniker, die Stoiker, die Akademiker zu Athen, – und studierte mich krank und dumm. Auch blieb es nicht bei der Philosophie. Nach löblicher Sitte unsres frommen Jahrhunderts mußte auch die Theologie beigezogen werden: und ein weiteres Jahr hatte ich darüber nachzudenken, ob Christus, als Gott Vater, zugleich seiner eignen jungfräulichen Mutter Vater, also sein eigner Großvater sei. Nun, über all' diesen Studien drohte mir mein von Natur gar nicht zu verachtender Verstand abhanden zu kommen.
Zum Glück ward ich sterbenskrank und die Ärzte verboten mir Athen und alle Bücher. Sie schickten mich nach Kleinasien. Ich rettete nur einen Thukydides in meinen Reiseranzen. Und dieser Thukydides rettete mich.
Ich las und las in der Langeweile der Reise seine herrliche Geschichte von der Hellenen Taten in Krieg und Frieden: und nun bemerkte ich mit Staunen, daß der Menschen Tun und Treiben, ihre Leidenschaften, ihre Tugenden und Frevel eigentlich doch viel anziehender und denkwürdiger seien als alle Formeln und Figuren heidnischer Logik – von der christlichen Logik vollends zu schweigen!
Und wie ich nach Ephesos gelangte und durch die Straßen schlenderte, kam plötzlich über mich eine wunderbare Erleuchtung. Denn ich wandelte über einen großen Platz: da stand vor mir die Kirche des heiligen Geistes: und war erbaut auf den Trümmern des alten Dianatempels. Und zur Linken [] stand ein zerfallner Altar der Isis und zur Rechten ragte das Bethaus der Juden.
Da ergriff mich plötzlich der Gedanke: ›Die alle glaubten und glauben nun steif und fest, sie allein wüßten das Rechte von dem höchsten Wesen.
Und das ist doch unmöglich: das höchste Wesen hat, wie es scheint, gar kein Bedürfnis, von uns erkannt zu werden – ich hätte es auch nicht, an seiner Statt! – und es hat die Menschen geschaffen, daß sie leben, tüchtig handeln und sich wacker umtreiben auf Erden. Und dies Leben, Handeln, Genießen und Sichumtreiben ist eigentlich alles, worauf es ankommt. Und wenn einer forschen und denken will, so soll er der Menschen Leben und Treiben erforschen.‹
Und wie ich so stand und sann, da schmetterten Trompeten: ein glänzender Reiterzug trabte heran: an seiner Spitze ein herrlicher Mann auf einem Rotscheck, schön und stark wie der Kriegsgott. Und ihre Waffen blitzten und die Fahnen flogen und die Rößlein sprangen. Und ich dachte mir: ›Die wissen, warum sie leben: und brauchen keinen Philosophen darum zu fragen.‹
Und wie ich mit verwunderten Augen den Reitern zusah, schlug mich ein Bürger von Ephesos auf die Schulter und sprach: ›Ihr scheint nicht zu wissen, wer das war, und wohin sie ziehen? Das ist der Held Belisarius, der zieht in den Perserkrieg.‹ – ›Gut‹, sagte ich, ›Freund! Und ich ziehe mit!‹ Und so geschah's zur selben Stunde.
Und Belisarius bestellte mich bald zu seinem Rechtsrat und Geheimschreiber. Und seither habe ich einen doppelten Beruf: bei Tage mach' ich Weltgeschichte oder helfe sie machen: und bei Nacht schreibe ich Weltgeschichte.« – »Und welches ist deine bessere Arbeit?« – »Freund, leider das Schreiben! Und das Schreiben wäre noch besser, wenn die Geschichte besser wäre. Denn ich bin meistens gar nicht einverstanden mit dem was [] wir tun: und tu's nur mit, weil's doch besser ist, als gar nichts tun oder philosophieren. Bringe den Tacitus, Sklave!« rief er zur Zelttür hinaus.
»Den Tacitus?«
»Ja, Freund, vom Livius haben wir jetzt genug getrunken. Du mußt wissen: ich nenne meine Weine je nach ihrer geschichtlichen Eigenart. – Zum Beispiel dieses lärmende Stück Weltgeschichte, das wir hier aufführen, dieser Gotenkrieg ist ganz gegen meinen Geschmack: Narses hat ganz recht, erst sollten wir die Perser abwehren, eh' wir die Goten angreifen.«
»Narses! was treibt mein kluger Freund?«
»Er beneidet Belisar und läßt sich's selbst nicht merken. Außerdem macht er Kriegs- und Schlachtenpläne. Ich wette, er hatte Italien schon erobert ehe wir landeten.«
»Du bist nicht sein Freund. Er ist doch ein hoher Geist. Warum ziehst du Belisar vor?«
»Das will ich dir sagen,« sprach Prokop, den Tacitus einschenkend. »Mein Unglück ist, daß ich nicht Geschichtsschreiber Alexanders oder Scipios geworden. Mein ganzes Herz sehnt sich, seit ich der Philosophie – und Theologie! – genesen, nach Menschen, nach dem vollen ganzen Menschen, mit Fleisch und Blut. Da widern mich diese spindeldürren Kaiser und Bischöfe und Feldherrn an, die alles mit dem Verstand erklügeln; wir sind ein verkrüppeltes Geschlecht geworden: die Heroenzeit liegt hinter uns! Nur Belisarius, der Biedre, ist noch ein Heros, wie aus der alten Zeit. Er könnte mit Agamemnon vor Troja liegen. Er ist nicht dumm; er hat Verstand; aber nur den Naturverstand des edeln, wilden Tieres zu seinem Beutefang, zu seinem Handwerk. Belisars Handwerk nun ist die Heldenschaft!
Und ich habe meine Freude an seiner breiten Brust und seinen blitzenden Augen und den mächtigen Schenkeln, mit denen er die stärksten Hengste zwingt. Und mich freut's, wenn [] ihm manchmal die blinde Lust, dreinzuschlagen, durch alle seine Feldherrnpläne braust. Mich freut's, wenn ich ihn in der Schlacht mitten unter die Feinde jagen sehe und kämpfen, wie ein schäumender Eber haut.
Freilich, sagen darf ich's ihm nicht, daß mir das gefällt; denn sonst wär's nicht auszuhalten: in drei Tagen wär' er in Stücke gehauen. Im Gegenteil; ich halte ihn zurück: ich bin sein Verstand, wie er mich nennt. Und er läßt sich meine Verständigkeit gefallen, weil er weiß, daß sie nicht Feigheit ist. Hab' ich ihn doch mehr als einmal mit meiner Laienklugheit aus einer Verlegenheit ziehen müssen, in die ihn der Trotz seines Heldentums gebracht! Die lustigste dieser Geschichten ist die von Horn und Tuba.«
»Welche von beiden bläsest du, o mein Prokopius?«
»Keine, nur die Posaune des Ruhms und die Pfeife des Spottes!«
»Aber was war's mit Horn und Trompete?«
»Ei, wir lagen vor einem Felsennest in Persien, das wir haben mußten, weil es die Straße beherrscht. Wir hatten uns aber schon mehrmals unsre heroischen Köpfe übel daran zerstoßen: und mein zorniger Herr schwor, ›bei dem Schlummer Justinians‹ – das ist nämlich sein höchstes Heiligtum –, er werde nie vor dieser Burg Anglon zum Rückzug blasen lassen. Nun wurden aber unsre Vorposten sehr oft aus der Festung überfallen: wir, im hochgelegnen Lager, konnten die Angreifer aus der Burg brechen sehen, nicht aber konnten das unsre Vorposten am Fuße des Berges. Ich riet nun, daß wir vom Lager aus unsern Leuten das Zeichen zum Rückzug geben lassen sollten, so oft wir die Gefahr ihnen drohen sahen.
Aber da kam ich übel an!
Der Schlummer Justinians sei ein solches Heiligtum, daß man an einem darauf geleisteten Schwur nicht makeln dürfe! Und so mußten sich denn unsre armen Burschen von den Persern [] unversehens überrumpeln lassen! Bis ich auf den scharfsinnigen Ausweg kam, meinem Helden vorzuschlagen, er solle, um die Unsern zum Rückzug zu mahnen, das Angriffszeichen mit dem Horn, statt mit der Tuba, blasen lassen.
Das leuchtete ihm ein, dem biedern Belisarius.
Und wenn wir nun lustig die Hörner zum Angriff schmettern ließen, liefen unsre Leute schleunigst wie geschreckte Hasen davon! Es war zum Totlachen, jene mutigen Klänge so schnöde wirken zu sehen! Aber es half: Justinians Schlummer und Belisars Eid blieben ungeschwächt, unsre Vorposten wurden nicht mehr abgeschlachtet und das Felsnest fiel endlich. Also schelt' ich ihn immer spottend aus für seine Heroentaten. Aber im stillen erwärme und erfreue ich mein tiefstes Herz dran: er ist der letzte Heros!«
»Nun,« meinte Cethegus, »bei den Goten findest du gar manchen solchen Schlagetot.«
Prokop nickte bedächtig: »Kann auch nicht leugnen, daß ich großes Wohlgefallen habe an diesen Goten. Sind aber doch zu dumm.«
»Wie? Warum?«
»Dumm sind sie, daß sie, anstatt hübsch langsam, Schritt für Schritt, im Zusammenhang mit ihren gelbhaarigen Brüdern, sich gegen uns vorzuschieben – sie wären unaufhaltsam! – in dieses Italien sich ohne allen Verstand vereinzelt hereingedrängt haben, wie ein Stück Holz mitten in einen glimmenden Herd. Daran werden sie untergehen: sie werden verbrennen, du wirst es sehen.« – »Ich hoffe, es zu sehen. Und was dann?« fragte Cethegus ruhig.
»Ja,« antwortete Prokop verdrießlich, »was dann! Das ist das Ärgerliche! Dann wird Belisar Statthalter von Italien – denn mit dem Schneckenprinzen dauert es kein Jahr – und er verliegt hier seine schönste Kraft, während es Arbeit vollauf gäbe bei den Persern. Und ich werde dann als sein Hofhistoriograph[] nur zu schreiben haben, wie viele Schläuche Wein wir jährlich vertilgen.«
»Du willst also, wenn die Goten beseitigt sind, Belisar wieder fort haben aus Italien?«
»Freilich! Im Perserland blühn seine Lorbeern und die meinen! Ich sinne schon lange auf ein Mittel, ihn von hier dann wieder fortzubringen.«
Cethegus schwieg. Er freute sich, einen so wichtigen Bundesgenossen für seinen Plan gefunden zu haben. »Und so beherrscht also sein Verstand Prokopius den Löwen Belisar,« sagte er laut. – »Nein!« seufzte Prokop, »vielmehr sein Unverstand, sein Weib.« – »Antonina! Sage, weshalb nanntest du sie unglücklich.«
»Weil sie halb ist und ein Widerspruch. Die Natur hat sie zu einem braven, treuen Weib angelegt: und Belisar liebt sie mit der vollen Kraft seiner Heroenseele. Da kam sie an den Hof der Kaiserin. Theodora, diese schöne Teufelin, ist von Natur ebenso zur Buhlschaft angelegt wie Antonina zur Tugend. Die Zirkusdirne hat gewiß noch nie einen Stachel des Gewissens empfunden. Aber ich glaube, sie erträgt es nicht, ein ehrsam Weib in ihrer nächsten Nähe zu haben, das sie verachten müßte. Sie ruhte nicht, bis es ihr gelungen, durch ihr höllisches Beispiel Antoninas Gefallsucht zu wecken. Gewissensqual empfindet diese über ihr Spiel mit ihren Verehrern: denn sie liebt ihren Mann, sie betet ihn an.«
»Und doch? Wie mag ihr ein Held, wie Belisar, nicht genügen?«
»Eben, weil er ein Held ist! Er schmeichelt ihr nicht, bei all seiner Liebe. Sie konnt' es nicht tragen, die Buhler der Kaiserin in Versen, Blumen, Geschenken sich erschöpfen zu sehen und selbst solcher Huldigung zu entbehren. Eitelkeit ward ihr Fallstrick. Aber es ist ihr gar nicht wohl bei all dem Getändel.«
»Und ahnt Belisar?« –
[] »Keinen Schatten! Er ist der einzige im ganzen römischen Kaiserreich, der es nicht weiß, was ihn doch zumeist angeht. Ich glaube, es wäre sein Tod. Und auch deshalb schon darf Belisar nicht hier im Frieden Statthalter von Italien werden. Im Lager, im Getümmel des Krieges, da fehlen dem gefall, süchtigen Weib die Schmeichler und auch die Muße, sie zu hören. Denn, gleichsam zur freiwilligen Buße für jene süßen Verbrechen der heimlichen Gedichte und Blumen – gröberer Schuld ist sie gewiß nicht fähig – überbietet Antonina alle Frauen an Pflichtstrenge; sie ist Belisars Freund, sein Mitfeldherr; sie teilt die Beschwerden und Gefahren des Meeres, der Wüste, des Krieges mit ihm: sie arbeitet mit ihm Tag und Nacht, wann sie nicht gerade Verse andrer auf ihre schönen Augen liest! – Schon oft hat sie ihn gerettet aus den Schlingen seiner Feinde am Hofe zu Byzanz. Kurz, nur im Krieg, im Lager tut sie gut, da wo auch seine Größe allein gedeiht.«
»Nun,« sprach Cethegus, »weiß ich genug, wie die Dinge hier stehen. Laß mich offen mit dir reden: du willst Belisar nach seinem Sieg aus Italien wieder fort haben; ich auch: du um Belisars, ich um Italiens willen. Du weißt, ich war von jeher Republikaner ...« – – –
Da schob Prokop den Becher zur Seite und sah seinen Gast bedeutsam an: »Das sind alle jungen Leute zwischen vierzehn und einundzwanzig Jahren. Aber daß du's noch bist – find' ich sehr – sehr – unhistorisch. Aus diesem italischen Gesindel, unsern höchst liebwerten Bundesgenossen gegen die Goten, willst du Bürger einer Republik machen? Sie sind zu nichts mehr gut als zur Tyrannis!«
»Ich will darüber nicht streiten!« lächelte Cethegus. »Aber vor eurer Tyrannis möcht' ich mein Vaterland bewahren.«
»Kann dir's nicht verdenken!« lächelte Prokop, »die Segnungen unsrer Herrschaft sind – erdrückend!«
[] »Ein eingeborner Statthalter unter dem Schutz von Byzanz genügt zunächst.«
»Jawohl, und dieser würde Cethegus heißen!«
»Wenn's sein muß, – auch das!«
»Höre,« sprach Prokop ernsthaft, »ich warne dich dabei nur vor einem. Die Luft von Rom heckt stolze Pläne aus. Man ist dort, als Herr von Rom, nicht gern der zweite auf Erden. Und glaube dem Historikus: es ist doch nichts mehr mit der Weltherrschaft Roms.«
Cethegus ward unwillig. Er gedachte der Warnung König Theoderichs. »Historikus von Byzanz, meine römischen Dinge kenne ich besser als du. Laß dich jetzt einweihen in unsre römischen Geheimnisse; dann verschaffe mir morgen früh, eh' die Gesandtschaft von Rom anlangt, ein Gespräch mit Belisar und – sei eines großen Erfolges gewiß.« Und nun begann er dem staunenden Prokop mit raschen Strichen ein Bild der Geheimgeschichte der jüngsten Vergangenheit und seine Pläne der Zukunft zu entwerfen, sein letztes Ziel wohlweislich verhüllend.
»Bei den Manen des Romulus!« rief Prokop, als er geendet hatte. »Ihr macht noch immer Weltgeschichte an dem Tiber. Nun, hier meine Hand. Meine Hilfe hast du! Belisar soll siegen, doch nicht herrschen in Italien; darauf laß uns noch einen Krug herben Sallustius leeren!«
Früh am andern Tage vermittelte Prokop seinem Freunde eine Unterredung mit Belisar, von welcher jener sehr befriedigt zurückkam.
»Nun, hast du ihm alles gesagt?« fragte der Historiker.
»Nicht eben alles!« sprach Cethegus mit feinem Lächeln: »man muß immer noch etwas zu sagen übrig behalten.«
[] Zwölftes Kapitel.
Bald darauf ward das Lager von seltsamer Aufregung erfüllt.
Das Gerücht von der Ankunft des heiligen Vaters, das seiner reich vergoldeten Sänfte voranflog, riß die Tausende von Soldaten mit Kräften der Andacht, der Ehrfurcht, des Aberglaubens, der Neugier aus ihren Zelten, von Schlaf und Schmaus und Spiel hinweg, ihm entgegen. Kaum, daß die Anführer die Mannschaft im Dienst und auf den Wachen zurückhalten konnten; meilenweit waren ihm die Gläubigen entgegengeeilt und geleiteten jetzt, mit Haufen des Landvolks der Umgegend gemischt, seinen Zug ins Lager. Längst hatten sich Bauern und Soldaten an der Eselinnen Statt, die seine Sänfte trugen, eingespannt: – vergebens hatte sich die Bescheidenheit des Papstes dagegen gesträubt – und unter unaufhörlichem Jubelruf: »Heil dem Bischof von Rom, Heil dem heiligen Petrus!« wälzte sich der Strom der Tausende heran, über die Silverius unermüdlich Segen sprach. Seiner beiden Mitgesandten, Scävola und Albinus, dachte kein Mensch.
Belisar sah von seinem Zelthügel aus mit ernsten Augen das mächtige Schauspiel. »Der Präfekt hat recht!« sprach er dann: »dieser Priester ist gefährlicher als die Goten. Es ist ein Triumphzug! Prokop, laß die byzantinische Leibwache an meinem Zelt ablösen, sowie die Unterredung beginnt: sie sind allzugute Christen. Laß die Hunnen aufziehn und die heidnischen Gepiden.«
Damit schritt er in sein Zelt zurück, wo er alsbald, von seinen Heerführern umgeben, die römische Gesandtschaft empfing. Den Prinzen Areobindos hatte Prokop von der Notwendigkeit einer Rekognoszierung überzeugt, die nur heute und nur von ihm vorgenommen werden konnte.
Umwogt von einem glänzenden geistlichen Gefolge nahte der Papst dem Feldherrnzelt. Große Massen Volkes drängten [] nach, aber sowie der Papst mit Scävola und Albinus die Mündung der engen Lagergasse hinter sich hatten, sperrten die Wachen mit gefällten Lanzen den Weg und ließen weder Priester noch Soldaten folgen.
Lächelnd wandte sich Silverius zu dem Führer der Schar und hielt ihm eine schöne Rede über den Text: »Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret ihnen nicht.« Aber der Germane schüttelte den zottigen Kopf und wandte ihm den Rücken: der Gepide verstand kein Latein, außer dem Kommando.
Da lächelte Silverius wieder, segnete nochmals seine Getreuen und schritt dann ruhig weiter in das Zelt. Belisar saß auf einem Feldsessel: darüber war eine Löwenhaut gebreitet: ihm zur Linken thronte die schöne Antonina auf einem Pardelfell. Ihre wunde Seele hatte in dem Nachfolger des heiligen Petrus einen Arzt und Helfer zu finden gehofft. Aber bei dem Anblick der weltklugen Züge des Silverius zog sich ihr Herz zusammen.
Belisar erhob sich beim Eintritt des Papstes.
Dieser schritt, ohne sich zu neigen, gerade auf ihn zu und legte ihm – er mußte sich mühsam dazu aufrichten – wie segnend beide Hände auf die Schultern. Er wollte ihn leise niederdrücken auf die Kniee: – aber eichenfest blieb der Feldherr aufrecht stehen: und Silverius mußte dem Stehenden den Segen erteilen.
»Ihr kommt als Gesandte der Römer?« begann Belisar.
»Ich komme,« unterbrach Silverius, »im Namen des heiligen Petrus, als Bischof von Rom dir und dem Kaiser Justinian meine Stadt zu übergeben. Diese guten Leute,« fuhr er fort, auf Scävola und Albinus weisend, »haben sich mir angeschlossen wie die Glieder dem Haupt.« Unwillig wollte Scävola einfallen – so hatte er seinen Bund mit der Kirche nicht verstanden! – aber Belisar winkte ihm, zu schweigen.
[] »Und so heiße ich dich willkommen in Italien und Rom im Namen des Herrn. Ziehe ein in die Mauern der ewigen Stadt zum Schirme der Kirche und der Gläubigen wider die Ketzer! Erhöhe dort den Namen des Herrn und das Kreuz Jesu Christi und vergiß nie, daß es die heilige Kirche war, die dir die Wege gebahnt und die Pfade gebaut. Ich bin es gewesen, den Gott zum Werkzeug gewählt, die Goten in törichte Sicherheit zu wiegen und blinden Auges aus der Stadt zu führen: ich bin es gewesen, der die schwankende Stadt, die Bürger für dich gewonnen und die Anschläge deiner Feinde vernichtet hat. Der heilige Petrus ist es, der dir mit meiner Hand die Schlüssel seiner Stadt überreicht, auf daß du sie ihm beschirmest und beschützest. Vergiß niemals dieser Worte.« Und er reichte ihm die Schlüssel des asinarischen Tores.
»Ich werde sie nie vergessen!« sprach Belisar und winkte Prokop, der den Schlüssel aus der Hand des Papstes nahm. »Du sprachst von Anschlägen meiner Feinde. Hat der Kaiser Feinde in Rom?«
Da sprach Silverius mit Seufzen: »Laß ab, Feldherr, zu fragen.
Ihre Netze sind zerrissen: sie sind unschädlich und der Kirche steht nicht an, zu verklagen, sondern zu entschuldigen und alles zum besten zu kehren.«
»Es ist deine Pflicht, heiliger Vater, dem rechtgläubigen Kaiser die Verräter zu entdecken, die unter seinen römischen Untertanen sich bergen, und ich fordre dich auf, seinen Feind zu entlarven.«
Silverius seufzte: »die Kirche dürstet nicht nach Blut.« – »Aber sie darf den Arm der weltlichen Gerechtigkeit nicht hemmen,« sprach Scävola. Und der Jurist trat vor und überreichte Belisar eine Papyrusrolle. »Ich hebe Klage gegen Cornelius Cethegus Cäsarius, den Präfekten von Rom, wegen Majestätsbeleidigung und Empörung gegen Kaiser Justinian.[] Diese Schrift enthält die Klagepunkte und die Beweise. Er hat des Kaisers Regierung eine Tyrannei gescholten. Er hat sich der Landung kaiserlicher Heere nach Kräften widersetzt. Er hat endlich noch vor wenig Tagen, er allein, dafür gestimmt, die Tore Roms dir nicht zu öffnen.«
»Und welche Strafe beantragt ihr?« fragte Belisar in die Schrift blickend.
»Nach dem Gesetz den Tod,« sprach Scävola. – »Und seine Güter verfallen nach dem Gesetz,« sprach Albinus, »halb dem Fiskus, halb den Klägern.« – »Und seine Seele der Barmherzigkeit Gottes,« schloß der Bischof von Rom.
»Wo ist der Angeklagte?« fragte Belisar.
»Er verhieß, dich aufzusuchen; aber ich fürchte, sein böses Gewissen wird ihn nicht haben kommen lassen.«
»Du irrst, Bischof von Rom,« sprach Belisar, »er ist schon hier.«
Bei diesem Wort fiel der Vorhang im Hintergrund des Zeltes und vor den erstaunten Anklägern stand Cethegus der Präfekt. Überrascht fuhren die Ankläger auf; schweigend, mit vernichtendem Blick, trat Cethegus einige Schritte vor, bis er zur Rechten Belisars stand.
»Cethegus hat mich früher aufgesucht als du,« fuhr der Feldherr nach einer Pause fort: »und er ist dir zuvorgekommen – auch im Anklagen. Du stehst als schwer Beschuldigter vor mir, Silverius. Verteidige dich, ehe du verklagst.«
»Ich als Beschuldigter?« lächelte der Papst. »Wo wäre ein Kläger oder ein Richter für den Nachfolger des heiligen Petrus?«
»Der Richter bin ich: an deines Herrn, des Kaisers Statt.«
»Und der Kläger?« fragte Silverius.
Cethegus wandte sich halb gegen Belisar und sprach: »Der Kläger bin ich! Ich habe Silverius, den Bischof von Rom, des Verbrechens der verletzten Majestät des Kaisers und des [] Hochverrats am römischen Reich geziehen. Ich beweise sofort meine Klage. Silverius hat die Absicht, die Herrschaft der Stadt Rom und einen großen Teil Italiens dem Kaiser Justinian zu entreißen und – lächerlich zu sagen! – ein Priesterreich zu gründen in dem Vaterlande der Cäsaren. Und schon hat er den nächsten Versuch getan zur Ausführung dieses – soll ich sagen: seines Wahnsinns oder seines Verbrechens? Hier überreiche ich einen Vertrag, – hier steht die Unterschrift seiner Hand – den er mit Theodahad, dem letzten Fürsten der Barbaren, geschlossen. Der König verkauft darin für ewige Zeiten für die Summe von tausend Pfund Gold an den heiligen Petrus und seine Nachfolger, für den Fall, daß Silverius Bischof von Rom werde, die Herrschaft der Stadt und das Weichbild von Rom und dreißig Meilen in der Runde. Es sind aufgezählt alle Hoheitsrechte: Gerichtsbarkeit, Gesetzgebung, Verwaltung, Steuern, Zölle und selbst Kriegsgewalt. Dieser Vertrag ist nach seinem Datum drei Monate alt. Also im selben Augenblick, da der fromme Archidiakon, hinter Theodahads Rücken, die Waffen des Kaisers herbeirief, schloß er hinter des Kaisers Rücken, einen Vertrag, der diesem die Früchte seiner Anstrengung rauben und den Papst für alle Fälle sichern sollte. Ich überlasse es dem Stellvertreter des Kaisers, wie solche Klugheit zu würdigen sei. Für die Erwählten des Herrn gilt als besondre Klugheit der Schlangen Moral: – unter uns Laien ist solches Tun ...« –
»Der schändlichste Verrat!« fiel Belisar donnernd ein, sprang auf und nahm die Urkunde aus des Präfekten Hand. – »Hier sieh, Priester, deinen Namen: kannst du noch leugnen?«
Der Eindruck dieser Anklage, dieses Beweises auf alle Anwesenden war ein gewaltiger. Staunen und Unwillen, gemischt mit Spannung auf des Papstes Verteidigung, lag auf den Zügen aller Gesichter; am meisten aber war Scävola, der kurzsichtige Republikaner, überrascht von diesen Herrscherplänen [] seines gefährlichen Verbündeten. Er hoffte, Silverius werde die Verleumdung siegreich niederschlagen.
Die Lage des Papstes war in der Tat höchst gefährlich, die Anklage schien unwiderleglich, und das zornlohende Antlitz Belisars hätte manch' tapfres Herz erschreckt. Aber Silverius zeigte in diesem Augenblick, daß er kein unebenbürtiger Gegner des Präfekten und des Helden von Byzanz war. Nicht eine Sekunde hatte er die Fassung verloren: nur als Cethegus die Urkunde aus dem Gewand hervorzog, hatte er einen Moment die Augen niedergeschlagen, wie aus Schmerz. Aber dem donnernden Ruf wie den blitzenden Augen Belisars hielt er ein unerschütterlich ruhiges Angesicht entgegen. Er fühlte, daß er in dieser Stunde den Gedanken seines Lebens verfechten mußte: dies gab ihm kühne Kraft, keine Wimper zuckte ihm.
»Wie lange wirst du noch schweigen?« fuhr ihn Belisar an.
»Bis du fähig und würdig bist, mich zu hören. Du bist besessen von Urchitophel, dem Dämon des Zornes.«
»Sprich! Verteidige dich!« sagte Belisar, sich setzend.
»Die Klage dieses gottlosen Mannes,« hob Silverius an, »bringt nur ein Recht der heiligen Kirche noch früher ans Licht, als sie es in dieser unruhigen Zeit geltend machen wollte. Es ist wahr, ich habe diesen Vertrag mit dem Barbarenkönig geschlossen.«
Eine Bewegung der Entrüstung ging durch die Reihen der Byzantiner.
»Nicht aus weltlicher Herrschsucht, nicht, um neues Recht zu erwerben, habe ich mit dem König der Goten, als dem damaligen Besitzer der Stadt, verhandelt. Nein! die Heiligen sind mir Zeugen! Nur weil es meine Pflicht, ein uraltes Recht des heiligen Petrus nicht fallen zu lassen.«
»Ein uraltes Recht?« fragte Belisar unwillig.
»Ein uraltes Recht!« wiederholte Silverius, »das geltend zu machen die Kirche nur bisher unterlassen hat. Ihre Feinde [] nötigen sie, in diesem Augenblick damit hervorzutreten. Wisset denn, du Vertreter des Kaisers, höret es, ihr Kriegsobersten und Schwertgewaltigen, was sich die Kirche von Theodahad hat einräumen lassen, ist schon seit zwei Jahrhunderten ihr Eigentum: der Gote hat es nur bestätigt.
An demselben Ort, wo des Präfekten tempelschänderische Hand diese Bestätigung entwendet, hätte er auch die Urkunde finden können, die ursprünglich unser Recht begründet hat. Der fromme Kaiser Constantinus, der sich zuerst von den Vorgängern Justinians der Lehre des Heils zugewandt, hat auf Bitten seiner gottseligen Mutter Helena, nachdem er alle seine Feinde mit sichtbarer Hilfe der Heiligen, besonders des heiligen Petrus, unter seine Füße getreten, zur dankbaren Anerkenntnis solchen Beistandes und um vor aller Welt zu bezeugen, daß Krone und Schwert sich vor dem Kreuz der Kirche zu beugen haben, die Stadt Rom mit ihrem Weichbild und die benachbarten Städte und Marken durch eine feierliche Schenkungsurkunde für ewige Zeiten dem heiligen Petrus zu eigen übertragen, mit Gericht und Verwaltung, Steuer und Zoll und allen Kronrechten irdischer Herrschaft, auf daß die Kirche auch einen weltlichen Boden habe zur leichteren Vollführung ihrer weltlichen Aufgaben. Diese Schenkung ist durch eine rechtsgültige Urkunde in aller Form verbrieft: der Fluch von Gehenna ist jedem gedroht, der sie anstreitet. Und ich frage, im Namen des dreieinigen Gottes, den Kaiser Justinian, ob er diese Rechtshandlung seines Vorgängers, des in Gott seligen Kaisers Constantinus, anerkennen oder ob er sie, aus weltlicher Habgier, umstoßen und damit den Fluch der Gehenna und die ewige Verdammnis auf sein Haupt laden will?«
Diese Rede des Bischofs von Rom, mit aller Kraft geistlicher Würde und aller Kunst weltlicher Rhetorik vorgetragen, war von unwiderstehlicher Wirkung. Belisar, Prokop und die Feldherren, die eben noch über den verräterischen Priester ein [] zorniges Gericht hatten halten wollen, fühlten sich jetzt durch den plötzlich ihnen entgegengehaltenen Rechtstitel selbst wie verurteilt.
Der Kern Italiens schien unwiderbringlich dem Kaiser verloren und der Herrschaft der Kirche anheimgegeben. Ein banges Schweigen lagerte über den jüngst noch so herrischen Byzantinern und triumphierend stand der Priester als Sieger in ihrer Mitte. Endlich sprach Belisar, der die Aufgabe der Bekämpfung oder die Schmach der Niederlage von sich abwälzen wollte: »Präfekt von Rom, was hast du zu erwidern?«
Mit einem kaum bemerkbaren Zucken des Spottes um die feinen Lippen verneigte sich Cethegus und begann: »Der Angeklagte beruft sich auf eine Urkunde.
Ich könnte, glaub' ich, ihn in große Verlegenheit versetzen, wenn ich ihr Vorhandensein bestritte, und die sofortige Vorlage der Urschrift von ihm verlangte. Indessen will ich dem Manne, der sich das Haupt der Christenheit nennt, nicht wie ein gehässiger Anwalt begegnen. Ich räume ein, die Urkunde existiert.«
Belisar machte eine Bewegung hilflosen Verdrusses.
»Mehr noch! Ich habe dem heiligen Vater die Mühe der Vorlage derselben, die ihm sonst sehr schwer fallen dürfte, erspart, und die Urkunde selbst mitgebracht in meiner tempelschänderischen Hand.« Er zog ein vergilbtes Pergament aus dem Sinus und sah lächelnd bald in dessen Zeilen, bald auf des Papstes, bald auf Belisars Gesicht, an deren Spannung sich weidend.
»Ja, noch mehr. Ich habe die Urkunde viele Tage lang mit feindselig forschenden Augen, mit Zuziehung noch schärferer Juristen, als ich es leider nur bin, – so meines jungen Freundes Salvius Julianus, – bis auf jeden Buchstaben nach ihrer formellen Gültigkeit geprüft. Vergebens. – Selbst der Scharfsinn meines verehrten und gelehrten Freundes Scävola könnte [] keinen Mangel herausinterpretieren. Alle Formen des Rechts, alle Klauseln höchster unanfechtbarer Sicherheit sind in der Schenkungsakte haarscharf gewahrt; und in der Tat: ich hätte den Protonotarius des Kaisers Constantin kennen mögen, er muß ein Jurist ersten Ranges gewesen sein.« Er hielt inne: – höhnisch ruhte sein Auge auf dem Antlitz des Silverius, der sich den Schweiß von den Schläfen wischte.
»Also,« fragte Belisar in höchster Aufregung: »die Urkunde ist formell ganz richtig – daher beweiskräftig?«
»Jawohl!« seufzte Cethegus, »die Schenkung ist in ganz makelloser Ordnung. Schade nur, daß ... –«
»Nun?« unterbrach Belisar.
»Schade nur, daß sie falsch ist.«
Da flog ein Schrei von allen Lippen. Belisar, Antonina sprangen auf, alle Anwesenden traten einen Schritt näher zu dem Präfekten. Nur Silverius wankte einen Schritt zurück.
»Falsch?« fragte Belisar mit einem Ruf, der wie ein Jubel klang. »Präfekt, – Freund, – kannst du das beweisen?«
»Sonst hätte ich mich gehütet es zu behaupten. Das Pergament, auf das die Schenkung geschrieben ist, zeigt alle Spuren eines hohen Alters: Brüche, Wurmstiche, Flecken jeder Art, alles, was man von Ehrwürdigkeit verlangen kann, – so daß es manchmal sogar schwierig ist, die Buchstaben zu erkennen. Gleichwohl stellt sich die Urkunde nur so alt; mit so großem Aufwand von Kunst, als manche Frauen sich den Schein der Jugend geben, lügt sie die Heiligkeit des Alters. Es ist echtes Pergament aus der alten, von Constantin begründeten, noch heute bestehenden kaiserlichen Pergamentfabrik zu Byzanz.«
»Zur Sache,« rief Belisar.
»Aber es ist wohl nicht jedem bekannt, – und es scheint auch leider dem heiligen Bischof entgangen zu sein! – daß bei diesen Pergamenten ganz unten – links, am Rande – durch Stempelschlag das Jahr der Fertigung durch Angabe der Jahreskonsuln [] in allerdings kaum wahrnehmbaren Buchstaben bezeichnet wird. Nun gib wohl acht, o Feldherr!
Die Urkunde will, wie sie im Texte sagt, gefertigt sein im sechzehnten Jahre von Constantins Regierung, im gleichen Jahre, da er die Heidentempel schließen ließ, wie das fromme Pergament besagt, ein Jahr nach der Erhebung von Constantinopolis zur Hauptstadt, und nennt richtig die richtigen Konsuln dieses Jahres, Dalmatius und Xenophilos.
Da ist es nun wirklich nur durch ein Wunder zu erklären, – aber hier hat Gott der Herr ein Wunder gegen seine Kirche getan! – daß man in jenem Jahre, also im Jahre dreihundertfünfunddreißig nach der Geburt des Herrn, schon ganz genau wußte, wer im Jahr nach dem Tode des Kaisers Justinus und des Königs Theoderich Konsul sein würde; denn seht, hier unten am Rande der Stempel besagt: der Schreiber hatte ihn nicht beachtet – er ist auch wirklich sehr schwer wahrzunehmen, wenn man das Pergament nicht gegen das Licht hält – so etwa, siehst du, Belisar? und er hatte blindlings drei Kreuze darauf gemalt; ich aber habe diese Kreuze mit meiner – wie hieß es doch? – ›tempelschänderischen‹, aber geschickten Hand weggewischt und siehe, da steht eingestempelt: ›VI Indiktion: Justianinus Augustus, allein Konsul im ersten Jahre seiner Herrschaft.‹«
Silverius wankte und hielt sich an dem Stuhl, den man für ihn bereit gestellt.
»Das Pergament der Urkunde, auf welches der Protonotar des Kaisers Constantin vor zweihundert Jahren die Schenkung niederschrieb, ist also erst vor einem Jahre zu Byzanz einem Esel von den Rippen gezogen worden. Gesteh, o Feldherr, daß hier das Gebiet des Begreiflichen endet, und des Übernatürlichen beginnt, daß hier ein Wunder der Heiligen geschah, und verehre das Walten des Himmels.« Er reichte Belisar die Urkunde.
[] »Das ist auch ein tüchtig Stück Weltgeschichte, heilige und profane, was wir da erleben!« sagte Prokop zu sich selbst.
»Es ist so, beim Schlummer Justinians!« frohlockte Belisar. »Bischof von Rom, was hast du zu erwidern?«
Mühsam hatte sich Silverius gefaßt; er sah den Bau seines Lebens vor seinen Augen in die Erde versinken. Mit halb versagender Stimme antwortete er:
»Ich fand die Urkunde im Archiv der Kirche vor wenigen Monden. Ist dem so, wie ihr sagt, so bin ich getäuscht, wie ihr.«
»Wir sind aber nicht getäuscht,« lächelte Cethegus.
»Ich wußte nichts von jenem Stempel, ich schwöre es bei den Wunden Christi.« – »Das glaub' ich dir ohne Schwur, heiliger Vater,« fiel Cethegus ein. – »Du wirst einsehn, Priester,« sprach Belisar, sich erhebend, »daß über diese Sache die strengste Untersuchung ...« –
»Ich verlange sie,« sprach Silverius, »als mein Recht.«
»Es soll dir werden, zweifle nicht! Aber nicht ich darf es wagen, hier zu richten: nur die Weisheit des Kaisers selbst kann hier das Recht finden. Vulkaris, mein getreuer Heruler, dir übergeb' ich die Person des Bischofs. Du wirst ihn sogleich auf ein Schiff bringen und nach Byzanz führen.«
»Ich lege Verwahrung ein,« sprach Silverius. »Über mich kann niemand richten auf Erden als ein Konzil der ganzen rechtgläubigen Kirche. Ich verlange, nach Rom zurückzukehren.«
»Rom siehst du niemals wieder! Und über deine Rechtsverwahrung wird der Kaiser Justinian, der Kaiser des Rechts, mit Tribonian entscheiden. Aber auch deine Genossen, Scävola und Albinus, die falschen Mitankläger des Präfekten, der sich als des Kaisers treusten, klügsten Freund erwiesen, sind hoch verdächtig. Justinian entscheide, wieweit sie unschuldig. Auch sie führt in Ketten nach Byzanz. Zu Schiff! [] Dort hinaus, zur Hintertür des Zeltes, nicht durchs Lager. Vulkaris, dieser Priester aber ist des Kaisers gefährlichster Feind. Du bürgst für ihn mit deinem Kopf.«
»Ich bürge,« sprach der riesige Heruler, vortretend und die gepanzerte Hand auf des Bischofs Schulter legend. »Fort mit dir, Priester! zu Schiff! Er stirbt, eh' er mir entrissen wird.«
Silverius sah ein, daß weiteres Widerstreben nur seine Würde gefährdende Gewalt hervorrufen werde. Er fügte sich und schritt neben dem Germanen, der die Hand nicht von seiner Schulter löste, nach der Tür im Hintergrund des Zeltes, die eine der Wachen auftat.
Er mußte hart an Cethegus vorbei. Er beugte das Haupt und sah ihn nicht an: aber er hörte, wie dieser ihm zuflüsterte: »Silverius, diese Stunde vergilt deinen Sieg in den Katakomben. Nun sind wir wett!«
Dreizehntes Kapitel.
Sowie der Bischof das Zelt verlassen, erhob sich Belisar lebhaft von seinem Sitze, eilte auf den Präfekten zu, umarmte und küßte ihn: »Nimm meinen Dank, Cethegus Cäsarius! Ich werde dem Kaiser berichten, daß du ihm heute Rom gerettet hast. Dein Lohn wird nicht ausbleiben.«
Aber Cethegus lächelte: »Meine Taten belohnen sich selbst.«
Den Helden Belisarius hatte der geistige Kampf dieser Stunde, der rasche Wechsel von Zorn, Furcht, Spannung und Triumph mehr als ein halber Tag des Kampfes unter Helm und Schild angestrengt und erschöpft. Er verlangte nach Erholung und Labung und entließ seine Heerführer, von denen keiner ohne ein Wort der Anerkennung an den Präfekten das Zelt verließ. Dieser sah seine Überlegenheit von allen, auch von Belisar, anerkannt; es tat ihm wohl, in einer Stunde den [] schlauen Bischof vernichtet und die stolzen Byzantiner gedemütigt zu haben. Aber er wiegte sich nicht müßig in dieser Siegesfreude. Dieser Geist kannte die Gefährlichkeit des Schlafes auf Lorbeer: Lorbeer betäubt.
Er beschloß, sofort den Sieg zu verfolgen, die geistige Übergewalt, die er in diesem Augenblick über den Helden von Byzanz unverkennbar besaß, jetzt, unter ihrem ersten frischen Eindruck, mit aller Kraft zu benutzen und den lang vorbereiteten Hauptstreich zu führen. Während er mit solchen Gedanken dem Zug der Heerführer nachsah, die sich aus dem Zelt entfernten, bemerkte er nicht, daß zwei Augen mit eigentümlichem Ausdruck auf ihm ruhten. Es waren Antoninas Augen. Die Vorgänge, deren Zeugin sie gewesen, hatten einen seltsam gemischten Eindruck auf sie gemacht. Zum erstenmal hatte sie den Abgott ihrer Bewunderung, ihren Gatten, ohne alle eigne Kraft sich zu helfen und zu wehren, in den Schlingen eines andern, des klugen Priesters, liegen und nur durch die überlegne Kraft dieses dämonischen Römers gerettet gesehen. Anfangs hatte ihr in dem Gatten verletzter Stolz diese Demütigung mit schmerzlichem Haß gegen den Übermächtigen empfunden.
Aber dieser Haß hielt nicht vor und unwillkürlich trat, wie immer gewaltiger sich die Macht seiner Überlegenheit entfaltete, Bewunderung an des Verdrusses Stelle und erschreckte Unterordnung; sie empfand nur noch das Eine: ihren Belisar hatte die Kirche und Cethegus hatte ihren Belisar und die Kirche verdunkelt. Und daran knüpfte sich unzertrennlich der ängstliche Wunsch, diesen Mann nie zum Feind, immer zum Verbündeten ihres Gatten zu haben. Kurz, Cethegus hatte an dem Weibe Belisars eine geistige Eroberung von größter Wichtigkeit gemacht: und er sollte es, noch dazu, sofort merken.
Mit gesenkten Augen trat das schöne, sonst so sichre Weib auf ihn zu; er sah auf: da errötete sie über und über und reichte ihm eine zitternde Hand. »Präfekt von Rom,« sagte sie, [] »Antonina dankt dir. Du hast dir ein großes Verdienst erworben um Belisarius und den Kaiser. Wir wollen gute Freundschaft halten.«
Mit Staunen sah Prokop, der im Zelt zurückgeblieben, diesen Vorgang: »Mein Odysseus überzaubert die Zauberin Circe,« dachte er.
Cethegus aber erkannte im Augenblick, wie sich diese Seele vor ihm beugte, und welche Gewalt er dadurch über Belisar gewonnen. »Schöne Magistra Militum,« sagte er, sich hoch aufrichtend, »deine Freundschaft ist der reichste Lorbeer meines Sieges. Ich stelle sie sogleich auf die Probe. Ich bitte dich und Prokop, meine Zeugen, meine Verbündeten zu sein in der Unterredung, die ich jetzt mit Belisar zu führen habe.«
»Jetzt?« sagte Belisar ungeduldig. »Kommt, laßt uns erst zu Tische gehen und im Cäkuber den Sturz des Priesters feiern.« Und er schritt zur Türe.
Aber Cethegus blieb ruhig stehen in der Mitte des Zeltes, und Antonina und Prokop lagen so ganz unter dem Bann seines Einflusses, daß sie nicht ihrem Herrn zu folgen wagten. Ja, Belisar selbst wandte sich und fragte: »Muß es denn jetzt gerade sein?«
»Es muß,« sagte Cethegus, und er führte Antonina an der Hand nach ihrem Sitz zurück.
Da schritt auch Belisar wieder zurück. »Nun so sprich,« sagte er, »aber kurz.«
»So kurz als möglich. Ich habe immer gefunden, daß gegenüber großen Freunden oder großen Feinden Aufrichtigkeit das stärkste Band oder die beste Waffe. Danach werd' ich in dieser Stunde handeln. Wenn ich sagte: mein Tun lohnt sich selbst, so wollt' ich damit ausdrücken, daß ich dem falschen Priester die Herrschaft über Rom nicht eben um des Kaisers willen entrissen.«
Belisar horchte hoch auf. Prokop, erschrocken über diese allzu [] kühne Offenheit seines Freundes, machte ihm ein abmahnendes Zeichen.
Antoninas rasches Auge hatte das bemerkt und stutzte, mißtrauisch über das Einverständnis der beiden. Cethegus entging dies nicht. »Nein, Prokop,« sagte er zu Belisars Erstaunen: »unsre Freunde hier würden doch allzubald erkennen, daß Cethegus nicht der Mann ist, seinen Ehrgeiz in einem Lächeln Justinians befriedigt zu finden. Ich habe Rom nicht für den Kaiser gerettet.«
»Für wen sonst?« fragte Belisar ernst.
»Zunächst für Rom. Ich bin ein Römer. Ich liebe mein ewiges Rom. Es sollte nicht dem Priester dienstbar werden. Aber auch nicht die Sklavin des Kaisers. Ich bin Republikaner,« sprach er, das Haupt trotzig aufwerfend.
Über Belisars Antlitz flog ein Lächeln: der Präfekt schien ihm nicht mehr so bedeutend. Prokop sagte achselzuckend: »Unbegreiflich.« Aber Antoninen gefiel dieser Freimut.
»Zwar sah ich ein, daß wir nur mit dem Schwerte Belisars die Barbaren niederschlagen können. Leider auch, daß unsre Zeit nicht ganz reif ist, mein Traumbild republikanischer Freiheit zu verwirklichen. Die Römer müssen erst wieder zu Catonen werden, dies Geschlecht muß aussterben, und ich erkenne, daß Rom einstweilen nur unter dem Schilde Justinians Schutz findet gegen die Barbaren. Drum wollen wir uns diesem Schilde beugen – einstweilen.«
»Nicht übel!« dachte Prokop, »der Kaiser soll sie solang schützen, bis sie stark genug sind, ihn zum Dank davonzujagen.«
»Das sind Träume, mein Präfekt,« sagte Belisar mitleidig, »was haben sie für praktische Folgen?«
»Die, daß Rom nicht mit gebundenen Händen, ohne Bedingung, der Willkür des Kaisers überliefert werden soll. Justinian hat nicht nur Belisar zum Diener. Denke, wenn der herzlose Narses dein Nachfolger würde!« – Die Stirn des [] Helden faltete sich. – »Des halb will ich dir die Bedingungen nennen, unter denen die Stadt Cäsars dich und dein Heer in ihre Mauern aufnehmen wird.«
Aber das war Belisar zu viel. Zürnend sprang er auf, sein Antlitz glühte, sein Auge blitzte. »Präfekt von Rom,« rief er mit seiner rollenden Löwenstimme, »du vergißt dich und deine Stellung. Morgen brech' ich auf mit meinem Heer von siebzigtausend Mann nach Rom. Wer wird mich hindern, einzuziehen in die Stadt, ohne Bedingung?«
»Ich,« sagte Cethegus ruhig. »Nein, Belisar, ich rase nicht. Sieh hier, diesen Plan der Stadt und ihrer Werke. Dein Feldherrnauge wird rascher, besser als das meine, ihre Stärke erkennen.« Er zog ein Pergament hervor und breitete es auf dem Zelttische aus.
Belisar warf einen gleichgültigen Blick darauf, aber sofort rief er: »Der Plan ist irrig! Prokop, reiche mir unsern Plan aus jener Capsula. –
Sieh her, diese Gräben sind ja jetzt ausgefüllt, diese Türme eingefallen, hier die Mauer niedergerissen, diese Tore wehrlos. Dein Plan stellt sie alle noch in furchtbarer Stärke dar. Er ist veraltet, Präfekt von Rom.«
»Nein, Belisar, der deine ist veraltet: diese Mauern, Gräben, Tore sind hergestellt.« – »Seit wann?« – »Seit Jahresfrist.« – »Von wem?« – »Von mir.« Betroffen sah Belisar auf den Plan.
Antoninas Blick hing ängstlich an den Zügen ihres Gatten.
»Präfekt,« sagte dieser endlich, »wenn dem so ist, so verstehst du den Krieg, den Festungskrieg. Aber zum Krieg gehört ein Heer, und deine leeren Wälle werden mich nicht aufhalten.«
»Du wirst sie nicht leer finden. Du wirst einräumen, daß mehr als zwanzigtausend Mann Rom – nämlich dies mein Rom hier auf dem Plan – über Jahr und Tag selbst gegen [] Belisar zu halten vermögen. Gut: so wisse denn, daß jene Werke in diesem Augenblick von fünfunddreißigtausend Bewaffneten gedeckt sind.«
»Sind die Goten zurück?« rief Belisar. Prokop trat erstaunt näher.
»Nein, jene fünfunddreißigtausend stehen unter meinem Befehl. Ich habe seit Jahren die lang verweichlichten Römer zu den Waffen zurückgerufen und unablässig in den Waffen geübt. So habe ich zur Zeit dreißig Kohorten, jede fast zu tausend Mann, schlagfertig.«
Belisar bekämpfte seinen Unmut und zuckte verächtlich die Achseln.
»Ich geb' es zu,« – fuhr Cethegus fort –, »diese Scharen würden in offner Feldschlacht einem Heere Belisars nicht stehen. Aber ich versichre dich: von diesen Mauern herab werden sie ganz tüchtig fechten. Außerdem hab' ich aus meinen Privatmitteln siebentausend auserlesene isaurische und abasgische Söldner geworben und allmählich in kleinen Abteilungen ohne Aufsehen nach Ostia, nach Rom und in die Umgegend gebracht. Du zweifelst? hier sind die Listen der dreißig Kohorten, hier der Vertrag mit den Isauriern. Du siehst deutlich, wie die Sachen stehen. Entweder du nimmst meine Bedingung an – dann sind jene fünfunddreißigtausend dein, dein ist Rom, mein Rom, dieses Rom auf dem Plan, von dem du sagtest, es sei von furchtbarer Stärke, und dein ist Cethegus. Oder du verwirfst meine Bedingung: dann ist dein ganzer Siegeslauf, dessen Gelingen auf der Raschheit deiner Bewegung ruht, gehemmt. Du mußt Rom belagern, viele Monde lang. Die Goten haben alle Zeit, sich zu sammeln. Wir selber rufen sie zurück: sie ziehen in dreifacher Übermacht zum Entsatz der Stadt heran, und nichts errettet dich vom Verderben als ein Wunder.«
»Oder dein Tod in diesem Augenblick, du Teufel,« donnerte Belisar, und riß, seiner nicht mehr mächtig, das Schwert aus [] der Scheide. »Auf, Prokop, in des Kaisers Namen! Ergreife den Verräter! Er stirbt in dieser Stunde!«
Entsetzt, unschlüssig trat Prokop zwischen die beiden, indes Antonina ihrem Gatten in den Arm fiel und seine rechte Hand zu fassen suchte.
»Seid ihr mit im Bunde?« schrie der Ergrimmte. »Wachen, Wachen herbei!«
Aus jeder der beiden Türen traten zwei Lanzenträger in das Zelt: aber noch zuvor hatte sich Belisar von Antonina losgerissen und mit dem linken Arm den starken Prokop, als wär' er ein Kind, zur Seite geschleudert. Mit dem Schwert zu furchtbarem Stoß ausholend, stürzte er auf den Präfekten los.
Aber plötzlich hielt er inne und senkte die Waffe, die schon des Bedrohten Brust streifte.
Denn unbeweglich, wie eine Statue, ohne eine Miene zu verziehen, den kalten Blick durchbohrend auf den Wütenden gerichtet, war Cethegus stehen geblieben, ein Lächeln unsäglicher Verachtung um die Lippen.
»Was soll der Blick und dieses Lachen?« fragte Belisar innehaltend.
Prokop winkte leise den Wachen, abzutreten.
»Mitleid mit deinem Feldherrnruhm, den ein Augenblick des Jähzorns für immer verderben sollte. Wenn dein Stoß traf, warst du verloren.«
»Ich!« lachte Belisar. »Ich sollte meinen du.«
»Und du mit mir. Glaubst du, ich stecke tolldreist den Kopf in den Rachen des Löwen? Daß einem Helden deiner Art zuallererst der feine Einfall kommen werde, dich mit einem guten Schwertstreich herauszuhauen, das vorauszusehen war nicht schwer. Dagegen hab' ich mich geschützt. Wisse: seit diesem Morgen ist infolge eines versiegelten Auftrages, den ich zurückließ, Rom in den Händen, in der Gewalt meiner[] blindergebnen Freunde. Das Grabmal Hadrians, das Kapitol und alle Tore und Türme der Umwallung sind besetzt von meinen Isauriern und Legionaren. Meinen Kriegstribunen, todesmutigen Jünglingen, hab' ich diesen Befehl hinterlassen für den Fall, daß du ohne mich vor Rom eintriffst.« Er reichte Prokop eine Papyrusrolle.
Dieser las: »An Lucius und Marcus, die Licinier Cethegus der Präfekt. Ich bin gefallen, ein Opfer der Tyrannei der Byzantiner. Rächet mich! Ruft sofort die Goten zurück. Ich fordre es bei eurem Eid. Besser die Barbaren als die Schergen Justinians. Haltet euch bis auf den letzten Mann. Übergebt die Stadt eher den Flammen als dem Heer des Tyrannen.«
»Du siehst also,« fuhr Cethegus fort, »daß dir mein Tod die Tore Roms nicht öffnet, sondern für immer sperrt. Du mußt die Stadt belagern: oder mit mir abschließen.«
Belisar warf einen Blick des Zornes, aber auch der Bewunderung auf den kühnen Mann, der ihm mitten unter seinen Tausenden Bedingungen vorschrieb. Dann steckte er das Schwert ein, warf sich unwillig auf seinen Stuhl und fragte: »Welches sind deine Bedingungen für die Übergabe?«
»Nur zwei. Erstens gibst du mir Befehl über einen kleinen Teil deines Heeres. Ich darf deinen Byzantinern kein Fremder sein.«
»Zugestanden. Du erhältst als Archon zweitausend Mann illyrischen Fußvolks und eintausend sarazenische und maurische Reiter. Genügt das?«
»Vollkommen. Zweitens.
Meine Unabhängigkeit vom Kaiser und von dir ruht einzig auf der Beherrschung Roms. Diese darf durch deine Anwesenheit nicht aufhören. Deshalb bleibt das ganze rechte Tiberufer mit dem Grabmal Hadrians, auf dem linken aber das Kapitol, die Umwallung im Süden bis zum Tore Sankt Pauls [] einschließlich, bis zum Ende des Krieges in der Hand meiner Isaurier und Römer; von dir aber wird der ganze Rest der Stadt auf dem linken Tiberufer besetzt, von dem flaminischen Tor im Norden bis zum appischen Tor im Süden.«
Belisar warf einen Blick auf den Plan. »Nicht übel gedacht! Von jenen Punkten aus kannst du mich jeden Augenblick aus der Stadt drängen oder den Fluß absperren. Das geht nicht an.«
»Dann rüste dich zum Kampf mit den Goten und mit Cethegus zusammen vor den Mauern Roms.«
Belisar sprang auf. »Geht! laßt mich allein mit Prokop! Cethegus, erwarte meine Entscheidung.«
»Bis morgen,« sagte dieser. »Bei Sonnenaufgang kehr' ich nach Rom zurück, mit deinem Heer oder – allein.«
* * *
Wenige Tage darauf zog Belisar mit seinem Heer in der ewigen Stadt ein durch das asinarische Tor.
Endloser Jubel begrüßte den Befreier, Blumenregen überschüttete ihn und seine Gattin, die auf einem zierlichen weißen Zelter an seiner Linken ritt. Alle Häuser hatten ihren Festschmuck von Teppichen und Kränzen angetan.
Aber der Gefeierte schien nicht froh: verdrossen senkte er das Haupt und warf finstre Blicke nach den Wällen und dem Kapitol, von denen, den alten römischen Adlern nachgebildet, die Banner der städtischen Legionare, nicht die Drachenfahnen von Byzanz, herniederschauten.
Am asinarischen Tor hatte der junge Lucius Licinius den Vortrapp des kaiserlichen Heeres zurückgewiesen: und nicht eher hob sich das wuchtige Fallgitter, bis neben Belisars Rotscheck, getragen von seinem prachtvollen Rappen, Cethegus der Präfekt erschienen war. Lucius staunte über die Verwandlung, die mit seinem bewunderten Freunde vorgegangen. Die kalte, strenge Verschlossenheit war gewichen: er erschien größer, [] jugendlicher: ein leuchtender Glanz des Sieges lag auf seinem Antlitz, seiner Haltung und seiner Erscheinung. Er trug einen hohen, reichvergoldeten Helm, von dem der purpurne Roßschweif niederwallte bis auf den Panzer: dieser aber war ein kostbares Kunstwerk aus Athen und zeigte auf jeder seiner Rundplatten ein fein gearbeitetes Relief von getriebenem Silber, jedes einen Sieg der Römer darstellend.
Der Siegesausdruck seines leuchtenden Gesichts, seine stolze Haltung und sein schimmernder Waffenschmuck überstrahlte, wie Belisar, den kaiserlichen Magister Militum selbst, so das glänzende Gefolge von Heerführern, das sich, geführt von Johannes und Prokop, hinter den beiden anschloß. Und dies Überstrahlen war so augenfällig, daß sich, sowie der Zug einige Straßen durchmessen hatte, der Eindruck auch der Menge mitteilte und der Ruf »Cethegus!« bald so laut und lauter als der Name »Belisar« ertönte.
Das feine Ohr Antoninas fing an, dies zu bemerken: mit Unruhe lauschte sie bei jeder Stockung des Zugs auf das Rufen und Reden des Volks. Als sie die Thermen des Titus hinter sich gelassen und bei dem flavischen Amphitheater die sacra Via erreicht hatten, wurden sie durch das Wogen der Menge zum Verweilen gezwungen: ein schmaler Triumphbogen war errichtet, den man nur langsam durchschreiten konnte.
»Sieg dem Kaiser Justinian und Belisarius, seinem Feldherrn« stand darauf geschrieben. Während Antonina die Aufschrift las, hörte sie einen Alten, der wenig in den Lauf der Dinge eingeweiht schien, an seinen Sohn, einen der jungen Legionare des Cethegus, Fragen um Auskunft stellen. »Also, mein Gajus, der Finstre mit dem verdrießlichen Gesicht auf dem Rotscheck ... –« »Ja, das ist Belisarius, wie ich dir sage,« antwortete der Sohn. »So? Nun – aber der stattliche Held, ihm zur Linken, mit dem triumphierenden Blick, der auf dem Rappen, das ist gewiß Justinianus selbst, sein Herr, [] der Imperator?« – »Beileibe, Vater! der sitzt ruhig in seinem goldnen Gemach zu Byzanz und schreibt Gesetze. Nein, das ist ja Cethegus, unser Cethegus, mein Cethegus, der Präfekt, der mir das Schwert geschenkt. Ja, das ist ein Mann. Licinius, mein Tribun, sagte neulich: wenn der nicht wollte, Belisar sähe nie ein römisch Tor von innen.«
Antonina gab ihrem Apfelschimmel einen heftigen Schlag mit dem Silberstäbchen und sprengte rasch durch den Triumphbogen.
Cethegus geleitete den Feldherrn und dessen Gattin bis an den Palast der Pincier, der prachtvoll zu ihrer Aufnahme instand gesetzt war. Hier verabschiedete er sich, den byzantinischen Heerführern seinen Beistand zu leihen, die Truppen teils in den Häusern der Bürger und den öffentlichen Gebäuden, teils vor den Toren in Zelten unterzubringen.
»Wenn du dich von den Mühen – und Ehren! – dieses Tages erholt, Belisarius, erwarte ich dich und Antonina und deine ersten Heerführer zum Mahl in meinem Hause.«
Nach einigen Stunden erschienen Marcus Licinius, Piso und Balbus, die Geladenen abzuholen. Sie begleiteten die Sänften, in denen Antonina und Belisar getragen wurden, die Heerführer gingen zu Fuß.
»Wo wohnt der Präfekt?« fragte Belisar beim Einsteigen in die Sänfte. »Solang du hier bist: tags im Grabmal Hadrians, und nachts – auf dem Kapitol.«
Belisar stutzte. Der kleine Zug näherte sich dem Kapitol.
Mit Staunen sah der Feldherr alle die Werke und Wälle, die seit mehr denn zweihundert Jahren in Schutt gelegen waren, zu gewaltiger Stärke wiederhergestellt.
Nachdem sie durch einen langen, schmalen und dunkeln Zickzackgang, den engen Zugang zu der Feste, sich gewunden, gelangten sie an ein gewaltiges Eisentor, das fest geschlossen war, wie in Kriegszeit.
[] Marcus Licinius rief die Wachen an.
»Gib die Losung!« sprach eine Stimme von innen.
»Cäsar und Cethegus!« antwortete der Kriegstribun. Da sprangen die Torflügel auf: ein langes Spalier der römischen Legionare und der isaurischen Söldner ward sichtbar, letztere in Eisen gehüllt bis an die Augen und mit Doppeläxten bewaffnet. Lucius Licinius stand an der Spitze der Römer, mit gezücktem Schwert in der Hand, Sandil, der isaurische Häuptling, an der Spitze seiner Landsleute. Einen Augenblick blieben die Byzantiner unentschlossen stehen, von dem Eindruck dieser Machtentfaltung von Granit und Eisen überwältigt.
Da wurde es hell in dem matt erleuchteten Raum: man vernahm Musik aus dem Hintergrund des Ganges: und, von Fackelträgern und Flötenspielern begleitet, nahte Cethegus, ohne Rüstung, einen Kranz auf dem Haupt, wie ihn der Wirt eines Festgelages zu tragen pflegte, im reichen Hausgewand von Purpurseide. So trat er lächelnd vor und sprach: »Willkommen! und Flötenspiel und Tubaschall verkünde laut: daß die schönste Stunde meines Lebens kam: Belisar, mein Gast im Kapitol.«
Und unter schmetterndem Klang der Trompeten führte er den Schweigenden in die Burg.
Vierzehntes Kapitel.
Während dieser Vorgänge bei den Römern und Byzantinern bereiteten sich auch auf Seite der Goten entscheidende Ereignisse vor.
In Eilmärschen waren Herzog Guntharis und Graf Arahad von Florentia, wo sie eine kleine Besatzung zurückließen, mit ihrer gefangenen Königin nach Ravenna aufgebrochen. Wenn sie diese für uneinnehmbar geltende Feste vor Witichis, der [] heftig nachdrängte, erreichten und gewannen, so mochten sie dem König jede Bedingung vorschreiben. Zwar hatten sie noch einen starken Vorsprung und hofften, die Verfolger durch die Belagerung von Florentia noch eine gute Weile aufzuhalten. Aber sie büßten jenen Vorsprung beinahe völlig dadurch ein, daß die auf der nächsten Straße nach Ravenna gelegenen Städte und Kastelle sich für Witichis erklärten und so die Empörer nötigten, auf großem Umweg im rechten Winkel zuerst nördlich nach Bononia (Bologna), das zu ihnen abgefallen war, und dann erst östlich nach Ravenna zu marschieren.
Gleichwohl war, als sie in der Sumpflandschaft der Seefestung anlangten und nur noch einen halben Tagemarsch von ihren Toren entfernt waren, von dem Heer des Königs nichts zu sehen. Guntharis gönnte seinen stark ermüdeten Truppen den Rest des ohnehin schon gegen Abend neigenden Tages und schickte nur eine kleine Schar Reiter unter seines Bruders Befehl voraus, den Goten in der Festung ihre Ankunft zu verkünden.
Aber schon in den ersten Morgenstunden des nächsten Tages kam Graf Arahad mit seiner stark gelichteten Reiterschar flüchtend ins Lager zurück. »Bei Gottes Schwert,« rief Guntharis, »wo kommst du her?«
»Von Ravenna kommen wir. Wir hatten die äußersten Werke der Stadt erreicht und Einlaß begehrt, wurden aber entschieden abgewiesen, obwohl ich selbst mich zeigte und den alten Grippa, den Grafen von Ravenna, rufen ließ. Der erklärte trotzig, morgen würden wir seine und der Goten in Ravenna Entscheidung erfahren: wir sowohl wie das Heer des Königs, dessen Spitzen sich bereits von Südosten her der Stadt näherten.«
»Unmöglich!« rief Guntharis ärgerlich.
»Mir blieb nichts übrig, als abzuziehen, so wenig ich dies Benehmen unseres Freundes begriff. Die Nachricht von der Nähe des Königs hielt auch ich für eine leere Drohung des [] Alten, bis meine im Süden der Stadt schwärmenden Reiter, die nach einer trockenen Beiwachtstelle suchten, plötzlich von feindlichen Reitern unter dem schwarzen Grafen Teja von Tarentum mit dem Ruf: ›Heil König Witichis!‹ angegriffen und nach scharfem Gefecht zurückgeworfen wurden.«
»Du rasest,« rief Guntharis. »Haben sie Flügel? ist Florentia aus ihrem Wege fortgeblasen?«
»Nein! aber ich erfuhr von vicentinischen Bauern, daß Witichis auf dem Küstenweg über Auximum und Ariminum nach Ravenna eilt.« – »Und Florentia ließ er im Rücken, unbezwungen? Das soll ihm schlecht bekommen.« – »Florentia ist gefallen! Er schickte Hildebad gegen die Stadt, der sie im Sturme nahm. Er rannte mit eigener Hand das Marstor ein – der wütige Stier!«
Mit finsterer Miene vernahm Herzog Guntharis diese Unglücksbotschaften; aber rasch faßte er seinen Entschluß. Er brach sofort mit all seinen Truppen gegen die Stadt auf, sie durch einen raschen Streich zu nehmen.
Der Überfall mißlang.
Aber die Empörer hatten die Befriedigung, zu sehen, daß die Festung, deren Besitz den Bürgerkrieg entschied, wenigstens auch dem Feind sich nicht geöffnet hatte. Im Südosten, vor der Hafenstadt Classis, hatte sich der König gelagert. Des Herzogs Guntharis geübter Blick erkannte alsbald, daß auch die Sümpfe im Nordwesten eine sichere Stellung gewährten, und rasch schlug er hier ein wohlverschanztes Lager auf.
So hatten sich die beiden Parteien, wie zwei ungestüme Freier um eine spröde Braut, hart an beide Seiten der gotischen Königsstadt gedrängt, die keinem ein günstiges Gehör schenken zu wollen schien.
Tags darauf gingen zwei Gesandtschaften, aus Ravennaten und Goten bestehend, aus dem nordwestlichen und aus dem südöstlichen Tor der Festung, dem Tor des Honorius und dem [] des Theoderich, und brachten, jene in das Lager der Wölsungen, diese zu den Königlichen, den verhängnisvollen Entscheid von Ravenna.
Dieser mußte sehr seltsam lauten. Denn die beiden Heerführer, Guntharis und Witichis, hielten ihn, in merkwürdiger Übereinstimmung, streng geheim und sorgten eifrig dafür, daß kein Wort davon unter ihre Truppen gelangte. Die Gesandten wurden sofort aus den Feldherrnzelten beider Lager unter Bedeckung von Heerführern, die jede Unterredung mit den Heermännern verwehrten, nach den Toren der Stadt zurückgebracht.
Aber auch sonst war die Wirkung der Botschaft in den beiden Heerlagern auffallend genug. Bei den Empörern kam es zu einem heftigen Streit zwischen den beiden Führern: dann zu einer sehr lebhaften Unterredung von Herzog Guntharis mit seiner schönen Gefangenen, die, wie es hieß, nur durch Graf Arahad vor dem Zorne seines Bruders geschützt worden war. Darauf versank das Lager der Rebellen in die Ruhe der Ratlosigkeit.
Folgenreicher war das Erscheinen der ravennatischen Gesandten in dem Lager gegenüber. Die erste Antwort, die König Witichis auf die Botschaft erließ, war der Befehl zu einem allgemeinen Sturm auf die Stadt.
Überrascht vernahmen Hildebrand und Teja, vernahm das ganze Heer diesen Auftrag. Man hatte gehofft, in Bälde die Tore der starken Festung sich freiwillig auftun zu sehen. Gegen das gotische Herkommen und ganz gegen seine sonst so leutselige Art gab der König niemand, auch seinen Freunden nicht, Rechenschaft von der Mitteilung der Gesandten und von den Gründen dieses zornigen Angriffs.
Schweigend, aber kopfschüttelnd und mit wenig Hoffnung auf Erfolg, rüstete sich das Heer zu dem unvorbereiteten Sturm: er ward blutig zurückgeschlagen. Vergebens trieb der König seine Goten immer wieder aufs neue die steilen Felswälle hinan. [] Vergebens bestieg er, dreimal, der erste, die Sturmleitern: vom frühen Morgen bis zum Abendrot hatten die Angreifer gestürmt ohne Fortschritte zu machen: die Festung bewährte ihren alten Ruhm der Unbezwingbarkeit.
Und als endlich der König, von einem Schleuderstein schwer betäubt, aus dem Getümmel getragen wurde, führten Teja und Hildebrand die ermüdeten Scharen ins Lager zurück.
Die Stimmung des Heeres in der darauf folgenden Nacht war sehr trübe und gedrückt. Man hatte empfindliche Verluste zu beklagen und nichts gewonnen, als die Überzeugung, daß die Stadt mit Gewalt nicht zu nehmen sei. Die gotische Besatzung von Ravenna hatte neben den Bürgern auf den Wällen gefochten; der König der Goten lag belagernd vor seiner Hauptstadt, vor der besten Festung seines Reiches, in der man Schutz und die Zeit zur Rüstung gegen Belisar zu finden gehofft!
Das Schlimmste aber war, daß das Heer die Schuld des ganzen Unglückskampfes, die Notwendigkeit des Bruderstreits auf den König schob. Warum hatte man die Verhandlung mit der Stadt plötzlich abgebrochen? Warum nicht wenigstens die Ursache dieses Abbrechens, war sie eine gerechte, dem Heere mitgeteilt? Warum scheute der König das Licht?
Mißmutig saßen die Leute bei ihren Wachtfeuern oder lagen in den Zelten, ihre Wunden pflegend, ihre Waffen flickend: nicht, wie sonst, scholl Gesang der alten Heldenlieder von den Lagertischen, und wenn die Führer durch die Zeltgassen schritten, hörten sie manches Wort des Ärgers und des Zornes wider den König.
Gegen Morgen traf Hildebad mit seinen Tausendschaften von Florentia her im Lager ein. Er vernahm mit zornigem Schmerz die Kunde von der blutigen Schlappe und wollte sofort zum König; aber da dieser noch bewußtlos unter Hildebrands Pflege lag, nahm ihn Teja in sein Zelt, und beantwortete seine unwilligen Fragen.
[] Nach einiger Zeit trat der alte Waffenmeister ein, mit einem Ausdruck in den Zügen, daß Hildebad erschrocken von seinem Bärenfell, das ihm zum Lager diente, aufsprang und auch Teja hastig fragte: »Was ist mit dem König? Seine Wunde? Stirbt er?«
Der Alte schüttelte schmerzlich sein Haupt: »Nein: aber wenn ich richtig rate, wie ich ihn kenne und sein wackres Herz, wär' ihm besser, er stürbe.«
»Was meinst du? was ahnest du?«
»Still, still,« sprach Hildebrand traurig, sich setzend, »armer Witichis! Es kommt noch, fürcht' ich, früh genug zur Sprache.« Und er schwieg.
»Nun,« sagte Teja, »wie ließest du ihn?« – »Das Wundfieber hat ihn verlassen, dank meinen Kräutern. Er wird morgen wieder zu Roß können. Aber er sprach wunderbare Dinge in seinen wirren Träumen – ich wünsche ihm, daß es nur Träume sind, sonst: weh dem treuen Manne.«
Mehr war aus dem verschlossenen Alten nicht zu erforschen. Nach einigen Stunden ließ Witichis die drei Heerführer zu sich rufen. Sie fanden ihn zu ihrem Staunen in voller Rüstung, obwohl er sich im Stehen auf sein Schwert stützen mußte; seitwärts auf einem Tisch lag sein königlicher Kronhelm und der heilige Königsstab von weißem Eschenholz mit goldner Kugel. Die Freunde erschraken über den Verfall dieser sonst so ruhigen, männlich schönen Züge. Er mußte innerlich schwer gekämpft haben. Diese kernige, schlichte Natur aus Einem Guß konnte ein Ringen zweifelvoller Pflichten, widerstreitender Empfindungen nicht ertragen.
»Ich hab' euch rufen lassen,« sprach er mit Anstrengung, »meinen Entschluß in dieser schlimmen Lage zu vernehmen und zu unterstützen. Wie groß ist unser Verlust in diesem Sturm?«
»Dreitausend Tote,« sagte Teja sehr ernst. »Und über sechstausend Verwundete,« fügte Hildebrand hinzu.
[] Witichis drückte schmerzlich die Augen zu. Dann sprach er: »Es geht nicht anders. Teja, gib sogleich Befehl zu einem zweiten Sturm.«
»Wie? Was?« riefen die drei Führer wie aus Einem Munde.
»Es geht nicht anders,« wiederholte der König. »Wie viele Tausendschaften führst du uns zu, Hildebad?« – »Drei, aber sie sind todmüde vom Marsch. Heut' können sie nicht fechten.«
»So stürmen wir wieder allein,« sagte Witichis nach seinem Speer langend.
»König,« sagte Teja, »wir haben gestern nicht einen Stein der Festung gewonnen, und heute hast du neuntausend weniger ...« –
»Und die Unverwundeten sind matt, ihre Waffen und ihr Mut zerbrochen,« mahnte der alte Waffenmeister.
»Wir müssen Ravenna haben!«
»Wir werden es nicht mit Sturm nehmen!« sagte Teja.
»Das wollen wir sehen!« meinte Witichis.
»Ich lag vor der Stadt mit dem großen König,« warnte Hildebrand: »er hat sie siebzigmal umsonst bestürmt: wir nahmen sie nur durch Hunger – nach drei Jahren.« –
»Wir müssen stürmen,« sagte Witichis, »gebt den Befehl.« Teja wollte das Zelt verlassen. Hildebrand hielt ihn. »Bleib,« sagte er, »wir dürfen ihm nichts verschweigen. König! die Goten murren: sie würden dir heut' nicht folgen: der Sturm ist unmöglich.«
»Steht es so?« sagte Witichis bitter. »Der Sturm ist unmöglich? Dann ist nur eins noch möglich: der Weg, den ich gestern schon hätte einschlagen sollen – dann lebten jene dreitausend Goten noch. Geh, Hildebad, nimm dort Krone und Stab!
Geh ins Lager der Empörer, lege sie dem jungen Arahad zu Füßen: er soll sich mit Mataswintha vermählen; ich und mein [] Heer, wir grüßen ihn als König.« Und er warf sich erschöpft aufs Lager.
»Du sprichst wieder im Wundfieber,« sagte der Alte. »Das ist unmöglich!« schloß Teja.
»Unmöglich! Alles unmöglich? der Kampf unmöglich? und die Entsagung? Ich sage dir, Alter: es gibt nichts andres nach der Botschaft aus Ravenna.« Er schwieg.
Die drei warfen sich bedeutende Blicke zu.
Endlich forschte der Alte: »Wie lautet sie? vielleicht findet sich doch ein Ausweg? Acht Augen sehen mehr als zwei.«
»Nein,« sagte Witichis, »hier nicht, hier ist nichts zu sehen: sonst hätt' ich's euch längst gesagt: aber es konnte zu nichts führen. Ich hab's allein erwogen. Dort liegt das Pergament aus Ravenna, aber schweigt vor dem Heer.«
Der Alte nahm die Rolle und las: »Die gotischen Krieger und das Volk von Ravenna an den Grafen Witichis von Fasulä!«
»Die Frechen!« rief Hildebad dazwischen.
»Den Herzog Guntharis von Tuscien und den Grafen Arahad von Asta. Die Goten und die Bürger dieser Stadt erklären den beiden Heerlagern vor ihren Toren, daß sie, getreu dem erlauchten Hause der Amalungen und eingedenk der unvergeßlichen Wohltaten des großen Königs Theoderich, bei diesem Herrscherstamm ausharren werden, solang noch ein Reis desselben grünt. Wir erkennen deswegen nur Mataswintha als Herrin der Goten und Italier an: nur der Königin Mataswintha werden wir diese festen Tore öffnen und gegen jeden andern unsre Stadt bis zum äußersten verteidigen.«
»Diese Rasenden,« sagte Teja. »Unbegreiflich,« versetzte Hildebad.
Aber Hildebrand faltete das Pergament zusammen und sagte: »Ich begreife es wohl. Was die Goten anlangt, so wißt ihr, daß Theoderichs ganze Gefolgschaft die Besatzung der Stadt bildet; diese Gefolgen aber haben dem König geschworen, seinem [] Stamm nie einen fremden König vorzuziehen: auch ich hab' diesen Eid getan: aber ich habe dabei immer an die Speerseite, nicht an die Spindeln, nicht an die Weiber, gedacht: darum mußt' ich damals für Theodahad stimmen: darum konnt' ich nach dessen Verrat Witichis huldigen. Der alte Graf Grippa von Ravenna nun und seine Gesellen glauben sich auch an die Weiber des Geschlechts durch jenen Eid gebunden: und verlaßt euch darauf, diese grauen Recken, die ältesten im Gotenreich und Theoderichs Waffengenossen, lassen sich in Stücke hauen, Mann für Mann, eh' sie von ihrem Eide lassen, wie sie ihn einmal deuten. Und, bei Theoderich! sie haben recht. Die Ravennaten aber sind nicht nur dankbar, sondern auch schlau: sie hoffen, Goten und Byzantiner sollen den Strauß vor ihren Wällen ausfechten. Siegt Belisar, der, wie er sagt, Amalaswintha zu rächen kommt, so kann er die Stadt nicht strafen, die zu ihrer Tochter gehalten: und siegen wir, so hat sie die Besatzung in der Burg gezwungen, die Tore zu sperren.«
»Wie immer dem sei,« fiel der König ein, »ihr werdet jetzt mein Verfahren verstehn. Erfuhr das Heer von jenem Bescheid, so mochten viele mutlos werden und zu den Wölsungen übergehn, in deren Gewalt die Fürstin ist. Mir blieben nur zwei Wege: die Stadt mit Gewalt nehmen – oder nachgeben: jenes haben wir gestern vergebens versucht, und ihr sagt, man könne es nicht wiederholen. So erübrigt nur das andre: nachgeben. Arahad mag die Jungfrau freien und die Krone tragen; ich will der erste sein, ihm zu huldigen und mit seinem tapfren Bruder sein Reich zu schirmen.«
»Nimmermehr!« rief Hildebad, »du bist unser König und sollst es bleiben. Nie beug' ich mein Haupt vor jenem jungen Fant. Laß uns morgen hinüberrücken gegen die Rebellen, ich allein will sie aus ihrem Lager treiben und das Königskind, vor dessen Hand wie durch Zauber jene festen Tore aufspringen sollen, in unsre Zelte tragen.«
[] »Und wenn wir sie haben?« sagte Teja, »was dann? Sie nützt uns nichts, wenn wir sie nicht als Königin begrüßen. Willst du das? Hast du nicht genug an Amalaswintha und Gothelindis? Nochmals Weiberherrschaft?«
»Gott soll uns davor schützen!« lachte Hildebad.
»So denke ich auch,« sprach der König, »sonst hätt' ich längst diesen Weg ergriffen.«
»Ei, so laß uns hier liegen und warten bis die Stadt mürbe wird.«
»Geht nicht,« sagte Witichis, »wir können nicht warten. In wenigen Tagen kann Belisar von jenen Hügeln steigen und nacheinander mich, Herzog Guntharis und die Stadt bezwingen: dann ist's dahin, das Reich und Volk der Goten. Es gibt nur zwei Wege: Sturm –«
»Unmöglich,« sprach Hildebrand.
»Oder nachgeben. Geh, Teja, nimm die Krone. Ich sehe keinen Ausweg.«
Die beiden jungen Männer zauderten.
Da sprach mit einem ernsten, trauervollen Blick der Liebe auf den König der alte Hildebrand: »Ich sehe den Ausweg, den schmerzvollen, den einzigen. Du mußt ihn gehen, mein Witichis, und bricht dir siebenmal das Herz.« Witichis sah ihn fragend an: auch Teja und Hildebad staunten ob der Weichheit des felsharten Alten.
»Geht ihr hinaus,« fuhr dieser fort, »ich muß allein sprechen mit dem König.«
Fünfzehntes Kapitel.
Schweigend verließen die beiden Goten das Zelt und schritten draußen, den Ausgang abwartend, die Lagergasse auf und nieder. Aus dem Zelt drang hin und wieder Hildebrands Stimme, der in langer Rede den König zu ermahnen [] und zu drängen schien: und hin und wieder ein Ausruf des Königs.
»Was kann nur der Alte sinnen?« fragte Hildebad, stillhaltend, »weißt du's nicht?« – »Ich ahn' es,« seufzte Teja, »armer Witichis!« – »Zum Teufel, was meinst du?« »Laß,« sagte Teja, »es wird bald genug auskommen.«
So verging geraume Zeit.
Heftiger und schmerzlicher klang die Stimme des Königs, der sich der Reden Hildebrands mächtig zu erwehren schien.
»Was quält der Eisbart den wackern Helden?« rief Hildebad ungeduldig. »Es ist, als wollt' er ihn ermorden. Ich will hinein und helf' ihm.«
Aber Teja hielt ihn an der Schulter.
»Bleib,« sagte er. »Es muß wohl sein.«
Während sich Hildebad losmachen wollte, nahte Lärm von Stimmen aus dem obern Ende der Lagergasse. Zwei Wachen bemühten sich vergebens, einen starken Goten zurückzuhalten, der mit allen Zeichen langen und eiligen Rittes bedeckt, sich gegen das Zelt des Königs drängte.
»Laß mich los,« rief er, »guter Freund, oder ich schlage dich nieder.«
Und drohend hob er eine wuchtige Streitaxt.
»Es geht nicht. Du mußt warten. Die großen Heerführer sind bei ihm im Zelt.«
»Und wären alle großen Götter Walhalls samt dem Herrn Christus bei ihm im Zelt, ich muß zu ihm. Erst ist der Mensch Vater und Gatte und dann König. Laß los, rat' ich dir.«
»Die Stimme kenn' ich,« sagte Graf Teja, nähertretend – »und den Mann. Wachis, was suchst du hier im Lager?«
»O Herr,« rief der treue Knecht, »wohl mir, daß ich Euch treffe. Sagt diesen guten Leuten, daß sie mich loslassen. Dann brauch' ich sie nicht niederzuschlagen. Ich muß gleich zu meinem armen Herrn.«
[] »Laßt ihn los: sonst hält er Wort: ich kenne ihn. Nun, was willst du bei dem König?«
»Führt mich nur gleich zu ihm. Ich bring' ihm schwarze, schwere Kunde von Weib und Kind.«
»Von Weib und Kind?« fragte Hildebad erstaunt. »Ei, hat Witichis ein Weib?«
»Die wenigsten wissen es,« sagte Teja. »Sie verließ fast nie ihr Gut, kam nie zu Hof. Fast niemand kennt sie: aber wer sie kennt, der ehrt sie hoch. Ich weiß nicht ihresgleichen.«
»Da habt Ihr recht, Herr, wenn Ihr je recht gehabt,« sprach Wachis mit erstickter Stimme. »Die arme, arme Frau und ach, der arme Vater. Aber laß mich hinein. Frau Rauthgund folgt mir auf dem Fuß. Ich muß ihn vorbereiten.«
Teja, ohne weiter zu fragen, schob den Knecht in das Zelt und folgte ihm mit Hildebad.
Sie trafen den alten Hildebrand ruhig, wie die Notwendigkeit, auf dem Lager des Königs sitzen, das Kinn mit dem mächtigen Bart in die Hand und diese auf das Steinbeil gestützt. So saß er unbeweglich und richtete fest die Augen auf den König, der, in höchster Aufregung, mit hastigen Schritten, auf und nieder ging und im Sturm seiner Gefühle die Eintretenden gar nicht bemerkte: »Nein! nein! niemals!« rief er, »das ist grausam! frevelhaft! unmöglich!«
»Es muß sein,« sagte Hildebrand, ohne sich zu rühren.
»Nein, sag' ich,« rief der König und wandte sich.
Da stand Wachis dicht vor ihm. Er starrte ihn wirr an: da warf sich der Knecht laut weinend vor ihm nieder.
»Wachis«, rief erschreckend der König, »was bringst du? Du kömmst von ihr! Steh auf – was ist geschehen?«
»Ach Herr,« jammerte dieser immer noch knieend, »Euch sehen, zerreißt mein Herz! Ich kann nichts dafür! Ich hab's vergolten und gerächt nach Kräften.«
[] Da riß ihn Witichis bei den Schultern auf: »Rede, Mensch, was ist zu rächen? Mein Weib –?«
»Sie lebt, sie kommt hierher, aber Euer Kind ...«
»Mein Kind,« sprach er erbleichend, »Athalwin, was ist mit ihm –?«
»Tot, Herr – ermordet!«
Da brach ein Schrei wie eines Schwerverwundeten aus des gequälten Vaters Brust. Er bedeckte das Antlitz mit beiden Händen, teilnehmend traten Teja und Hildebad näher. Nur Hildebrand blieb unbeweglich und sah starr auf die Gruppe.
Wachis ertrug die lange Pause des Schmerzes nicht. Er suchte die Hände seines Herrn zu fassen. Da senkte sie dieser von selbst. Zwei große Tränen standen auf den braunen Wangen des Helden: er schämte sich ihrer nicht.
»Ermordet!« sagte er, »mein schuldlos Kind! von den Römern!«
»Die feigen Teufel,« rief Hildebad.
Teja ballte die Faust und seine Lippen bewegten sich lautlos.
»Calpurnius!« sprach Witichis mit einem Blick auf Wachis.
»Ja, Calpurnius! Die Nachricht von deiner Wahl war aufs Gut gelangt und dein Weib und Sohn in dein Lager entboten. Wie jauchzte jung Athalwin, daß er nun ein Königssohn sein werde, wie Siegfried, der den Drachen schlug! Nun wolle er bald ausziehen auf Abenteuer und auch Drachen schlagen und wilde Riesen. Da kam der Nachbar von Rom zurück. Ich merkt' es wohl, daß er noch finsterer sah und neidischer als je und hütete dir Haus und Stall. Aber das Kind hüten – wer hätte daran gedacht, daß Kinder nicht mehr sicher!«
Witichis schüttelte schmerzlich das Haupt.
»Der Knabe konnte nicht erwarten, daß er seinen Vater sehen solle im Kriegslager und all die Tausende von gotischen Heermännern und daß er Schlachten solle in der Nähe sehen. Er warf sein Holzschwert weg von Stund an, und sagte: ein [] Königssohn müsse ein eisernes tragen, zumal in Kriegszeiten. Und ich mußte ihm ein Jagdmesser suchen und schleifen dazu.
Mit diesem seinem Schwert nun rannte er Frau Rauthgunden jeden Morgen früh davon. Und fragte sie, ›wohin?‹ so lachte er: ›auf Abenteuer, lieb' Mutter!‹ und sprang in den Wald. Dann kam er mittags müd und zerrissenen Gewandes heim: und ausgelassen stolz. Aber er sagte kein Wort und meinte nur, er habe Siegfried gespielt.
Ich hatte aber meine eigenen Gedanken. Und als ich gar einst an seinem Schwert Blutflecken bemerkte, schlich ich ihm nach zu Walde. Richtig, es war, wie ich gedacht. Ich hatte ihm einst warnend eine Höhle im schroffen Felsgeklüft gezeigt, das steil über den Gießbach hangt, weil dort die giftigen Vipern zu Dutzenden nisten.
Er fragte mich damals nach allem aus: und als ich sagte, jeder Biß sei tödlich, und gleich gestorben sei eine arme Beerensammlerin, die der Beißwurm in den nackten Fuß gestochen, da zog er flugs sein Holzschwert und wollte mitten darunter springen. Mit Mühe und schwer erschrocken hielt ich ihn damals ab.
Und jetzt fielen mir die Vipern ein und ich zitterte, daß ich ihm eine Eisenwaffe gegeben. Und bald fand ich ihn im Walde, mitten im Steingeklüft, unter Dornen und Gestrüpp: da holte er einen mächtigen Holzschild hervor, den er sich selbst gezimmert und dort versteckt hatte. Und eine Krone war frisch drauf gemalt.
Und er zog sein Schwert und sprang laut jauchzend in die Höhle.
Ich sah mich um: da lag das lang mächtige Gewürm zu halben Dutzenden von frühern Schlachten her mit zerhauenen Häuptern umhergestreut: ich folgte, und so besorgt ich war, ich konnt' ihn nicht stören, wie er so heldenmütig focht! Er trieb eine dickgeschwollene Natter mit Steinwürfen aus ihrem[] Loch, daß sie sich züngelnd aufringelte: gerade wie sie zischend gegen ihn sprang, warf er blitzschnell den Schild vor und hieb sie mit einem Streich mitten entzwei. Da rief ich ihn an und schalt ihn herzhaft aus. Er aber sah gar trotzig drein und rief: ›Sag's nur der Mutter nicht! denn ich tu's doch! bis der letzte der Drachen tot ist!‹ Ich sagte, ich würde ihm sein Schwert nehmen. ›Dann fecht' ich mit dem hölzernen, wenn dir das lieber ist!‹ rief er. ›Und welche Schmach für einen Königssohn!‹
Da nahm ich ihn die nächsten Tage mit mir zum Einfangen der Rosse auf die Wildweide. Das vergnügte ihn sehr: und nächstens, dacht' ich, brechen wir ja auf.
Aber eines Morgens war er mir wieder entschlüpft und ich ging allein an die Arbeit. Den Rückweg nahm ich den Fluß entlang, gewiß, ihn an der Felshöhle zu finden. Aber ihn fand ich nicht. Nur das Gehäng seines Schwertes, zerrissen, an den Dornen hangen und seinen Holzschild zertreten auf der Erde. Erschrocken sah ich umher und suchte, aber –«
»Rascher, weiter,« rief der König.
»Aber?« fragte Hildebad.
»Aber in den Felsen war nichts zu sehen. Da gewahrte ich große Fußspuren eines Mannes im weichen Sande. Ich folgte ihnen.
Sie führten bis an den steilen Rand des Felsens. Ich sah hinab. Und unten« –
Witichis wankte.
»Ach, mein armer Herr! Da lag am Ufer des Flusses hingestreckt die kleine Gestalt.
Wie ich die steilen Felsschroffen hinabkam, ich weiß es nicht, im Flug war ich unten. – Da lag er, das kleine Schwert noch fest in der Hand, von den Felsspitzen zerrissen, das lichte Haar von Blut überströmt –«
»Halt ein,« sprach Teja, die Hand auf seine Schultern legend, [] indes Hildebad des armen Vaters Hand faßte, der stöhnend auf sein Lager sank.
»Mein Kind, mein süßes Kind, mein Weib!« rief er.
»Ich fühlte das kleine Herz noch schlagen. Wasser aus dem Fluß brachte ihn nochmal zu sich. Er schlug die Augen auf und erkannte mich. ›Du bist herabgefallen, mein Kind‹, klagte ich.
›Nein‹, sagte er, ›nicht gefallen, geworfen.‹ Ich war starr vor Entsetzen. ›Calpurnius‹, hauchte er, trat plötzlich um die Felsecke, wie ich auf die Vipern einhieb, ›Komm mit mir‹, sagte er und griff nach mir. Er sah bös aus und falsch. Ich sprang zurück. ›Komm‹, sagte er, ›oder ich binde dich.‹ ›Mich binden!‹ rief ich. ›Mein Vater ist der Goten König und der deine. Wag es und rühr mich an!‹ Da ward er ganz wütig und schlug nach mir mit dem Stock und kam näher; ich aber wußte, daß in der Nähe unsre Knechte Holz fällten, und schrie um Hilfe und wich zurück bis an den Rand der Felsen. Erschrocken sah er sich um. Denn die Leute mußten mich gehört haben: ihre Axtschläge ruhten plötzlich. Doch plötzlich vorspringend, sagte er: ›Stirb, kleine Natter!‹ und stieß mich über den Fels.«
Teja biß die Lippen. »O der Neidling«, rief Hildebad. Und Witichis riß sich mit einem Schrei des Schmerzes los.
»Mach's kurz,« sagte Teja. – »Er verlor wieder die Sinne. Ich trug ihn auf meinen Armen nach Hause zur Mutter. Noch einmal schlug er die Augen auf, in ihrem Schoß. Ein Gruß an dich war sein letzter Hauch.«
»Und mein Weib – ist sie nicht verzweifelt?«
»Nein, Herr, das ist sie nicht: die ist von Gold, aber auch von Stahl. Wie der Knabe die Augen geschlossen, zeigte sie schweigend zum Fenster hinaus, nach rechts.
Ich verstand sie: dort stand des Mörders Haus.
Und ich waffnete alle deine Knechte und führte sie hinüber zur Rache: und wir legten den ermordeten Knaben auf deinen [] Schild, und trugen ihn in unsrer Mitte zur Mordklage. Und Rauthgundis ging mit, ein Schwert in der Hand, hinter der Leiche. Vor dem Tor der Villa legten wir den Knaben nieder.
Calpurnius selbst war entflohn auf dem schnellsten Roß zu Belisar. Aber sein Bruder und sein Sohn und zwanzig Sklaven standen im Hof: sie wollten eben zu Pferd steigen und ihm folgen. Wir erhoben dreimal den Mordruf. Dann brachen wir ein.
Wir haben sie alle erschlagen, alle: und das Haus niedergebrannt über den Bewohnern. Frau Rauthgundis aber sah dem allen zu, an der Leiche Wacht haltend, auf ihr Schwert gestützt, und sprach kein Wort. Und mich schickte sie tags darauf voraus, nach dir zu suchen. Sie folgte mir bald darauf, sowie sie die kleine Leiche verbrannt. Und da ich einen Tag verloren, durch die Empörer vom nächsten Wege abgesperrt, so kann sie stündlich da sein.«
»Mein Kind, mein Kind, mein armes Weib! Das ist der erste Ertrag, den mir diese Krone bringt. Und nun,« rief er mit aller Heftigkeit des Schmerzes den Alten an, »willst du noch das Grausame fordern, das Untragbare?«
Hildebrand stand langsam auf: »Nichts ist untragbar, was notwendig ist. Auch der Winter ist tragbar. Und das Alter. Und der Tod. Sie kommen ohne zu fragen, wollt ihr's tragen? Sie kommen. Und wir tragen's. Weil wir müssen. Aber ich höre Frauenstimmen und rauschende Gewande. Gehen wir.«
Witichis wandte sich von ihm zur Tür.
Da stand, unter dem Zeltvorhang, in grauem Gewand und schwarzem Schleier Rauthgundis, sein Weib, eine kleine schwarze Marmorurne an die Brust drückend.
Ein Ruf liebereichen Schmerzes und schmerzreicher Liebe: – – und die Gatten hielten sich umfangen.
Schweigend verließen die Männer das Zelt.
[] Sechzehntes Kapitel.
Draußen hielt Teja den Alten leise am Mantel zurück: »Du quälst den König umsonst,« sagte er. »Er wird nie darein willigen. Er kann's auch nicht. Jetzt am wenigsten.«
»Woher weißt du ...? –« unterbrach der Greis. – »Still: ich ahn' es: wie ich alles Unglück ahne.« – »Dann wirst du auch einsehen, daß er muß.« – »Er, er wird's nie tun.« – »Aber – du meinst sie selbst?« – »Vielleicht!« – »Sie wird,« sagte Hildebrand.
»Ja, sie ist ein Wunder von einem Weib«, schloß Teja.
Während in den nächsten Tagen das jetzt kinderlose Paar seinem stillen Schmerze lebte und Witichis kaum sein Zelt verließ, geschah es, daß die Vorposten der königlichen Belagerer und die Außenwachen der gotischen Besatzung von Ravenna, den eingetretenen tatsächlichen Waffenstillstand benutzend, in mannigfachen Verkehr traten.
Sie warfen sich, scheltend und zankend, gegenseitig die Schuld an diesem Bürgerkriege vor.
Die Belagerer klagten, daß die Besatzung in der höchsten Not des Reiches dem gewählten König der Goten seine Königsburg verschlossen. Die Ravennaten schmähten auf Witichis, der der Tochter der Amaler nicht gönne, was ihr gebühre.
Einer solchen Unterredung hörte unbemerkt der alte Graf Grippa von Ravenna selber zu, der die Runde auf den Wällen machte. Plötzlich trat er vor und rief zu den Leuten des Witichis hinunter, die ihren König lobten und rühmten:
»So? Ist das auch edel und königlich gehandelt, daß er statt aller Antwort auf unsern billigen Spruch Sturm lief wie ein Rasender? Und hatte doch ein so leichtes Mittel, das Gotenblut zu sparen! Wir wollen ja nur, daß Mataswintha Königin sei! Nun, kann er deshalb nicht König bleiben? Ist's ein zu hartes Opfer, mit dem schönsten Weib der Erde, [] mit der Fürstin Schönhaar, von deren Reiz die Sänger singen auf den Straßen, Thron und Lager zu teilen? Mußten lieber soviel tausend tapferer Goten sterben? Nun, er soll nur so fortstürmen! Laß sehn, was eher bricht: sein Eigensinn oder diese Felsen.«
Diese Worte des Alten machten den größten Eindruck auf die Goten vor den Wällen.
Sie wußten nichts zu erwidern zu ihres Königs Verteidigung. Von seiner Ehe wußten sie so wenig wie das ganze Heer: daran hatte auch Rauthgundens Anwesenheit im Lager wenig geändert: denn, wahrlich, nicht gleich einer Königin war sie eingezogen.
In großer Erregung eilten sie zurück ins Lager und erzählten, was sie vernommen, wie der Eigensinn des Königs ihre Brüder hingeopfert. »Darum also hat er die Botschaft aus der Stadt verheimlicht,« riefen sie.
Bald bildeten sich in jeder Gasse des Lagers Gruppen, lebhaft bewegte, die anfangs leiser, bald immer lauter die Sache besprachen und auf den König schalten. Die Germanen jener Zeit behandelten ihre Könige mit einem Freimut der Rede, der die Byzantiner entsetzte.
Hier wirkten der Verdruß über den Rückzug von Rom, die Schmach der Niederlage vor Ravenna, der Schmerz um die geopferten Brüder, der Zorn über sein Geheimtun zusammen, einen Sturm des Unwillens gegen den König zu erregen, der deshalb nicht minder mächtig, weil er noch nicht offen ausgebrochen.
Nicht entging diese Stimmung den Heerführern, wann sie durch die Gassen des Lagers schritten und bei ihrem Nahen die Drohworte kaum mehr verstummten. Aber sie konnten die Gefahr nur entfesseln, wenn sie strafend sie beim Namen nannten.
Und oft, wann Graf Teja oder Hildebad beschwichtigend einschreiten wollten, hielt sie der alte Waffenmeister zurück.
[] »Laßt es nur noch anschwellen,« sagte er: »wenn's genug ist, werd' ich's dämmen.« »Die einzige Gefahr wäre,« murmelte er halblaut vor sich hin –
»Daß uns die drüben im Rebellenlager zuvorkämen,« sagte Teja.
»Richtig, du alles Erratender. Aber das hat gute Wege. Überläufer erzählen, daß sich die Fürstin standhaft weigert. Sie droht, sich eher zu töten als Arahad die Hand zu reichen.«
»Pah,« meinte Hildebad, »daraufhin würd' ich's wagen.«
»Weil du das leidenschaftliche Geschöpf nicht kennst, das Amalungenkind. Sie hat das Blut und die Feuerseele Theoderichs und wird auch uns am Ende böses Spiel machen.«
»Witichis ist ein andrer Freier als jener Knabe von Asta,« flüsterte Teja. »Darauf vertrau' ich auch,« meinte Hildebad. »Gönnt ihm noch einige Tage Ruhe,« riet der Alte. »Er muß seinem Schmerz sein Recht antun: eh' ist er zu nichts zu bringen. Stört ihn nicht darin: laßt ihn ruhig in seinem Zelt und bei seinem Weibe. Ich werde sie bald genug stören müssen.«
Aber der Greis sollte bald genötigt sein, den König früher und anders als er gemeint, aus seinem Schmerz aufzurufen.
Die Volksversammlung zu Regeta hatte gegen diejenigen Goten, die zu den Byzantinern übergingen, ein Gesetz erlassen, das schimpflichen Tod drohte. Solche Fälle kamen zwar im ganzen selten, aber doch in den Gegenden, wo wenige Germanen unter dichter Bevölkerung lebten und häufige Mischheiraten stattgefunden hatten, häufiger vor.
Der alte Waffenmeister trug diesen Neidingen, die sich und ihr Volk entehrten, ganz besonderen Zorn. Er hatte jenes Gesetz beantragt gegen Heereslitz und Fahnenwechsel. Noch war eine Anwendung desselben nicht nötig gewesen, und man hatte der Bestimmung fast vergessen.
Plötzlich sollte man ernst genug daran gemahnt werden.
Belisar selbst hatte zwar Rom mit seinem Hauptheer noch [] nicht verlassen. Aus mehr als Einem Grunde wollte er vorläufig noch diese Stadt zum Stützpunkt all' seiner Bewegungen in Italien machen.
Aber er hatte den weichenden Goten zahlreiche Streifscharen nachgesandt, sie zu verfolgen, zu beunruhigen und insbesondre die zahlreichen Kastelle, Burgen und Städte zu übernehmen, in welchen die Italier die barbarischen Besatzungen vertrieben oder erschlagen hatten oder, von keiner Besatzung im Zaum gehalten, einfach zum »Kaiser der Romäer,« wie er sich auf griechisch nannte, abgefallen waren.
Solche Vorfälle ereigneten sich, besonders seit der gotische König in vollem Rückzug und nach Ausbruch der Empörung die gotische Sache halb verloren schien, fast alle Tage. Teils mit dem Druck, teils ohne den Druck oder die Erscheinung byzantinischer Truppen vor den Toren ergaben sich viele Schlösser und Städte an Belisar.
Da nun die meisten doch lieber den Schein einer Nötigung abwarteten, um, falls die Goten gleichwohl unverhofft wieder siegen sollten, eine Entschuldigung zu finden, war dies für den Feldherrn ein weiterer Grund, solche kleine Abteilungen, meist aus Italiern und Byzantinern gemischt, unter Führung der Überläufer, die der Gegend und der Verhältnisse kundig waren, auszusenden. Und diese Scharen, ermutigt durch den fortgesetzten Rückzug der Goten, wagten sich weit ins Land; jedes gewonnene Kastell wurde ein Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen.
Eine solche Streifschar hatte jüngst auch Castellum Marcianum gewonnen, das bei Cäsena, ganz in der Nähe des königlichen Lagers, eine Felshöhe oberhalb des großen Pinienwaldes krönte. Der alte Hildebrand, an den Witichis seit seiner Verwundung den Oberbefehl abgegeben, sah diese gefährlichen Fortschritte der Feinde und den Verrat der Italier mit Ingrimm: und da er ohnehin die Truppen nicht gegen Herzog [] Guntharis oder gegen Ravenna beschäftigen wollte – er hoffte auf eine friedliche Lösung des Knotens –, beschloß er, gegen diese kecken Streifscharen einen züchtigenden Streich zu tun.
Späher hatten gemeldet, daß, am Tage nach Rauthgundens Ankunft im Lager, die neue, byzantinische Besatzung von Castellum Marcianum sogar Cäsena, diese wichtige Stadt, im Rücken des gotischen Lagers, zu bedrohen wagte.
Grimmig schwur der alte Waffenmeister diesen Frechen das Verderben. Er selbst stellte sich an die Spitze einer Tausendschaft von Reitern, die in der Stille der Nacht, Stroh um die Hufe der Rosse gewickelt, in der Richtung gegen Cäsena aufbrachen.
Der Überfall gelang vollkommen.
Unbemerkt gelangten sie bis in den Wald, an den Fuß des hoch auf dem Fels gelegenen Kastells. Hier verteilte Hildebrand die Hälfte seiner Reiter auf alle Seiten des Waldes, die andre Hälfte ließ er absitzen und führte sie leise die Felswege des Kastells hinan. Die Wache am Tor ward überrascht und die Byzantiner, von einer überlegenen Macht überfallen, flohen nach allen Seiten den Fels hinab in den Wald, wo der große Teil von den Berittenen gefangen wurde. Die Flammen des brennenden Schlosses erleuchteten die Nacht.
Eine kleine Gruppe aber zog sich fechtend über das Flüßchen am Fuß des Felsens zurück, über das nur eine schmale Brücke führte. Hier wurden die verfolgenden Reiter Hildebrands von einem einzelnen aufgehalten, einem Anführer, nach dem Glanz der Rüstung zu schließen.
Dieser hochgewachsene und schlanke, wie es schien noch junge Mann – sein Visier war dicht geschlossen – focht wie ein Verzweifelter, deckte die Flucht der Seinen und hatte schon vier Goten niedergestreckt.
Da kam der alte Waffenmeister zur Stelle und sah eine Weile den ungleichen Kampf mit an. »Gib dich gefangen, [] tapferer Mann!« rief er dem einsamen Krieger zu, »dein Leben sichr' ich dir.«
Bei diesem Ruf zuckte der Byzantiner zusammen: einen Augenblick senkte er das Schwert und sah auf den Alten. Aber schon im nächsten Moment sprang er wütend vor und wieder zurück; er hatte dem vordersten Angreifer mit gewaltigem Streich den Arm vom Leibe geschlagen. Entsetzt wichen die Goten etwas zurück.
Hildebrand ergrimmte. »Drauf!« schrie er, vorspringend, »jetzt keine Gnade mehr! Zielt mit den Speeren.« – »Er ist gefeit gegen Eisen!« rief einer der Goten, ein Vetter Tejas, »dreimal hab' ich ihn getroffen – er ist nicht zu verwunden.«
»Meinst du, Aligern?« lachte der Alte grimmig, »laß sehen, ob er auch gegen Stein gefeit ist.«
Und er schleuderte seinen steinernen Wurfhammer – er war fast der einzige, der nicht von dieser heidnisch alten Waffe gelassen – sausend gegen den Byzantiner.
Die wuchtige Steinaxt schlug krachend grad auf den stolz geschweiften Helm und wie blitzgetroffen fiel der Tapfere nieder. Zwei Männer sprangen rasch hinzu und lösten ihm den Helm.
»Meister Hildebrand,« rief Aligern erstaunt, »das war kein Byzantiner.« – »Und kein Italier,« sagte Gunthamund. »Sieh die Goldlocken – das war ein Gote!« meinte Hunibad. Hildebrand trat hinzu – – und schrak zusammen.
»Fackeln her,« rief er – »Licht! – – Ja,« sprach er finster, seinen Steinhammer wieder aufhebend, »das war ein Gote. Und ich – ich hab' ihn erschlagen,« fügte er mit eisiger Ruhe hinzu. Aber seine Faust zitterte am Hammerschaft.
»Nein, Herr,« rief Aligern, »er lebt. Er war nur betäubt! Er schlägt die Augen auf.«
»Er lebt?« fragte der Alte mit Grauen, »das wollen die Götter nicht!« – »Ja, er lebt!« wiederholten die Goten, ihren [] Gefangenen aufrichtend. »Dann weh über ihn! und mich! Aber nein! ihn senden die Götter der Goten in meine Gewalt! Bind' ihn auf dein Roß, Gunthamund, aber fest! Und wenn er entwischt, gilt es deinen Kopf statt des seinen. Auf, zu Pferd und nach Hause!«
Im Lager angelangt fragte die Bedeckung den Waffenmeister, was sie für diesen Gefangenen rüsten sollten.
»Einen Bund Stroh für heute nacht,« sagte der, »und für morgen früh – einen Galgen.« Mit diesen Worten ging er in das Zelt des Königs und berichtete den Erfolg seines Zuges.
»Wir haben unter den Gefangenen,« schloß er finster, »einen gotischen Überläufer. Er muß hängen, ehe die Sonne morgen niedergeht.« – »Das ist sehr traurig,« sagte Witichis seufzend. – »Ja, aber notwendig. Ich berufe das Kriegsgericht der Heerführer auf morgen. Willst du den Vorsitz führen?« – »Nein,« sagte Witichis, »erlaß mir's: ich bestelle Hildebad an meiner Statt.« – »Nein,« sagte der Alte, »das geht nicht an. Ich bin Oberfeldherr, solang du im Zelte liegst: ich fordere den Vorsitz als mein Recht.« Witichis sah ihn an: »Du siehst grimmig und so kalt! Ist's ein alter Feind deiner Sippe?« – »Nein,« sprach Hildebrand. – »Wie heißt der Gefangene?« – »Wie ich, Hildebrand.« – »Höre, du scheinst ihn zu hassen, diesen Hildebrand! Du magst ihn richten, aber hüte dich vor übertriebener Strenge. Vergiß nicht, daß ich gern begnadige.«
»Das Wohl der Goten fordert seinen Tod,« sagte Hildebrand ruhig, »und er wird sterben.«
Siebzehntes Kapitel.
Früh am andern Morgen wurde der Gefangene verhüllten Hauptes hinausgeführt auf eine Wiese, im Norden, »an der kalten Ecke« des Lagers, wo sich die Heerführer und ein großer Teil der Heermänner versammelt hatten.
[] »Höre,« sagte der Gefangene zu einem seiner Begleiter, »ist der alte Hildebrand auf dem Dingplatz?«
»Er ist das Haupt des Dings.«
»Barbaren sind und bleiben sie! Tu' mir den Gefallen, Freund – ich schenke dir dafür diese purpurne Binde – und geh zu dem Alten. Sag' ihm: ich wisse, daß ich sterben muß. Aber er möge doch mir – und mehr noch meinem Geschlecht – hörst du? – meinem Geschlecht – die Schande des Galgens ersparen. Er möge mir heimlich eine Waffe senden.« Der Gote, Gunthamund, ging, Hildebrand zu suchen, der das Gericht bereits eröffnet hatte. Das Verfahren war sehr einfach. Der Alte ließ zuerst das Gesetz von Regeta vorlesen, dann von Zeugen feststellen, wie man sich des Gefangenen bemächtigt, darauf diesen selbst vorführen. Noch immer bedeckte ein Wollsack sein Haupt und seine Schultern. Eben sollte dieser abgenommen werden, als Gunthamund sich zu Hildebrand drängte und in sein Ohr flüsterte.
»Nein,« sagte dieser, die Stirn runzelnd. »Ich laß ihm sagen: die Schmach für sein Geschlecht sei seine Tat, nicht seine Strafe.« Und laut fuhr er fort: »Zeigt das Antlitz des Verräters! Er ist Hildebrand, der Sohn des Hildegis!«
Ein Ruf des Staunens und Schreckens lief durch die Menge.
»Sein eigner Enkel!« – »Alter, du sollst nicht weiter richten! Du bist grausam gegen dein Fleisch und Blut!« rief Hildebad aufspringend. »Nur gerecht, aber gegen alle,« sagte Hildebrand, den Stab auf die Erde stoßend. »Armer Witichis!« flüsterte Graf Teja.
Aber Hildebad sprang auf und eilte hinweg nach dem Lager.
»Was kannst du für dich vorbringen, Sohn des Hildegis?« fragte Hildebrand.
Der junge Mann trat hastig vor: sein Antlitz war von Zorn gerötet, nicht von Scham: keine Spur von Furcht lag [] auf seinen Zügen: sein langes, gelbes Haar flog im Wind. Die Menge war von Mitgefühl ergriffen. Schon der Bericht seines todesmutigen Widerstandes, dann die Entdeckung seines Namens, endlich jetzt seine Jugend und Schönheit sprachen mächtig für ihn. Er ließ sein Auge flammend die Reihen durchfliegen und mit Stolz auf dem Alten haften.
»Ich verwerfe dies Gericht! Euer Gesetz trifft mich nicht! Ich bin Römer, kein Gote! Mein Vater starb vor meiner Geburt, meine Mutter war eine Römerin, die edle Cloelia. Diesen barbarischen Alten hab' ich nie als mir verwandt empfunden. Seine Strenge hab' ich verachtet wie seine Liebe. Seinen Namen hat er mir, dem Kinde, aufgezwungen, mich meiner Mutter entrissen. Ich aber entlief ihm, sobald ich konnte: nicht Hildebrand, Flavus Cloelius habe ich mich von je genannt. Römisch waren meine Freunde, römisch von jeher meine Gedanken, römisch mein Leben. All' meine Freunde gingen zu Belisar und Cethegus: sollt' ich zurückbleiben? Tötet mich, ihr könnt' es und ihr werdet's. Aber gesteht, daß es Mord ist, nicht Rechtsvollzug. Ihr richtet keinen Goten, ihr ermordet einen gefangenen Römer. Denn römisch ist meine Seele.«
Schweigend, mit gemischten Empfindungen, hörte die Menge diese Verteidigung.
Da erhob sich ingrimmig der Alte, sein Auge sprühte Blitze, seine Hand zitterte, vor Zorn, an dem Stabe. »Elender!« schrie er, »du bist eines gotischen Mannes Sohn, das räumst du ein. So bist du denn ein Gote: und wenn du dich als Römer fühlst, verdienst du schon dafür, zu sterben. Sajonen, fort mit ihm, an den Galgen.«
Da trat der Gefangene nochmal an die Schranken der Stufe. »So sei verflucht,« schrie er, »du tierisch rohes Volk! Verflucht, ihr Barbaren allesamt, und zumeist du, Greis, mit dem Wolfsherzen! Glaubt nicht, daß all eure Wildheit euch [] frommt und eure Grausamkeit! Hinweggetilgt sollt ihr werden aus diesem schönen Land und keine Spur soll von euch künden.«
Auf einen Wink des Alten warfen ihm die Bannboten wieder die Hülle ums Haupt und führten ihn ab nach einem Hügel, wo ein starker Eibenbaum aller seiner Zweige und Blätter beraubt war. Da wurden die Augen der Menge von ihm nach dem Lager abgelenkt, aus dem Lärm und Hufschlag eilender Rosse nahte.
Es war ein Zug Reiter mit dem königlichen Banner, Witichis und Hildebad an der Spitze. »Haltet ein,« rief der König von weitem, »schont den Enkel Hildebrands: Gnade, Gnade!«
Aber der Alte wies nach dem Hügel.
»Zu spät, Herr König,« rief er laut, »es ist aus mit dem Verräter. So geh' es jedem, der seines Volks vergißt. Erst kommt das Reich, König Witichis, und dann kommt Weib und Kind und Kindeskind.«
Groß war der Eindruck dieser Tat Hildebrands auf das Heer, größer noch auf den König. Witichis fühlte das Gewicht, das durch dieses Opfer jede Forderung des Alten gewonnen hatte. Und mit dem Gefühl, daß jetzt jeder Widerstand viel schwerer geworden, kehrte er in sein Zelt zurück. Und Hildebrand benutzte seinen Vorteil, die Stimmung. Er trat am Abend mit Teja in das Zelt des Königs.
Schweigend, Hand in Hand saßen die Gatten auf dem Feldbett; auf dem Tisch vor ihnen stand die schwarze Urne, daneben lag eine Goldkapsel nach Art der Amulette an blauem Bande: die kleine römische Bronzelampe verbreitete nur trübes Licht. Als Hildebrand dem König die Hand reichte, sah ihm dieser ins Antlitz: ein Blick sagte ihm, daß Hildebrand mit dem festen Entschluß eingetreten sei, jetzt seinen Gedanken durchzusetzen um jeden Preis.
Alle Anwesenden schienen stillschweigend von dem Eindruck des bevorstehenden Seelenringens durchschauert.
[] »Frau Rauthgundis,« hob der Alte an, »ich habe Hartes mit dem König zu reden. Es wird Euch kränken, es zu hören.«
Die Frau erhob sich, aber nicht um zu gehen. Der Ausdruck tiefen Schmerzes und tiefer Liebe zu ihrem Gatten gab den regelmäßigen, festen Zügen eine edle Weihe. Sie legte, ohne die Rechte aus der Hand des Gatten zu ziehen, leise die Linke auf seine Schulter.
»Sprich nur fort, Hildebrand, ich bin sein Weib und fordre die Hälfte dieser Härte.«
»Frau,« mahnte der Alte nochmal.
»Laß sie bleiben,« sprach der König, »fürchtest du, ihr ins Angesicht deine Gedanken zu sagen?« – »Fürchten? nein! und sollt' ich einem Gott ins Antlitz sagen, das Volk der Goten ist mir mehr als du – ich tät's ohne Furcht: Wisse denn ...« –
»Wie? du willst? Schone, schone sie,« sprach Witichis, den Arm um seine Frau schlingend. Aber Rauthgundis sah ihn groß und fest an: »Ich weiß alles, mein Witichis. Wie ich gestern abend durchs Lager wandelte, unerkannt, im Schutz der Dämmerung, hörte ich die Heermänner an den Feuern auf dich schelten und diesen Alten hoch erheben. Ich lauschte und hörte alles, was dieser fordert und was du weigerst.«
»Und du hast mir nichts gesagt?« – »Hat es doch keine Gefahr. Weiß ich doch, daß du dein Weib nicht verstoßen wirst. Nicht um eine Krone und nicht um jenes zauberschöne Mädchen. Wer will uns scheiden? Laß diesen Alten drohn: ich weiß ja doch, es hängt kein Stern am Himmel fester als ich an deinem Herzen.«
Diese Sicherheit wirkte auf den Alten.
Er furchte die Stirn: »Nicht mit dir hab' ich zu rechten. Witichis, ich frage dich vor Teja: du weißt, wie es steht. Ohne Ravenna sind wir verloren – Ravenna öffnet dir nur Mataswinthens Hand. – Willst du diese Hand fassen oder nicht?«
[] Da sprang Witichis auf. »Ja, unsre Feinde haben recht! Wir sind Barbaren! Da steht vor diesem fühllosen Alten ein herrlich Weib, an Schmerzen wie an Treue unerreicht, vor ihm steht die Asche unsres gemordeten Kindes, und er will von diesem Weib, von dieser Asche weg den Gatten zu neuer Ehe rufen. Nie, niemals!«
»Vor einer Stunde waren Vertreter aller Tausendschaften des Heeres auf dem Weg in dein Zelt,« sprach der Greis. »Sie wollten erzwingen, was ich fordere. Ich hielt sie mit Mühe ab.«
»Laß sie kommen!« rief Witichis, »sie können mir nur die Krone nehmen, nicht mein Weib.«
»Wer die Krone trägt, ist seines Volkes, Nicht mehr sein eigen.«
»Hier,« – da ergriff Witichis den Kronhelm und legte ihn auf den Tisch vor Hildebrand, – »noch einmal geb' ich euch und zum letztenmal die Krone zurück. Ich habe sie nicht verlangt, weiß Gott. – Sie hat mir nichts gebracht als diese Aschenurne. – Nehmt sie zurück: – laßt König sein wer will und Mataswintha frein.«
Aber Hildebrand schüttelte das Haupt. »Du weißt, das führt zum sichersten Verderben. Schon jetzt sind wir in drei Parteien gespalten. Viele Tausende würden Arahad nie anerkennen. Du bist's allein, der noch alles zusammenhält. Fällst du weg, so lösen wir uns auf, ein Bündel losgebundener Ruten, die Belisar im Spiele bricht. Willst du das?«
»Frau Rauthgundis, kannst du kein Opfer bringen für dein Volk?« sprach Teja nähertretend.
»Auch du, hochsinniger Teja, gegen mich? ist das deine Freundschaft?« – »Rauthgundis,« sprach dieser ruhig, »ich ehre dich vor allen Frauen hoch, und Hohes fordre ich darum von dir.« –
Hildebrand aber begann: »du bist die Königin dieses Volkes. [] Ich weiß von einer Gotenkönigin aus unsrer Ahnen Heidenzeit. Hunger und Seuchen lasteten auf ihrem Volk. Ihre Schwerter waren sieglos. Die Götter zürnten den Goten. Da fragte Swanhild die Eichen des Waldes und die Wellen des Meeres, und sie rauschten zur Antwort:
Und Swanhild wandte den Fuß nicht mehr nach Hause. Sie dankte den Göttern und sprang in die Flut. Aber freilich, das war die Heidenzeit.«
Rauthgundis blieb nicht unbewegt. »Ich liebe mein Volk,« sprach sie, »und seit von Athalwin nur diese Locke übrig,« sie wies auf die Kapsel, »glaub' ich, gäb' ich mein Leben für mein Volk. Sterben will ich – ja,« rief sie, »aber leben und diesen Mann meines Herzens in andrer Liebe wissen – nein.«
»In andrer Liebe!« rief Witichis, »wie redest du mir so? Weißt du's denn nicht, wie ewig dies gequälte Herz nur nach dem Wohlklang deines Namens schlägt? Hast du's denn nicht empfunden, noch nicht, an dieser Urne nicht, wie ewig unsre Herzen eins? Was bin ich, ohne deine Liebe? Reißt mir das Herz aus der Brust, setzt mir ein andres ein: dann etwa laß' ich von dieser Seele. Ja, wahrlich,« rief er den beiden Männern zu, »ihr wißt nicht was ihr tut und kennt euren Vorteil schlecht. Ihr wißt nicht, daß meine Liebe zu diesem Weib und dieses Weibes Liebe das Beste ist am armen Witichis. Sie ist mein guter Stern. Ihr wißt nicht, daß ihr zu danken ist, ihr allein, wenn etwas euch an mir gefällt. An sie denk' ich im Getümmel der Schlacht und ihr Bild stärkt meinen Arm. An sie denk' ich, an ihre Seele, klar und ruhig, an ihre makellose Treu, wenn's gilt, im Rat das Edelste zu finden. – O, dieses Weib ist meines Lebens Seele, nehmt sie hinweg und ein Schatte ohne Glück und Kraft ist euer König.«
[] Und in leidenschaftlicher Erregung schloß er Rauthgundis in die Arme. Sie war erstaunt, selig erschrocken. Noch nie hatte der stete, ruhige Mann, der sein Gefühl gern scheu in sich verschloß, so von ihr, von seiner Liebe gesprochen. Nicht, da er um sie warb, wie jetzt, da er sie lassen sollte.
Aufs mächtigste erschüttert sank sie an seine Brust: »Dank, Dank, Gott, für diese Schmerzensstunde«, flüsterte sie, »ja, jetzt weiß ich, dein Herz, deine Seele sind ewig mein.«
»Und bleiben dein,« sagte Teja leise, »wenn auch eine andre seine Königin heißt! Sie teilt nur seine Krone, nicht sein Herz.«
Das schlug tief in Rauthgundis' Seele. Sie sah, ergriffen von diesem Wort, mit großen Augen auf Teja.
Hildebrand erkannte es wohl und sann darauf, jetzt seinen Hauptschlag zu führen.
»Wer will, wer kann an eure Herzen rühren?« sprach er. »Ein Schatte ohne Glück und Kraft – das wirst du nur, wenn du mein Wort verwirfst und brichst deinen heiligen, heiligen Eid. Denn der Meineidige ist hohler als ein Schatte.«
»Seinen Eid?« fragte Rauthgundis erbebend. »Was hast du geschworen?«
Witichis aber sank auf den Sitz und sein Haupt auf seine Hände.
»Was hat er geschworen?« wiederholte sie.
Da sprach Hildebrand, langsam jedes Wort in die Seele der Gatten zielend. »Wenige Jahre sind's. Da schloß ein Mann, in mitternächtiger Stunde, mit vier Freunden einen mächtigen Bund. Unter heiliger Eiche ward der Rasen geritzt, und er tat einen Eid bei der alten Erde, dem wallenden Wasser, dem flackernden Feuer und der leichten Luft. Und sie mischten ihr rotes Blut zu einem Bund von Brüdern auf immer und ewig und alle Tage.
Sie schworen den schweren Schwur, zu opfern alles Eigen: [] Sohn und Sippe, Leib und Leben: Waffen und Weib dem Glück und Glanz des Geschlechtes der Goten. Und wer von den Brüdern sich wollte weigern, den Eid zu ehren mit allen Opfern, des rotes Blut solle rinnen ungerächt wie dies Wasser unter den Waldwasen. Auf sein Haupt solle die Himmelshalle niederdonnern und ihn erdrücken. Und wer vergißt dieses Eides und wer sich weigert, alles zu opfern dem Volk der Goten, wenn die Not es gebeut und ein Bruder ihn mahnt, der soll verfallen sein auf immer den dunkeln Gewalten, die da hausen unter der Erde. Gute Menschen sollen mit Füßen schreiten über des Neidings Haupt und sein Andenken verschlungen sein spurlos in die Tiefe: – oder wer seiner gedenkt, gedenke sein mit Fluchen: und verdammt soll sein seine Seele zu ewiger Qual. Und ehrlos soll sein sein Name, so weit Christenleute Glocken läuten und Heidenleute Opfer schlachten, so weit der Wind weht über die weite Welt.
So ward geschworen in jener Nacht von fünf Männern: von Hildebrand und Hildebad, von Totila und Teja. Wer aber war der fünfte? Witichis, Waltaris Sohn.«
Und – rasch streifte er dem König das Gewand über den linken Knöchel zurück. »Sieh her, Rauthgundis, noch ist die Narbe des Blutschnitts nicht verwischt. Aber der Schwur ist verwischt in seiner Seele. So schwor er damals, als er noch nicht König war.
Und als ihn die Tausende von gotischen Männern auf dem Feld von Regeta auf den Schild erhoben, da tat er einen zweiten Schwur: ›Mein Leben, mein Glück, mein Alles, euch will ich's weihn, dem Volk der Goten, das schwör' ich euch beim höchsten Himmelsgott und bei meiner Treue.‹ Nun, Witichis, Waltaris Sohn, König der Goten, ich mahne dich an jenen doppelten Eid zu dieser Stunde. Ich frage dich, willst du opfern, wie du geschworen, dein Alles, dein Glück [] und dein Weib, dem Volk der Goten? Siehe, auch ich habe drei Söhne verloren für dies Volk.
Und habe meinen Enkel, den letzten Sproß meines Geschlechtes, geopfert, gerichtet für die Goten, ohne Zucken mit den Wimpern. Sprich, willst du das gleiche tun? willst du halten deinen Eid? oder ihn brechen und ehrlos unter den Lebendigen, verflucht sein unter den Toten, willst du?«
Witichis wandte sich im Schmerz unter den Worten des furchtbaren Alten.
Da erhob sich Rauthgundis. Die Linke auf ihres Mannes Herz gelegt, die Rechte wie abwehrend gegen Hildebrand ausstreckend, sprach sie: »Halt ein. Laß ab von ihm. Es ist genug, schon längst. Er tut, was du begehrst. Er wird nicht ehrlos und eidbrüchig an seinem Volke, um sein Weib.«
Aber Witichis sprang auf und umfaßte sie, als wollte man ihm sein Weib sogleich entreißen.
»Geht jetzt,« sprach sie zu den Männern, »laßt mich allein mit ihm.«
Teja wandte sich zum Ausgang, Hildebrand zögerte.
»Geh nur, ich gelobe es dir:« sprach sie, die Hand auf die Marmorurne legend, »bei der Asche meines Kindes: mit Sonnenaufgang ist er frei.«
»Nein,« sprach Witichis, »ich stoße mein Weib nicht von mir, nie.«
»Das sollst du nicht. Nicht du vertreibst mich: ich wende mich von dir. Rauthgundis geht, ihr Volk zu retten und ihres Gatten Ehre. Du kannst dein Herz nie von mir lösen: ich weiß es, es bleibt mein, seit heute mehr denn je. Geht, was jetzo zwischen uns beiden zu leben ist, trägt keinen Zeugen.«
Schweigend verließen die Männer das Zelt, schweigend gingen sie miteinander die Lagergasse hinab, an der Ecke hielt der Alte.
»Gute Nacht, Teja,« sagte er, »jetzt ist's getan.«
[] »Ja, doch wer weiß, ob wohlgetan. Ein edles, edles Opfer: noch viele andre werden folgen und mir ist: dort in den Sternen steht geschrieben: umsonst. Doch gilt's die Ehre noch, wenn nicht den Sieg. Leb wohl.«
Und er schlug den dunkeln Mantel um die Schulter und verschwand wie ein Schatten in der Nacht.
Achtzehntes Kapitel.
Am andern Morgen noch vor Hahnenkraht ritt ein verhülltes Weib aus dem Gotenlager. Ein Mann im braunen Kriegermantel schritt neben ihr, das Roß am Zügel führend und immer wieder in ihr verschleiert Antlitz schauend. Einen Pfeilschuß hinter ihnen ritt ein Knecht, ein Bündel hinter sich auf dem Sattel, an dem die schwere Streitaxt hing.
Lange verfolgten sie schweigend ihren Weg.
Endlich hatten sie eine Waldhöhe erreicht: hinter ihnen die breite Niederung, in der das Gotenlager und die Stadt Ravenna ruhten, vor ihnen die Straße, die nach der Via Aemilia im Nordwesten führte.
Da hielt das Weib den Zügel an.
»Die Sonne steigt soeben auf: ich hab's gelobt, daß sie dich frei und ledig findet. Leb wohl, mein Witichis.« – »Eile nicht so hinweg von mir,« sagte er, ihre Hand drückend. – »Wort muß man halten, Freund, und bricht das Herz darob. Es muß sein.« – »Du gehst leichter, als ich bleibe.« Sie lächelte schmerzlich. »Ich lasse mein Leben hinter dieser Waldhöhe: Du hast noch ein Leben vor dir.« – »Was für ein Leben!« – »Das Leben eines Königs für sein Volk, wie dein Eid es gebeut.« – »Unseliger Eid.« – »Es war recht, ihn zu schwören: es ist Pflicht, ihn zu halten. Und du wirst mein gedenken in den Goldsälen von Rom, wie ich dein in meiner Hütte tief [] im Steingeklüft. Du wirst sie nicht vergessen, die zehn Jahre der Lieb' und Treu, und unsern süßen Knaben.«
»O mein Weib, mein Weib,« rief der Gequälte und umschlang sie mit beiden Armen, das Haupt auf den Sattelknopf gedrückt. Sie beugte das Haupt über ihn und legte die Rechte auf sein braunes Haar.
Inzwischen war Wachis herangekommen: er sah der Gruppe eine Weile zu, dann hielt er's nicht mehr aus. Er zog leise seinen Herrn am Mantel: »Herr, paßt auf, ich weiß Euch guten Rat, hört Ihr nicht?«
»Was kannst du raten?«
»Kommt mit, auf und davon! werft Euch auf mein Pferd und reitet frisch davon mit Frau Rauthgundis. Ich komme nach. Laßt ihnen doch, die Euch so quälen, daß Euch die hellen Tropfen im Auge stehen, laßt ihnen doch den ganzen Plunder von Kron' und Reich. Euch hat's kein Glück gebracht: sie meinen's nicht gut mit Euch: wer will Mann und Weib scheiden um eine tote Krone? Auf und davon, sag' ich! Und ich weiß Euch ein Felsennest, wo Euch nur der Adler findet oder der Steinbock.«
»Soll dein Herr von seinem Reich entlaufen, wie ein schlechter Sklave aus der Mühle? Leb wohl, Witichis, hier nimm die Kapsel mit dem blauen Band: des Kindes Stirnlocken sind darin und eine,« flüsterte sie, ihn auf die Stirn küssend und das Medaillon umhängend, »und eine von Rauthgundis. Leb wohl, du mein Leben!«
Er richtete sich auf, ihr ins Auge zu sehen.
Da trieb sie das Pferd an: »Vorwärts, Wallada,« und sprengte hinweg: Wachis folgte im Galopp, Witichis stand regungslos und sah ihr nach.
Da hielt sie, ehe die Straße sich ins Gehölz krümmte: – nochmals winkte sie mit der Hand und war gleich darauf verschwunden.
[] Witichis lauschte wie im Traum auf die Hufschläge der eilenden Rosse. Erst als diese verhallt, wandte er sich.
Aber es ließ ihn nicht von der Stelle.
Er trat seitab der Straße: dort lag jenseit des Grabens ein großer moosiger Felsblock: darauf setzte sich der König der Goten, und stützte die Arme auf die Kniee, das Haupt in beide Hände. Fest drückte er die Finger vor die Augen, die Welt und alles draußen auszuschließen von seinem Schmerz.
Tränen drangen durch die Hände, er achtete es nicht. Reiter sprengten vorüber, er hörte es kaum. So saß er stundenlang regungslos, so daß die Vögel des Waldes bis dicht an ihn heran spielten.
Schon stand die Sonne im Mittag.
Endlich – hörte er seinen Namen nennen. Er sah auf: Teja stand vor ihm.
»Ich wußt' es wohl,« sagte dieser, »du bist nicht feig entflohn. Komm mit zurück und rette das Reich. Als man dich heut' nicht in deinem Zelte fand, kam's gleich im ganzen Lager aus: du habest, an Krone und Glück verzweifelnd, dich davongemacht.
Bald drang's in die Stadt und zu Guntharis: die Ravennaten drohen einen Ausfall, sie wollen zu Belisar übergehn. Arahad buhlt bei unserm Heer um die Krone. Zwei, drei Gegenkönige drohn. Alles fällt in Trümmer auseinander, wenn du nicht kommst und rettest.«
»Ich komme,« sagte er, »sie sollen sich hüten! Es brach das beste Herz um diese Krone; sie ist geheiligt, und sie soll'n sie nicht entweihn. Komm, Teja, zurück ins Lager.«
[]2. Abteilung
Erstes Kapitel.
Im Lager angelangt, fand König Witichis alles in höchster Verwirrung; gewaltsam riß ihn die drängende Not des Augenblicks aus seinem Gram und gab ihm vollauf zu tun.
Er traf das Heer in voller Auflösung und in zahlreiche Parteiungen zerspalten. Deutlich erkannte er, daß der Fall der ganzen gotischen Sache die Folge gewesen wäre, hätte er die Krone niedergelegt oder das Heer verlassen.
Manche Gruppen fand er zum Aufbruch bereit.
Die einen wollten sich dem alten Grafen Grippa in Ravenna anschließen. Andre zu den Empörern sich wenden, andre Italien verlassend über die Alpen flüchten. Endlich fehlte es nicht an Stimmen, die für eine neue Königswahl sprachen: und auch hierin standen sich die Parteien waffendrohend gegenüber.
Hildebrand und Hildebad hielten noch diejenigen zusammen, die an des Königs Flucht nicht glauben wollten. Der Alte hatte erklärt, wenn Witichis wirklich entflohen, wolle er nicht ruhen, bis der eidbrüchige König wie Theodahad geendet. Hildebad schalt jeden einen Neiding, der also von Witichis denke. Sie hatten die Wege zur Stadt und nach dem Wölsungenlager besetzt und drohten, jeden Abzug nach diesen Seiten mit Gewalt zurückzuweisen, während auch bereits Herzog Guntharis von der Verwirrung Kunde erhalten hatte und langsam gegen das Lager der Königlichen anrückte.
[] Überall traf Witichis auf unruhige Haufen, abziehende Scharen, Drohungen, Scheltworte, erhobene Waffen: – jeden Augenblick konnte auf allen Punkten des Lagers ein Blutbad ausbrechen. Rasch entschlossen eilte er in sein Zelt, schmückte sich mit dem Kronhelm und dem goldenen Stab, stieg auf Boreas, das mächtige Schlachtroß, und sprengte, gefolgt von Teja, der die blaue Königsfahne Theoderichs über ihn hielt, durch die Gassen.
In der Mitte des Lagers stieß er auf einen Trupp von Männern, Weibern und Kindern – denn ein gotisches Volksheer führte auch diese mit sich – der sich drohend gegen das Westtor wälzte.
Hildebad ließ die Seinen mit gefällten Speeren in die Tore treten.
»Laßt uns hinaus,« schrie die Menge, »der König ist geflohen, der Krieg ist aus, alles ist verloren, wir wollen das Leben retten.« – »Der König ist kein Tropf wie du,« sagte Hildebad, den Vordersten zurückstoßend. – »Ja, er ist ein Verräter,« schrie dieser, »er hat uns alle verlassen und verraten um ein paar Weibertränen.«
»Ja,« schrie ein andrer: »er hat dreitausend von unsern Brüdern hingeschlachtet und ist dann entflohn.«
»Du lügst,« sprach eine ruhige Stimme, und Witichis bog um die Lagerecke.
»Heil dir, König Witichis!« schrie der riesige Hildebad, »seht ihr ihn da! Hab' ich's nicht immer gesagt, ihr Gesindel? Aber Zeit war's, daß du kamst – sonst ward es schlimm.«
Da sprengte von rechts Hildebrand mit einigen Reitern heran: »Heil dir, König, und der Krone auf deinem Helm. – Reitet durch das Lager, Herolde, und kündet, was ihr saht: und alles Volk soll rufen: ›Heil König Witichis, dem Vielgetreuen.‹«
Aber Witichis wandte sich schmerzlich von ihm ab. –
[] Die Boten schossen wie Blitze hinweg; bald scholl aus allen Gassen der donnernde Ruf: »Heil König Witichis,« und von allen Seiten stimmten die jüngst noch Hadernden einig in diesen Ruf zusammen.
Sein Blick flog mit dem Stolz tiefsten Schmerzes über die Tausende. Und Teja sprach hinter ihm leise: »Du siehst, du hast das Reich gerettet.«
»Auf, führ' uns zum Sieg!« rief Hildebad, »denn Guntharis und Arahad rücken an: sie wähnen, uns ohne Haupt in offenem Zwist zu überraschen! heraus auf sie! sie sollen sich schrecklich irren; heraus auf sie und nieder die Empörer.« – »Nieder die Empörer!« donnerten die Heermänner nach, froh, einen Ausweg ihrer tieferregten Leidenschaft zu finden.
Aber der König winkte mit edler Ruhe: »Stille! nicht noch einmal soll gotisch Blut fließen von gotischen Waffen. Ihr harret hier in Geduld: du, Hildebad, tu' mir auf das Tor. Niemand folgt mir: ich allein gehe zu den Gegnern. Du, Graf Teja, hältst das Lager in Zucht, bis ich wiederkehre. Du aber, Hildebrand« – er rief's mit erhobener Stimme, – »reit an die Tore von Ravenna und künde laut: sie sollen sie öffnen. Erfüllt ist ihr Begehr, und noch vor Abend ziehen wir ein: der König Witichis und die Königin Mataswintha.«
So gewaltig und ernst sprach er diese Worte, daß das Heer sie mit lautloser Ehrfurcht vernahm.
Hildebad öffnete die Lagerpforte: man sah die Reihen der Empörer im Sturmschritt Heraneilen: laut scholl ihr Kriegsruf, als sich das Tor öffnete.
König Witichis gab an Teja sein Schwert und ritt ihnen langsam entgegen. Hinter ihm schloß sich das Tor.
»Er sucht den Tod,« flüsterte Hildebrand. »Nein,« sprach Teja, »er sucht und bringt das Heil der Goten.«
Wohl stutzten die Feinde, als sie den einzelnen Reiter erkannten: neben den wölsungischen Brüdern, die an der Spitze [] zogen, ritt ein Führer avarischer Pfeilschützen, die sie in Sold genommen. Dieser hielt die Hand vor die kleinen, blinzenden Augen und rief: »Beim Rosse des Roßgotts, das ist der König selbst! jetzt, meine Burschen, pfeilkundige Söhne der Steppe, zielt haarscharf und der Krieg ist aus.« Und er riß den krummen Hornbogen von der Schulter.
»Halt, Chan Warchun,« sprach Herzog Guntharis, eine eherne Hand auf seine Schulter legend. »Du hast zweimal schwer gefehlt in einem Atem. Du nennst den Grafen Witichis König: das sei dir verziehn. Und du willst ihn morden, der im Botenfrieden naht: Das mag avarisch sein: es ist nicht Gotensitte. Hinweg mit dir und deiner Schar aus meinem Lager.«
Der Chan stutzte und sah ihn staunend an: »Hinweg, sogleich!« wiederholte Herzog Guntharis. Der Avare lachte und winkte seinen Reitern: »Mir gleich! Kinder: wir gehn zu Belisar. Sonderbare Leute, diese Goten! Riesenleiber – Kinderherzen.«
Indessen war Witichis herangeritten, Guntharis und Arahad musterten ihn mit forschenden Blicken. In seinem Wesen lag neben der alten, schlichten Würde eine ernste Hoheit: die Majestät des höchsten Schmerzes.
»Ich komme, mit euch zu reden, zum Heile der Goten. Nicht weiter sollen Brüder sich zerfleischen. Laßt uns zusammen einziehen in Ravenna und zusammen Belisar bekämpfen. Ich werde Mataswintha freien und ihr beide sollt am nächsten stehen an meinem Thron.«
»Nimmermehr!« rief Arahad leidenschaftlich. »Du vergißt,« sprach Herzog Guntharis stolz, »daß deine Braut in unsern Zelten ist.«
»Herzog Guntharis von Tuscien, ich könnte dir erwidern, daß bald wir in euren Zelten sein werden. Wir sind zahlreicher und nicht feiger als ihr, und, o Herzog Guntharis, mit uns ist das Recht. Ich will nicht also sprechen. Aber mahnen will ich dich des Gotenvolks. Selbst wenn du siegen solltest – du [] wirst zu schwach, um Belisar zu schlagen. Kaum einig sind wir ihm gewachsen. Gib nach!«
»Gib du nach!« sprach der Wölsung, »wenn dir's ums Gotenvolk zu tun. Lege diese Krone nieder: kannst du kein Opfer bringen deinem Volk?« – »Ich kann's – ich hab's getan. Hast du ein Weib, o Guntharis?«
»Ein teures Weib habe ich.« – »Nun wohl: auch ich hatte ein teures Weib. Ich hab's geopfert meinem Volk: ich habe sie ziehen lassen, Mataswinthen zu freien.«
Herzog Guntharis schwieg. Arahad aber rief: »dann hast du sie nicht geliebt.«
Da fuhr Witichis empor: sein Schmerz und seine Liebe wuchsen riesengroß: Glut deckte seine Wangen, und einen vernichtenden Blick warf er auf den erschrockenen Jüngling: »Schwatze mir nicht von Liebe, lästre nicht, du törichter Knabe! Weil dir ein Paar rote Lippen und weiße Glieder in deinen Träumen vor den Blicken glänzen, sprichst du von Liebe? Was weißt du von dem, was ich an diesem Weib verloren, der Mutter meines süßen Kindes! Eine Welt von Liebe und Treue. Reizt mich nicht: meine Seele ist wund: in mir liegen Schmerz und Verzweiflung mit Mühe gebändigt: reizt sie nicht, laßt sie nicht losbrechen.«
Herzog Guntharis war sehr nachdenklich geworden.
»Ich kenne dich, Witichis, vom Gepidenkrieg: nie sah ich unadeligen Mann so adelige Streiche tun. Ich weiß, es ist kein Falsch an dir. Ich weiß, wie Liebe bindet an ein ehlich Weib. Und du hast das Weib deinem Volk geopfert? Das ist viel.«
»Bruder! was sinnest du?« rief Arahad, »was hast du vor?« – »Ich habe vor, das Haus der Wölsungen an Edelmut nicht beschämen zu lassen. Edle Geburt, Arahad, heischt edle Tat!
Sag' mir nur eins noch: weshalb hast du nicht lieber die Krone hingegeben, ja dein Leben, als dein Weib?«
[] »Weil es des Reiches sicheres Verderben war. Zweimal wollt' ich die Krone Graf Arahad abtreten: zweimal schwuren die Ersten meines Heeres, ihn nie anzuerkennen. Drei, vier Gegenkönige würden gewählt, aber, bei meinem Wort, Graf Arahad würde niemals anerkannt. Da rang ich mein Weib von mir ab, vom blutenden Herzen. Und nun, Herzog Guntharis, gedenk' auch du des Gotenvolks. Verloren ist das Haus der Wölsungen, wenn die Goten verloren. Die edelste Blüte des Stammes fällt mit dem Stamm, wenn Belisar die Axt an die Wurzel legt. Ich habe mein Weib dahingegeben, meines Lebens Krone: gib du die Hoffnung einer Krone auf.«
»Man soll nicht singen in der Goten Hallen: Der Gemeinfreie Witichis war edler, als des Adels Edelste! Der Krieg ist aus: ich huldige dir, mein König.« Und der stolze Herzog bog das Knie vor Witichis, der ihn aufhob und an seine Brust zog.
»Bruder! Bruder! was tust du an mir! welche Schmach!« rief Arahad. »Ich rechn' es mir zur Ehre!« sprach Guntharis ruhig. »Und zum Zeichen, daß mein König nicht Feigheit sieht, sondern eine Edeltat in der Huldigung, erbitt' ich mir eine Gunst. Amaler und Balten haben unser Geschlecht zurückgedrängt von dem Platz, der ihm gebührt im Volke der Goten.« – »In dieser Stunde,« sprach Witichis, »kaufst du ihn zurück: die Goten sollen nie vergessen, daß Wölsungen-Edelsinn ihnen einen Bruderkampf erspart hat.« – »Und des zum Zeichen sollst du uns das Recht verleihen, daß die Wölsungen der Goten Sturmfahne dem Heer vorauftragen in jeder Schlacht.« – »So sei's,« sagte der König, ihm die Rechte reichend, »und keine Hand wird sie mir würdiger führen.« – »Wohlan, jetzt auf zu Mataswintha,« sprach Guntharis.
»Mataswintha!« rief Arahad, der bisher wie betäubt der Versöhnung zugesehen, die alle seine Hoffnungen begrub. »Mataswintha!« wiederholte er. »Ha, zur rechten Zeit gemahnt ihr mich. Ihr könnt mir die Krone nehmen: – sie fahre hin, – [] nicht meine Liebe und nicht die Pflicht, die Geliebte zu beschützen. Sie hat mich verschmäht: ich aber liebe sie bis zum Tode. Ich habe sie vor meinem Bruder beschirmt, der sie zwingen wollte, mein zu werden. Nicht minder wahrlich will ich sie beschützen, wollt ihr sie nun beide zwingen, des verhaßten Feindes zu werden. Frei soll sie bleiben, diese Hand, die kostbarer als alle Kronen der Erde.« Und rasch schwang er sich aufs Pferd und jagte mit verhängtem Zügel seinem Lager zu.
Witichis sah ihm besorgt nach. »Laß ihn,« sprach Herzog Guntharis, »wir beide, einig, haben nichts zu fürchten. Gehen wir die Heere zu versöhnen, wie die Führer.«
Während Guntharis zuerst den König durch seine Reihen führte und diese aufforderte, gleich ihm zu huldigen, was sie mit Freuden taten, und darauf Witichis den Wölsungen und seine Anführer mit in sein Lager nahm, wo die Besiegung des stolzen Herzogs durch Friedensworte als ein Wunderwerk des Königs angesehen wurde, sammelte Arahad aus den Reitern im Vordertreffen eine kleine Schar von etwa hundert ihm treu ergebenen Gefolgen und sprengte mit ihnen nach seinem Lager zurück.
Bald stand er im Zelt vor Mataswinthen, die sich bei seinem Eintreten unwillig erhob. »Zürne nicht, schilt nicht, Fürstin! diesmal hast du kein Recht dazu. Arahad kommt, die letzte Pflicht seiner Liebe zu erfüllen. Flieh, du mußt mir folgen.« Und im Ungestüm seiner Aufregung griff er nach der weißen, schmalen Hand.
Mataswintha trat einen Schritt zurück und legte die Rechte an den breiten Goldgürtel, der ihr weißes Untergewand umschloß: »Fliehen?« sagte sie, »wohin fliehen?«
»Übers Meer! Über die Alpen! gleichviel: in die Freiheit. Denn deiner Freiheit droht höchste Gefahr.«
»Von Euch allein droht sie.« – »Nicht mehr von mir! Und ich kann dich nicht mehr beschirmen. Solang du mein werden [] solltest, konnte ich es, konnte grausam sein gegen mich selbst, deinen Willen zu ehren. Aber nun –«
»Aber nun?« sprach Mataswintha erbleichend.
»Sie haben dich einem andern bestimmt. Mein Bruder, mein Heer und meine Feinde im Königslager und in Ravenna, alle sind darin einig. Bald werden sie dich tausendstimmig als Opfer zum Brautaltar rufen. Ich kann's nicht denken! Diese Seele, diese Schönheit entweiht als Opfer in ungeliebtem Ehebund.«
»Laß sie kommen,« sagte Mataswintha, »laß sehen, ob sie mich zwingen!« Und sie drückte den Dolch, den sie im Gürtel trug, an sich. – »Wer ist er, der neue Zwingherr, der mir droht.«
»Frage, nicht!« rief Arahad, »dein Feind, der dein nicht wert, der dich nicht liebt; der – folge mir! – flieh, schon kommen sie!« Man hörte von draußen nahenden Hufschlag.
»Ich bleibe. Wer zwingt das Enkelkind Theoderichs?«
»Nein! du sollst nicht, sollst nicht in ihre Hände fallen, der Fühllosen, die nicht dich lieben, nicht deine Herrlichkeit, nur dein Recht auf die Krone! Folge mir ... –«
Da ward der Türvorhang des Zeltes zur Seite geschoben: Graf Teja trat ein. Zwei Gotenknaben mit ihm, in weißer Seide, festlich gekleidet.
Sie trugen ein mit einem Schleier verhülltes Purpurkissen. Er trat bis an die Mitte des Zeltes und beugte das Knie vor Mataswinthen. Er trug, wie die Knaben, einen grünen Rautenzweig um den Helm. Aber sein Auge und seine Stirne war düster, – als er sprach: »Ich grüße dich, der Goten und Italier Königin!«
Mit erstauntem Blick maß sie ihn. Teja erhob sich, trat zurück zu den Knaben, nahm von dem Kissen einen goldenen Reif und den grünen Rautenkranz und sprach: »Ich reiche dir den Brautkranz und die Krone, Mataswintha, und lade dich zur Hochzeit und zur Krönung – die Sänfte steht bereit.«
[] Arahad griff ans Schwert.
»Wer sendet dich?« fragte Mataswintha mit klopfendem Herzen, aber die Hand am Dolch. »Wer sonst, als Witichis, der Goten König.« Da leuchtete ein Strahl der Begeisterung aus Mataswinthens wunderbaren Augen: sie erhob beide Arme gen Himmel und sprach: »Dank, Himmel, deine Sterne lügen nicht: und nicht das treue Herz. Ich wußt' es wohl.« Und mit beiden schimmernden Händen ergriff sie das bekränzte Diadem und drückte es fest auf das dunkelrote Haar. »Ich bin bereit. Geleite mich,« sprach sie, »zu deinem Herrn und meinem.« Und mit königlicher Wendung reichte sie Graf Teja die Linke, der sie ehrerbietig hinausführte.
Arahad aber starrte der Verschwundenen nach, sprachlos, noch immer die Hand am Schwert. Da trat Eurich, einer seiner Gefolgen, zu ihm heran, und legte ihm die Hand auf die Schulter: »Was nun?« fragte er, »die Rosse stehen und harren: wohin?« – »Wohin?« rief Arahad auffahrend – »wohin? Es gibt nur noch Einen Weg: wir wollen ihn gehen. Wo stehen die Byzantiner und der Tod?«
Zweites Kapitel.
Am siebenten Tage nach diesen Ereignissen bereitete sich ein glanzvolles Fest auf den Fora und in dem Königspalast zu Ravenna.
Die Bürger der Stadt und die Goten aller drei Parteien wogten in gemischten Scharen durch die Straßen und fuhren durch die Lagunenkanäle – denn Ravenna war damals eine Wasserstadt, fast, aber doch nicht ganz, wie heute Venedig – die riesigen Kränze, Blumenbogen und Fahnen zu bewundern, die von allen Zinnen und Dächern niederwehten: denn es galt, die Vermählung des gotischen Königspaares zu feiern.
[] Am frühen Morgen hatte sich das ganze jetzt vereinigte Heer der Goten vor den Toren der Stadt zu feierlicher Volksversammlung geschart. Der König und die Königin erschienen auf milchweißen Rossen: abgestiegen waren sie vor allem Volk unter eine breitschattende Steineiche getreten: dort hatte Witichis seiner Braut die rechte Hand auf das Haupt gelegt: sie aber trat mit dem entblößten linken Fuß in den Goldschuh des Königs.
Damit war unter dem Zuruf der Tausende die Ehe nach Volksrecht geschlossen. Darauf bestieg das Paar einen mit grünen Zweigen geschmückten Wagen, der von vier weißen Rindern gezogen ward; der König schwang die Geißel und sie fuhren, gefolgt von dem Heere, in die Stadt. Dort schloß sich an die halb heidnische, germanische, eine zweite, die christliche Feier: der arianische Bischof erteilte seinen Segen über das Paar in der Basilika Sancti Vitalis und ließ es die Ringe wechseln.
Rauthgundens wurde nicht gedacht.
Noch war die Kirche nicht mächtig genug, ihre Forderung der Unauflöslichkeit einer kirchlich geschlossenen Ehe überall durchzusetzen: vornehme Römer und vollends Germanen verstießen noch häufig in voller Willkür ihre Frauen. Und wenn gar ein König aus Gründen des Staatswohls und ohne Einspruch der Gattin das gleiche beschloß, erhob sich kein Widerstand. –
Aus der Kirche ging der Zug nach dem Palast, in dessen Hallen und Gärten ein großes Festmahl gerüstet war.
Das ganze Gotenheer und die ganze Bevölkerung der Stadt fand hier, dann auf den Fora des Herkules und des Honorius und in den nächsten Straßen und Kanälen auf Schiffen, an tausend Tischen reiche Bewirtung, während die Großen des Reiches und die Vornehmen der Stadt mit dem Königspaar in der Gartenrotunde oder in der weiten Trinkhalle, die [] Theoderich hatte in dem römischen Palast anbringen lassen, tafelten.
So wenig die Lage des Landes und des Königs Stimmung zu rauschenden Festen passen mochten – es galt, die Ravennaten mit den Goten und die verschiedenen Parteien der Goten unter sich zu versöhnen: und man hoffte, in Strömen des Festweins die letzten feindseligen Erinnerungen hinwegzuspülen.
Am besten übersah man den Königstisch und die festlichen Tafeln, die sich über den weiten Garten und Park verteilten, von dem zum Brautgemach Mataswinthens bestimmten kleinen Gelaß, dessen einziges Fenster auf die Rotunde vor dem Garten und, über den Garten hin, bis auf das Meer ausblicken ließ.
In diesem Gemach drei Tage zuvor schon schmückend zu schalten und zu walten, hatte sich Aspa, die Numiderin, als Lohn treuer Dienste ausgebeten. »Denn diese ernsten, finstern Römer wissen ebensowenig wie die rauhen Goten, dem schönsten Weib der Erde das Brautbett zu bereiten: in Afrika, im Land der Wunder, lernt man das.«
Und wohl war ihr's gelungen, wenn auch im Sinn der schwülen, phantastischen Üppigkeit ihrer Heimat. Sie hatte das enge und niedre Gemach wie zu einem kleinen Zauberkistchen umgeschaffen! Wände und Decke waren von glänzend weißen Marmorplatten gefügt.
Aber Aspa hatte den ganzen Raum mit drei- und vierfach aufeinandergelegten Gehängen von dunkelroter Seide verhüllt, die in schweren Falten von den Wänden niederfloß, sich über die Getäfeldecke wie ein Rundbogen wölbte und den Marmorboden so dicht verhüllte, daß jeder Tritt lautlos drüber hinglitt und alles Geräusch sich im Entstehen brach. Nur an der Fensterbrüstung sah man den schimmernd weißen Marmor sich prachtvoll von der Glut der Seide heben.
Das Fenster von weißem Frauenglas war mit einem Vorhang von mattgelber Seide verhangen und alles Licht in dem [] kleinen Raum strömte aus von einer Ampel, die von der Mitte der Decke aus niederhing: eine Silbertaube mit goldnen Flügeln schwebte aus einem Füllhorn von Blumengewinden: in den Füßen trug sie eine flache Schale aus einem einzigen großen Karneol, der, ein Geschenk des Vandalenkönigs, in den aurasischen Bergen gefunden, als ein seltenes Wunder galt.
Und in dieser Schale glühte ein rotes Flämmchen, genährt von stark duftendem Zederöl. Ein gebrochenes, träumerisches Dämmerlicht ergoß sich von hier aus über das phantastische Doppelpfühl, das, halb von Blumen verschüttet, darunter stand. Aspa hatte sich das bräutliche Lager als die aufgeschlagnen Schalen einer Muschel gedacht, die an der innern Seite zusammenhängen, zwei ovale muschelförmige Klinen von Citrusholz erhoben sich nur wenig von dem Teppich des Bodens. Über die weißen Kissen und Teppiche hin war eine Linnendecke von orangegoldnem Glanz gegossen.
Aber der eigenste Schmuck des Gelasses war die Fülle von Blumen, welche die Hand der Numiderin mit poesiereichem, wenn auch phantastischem Geschmack über das ganze Gemach verstreut und über die Wände, Decken, Vorhänge, die Türe und das Lager verteilt hatte.
Ein Bogen von starkduftigen Geißblattranken überwölbte laubenartig die einzige Türe, den schmalen Eingang. Zwei mächtige Rosenbäume standen zu Häupten des Lagers und streuten ihre roten und weißen Blüten auf die Teppiche. Die Ampel hing, wie erwähnt, aus einem kunstvoll gewundnen Füllhorn von Blumen herab. Und überall sonst, wo eine Falte, eine Biegung der Teppiche das Auge zu verweilen lud, hatte Aspa eine seltene Blume glücklich angeschmiegt. Der Lorbeer und der Oleander Italiens, die sizilische Myrte, das schöne Rhododendron der Alpen und die glühenden Iriazeen Afrikas mit ihren reichen Kelchen: alle lauschten je am gelegensten Ort und doch, wie es schien, vom Zufall hingeworfen. –
[] Schon standen die Sterne am Himmel.
Es dämmerte draußen: im Gemach hatte Aspa die Flamme in der veilchendunkeln Schale entzündet und war nur noch beschäftigt, hier und da eine Falte zu glätten, indes sie eine römische Sklavin anwies, in den Silberkrügen auf dem Bronzekredenztisch den Palmwein mit Schnee zu kühlen, eine andre, das Gemach mit Balsam zu durchsprengen.
»Reichlicher die Narden, reichlicher die Myrrhen gesprengt! So!« rief Aspa, eine volle Libation über das Lager spritzend.
»Laß ab,« mahnte die Römerin, »es ist zu viel! Schon der Duft der Blumen betäubt: die Rose und das Geißblatt berauschen fast die Sinne: mir würde schwindeln hier.«
»Ah,« lachte Aspa, »wie singt der Dichter: ›Nüchternen nimmer nahet, das Glück: nur in seligem Rausche.‹ Laß uns jetzt das Fenster schließen.« – »Nur ein wenig noch laß mich lauschen,« bat eine dritte junge Sklavin, die dort lehnte. »Es ist zu schön! Komm, Frithilo,« sprach sie zu einer gotischen Magd, die neben ihr stand, »du kennst ja all' die stolzen Männer und Frauen: sage, wer ist der zur Linken der Königin mit dem goldnen Schuppenpanzer? er trinkt dem König zu.« – »Herzog Guntharis von Tuscien, der Wölsung. Sein Bruder, Graf Arahad von Asta ... – wo mag der sein zu dieser Stunde?«
»Und der Alte neben dem König, mit dem grauen Bart?«
»Das ist der Graf Grippa, der die Goten in Ravenna befehligt. Er spricht die Fürstin an. Wie sie lacht und errötet! Nie war sie so schön.« – »Ja, aber auch der Bräutigam – welch' herrlicher Mann! Der Kopf des Mars, der Nacken des Neptun. Aber er sieht nicht fröhlich – vorhin starrte er lange sprachlos in seinen Becher und furchte die Stirn: – die Königin sah es: – bis der alte Hildebrand, gegenüber, ihm zurief. Da sah er seufzend auf. Was hat der Mann zu seufzen? neben diesem Götterweib.«
»Nun,« sprach die Gotin, »er hat dann doch nicht ein ganz [] steinern Herz. Er denkt dann vielleicht an die, die sein rechtes Weib vor Gott und Menschen, die er verstoßen.«
»Was? wie? was sagst du?« riefen die drei Sklavinnen zugleich. Aber urplötzlich fuhr Aspa zwischen die Mädchen: »Willst du wohl schweigen mit dem dummen Gerede, Barbarin! Mach', daß du fortkommst! Ein solches Wort: – eine Silbe, daß es die Königin hört, und du sollst der Afrikanerin gedenken.«
Frithilo wollte erwidern. »Still,« rief eine der Römerinnen. »Die Königin bricht auf.« – »Sie wird hier heraufkommen.« – »Der König bleibt noch.« – »Nur die Frauen folgen ihr.« – »Sie geben ihr das Geleit bis hierher,« sprach Aspa. »Gleich kann sie hier sein: bereitet euch, sie zu empfangen.«
Bald nahte der Zug, von Fackelträgern und Flötenbläsern eröffnet. Darauf eine Auswahl der gotischen Edelfrauen: neben Mataswintha, der Braut oder jungen Frau, schritt Theudigotho, die Gattin Herzogs Guntharis, und Hildiko, die Tochter Grippas. Die vornehmen Frauen von Ravenna schlossen den Zug.
An der Schwelle der Brautkammer verabschiedete Mataswintha ihr Gefolge, an die jungen Mädchen ihren Schleier, an die Frauen ihren Gürtel verschenkend.
Die meisten zogen sich wieder zu dem Fest in den Garten, andre nach Hause zurück. Sechs Gotinnen aber, drei Frauen und drei Jungfrauen, ließen sich als Ehrenwache vor der Türe des Brautgemaches nieder, wo Teppiche für sie bereitet lagen. Dort hatten sie mit einer gleichen Zahl gotischer Männer, die den Bräutigam geleiteten, die Nacht zu verbringen: so wollt' es die gotische Sitte.
Mataswintha überschritt die Schwelle mit einem Ausruf des Staunens. »Aspa,« rief sie, »das hast du schön gemacht – zauberisch!« –
Die Afrikanerin kreuzte selig die Arme über die Brust und beugte den Nacken. Sie an sich ziehend, flüsterte die Braut:
[] »Du kanntest mein Herz und seine Träume! Aber,« fuhr sie aufatmend fort, »wie schwül! Deine glühenden Blumen berauschen.«
»In Glut und Rausch nahen die Götter!« sprach Aspa.
»Wie schön jene Violen: und dort die Purpurlilie; mir ist, die Göttin Flora flog durchs Zimmer und dachte einen Liebestraum und verlor darüber ihre schönsten Blumen. Es ist ein ahnungsvolles Wunder, das ich hier erlebe. Es durchrieselt mich heiß. – Es ist schwül. – Nehmt mir den schweren Prunk ab.« Und sie nahm die goldne Krone aus dem Haar.
Aspa strich ihr die vollen, dunkelroten Flechten hinter das feine Ohr und zog die goldne Nadel heraus, die sie am Hinterkopf zusammenhielt: frei wallte das Haar in den Nacken. Die andern Sklavinnen lösten die Spange, die in Gestalt einer geringelten Schlange den schweren Purpurmantel mit seinen reichen Goldstreifen auf der linken Schulter zusammenhielt. Der Mantel fiel und zeigte die edle, hochschlanke Gestalt der Jungfrau in dem ärmellosen wallenden Unterkleid von weißer persischer Seide. Ihre schimmernden Arme umzirkten zwei breite, goldne Armreife: – Erbstücke aus dem alten Schatz der Amalungen: grüne Schlangen von Smaragden waren darin eingelegt.
Mit Entzücken schaute Aspa auf die Gebieterin, wie diese vor den in den Marmor eingelassenen Metallspiegel trat, das lose Haar mit goldnem Kamm zu schlichten.
»Wie schön du bist! wie zauberschön! – wie Astaroth, die Liebesgöttin – nie warst du so schön, wie in dieser Stunde.« Mataswintha warf einen raschen Blick in den Spiegel. Sie sah, noch mehr, sie fühlte, daß Aspa recht hatte: und sie errötete.
»Geht,« sagte sie, »laßt mich allein mit meinem Glück.« – Die Sklavinnen gehorchten. Mataswintha eilte ans Fenster, das sie rasch öffnete, wie um ihren Gedanken zu entfliehen. [] Ihr erster Blick fiel auf Witichis, der unten vom Schein der Hängelampen im Garten voll beleuchtet war.
»Er! Wieder er. Wohin entflieh' ich vor ihm, dem süßen Tod?«
Sie wandte sich rasch: da an der Wand, gerade dem Fenster gegenüber, glänzte im Ampellicht eine weiße Marmorbüste. Sie kannte sie wohl: Aspa hatte den Areskopf nicht vergessen, den treuen Begleiter lang harrender Sehnsucht. Heute aber schlang sich ein Kranz von weißen und roten Rosen um sein Haar. »Und wieder du!« flüsterte die Braut, süß erschrocken, und legte die weiße Hand vor die Augen. »Und schließ' ich die Augen und wend' ich sie nach innen, so seh' ich wieder sein Bild, sein Bild allein im tiefsten Herzen. Ich werde noch untergehn in diesem Bilde! Ach, und ich will's!« rief sie, die Hand fallen lassend und dicht vor die Büste tretend: »ich will's! Wie oft, mein Ares, wann der Abend kam, hab' ich zu dir aufgeblickt, wie zu meinem Stern, bis Frieden und Ruhe aus deinen klaren, großen Zügen drang in die schwanke Seele. Wie wunderbar hat dieses Ahnen, dieses Sehnen, dieses Hoffen sich erfüllt! Wie er einst dem weinenden Kinde die Tränen getrocknet und die Ratlose nach Hause geführt, so wird er auch jetzt all mein Klagen stillen und mir die wahre Heimat bauen in seinem Herzen. Und durch all' diese öden Jahre, durch all' die letzten Monate voll Gefahr und Angst trug ich in mir das sichere Gefühl: ›Es wird! Dir wird geschehen, wie du glaubst! Dein Retter kommt und birgt dich sicher an der starken Brust.‹ Und, o Gnade, unaussprechliche reiche Gnade des Himmels: – es ward. Ich bin sein! Dank, glühenden, seligen Dank, wer immer du bist, beglückende Macht, die über den Sternen die Bahn der Menschen lenkt mit weiser, mit liebender, mit wunderbar segnender Hand. O ich will's verdienen, dieses Glück. Er soll im Himmel wandeln. Sie sagen, ich bin schön: ich weiß es, daß ich's bin: ich weiß es ja durch ihn: – ich will's [] für ihn sein. Laß mir, Himmel, diese Schöne. Sie sagen: ich habe einen mächtigen, schwungvollen Geist. O gib ihm Flügel, Gott, daß ich seiner Heldenseele folgen kann in alle Sonnenhöhen. Aber, o Gott, laß mich auch abtun meine Fehler, den spröden, stolzen, leicht gereizten Sinn, den Trotz des zornigen Eigenwillens, den unbändigen Drang nach Freiheit ... – O fort damit: beuge dich, beuge dich, hochmütiger Geist: ihm sich zu beugen ist edelster Ruhm. Gib dich gebunden, Herz, und verloren auf ewig' an ihn, deinen starken und herrlichen Herrn. O Witichis,« rief sie und sank fortgerissen vom Gefühl halb aufs Knie, sich an das Lager lehnend und zu der Büste aufblickend mit schwimmenden Augen – »ich bin dein. Tu, wie du willst mit meiner Seele! Vernichte sie! nur gesteh', daß du glücklich bist, glücklich durch mich.«
Und sie beugte das schöne Haupt vor, nach den gefaltenen Händen.
Doch plötzlich fuhr sie empor. Licht, helles Licht floß ins Gemach. An der offenen Türe stand der König: draußen auf dem Gang zeigten sich zahlreiche Goten und Ravennaten mit hellen Fackeln.
»Dank, meine Freunde,« sprach der König mit ernster Stimme. »Dank, für das Festgeleit. Geht nun und vollendet die Nacht,« und er wollte die Türe schließen.
»Halt,« sprach Hildebrand, mit der Hand die Türe wieder öffnend, so daß Mataswintha sichtbar ward, »hier seht ihr, alles Volk: der Mann und das Weib, die heut' wir vermählt, sind glücklich geeint im Ehegemach. Ihr sehet Witichis und Mataswintha: und ihren ersten ehelichen Kuß.«
Mataswintha erbebte. Sie wankte, und schlug erglühend die Augen nieder.
Unschlüssig stand der König in der Tür. »Du kennst der Goten Brauch,« sprach Hildebrand laut, »so tu danach.«
Da wandte sich Witichis rasch, ergriff die zitternde Linke [] Mataswinthens, führte sie schnell einen Schritt vorwärts und berührte mit den Lippen ihre Stirn. Mataswintha zuckte.
»Heil euch!« rief Hildebrand. »Wir haben gesehen den bräutlichen Kuß. Wir bezeugen hinfort den ehelichen Bund! Heil König Witichis und seinem schönen Weib, der Königin Mataswintha.«
Der Zug wiederholte den Ruf und Hildebrand, Graf Grippa, Herzog Guntharis, Hildebad, Aligern und der tapfere Bandalarius (Bannerträger) des Königs, Graf Wisand von Volsinii, lagerten sich neben den sechs Frauen und Mädchen vor der Türe des Brautgemachs, welche Witichis nun schloß.
Sie waren allein.
Witichis warf einen langen, prüfenden Blick durch das Gemach. Das erste, was Mataswintha tat, war – sein Kuß brannte auf ihrer Stirn –, daß sie unwillkürlich so weit als möglich von ihm hinwegglitt. So war sie – sie wußte nicht wie – in die fernste Ecke des Zimmers, an das Fenster, gelangt. Witichis mochte es bemerken. Er stand hart an der Schwelle, die Hände auf das mächtige, breite und fast brusthohe Schwert gestützt, das er, aus dem Wehrgehäng genommen, in der Scheide, wie einen Stab, in der Rechten führte.
Mit einem Seufzer trat er einen Schritt vor, das Auge ruhig auf Mataswintha gerichtet. »Königin,« sprach er und seine Stimme drang ernst und feierlich aus seiner Brust, »sei getrost! Ich ahne, was du fürchtend fühlst in zarter Mädchenbrust. Es mußte sein. Ich durfte dein nicht schonen. Das Wohl des Volks gebot's: ich griff nach deiner Hand: sie muß mein sein und bleiben. Doch hab' ich schon in allen diesen Tagen dir gezeigt, daß deine Scheu mir heilig. Ich habe dich gemieden – und wir sind jetzt zum erstenmal allein. Auch diese gepreßte bange Stunde hätt' ich dir gern erspart: es ging nicht an. Du kennst, glaube ich, die alte Sitte des Brautgeleits. Und du weißt, in unserm Fall liegt alles daran, sie nicht zu [] verletzen. Als ich in dies Gemach trat und die Röte in deinen Wangen aufflammen sah, – lieber hätt' ich im ödesten Berggeklüft dieses müde Haupt auf harten Fels zur Ruhe gelegt. Es ging nicht: Hildebrand und Graf Grippa und Herzog Guntharis hüten diese Schwelle. Sonst ist kein Ausgang aus diesem Gemach.
Wollt' ich dich verlassen, es gäbe Lärm und Spott und Streit: und neuen Zwist vielleicht. Du mußt mich diese Nacht in deiner Nähe dulden.«
Und er trat einen Schritt weiter vor und nahm die schwere Krone ab: auch den Purpurmantel, den er, ähnlich dem Mataswinthens, über der Schulter trug, warf er ab.
Zitternd, sprachlos lehnte Mataswintha an der Wand.
Witichis drückte dies Schweigen: so schwer er selber litt, ihn dauerte des Mädchens. »Komm, Mataswintha,« sprach er. »Verharre nicht in unversöhntem Zorn. Es mußte sein, sag' ich dir. Laß uns, was sein muß, edel tragen und nicht durch Kleinheit uns verbittern. Ich mußte deine Hand nehmen – dein Herz bleibt frei.
Ich weiß, du liebst mich nicht: du kannst, du sollst, du darfst mich nicht lieben. Doch glaub' mir: redlich ist mein Herz und achten sollst du immerdar den Mann, mit dem du diese Krone teilst. Auf gute Freundschaft, Königin der Goten!«
Und er trat zu ihr und bot ihr die Rechte.
Nicht länger hielt sich Mataswintha: rasch ergriff sie seine Hand und sank zugleich zu seinen Füßen nieder, daß Witichis überrascht zurücktrat.
»Nein, weiche nicht zurück, du Herrlicher!« rief sie. »Es ist doch kein Entrinnen vor dir! Nimm alles hin und wisse alles. Du sprichst von Zwang und Furcht und Unrecht, das du mir getan. O Witichis, wohl hat man mich gelehrt, – das Weib soll immer klug verbergen, was es fühlt, soll sich bitten lassen, und erweichen und nur genötigt geben, was es aus Liebe gibt, [] auch wenn ihr ganzes Herz danach verlangt. Sie soll niemals ... – Hinweg mit diesen niedrigen Plänen armer Klugheit! Laß mich töricht sein! Nicht töricht! Offen und groß, wie deine Seele!
Nur Größe kann dich verdienen, nur das Ungewöhnliche. Du sprichst von Zwang und Furcht? Witichis, du irrst! – Es brauchte keines Zwangs! – gern ...« –
Staunend hatte sie Witichis eine Zeitlang angesehen.
Jetzt endlich glaubte er, sie zu verstehen. »Das ist schön und groß, Mataswintha, daß du feurig fühlest für dein Volk, die eigene Freiheit ohne Zwang ihm opfernd. Glaub' mir, ich ehre das hoch, und schlage das Opfer darum nicht niedriger an. Tat ich doch desgleichen! Nur um des Gotenreiches willen griff ich nach deiner Hand und nun und nie kann ich dich lieben.«
Da erstarrte Mataswintha.
Sie ward bleich wie eine Marmorstatue: die Arme fielen ihr schlaff herab: sie starrte ihn mit großen, offnen Augen an. »Du liebst mich nicht? du kannst mich nicht lieben? Und die Sterne logen doch? Und es ist doch kein Gott? Sag', bin ich denn nicht Mataswintha, die du das schönste Weib der Erde genannt?«
Aber der König beschloß, dieser Aufregung, die er nicht verstand und nicht erraten wollte, rasch ein Ende zu machen. »Ja, du bist Mataswintha, und teilst meine Krone, nicht mein Herz. Du bist nur die Gemahlin des Königs, aber nicht das Weib des armen Witichis. Denn wisse, mein Herz, mein Leben ist auf ewig einer andern gegeben. Es lebt ein Herz, ein Weib, das sie von mir gerissen: und dem doch ewig mein Herz zu eigen bleibt. Rauthgundis, mein Weib, mein treues Weib im Leben und im Tod!«
»Ha!« rief Mataswintha, wie von Fieber geschüttelt und beide Arme erhebend, »und du hast es gewagt ... –«
[] Die Stimme versagte ihr. Aber aus ihren Augen loderte Feuer auf den König. »Du wagst es!« rief sie nochmals – »Hinweg, hinweg von mir!«
»Still,« sprach Witichis, »willst du die Lauscher draußen herbeirufen? Fasse dich, ich verstehe dich nicht.«
Und rasch zog er das mächtige Schwert aus der Scheide, trat damit an das Doppelpfühl und legte es auf den Rand der beiden Lager, wo sie eng aneinanderstießen.
»Sieh hier dies Schwert! Es sei die ewige, scharfe, eherne, kalte Grenze zwischen uns! Zwischen deinem Wesen und dem meinen.
Beruhige dich doch nur. Es soll uns ewig scheiden.
Ruhe du hier zur Rechten seiner Schneide, – ich bleibe links. So teile, wie ein Schwertschnitt, diese Nacht für immer unser Leben!«
Aber in Mataswinthens Busen wogten die mächtigsten Gefühle, furchtbar ringend, drohend: Scham und Zorn, Liebe und glühender Haß. Die Stimme versagte ihr. »Nur fort, fort aus seiner Nähe,« konnte sie noch denken. Sie eilte gegen die Tür.
Aber mit fester Hand ergriff Witichis ihren Arm.
»Du mußt bleiben.« Da zuckte sie zusammen: das Blut schoß in ihr auf, bewußtlos sank sie nieder.
Ruhig sah Witichis auf sie herab. »Armes Kind,« sprach er, »der schwüle Duft in diesem Gelaß hat sie ganz verwirrt! Sie wußte nicht, was sie sinnlos sprach!
Was ist deine kleine, mädchenhafte Verwirrung gegen Rauthgundens Herzzerreißung und die meine.«
Und leise legte er die Besinnungslose auf das Pfühl zur Rechten des Schwertes.
Er selbst setzte sich nun, in seinen Waffen klirrend, auf den Bodenteppich zur Linken und lehnte den Rücken an das Lager.
[] Lang saß er so, das Haupt vorgebeugt und die Lippen auf ein blondes Haargeflecht gedrückt, das er in kleiner Kapsel auf dem Herzen trug. Es kam kein Schlaf in seine kummervollen Augen. –
Mit dem ersten Hahnenschrei verließ die Brautwache ihren Posten, von Flötenbläsern abgeholt. Gleich darauf schritt der König aus dem Gemach, in voller Rüstung.
Die Flöten hatten auch Mataswintha geweckt.
Aspa, die sich leise heranschlich, hörte plötzlich einen dumpfen Schlag. Sie eilte in das Gemach. Da stand die Königin, auf des Königs langes Schwert ge stützt, und starrte vor sich zur Erde.
Der Areskopf lag zertrümmert zu ihren Füßen.
Drittes Kapitel.
Im friedlichen Licht des späten Nachmittags schimmerten die Kirche und das Kloster, die am Fuß des Apenninus nordöstlich von Perusia und Asisium, südlich von Petra und Eugubium, hoch auf dem Felsenhang oberhalb des kleinen Fleckens Taginä, Valerius gebaut, seine Tochter vom Dienst des Jenseits einzulösen.
Das Kloster, aus dem dunkelroten Gestein der Gegend aufgeführt, umfriedete mit seinen Geviertmauern einen stillen Garten von dichtem grünem Laubwerk. An den vier Seiten desselben liefen kühle Bogengänge hin mit Apostelstatuen und Mosaik und mit Fresken auf goldnem Grund geschmückt. All' dies Bildwerk hatte den freudlosen byzantinischen Ernst: es waren sinnbildliche Darstellungen aus der heiligen Schrift, zumal aus der Offenbarung Johannis, dem Lieblingsbuch jener Zeit.
Feierliche Stille waltete rings. Das Leben schien weithin ausgeschlossen von diesen hohen und starken Mauern. Zypressen [] und Thuien herrschten vor in den Baumgruppen des Gartens, in dem nie eines Vogels Gesang vernommen ward. Die strenge Klosterordnung duldete die Vöglein nicht: der Nachtigall süßes Rufen sollte nicht die frommen Seelen in ihren Gebeten stören.
Cassiodor war es, der, schon als Minister Theoderichs einer streng kirchlichen Richtung ergeben und biblischer Gelehrsamkeit voll, seinem Freunde Valerius den ganzen Plan der äußeren und inneren Einrichtung seiner Stiftung entworfen – ähnlich der Regel des Männerklosters, das er selbst zu Squillacium in Unteritalien gegründet – und dessen Ausführung überwacht hatte. Und sein frommer, aber strenger, der Welt und dem Fleisch feindlich abgewendeter Geist drückte sich denn im größten wie im kleinsten dieser Schöpfung aus. Die zwanzig Jungfrauen und Witwen, welche hier als Religiosä lebten, verbrachten in Beten und Psalmensingen, in Buße und Kasteiung ihre Tage. Doch auch in werktätiger christlicher Liebe, indem sie die Armen und Kranken der Umgegend in ihren Hütten aufsuchten und ihnen Seele und Leib trösteten und pflegten.
Es machte einen feierlichen, poesievollen, aber sehr ernsten Eindruck, wenn durch die dunkeln Zypressengänge hin eine dieser frommen Beterinnen wandelte, in dem faltenreichen, dunkelgrauen Schleppgewand, auf dem Haupt die weiße enganschließende Kalantika, eine Tracht, die das Christentum von den ägyptischen Isispriestern überkommen. Vor den oft in Kreuzesform geschnittenen Buchsgebüschen blieben sie stehen und kreuzten die Arme auf der Brust. Immer gingen sie allein und stumm, wie Schatten glitten sie bei jeder Begegnung aneinander vorüber. Denn das Gespräch war auf das Unerläßliche beschränkt.
In der Mitte des Gartens floß ein Quell aus dunklem Gestein, von Zypressen überragt. Ein Paar Sitze waren in den Marmor gehauen.
[] Es war ein stilles, schönes Plätzchen: wilde Rosen bildeten dort eine Art Laube und verbargen beinahe völlig ein finsteres, rohes Steinrelief, das die Steinigung des heiligen Stephanus darstellte.
An diesem Quell saß, eifrig lesend in aufgerollten Papyrusrollen, eine schöne, jungfräuliche Gestalt in schneeweißem Gewand, das eine goldne Spange über der linken Schulter zusammenhielt, das dunkelbraune Haar, in weichen Wellen zurückgelegt, umflocht eine fein geschlungene Efeuranke: – – Valeria war's, die Römerin.
Hier, in diesen entlegenen, festen Mauern hatte sie Zuflucht gefunden, seit die Säulen ihres Vaterhauses zu Neapolis niedergestürzt. Sie war bleicher und ernster geworden in diesen einsamen Räumen. Aber ihr Auge leuchtete noch in seiner ganzen stolzen Schönheit.
Sie las mit großem Eifer; der Inhalt schien sie lebhaft fortzureißen, die feingeschnittenen Lippen bewegten sich unwillkürlich, und zuletzt ward die Stimme der Lesenden leise vernehmlich:
– – »Und er vermählte die Tochter dem erzumpanzerten Hektor. –
Die kam jetzt ihm entgegen, die Dienerin folgte zugleich ihr,
Tragend am Busen das zarte, noch ganz unmündige Knäblein,
Hektors einzigen Sohn, holdleuchtendem Sterne vergleichbar.
Schweigend betrachtete Hektor mit lächelndem Blicke den Knaben.
Aber Andromache trat mit tränenden Augen ihm näher,
Drückt' ihm zärtlich die Hand und begann die geflügelten Worte:
›Böser, dich wird noch verderben dein Mut! Und des lallenden Knäbleins
Jammert dich nicht, noch meiner, die bald ach! Witwe von Hektor
Sein wird. Bald ja werden die grimmigen Feinde dich töten,
Alle mit Macht einstürmend auf dich. Dann wär' mir das beste,
Daß mich die Erde bedeckt, wenn du stirbst: bleibt doch mir in Zukunft
Nie ein anderer Trost, wenn dich wegraffte das Schicksal:
Nein, nur Trauer: lang ist mein Vater dahin und die Mutter:
Du nur allein bist Vater mir jetzt und Mutter und alles ... –‹«
Sie las nicht weiter: die großen runden Augen wurden feucht, ihre Stimme versagte; sie neigte das blasse Haupt.
[] »Valeria,« sprach eine milde Stimme, und Cassiodor beugte sich über ihre Schulter. »Tränen über dem Buch des Trostes? Aber was sehe ich: die Ilias! Kind! ich gab dir doch die Evangelien.«
»Verzeih mir, Cassiodor. Es hängt mein Herz noch andern Göttern an als deinen. Du glaubst nicht: je gewaltiger von allen Seiten her die Schatten ernster Entsagung auf mich eindringen, seit ich bei dir und in diesen Mauern weile, desto krampfhafter klammert sich die widerstrebende Seele an die letzten Fäden, die mich mit einer andern Welt verbinden. Und zwischen Grauen und Liebe ratlos schwankt der Sinn.«
»Valeria, du hast keinen Frieden in diesem Haus des Friedens gefunden. Wohlan, so zieh' hinaus. Du bist ja frei und Herrin deines Willens. Kehre zurück zu jener bunten Welt, wenn du glaubst, dort dein Glück zu finden.«
Sie aber schüttelte das schöne Haupt. »Es geht nicht mehr. Feindlich ringen in meiner Seele zwei Gewalten. Welche auch siege – ich verliere immer.«
»Kind, sprich nicht so! du kannst die beiden Mächte, Erdenlust und Himmelsseligkeit, nicht wie zwei gleiche Dinge in einer Wage wiegen.«
»Weh' denen,« fuhr sie, wie mit sich selbst sprechend, fort, »welchen das Schicksal den gespaltnen Doppeltrieb in die Seele gepflanzt, der bald zu den Sternen nach oben, bald nieder zu den Blumen zieht. Sie werden keines der beiden froh.«
»In dir, mein Kind,« sprach Cassiodor, sich zu ihr setzend, »walten freilich unversöhnt deines weltlichen Vaters und deiner frommen Mutter Sinn. Dein Vater, ein Römer der alten Art, ein Kind der stolzen, rauhen Welt, kühn, sicher, selbstvertrauend, nach Gewinn und Macht strebend, wenig, allzuwenig, fürcht' ich, ergriffen von dem Geist unsres Glaubens, der nur im Jenseits unsre Heimat sucht – in der Tat, Valerius, mein Freund, war mehr ein Heide denn ein Christ. Und daneben [] deine Mutter, fromm, sanft, aus einem Märtyrergeschlecht, den Himmel suchend und der Erde vergessen, auch sie hat wohl ein Teil von ihrem Wesen in dich ... –«
»Nein,« sprach Valeria aufstehend und das edle Haupt kräftig zurückwerfend, »ich fühle nur des Vaters Art in mir. Kein Tropfen Blut neigt jener Seite zu. Die Mutter war viel krank und starb schon früh. Unter meines Vaters Augen wuchs ich auf; Iphigenia und Antigone und Nausikaa, Cloelia und Lucretia und Virginia waren die Freundinnen meiner Jugend. Nicht viele Priester sah man in des Kaufherrn Haus und wenn er abends mit mir saß und las, so waren's Livius und Tacitus und Vergilius, nicht das heilige Buch der Christen. So wuchs ich heran bis in mein siebzehntes Jahr, den Sinn allein auf diese Welt gerichtet. Denn auch die Tugenden, die der Vater pries und übte, sie galten nur dem Staat, dem Haus, den Freunden. Glücklich war ich in jener Zeit, ungespalten meine Seele.«
»Du warst eine Heidin trotz des Taufwassers.«
»Ich war glücklich. Da kamen wir auf einer Reise zuerst in diese Mauern mit ihrem Grabesernst und dunkle schwere Schatten fielen hier zuerst in meine Seele. Dich fand ich hier und du entdecktest mir, was man mir bisher sorgfältig verborgen hatte, daß die Mutter in schwerer Krankheit mich schon vor meiner Geburt durch ein Gelübde dem ehelosen Leben im Kloster geweiht, wenn Gott sie und ihr Kind am Leben erhalte, und daß mein Vater, dem dieser Gedanke unerträglich, später mich vom Himmel eingelöst, indem er, freilich mit Zustimmung des Bischofs von Rom, statt die Tochter hinzugeben, Kirche und Kloster hier gebaut.«
»So ist es, Kind, mit dem vierten Teil seines Vermögens! Darüber kannst du dich beruhigen. Der Nachfolger des heiligen Petrus, der die Macht hat, zu binden und zu lösen, hat den Tausch, die Umwandlung des Gelübdes gebilligt. Du bist [] frei!« – »Aber ich fühle mich nicht frei! Nicht mehr seit jener Stunde! Was auch du, was auch der Vater gesagt, tief, tief in meinem Herzen spricht eine Stimme: ›der Himmel nimmt nicht totes Gold statt einer lebendigen Seele. Das Schicksal läßt sich nicht abkaufen, was einmal ihm verwirkt war.‹ Die finstre, ernste, drohende Macht jenes heiligen Glaubens, der meiner Seele fremd gewesen und geblieben ist, die in diesem feierlichen Raume wohnt, hat ein Recht, ein zwingend Herrschaftsrecht über meine Seele und läßt nicht davon. Ich bin ihr verfallen. Ihr gehör' ich an, nicht wollend, widerstrebend, aber sicher doch. Der Welt der Entsagung, des Schmerzes, der Dornen: nicht jener goldnen Welt meines Homers, der Blumen und des Sonnenscheins, zu der noch immer von innen meine ganze Seele neigt. So oft ich's auch vergessen will, immer ziehen wieder die Wolkenschatten über meine Seele. Sie drohen im Hintergrunde aller Freuden: wie dort das finstre Martyrbild hinter den roten Rosen.«
»Valeria, du hassest, scheint's, was du verehren solltest.«
»Ich hasse es nicht. Ich fürchte es. Wohl war eine Zeit,« – und ein Strahl der Freude flog über ihre Züge »da glaubte ich den dunkeln Schatten für immer besiegt von einem hellen Gott des Lichts. Als ich zuerst des jungen Goten lachend Auge sah und seine sonnige Seele mich umschloß, als so viel Jugend, Schönheit, Liebe und Glück mich umfluteten, da wähnte ich wohl, für immer sei jener Bann gelöst. Aber es währte nicht lang.
Der finstre Gott des Schmerzes pochte vernehmlich an die goldne Wand, die ich zwischen ihn und mich gebaut und immer näher drangen seine Schläge. Der Krieg bricht aus, mein teurer Vater fällt und nimmt einen verhängnisvollen Eid des Geliebten mit sich ins Grab. In Schutt versinkt das Haus meiner Ahnen und ich muß flüchten aus meiner Vaterstadt. Sie fällt dem Feinde zu. Nur das Opfer eines köstlichen [] Lebens rettet mir den Geliebten. Die Woge des Krieges verschlägt ihn fern von mir.
Und wie ich erwache aus der Betäubung dieses Streichs, – find' ich mich hier, in diesem großen Grabe, dem Ort meiner Bestimmung. Ach, du wirst sehen, der Himmel begnügt sich nicht mit dem leeren Grab. Er fordert auch die Leiche, die hinein gehört.«
»Valeria! Du solltest Kassandra heißen.«
»Ja, denn Kassandra sah die Wahrheit, ihre Gesichte trafen ein!«
»Du weißt, wir erkennen einer Seele den Preis zu, die der Erde vergißt über dem Himmel. Aber Gott will erzwungne Opfer nicht. Und so sag' ich dir, du quälst dich mit eitlem Vorwurf. Der Papst hat dich gelöst, so bist du frei.«
»Die Seele löst kein Papst. Der Papst nimmt Gold, das Schicksal nicht. Du wirst erfüllt sehen, was ich dir ahnend vorhersage – nie werd' ich glücklich, nie werd' ich Totilas, und diese Stätte wird ... –«
»Und wenn's so wäre? Hängst du denn noch gar so fest an Glück und Hoffnung? Freilich, du bist noch jung. Aber Kind, ich sage dir: je früher du dich losmachst, desto größerem Weh' entrinnst du. Ich habe die Welt und ihre falschen Freuden und Ehren alle gekostet und sie alle eitel und treulos erfunden. Nichts auf Erden füllt die Seele aus, die nicht von dieser Erde ist. Wer das erkennt, der sehnt sich hinweg aus dieser Welt der Unrast und der Sünde. Erst in der Welt jenseits des Grabes ist deine Heimat. Dahin verlangt die ganze Seele ... –«
»Nein, nein, Cassiodor,« rief die Römerin, »meine ganze Seele verlangt nach Glück auf dieser schönen Erde! Ihr gehör' ich an! Auf ihr fühl' ich mich heimisch. Blauer Himmel, weißer Marmor, rote Rosen, linde, duftgefüllte Abendluft: – wie seid ihr schön!
Das will ich einatmen mit entzückten Sinnen! Wer das [] genießt, ist glücklich! Weh dem, der es verloren! Von deinem Jenseits hab' ich kein Bild in meiner bangen Seele! Nebel, Schatten – graues Ungewiß allein liegt jenseit des Grabes. Wie spricht Achilleus?
›Tröste mich doch nicht über den Tod! Du kannst nicht, Odysseus.
Lieber ja möcht' ich das Feld als Lohnarbeiter bestellen
Für den bedürftigen Mann, dem nicht viel Habe ge worden,
Als hier allzumal die Schatten der Toten beherrschen.‹
So empfind' auch ich. Weh dem, den nicht die goldne Sonne mehr bescheint. O wie gern, wie gern wär' ich glücklich in dieser schönen Welt, in meinem schönen Heimatland: wie fürcht' ich das Unheil, das doch unaufhaltsam näher dringt, wie hier auf dieser Wand mit der sinkenden Sonne die Schatten unhörbar, doch unhemmbar wachsen. O, wer ihn aufhielte, den furchtbar nahenden Schatten meines Lebens!«
Da drang vom Eingang her ein heller, kräftig lust'ger Schall, ein fremder Ton in diesen stillen Mauern, die nur vom leisen Choral der Jungfraun widertönten. Die Trompete blies den muntern, kriegerischen Feldruf der gotischen Reiter: belebend drang der Ton in die Seele Valerias.
Aus dem Wohngebäude aber eilte der alte Pförtner herbei. »Herr,« rief er, »keckes Reitervolk lagert vor den Mauern. Sie lärmen und verlangen Fleisch und Wein. Sie lassen sich nicht abweisen und der Führer: – da ist er schon –«
»Totila!« jauchzte Valeria und flog dem Geliebten entgegen, der in schimmernder Rüstung, vom weißen Mantel umwallt, waffenklirrend, heranschritt.
»O du bringst Luft und Leben!« – »Und neues Hoffen und die alte Liebe,« rief Totila. Und sie hielten sich umschlungen.
»Wo kommst du her? Wie lang bist du mir fern geblieben!« – »Ich komme geradeswegs von Paris und Aurelianum, von den Höfen der Frankenkönige. O Cassiodor, wie gut sind jene daran jenseit der Berge! Wie leicht haben sie's! Da kämpft [] nicht Himmel und Boden und Erinnerung gegen ihre Germanenart. Nahe ist der Rhenus und Danubius, und ungezählte Germanenstämme wohnen dort in alter ungebrochner Kraft: – wir dagegen sind wie ein vorgeschobner, verlorner Posten, ein einzelner Felsblock, den rings feindliches Element benagt.
Doch desto größer,« sprach er, sich aufrichtend, »ist der Ruhm, hier, mitten im Römerland, Germanen ein Reich zu bauen und zu erhalten.
Und welcher Zauber liegt auf deinem Vaterland, Valeria. Es ist das unsre auch geworden! Wie frohlockte mein Herz, als mich wieder Oliven und Lorbeer begrüßten und des Himmels tiefes, tiefes Blau. Und ich fühlte klar: wenn mein edles Volk sich siegreich erhält in diesem edlen Land, dann wird die Menschheit ihr edelstes Gebilde hier erstehen sehn.«
Valeria drückte dem Begeisterten die Hand.
»Und was hast du ausgerichtet?« fragte Cassiodor.
»Viel! – Alles! Ich traf am Hofe des Merowingen Childibert Gesandte von Byzanz, die ihn schon halb gewonnen, als sein Bundesgenosse in Italien einzufallen. Die Götter – vergib mir, frommer Vater –, der Himmel war mit mir und meinen Worten. Es gelang, ihn umzustimmen. Schlimmstenfalls ruhen seine Waffen ganz. Hoffentlich sendet er uns ein Heer zu Hilfe.«
»Wo ließest du Julius?«
»Ich geleitete ihn bis in seine schöne Heimatstadt Avenio. Dort ließ ich ihn unter blühenden Mandelbäumen und Oleandern. Dort wandelt er, fast nie mehr den Platon, meist den Augustinus in der Hand und träumt und träumt vom ewigen Völkerfrieden, vom höchsten Gut und von dem Staate Gottes! Wohl ist es schön in jenen grünen Tälern: – doch neid' ich ihm die Muße nicht. Das Höchste ist das Volk, das Vaterland! Und mich verlangt's, für dieses Volk der Goten zu kämpfen und zu ringen. Überall, wo ich des Rückwegs kam, [] trieb ich die Männer zu den Waffen an. Schon drei starke Scharen traf ich auf dem Wege nach Ravenna. Ich selber führe eine vierte dem wackern König zu. Dann geht es endlich vorwärts gegen diese Griechen, und dann: Rache für Neapolis!« Und mit blitzenden Augen hob er den Speer – er war sehr schön zu schauen.
Entzückt warf sich Valeria an seine Brust. »O sieh, Cassiodor, das ist meine Welt! meine Freude! mein Himmel! Mannesmut und Waffenglanz und Volkesliebe und die Seele in Lieb' und Haß bewegt – füllt das die Menschenbrust nicht aus?«
»Jawohl: im Glück und in der Jugend! Es ist der Schmerz, der uns zum Himmel führt.«
»Mein frommer Vater,« sagte Totila, mit der Linken Valeria an sich drückend, mit der Rechten an seine Schulter rührend, »schlecht steht mir an, mit dir, dem Ältern, Weisern, Besseren zu streiten. Aber anders ist mein Herz geartet. Wenn ich je zweifeln könnte an eines gütigen Gottes Walten, so ist es, wann ich Schmerz und unverschuldet Leiden sehe. Als ich der edeln Miriam Auge brechen sah, da fragte mein verzweifelnd Herz: ›lebt denn kein Gott?‹
Im Glück, im Sonnenschein fühl' ich den Gott und seine Gnade wird mir offenbar. Er will gewiß der Menschen Glück und Freude: – der Schmerz ist sein heiliges Geheimnis – ich vertraue: dereinst wird uns auch dies Rätsel klar. Einstweilen aber laß uns auf der Erde freudig das Unsre tun und keinen Schatten uns allzulang verdunkeln.
In diesem Glauben, Valeria, laß uns scheiden. Denn ich muß fort zu König Witichis mit meinen Reitern.«
»Du gehst von mir? schon wieder? Wann, wo werd' ich dich wiedersehn?«
»Ich seh' dich wieder, nimm mein Wort zum Pfand!
Ich weiß, es kommt der Tag, da ich mit vollem Recht dich [] aus diesen ernsten Mauern führen darf ins sonnige Leben. Laß dich indes nicht allzusehr verdüstern. Es kommt der Tag des Sieges und des Glücks: und mich erhebt's, daß ich zugleich das Schwert für mein Volk und meine Liebe führe.«
Inzwischen war der Pförtner mit einem Schreiben an Cassiodor wiedergekommen.
»Auch ich muß dich verlassen, Valeria,« sprach der.
»Rusticiana, des Boëthius Witwe, ruft mich dringend an ihr Sterbebett: sie will ihr Herz erleichtern von alter Schuld. Ich gehe nach Tifernum.«
»Dahin führt auch unser Weg, du ziehst mit mir, Cassiodor. Leb wohl, Valeria!«
Nach kurzem Abschied sah die Jungfrau den Geliebten gehn. Sie bestieg ein Türmchen der Gartenmauer und sah ihm nach. Sie sah, wie er in voller Rüstung sich in den Sattel schwang, sie sah mit freudigen Augen seine Reiter hinter ihm traben. Hell blitzten ihre Helme im Abendlicht, die blaue Fahne flatterte lustig im Winde: alles war voll Leben, Kraft und Jugend.
Sie sah dem Zuge nach, lang und sehnend.
Aber als er fern und ferner sich hinzog, da wich der frohe Mut, den sein Erscheinen gebracht, wieder von ihr. Bange Ahnungen stiegen ihr auf und unwillkürlich sprachen sich ihre Gefühle aus in den Worten ihres Homeros:
»Siehest du nicht wie schön von Gestalt, wie stattlich Achilleus?
Dennoch harrt auch seiner der Tod und das dunkle Verhängnis,
Wann auch ihm in des Kampfes Gewühl das Leben entschwindet.
Ob ihn ein Pfeil von der Sehne dahinstreckt, oder ein Wurfspeer.«
Und schmerzlich seufzend schritt die Jungfrau aus dem rasch sich verdunkelnden Garten in die dumpfen Mauern zurück.
[] Viertes Kapitel.
Inzwischen hatte König Witichis in seinem Waffenplatz Ravenna jede Kunst und Tätigkeit eines erfahrnen Kriegsmannes entfaltet.
Während jede Woche, ja jeden Tag vor und in der Stadt größere und kleinere Scharen von den gotischen Heeren eintrafen, die der Verrat Theodahads an die Grenzen gesendet hatte, arbeitete der König unablässig daran, das ganze große Heer, das allmählich bis auf einhundertundfünfzig Tausendschaften gebracht werden sollte, auszurüsten, zu waffnen, zu gliedern und zu üben.
Denn die Regierung Theoderichs war eine äußerst friedliche gewesen: nur die Besatzungen der Grenzprovinzen, kleine Truppenmassen, hatten mit Gepiden, Bulgaren und Avaren zu tun gehabt, und in den mehr als dreißig Jahren der Ruhe waren die kriegerischen Ordnungen eingerostet.
Da hatte der tüchtige König, von seinen Freunden und Feldherren eifrig unterstützt, Arbeit vollauf. Die Arsenale und Werften wurden geleert, in Ravenna ungeheure Vorratsspeicher angelegt und zwischen der dreifachen Umwallung der Stadt endlose Reihen von Werkstätten für Waffenschmiede aller Art aufgeschlagen, die Tag und Nacht unablässig zu arbeiten hatten, den Forderungen des kampfbegierigen Königs, des massenhaft anschwellenden Heeres zu genügen. Ganz Ravenna ward ein Kriegslager. Man hörte nichts als die Hammerschläge der Schmiede, das Wiehern der Rosse, den Sturmruf und Waffenlärm der sich übenden Heerscharen.
In diesem Getöse, in dieser rastlosen Tätigkeit betäubte Witichis, so gut es gehen wollte, den Schmerz seiner Seele und begierig sah er dem Tag entgegen, da er sein schönes Heer zum Angriff gegen den Feind führen könne. Doch hatte er bei allem Drange, im Kampfgewühl sich selber zu verlieren, seiner [] Königspflicht nicht vergessen, und durch Herzog Guntharis und Hildebad ein Friedensanerbieten an Belisar gesendet mit den mäßigsten Vorschlägen.
So von Krieg und Staat ganz in Anspruch genommen, hatte er kaum einen Blick und Gedanken für seine Königin, der er auch, wie er meinte, kein größeres Gut als die ungestörteste Freiheit zuwenden konnte.
Aber Mataswintha war von jener unheilvollen Brautnacht an von einem Dämon erfüllt, von dem Dämon unersättlicher Rache. In Haß übergeschlagene Liebe ist der giftigste Haß.
Ihre tiefe und leidenschaftliche Seele hatte von Kindheit an das Ideal dieses Mannes hoch zu den Sternen erhöht. Ihr Stolz, ihre Hoffnung, ihre Liebe, war einzig an dieser Gestalt gehangen und sicher, wie den Aufgang der Sonne, hatte sie die Erfüllung ihrer Sehnsucht durch diesen Mann erwartet.
Und nun mußte sie sich gestehen, daß er ihre Liebe hatte ans Licht gebracht und nicht erwidert: daß sie, obwohl seine Königin, mit dieser Liebe wie eine Verbrecherin dem verstoßenen und doch ewig allein in seinem Herzen wohnenden Weibe gegenüberstehe. Und er, auf den sie als Retter und Befreier von unwürdigem Zwang gehofft, er hatte ihr die höchste Schmach angetan: eine Ehe ohne Liebe. Er hatte ihr die Freiheit genommen und kein Herz dafür gegeben. Und warum? was war der letzte Grund dieses Frevels?
Das Gotenreich, die Gotenkrone!
Sie zu erhalten, hatte er sich nicht besonnen, einer Mataswintha Leben zu verderben. »Hätte er meine Liebe nicht erwidert – ich wäre zu stolz, ihn darum zu hassen. Aber er zieht mich an sich, behängt mich, wie zum Hohne, mit dem Namen seines Weibes, führt diese Liebe bis hart an den Gipfel der Erfüllung und stößt mich dann achtlos hinunter in die Nacht unaussprechlicher Beschämung. Und warum? warum das alles. Um einen eiteln, leeren Schall: ›Gotenreich!‹ Um einen toten [] Reif von Gold. Weh ihm, und wehe seinem Götzen, dem er dies Herz geschlachtet. Er soll es büßen. An seinem Götzenbilde soll er's büßen. Hat er mir ohne Schonung mein Idol, sein eigen Bild, meine schöne Liebe mit Füßen getreten, – wohlan, Götze gegen Götze! Er soll leben, dieses Reich zernichtet zu sehen, diese Krone zerstückt. Zerschlagen will ich ihm seinen Lieblingswahn, um den er die Blüte meiner Seele geknickt, zerschlagen dieses Reich wie seine Büste. Und wenn er verzweifelnd, händeringend vor den Trümmern steht, will ich ihm zurufen: sieh, so sehn die zerschlagenen Götzen aus.«
So, in der widerstandlosen Sophistik der Leidenschaft, beschuldigte und verfolgte Mataswintha den unseligen Mann, der mehr als sie gelitten, der nicht nur sie, der sein und des geliebten Weibes Glück dem Vaterland geopfert.
Vaterland, Gotenreich: – der Name schlug ohne Klang an das Ohr des Weibes, das von Kindheit auf unter diesem Namen nur zu leiden, nur dagegen für ihre Freiheit zu ringen gehabt hatte. Sie hatte nur der Selbstsucht ihres Einen Gefühls, der Poesie dieser Leidenschaft gelebt, und zur Rache, Rache für die Hinopferung ihrer Seele, dies Gotenreich zu verderben, war ihre höchste, grimmige Lust. O hätte sie, wie jene Marmorbüste, mit Einem Streich, dies Reich zerschmettern können!
Mit diesem Wahnsinn der Leidenschaft empfing sie aber deren ganze dämonische Klugheit. Sie wußte ihren tödlichen Haß und ihre geheimen Rachegedanken so tief vor dem König zu verbergen, – so tief wie sie sich selbst die geheime Liebe verbarg, die sie noch immer für den grimmig Verfolgten im tiefsten Busen trug.
Auch wußte sie dem König ein Interesse an der gotischen Sache zu zeigen, welches das einzige Band zwischen ihnen zu bilden schien und das, wenn auch in feindlichem Sinne, wirklich in ihr bestand. Denn wohl begriff sie, daß sie dem gehaßten [] König nur dann schaden, seine Sache nur dann verderben konnte, wenn sie in alle Geheimnisse derselben genau eingeweiht, mit ihren Stärken wie mit ihren Blößen genau vertraut war.
Ihre hohe Stellung machte ihr leicht möglich, alles, was sie wissen wollte, zu erfahren: schon aus Rücksicht auf ihren großen Anhang konnte man der Amalungentochter, der Königin, Kenntnis der Lage ihres Reiches, ihres Heeres nicht vorenthalten. Der alte Graf Grippa versah sie mit allen Nachrichten, die er selbst erfuhr. In wichtigeren Fällen wohnte sie selbst den Beratungen bei, die in den Gemächern des Königs gehalten wurden.
So war Mataswintha über die Stärke, Beschaffenheit und Einteilung des Heeres, die nächsten Angriffspläne der Feldherren und alle Hoffnungen und Befürchtungen der Goten so gut wie der König selbst unterrichtet. Und sehnlich wünschte sie eine Gelegen heit herbei, dies ihr Wissen sobald und so verderblich wie möglich zu verwerten.
Mit Belisar selbst in Verkehr zu treten, durfte sie nicht hoffen. Naturgemäß richteten sich ihre Augen auf die aus Furcht vor den Goten neutralen, im Herzen aber ausnahmslos byzantinisch-gesinnten Italier ihrer Umgebung, mit denen sie leichten und unverdächtigen Verkehr pflegen konnte.
Aber so oft sie diese Namen im Geiste musterte, – da war keiner, dessen Tatkraft und Klugheit sie das tödliche Geheimnis hätte vertrauen mögen, daß die Königin der Goten selbst am Verderben ihres Reiches arbeiten wolle. Diese feigen und unbedeutenden Menschen – die Tüchtigeren waren längst zu Cethegus oder Belisar gegangen – waren ihr weder des Vertrauens würdig, noch schienen sie Witichis und seinen Freunden gewachsen.
Wohl suchte sie auf schlauen Umwegen durch den König und die Goten selbst zu erkunden, welchen unter allen Römern sie für ihren gefährlichsten, bedeutendsten Feind hielten. Aber auf [] solche Anfragen und Erkundigungen hörte sie immer nur Einen Mann nennen, immer und immer wieder einen einzigen. Und der saß ihr unerreichbar fern im Kapitol von Rom: Cethegus, der Präfekt. Es war ihr unmöglich, sich in Verbindung mit ihm zu setzen. Keinem ihrer römischen Sklaven wagte sie einen so verhängnisvollen Auftrag, als ein Brief nach Rom war, anzuvertrauen.
Die kluge und mutige Numiderin, die den Haß ihrer angebeteten Herrin gegen den rohen Barbaren, der diese verschmäht, vollauf teilte, ungeschwächt bei ihr durch heimliche Liebe, hatte sich zwar eifrig erboten, ihren Weg zu Cethegus zu finden. Aber Mataswintha wollte das Mädchen nicht den Gefahren einer Wanderung durch Italien, mitten durch den Krieg, aussetzen. Und schon gewöhnte sie sich an den Gedanken, ihre Rache bis zu dem Zug auf Rom zu verschieben, ohne inzwischen in ihrem Eifer in Erforschung der gotischen Pläne und Rüstungen zu erkalten.
So wandelte sie eines Tages nach der Stadt zurück von dem Kriegsrat, der draußen im Lager, im Zelt des Königs, war gehalten worden. Denn seit die Rüstungen ihrer Vollendung nah und die Goten jeden Tag des Aufbruchs gewärtig waren, hatte Witichis, wohl auch um Mataswintha aus dem Wege zu sein, seine Gemächer im Palatium verlassen und seine schlichte Wohnung mitten unter seinen Kriegern aufgeschlagen.
Langsam, das Vernommene ihrem Gedächtnis einprägend und über die Verwertung nachsinnend, wandelte die Königin, nur von Aspa begleitet, durch die äußersten Reihen der Zelte, einen sumpfigen Arm des Padus zur Linken, die weißen Zelte zur Rechten. Sie mied das Gedränge und den Lärm der innern Gassen des Lagers.
Während sie bedächtig und ihrer Umgebung nicht achtend dahinschritt, musterten Aspas scharfe Augen die Gruppe von Goten und Italiern, die sich hier um den Tisch eines Gauklers [] geschart hatte, der unerhörte und nie gesehene Künste zum besten zu geben schien, nach dem Staunen und Lachen der Zuschauer zu schließen.
Aspa zögerte etwas in ihrem Gang, diese Wunder mit anzusehen. Es war ein junger, schlanker Bursch: nach der blendend weißen Haut des Gesichts und der bloßen Arme wie nach dem langen gelben Haar gallischen Zuschnitts ein Kelte, wozu die kohlschwarzen Augen nicht stimmen wollten. Er verrichtete wirklich Wunderdinge auf seiner einfachen Bühne. Bald sprang er in die Höhe, überschlug sich in der Luft und kam doch senkrecht, bald wieder auf die Füße, bald auf die Hände, zu stehen. Dann schien er brennende Kohlen mit sichtlichem Behagen zu verspeisen und dafür Münzen auszuspeien: dann verschluckte er einen fußlangen Dolch und zog ihn später wieder aus seinen Haaren hervor, um ihn mit drei, vier andern scharfgeschliffenen Messern in die Luft zu werfen und eins nach dem andern mit nie fehlender Behendigkeit am Griff aufzufangen, wofür ihn Gelächter und Rufe der Bewunderung von Seiten seiner Zuschauer belohnten.
Aber schon zu lange hatte sich die Sklavin verweilt.
Sie sah nach der Herrin und bemerkte, daß ihr Weg gesperrt war von einer Schar italischer Lastträger und Troßknechte, welche die Gotenkönigin offenbar nicht kannten und gerade an ihr vorbei, über den Weg hin, nach dem Wasser zu, lärmende Kurzweil trieben. Sie schienen sich einen Gegenstand, den Aspa nicht wahrnahm, zu zeigen und ihn mit Steinen zu werfen.
Eben wollte sie ihrer Herrin nacheilen, als der Gaukler neben ihr auf dem Tisch einen gellenden Schrei ausstieß; Aspa wandte sich erschrocken und sah den Gallier in ungeheurem Satz über die Köpfe der Zuschauer weg wie einen Pfeil durch die Luft auf die Italier losschießen. Schon stand er mitten in dem Haufen und schien, sich bückend, einen Augenblick unter ihnen verschwunden.
[] Aber plötzlich ward er sichtbar. Denn einer und gleich darauf ein zweiter der Italier stürzte von seinen Faustschlägen nieder.
Im Augenblick war Aspa an der Königin Seite, die sich schnell aus der Nähe der Schlägerei entfernt hatte, aber, zu der Sklavin Befremden, stehen blieb, mit dem Finger auf die Gruppe weisend.
Und seltsam in der Tat war das Schauspiel.
Mit unglaublicher Kraft und noch größerer Gewandtheit wußte der Gaukler das Dutzend der Angreifer sich vom Leibe zu halten. Die Gegner anspringend, sich wendend und duckend, weichend, dann wieder plötzlich vorspringend und den nächsten am Fuß niederreißend oder mit kräftigem Faustschlag vor Brust oder Gesicht niederstreckend, wehrte er sich.
Und das alles ohne Waffe: und nur mit der rechten Hand: denn die linke hielt er, wie etwas bergend und schützend, dicht an die Brust. So währte der ungleiche Kampf minutenlang. Der Gaukler ward näher und näher von der wütenden, lärmenden Menge dem Wasser zugedrängt. Da blitzte eine Klinge. Einer der Troßknechte, zornig über einen schweren Schlag, zuckte ein Messer und sprang den Gaukler von hinten an. Mit einem Schrei stürzte dieser zusammen: die Feinde über ihn her.
»Auf! reißt sie auseinander! helft dem Armen,« rief Mataswintha den Kriegern zu, die jetzt von dem verlassenen Tisch der Goten herankamen, »ich befehle es! die Königin!«
Die Goten eilten nach dem Knäuel der Streitenden: aber noch ehe sie herankamen, sprang der Gaukler, der sich für einen Moment von allen Feinden losgemacht, hoch aus dem Gewirr und eilte mit letzter Kraft davon, gerade auf die beiden Frauen zu – verfolgt von den Italiern, welche die wenigen Goten nicht aufzuhalten vermochten.
Welch ein Anblick! Seine gallische Tunika hing ihm in Fetzen vom Leibe: ein Stück seiner gelben Haare schleifte am Rücken, und siehe, unter der gelben Perücke kam schwarzes glänzendes [] Haar zum Vorschein und der weiße Hals verlief in eine bronzebraune Brust.
Mit letzter Kraft erreichte er die Frauen. Da erkannte er Mataswintha. »Schütze mich, rette mich, weiße Göttin!« schrie er und brach zusammen vor Mataswinthas Füßen. Schon waren die Italier heran, und der vorderste schwang sein Messer. –
Aber Mataswintha breitete ihren blauen Mantel über den Gefallenen: »Zurück!« sprach sie mit Hoheit, »laßt ab von ihm. Er steht im Schutz der Gotenkönigin.« Verblüfft wichen die Troßknechte zurück. »So?« rief nach einer Pause der mit dem Dolch, »straflos soll er ausgehn, der Hund und Sohn eines Hundes? und fünf von uns liegen am Boden halbtot? und ich habe fortan drei Zähne zu wenig? Und keine Strafe?« – »Er ist gestraft genug,« sagte Mataswintha, auf die tiefe Dolchwunde am Halse deutend. »Und all das um einen Wurm,« schrie ein zweiter, »um eine Schlange, die aus seinem Ranzen schlüpfte, und die wir mit Steinen warfen.« – »Da seht! er hat die Natter geborgen, da, an seiner Brust. Nehmt sie ihm.« – »Schlagt ihn tot,« schrien die andern.
Aber da kamen zahlreiche Gotenkrieger heran und schafften ihrer Königin Gehorsam, die Italier unsanft zurückstoßend und einen Kreis um den Gefallnen schließend. Aspa blickte scharf zu und plötzlich sank sie mit gekreuzten Armen neben dem Gaukler nieder.
»Was ist dir, Aspa? steh auf!« sprach Mataswintha staunend. »O Herrin!« stammelte diese, »der Mann ist kein Gallier! Er ist ein Sohn meines Volkes. Er betet zu dem Schlangengott! Sieh' hier seine braune Haut unter dem Halse. Braun wie Aspa, – und hier – hier, eine Schrift; Schriftzeichen eingeritzt über seiner Brust: die heilige Gemeinschrift meiner Heimat,« jubelte sie. Und, mit dem Finger deutend, hob sie an zu lesen.
»Der Gaukler scheint verdächtig. – Warum diese Verstellung?« sprach Mataswintha. »Man muß ihn in Haft nehmen.«
[] »Nein, nein, o Herrin,« flüsterte Aspa. »Weißt du, wie die Inschrift lautet? – Kein Auge als meines kann sie dir deuten.« – »Nun?«, fragte Mataswintha. »Sie lautet,« flüsterte Aspa leise: »Syphax schuldet ein Leben seinem Herrn, Cethegus, dem Präfekten.« »Ja, ja ich erkenne ihn, das ist Syphax, Hiempsals Sohn, ein Gastfreund meines Stammes: die Götter senden ihn zu uns.«
»Aspa,« sprach Mataswintha rasch, »ja, ihn senden die Götter: die Götter der Rache. Auf, ihr Goten, legt diesen wunden Mann auf eine Bahre, und folgt damit meiner Sklavin in den Palast! Er steht fortan in mei nem Dienst.«
Fünftes Kapitel.
Wenige Tage darauf begab sich Mataswintha wieder ins Lager, diesmal nicht von Aspa begleitet. Denn diese wich Tag und Nacht nicht von dem Bette ihres verwundeten Landsmannes, der unter ihren Händen, ihren Kräutern und Sprüchen sich rasch erholte.
König Witichis selbst hatte diesmal die Königin abgeholt mit dem ganzen Geleit seines Hofes. In seinem Zelte sollte der wichtigste Kriegsrat gehalten werden. Das Eintreffen der letzten Verstärkungen war auf heute angekündet: und auch Guntharis und Hildebad wurden zurückerwartet mit der Antwort Belisars auf das Friedensanerbieten.
»Ein verhängnisvoller Tag!« sagte Witichis zu seiner Königin. »Bete zum Himmel um den Frieden.«
»Ich bete um den Krieg,« sprach Mataswintha, starr vor sich hinblickend. »Verlangt dein Frauenherz so sehr nach Rache?« – »Nach Rache nur noch ganz allein und sie wird mir werden.«
Damit traten sie in das Zelt, welches schon von gotischen Heerführern erfüllt war. Mataswintha dankte mit stolzem [] Kopfbeugen dem ehrerbietigen Gruß. »Sind die Gesandten zurück?« fragte der König, sich setzend, den alten Hildebrand, »so führt sie ein.«
Auf ein Zeichen des Alten erhoben sich die Seitenvorhänge und Herzog Guntharis und Hildebad traten ein, sich tief verneigend.
»Was bringt ihr? Frieden oder Krieg?« fragte Witichis eifrig. »Krieg! Krieg, König Witichis!« riefen beide Männer mit Einem Munde. »Wie? Belisar verwirft die Opfer, die ich ihm biete? Du hast ihm freundlich, eindringlich, meine Vorschläge mitgeteilt?«
Herzog Guntharis trat vor, und sprach: »Ich traf den Feldherrn im Kapitol als Gast des Präfekten und sprach zu ihm: ›Der Gotenkönig Witichis entbietet dir seinen Gruß.
In dreißig Tagen kann er mit hundertfünfzig Tausendschaften wehrhafter Goten vor diesen Toren stehn. Und ein Schlachten und Ringen um diese ehrwürdige Stadt wird anheben, wie es ihre seit tausend Jahren mit Blut getränkten Gefilde nie geschaut.
Der König der Goten liebt den Frieden mehr als selbst den Sieg: und er gelobt, Kaiser Justinian die Insel Sizilien abzutreten und ihm in jedem seiner Kriege mit dreißigtausend Mann Goten beizustehen, wenn ihr sofort Rom und Italien räumt, das uns gehört nach dem Recht der Eroberung wie nach dem Vertrag mit Kaiser Zeno, der es Theoderich überließ, wenn er den Odovaker stürzen könne.‹ So sprach ich, deinem Auftrag gemäß.
Belisar aber lachte und rief: ›Witichis ist sehr gnädig, mir die Insel Sizilien abzutreten, die ich schon habe und er nicht mehr hat. Ich schenke ihm dafür die Insel Thule! Nein. Der Vertrag Theoderichs mit Zeno war abgezwungen, und das Recht der Eroberung, – nun das spricht jetzt für uns. Kein Friede, als unter der Bedingung: das ganze Gotenheer streckt die [] Waffen, und das ganze Volk zieht über die Alpen und sendet König und Königin als Geiseln nach Byzanz.‹«
Ein Murren der Entrüstung ging durch das Zelt.
»Zornig, ohne Antwort auf solchen Vorschlag, wandten wir ihm den Rücken und schritten hinaus. ›Auf Wiedersehen in Ravenna‹, rief er uns nach. Da wandt' ich mich«, sprach Hildebad, und rief: »›Auf Wiedersehen vor Rom!‹ Auf, König Witichis, jetzt zu den Waffen. Du hast das Äußerste versucht an Friedensliebe und Schmach geerntet. Jetzt auf! Lang genug hast du gezögert und gerüstet! Jetzt führ' uns an, zum Kampf.«
Da tönten Trompetenstöße aus dem Lager: man hörte den Hufschlag eilig nahender Rosse. Alsbald hob sich der Vorhang des Zeltes und eintrat Totila in glänzenden Waffen, vom weißen Mantel umwallt. »Heil meinem König, Heil dir Königin,« sprach er huldigend. »Mein Auftrag ist erfüllt: ich bringe dir den Freundesgruß des Frankenkönigs. Er hielt ein Heer bereit im Solde von Byzanz, dich anzugreifen. Es gelang mir, ihn umzustimmen. Sein Heer wird nicht gegen die Goten in Italien einrücken. Graf Markja von Mediolanum, der bisher die Kottischen Alpen gegen die Franken gedeckt, ward dadurch frei mit seinen Tausendschaften: er folgt mir in Eile. Im Rückweg hab' ich aufgerafft, was ich irgend von waffenfähigen Männern fand und die Besatzungen der Burgen an mich gezogen. Ferner:
Wir hatten bisher Mangel an Reiterei. Getrost, mein König: ich führe dir sechstausend Reiter zu, auf herrlichen Rossen. Sie verlangen, sich zu tummeln in den Ebenen von Rom. Nur Ein Wunsch lebt in uns allen: führ' uns zum Kampf, zum Kampf nach Rom.«
»Hab' Dank, mein Freund, für dich und deine Reiter.
Sprich, Hildebrand, wie verteilt sich jetzt unsres Heeres Macht? Sagt an, ihr Feldherren, wie viele führt ein jeder von euch? Ihr Notare, zeichnet auf!«
[] »Ich führe drei Tausendschaften Fußvolk,« rief Hildebad. »Ich vierzig Tausendschaften zu Fuß und zu Roß mit Schild und Speer,« sprach Herzog Guntharis. »Ich vierzig Tausendschaften zu Fuß: Bogenschützen, Schleuderer, Speerträger,« sagte Graf Grippa von Ravenna. »Ich sieben Tausendschaften mit Messer und Keule,« zählte Hildebrand. »Und dazu Totilas sechs Tausendschaften Reiter und vierzehn erlesene Tausendschaften Tejas mit der Streitaxt – wo ist er? ich vermisse ihn hier!« – »Und ich habe meine Scharen zu Fuß und zu Roß auf fünfzig Tausendschaften erhöht,« schloß der König.
»Das sind zusammen einhundertsechzig Tausendschaften,« schrieb der Protonotar, die Pergamentrolle dem König überreichend.
Da flog ein froher Glanz kriegerischen Stolzes über des Königs ernstes Angesicht. »Einhundertsechzig Tausendschaften gotische Männer: Belisar, sollen sie vor dir die Waffen strecken, ohne Kampf? Wie lang braucht ihr noch Rast, um aufzubrechen?«
Da eilte der schwarze Teja ins Zelt. Er hatte beim Eintreten die letzte Frage vernommen. Sein Auge sprühte Blitze, er bebte vor Zorn. »Rast? Keine Stunde Rast mehr: auf zur Rache, König Witichis! Ein ungeheurer Frevel ist geschehn, der laut um Rache gegen Himmel schreit. Führ' uns sofort zum Kampf!«
»Was ist geschehn?«
»Ein Feldherr Belisars, der Hunne Ambazuch, umschloß, wie du weißt, seit lange mit Hunnen und Armeniern das feste Petra. Kein Entsatz war nah und fern. Der junge Graf Arahad nur – er suchte wohl den Tod – überfiel mit seiner kleinen Gefolgschaft die Übermacht; er fiel im tapfersten Gefecht. Verzweifelt widerstand das Häuflein gotischer Männer in der Burg. Denn alles wehrlose Volk der Goten: Greise, Kranke, Weiber, Kinder, vom flachen Land in Tuscien, Valeria und Picenum war hierher [] geflüchtet vor dem Feind, wohl viele Tausend. Endlich zwang sie der Hunger, gegen freien Abzug die Tore zu öffnen. Der Hunne schwor allen Goten in der Stadt, ihr Blut nicht zu vergießen. Er zog ein und befahl den Goten sich in der großen Basilika Sankt Zenos zu versammeln. Das taten sie, über fünftausend Köpfe, Greise, Weiber, Kinder und ein paar hundert Krieger. Und als sie alle beisammen ... –« Teja hielt schaudernd inne.
»Nun?« fragte Mataswintha, erblassend.
»Da schloß der Hunne die Türen, umstellte das Haus mit seinem Heer und – verbrannte sie alle fünftausend, samt der Kirche.«
»Und der Vertrag?« rief Witichis.
»Ja, so schrien auch die Verzweifelten ihn an durch Qualm und Flammen. ›Der Vertrag‹, lachte der Hunne, ›sei erfüllt: kein Tropfe Blutes sei vergossen. Ausbrennen müsse man die Goten aus Italien wie die Feldmäuse und schlechtes Gewürm‹. Und so sahen die Byzantiner zu, wie fünftausend Goten, Greise, Weiber, Kranke, Kinder – König Witichis, hörst du's? Kinder! – elend erstickten und verbrannten. Solches geschieht und du – du sendest Friedensboten! Auf, König Witichis,« rief der Ergrimmte, das Schwert aus der Scheide reißend, »wenn du ein Mann bist, brich jetzt auf zur Rache. Die Geister der Erwürgten ziehen vorauf: – Führ' uns zum Kampf! zur Rache führ' uns an!«
»Führ' uns zum Kampf! zur Rache führ' uns an!« widerhallte das Zelt vom Ruf der Goten.
Da stand Witichis auf in ruhiger Kraft.
»So soll's sein. Das Äußerste geschah. Und unsre beste Rüstung ist unser Recht: jetzt auf, zum Kampf.«
Und er reichte seiner Königin die Pergamentrolle, die er in der Hand hielt, die über seinem Stuhl hängende Königsfahne, das blaue Bandum, zu ergreifen.
[] »Ihr seht das alte Banner Theoderichs in meiner Hand, das er von Sieg zu Sieg getragen. Wohl ruht es jetzt in schlechtrer Hand, als seine war: – doch zaget nicht. Ihr wisset: übermütige Zuversicht ist meine Sache nicht, doch diesmal sag' ich euch voraus: in dieser Fahne rauscht ein naher Sieg, ein großer, stolzer, rachefroher Sieg. Folgt mir hinaus. Das Heer bricht auf, sogleich. Ihr Feldherren, ordnet eure Scharen: nach Rom!«
»Nach Rom,« widerhallte das Zelt. »Nach Rom!«
Sechstes Kapitel.
Inzwischen schickte sich Belisar an, mit der Hauptmacht seines Heeres die Stadt zu verlassen: Johannes hatte er deren Bewachung übertragen.
Er hatte beschlossen, die Goten in Ravenna aufzusuchen. Sein bisher von keinem Unfall gehemmter Siegeslauf und die Erfolge seiner vorausgeschickten Streifscharen, die durch den Übergang der Italier alles flache Land, auch alle Festen und Burgen und Städte, bis nahe bei Ravenna, gewonnen, hatten in ihm die Zuversicht erzeugt, daß der Feldzug bald beendigt und nur das Erdrücken der ratlosen Barbaren in ihrem letzten Schlupfwinkel übrig sei.
Denn nachdem Belisar selbst den ganzen Süden der Halbinsel: Bruttien, Lucanien, Calabrien, Apulien, Campanien: dann Rom mit Samnium und die Valeria durchzogen und besetzt hatte, waren seine Unterfeldherren, Bessas und Constantinus, mit der lanzentragenden Leibwache des Feldherrn, die unter Führung des Armeniers Zanter, des Persers Chanaranges und des Massageten Äschman standen, vorausgesetzt worden, Tuscien zu unterwerfen.
Bessas rückte vor das sturmfeste Narnia: für die damaligen [] Belagerungsmittel war die Burgstadt fast uneinnehmbar: – sie thront auf hohem Berge, dessen Fuß der tiefe Nar umspült. Die beiden einzigen Zugänge, vom Osten und vom Westen, sind ein enger Felsenpaß und die hohe, alte, von Kaiser Augustus gebaute, befestigte Brücke. – Aber die römische Bevölkerung überwältigte die halbe gotische Hundertschaft, die hier lag, und öffnete den Thrakiern des Bessas die Tore. Dem Constantinus erschlossen sich ebenso ohne Schwertstreich Spoletium und Perusia. Auf der östlichen Seite des Ionischen Meerbusens hatte inzwischen ein andrer Unterfeldherr Belisars, der Comes Sacri Stabuli Constantinus, den Tod zweier byzantinischer Heerführer, des Magister Militum für Illyrien, Mundus, und seines Sohnes Mauritius, die gleich im Anfang des Krieges bei Salona in Dalmatien im Gefecht gegen die Goten gefallen waren, gerächt, Salona besetzt und durch ihre große Übermacht die geringen gotischen Scharen zum Rückzug auf Ravenna gezwungen. Ganz Dalmatien und Liburnien war darauf den Byzantinern zugefallen. Von Tuscien aus streiften, wie wir sahen, die Hunnen Justinians schon durch Picenum und bis in die Ämilia.
Die Friedensvorschläge des Gotenkönigs hielt Belisar daher für Zeichen der Schwäche. Daß die Barbaren zum Angriff übergehen könnten, fiel ihm nicht ein. Dabei trieb es ihn, Rom zu verlassen, wo es ihn anwiderte, der Gast des Präfekten zu heißen; im freien Felde mußte sein Übergewicht bald wieder hervortreten.
Der Präfekt ließ das Kapitol in der treuen Hut des Lucius Licinius und folgte dem Zuge Belisars. Vergebens warnte er diesen vor allzu großer Zuversicht.
»Bleibe du doch hinter den Felsen des Kapitols, wenn du die Barbaren fürchtest,« hatte dieser stolz geantwortet.
»Nein,« erwiderte dieser. »Eine Niederlage Belisars ist ein zu seltnes Schauspiel, man darf es nicht versäumen.« In der [] Tat, Cethegus hätte eine Demütigung des großen Feldherrn, dessen Ruhm die Italier allzusehr anzog, gern gesehen.
Belisar hatte sein Heer aus den nördlichen Toren der Stadt geführt und wenige Stadien vor der Stadt in einem Lager versammelt, es hier zu mustern und neu zu ordnen und zu gliedern. Schon der starke Zufluß von Italiern, die zu seinen Fahnen geeilt waren, machte das nötig. Auch Ambazuch, Bessas und Constantinus hatte er mit dem größten Teil ihrer Truppen wieder in dies Lager herangezogen: sie ließen in den von ihnen gewonnenen Städten nur kleine Besatzungen zurück.
Dunkle Gerüchte von einem anrückenden Gotenheer hatten sich in das Lager verbreitet. Aber Belisar schenkte ihnen keinen Glauben. »Sie wagen es nicht,« hatte er dem warnenden Prokop entgegnet. »Sie liegen in Ravenna und zittern vor Belisarius.«
Spät in der Nacht lag Cethegus schlaflos auf dem Lager in seinem Zelt. Er ließ die Ampel brennen. »Ich kann nicht schlafen,« sagte er: »in den Lüften klirrt es wie Waffen und riecht's wie Blut. Die Goten kommen. Sie rücken wohl durch die Sabina, die Via casperia und salara herab.«
Da rauschten seine Zeltvorhänge zurück, und Syphax stürzte atemlos an sein Lager.
»Ich weiß es schon,« sagte Cethegus aufspringend, »was du meldest: die Goten kommen.« – »Ja Herr, morgen sind sie da. Sie zielen auf das salarische Tor. Ich hatte das beste Roß der Königin, aber dieser Totila, der den Vortrab führt, jagt wie der Wind durch die Wüste. Und hier im Lager ahnt niemand etwas.«
»Der große Feldherr,« lächelte Cethegus, »hat keine Vorposten ausgestellt.« – »Er verließ sich ganz auf den festen Turm an der Aniusbrücke Prokop Gotenkrieg I. 17. 18. setzt hier aus Verwechslung den Tiber statt des Anio. aber ... –«
[] »Nun? der Turm ist fest.« – »Ja, aber die Besatzung, römische Bürger aus Neapolis, ging zu den Goten über, als sie der junge Totila, der Führer des Vortrabs, anrief. Die Leibwächter Belisars, welche sich widersetzten, wurden gebunden, zumal Innocentius, und Totila ausgeliefert. Der Turm und die Brücke ist in der Goten Hand.«
»Es wird hübsch werden! Hast du eine Ahnung, wie stark der Feind?« – »Keine Ahnung. Herr: ich weiß es so genau wie König Witichis selbst. Hier die Liste ihrer Truppen. Sie schickt dir Mataswintha, seine Königin.«
Cethegus sah ihn forschend an. »Geschehen Wunder, die Barbaren zu verderben?«
»Ja Herr, Wunder geschehen! Dies sonnenschöne Weib will ihres Volkes Untergang um des Einen willen. Und dieser Eine ist ihr Gatte.«
»Du irrst:« sagte Cethegus, »sie liebte ihn schon als Mädchen und kaufte seine Büste.«
»Ja, sie liebt ihn. Aber er nicht sie. Und die Marsbüste ward zerschlagen in der Brautnacht.«
»Das hat sie dir doch schwerlich selbst gesagt.«
»Aber Aspa, die Tochter meines Landes, ihre Sklavin. Sie sagt mir alles. Sie liebt mich. Und sie liebt ihre Herrin, fast wie ich dich. Und Mataswintha will mit dir das Gotenreich verderben. Und sie wird durch Aspa alles schreiben in den Zauberzeichen unsres Stammes. Und ich würde diese Sonnenkönigin zu meinem Weibe nehmen, wenn ich Cethegus wäre.«
»Ich auch, wenn ich Syphax wäre. Aber deine Botschaft ist eine Krone wert! Ein listig, rachedürstend Weib wiegt Legionen auf! Jetzt Trotz euch, Belisar, Witichis und Justinian! Erbitte dir eine Gnade, jede, nur nicht deine Freiheit: – ich brauche dich noch.«
»Meine Freiheit ist – dir dienen. Eine Gunst: laß mich morgen neben dir fechten.«
[] »Nein, mein hübscher Panther, deine Klauen kann ich noch nicht brauchen: – nur deinen Leisegang. Du schweigst gegen jedermann von der Goten Nähe und Stärke. Lege mir die Rüstung an und gib den Plan der salarischen Straße dort aus der Kapsel. Jetzt rufe mir Marcus Licinius und den Führer meiner Isaurier, Snadil.« Syphax verschwand. Cethegus warf einen Blick auf den Plan. »Also dorther, von Nordwesten, kommen sie, die Hügel herab. Wehe dem, der sie dort aufhalten will. Darauf folgt der tiefe Talgrund, in dem wir lagern. Hier wird die Schlacht geschlagen und verloren. Hinter uns, südöstlich, zieht sich unsre Stellung entlang dem tiefen Bach; in diesen werden wir unfehlbar geworfen: die Brücken werden nicht zu halten sein. Darauf eine Strecke flachen Landes – welch' schönes Feld für die gotischen Reiter, uns zu verfolgen! – Noch weiter rückwärts endlich ein dichter Wald und eine enge Schlucht mit dem zerfallnen Kastell Hadrians ... – Marcus,« rief er dem Eintretenden entgegen, »meine Scharen brechen auf. Wir ziehn hinab den Bach in den Wald und jeden, der dich fragt, dem sagst du: wir ziehn zurück nach Rom.«
»Nach Hause? ohne Kampf?« fragte Marcus erstaunt, »du weißt doch: es steht der Kampf bevor?«
»Eben deswegen!« Damit schritt er hinaus, Belisar in seinem Zelt zu wecken. Aber er fand ihn schon wach: Prokop stand bei ihm. »Weißt du's schon, Präfekt? flüchtendes Landvolk meldet, ein Häuflein gotischer Reiter naht: die Tollkühnen retten in ihr Verderben: sie wähnen die Straße frei bis Rom.« Und er fuhr fort sich zu rüsten.
»Aber die Bauern melden, die Reiter seien nur die Vorhut. Es folge ein furchtbares Heer von Barbaren,« warnte Prokop.
»Eitle Schrecken! Sie fürchten sich, diese Goten. – Witichis wagt gar nicht, mich aufzusuchen. Endlich habe ich ja, vierzehn [] Stadien vor Rom, die Aniobrücke durch einen Turm geschützt: Martinus hat ihn gebaut nach meinem Gedanken: – der allein hält der Barbaren Fußvolk mehr als eine Woche auf – mögen auch ein paar Gäule durch den Fluß geschwommen sein.«
»Du irrst, Belisarius! ich weiß es gewiß: das ganze Heer der Goten naht,« sprach Cethegus. »So geh nach Hause, wenn du es fürchtest.« – »Ich mache Gebrauch von dieser deiner Erlaubnis. Ich habe mir in diesen Tagen das Fieber geholt. Auch meine Isaurier leiden daran: – ich ziehe mit deiner Gunst nach Rom zurück.«
»Ich kenne dieses Fieber,« sagte Belisar – »das heißt: – an andern. Es vergeht, sowie man Graben und Wall zwischen sich und dem Feinde hat. Zieh' ab, wir brauchen dich so wenig wie deine Isaurier.«
Cethegus verneigte sich und ging. »Auf Wiedersehen,« sprach er, »o Belisarius. Gib das Zeichen zum Aufbruch meinen Isauriern,« sprach er im Lager laut zu Marcus. »Und meinen Byzantinern auch,« setzte er leiser bei.
»Aber Belisar hat ...« –
»Ich bin ihr Belisar. Syphax, mein Pferd.« Während er aufstieg, sprengte ein Zug römischer Reiter heran: Fackeln leuchteten dem Anführer vorauf.
»Wer da? Ah du, Cethegus? wie, du reitest ab? Deine Leute ziehn sich nach dem Fluß? Du wirst uns doch nicht verlassen, jetzt, in dieser höchsten Gefahr?« Cethegus beugte sich vor. »Sieh, du, Calpurnius! ich erkannte dich nicht: du siehst so bleich. Was bringst du von den Vorposten?«
»Flüchtige Bauern sagen,« sprach Calpurnius ängstlich, »es sei gewiß mehr als eine Streifschar. Es sei der König der Barbaren, Witichis selbst, im raschen Anzug durch die Sabina: sie seien schon auf dem linken Tiberufer: Widerstand ist dann ... – Wahnsinn – Verderben. Ich folge dir, ich schließe mich dir an.«
[] »Nein,« sagte Cethegus herb, »du weißt, ich bin abergläubisch: ich reite nicht gern mit den Furien verfallnen Männern. Dich wird die Strafe für deinen feigen Knabenmord sicher bald ereilen. Ich habe nicht Lust, sie mit dir zu teilen.«
»Doch flüstern Stimmen in Rom, auch Cethegus verschmähe manchmal einen bequemen Mord nicht,« sprach Calpurnius grimmig.
»Calpurnius ist nicht Cethegus,« sprach der Präfekt, stolz davonsprengend. »Grüße mir einstweilen den Hades!« rief er.
[] Siebentes Kapitel.
»Verfluchtes Omen!« knirschte Calpurnius. Und er eilte zu Belisar: »Befiehl den Rückzug, rasch, Magister Militum.« – »Warum, Vortrefflicher?« – »Es ist der Gotenkönig selbst.« – »Und ich bin Belisar selbst,« sagte dieser, den prachtvollen Helm mit dem weißen Roßschweif aufsetzend. »Wie konntest du deinen Posten im Vordertreffen verlassen?« – »Herr, um dir das zu melden.« – »Das konnte wohl kein Bote? Höre, Römer, ihr seid nicht wert, daß man euch befreit. Du zitterst ja, Mann des Schreckens. Zurück mit dir ins Vordertreffen.
Du führst unsre Reiter zum ersten Angriff: ihr, meine Leibwächter Antallas und Kuturgur, nehmt ihn in die Mitte: Er muß tapfer sein, hört ihr? Weicht er – nieder mit ihm! So lehrt man Römer Mut.
Der Lagerrufer sagte eben die letzte Stunde der Nacht an. In einer Stunde geht die Sonne auf. Sie muß unser ganzes Heer auf jenen Hügeln finden.
Auf! Ambazuch, Bessas, Constantinus, Demetrius, das ganze Lager bricht auf, dem Feind entgegen.«
»Feldherr, es ist wie sie sagen,« meldete Maxentius, der treueste der Leibwächter, »zahllose Goten rücken an.«
[] »Sie sind zwei Heere gegen uns,« meldete Salomo, Belisars Hypaspistenführer.
»Ich rechne Belisar ein ganzes Heer.«
»Und der Schlachtplan?« fragte Bessas.
»Im Angesicht des Feindes entwerf' ich ihn, während des Calpurnius Reiter ihn aufhalten. Vorwärts, gebt die Zeichen, führt Phalion vor.« Und er schritt aus dem Zelte; nach allen Seiten stoben die Heerführer, die Hypaspisten, Prätorianer, Protektoren und Doryphoren auseinander, Befehle gebend, verteilend, empfangend.
In einer Viertelstunde war alles in Bewegung gegen die Hügel! Man nahm sich nicht Zeit, das Lager abzubrechen. Aber der plötzliche Aufbruch brachte vielfache Verwirrung. Fußvolk und Reiter gerieten in der dunkeln, mondlosen Nacht untereinander. Auch hatte die Kunde von der Übermacht der vordringenden Barbaren Mutlosigkeit verbreitet.
Es waren nur zwei nicht sehr breite Straßen, die gegen die Hügel führten: so gab es manche Stockung und Hemmung. Viel später als Belisar gerechnet, langte das Heer im Angesicht der Hügel an: und als die ersten Sonnenstrahlen sie beleuchteten, sah Calpurnius, der den Vortrab führte, von allen Höhen gotische Waffen blitzen.
Die Barbaren waren Belisar zuvorgekommen. Erschrocken machte Calpurnius Halt und sandte Belisar Nachricht.
Dieser sah ein, daß Calpurnius mit seinen Reitern nicht die Berge stürmen könne. Er schickte Ambazuch und Bessas mit dem Kern des armenischen Fußvolks ab, um auf der breitern Straße zu stürmen. Den linken und den rechten Flügel führten Constantinus und Demetrius, er selbst brachte im Mitteltreffen seine Leibwachen als Rückhalt heran. Calpurnius, froh des Wechsels im Plan, stellte seine Reiter unter den steilsten Abfall der Hügel, links seitab der Straße, von wo kein Angriff zu befürchten schien, den Erfolg von Ambazuchs und Bessas Sturm [] abzuwarten und die fliehenden Goten zu verfolgen oder die weichenden Armenier aufzunehmen.
Oben auf den Höhen aber stellten sich die Goten in langer Ausdehnung in Schlachtordnung. Totilas Reiter waren zuerst eingetroffen: ihm hatte sich Teja, zu Pferd, vor Kampfbegier fiebernd, angeschlossen: – sein beiltragendes Fußvolk war noch weit zurück: – er hatte sich ausgebeten, ohne Befehlführung, überall, wo es ihn reizte, ins Handgemenge zu greifen. Darauf war Hildebrand eingetroffen und hierauf der König mit der Hauptmacht gefolgt. Herzog Guntharis mit seinen und Tejas Leuten wurden noch erwartet.
Pfeilschnell war Teja zu Witichis zurückgeflogen.
»König,« sagte er, »unter jenen Hügeln steht Belisar.
Er ist verloren, beim Gott der Rache! Er hat den Wahnsinn gehabt, vorzurücken. Dulde nicht die Schmach, daß er uns zuvorkommt im Angriff.«
»Vorwärts!« rief König Witichis, »gotische Männer vor!« In wenigen Minuten hatte er den Rand der Hügel erreicht und übersah das Talgefild vor ihm. »Hildebad – den linken Flügel! Du, Totila, brichst mit deinen Reitern hier im Mitteltreffen, die Straße herunter, vor. Ich halte rechts seitab der Straße, bereit, dir zu folgen oder dich zu decken.«
»Das wird's nicht brauchen,« sagte Totila, sein Schwert ziehend. »Ich bürge dir, sie halten meinen Ritt diesen Hügel herab nicht auf.«
»Wir werfen die Feinde in ihr Lager zurück,« fuhr der König fort, »nehmen das Lager, werfen sie in den Bach, der dicht hinter dem Lager glänzt: was übrig ist, können eure Reiter, Totila und Teja, über die Ebene jagen bis Rom.«
»Ja, wenn wir erst den Paß gewonnen haben, dort in den Waldhügeln, hinter dem Fluß,« sagte Teja, mit dem Schwert hinüberdeutend.
»Er ist noch unbesetzt, scheint's: ihr müßt ihn mit den Flüchtigen zugleich erreichen.«
[] Da tritt der Bannerträger, Graf Wisand von Vulsinii, der Bandalarius des Heeres, an den König heran. »Herr König, Ihr habt mir eine Bitte zu erfüllen zugesagt.« – »Ja, weil du bei Salona den Magister Militum für Illyrien, Mundus, und seinen Sohn vom Roß gestochen.«
»Ich habe es nun einmal auf die Magistri Militum. Ich möchte denselben Speer auch an Belisar erproben. Nimm mir, nur für heute, das Banner ab und laß mich den Magister Belisar aufsuchen. Sein Roß, der Rotscheck Phalion oder Balian, wird so sehr gerühmt: und mein Hengst wird steif. Und du kennst das alte gotische Reiterrecht: ›wirf den Reiter und nimm sein Roß‹.«
»Gut gotisch Recht!« raunte der alte Hildebrand.
»Ich muß die Bitte gewähren,« sprach Witichis, das Banner aus der Hand Wisands nehmend. Dieser sprengte eilig hinweg. »Guntharis ist nicht zur Stelle, so trage du es heute, Totila.«
»Herr König,« entgegnete dieser, »ich kann's nicht tragen, wenn ich meinen Reitern den Weg in die Feinde zeigen soll.« Witichis winkte Teja.
»Vergib,« sagte dieser: »heut' denk' ich beide Arme sehr zu brauchen.« – »Nun, Hildebad.« – »Danke für die Ehre: ich hab's nicht schlechter vor als die andern!« – »Wie,« sagte Witichis, fast zürnend, »muß ich mein eigner Bannerträger sein, will keiner meiner Freunde mein Vertrauen ehren?«
»So gib mir die Fahne Theoderichs,« sprach der alte Hildebrand, den mächtigen Schaft ergreifend. »Mich lüstet weitern Kampfes nicht so sehr. Aber mich freut's, wie die Jungen nach Ruhme dürsten. Gib mir das Banner, ich will's heute wahren wie vor vierzig Sommern.« Und er ritt sofort an des Königs rechte Seite.
»Der Feinde Fußvolk rückt den Berg hinan,« sprach Witichis, sich im Sattel hebend. »Es sind Hunnen und Armenier,« sagte [] Teja, mit seinem Falkenauge spähend, »ich erkenne die hohen Schilde!« Und den Rappen vorwärts spornend rief er: »Ambazuch führte sie, der eidbrüchige Brandmörder von Petra.«
»Vorwärts, Totila,« sprach der König, »und aus diesen Scharen – – keine Gefangnen.«
Rasch sprengte Totila zu seinen Reitern, die hart an der Mündung der aufsteigenden Straße auf der Höhe aufgestellt waren. Mit scharfem Blick musterte er die Bewaffnung der Armenier, die in tiefen Kolonnen langsam bergauf rückten. Sie trugen schwere, mannshohe Schilde und kurze Speere zu Stoß und Wurf.
»Sie dürfen nicht zum Werfen kommen,« rief er seinen Reitern zu. Er ließ sie die leichten Schilde auf den Rücken binden und befahl, im Augenblick des Anpralls die langen Lanzen, statt, wie üblich, in der Rechten, in der Linken, der Zügelhand, zu führen, den Zügel einfach um das Handgelenk geschlungen und über die Mähne weg die Lanze aus der rechten in die linke Faust werfend. Dadurch trafen sie auf die rechte, vom Schild nicht gedeckte Seite der Feinde. »Sowie der Stoß angeprallt – sie werden ihm nicht stehen! – werft die Lanze im Armriem zurück, zieht das Schwert und haut nieder, was noch steht.«
Er stellte sie nun, die Kolonne der Feinde rechts und links überflügelnd, auf beiden Seiten neben der Straße auf.
Er selbst führte den Keil auf der Straße. Er beschloß, den Feind die Hälfte des Hügels herankommen zu lassen. Mit atemloser Spannung sahen beide Heere dem Zusammenstoß entgegen.
Ruhig rückte Ambazuch, ein erprobter Soldat, vorwärts.
»Laßt sie nur dicht heran, Leute,« sagte er, »bis ihr das Schnauben der Rosse im Gesicht spürt. Dann, – und nicht eher, – werft: und zielt mir tief, auf die Brust der Pferde, und zieht das Schwert. So hab' ich noch alle Reiter geschlagen.«
Aber es kam anders.
[] Denn als Totila, voransprengend, das Zeichen zum Angriff gab, schien eine donnernde Lawine vom Berg herab über die erschrocknen Feinde einzubrechen. Wie der Sturmwind jagte die blitzende, klirrende, schnaubende, dröhnende Masse heran: und eh' die erste Reihe der Armenier Zeit gefunden, die Wurfspeere nur zu heben, lag sie schon, von den langen Lanzen auf der schildlosen Seite durchbohrt, niedergestreckt. Sie waren weggefegt, als wären sie nie gestanden.
Blitzschnell war das geschehen: und während noch Ambazuch seiner zweiten Reihe, in der er selber stand, Befehl geben wollte, zu knieen und die Speere einzustemmen, sah er schon auch seine zweite Reihe überritten, die dritte auseinandergesprengt und die vierte unter Bessas kaum noch Widerstand leistend gegen die furchtbaren Reiter, die jetzt erst dazu kamen, die Schwerter zu ziehen. Er wollte das Gefecht stellen: er flog zurück und rief seinen wankenden Scharen Mut zu.
Da erreichte ihn Totilas Schwert: ein Hieb zerschlug ihm den Helm. Er stürzte in die Kniee und streckte den Griff seines Schwertes dem Goten entgegen. »Nimm Lösegeld,« rief er, »ich bin dein.«
Und schon streckte Totila die Hand aus, ihm die Waffe abzunehmen, da rief Tejas Stimme: »Denk' an Burg Petra.«
Ein Schwert blitzte und zerspaltnen Haupts sank Ambazuch. Da stob die letzte Reihe der Armenier, Bessas mit fortreißend, entsetzt auseinander, – das Vordertreffen Belisars war vernichtet. Mit lautem Freuderuf hatten König Witichis und die Seinen den Sieg Totilas mit angesehn.
»Sieh', jetzt schwenken die hunnischen Reiter, die hier gerade unter uns stehen, gegen Totila,« sagte der König zu dem alten Bannerträger. »Totila wendet sich gegen sie. Sie sind viel zahlreicher. Auf! Hildebad, eile die Straße hinunter, ihm zu Hilfe.«
»Ah,« rief der Alte, sich vorbeugend im Sattel, und über den [] Felsrand spähend, »wer ist der Reitertribun da unten zwischen den zwei Leibwächtern Belisars?«
Witichis beugte sich vor. »Calpurnius!« rief er mit gellendem Schrei.
Und siehe, urplötzlich sprengte der König, keinen Pfad suchend, gerade wo er stand, hinab die Felshöhe auf den Verhaßten. Die Furcht, er möchte ihm entrinnen, ließ ihn alles vergessen. Und als hätte er Flügel, als hätte der Gott der Rache ihn herabgeführt über Gebüsch und spitze Felsspalten und Schroffen und Gräben sauste der König hinunter.
Einen Augenblick faßte den alten Waffenmeister Entsetzen: solchen Ritt hatte er noch nie geschaut. Aber im nächsten Moment schwang er die blaue Fahne und rief: »Nach! nach eurem König!« Und das berittene Gefolge voran, das Fußvolk, springend und auf den Schilden rutschend, hinterher, brach das Mitteltreffen der Goten plötzlich steil von oben auf die hunnischen Reiter.
Calpurnius hatte aufgesehn. Ihm war, als ob sein Name, gellend gerufen, an sein Ohr schlüge. Ihm klang der Ruf wie die Posaune des Weltgerichts.
Wie blitzgetroffen wandte er sich und wollte auf und davon. Aber der maurische Leibwächter zur Rechten fiel ihm in den Zügel: »Halt, Tribun!« sagte Antallas, auf Totilas Reiter deutend – »dort ist der Feind!« Ein Schmerzenschrei riß ihn und Calpurnius zur Linken herum. Denn da stürzte der zweite der Leibwächter, der Hunne Kuturgur, zu seiner Linken klirrend vom Pferd, unter dem Schwerthieb eines Goten, der plötzlich wie vom Himmel gefallen schien. Und hinter diesem Goten drein sprang und kletterte und wogte es den steilen Felshang hinab, der doch pfadlos schien: und die Reiter waren von diesem plötzlich von oben gekommenen Feind in der Flanke umfaßt, während sie gleichzeitig in der Stirnseite mit den Geschwadern Totilas zusammenstießen.
[] Calpurnius erkannte den Goten. »Witichis!« rief er entsetzt und ließ den Arm sinken. Aber sein Pferd rettete ihn; verwundet und scheu geworden durch den Fall des hunnischen Leibwächters zur Linken, setzte es in wilden Sprüngen davon.
Der maurische Leibwächter zu seiner Rechten warf sich wütend auf den König der Goten, der ganz allein den Seinigen weit vorausgeeilt war. »Nieder, Tollkühner!« schrie er. Aber im nächsten Augenblick hatte ihn das Schwert des Witichis getroffen, der unaufhaltsam alles vor sich niederzuwerfen schien, was ihn von Calpurnius jetzt noch fern hielt. Rasend setzte ihm Witichis nach. Mitten durch die Reihen der hunnischen Reiter, die, entsetzt vor diesem Anblick, auseinanderstoben.
Calpurnius hatte sein Pferd wieder bemeistert und suchte jetzt Schutz hinter den stärksten Geschwadern seiner Reiter. Umsonst. Witichis verlor ihn nicht aus dem Auge und ließ nicht von ihm ab. Wie dicht er sich unter seinen Reitern barg, wie rasch er floh, – er entging nicht dem Blicke des Königs, der alles erschlug, was sich zwischen ihn und den Mörder seines Sohnes drängte.
Knäuel auf Knäuel, Gruppe auf Gruppe löste sich vor dem furchtbaren Schwert des rächenden Vaters: die ganze Masse der Hunnen war quer geteilt von dem Flüchtenden und seinem Verfolger. Sie vermochte nicht, sich wieder zu schließen. Denn ehe noch Totila ganz heran war, hatte der alte Bannerträger mit Reitern und Fußvolk ihre rechte Flanke durchbrochen, in zwei Teile gespalten.
Als Totila ansprengte, hatte er nur noch Flüchtlinge zu verfolgen. Der Teil zur Rechten wurde alsbald von Totila und Hildebrand in die Mitte genommen und vernichtet.
Der größere Teil zur Linken floh zurück auf Belisar.
Calpurnius jagte indessen, wie von Furien gehetzt, über das Schlachtfeld. Er hatte einen großen Vorsprung, da sich Witichis siebenmal erst hatte Bahn hauen müssen. Aber ein Dämon [] schien Boreas, des Goten Roß, zu treiben; näher und näher kam er sei nem Opfer. Schon vernahm der Flüchtling den Ruf, zu stehen und zu fechten. Noch hastiger spornte er sein Pferd. Da brach es unter ihm zusammen. Noch bevor er sich aufgerafft, stand Witichis vor ihm, der vom Sattel gesprungen war. Er stieß ihm, ohne ein Wort, mit dem Fuß das Schwert hin, das ihm entfallen. Da faßte sich Calpurnius mit dem Mut der Verzweiflung.
Er hob das Schwert auf und warf sich mit einem Tigersprung auf den Goten. Aber mitten im Sprung stürzte er rücklings nieder.
Witichis hatte ihm die Stirn mitten entzwei gehauen. Der König setzte den Fuß auf die Brust der Leiche und sah in das verzerrte Gesicht. Dann seufzte er tief auf: »Jetzt hab' ich die Rache. O hätt' ich mein Kind.«
Mit Ingrimm hatte Belisar die so ungünstige Eröffnung des Kampfes mit angesehen. Aber seine Ruhe, seine Zuversicht verließ ihn nicht, als er Ambazuchs und Bessas' Armenier weggefegt, als er des Calpurnius Reiter durchbrochen und geworfen sah.
Er erkannte jetzt die Übermacht und Überlegenheit des Feindes. Allein er beschloß, auf der ganzen Linie vorzurücken, eine Lücke lassend, um den Rest der fliehenden Reiter aufzunehmen.
Jedoch scharf bemerkten dies die Goten und drängten, Witichis voran, Totila und Hildebrand, welche die Umzingelten vernichtet hatten, folgend, den Flüchtlingen jetzt so ungestüm nach, daß sie mit ihnen zugleich die Linie Belisars zu erreichen und zu durchdringen drohten.
Das durfte nicht sein. Belisar füllte diese Lücke selbst durch seine Leibwache zu Fuß und schrie den fliehenden Reitern entgegen, zu halten und zu wenden.
Aber es war, als ob die Todesfurcht ihres gefallnen Führers sie alle ergriffen hätte. Sie scheuten das Schwert des Gotenkönigs [] hinter sich mehr als den drohenden Feldherrn vor sich: und ohne Halt und Fassung rasten sie, als wollten sie ihr eignes Fußvolk niederreiten, im vollen Galopp heran.
Einen Augenblick – ein furchtbarer Stoß: – ein tausendstimmiger Schrei der Angst und Wut, – ein wirrer Knäuel von Reitern und Fußvolk minutenlang: – darunter einhauende Goten: – und plötzlich ein Auseinanderleben nach allen Seiten unter gellendem Siegesruf der Feinde. –
Belisars Leibwache war niedergeritten, seine Hauptschlachtlinie durchbrochen. – Er befahl den Rückzug ins Lager.
Aber es war kein Rückzug mehr: es war eine Flucht. Hildebads, Guntharis und Tejas Fußvolk waren jetzt auf dem Schlachtfeld eingetroffen: die Byzantiner sahen ihre Stellung im ganzen geworfen: sie verzweifelten am Widerstand, und mit großer Unordnung eilten sie nach dem Lager zurück. Gleichwohl hätten sie dasselbe noch in guter Zeit vor den Verfolgern erreicht, hätte nicht ein unerwartetes Hindernis alle Wege gesperrt.
So siegesgewiß war Belisar ausgezogen, daß er das ganze Fuhrwerk, die Wagen und das Gepäck des Heeres, ja selbst die Herden, die ihm nachgetrieben wurden nach der Sitte jener Zeit, den Truppen auf allen Straßen zu folgen befohlen hatte. Auf diesen langsamen, schwer beweglichen und schwer zu entfernenden Körper stießen nun überall die weichenden Truppen, und grenzenlose Hemmung und Verwirrung trat ein.
Soldaten und Troßknechte wurden handgemein: die Reihen lösten sich zwischen den Karren, Kisten und Wagen. Bei vielen erwachte die Beutelust und sie fingen an, das Gepäck zu plündern, ehe es in die Hände der Barbaren falle. Überall ein Streiten, Fluchen, Klagen, Drohen: dazwischen das Krachen der Lastwagen, die zerbrochen wurden, und das Blöken und Brüllen der erschrocknen Herden.
»Gebt den Troß preis! Feuer in die Wagen! schickt die [] Reiter durch die Herden!« befahl Belisar, der mit dem Rest seiner Leibwachen in guter Ordnung mit dem Schwert sich Bahn brach. Aber vergebens. Immer unentwirrbarer, immer dichter wurde der Knäuel: – nichts schien ihn mehr lösen zu können.
Da zerriß ihn die Verzweiflung.
Der Schrei, »die Barbaren über uns!« erscholl aus den hintersten Reihen. Und es war kein leerer Schreck. Hildebad mit dem Fußvolk war jetzt in die Ebene hinabgestiegen und seine ersten Reihen trafen auf den wehrlosen Knäuel.
Da gab es eine furchtbare wogende Bewegung nach vorn: ein tausendstimmiger Schrei der Angst – der Wut – des Schmerzes der Angegriffenen, der Leibwachen, die, alter Tapferkeit gedenk, fechten wollten und nicht konnten: – der Zertretenen und Zerdrückten – und plötzlich stürzte der größte Teil der Wagen, mit ihrer Bespannung, und mit den Tausenden, die darauf und dazwischen zusammengedrängt waren, mit donnerndem Krachen in die Gräben links und rechts neben der Hochstraße.
So ward der Weg frei. Und unaufhaltsam, ordnungslos ergoß sich der Strom der Flüchtigen nach dem Lager. –
Mit lautem Siegesgeschrei folgte das gotische Fußvolk, ohne Mühe mit den Fernwaffen, mit Pfeilen, Schleudern und Wurfspeeren, in dem dichten Gewühl seine Ziele treffend, während Belisar mit Mühe die unaufhörlichen Angriffe der Reiter Totilas und des Königs abwehrte. »Hilf, Belisar,« rief Aigan, der Führer der massagetischen Söldner, aus dem eben gesprengten Knäuel heranreitend, das Blut aus dem Gesicht wischend: »meine Landsleute haben heut' den schwarzen Teufel unter den Feinden gesehen. Sie stehn mir nicht. Hilf: dich fürchten sie sonst mehr als den Teufel!«
Mit Knirschen sah Belisar hinüber nach seinem rechten Flügel, der aufgelöst über das Blachfeld jagte, von den Goten gehetzt.
[] »O Justinianus, kaiserlicher Herr, wie erfüll' ich schlecht mein Wort!«
Und die weitere Deckung des Rückzugs ins Lager dem erprobten Demetrius überlassend – denn das hügelige Terrain, das jetzt erreicht war, schwächte die Kraft der verfolgenden Reiter –, sprengte er mit Aigan und seiner berittenen Garde querfeldein mitten unter die Flüchtenden.
»Halt!« donnerte er ihnen zu, »halt, ihr feigen Hunde. Wer flieht, wo Belisar streitet?
Ich bin mitten unter euch, kehrt und siegt!«
Und aufschlug er das Visier des Helmes und zeigte ihnen das majestätische, das löwengewaltige Antlitz.
Und so mächtig war die Macht dieser Heldenpersönlichkeit, so groß das Vertrauen auf sein sieghaftes Glück, daß in der Tat alle, welche die hohe Gestalt des Feldherrn auf seinem Rotscheck erkannten, stutzten, hielten, und mit einem Ruf der Ermutigung sich den nachdringenden Goten wieder entgegenwandten. An dieser Stelle wenigstens war die Flucht zu Ende.
Da schritt ein gewaltiger Gote heran, leicht sich Bahn brechend. »Heia, das ist fein, daß ihr einmal des Laufens müde seid, ihr flinken Griechlein. Ich konnt' euch nicht mehr nach vor Schnaufen. In den Beinen seid ihr uns überlegen. Laßt sehn, ob auch in den Armen. Ha, was weicht ihr, Burschen!
Vor dem, auf dem Braunscheck? Was ist's mit dem?«
»Herr, das muß ein König sein unter den Welschen, kaum kann man sein zornig Auge tragen.«
»Das wäre! Ah – das muß Belisarius sein! Freut mich,« schrie er ihm hinüber, »daß wir uns treffen, du kühner Held. Nun spring vom Roß und laß uns die Kraft der Arme messen. Wisse, ich bin Hildebad, des Tota Sohn. Sieh, auch ich bin ja zu Fuß. Du willst nicht?« rief er zornig. »Muß man dich vom Gaule holen?« Und dabei schwang er in der Rechten wiegend den ungeheuren Speer.
[] »Wende, Herr, weich aus,« rief Aigan, »der Riese wirft ja junge Mastbäume.« – »Wende, Herr,« wiederholten seine Hypaspisten ängstlich.
Aber Belisar ritt, das kurze Schwert gezückt, ruhig dem Goten um eine Pferdelänge näher. Sausend flog der balkengleiche Speer heran, grad' gegen Belisars Brust.
Aber grad', ehe er traf, – ein kräftiger Hieb von Belisars kurzem Römerschwert und drei Schritte seitwärts fiel der Speer harmlos nieder.
»Heil Belisarius! Heil,« schrien die Byzantiner ermutigt und drangen auf die Goten ein.
»Ein guter Hieb,« lachte Hildebad grimmig. »Laß sehen, ob dir deine Fechtkunst auch gegen den hilft.« Und sich bückend hob er aus dem Ackerfeld einen alten, zackigen Grenzstein, schwang ihn mit zwei Armen erst langsam hin und her, hob ihn dann über den Kopf mit beiden Händen und schleuderte ihn mit aller Kraft auf den heransprengenden Helden: – ein Schrei des Gefolges: – rücklings stürzte Belisar vom Pferd.
Da war es aus.
»Belisarius tot! wehe! Alles verloren, wehe!« schrien sie, als die hochragende Gestalt verschwunden, und jagten besinnungslos nach dem Lager zu. Einzelne flohen unaufhaltsam bis an und in die Tore Roms.
Umsonst war's, daß sich die Lanzen- und Schildträger todesmutig den Goten entgegenwarfen: sie konnten nur ihren Herrn, nicht die Schlacht mehr retten.
Den ersten tödlichen Schwerthieb Hildebads, der herangestürmt war, fing der treue Maxentius auf mit der eignen Brust. Aber hier sank auch ein gotischer Reiter endlich vom Roß, der erst nach Hildebad Belisar erreicht und sieben Leibwächter erschlagen hatte, um bis zum Magister Militum durchzudringen. Mit dreizehn Wunden fanden ihn die Seinen. Aber er blieb am Leben. Und er war einer der wenigen, welche den ganzen [] Krieg durchkämpften und überlebten –, Wisand, der Bandalarius.
Belisar, von Aigan und Valentinus, seinem Hippokomos (Roßwart), wieder auf den Rotschecken gehoben und rasch von der Betäubung erholt, erhob umsonst den Feldherrnstab und Feldherrnruf: sie hörten nicht mehr und wollten nicht hören. Umsonst hieb er nach allen Seiten unter die Flüchtigen: er wurde fortgerissen von ihren Wogen bis ans Lager.
Hier gelang es ihm noch einmal, an einem festen Tor, die nachdringenden Goten aufzuhalten. »Die Ehre ist hin,« sagte er unwillig, »laßt uns das Leben wahren.« Mit diesen Worten ließ er die Lagertore schließen, ohne Rücksicht auf die großen Massen der noch Ausgeschlossenen.
Ein Versuch des ungestümen Hildebad, ohne weiteres einzudringen, scheiterte an dem starken Eichenholz des Pfahlwerks, das dem Speerwurf und den Schleudersteinen trotzte. Unmutig auf seinen Speer gelehnt kühlte er sich einen Augenblick von der Hitze.
Da bog Teja, der längst, wie der König und Totila, abgesessen, prüfend und das Pfahlwerk messend, um die Ecke des Walls.
»Die verfluchte Holzburg,« rief ihm Hildebad entgegen. »Da hilft nicht Stein, nicht Eisen.«
»Nein,« sagte Teja, »aber Feuer!« Er stieß mit dem Fuß in einen Aschenhaufen, der neben ihm lag. »Das sind die Wachtfeuer, samt dem Reisig, von heute nacht. Hier glimmen noch Gluten! Hierher, ihr Männer, steckt die Schwerter ein, entzündet das Reisig! werft Feuer in das Lager!«
»Prachtjunge,« jubelte Hildebad, »flugs, ihr Bursche, brennt sie aus, wie den Fuchs aus dem Bau! der frische Nordwind hilft.« Rasch waren die Wachtfeuer wieder entfacht, Hunderte von Bränden flogen in das trockne Sparrenwerk der Schanze. Und bald schlugen die Flammen lodernd gen Himmel. Der [] dichte Qualm, vom Wind ins Lager getragen, schlug den Byzantinern ins Gesicht und machte die Verteidigung der Wälle unmöglich. Sie wichen in das Innere des Lagers.
»Wer jetzt sterben dürfte!« seufzte Belisar. – »Räumt das Lager! Hinaus zur Porta decumana. In gut geschlossener Ordnung zu den Brücken hinter uns!«
Aber der Befehl, das Lager zu räumen, zerriß das letzte Band der Zucht, der Ordnung und des Mutes. Während unter Tejas dröhnenden Axthieben die verkohlten Torbalken niederkrachten und mitten durch Flammen und Qualm der schwarze Held, wie ein Feuerdämon, der erste, durch das prätorische Tor ins Lager sprang, rissen die Flüchtenden alle Tore, auch die seitwärts aus dem Lager nach Rom zu führten, die Portä prinzipalis rechts und links, auf einmal auf und strömten in wirren Massen nach dem Fluß. Die ersten erreichten noch sicher und unverfolgt die beiden Brücken; sie hatten großen Vorsprung, bis Hildebad und Teja Belisar aus dem brennenden Lager herausgedrängt.
Aber plötzlich – neues Entsetzen! – schmetterten die gotischen Reiterhörner ganz nahe.
Witichis und Totila hatten sich, sowie sie das Lager genommen wußten, sogleich wieder zu Pferd geworfen und führten nun ihre Reiter von beiden Seiten, links und rechts vom Lager her, den Flüchtenden in die Flanken.
Eben war Belisar aus dem decumanischen Lagertor gesprengt und eilte nach der einen Brücke zu, als er von links und rechts die verderblichen Reitermassen heransausen sah. Noch immer verlor der gewaltige Kriegsmann die Fassung nicht. »Vorwärts im Galopp an die Brücken!« befahl er seinen Sarazenen, »deckt sie!« –
Es war zu spät: ein dumpfer Krach, gleich darauf ein zweiter, – die beiden schmalen Brücken waren unter der Last der Flüchtenden eingebrochen und zu Hunderten stürzten die hunnischen [] Reiter und die illyrischen Lanzenträger, Justinians Stolz, in das sumpfige Gewässer.
Ohne Bedenken spornte Belisar, an dem steilen Ufer angelangt, sein Pferd in die schäumende und blutig gefärbte Flut. Schwimmend erreichte er das andere Ufer. »Salomo, Dagisthäos«, sagte er, sowie er drüben gelandet, zu seinen raschesten Prätorianern, »auf, nehmt hundert aus meinen Reiterwachen und jagt was ihr könnt nach dem Engpaß. Überreitet alle Flüchtigen. Ihr müßt ihn vor den Goten erreichen, hört ihr? ihr müßt! Er ist unser letzter Strohhalm.«
Beide gehorchten, und sprengten blitzschnell davon.
Belisar sammelte, was er von den zerstreuten Massen erreichen konnte. Die Goten waren wie die Byzantiner durch den Fluß eine Weile aufgehalten. Aber plötzlich rief Aigan: »Da sprengt Salomo zurück!« – »Herr,« rief dieser heranjagend: »alles ist verloren! Waffen blitzen im Engpaß. Er ist schon besetzt von den Goten.«
Da, zum ersten Male an diesem Tage des Unglücks, zuckte Belisar zusammen. »Der Engpaß verloren? – Dann entkommt kein Mann vom Heere meines Kaisers. Dann fahrt wohl: Ruhm, Antonina und Leben. Komm, Aigan, zieh' das Schwert – laß mich nicht lebend fallen in Barbarenhand.«
»Herr,« sagte Aigan, »so hört' ich Euch nie reden.«
»So war's auch noch nie. Laß uns absteigen und sterben.« Und schon hob er den rechten Fuß aus dem Bügel, vom Roß zu springen, da sprengte Dagisthäos heran –: »Getrost, mein Feldherr!« – »Nun?« – »Der Engpaß ist unser – römische Waffen sind's, die wir dort sahen. Es ist Cethegus, der Präfekt! Er hielt ihn geheim besetzt.«
»Cethegus?« rief Belisar. »Ist's möglich? Ist's gewiß?«
»Ja, mein Feldherr. Und seht, es war hoch an der Zeit.« Das war es. Denn eine Schar gotischer Reiter, von König Witichis gesendet, den Flüchtenden am Engpaß vorauszukommen, [] hatte durch eine Furt den Fluß durchschritten, den Reitern Belisars den Weg abgeschnitten und vor ihnen den verhängnisvollen Paß erreicht. Aber eben als sie dort einmünden wollten, brach Cethegus an der Spitze seiner Isaurier aus dem Versteck der Schlucht hervor und warf die überraschten Goten nach kurzem Gefecht in die Flucht.
»Der erste Glanz des Sieges an diesem schwarzen Tag!« rief Belisar. »Auf, nach dem Engpaß!« Und mit besserer Ordnung und Ruhe führte der Feldherr seine gesammelten Scharen an die Waldhügel.
»Willkommen in Sicherheit, Belisarius,« rief ihm Cethegus zu, seine Schwertklinge säubernd. »Ich warte hier auf dich seit Tagesanbruch. Ich wußte wohl, daß du mir kommen würdest.«
»Präfekt von Rom,« sprach Belisar, ihm vom Pferd herunter die Hand reichend: »du hast des Kaisers Heer gerettet, das ich verloren hatte: ich danke dir.«
Die frischen Truppen des Präfekten hielten, eine undurchdringliche Mauer, den Paß besetzt, die zerstreut heranflüchtenden Byzantiner durchlassend und Angriffe der ersten ermüdeten Verfolger, die über den Fluß gedrungen, – sie hatten einen vollen Tag des Kampfes hinter sich – in der günstigen Stellung ohne Mühe abwehrend.
Vor Einbruch der Dunkelheit nahm König Witichis seine Scharen zurück, auf dem Schlachtfeld ihres Sieges zu übernachten, während Belisar mit seinen Feldherren einstweilen im Rücken des Passes, so gut es gehen wollte, die aufgelösten Heeresmassen, wie sie zerstreut und vereinzelt eintrafen, ordneten. Als Belisar wieder einige tausend Mann beisammen hatte, ritt er zu Cethegus heran und sprach: »Was meinst du, Präfekt von Rom? Deine Truppen sind noch frisch. Und die Unsern müssen ihre Scharte auswetzen. Laß uns hervorbrechen noch einmal – die Sonne geht noch nicht gleich unter – und das Los des Tages wenden.«
[] Mit Staunen sah ihn Cethegus an und sprach die Worte Homers: »Wahrlich, ein schreckliches Wort, du Gewaltiger, hast du gesprochen. Unersättlicher! So schwer erträgst du's, ohne Sieg aus einer Schlacht zu gehn? Nein, Belisarius! dort winken die Zinnen Roms: dahin führe deine todesmatten Völker. Ich halte diesen Paß, bis ihr die Stadt erreicht. Und froh will ich sein, wenn mir das gelingt.«
Und so war's geschehn. Belisar vermochte unter den dermaligen Umständen weniger als je den Präfekten gegen dessen Willen zu bewegen. So gab er nach und führte sein Heer nach Rom zurück, das er mit dem Einbruch der Nacht erreichte.
Lange wollte man ihn nicht einlassen. Den von Staub und Blut Bedeckten erkannte man nur schwer. Auch hatten Versprengte die Nachricht aus der Schlacht in die Stadt getragen, der Feldherr sei gefallen und alles verloren. Endlich erkannte ihn Antonina, die ängstlich auf den Wällen seiner harrte. Durch das pincianische Tor ließ man ihn ein; es hieß seitdem Porta belisaria.
Feuerzeichen auf den Wällen zwischen dem flaminischen und dem pincianischen Tor verkündeten die Erreichung Roms dem Präfekten, der nun, in guter Ordnung und von den ermüdeten Siegern kaum verfolgt, im Schutze der Nacht seinen Rückzug bewerkstelligte.
Nur Teja drängte nach mit einigen seiner Reiter bis an das Hügelland, wo heute Villa Borghese liegt, und bis zur Aqua Acetosa.
Achtes Kapitel.
Am Tage darauf erschien das ganze zahlreiche Heer der Goten vor der ewigen Stadt, die es in sieben Lagern umschloß.
Und nun begann jene denkwürdige Belagerung, die nicht minder das Feldherrntalent und die Erfindungsgabe Belisars als den Mut der Belagerer entfalten sollte.
[] Mit Schrecken hatten die Bürger Roms von ihren Mauern herab mit angesehen, wie die Scharen der Goten nicht enden wollten. »Sieh' hin, o Präfekt, sie überflügeln alle deine Mauern.« – »Ja! in die Breite! laß sehen, ob sie sie in der Höhe überflügeln. Ohne Flügel kommen sie nicht herüber.«
Nur zwei Tausendschaften hatte Witichis in Ravenna zurückgelassen, acht hatte er unter den Grafen Uligis von Urbssalvia und Ansa von Asculum nach Dalmatien entsendet, diese Provinz und Liburnien den Byzantinern zu entreißen und zumal das wichtige Salona wiederzugewinnen; durch Söldner, in Savien geworben, sollten sie sich verstärken.
Auch die gotische Flotte sollte – gegen Tejas Rat! – dort, nicht gegen den Hafen von Rom, Portus, wirken.
Den Umkreis der Stadt Rom aber, und ihre weit hinausgestreckten Wälle, die Mauern Aurelians und des Präfekten, umgürtete nun der König mit einhundertundfünfzig Tausendschaften.
Rom hatte damals fünfzehn Haupttore und einige kleinere.
Von diesen umschlossen die Goten den schwächeren Teil der Umwallung, den Raum, der von dem flaminischen Tor im Norden (östlich von der jetzigen Porta del Popolo) bis zum pränestinischen Tor reicht, vollständig mit sechs Heerlagern; nämlich die Wälle vom flaminischen Tor gegen Osten bis ans pincianische und salarische, dann bis an das nomentanische Tor (südöstlich von Porta pia), ferner bis gegen das »geschlossene Tor«, die Porta clausa, endlich südlich von da das tiburtinische Tor (heute Porta San Lorenzo) und das asinarische, metronische, latinische (an der Via latina), das appische (an der Via appia) und das Sankt-Pauls-Tor, das zunächst dem Tiberufer lag. Alle diese sechs Lager waren auf dem linken Ufer des Flusses.
Um aber zu verhüten, daß die Belagerten durch Zerstörung der milvischen Brücke den Angreifern den Übergang über den Fluß und das ganze Gebiet auf dem rechten Tiberufer bis an [] die See abschnitten, schlugen die Goten ein siebentes Lager auf dem rechten Tiberufer: »auf dem Felde Neros«, vom vatikanischen Hügel bis gegen die milvische Brücke hin (unter dem »Monte Mario«). So war die milvische Brücke durch ein Gotenlager gedeckt und die Brücke Hadrians bedroht, sowie der Weg nach der Stadt durch die »Porta Sancti Petri«, wie man damals schon, nach Prokops Bericht, das innere Tor Aurelians nannte. Es war das nächste an dem Grabmal Hadrians. Aber auch das Tor von Sankt Pankratius rechts des Tibers war von den Goten scharf beobachtet.
Dies Lager auf dem neronischen Feld, auf dem rechten Tiberufer, zwischen dem pankratischen und dem Petrus-Tor, überwies Witichis dem Grafen Markja von Mediolanum, der aus den Cottischen Alpen und der Beobachtung der Franken zurückgerufen worden war. Aber der König selbst weilte oft hier, das Grabmal Hadrians mit scharfen Blicken prüfend.
Er hatte kein einzelnes Lager übernommen, sich die Gesamtleitung vorbehaltend, vielmehr die sechs übrigen an Hildebrand, Totila, Hildebad, Teja, Guntharis und Grippa verteilt. Jedes der sieben Lager ließ der König mit einem tiefen Graben umziehn, die dadurch ausgehobne Erde zu einem hohen Wall zwischen Graben und Lager aufhäufen und diesen mit Pfahlwerk verstärken, – sich gegen Ausfälle zu sichern.
Aber auch Belisar und Cethegus verteilten ihre Feldherren und Mannschaften nach den Toren und Regionen Roms. Belisar übertrug das pränestinische Tor im Osten der Stadt (heute Porta maggiore) Bessas, das stark bedrohte flaminische, dem ein gotisches Lager, das Totilas, in gefährlicher Nähe lag, Constantinus, der es durch Marmorquadern, aus römischen Tempeln und Palästen gebrochen, fast ganz zubauen ließ.
Belisar selbst schlug sein Standlager auf im Norden der Stadt. Dieser war unter den ihm von Cethegus eingeräumten Teilen der Festung Rom der schwächste.
[] Den Westen und Süden hielt eifersüchtig, unentfernbar und unentbehrlich, der Präfekt.
Aber hier im Norden war Belisar Herr: zwischen dem flaminischen und dem pincianischen – oder nun »belisarischen« – Tor, dem schwächsten Teil der Umwallung, ließ er sich nieder, zugleich Ausfälle gegen die Barbaren planend. Die übrigen Tore überwies er den Führern des Fußvolks Peranius Magnus, Ennes, Artabanes, Azarethas und Chilbudius.
Der Präfekt hatte alle Tore auf dem rechten Tiberufer, die neue Porta aurelia an der älischen Brücke bei dem Grabmal Hadrians, die Porta septimiana, das alte aurelische Tor, das nun das pankratische hieß, und die Porta portuensis: auf dem linken Ufer aber noch das Tor Sankt Pauls. Erst das nächste Tor weiter östlich, das ardeatinische, stand unter byzantinischer Besatzung: Chilbudius befehligte hier.
Gleich unermüdlich und gleich erfinderisch erwiesen sich die Belagerer und die Belagerten in Plänen des Angriffs und der Verteidigung. Lange Zeit handelte es sich nur um Maßregeln, welche die Bedrängung der Römer, ohne Sturm, vor dem Sturm, bezweckten und andrerseits, sie abwehren sollten.
Die Goten, Herren und Meister der Campagna, suchten die Belagerten auszubürsten: sie schnitten alle die prachtvollen vierzehn Wasserleitungen ab, welche die Stadt speisten. Belisar ließ vor allem, als er dies wahrnahm, die Mündungen innerhalb der Stadt verschütten und vermauern. »Denn,« hatte ihm Prokop gesagt, »nachdem du, o großer Held Belisarius, durch eine solche Wasserrinne nach Neapolis hineingekrochen bist, könnte es den Barbaren einfallen, – und kaum schimpflich scheinen, – auf dem gleichen Heldenpfad sich nach Rom hinein zu krabbeln.«
Den Genuß des geliebten Bades mußten die Belagerten entbehren: kaum reichten die Brunnen in dem vom Fluß entlegenen Stadtteilen für das Trinkwasser aus.
[] Durch das Abschneiden des Wassers hatten aber die Barbaren den Römern auch das Brot abgeschnitten. – Wenigstens schien es so. Denn die sämtlichen Wassermühlen Roms versagten nun. Das aufgespeicherte Getreide, das Cethegus aus Sizilien gekauft, das Belisar aus der Umgegend Roms zwangsweise hatte in die Stadt schaffen lassen, trotz des Murrens der Pächter und Colonen, dieses Getreide konnte nicht mehr gemahlen werden.
»Laßt die Mühlen durch Esel und Rinder drehen!« rief Belisar. »Die meisten Esel waren klug genug und die Rinder, ach Belisarius,« sprach Prokop, »sich nicht mit uns hier einsperren zu lassen. Wir haben nur soviel, als wir brauchen, sie zu schlachten. Sie können unmöglich erst Mühlen drehen und dann noch Fleisch genug haben, das gemahlene Brot selbst zu belegen.«
»So rufe mir Martinus. Ich habe gestern an dem Tiber, die Gotenzelte zählend, zugleich einen Gedanken gehabt ... –«
»Den Martinus wieder aus dem Belisarischen in das Mögliche übersetzen muß. Armer Mann! Aber ich gehe, ihn zu holen.«
Als aber am Abend des gleichen Tages Belisar und Martinus durch zusammengelegte Boote im Tiber die erste Schiffsmühle herstellten, welche die Welt kannte, da sprach bewundernd Prokopius: »Das Brot der Schiffsmühle wird länger die Menschen erfreuen, als deine größten Taten. Dies so gemahlene Mehl schmeckt nach – Unsterblichkeit.« Und wirklich ersetzten die von Belisar erdachten, von Martinus ausgeführten Schiffsmühlen den Belagerten während der ganzen Dauer der Einschließung die gelähmten Wassermühlen.
Hinter der Brücke nämlich, die jetzt Ponte San Sisto heißt, auf der Senkung des Janiculus, befestigte Belisar zwei Schiffe mit Seilen und legte Mühlen über deren flaches Deck, so daß die Mühlenräder durch den Fluß, der aus dem Brückenbogen [] mit verstärkter Gewalt hervorströmte, von selbst getrieben wurden.
Eifrig trachteten alsbald die Belagerer, diese Vorrichtungen, die ihnen Überläufer schilderten, zu zerstören. Balken, Holzflöße, Bäume warfen sie oberhalb der Brücke von dem von ihnen beherrschten Teil aus in den Fluß und zertrümmerten so in Einer Nacht wirklich alle Mühlen. Aber Belisar ließ sie wieder herstellen und nun oberhalb der Brücke starke Ketten gerade über den Fluß ziehen und so auffangen, was, die Mühlen bedrohend herabtrieb.
Nicht nur seine Mühlen sollten diese eisernen Stromriegel decken: sie sollten auch verhindern, daß die Goten auf Kähnen und Flößen den Fluß herab und, ohne die Brücke, in die Stadt drängen.
Denn Witichis traf nun alle Vorbereitungen zum Sturm.
Er ließ hölzerne Türme bauen, höher als die Zinnen der Stadtmauer, die auf vier Rädern von Rindern gezogen werden sollten. Dann ließ er Sturmleitern in großer Zahl beschaffen und vier furchtbare Widder oder Mauerbrecher, die je eine halbe Hundertschaft schob und bediente. Mit unzähligen Bündeln von Reisig und Schilf sollten die tiefen Gräben ausgefüllt werden.
Dagegen pflanzten Belisar und Cethegus, jener im Norden und Osten, dieser im Westen und Süden die Verteidigung der Stadt überwachend, Ballisten und Wurfbogen auf die Wälle, die auf große Entfernung balkenähnliche Speergeschosse schleuderten, mit solcher Kraft, daß sie einen gepanzerten Mann völlig durchbohrten. Die Tore schützten sie durch »Wölfe«, d.h. Querbalken, mit eisernen Stacheln besetzt, die man auf die Angreifer niederschmettern ließ, wann sie dicht bis an das Tor gelangt waren. Und endlich streuten sie zahlreiche Fußangeln und Stachelkugeln auf den Vorraum zwischen den Gräben der Stadt und dem Lager der Barbaren.
[] Neuntes Kapitel.
Trotz alledem, sagten die Römer, hätten längst die Goten die Mauern erstiegen, wäre nicht des Präfekten Egeria gewesen.
Denn es war merkwürdig: so oft die Barbaren einen Sturm vorbereiteten –: Cethegus ging zu Belisar und warnte und bezeichnete im voraus den Tag. So oft Teja oder Hildebad in kühnem Handstreich ein Tor zu überrumpeln, eine Schanze wegzunehmen gedachten: – Cethegus sagte es vorher, und die Angreifer stießen auf das Zweifache der gewöhnlichen Besatzung der Punkte. So oft in mächtigem Überfall die Kette des Tibers gesprengt werden sollte: – Cethegus schien es geahnt zu haben und schickte den Schiffen der Feinde Brander und Feuerkähne entgegen.
So ging es viele Monate hin. Die Goten konnten sich nicht verhehlen, daß sie, trotz unablässiger Angriffe, seit Anfang der Belagerung keinerlei Fortschritte gemacht.
Lange trugen sie diese Unfälle, die Entdeckung und Vereitelung all ihrer Pläne, mit ungebeugtem Mut. Aber allmählich bemächtigte sich nicht bloß der großen Masse Verdrossenheit, insbesondere da Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werden begann, – auch des Königs klarer Sinn wurde von trüber Schwermut verdüstert, als er all seine Kraft, all seine Ausdauer, all seine Kriegskunst wie von einem bösen Dämon vereitelt sah. Und kam er von einem fehlgeschlagenen Unternehmen, von einem verunglückten Sturm, matt und gebeugt, in sein Königszelt, so ruhten die stolzen Augen seiner schweigsamen Königin mit einem ihm unverständlichen, aber grauenvoll unheimlichen Ausdruck auf ihm, daß er sich schaudernd abwandte.
»Es ist nicht anders,« sagte er finster zu Teja, »es ist gekommen, wie ich vorausgesagt. Mit Rauthgundis ist mein Glück von mir gewichen, wie die Freudigkeit meiner Seele. Es ist, [] als läge ein Fluch auf meiner Krone. Und diese Amalungentochter wandelt um mich her, schweigend und finster, wie mein lebendiges Unglück.«
»Du könntest recht haben,« sprach Teja. »Vielleicht lös' ich diesen Zauberbann. Gib mir Urlaub für heut' nacht.«
Am selben Tage, fast in derselben Stunde, forderte drinnen in Rom Johannes, der Blutige, von Belisar Urlaub für diese Nacht. Belisar schlug es ab. »Jetzt ist nicht Zeit zu nächtlichen Vergnügen,« sagte er.
»Wird kein groß Vergnügen sein, in der Nacht zwischen alten feuchten Mauern und gotischen Lanzen einem Fuchs nachspüren, der zehnmal schlauer ist als wir beide.«
»Was hast du vor?« fragte Belisar, aufmerksam werdend.
»Was ich vorhabe? Ein Ende zu machen der verfluchten Stellung, in der wir alle, in der du, o Feldherr, nicht zum mindesten stehst. Es ist schon alles ganz recht. Seit Monaten liegen die Barbaren vor diesen Mauern und haben nichts dabei gewonnen. Wir erschießen sie wie Knaben die Dohlen vom Hinterhalt und können ihrer lachen. Aber wer ist es eigentlich, der all dies vollbringt? Nicht, wie es sein sollte, du, des Kaisers Feldherr, noch des Kaisers Heer: sondern dieser eisige Römer, der nur lachen kann, wenn er höhnt. Der sitzt da oben im Kapitol und verlacht den Kaiser und die Goten und uns und, mit Verlaub zu sagen, dich selber am meisten. Woher weiß dieser Odysseus und Ajax in Einer Person alle Gotenpläne so scharf, als säße er mit im Rat des Königs Witichis? Durch sein Dämonium, sagen die einen. Durch seine Egeria, sagen die andern. Er hat einen Raben, der hören und sprechen kann wie Menschen, meinen wieder andere: den schickt er alle Nacht ins Gotenlager. Das mögen die alten Weiber glauben und die Römer, nicht meiner Mutter Sohn. Ich glaube den Raben zu kennen und das Dämonium. Gewiß ist, er kann die Kunde nur aus dem Gotenlager selbst holen; laß uns doch sehen, ob [] wir nicht selbst an seiner Statt aus dieser Quelle schöpfen können.«
»Ich habe das längst bedacht, aber ich sah kein Mittel.«
»Ich habe von meinen Hunnen alle seine Schritte belauern lassen. Es ist verdammt schwer; denn dieser braune Maurenteufel folgt ihm wie ein Schatte. Aber tagelang ist Syphax fern: – und dann gelingt es eher. Nun, ich habe erspäht, daß Cethegus so manche Nacht die Stadt verließ, bald aus der Porta portuensis, rechts vom Tiber, bald aus der Porta Sankt Pauls, links vom Tiber im Süden, die er beide besetzt hält. Weiter wagten ihm die Späher nicht zu folgen. Ich aber denke heute nacht – denn heute muß es wieder treffen, – ihm so nicht von den Fersen zu weichen. Doch muß ich ihn vor dem Tore erwarten: seine Isaurier ließen mich nicht durch; ich werde bei einer Runde vor den Mauern in einem der Gräben zurückbleiben.«
»Gut. Es sind aber, wie du sagst, zwei Tore zu beobachten.« – »Deshalb hab' ich mir Perseus, meinen Bruder, zum Genossen erkoren; er hütet das paulinische, ich das portuensische Tor; verlaß dich drauf – bis morgen vor Sonnenaufgang kennt einer von uns das Dämonium des Präfekten.« Und wirklich: einer von ihnen sollte es kennen lernen.
Gerade gegenüber dem Sankt-Pauls-Tor, etwa drei Pfeilschüsse von den äußersten Gräben der Stadt, lag ein mächtiges altertümliches Gebäude, die Basilika Sancti Pauli extra muros, die Paulskapelle vor den Mauern, deren letzte Reste erst zur Zeit der Belagerung Roms durch den Connetable von Bourbon völlig verschwanden. Ursprünglich ein Tempel des Jupiter Stator, war der Bau seit zwei Jahrhunderten dem Apostel geweiht worden: aber noch stand die bronzene Kolossalstatue des bärtigen Gottes aufrecht: man hatte ihm nur den flammenden Donnerkeil aus der Rechten genommen und dafür ein Kreuz hineingeschoben: im übrigen paßte die breite und bärtige Gestalt gut zu ihrem neuen Namen.
[] Es war um die sechste Stunde der Nacht. Der Mond stand glanzvoll über der ewigen Stadt und goß sein silbernes Licht über die Mauerzinnen und über die Ebene, zwischen den römischen Schanzen und der Basilika, deren schwarze Schatten nach dem Gotenlager hin fielen.
Eben hatte die Wache am Sankt-Pauls-Tor gewechselt.
Aber es waren sieben Mann hinausgeschritten, und nur sechs kamen herein. Der siebente wandte der Pforte den Rücken und schritt heraus ins freie Feld.
Vorsichtig wählte er seinen Weg: vorsichtig vermied er die zahlreichen Fußangeln, Wolfsgruben, Selbstschüsse vergifteter Pfeile, die hier überall umhergestreut waren und manchem Goten bei den Angriffen auf die Stadt Verderben gebracht hatten. Der Mann schien sie alle zu kennen und wich ihnen leicht aus. Aber er vermied auch das Mondlicht sorgfältig, den Schatten der Mauervorsprünge suchend und oft von Baum zu Baum springend.
Als er aus dem äußersten Graben auftauchte, sah er sich um und blieb im Schatten einer Zypresse stehen, deren Zweige die Ballistengeschosse zerschmettert hatten. Er entdeckte nichts Lebendes weit und breit: und er eilte nun mit raschen Schritten der Kirche zu.
Hätte er nochmal umgeblickt, er hätte es wohl nicht getan.
Denn, sowie er den Baum verließ, tauchte aus dem Graben eine zweite Gestalt hervor, die in drei Sprüngen ihrerseits den Schatten der Zypresse erreicht hatte. »Gewonnen, Johannes! du stolzer Bruder, diesmal war das Glück dem jüngeren Bruder hold. Jetzt ist Cethegus mein und sein Geheimnis.« Und vorsichtig folgte er dem rasch Voranschreitenden.
Aber plötzlich war dieser vor seinen Augen verschwunden, als habe ihn die Erde verschlungen. Es war hart an der äußern Mauer der Kirche, die doch dem Armenier, als er sie erreicht, keine Tür oder Öffnung zeigte.
[] »Kein Zweifel,« sagte der Lauscher, »das Stelldichein ist drinnen im Tempel: ich muß nach.«
Allein an dieser Stelle war die Mauer unübersteiglich.
Tastend und suchend bog der Späher um die Ecke derselben. Umsonst, die Mauer war überall gleich hoch. – Im Suchen verstrich ihm fast eine Viertelstunde.
Endlich fand er eine Lücke in dem Gestein: mühsam zwängte er sich hindurch. Und er stand nun im Vorhofe des alten Tempels, in dem die dicken dorischen Säulen breite Schatten warfen, in deren Schutz er von der rechten Seite her bis an das Hauptgebäude gelangte.
Er spähte durch einen Riß des Gemäuers, den ihm die Zugluft verraten hatte. Drinnen war alles finster. Aber plötzlich wurde sein Auge von einem grellen Lichtstrahl geblendet. Als er es wieder aufschlug, sah er einen hellen Streifen in der Dunkelheit: – er rührte von einer Blendlaterne her, deren Licht sich plötzlich gezeigt hatte.
Deutlich erkannte er, was in dem Bereich der Laterne stand, den Träger derselben aber nicht: wohl dagegen Cethegus den Präfekten, der hart vor der Statue des Apostels stand und sich an diese zu lehnen schien: vor ihm stand eine zweite Gestalt: ein schlankes Weib, auf dessen dunkelrotes Haar schimmernd das Licht der Laterne fiel.
»Die schöne Gotenkönigin, bei Eros und Anteros!« dachte der Lauscher: »kein schlechtes Stelldichein, sei's nun Liebe, sei's Politik! Horch, sie spricht. Leider kam ich zu spät, auch den Anfang der Unterredung zu hören.«
»Also: merk' es dir wohl! übermorgen auf der Straße vor dem Tor von Tibur wird etwas gefährliches geplant.« – »Gut: aber was?« frug des Präfekten Stimme. – »Genaueres konnte ich nicht erkunden: und ich kann es dir auch nicht mehr mitteilen, wenn ich es noch erfahre. Ich wage nicht mehr, dich hier wieder zu sehen: denn ... –« Sie sprach nun leiser.
[] Perseus drückte das Ohr hart an die Spalte: da klirrte seine Schwertscheide an das Gestein, und nun traf ihn ein Strahl des Lichts.
»Horch!« rief eine dritte Stimme – es war eine Frauenstimme, die der Trägerin der Laterne, die sich jetzt in dem Strahl ihres eigenen Blendlichts gezeigt hatte, da sie sich rasch gegen die Richtung des Schalles gekehrt hatte. Perseus erkannte eine Sklavin in maurischer Tracht.
Einen Augenblick schwieg alles in dem Tempel. Perseus hielt den Atem an. Er fühlte, es galt das Leben. Denn Cethegus griff ans Schwert.
»Alles still,« sagte die Sklavin. »Es fiel wohl nur ein Stein auf den Erzbeschlag draußen.«
»Auch in das Grab vor dem portuensischen Tor geh' ich nicht mehr. Ich fürchte, man ist uns gefolgt.« – »Wer?« – »Einer, der niemals schläft, wie es scheint: Graf Teja.« Des Präfekten Lippe zuckte.
»Und er ist auch bei einem rätselhaften Eidbund gegen Belisars Leben: der bloße Scheinangriff gilt dem Sankt-Pauls-Tor.« – »Gut!« sagte Cethegus nachdenklich. »Belisar würde nicht entrinnen, wenn nicht gewarnt. Sie liegen irgendwo, – aber ich weiß nicht, wo – fürcht' ich, im Hinterhalt, mit Übermacht, Graf Totila führt sie.«
»Ich will ihn schon warnen!« sagte Cethegus langsam.
»Wenn es gelänge ...!« – »Sorge nicht, Königin! Mir liegt an Rom nicht weniger denn dir. Und wenn der nächste Sturm fehlschlägt, – so müssen sie die Belagerung aufgeben, so zähe sie sind. Und das, Königin, ist dein Verdienst. Laß mich in dieser Nacht – vielleicht der letzten, da wir uns treffen, – dir mein ganzes staunendes Herz enthüllen. Cethegus staunt nicht leicht und nicht leicht gesteht er's, wenn er staunen muß. Aber dich – bewundere ich, Königin. Mit welch totverachtender Kühnheit, mit welch' dämonischer List hast du alle [] Pläne der Barbaren vereitelt! Wahrlich: viel tat Belisar, – mehr tat Cethegus, – das meiste: Mataswintha.«
»Sprächst du wahr!« sagte Mataswintha mit funkelnden Augen. »Und wenn die Krone diesem Frevler vom Haupte fällt ... – –«
»War es deine Hand, deren sich das Schicksal Roms bedient hat. Aber, Königin, nicht damit kannst du enden! Wie ich dich erkannte, in diesen Monaten – darfst du nicht als gefangene Gotenkönigin nach Byzanz. Diese Schönheit, dieser Geist, diese Kraft muß herrschen – nicht dienen, in Byzanz. Darum bedenke, wenn er nun gestürzt ist – dein Tyrann, – willst du nicht dann den Weg gehn, den ich dir gezeigt?«
»Ich habe noch nie über seinen Fall hinaus gedacht,« sagte sie düster.
»Aber ich – für dich! Wahrlich, Mataswintha,« – und sein Auge ruhte mit Bewunderung auf ihr, – »du bist – wunderschön. Ich rechn' es mir zum größten Stolz, daß selbst du mich nicht in Liebe entzündet und von meinen Plänen abgebracht hast. Aber du bist zu schön, zu köstlich, nur der Rache und dem Haß zu leben. Wenn unser Ziel erreicht, – dann nach Byzanz!
Als mehr denn Kaiserin: – als Überwinderin der Kaiserin!«
»Wenn mein Ziel erreicht, ist mein Leben vollendet. Glaubst du, ich ertrüge den Gedanken, aus eitel Herrschsucht mein Volk zu verderben, um kluger Zwecke willen? Nein: ich konnt' es nur, weil ich mußte. Die Rache ist jetzt meine Liebe und mein Lebe und ... – –«
Da scholl von der Fronte des Gebäudes her, aber noch innerhalb der Mauer, laut und schrillend der Ruf des Käuzchens, einmal – zweimal rasch nacheinander.
Wie staunte Perseus, als er den Präfekten eilig an die Kehle der Bildsäule drücken sah, an der er lehnte, und wie sich diese geräuschlos in zwei Hälften auseinander schlug. Cethegus [] schlüpfte in die Öffnung: die Statue klappte wieder zusammen. Mataswintha aber und Aspa sanken wie betend auf die Stufen des Altars.
»Also war's ein Zeichen! Es droht Gefahr:« dachte der Späher; »aber wo ist die Gefahr? und wo der Warner?« Und er wandte sich, trat vor und sah nach links, nach der Seite der Goten.
Allein damit trat er in den Bereich des Mondlichts: und in den Blick des Mauren Syphax, der vor der Eingangstür des Hauptgebäudes in einer leeren Nische Schildwache stand, und bisher scharf nach der linken, der gotischen, Seite hin, gespäht hatte.
Von dort, von links her, schritt langsam ein Mann heran. Seine Streitaxt blitzte im Mondlicht.
Aber auch Perseus sah jetzt eine Waffe aufblitzen: es war der Maure, der leise sein Schwert aus der Scheide zog.
»Ha,« lachte Perseus, »bis die beiden miteinander fertig sind, bin ich in Rom, mit meinem Geheimnis.«
Und in raschen Sprüngen eilte er nach der Mauerlücke des Vorhofs, durch die er eingedrungen. Zweifelnd blickte Syphax einen Augenblick nach rechts und nach links. Zur Rechten sah er entweichen einen Lauscher, den er jetzt erst ganz entdeckte. Zur Linken schritt ein gotischer Krieger herein in den Tempelhof. Er konnte nicht hoffen, beide zu erreichen und zu töten.
Da plötzlich schrie er laut: »Teja, Graf Teja! Hilfe! zu Hilfe! Ein Römer! rettet die Königin! dort rechts an der Mauer, ein Römer!«
Im Fluge war Teja heran, bei Syphax. »Dort!« rief dieser: »ich schütze die Frauen in der Kirche!« Und er eilte in den Tempel.
»Steh' Römer!« rief Teja, und sprang dem fliehenden Perseus nach.
Aber Perseus stand nicht: er lief an die Mauer: er erreichte die Lücke, durch welche er hereingekommen war: doch er konnte [] sich in der Eile nicht wieder hindurchzwängen: so schwang er sich mit der Kraft der Verzweiflung auf die Mauerkrone: und schon hob er den Fuß, sich jenseits hinabzulassen: da traf ihn Tejas Axt im Wurf ans Haupt und rücklings stürzte er nieder, samt seinem erlauschten Geheimnis. –
Teja beugte sich über ihn: deutlich erkannte er die Züge des Toten. »Der Archon Perseus,« sagte er, »der Bruder des Johannes.« Und sofort schritt er die Stufen hinan, die zur Kirche führten. An der Schwelle trat ihm Mataswintha entgegen, hinter ihr Syphax und Aspa mit der Blendlaterne. Einen Moment maßen sich beide schweigend mit mißtrauischen Blicken.
»Ich habe dir zu danken, Graf Teja von Tarentum,« sagte endlich die Fürstin. »Ich war bedroht in meiner einsamen Andacht.«
»Seltsam wählst du Ort und Stunde für deine Gebete. Laß sehen, ob dieser Römer der einzige Feind war.«
Er nahm aus Aspas Hand die Leuchte und ging in das Innere der Kapelle. Nach einer Weile kam er wieder, einen mit Gold eingelegten Lederschuh in der Hand. »Ich fand nichts als – diese Sandale am Altar, dicht vor dem Apostel. Es ist ein Mannesfuß.«
»Eine Votivgabe von mir,« sagte Syphax rasch. »Der Apostel heilte meinen Fuß, ich hatte mir einen Dorn eingetreten.«
»Ich dachte, du verehrst nur den Schlangengott?« – »Ich verehre, was da hilft.« – »In welchem Fuße stak der Dorn.« Syphax schwankte einen Augenblick. »Im rechten,« sagte er dann, rasch entschlossen.
»Schade,« sprach Teja, »die Sandale ist auf den linken geschnitten.«
Und er steckte sie in den Gürtel. »Ich warne dich, Königin, vor solcher nächtlichen Andacht.«
»Ich werde tun, was meine Pflicht,« sagte Mataswintha herb.
»Und ich, was meine.« Mit diesen Worten schritt Teja voran, zurück zum Lager: schweigend folgte die Königin und ihre Sklaven.
* * *
[] Vor Sonnenaufgang stand Teja vor Witichis und berichtete ihm alles.
»Was du sagst, ist kein Beweis,« sagte der König. – »Aber schwerer Verdacht. Und du sagtest selbst, die Königin sei dir unheimlich.«
»Gerade deshalb hüt' ich mich, nach bloßem Verdacht zu handeln. Ich zweifle manchmal, ob wir an ihr nicht unrecht getan. Fast so schwer wie an Rauthgundis.« – »Wohl, aber diese nächtlichen Gänge?« – »Werd' ich verhindern. Schon um ihretwillen.«
»Und der Maure? Ich trau' ihm nicht. Ich weiß, daß er tagelang abwesend: dann taucht er wieder auf im Lager. Er ist ein Späher.«
»Ja, Freund,« lächelte Witichis. »Aber der meine. Er geht mit meinem Wissen in Rom aus und ein. Er ist es, der mir noch alle Gelegenheiten verraten.«
»Und noch keine hat genützt! Und die falsche Sandale?«
»Ist wirklich ein Votivopfer. Aber für Diebstahl; er hat mir, noch ehe du kamst, alles gebeichtet. Er hat, bei der Begleitung der Königin sich langweilend, in einem Gewölbe der Kirche herumgestöbert und da unten allerlei Priestergewänder und vergrabnen Schmuck gefunden und behalten. Aber später, den Zorn des Apostels fürchtend, wollt' er ihn beschwichtigen, und opferte, in seinem Heidensinn, diese Goldsandale aus seiner Beute. Er beschrieb sie mir ganz genau: mit goldnen Seitenstreifen und einem Achatknopf, oben mit einem C –. Du siehst, es trifft alles zu. Er kannte sie also: sie kann nicht von einem Flüchtenden verloren sein. Und er versprach, als Beweis die dazu gehörige Sandale des rechten Fußes zu bringen. Aber vor allem: er hat mir einen neuen Plan verraten, der all unsrer Not ein Ende machen und Belisarius selbst in unsre Hände liefern soll.«
[] Zehntes Kapitel.
Während der Gotenkönig diesen Plan seinem Freunde mitteilte, stand Cethegus, in frühester Stunde nach dem belisarischen Tor beschieden, vor Belisar und Johannes.
»Präfekt von Rom,« herrschte ihn der Feldherr beim Eintreten an, »wo warst du heute nacht?«
»Auf meinem Posten. Wohin ich gehöre. Am Tor Sankt Pauls.«
»Weißt du, daß in dieser Nacht einer der besten meiner Anführer, Perseus der Archon, des Johannes Bruder, die Stadt verlassen hat und seitdem verschwunden ist?«
»Tut mir leid. Aber du weißt: es ist verboten, ohne Erlaubnis die Mauer zu überschreiten.«
»Ich habe aber Grund zu glauben,« fuhr Johannes auf, »daß du recht gut weißt, was aus meinem Bruder geworden, daß sein Blut an deinen Händen klebt.« – »Und beim Schlummer Justinians!« brauste Belisar auf, »das sollst du büßen. Nicht länger sollst du herrschen über des Kaisers Heer und Feldherrn. Die Stunde der Abrechnung ist gekommen. Die Barbaren sind so gut wie vernichtet. Und laß sehn, ob nicht mit deinem Haupt auch das Kapitol fällt.«
»Steht es so?« dachte Cethegus, »jetzt sieh dich vor, Belisarius.« Doch er schwieg.
»Rede!« rief Johannes. »Wo hast du meinen Bruder ermordet?« Ehe Cethegus antworten konnte, trat Artasines, ein persischer Leibwächter Belisars, herein. »Herr,« sagte er, »draußen stehn sechs gotische Krieger. Sie bringen die Leiche Perseus, des Archonten. König Witichis läßt dir sagen: er sei heut' nacht vor den Mauern durch Graf Tejas Beil gefallen. Er sendet ihn zur ehrenden Bestattung.«
»Der Himmel selbst,« sprach Cethegus, stolz hinausschreitend, »straft eure Bosheit Lügen.« Aber langsam und nachdenklich [] ging der Präfekt über den Quirinal und das Forum Trajans nach seinem Wohnhaus. »Du drohst, Belisarius? Dank für den Wink! Laß sehn, ob wir dich nicht entbehren können.«
* * *
In seiner Wohnung fand er Syphax, der ihn ungeduldig erwartet hatte und ihm raschen Bericht ablegte. »Vor allem, Herr,« schloß er nun, »laß also deinen Sandalenbinder peitschen. Du siehst, wie schlecht du bedient bist, ist Syphax fern: – und gib mir gütigst deinen rechten Schuh.«
»Ich sollte dir ihn nicht geben und dich zappeln lassen für dein freches Lügen,« lachte der Präfekt. »Dieses Stück Leder ist jetzt dein Leben wert, mein Panther. Womit willst du's lösen?«
»Mit wichtiger Kunde. Ich weiß nun alles ganz genau von dem Plan gegen Belisars Leben: Ort und Zeit: und die Namen der Eidbrüder. Es sind: Teja, Totila und Hildebad.«
»Jeder allein genug für den Magister Militum,« murmelte Cethegus vergnüglich.
»Ich denke, o Herr, du hast den Barbaren wohl wieder eine schöne Falle gestellt! Ich habe ihnen, auf deinen Befehl, entdeckt, daß Belisar selbst morgen zum tiburtinischen Tor hinausziehen will, um Vorräte aufzutreiben.«
»Ja, er selbst geht mit, weil sich die oft aufgefangnen Hunnen nicht mehr allein hinauswagen; er führt nur vierhundert Mann.«
»Es werden nun die drei Eidbrüder am Grab der Fulvier einen Hinterhalt von tausend Mann gegen Belisar legen.« – »Das verdient wirklich den Schuh!« sagte Cethegus und warf ihm denselben zu.
»König Witichis wird indessen nur einen Scheinangriff machen lassen auf das Tor Sankt Pauls, die Gedanken der Unsern von Belisar abzulenken. Ich eile nun also zu Belisar, ihm zu sagen, wie du mir aufgetragen, daß er drei Tausend mit sich nimmt und jene gegen ihn Verschwornen vernichtet.«
[] »Halt!« sagte Cethegus ruhig, »nicht so eilfertig! Du meldest nichts.«
»Wie?« fragte Syphax erstaunt. »Ungewarnt ist er verloren!«
»Man muß dem Schutzgeist des Feldherrn nicht schon wieder, nicht immer ins Amt greifen. Belisar mag morgen seinen Stern erproben.«
»Ei,« sagte Syphax mit pfiffigem Lächeln, »solches gefällt dir? Dann bin ich lieber Syphax, der Sklave, als Belisarius, der Magister Militum. Arme Witwe Antonina!«
Cethegus wollte sich auf das Lager strecken, da meldete Fidus, der Ostiarius: »Kallistratos von Korinth.«
»Immer willkommen.«
Der junge Grieche mit dem sanften Antlitz trat ein.
Ein Hauch anmutiger Röte von Scham oder Freude färbte seine Wangen: es war ersichtlich, daß ihn ein besonderer Anlaß herführte.
»Was bringst du des Schönen noch außer dir selbst?« so fragte Cethegus in griechischer Sprache.
Der Jüngling schlug die leuchtenden Augen auf: »Ein Herz voll Bewunderung für dich: und den Wunsch, dir diese zu bewähren. Ich bitte um die Gunst, wie die beiden Licinier und Piso, für dich und Rom fechten zu dürfen.«
»Mein Kallistratos! was kümmern dich, unsern Friedensgast, den liebenswürdigsten der Hellenen, unsre blutigen Händel mit den Barbaren? Bleibe du von diesem schweren Ernst und pflege deines heitern Erbes: der Schönheit.«
»Ich weiß es wohl, die Tage von Salamis sind ferne wie ein Mythos: und ihr eisernen Römer habt uns niemals Kraft zugetraut. Das ist hart – aber doch leichter zu tragen, weil ihr es seid, die unsre Welt, die Kunst und edle Sitte verteidigt gegen die dumpfen Barbaren. Ihr, das heißt Rom, und Rom heißt mir Cethegus. So faß ich diesen Kampf und so gefaßt, siehst du, so geht er wohl auch den Hellenen an.«
[] Erfreut lächelte der Präfekt. »Nun, wenn dir Rom Cethegus ist, so nimmt Rom gern die Hilfe des Hellenen an: du bist fortan Tribun der Milites Romani wie Licinius.«
»In Taten will ich dir danken! Aber eins noch muß ich dir gestehn – denn ich weiß: du liebst nicht überrascht zu sein. Oft hab' ich gesehen, wie teuer dir das Grabmal Hadrians und seine Zier von Götterstatuen ist. Neulich hab' ich diese marmornen Wächter gezählt und zweihundertachtundneunzig gefunden. Da macht' ich denn das dritte Hundert voll und habe meine beiden Letoiden, die du so hoch gelobt, den Apollon und die Artemis, dort aufgestellt, dir und Rom zu einem Weihgeschenk.«
»Junger lieber Verschwender,« sprach Cethegus, »was hast du da getan!«
»Das Gute und Schöne,« antwortete Kallistratos einfach.
»Aber bedenke – das Grabmal ist jetzt eine Schanze« –
»Wenn die Goten stürmen –« – »Die Letoiden stehen auf der zweiten, der innern Mauer. Und soll ich fürchten, daß je Barbaren wieder den Lieblingsplatz des Cethegus erreichen? Wo sind die schönen Götter sichrer als in deiner Burg? Deine Schanze ist mir ihr bester, weil ihr sicherster Tempel. Mein Weihgeschenk sei zugleich ein glücklich Omen.«
»Das soll es sein,« rief Cethegus lebhaft, »und ich glaube selber: dein Geschenk ist gut geborgen. Aber gestatte mir dagegen –«
»Du hast mir schon dafür erlaubt, für dich zu kämpfen. Chaire!« lachte der Grieche und war hinaus.
»Der Knabe hat mich sehr lieb,« sagte Cethegus, ihm nachsehend. »Und mir geht's wie andern Menschentoren: – mir tut das wohl. Und nicht bloß, weil ich ihn dadurch beherrsche.«
Da hallten feste Schritte auf dem Marmor des Vestibulums, und ein Tribun der Milites ward gemeldet.
Es war ein junger Krieger mit edeln, aber über seine Jahre hinaus ernsten Zügen. In echt römischem Schnitt setzten die [] Wangenknochen, fast im rechten Winkel, an die gerade, strenge Stirn: in dem tief eingelassenen Auge lag römische Kraft und – in dieser Stunde – entschlossener Ernst und rücksichtsloser Wille.
»Siehe da, Severinus, des Boëthius Sohn, willkommen, mein junger Held und Philosoph. Viele Monate habe ich dich nicht gesehen – woher kommst du?«
»Vom Grabe meiner Mutter,« sagte Severinus mit festem Blick auf den Frager.
Cethegus sprang auf. »Wie? Rusticiana? meine Jugendfreundin! meines Boëthius Weib!«
»Sie ist tot,« sagte der Sohn kurz. Der Präfekt wollte seine Hand fassen. Severinus entzog sie.
»Mein Sohn, mein armer Severinus! Und starb sie – ohne ein Wort für mich?«
»Ich bringe dir ihr letztes Wort – es galt dir!«
»Wie starb sie? an welchem Leiden?« – »An Schmerz und Reue.« – »Schmerz –« seufzte Cethegus, »das begreif' ich. Aber was sollte sie bereuen! Und mir galt ihr letztes Wort! – sag' an, wie lautet es?«
Da trat Severinus hart an den Präfekten, daß er sein Knie berührte, und blickte ihm bohrend ins Auge. »Fluch, Fluch über Cethegus, der meine Seele vergiftet und mein Kind.«
Ruhig sah ihn Cethegus an. »Starb sie im Irrsinn?« fragte er kalt.
»Nein, Mörder: sie lebte im Irrsinn, solang sie dir vertraute. In ihrer Todesstunde hat sie Cassiodor und mir gestanden, daß ihre Hand dem jungen Tyrannen das Gift gereicht, das du gebraut. Sie erzählte uns den Hergang. Der alte Corbulo und seine Tochter Daphnidion stützten sie. ›Spät erst erfuhr ich‹, schloß sie, ›daß mein Kind aus dem tödlichen Becher getrunken. Und niemand war da, Kamilla in den Arm zu fallen, als sie trinken wollte. Denn ich war noch im Boot auf dem [] Meere und Cethegus noch in dem Platanengang.‹ Da rief der alte Corbulo erbleichend: ›Wie? der Präfekt wußte, daß der Becher Gift enthielt?‹ – ›Gewiß‹, antwortete meine Mutter. ›Als ich ihn im Garten traf, sagt‹ ich es ihm: ›es ist geschehen.‹ Corbulo verstummte vor Entsetzen: aber Daphnidion schrie in wildem Schmerz: ›Weh! meine arme Domna! so hat er sie ermordet! Denn er stand dabei, dicht neben mir, und sah zu, wie sie trank.‹ – ›Er sah zu, wie sie trank?‹ fragte meine Mutter mit einem Tone, der ewig durch mein Leben gellen wird.
›Er sah zu, wie sie trank!‹ wiederholten der Freigelassene und sein Kind. ›O so sei den untern Dämonen sein verfluchtes Haupt geweiht! Rache, Gott, in der Hölle, Rache, meine Söhne, auf Erden für Kamilla! Fluch über Cethegus!‹ Und sie fiel zurück und war tot.«
Der Präfekt blieb unerschüttert stehen. Nur griff er leise an den Dolch unter den Brustfalten der Tunika. »Du aber« – fragte er nach einer Pause – »was tatest du?«
»Ich aber kniete nieder an der Leiche und küßte ihre kalte Hand und schwor ihr's zu, ihr Sterbewort zu vollenden. Wehe dir, Präfekt von Rom: Giftmischer, Mörder meiner Schwester – du sollst nicht leben.«
»Sohn des Boëthius, willst du zum Mörder werden um die Wahnworte eines läppischen Sklaven und seiner Dirne? Würdig des Helden und des Philosophen!«
»Nichts von Mord. Wäre ich ein Germane, nach dem Brauche dieser Barbaren: – er dünkt mir heute sehr vortrefflich! – rief' ich dich zum Zweikampf, du verhaßter Feind. Ich aber bin ein Römer und suche meine Rache auf dem Wege des Rechts. Hüte dich, Präfekt, noch gibt es Richter in Italien. Lange Monate hielt mich der Krieg, der Feind von diesen Mauern ab. – Erst heute habe ich Rom, von der See her, erreicht: und morgen erheb' ich die Klage bei den Senatoren, die deine Richter sind – dort finden wir uns wieder.«
[] Cethegus vertrat ihm plötzlich den Weg an die Türe.
Aber Severinus rief: »Gemach, man sieht sich vor bei Mördern. Drei Freunde haben mich an dein Haus begleitet: – Sie werden mich mit den Liktoren suchen, komm' ich nicht wieder, noch in dieser Stunde.«
»Ich wollte dich nur,« sagte Cethegus wieder ganz ruhig, »vor dem Wege der Schande warnen. Willst du den ältesten Freund deines Hauses um der Fieberreden einer Sterbenden willen mit unbeweisbarer Mordklage verfolgen, – tu's: ich kann's nicht hindern. Aber noch einen Auftrag zuvor: du bist mein Ankläger geworden: aber du bleibst Soldat und mein Tribun. Du wirst gehorchen, wenn dein Feldherr befiehlt.«
»Ich werde gehorchen.«
»Morgen steht ein Ausfall Belisars bevor: und ein Sturm der Barbaren. Ich muß die Stadt beschirmen. Doch ahnt mir Gefahr für den löwenkühnen Mann: – ich muß ihn treu gehütet wissen. Du wirst morgen, – ich befehl' es, – den Feldherrn begleiten und sein Leben decken.«
»Mit meinem eignen.«
»Gut, Tribun, ich verlasse mich auf dein Wort.«
»Bau' du auf meines: auf Wiedersehn: nach der Schlacht: vor dem Senat. Nach beiden Kämpfen lüstet mich gleich sehr. Auf Wiedersehn: – – vor dem Senat.«
»Auf Nimmerwiedersehn,« sprach Cethegus, als sein Schritt verhallte. »Syphax,« rief er laut, »bringe Wein und das Hauptmahl. Wir müssen uns stärken: – auf morgen.«
Elftes Kapitel.
Früh am andern Morgen wogte sowohl in Rom als in dem Lager der Goten geschäftige Bewegung.
Mataswintha und Syphax hatten zwar einiges entdeckt und gemeldet: – – aber nicht alles. Sie hatten von dem Gelübde [] der drei Männer gegen Belisar erfahren und den früheren Plan eines bloßen Scheinangriffs gegen das Sankt-Pauls-Tor, um von dem Gedanken an Belisars Geschick abzulenken. Aber nicht hatten sie erfahren, daß der König, in Änderung jenes Planes eines bloßen Scheinangriffs, für diesen Tag der Abwesenheit des großen Feldherrn einen in tiefstes Geheimnis gehüllten Beschluß gefaßt hatte: es sollte ein letzter Versuch gemacht werden, ob nicht gotisches Heldentum doch dem Genius Belisars und den Mauern des Präfekten überlegen sei. Man hatte sich im Kriegsrat des Königs nicht über die Wichtigkeit des Unternehmens getäuscht: wenn es wie alle früheren, vereinzelten Angriffe – achtundsechzig Schlachten, Ausfälle, Stürme und Gefechte hatte Prokop während der Belagerung bis dahin aufgezählt – scheiterte, so war von dem ermüdeten, stark gelichteten Heer keine weitere Anstrengung mehr zu erwarten. Deshalb hatte man sich auf Tejas Rat eidlich verpflichtet, über den Plan gegen jedermann ohne Ausnahme zu schweigen.
Daher hatte auch Mataswintha nichts vom König erfahren, und selbst ihres Mauren Spürnase konnte nur wittern, daß auf jenen Tag etwas Großes gerüstet werde; – die gotischen Krieger wußten selbst nicht was.
Totila, Hildebad und Teja waren schon um Mitternacht mit ihren Reitern geräuschlos aufgebrochen und hatten sich südlich von der valerischen Straße bei dem Grabmal der Fulvier, an dem in einer Hügelfalte Belisar vorbeikommen mußte, in Hinterhalt gelegt: sie hofften mit ihrer Aufgabe bald genug fertig zu sein, um noch wesentlich an den Dingen bei Rom teilnehmen zu können.
Während der König mit Hildebrand, Guntharis und Markja die Scharen innerhalb der Lager ordnete, zog um Sonnenaufgang Belisar, von einem Teil seiner Leibwächter umgeben, zum tiburtinischen Tor hinaus. Prokop und Severinus ritten [] ihm zur Rechten und Linken: Aigan, der Massagete, trug sein Banner, das bei allen Gelegenheiten den Magister Militum zu begleiten hatte. Constantinus, dem er an seiner Statt die Sorge für den »belisarischen Teil« von Rom übertragen, besetzte alle Posten längs der Mauern doppelt, und ließ die Truppen hart an den Wällen unter den Waffen bleiben. Er übersandte den gleichen Befehl dem Präfekten für die Byzantiner, die dieser führte.
Der Bote traf ihn auf den Wällen zwischen dem paulinischen und dem appischen Tor. »Belisar meint also«, höhnte Cethegus, während er gehorchte, »mein Rom ist nicht sicher, wenn er es nicht behütet: ich aber meine: Er ist nicht sicher, wenn ihn mein Rom nicht beschirmt. Komm, Lucius Licinius«, flüsterte er diesem zu, »wir müssen an den Fall denken, daß Belisar einmal nicht wiederkehrt von seinen Heldenfahrten: dann muß ein andrer sein Heer mit fester Hand ergreifen.«
»Ich kenne die Hand.«
»Vielleicht gibt es alsdann einen kurzen Kampf mit seinen in Rom belassenen Leibwächtern: in den Thermen des Diokletian oder am tiburtinischen Tore. Sie müssen dort in ihrem Lager erdrückt sein, ehe sie sich recht besinnen. Nimm dreitausend meiner Isaurier und verteile sie, ohne Aufsehen, rings um die Thermen her: auch besetze mir vor allem das tiburtinische Tor.« – »Von wo aber soll ich sie fortziehen?« – »Von dem Grabmal Hadrians,« sagte Cethegus nach einigem Besinnen. »Und die Goten, Feldherr!« – »Bah! das Grabmal ist fest, es schützt sich selbst. Erst müssen vom Süden her die Stürmenden über den Fluß: und dann diese eisglatten Wände von parischem Marmor hinan, meine und des Korinthers Freude. Und zudem,« lächelte er, »sieh« nur hinauf: da oben steht ein Heer von marmornen Göttern und Heroen: sie mögen selber ihren Tempel schirmen gegen die Barbaren. »Siehst du, – ich sagte es ja – es geht nur hier gegen das Sankt-Pauls-Tor,« [] schloß er, auf das Lager der Goten deutend, aus welchem eben eine starke Abteilung in dieser Richtung aufbrach.
Licinius gehorchte und führte alsbald dreitausend Isaurier, etwa die Hälfte der Deckung, ab: von dem Grabmal über den Fluß und den Viminalis hinab gegen die Thermen Diokletians. Belisars Armenier am tiburtinischen Tor löste er dann auch durch dreihundert Isaurier und Legionäre ab.
Cethegus aber wandte sich nach dem salarischen Tor, wo jetzt Constantinus als Vertreter Belisars hielt. »Ich muß ihn aus dem Wege haben,« dachte er, »wenn die Nachricht eintrifft.« – »Sobald du die Barbaren zurückgeworfen,« sprach er ihn an, »wirst du doch wohl einen Ausfall machen müssen? Welche Gelegenheit, Lorbeeren zu sammeln, während der Feldherr fern ist!« – »Jawohl«, rief Constantinus, »sie sollen's erfahren, daß wir sie auch ohne Belisarius schlagen können.«
»Ihr müßt aber ruhiger zielen,« sagte Cethegus, einem persischen Schützen den Bogen abnehmend. »Seht den Goten dort, den Führer zu Pferd! Er soll fallen.« Cethegus schoß; der Gote fiel vom Roß, durch den Hals geschossen. »Und meine Wallbogen, ihr braucht sie schlecht! Seht ihr dort die Eiche? ein Tausendführer der Goten steht davor, gepanzert. Gebt acht!« Und er richtete den Wallbogen, zielte und schoß: durchbohrt war der gepanzerte Gote an den Baum genagelt.
Da sprengte ein sarazenischer Reiter heran: »Archon,« redete er Constantinus an, »Bessas läßt dich bitten, Verstärkungen an das Vivarium, das pränestinische Tor: die Goten rücken an.«
Zweifelnd sah Constantinus auf Cethegus. »Possen:« sagte dieser, »der einzige Angriff droht an meinem Tore von Sankt Paul: und das ist gut gehütet: ich weiß es gewiß: laß Bessas sagen: er fürchte sich zu früh. Übrigens, im Vivarium habe ich noch sechs Löwen, zehn Tiger und zwölf Bären für mein nächstes Zirkusfest! Laßt sie einstweilen los auf die Barbaren! Es ist auch ein Schauspiel für die Römer dann!«
[] Aber schon eilte ein Leibwächter den Mons Pincius herab: »Zu Hilfe, Herr, zu Hilfe! Constantinus, dein eignes, das flaminische Tor! Unzählige Barbaren! Ursicinus bittet um Hilfe!«
»Auch dort?« fragte sich Cethegus ungläubig.
»Hilfe an die gebrochene Mauer! zwischen dem flaminischen und dem pincianischen Tor!« rief ein zweiter Bote des Ursicinus.
»Diese Strecke braucht ihr nicht zu decken! Ihr wißt, sie steht unter Sankt Peters besonderem Schutz: das reicht!« sprach, beruhigend Constantinus. Cethegus lächelte: »Ja, heute gewiß: denn sie wird gar nicht angegriffen.«
Da jagte Marcus Licinius atemlos heran. »Präfekt, rasch aufs Kapitol, von wo ich eben komme. Alle sieben Lager der Feinde speien Barbaren zugleich aus allen Lagerpforten: es droht ein allgemeiner Sturm gegen alle Tore Roms.«
»Schwerlich!« lächelte Cethegus. »Aber ich will hinaus. Du aber, Marcus Licinius, stehst mir ein für das tiburtiner Tor. Mein muß es sein, nicht Belisars! Fort mit dir! Führe deine zweihundert Legionare dorthin!«
Er stieg zu Pferd und ritt zunächst gegen das Kapitol zu, um den Fuß des Viminal. Hier traf er auf Lucius und seine Isaurier. »Feldherr,« sprach ihn dieser an, »es wird ernst da draußen. Sehr ernst! Was ist's mit den Isauriern? Bleibt es bei deinem Befehl?«
»Habe ich ihn zurückgenommen?« sagte Cethegus streng. »Lucius, du folgst mir und ihr andern Tribunen. Ihr Isaurier rückt unter eurem Häuptling Asgares zwischen die Thermen des Diokletian und das tiburtiner Tor.«
Er glaubte an keine Gefahr für Rom. Meinte er doch zu wissen, was allein in diesem Augenblick die Goten wirklich beschäftigte. »Dieser Schein eines allgemeinen Angriffs soll,« dachte er, »die Byzantiner nur abhalten, ihres bedrohten Feldherrn vor den Toren zu gedenken.«
[] Bald hatte er einen Turm des Kapitols erreicht, von welchem er die ganze Ebene überschauen konnte. Sie war erfüllt von gotischen Waffen. Es war ein herrliches Schauspiel. Aus allen Lagertoren wogte die ganze Streitmacht des gotischen Heeres heran, die ganze Ausdehnung der Stadt umgürtend. Der Angriff sollte offenbar gegen alle Tore zugleich unternommen werden und war nach Einem Gedanken entworfen.
Voran in dem ganzen, zu drei Vierteln geschlossenen Kreise schritten Bogenschützen und Schleuderer, in leichten Plänklerschwärmen, die Zinnen und Brustwehren von Verteidigern zu säubern. Darauf folgten Sturmböcke, Widder, Mauerbrecher aus römischen Arsenalen entnommen oder römischen Mustern, wiewohl oft ungeschlacht genug, nachgebildet, mit Pferden und Rindern bespannt, bedient von Truppen, die, fast ohne Angriffswaffen, nur mit breiten Schilden sich und die Bespannung gegen die Geschosse der Belagerten decken sollten. Dicht hinter ihnen schritten die zum eigentlichen Angriff bestimmten Krieger: in tiefen Gliedern, mit voller Bewaffnung, zum Handgemeng mit Beilen und starken Messern gerüstet, und lange, schwere Sturmleitern schleppend. In großer Ordnung und Ruhe rückten diese drei Angriffslinien überall gleichmäßigen Schrittes vor: die Sonne glitzerte auf ihren Helmen: in gleichen Zwischenräumen erschollen die langgezognen Rufe der gotischen Hörner.
»Sie haben etwas von uns gelernt,« rief Cethegus in kriegerischer Freude. »Der Mann, der diese Reihen geordnet hat, versteht den Krieg.« – »Wer ist es wohl?« fragte Kallistratos, der, in reicher Rüstung, neben Lucius Licinius hielt. »Ohne Zweifel, Witichis, der König,« sagte Cethegus. – »Das hätte ich dem schlichten Mann mit den bescheidnen Zügen nie zugetraut.« – »Diese Barbaren haben manches Unergründliche.«
Und vom Kapitol herab ritt er nun, über den Fluß nach der Umwallung am pankratischen Tor, wo der nächste Angriff [] zu drohen schien und bestieg mit seinem Gefolge den dortigen Eckturm.
»Wer ist der Alte dort, mit dem wehenden Bart, der mit dem Steinbeil den Seinen voranschreitet? Er sieht aus, als hätte ihn der Blitz des Zeus vergessen in der Gigantenschlacht,« forschte der Grieche.
»Es ist der alte Waffenmeister Theoderichs; er rückt gegen das pankratische Tor,« antwortete der Präfekt.
»Und wer ist der Reichgerüstete dort, auf dem Braunen, mit dem Wolfsrachen auf dem Helm? Er zieht gegen die Portuensis.« – »Das ist Herzog Guntharis, der Wölsung,« sprach Lucius Licinius. »Und sieh', auch drüben auf der Ostseite der Stadt, überm Fluß, soweit man schauen kann, gegen alle Tore, rücken Sturmreihen der Barbaren,« sagte Piso.
»Aber wo ist der König selbst?« fragte Kallistratos.
»Siehe, dort in der Mitte ragt die gotische Hauptfahne: dort hält er, oberhalb des pankratischen Tors,« erwiderte der Präfekt. »Er allein steht regungslos mit seiner starken Schar, weit, um dreihundert Schritt zurück, hinter der Linie,« sprach Salvius Julianus, der junge Jurist. »Sollte er nicht mit kämpfen?« meinte Massurius. »Wäre gegen seine Weise. Aber laß uns vom Turm auf den Wall hinab: das Gefecht beginnt,« schloß Cethegus. »Hildebrand hat den Graben erreicht.« – »Dort stehen meine Byzantiner, unter Gregor. Die Gotenschützen zielen gut. Die Zinnen am pankratischen Tor werden leer. Auf, Massurius, schicke meine abaskischen Jäger und von den römischen Legionären die besten Pfeilschützen dorthin: sie sollen auf die Rinder und Rosse der Sturmböcke zielen.«
Bald war der Kampf auf allen Seiten entbrannt: und mit Verdruß bemerkte Cethegus, daß die Goten überall Fortschritte machten. Die Byzantiner schienen ihren Feldherrn zu vermissen: sie schossen unsicher und wichen von den Wällen, indes die Goten heute mit besonderer Todesverachtung vordrangen. [] Schon hatten sie an mehreren Stellen den Graben überschritten und Herzog Guntharis hatte sogar schon Leitern angelegt an den Wällen bei dem portuensischen Tore, während der alte Waffenmeister einen starken Widderkopf herangeschleppt und denselben durch ein Schirmdach gegen die Feuergeschosse von oben gesichert hatte. Bereits donnerten die ersten Stöße laut durch das Getümmel des Kampfes gegen die Balken des pankratischen Tors. Dieser wohlbekannte Ton erschütterte den Präfekten, der eben hier anlangte: »Offenbar,« sagte er zu sich selbst, »machen sie jetzt bittern Ernst, nachdem der Scheinversuch so gut gelungen.«
Und wieder ein dröhnender Stoß. Gregor, der Byzantiner, sah ihn fragend an. »Das darf nicht lange währen!« rief Cethegus zürnend, entriß dem nächsten Schützen Bogen und Köcher und eilte auf den Mauerkranz an dem Tore: »Hierher, ihr Schützen und Schleuderer! Mir nach!« rief er, »schafft schwere Steine bei. Wo ist der nächste Ballist? Wo die Skorpionen? das Schirmdach muß entzwei.«
Unter dem Schirmdach aber standen gotische Schützen, die eifrig durch die Schießscharten nach den Zacken der Mauerzinnen lugten. »Es ist umsonst, Haduswinth,« schalt der junge Gunthamund, »zum drittenmal leg' ich vergeblich an! es wagt ja keiner nur die Nase über die Brustwehr.« – »Geduld,« sagte der Alte, »halte den Bogen nur gespannt! Es kommt schon einer, den der Fürwitz plagt. Auch mir leg' einen Bogen bereit. Nur Geduld.« – »Die hat man leichter mit deinen siebzig als mit meinen zwanzig Jahren.«
Inzwischen hatte Cethegus die Wallzinne hier erreicht: er warf einen Blick in die Ebene: da sah er den König, in der weiten Ferne, unbeweglich, im Zentrum stehen der gotischen Scharen, auf dem rechten Tiberufer. Das störte und beunruhigte ihn. »Was hat er vor? Sollte er gelernt haben, daß der Feldherr nicht fechten soll? Komm, Gajus,« rief er dem [] jungen Schützen zu, der ihm kühn gefolgt war, »deine jungen Augen sehen scharf, blick' mit mir über die Zinne hier – was treibt der König dort?« Und er beugte sich über die Brustwehr, Gajus folgte, eifrig spähend, seinem Beispiel.
»Jetzt, Gunthamund!« rief Haduswinth unten. Zwei Sehnen klangen und die beiden Späher fuhren zurück.
Gajus stürzte, in die Stirn geschossen, nieder: und unter des Präfekten Helmdach zersplitterte klirrend ein Pfeil. Cethegus strich mit der Hand über die Stirn.
»Du lebst, mein Feldherr?« rief Piso, heranspringend.
»Ja, Freund. Es war sehr gut gezielt. Aber die Götter brauchen mich noch: nur die Haut ist geritzt,« sprach Cethegus und schob den Helm zurecht.
Zwölftes Kapitel.
Da flog Syphax die Mauertreppe hinauf. Streng hatte ihm sein Herr verboten, sich am Kampf zu beteiligen: »die Barbaren sollen dich mir nicht töten und auch dich nicht erkennen: – du bist unersetzlich als Sklave Mataswinthens und Kundschafter des Königs Witichis,« hatte Cethegus gesagt.
»Wehe, wehe,« schrie er so überlaut, daß es seinem Herrn, auffiel, der des Mauren kluge Ruhe kannte, »welch ein Unglück!« – »Was ist geschehen?« – »Constantinus ist schwer verwundet. Er wollte einen Ausfall führen aus dem salarischen Tor und stieß sogleich auf die gotischen Sturmreihen. Ein Schleuderstein traf sein Gesicht. Mit Mühe rettete man ihn auf den Wall. Dort fing ich den Sinkenden auf: er ernannte den Präfekten zu seinem Vertreter. Hier ist sein Feldherrnstab.«
»Das ist nicht möglich!« schrie Bessas, der auf Syphax' Ferse folgte. Er hatte in Person selbst neue Verstärkungen verlangen [] wollen und kam eben recht, die Nachricht zu hören. »Oder er war schon sinnlos, als er's tat.«
»Hätte er dich bestellt, jedenfalls,« sprach Cethegus, ruhig das Zepter ergreifend und dem schlauen Sklaven mit einem raschen Wink des Auges dankend. Mit einem wütenden Blicke sprang Bessas von der Brüstung und eilte davon. »Folg' ihm, Syphax, und beacht' ihn wohl,« flüsterte der Präfekt.
Da eilte ein isaurischer Söldner herbei: »Verstärkung, Präfekt, ans portuensische Tor. Herzog Guntharis hat zahllose Leitern angelegt.« Da sprengte Cabao, der Führer der maurischen berittnen Schützen heran: »Constantinus ist tot. Vertritt du Constantinus.«
»Belisar vertret' ich,« sprach Cethegus stolz: »fünfhundert Armenier ziehet ab vom appischen und schickt sie ans portuensische Tor.«
»Hilfe, Hilfe ans appische Tor! alle Verteidiger auf den Zinnen sind erschossen!« meldete ein persischer Reiter, »die Vorschanze ist halb verloren: vielleicht ist sie noch zu halten: aber schwer! Aber unmöglich wär's, sie wieder zu nehmen!«
Cethegus winkte seinem jungen Juriskonsulten, Salvius Julianus, jetzt seinem Kriegstribun: »Auf, mein Jurist: ›beati possidentis‹! – Nimm hundert Legionäre und halte die Schanze um jeden Preis, bis weitere Hilfe kommt.« –
Und er sah von der Mauerkrone wieder hinab. Unter seinen Füßen tobte das Gefecht, donnerte der Mauerbrecher Hildebrands. Aber ihn kümmerte mehr die rätselhafte Ruhe, in welcher der König im Hintergrund unbeweglich stand. »Was hat er nur vor?«
Da dröhnte von unten ein furchtbar krachender Stoß und lauter Siegesjubel der Barbaren: Cethegus brauchte nicht zu fragen: in drei Sprüngen war er unten.
»Das Tor ist eingestoßen!« riefen ihm entsetzt die Seinigen entgegen. »Ich weiß es: jetzt sind wir selbst der Riegel Roms.« [] Und den Schild fester andrückend, trat er hart an den rechten Torflügel, in dem in der Tat ein breiter Riß klaffte; und schon stieß der Widder an die splitternden Platten neben der Öffnung. »Noch ein solcher Stoß und das Tor liegt ganz,« sagte Gregor, der Byzantiner. »Richtig, deshalb darf es nicht mehr dazu kommen. Her zu mir, Gregor und Lucius: stellt euch, Milites! die Speere gefällt! Fackeln und Brände! zum Ausfall! Winke ich, so öffnet das Tor und werft Widder und Schirmdach und alles in den Graben.«
»Du bist sehr kühn, mein Feldherr!« rief Lucius Licinius, entzückt neben ihn springend.
»Ja, jetzt hat die Kühnheit Vernunft, mein Freund!«
Schon war die Kolonne gestellt, schon wollte der Präfekt das Schwert zum Zeichen des Angriffs erheben –: da erscholl vom Rücken her ein Lärm, größer selbst als der der stürmenden Goten: Wehegeschrei und Pferdegetrappel: – und Bessas drängte sich heran: er faßte den Arm des Präfekten: seine Stimme versagte.
»Was hemmst du mich in diesem Augenblick?« rief dieser und stieß ihn zurück. – »Belisars Truppen,« stammelte entsetzt der Thraker, »stehen schwer geschlagen vor dem tiburtinischen Tor: – sie flehen um Einlaß: – wütende Goten hinter ihnen – Belisar ist in einem Hinterhalt gefallen: – er ist tot.«
»Belisar ist gefangen!« schrie ein Türmer vom tiburtinischen Tor, atemlos heraneilend. »Die Goten! die Goten sind da! sie stehn vor dem nomentanischen und vor dem tiburtinischen Tor!« scholl's aus der Tiefe der Straße. »Belisars Fahne ist genommen! Prokop verteidigt seine Leiche!« – »Laß das tiburtinische Tor öffnen, Präfekt!« drängte Bessas, »deine Isaurier stehen plötzlich dort. Wer hat sie dorthin geschickt?«
»Ich!« sagte Cethegus, überlegend.
»Sie wollen nicht öffnen ohne deinen Befehl! rette doch seine – Belisars – Leiche!«
[] Cethegus zauderte – er hielt das Schwert halb erhoben – er schwankte. »Die Leiche,« dachte er, »rett' ich gern.« Da flog Syphax heran. »Nein! er lebt noch!« rief er seinem Herrn ins Ohr, »ich hab' ihn gesehen von der Zinne: er regt sich noch: aber er ist gleich gefangen: die gotischen Reiter brausen heran: – Totila, Teja, gleich sind sie bei ihm!«
»Gib Befehl, laß das tiburtiner Tor öffnen!« mahnte Bessas. Aber des Präfekten Auge blitzte: sein Antlitz überflog jener Ausdruck stolzer, kühner Entschlossenheit, der es mit dämonischer Schönheit verklären konnte. Er schlug mit dem Schwert an den zertrümmerten Torflügel vor sich: »Auf, zum Ausfall. Erst Rom: dann Belisar! Rom und Triumph!« Das Tor flog auf.
Die stürmenden Goten, schon des Sieges sicher, hätten alles eher erwartet als dies Wagnis der, wie sie wähnten, ganz verzagten Byzantiner. Sie waren ohne Fechtordnung um das Tor herum zerstreut, wurden völlig überrascht und durch den Anlauf der fest geschlossenen Reihe rasch in den hinter ihnen klaffenden Graben geworfen.
Der alte Hildebrand wollte seinen Widder nicht lassen.
Sich hoch aufrichtend, zerschmetterte er Gregor, dem Byzantiner, mit seinem Steinhammer den hochgeschweiften Helm und das Haupt. Aber gleichzeitig fast stieß ihn selber Lucius Licinius mit dem Schildstachel in den Graben. Cethegus zerhieb mit dem Schwert die Seile der Maschine, die krachend auf den Alten stürzte.
»Jetzt Feuer in die Holzmaschinen, die noch stehen,« befahl Cethegus. Rasch loderten deren Balken auf in Flammen. Sogleich kehrten die siegreichen Römer zurück in die Wälle. Da rief Syphax dem Präfekten entgegen: »Gewalt, Herr, Aufruhr und Empörung! Die Byzantiner gehorchen dir nicht mehr! Bessas rief sie auf, das tiburtinische Tor mit Gewalt zu öffnen. Seine Leibwächter drohen, Marcus Licinius anzugreifen [] und deine Legionäre und Isaurier zu schlachten durch die Hunnen.«
»Das büßen sie!« rief Cethegus grimmig. »Wehe, Bessas! Ich will's ihm gedenken! Auf, Lucius Licinius, nimm den halben Rest der Isaurier! Nein, nimm sie alle! alle! du weißt, wo sie stehn: fasse die Leibwächter des Thrakers von Porta Clausa her im Rücken. Und stehn sie nicht ab, – so hau' sie nieder, ohne Schonung, Hilf deinem Bruder! Ich folge gleich!«
Lucius Licinius zauderte. »Und das tiburtinische Tor?« – »Bleibt geschlossen.« – »Und Belisar?«
»Bleibt draußen.« – »Teja und Totila sind schon heran.« – »Desto weniger kann man öffnen. Erst Rom: dann alles andere. Gehorche, Tribun!«
Cethegus blieb noch, die Ausflickung des pankratischen Tores anzuordnen. Das währte sehr geraume Zeit. »Wie ging es, Syphax?« fragte er leise. »Lebt er wirklich?« – »Er lebt noch.« – »Tölpel, diese Goten!«
Da kam ein Bote von Lucius. »Dein Tribun läßt melden: Bessas gibt nicht nach: – schon ist das Blut deiner Legionare am tiburtiner Tor geflossen. Und Asgares und deine Isaurier zögern, einzuhauen. Sie zweifeln an deinem Ernst.« – »Ich will ihnen meinen Ernst zeigen!« rief Cethegus, warf sich aufs Pferd, verließ diesen Teil der Stadt, und jagte wie der Sturmwind davon.
Weit war sein Weg: über die Tiberbrücke des Janiculum, am Kapitol vorbei, über das Forum Romanum, durch die Sacra Via und den Bogen des Titus, die Thermen des Titus rechts lassend, über den Esquilin hinaus, endlich durch das esquilinische Tor an das tiburtinische Außentor: – ein Weg vom äußersten Westen an den äußersten Osten der weitgestreckten Stadt.
Hier, hinter dem Tore, standen die Leibwächter von Bessas und Belisar mit gedoppelter Front. Die eine Schar schickte sich [] an, die Legionare und Isaurier des Präfekten unter Marcus Licinius an der Torwache zu überwältigen und das Tor mit Gewalt zu öffnen, während die zweite Fronte mit gefällten Speeren der Masse der andern Isaurier gegenüberstand, die Lucius vergeblich zum Angriff befehligte.
»Söldner,« rief Cethegus, das schnaubende Roß dicht vor deren Linie anhaltend, »wem habt ihr geschworen: mir oder Belisar?« – »Dir, Herr,« sprach Asgares, ein Anführer, vortretend, »aber ich dachte.« – Da blitzte das Schwert des Präfekten, und tödlich getroffen stürzte der Mann. »Zu gehorchen habt ihr, eidbrüchige Schurken, nicht zu denken!«
Entsetzt standen die Söldner. Aber Cethegus befahl ruhig: »Die Speere gefällt! Zum Angriff! mir nach!« Und die Isaurier gehorchten ihm und nun, – ein Augenblick noch, und es begann in Rom selbst der Kampf.
Aber da erscholl von Westen, von der Richtung des aurelischen Tores, her ein furchtbares, alles übertäubendes Geschrei: »Wehe, Wehe, alles verloren! Die Goten über uns! Die Stadt ist genommen!«
Cethegus erbleichte und blickte zurück. Da sprengte Kallistratos heran, Blut floß ihm über Gesicht und Hals. »Cethegus,« rief er, »es ist aus! Die Barbaren sind in Rom! Die Mauer ist erstiegen.« – »Wo?« fragte der Präfekt tonlos. »Am Grabmal Hadrians!« – »O mein Feldherr!« rief Lucius Licinius, »ich habe dich gewarnt.«
»Das war Witichis!« sagte Cethegus, die Augen zusammendrückend.
»Woher weißt du das!« staunte Kallistratos. »Genug, ich weiß es.« Es war ein furchtbarer Augenblick für den Präfekten.
Er mußte sich sagen, daß er, rücksichtslos seinen Plan zum Verderben Belisars verfolgend, eine Spanne Zeit Rom übersehen hatte. Er biß die Zähne in die Unterlippe.
»Cethegus hat das Grabmal Hadrians entblößt! Cethegus [] hat Rom ins Verberben gestürzt!« rief Bessas an der Spitze der Leibwächter.
»Und Cethegus wird es retten!« rief dieser, sich hoch im Sattel aufrichtend. »Mir nach, alle Isaurier und Legionare.« – »Und Belisar?« flüsterte Syphax. – »Laßt ihn herein. Erst Rom: dann alles andre! Folgt mir!« Und im Sturmflug sprengte er zurück, des Weges, den er gekommen. Nur wenige Berittene konnten ihm folgen: im Lauf eilte sein Fußvolk, Isaurier und Legionare, nach.
Dreizehntes Kapitel.
Draußen vor dem tiburtinischen Tore ward es zu gleicher Zeit stiller. Ein Bote hatte die gotischen Reiter von dem überflüssigen Gefechte abgerufen. Sie sollten hier innehalten und alle verfügbare Mannschaft um die Stadt und über den Fluß eilig an das aurelische Tor senden, durch welches man soeben in die Stadt gedrungen sei: dort brauche man alle Kräfte. Die Reiter jagten, rechtsum schwenkend, nach jenem Tor, wo sich jetzt alles zusammendrängte: aber ihr eigenes Fußvolk, stürmend an den zwischenliegenden fünf Toren: der Porta clausa, nomentana, salaria, pinciana und flaminia, versperrte ihnen den Weg so lange, daß sie zu der Entscheidung zu spät kamen, die am Grabmal des Hadrian gefallen war.
Wir erinnern uns der Lage dieses Lieblingsplatzes des Präfekten: dem vatikanischen Hügel gegenüber, einen Steinwurf etwa vor dem aurelischen Tor gelegen, mit diesem durch Seitenmauern verbunden und überall, außer im Süden, wo der Fluß decken sollte, durch neue Wälle geschützt, ragte die »moles Hadriani«, ein gewaltiger runder Turm von festestem Bau. Eine Art Hofraum umgab das eigentliche Gebäude: vor der ersten, äußeren Deckungsmauer im Süden floß der Tiber. Auf den Zinnen dieser Außenmauer, in dem Hofraum und auf den [] Zinnen der Innenmauer lagerten sonst die Isaurier, die der Präfekt zu übler Stunde hinweggezogen hatte, seinen Plan gegen Belisar durchzusetzen. Auf den Zinnen der Innenmauer aber standen die zahlreichen Statuen von Marmor und Erz, deren drittes Hundert das Geschenk des Kallistratos vervollständigt hatte.
Der König der Goten hatte sich für heute in der Mitte des großen Halbkreises, den die Barbaren auch um die Westseite, auf dem rechten Tiberufer, um die Stadt gezogen, auf dem Felde Neros zwischen dem pankratischen (alten aurelianischen) und dem (neuen) aurelianischen Tor, wo sonst nur Graf Markja von Mediolanum lagerte, eine zurückgenommene, abwartende Stellung gewählt. Er baute seinen Plan darauf, daß der allgemeine Sturm gegen alle Tore notwendig die Kräfte der Belagerten werde zersplittern müssen: und sowie an irgend einem Punkt durch Hinwegziehung der Verteidiger eine Blöße entstehen würde, gedachte er, sie sofort zu benützen.
In dieser Absicht hielt er unbeweglich im zweiten Treffen weit hinter den Sturmkolonnen. Er hatte allen Anführern Auftrag gegeben, ihn schleunig herbeizurufen, wo sich eine Lücke der Verteidigung zeige.
Lange, lange hatte er so gewartet. Manches Wort der Ungeduld hatte er von seinen Scharen zu tragen gehabt, die müßig stehen sollten, während die Genossen überall im frischen Vordringen waren: lange, lange harrten sie auf einen Boten, der sie abriefe zur Teilnahme am Kampf.
Da bemerkte endlich des Königs scharfes Auge selbst zuerst, wie von den Zinnen der Außenmauer am Grabmal Hadrians die wohlbekannten Feldzeichen und die dichten Speere der Isaurier verschwanden. Aufmerksam blickte er hin: sie wurden nicht abgelöst, die Lücken nicht ersetzt. Da sprang er aus dem Sattel, gab seinem Rosse einen Schlag mit der flachen Hand auf den stolzen Bug, sprach: »Nach Hause, Boreas!« und das kluge [] Tier lief geradeaus in das Lager zurück. »Jetzt, vorwärts meine Goten! vorwärts, Graf Markja!« rief der König, »dort über den Fluß – die Mauerbrecher laßt hier zurück: nur die Schilde und die Sturmleitern nehmt mit. Und die Beile. Voran!« Und im Lauf erreichte er den steilen Uferhang an der südlichen Biegung des Flusses und eilte den Hügel hinab.
»Keine Brücke, König, und keine Furt?« fragte ein Gote hinter ihm.
»Nein, Freund Iffamer, schwimmen!« und der König sprang in die gelbe schmutzige Flut, daß sie zischend hoch über seinem Helmbusch zusammenschlug. In wenigen Minuten hatte er das andere Ufer erreicht, die vordersten seiner Leute mit ihm. Bald standen sie hart vor der hohen Außenmauer des Grabmals und die Männer blickten fragend, besorgt hinauf. »Leitern her!« rief Witichis, »seht ihr nicht? Die Verteidiger fehlen ja! Fürchtet ihr euch vor hohen Steinen?« Rasch waren die Leitern angelegt, rasch die Außenwälle erstiegen, die wenigen Wachen hinabgestürzt, die Leitern nachgezogen und an der Innenseite der Außenmauer in den Hof hinabgelassen.
Der König war der erste in dem Hofraum.
Hier freilich wurde das Vordringen der Goten eine Weile gehemmt. Denn auf den Zinnen der Innenmauer standen, vom pankratischen Tore hierher geeilt, Quintus Piso und Kallistratos mit hundert Legionaren und nur ein paar Isauriern: und diese schleuderten einen dichten Hagel von Speeren und Pfeilen auf die nur vereinzelt in den Hofraum hinabsteigenden Goten: auch ihre Ballisten und Katapulten wirkten verheerend. »Schickt um Hilfe, um Hilfe zu Cethegus!« rief oben auf der Mauer Piso. Und Kallistratos flog davon.
Rechts und links fielen die Goten unten im Hof neben Witichis. »Was tun?« fragte Markja an seiner Seite. »Warten, bis sie sich verschossen haben,« sagte dieser ruhig. »Es kann nicht lange mehr währen. Sie werfen und schießen viel zu [] hastig in ihrem Schrecken. Seht ihr: schon fliegen mehr Steine denn Pfeile. Und die Speere bleiben aus.« – »Aber die Ballisten, die Katapulten –« – »Werden uns bald nicht mehr schaden. Ordnet euch zum Sturm. Seht, der Hagel wird sehr spärlich. So, nun die Leitern bereit und die Beile. – Jetzt, rasch mir nach.« Und in schnellem Anlauf rannten die Goten über den Hof.
Nur wenige waren dabei gefallen. Und schon standen sie hart an der zweiten, der inneren Mauer: und hundert Leitern waren angelegt. Jetzt aber waren alle Ballisten und Katapulten Pisos nutzlos geworden: denn, zum Schuß in die Weite gespannt, konnten sie nicht ohne große Mühe und lange Zeit zu senkrechtem Schuß gerichtet werden. Piso bemerkte es wohl und erbleichte. »Wurfspeere her! Speere! Speere! oder alles ist hin!« – »Alle verschossen,« keuchte trostlos neben ihm der dicke Balbus.
»Dann ist's vorbei!« seufzte Piso, den rechten Arm todmüde senkend. »Komm, Massurius, laß uns fliehn,« mahnte Balbus. »Nein, laßt uns hier sterben,« rief Piso. Und schon tauchte der erste gotische Helm über den Rand der Mauer.
Da scholl es die Mauertreppen von der Stadtseite herauf: »Cethegus! Cethegus, der Präfekt!«
Und er war's; rasch sprang er auf die Zinne vor und hieb dem Goten, der eben die Hand auf die Brustwehr stützte, sich heraufzuschwingen, die Hand samt dem Arme ab. – Der Mann schrie und stürzte.
»O Cethegus,« sagte Piso, »du kommst zu rechter Zeit!« – »Ich hoffe es,« sprach dieser und stieß die Leiter um, die vor ihm angelegt stand. Witichis war darauf gestanden, – behend sprang er hinab. »Aber jetzt Geschosse her, Speere, Lanzen. Sonst hilft alles nichts,« rief Cethegus. »Kein Geschoß mehr weit und breit,« antwortete Balbus. »Du kommst, hofften wir, mit deinen Isauriern?« – »Die sind noch weit, weit hinter [] mir!« rief Kallistratos, der eben als der erste nach Cethegus wieder erschien.
Und aufs neue wuchs die Zahl der Leitern und der aufsteigenden Helme. Und es wuchs die dringendste Gefahr.
Wild blickte Cethegus um sich. »Geschosse,« rief er, mit dem Fuße stampfend, »es müssen Geschosse herbei!« Da fiel sein Auge auf die riesige Marmorstatue Zeus', des Erretters, die zu seiner Linken auf der Zinne stand. Ein Gedanke durchzuckte ihn mit Blitzesschnelle, er sprang hinzu und schlug mit einem Handbeil den rechten Arm der Statue mitsamt dem Donnerkeil in ihrer Faust herab. »Zeus,« rief er, »leih mir deinen Blitz! – Was hältst du ihn so müßig? Auf! zerschlagt die Statuen: und schleudert sie den Feinden auf die Köpfe.« Und rascher, als er dies gesagt, ward sein Beispiel befolgt. Mit Äxten und Beilen fielen die geängstigten Verteidiger über die Götter und Heroen her, und im Augenblick waren all die herrlichen Gestalten zertrümmert.
Es war ein grauenhafter Anblick: da barst ein erhabner Hadrian, eine Reiterstatue, Roß und Reiter mitten auseinander: da stürzte eine lächelnde Aphrodite in die Kniee: da flog der schöne Marmorkopf eines Antinous vom Rumpfe und sauste, von zwei Händen geschleudert, auf einen gotischen Büffelschild. Und weithin spritzten, die Zinnen bedeckend, Splitter und Trümmer von Marmor und Erz, von Bronze und Gold. Krachend und dröhnend schlugen die gewaltigen Lasten von Stein und Metall von den Zinnen herab und zerschmetterten die Helme und Schilde, die Panzer und die Glieder der stürmenden Goten und die Leitern selber, die sie trugen.
Mit Grauen blickte Cethegus auf das furchtbare Werk der Zerstörung, das sein Wort angerichtet. Aber es hatte gerettet. Zwölf, fünfzehn, zwanzig Leitern standen leer von den hart aufeinander folgenden Männern, die sie kurz zuvor ameisendicht besetzt hatten: ebenso viele lagen zerbrochen am Fuß der [] Mauer: überrascht von diesem unerwarteten Erz- und Marmorhagel wichen die Goten einen Augenblick. Aber gleich wieder rief sie das Horn Markjas zum Sturm: und wieder sausten die zentnerschweren Lasten hernieder.
»Unseliger, was hast du getan?« jammerte Kallistratos und starrte auf die Trümmer.
»Das Notwendige!« antwortete Cethegus und schleuderte den Rest von Zeus dem Erretter, über den Wall. »Siehst du, wie das traf? – zwei Barbaren auf Einen Schlag« – und zufrieden blickte er hinab.
Da hörte er den Korinther rufen: »Nein, nein. Nicht diesen! Nicht den Apoll!«
Und Cethegus wandte sich und sah, wie ein riesiger Isaurier sein Beil gegen das Haupt des Latoniden schwang. »Narr, sollen die Goten herauf?« fragte der Barbar und holte wieder aus.
»Nicht meinen Apollon!« wiederholte der Helene und umschlang den Gott schützend mit beiden Armen, weit sich vorbeugend.
Das ersah auf der nächsten Leiter Graf Markja: und glaubend, jener wolle die Statue auf ihn niederschleudern, kam er ihm zuvor: sein Wurfspeer flog und traf den Griechen mitten in die Brust. »Ach – Cethegus!« seufzte er und starb. Der Präfekt sah ihn fallen und preßte die Brauen zusammen. »Rettet die Leiche und seine beiden Götter verschont!« sprach er kurz – und stieß die Leiter um, auf der Markja gestanden: mehr konnte er nicht sagen und nicht tun: denn schon rief ihn eine neue, die drohendste Gefahr.
Witichis, von seiner Leiter halb herabgeschleudert, halb herabgesprungen, war seither hart an der Mauer gestanden unter dem Hagel der Stein- und Metalltrümmer nach neuen Mitteln spähend. Denn seit der erste Versuch der Sturmleitern durch die unverhofften, neuen Geschosse, die Götter und Heroen, abgewiesen war, hoffte er kaum noch, den Wall zu gewinnen.[] Während er sann und spähte, schlug das schwere Marmorfußgestell eines Mars gradivus dicht neben ihm auf die Erde, prallte nochmal empor und traf dabei an eine Mauerplatte. Und siehe, diese Platte, die ein Quader von härtestem Stein geschienen hatte, zersprang zerbröckelnd in kleine Stücke von Mörtel und Lehm: und an ihrer Stelle wurde sichtbar eine schmale Holzpforte, die, von jener Masse nur locker verkleidet und verdeckt, den Maurern und Werkleuten zum Ausgang und Eingang gedient hatte, wenn sie an dem großen Gebäude arbeiteten und nachbesserten.
Kaum ersah Witichis die Holztür, als er jubelnd ausrief: »Hierher, hierher, ihr Goten! Beile zur Hand!« Und schon schlug seine eigne Streitaxt donnernd an die dünnen Bretter, die nichts weniger als stark schienen.
Verhängnisvoll drang der neue, seltsame Ton an des Präfekten Ohr! er hielt oben inne in der Blutarbeit und lauschte. »Das ist Eisen gegen Holz! Bei Cäsar!« sagte er zu sich selbst und sprang die schmale Mauertreppe herab, die an der Innenseite der zweiten Mauer in den schwach durch Öllampen beleuchteten Innenraum des Grabmals führte.
Da dröhnte ein Schlag lauter als alle früheren, ein dumpfes Krachen und helles Splittern folgte und jauchzendes Siegesgeschrei der Goten. Wie Cethegus auf die letzte Stufe der Treppe sprang, fiel die Pforte krachend nach innen in den Hof und König Witichis ward sichtbar auf der Schwelle.
»Mein ist Rom!« jubelte er, das Beil fallen lassend und das Schwert aus der Scheide ziehend. »Du lügst, Witichis! zum erstenmal im Leben!« rief Cethegus grimmig und sprang vor, so gewaltig den starken Schildstachel stoßend gegen des Goten Brust, daß dieser überrascht einen Schritt zurücktrat.
Diesen Schritt benutzte der Präfekt und stellte sich selbst auf die Schwelle, die ganze enge Pforte füllend. »Wo bleiben die Isaurier!« rief er.
[] Aber nur einen Augenblick hatte ihm Witichis Zeit gelassen, bis er ihn erkannte. »So treffen wir uns doch im Zweikampf um Rom.« Und nun war das Anspringen an ihm. Cethegus, bemüht die ganze Öffnung der Pforte zu verschließen, deckte mit dem Schild seine Linke; sein rechter Arm mit dem kurzen Römerschwert vermochte nicht genug, seine rechte Seite zu decken. Der Stoß des langen Schwertes des starken Goten drang, nicht stark genug von Cethegus abgewehrt, die Schuppenringe des Panzers durchschneidend, tief in seine rechte Brust.
Der Präfekt wankte nach links: schon neigte er sich zu fallen: aber er fiel nicht. »Rom! Rom!« sagte er tonlos, und krampfhaft hielt er sich noch aufrecht.
Witichis war einen Schritt zurückgetreten, um in neuem Ansprung dem gefährlichen Feind den Rest zu geben. Aber in diesem Augenblick erkannte ihn oben auf der Zinne Piso und schleuderte einen prachtvollen schlafenden Faun, der bereits mit abgehauenen Füßen auf dem Walle lag, auf den König herab; er traf die Schulter und Witichis stürzte nieder. Graf Markja, Iffamer und Aligern trugen ihn aus dem Gefecht.
Cethegus sah ihn noch fallen. Dann brach er selbst auf der Schwelle der Pforte zusammen; schützende Arme eines Freundes fingen ihn auf: – aber er erkannte diesen nicht mehr: sein Bewußtsein schwand.
Doch weckte ihn gleich wieder ein wohlbekannter Ton, der seine Seele entzückte: es war die Tuba seiner Legionare, das Feldgeschrei seiner Isaurier, die jetzt – endlich – im Sturmschritt eintrafen und, von den Liciniern geführt, in dichten Scharen sich auf die durch den Fall ihres Königs erschütterten Goten stürzten. Sie drängten sie siegreich zu einer (einstweilen von den eingedrungenen Goten von Innen hinausgebrochenen) Bresche der ersten Mauer unter großem Blutvergießen hinaus.
Der Präfekt sah die letzten Barbaren flüchten: – da schlossen sich abermals seine Augen. »Cethegus!« rief der Freund, der [] ihn im Arme hielt, »Belisar im Sterben: und so bist auch du verloren?« Cethegus erkannte jetzt die Stimme Prokops. »Ich weiß nicht,« sprach er mit letzter Kraft, »aber Rom, – Rom ist gerettet!« Und damit vergingen ihm die Sinne.
Vierzehntes Kapitel.
Nach der Anspannung aller Kräfte zu dem allgemeinen Sturm und seiner Abwehr, der mit dem Morgenrot begonnen und bei sinkender Sonne erst beendet war, trat bei Goten und Römern eine lange Pause der Erschlaffung ein. Die drei Führer Belisar, Cethegus und Witichis lagen wochenlang an ihren Wunden darnieder.
Aber noch mehr wurde die tatsächliche Waffenruhe veranlaßt durch die tiefe Niedergeschlagenheit und Entmutigung, die das Heer der Germanen befallen hatten, nachdem der mit höchster Anstrengung angestrebte Sieg in dem Augenblick, da er bereits gewonnen schien, ihnen entrissen wurde.
Sie hatten einen ganzen Tag lang ihr Bestes getan: ihre Helden hatten an Tapferkeit gewetteifert: und doch waren beide Pläne, der gegen Belisar und der gegen die Stadt, im Gelingen selbst noch gescheitert. Und wenn auch König Witichis in seinem steten Mute die Gedrücktheit des Heeres nicht teilte, so erkannte er dafür desto klarer, daß er seit jenem blutigen Tage das ganze System der Belagerung ändern mußte.
Der Verlust der Goten war ungeheuer; Prokop schätzt ihn auf dreißigtausend Tote und mehr als ebenso viele Verwundete: sie hatten sich im ganzen Umkreis der Stadt mit äußerster Todesverachtung den Geschossen der Belagerten ausgesetzt und am pankratischen Tor und bei dem Grabmal Hadrians waren sie zu Tausenden gefallen.
Da nun auch in den achtundsechzig früheren Gefechten die Angreifenden immer viel mehr als die hinter Mauer und Turm [] gedeckten Verteidiger gelitten hatten, so war das große Heer, das Witichis vor Monden gegen die ewige Stadt geführt, furchtbar zusammengeschmolzen. Dazu kam, daß schon seit geraumer Zeit Seuchen und Hunger in ihren Zelten wüteten. Bei dieser Entmutigung und Abnahme seiner Truppen mußte Witichis den Gedanken, die Stadt mit Sturm zu nehmen, aufgeben, und seine letzte Hoffnung – er verhehlte sich ihre Schwäche nicht – bestand in der Möglichkeit, der Mangel werde den Feind zur Übergabe zwingen. Die Gegend um Rom war völlig ausgesogen: und es schien nun darauf anzukommen, welche Partei die Entbehrung länger würde ertragen oder welche sich aus der Ferne würde Vorräte verschaffen können. Schwer fehlte den Goten die an der Küste von Dalmatien beschäftigte Flotte. –
Der erste, der sich von seiner Wunde erholte, war der Präfekt.
Von der Pforte, die er mit seinem Leibe verschlossen, bewußtlos weggetragen, lag er anderthalb Tage in einem Zustand, der halb Schlaf, halb Ohnmacht war.
Als er am Abend des zweiten Tages die Augen aufschlug, traf sein erster Blick auf den treuen Mauren, der am Fußende des Lagers auf der Erde kauerte und kein Auge von ihm wandte. Die Schlange war um seinen Arm gerollt.
»Die Holzpforte!« war des Präfekten erstes, noch schwach gehauchtes Wort, »die Holzpforte muß fort – ersetzt durch Marmorquadern ... –«
»Danke, danke dir, Schlangengott!« jubelte der Sklave, »jetzt ist der Mann gerettet. Und auch du selbst. Und ich, ich, Herr, habe dich gerettet.« Und er warf sich mit gekreuzten Armen nieder und küßte das Lagergestell seines Herrn. – Er wagte nicht, dessen Füße zu berühren. »Du mich gerettet? – Wodurch?«
»Als ich dich so totesbleich auf diese Decken gelegt, habe ich den Schlangengott herbeigeholt, dich ihm gezeigt und gesprochen: ›Du siehst, starker Gott, des Herrn Augen sind geschlossen. [] Hilf, daß er sie wieder aufschlägt. Bis du geholfen, erhältst du keine Krume Brot und keinen Tropfen Milch. Und wenn er die Augen nicht wieder aufschlägt – an dem Tage, da sie ihn verbrennen, verbrennt Syphax mit: aber du, o großer Schlangengott, desgleichen. Du kannst helfen: also hilf: oder brenne.‹ So sprach ich, und er hat geholfen.«
»Die Stadt ist sicher – das fühl' ich, sonst hätte ich nicht entschlafen können. Lebt Belisar? Ja! wo ist Prokop?«
»In der Bibliothek mit deinen Tribunen. Sie erwarten nach des Arztes Ausspruch noch heute dein Erwachen oder deinen ... –« – »Tod? Diesmal hat dein Gott noch geholfen, Syphax. Laß die Tribunen ein.«
Bald standen die Licinier, Piso, Salvius Julianus und einige andere vor ihm; sie wollten bewegt an sein Lager eilen: er winkte ihnen Ruhe zu. »Rom dankt euch, durch mich. Ihr habt gefochten wie – wie Römer. Mehr, Stolzeres kann ich euch nicht sagen.« Und er übersah wie nachsinnend die Reihe, dann sagte er: »Einer fehlt mir – ah mein Korinther! Die Leiche ist gerettet. Denn ich empfahl sie Piso, sie und die beiden Letoiden; setzt ihm als Denkmal eine schwarze Platte von korinthischem Marmor an die Stelle, wo er fiel: stellt die Statue des Apollo über die Aschenurne und schreibt darauf: ›Kallistratos von Korinth ist hier für Rom gestorben; er hat den Gott, der Gott nicht ihn gerettet.‹ Jetzt geht, bald sehen wir uns wieder – auf den Wällen. Syphax, nun sende mir Prokop. Und bring einen großen Becher Falernerwein.« – »Freund,« rief er dem eintretenden Prokopius entgegen, »mir ist, ich habe vor diesem Fieberschlaf noch flüstern hören: ›Prokop hat den großen Belisar gerettet.‹ Ein unsterblich Verdienst! Die ganze Nachwelt wird dir's danken – so brauch ich's nicht zu tun. Setze dich hierher und erzähle mir das Ganze ... – Aber halt: erst schiebe die Kissen zurecht, daß ich meinen Cäsar wieder sehen kann. Sein Anblick stärkt mehr als Arzneien. Nun sprich.«
[] Prokopius sah den Liegenden durchdringend an.
»Cethegus,« sagte er dann, ernsten Tones, »Belisar weiß alles.« – »Alles?« lächelte der »Präfekt, das ist viel.« – »Laß den Spott und versage Bewunderung nicht dem Edelsinn: du, der du selber edel bist« – »Ich? Nicht daß ich wüßte.« – »Sowie er zum Bewußtsein kam, hat ihm Bessas natürlich sofort alles mitgeteilt, hat ihm haarklein erzählt, wie du befohlen, das Tor gesperrt zu halten, als Belisar in seinem Blute davor lag, den wütigen Teja auf den Fersen: daß du befohlen, seine Leibwächter niederzuhauen, die mit Gewalt öffnen wollten: jedes Wort von dir hat er berichtet, auch deinen Ausruf: ›Erst Rom, dann Belisar‹: und hat deinen Kopf verlangt im Rat der Feldherren. Ich erbebte. Aber Belisarius sprach: ›er hat recht getan! hier, Prokop, bring ihm mein eigen Schwert und die ganze Rüstung, die ich an jenem Tage trug, zum Dank.‹ Und in dem Bericht an den Kaiser hat er mir die Worte diktiert: ›Cethegus hat Rom gerettet und nur Cethegus! Schick' ihm den Patriciat von Byzanz!‹«
»Ich danke: ich habe Rom nicht für Byzanz gerettet.« – »Das brauchst du mir nicht erst zu sagen, unattischer Römer.«
»Ich bin nicht in attischer Laune, Lebensretter! Was war dein Dank?«
»Still. Er weiß nichts davon. Und soll es nie erfahren.«
»Syphax, Wein. – So viel Edelsinn kann ich nicht vertragen! Es macht mich schwach. Nun, wie war der Reiterspaß?«
»Freund, das war kein Spaß. Sondern der furchtbarste Ernst, der mir noch begegnet. Um ein Haar fehlte es, so war Belisar verloren.«
»Ja, es ist jenes Eine Haar, um das es immer fehlt bei diesen Goten! Dumme Tölpel sind sie samt und sonders.«
»Du sprichst, als wär' es dir sehr leid, daß Belisar nicht umgekommen.«
[] »Recht wär ihm geschehn. Ich hab' ihn dreimal gewarnt. Er sollte endlich wissen, was einem alten Feldherrn ziemt und was einem jungen Raufbold.«
»Höre,« sagte Prokop, ihn ernsthaft betrachtend, »du hast dir ein Recht erworben, so zu sprechen, vor dem Grabmal Hadrians. Früher, wenn du des Mannes Heldentum herabzogst ...« – »Dachtest du, ich spräche aus Neid gegen den tapfern Belisar! Hört es, ihr unsterblichen Götter.«
»Ja, zwar deine gepidischen Lorbeern ...« –
»Laß mich mit diesen Knabenstreichen zufrieden! Freund, wenn es gilt, muß man den Tod verachten, sonst aber vorsichtig das Leben lieben. Denn nur die Lebendigen herrschen und lachen, nicht die stummen Toten. Das ist meine Weisheit, und nenn' es meine Feigheit, wenn du willst. Also – euer Überfall – mach's kurz! Wie ging's?«
»Scharf genug. Als wir die Gegend erkundet hatten, – alles schien frei vom Feind und sicher zum Futterholen –, da wandten wir die Rosse allmählich wieder gegen die Stadt, die wenigen Ziegen und die magern Schafe, die wir aufgetrieben, in der Mitte, Belisar voran, der junge Severinus, Johannes und ich an seiner Seite. Plötzlich, wie wir aus dem Dorf ad aras Bacchi ins Freie kommen, jagen aus den Gehölzen zu beiden Seiten der valerischen Straße von links und rechts gotische Reiter auf uns zu. Ich sah, daß sie uns stark überlegen waren und riet die Flucht mitten durch sie hindurch auf der Straße nach Rom zu versuchen. Aber Belisar meinte: ›Viele sind es, doch nicht allzu viele‹, und sprengte gegen die Angreifer zur Linken, ihre Reihen zu durchbrechen. Doch da kamen wir übel an: die Goten ritten besser und fochten besser als unsre mauretanischen Reiter: und ihre Führer, Totila und Hildebad – jenen erkannte ich an den langflatternden gelben Haaren und diesen an der ungeschlachten Größe –, hielten sichtlich scharf auf den Feldherrn selbst. ›Wo ist Belisar und [] sein Mut?‹ schrie der lange Hildebad vernehmlich durch das Klirren der Waffen.
›Hier!‹ antwortete dieser unverzüglich: und ehe wir ihn abhalten konnten, hielt er schon dem Riesen gegenüber. Der war nicht faul und hieb ihm mit seinem wuchtigen Beil auf den Helm, daß der goldene Kamm mit dem weißen Roßhaarbüschel zerschmettert zur Erde rollte und Belisars Haupt bis auf den Kopf des Pferdes niederfuhr. Und schon holte jener zum zweiten, dem tödlichen Streiche aus: da war der junge Severinus, des Boëthius Sohn, heran und fing den Hieb mit dem runden Schilde auf. Aber das Beil des Barbaren drang durch den Schild und flog noch tief in den Hals des edeln Jünglings. Er stürzte« – Prokop stockte in schmerzlichen Gedanken.
»Tot?« fragte Cethegus ruhig.
»Ein alter Freigelassener seines Vaters, der ihn begleitete, trug ihn aus dem Gefecht. Doch starb er schon, so hört' ich, eh' er das Dorf erreichte.« – »Ein schöner Tod!« sagte Cethegus. »Syphax, einen neuen Becher Wein!«
»Belisar hatte sich aber inzwischen aufgerafft und stieß nun in großem Zorn mit seinem Speer dem Goten so gewaltig auf die Brustplatte seines Harnisches, daß er der Länge nach vom Pferde flog. Laut jubelten wir auf, aber der junge Totila« –
»Nun?«
»Sah kaum seinen Bruder fallen, als er sich grimmig durch die Lanzen der Leibwächter Bahn brach zu Belisar. Aigan, sein Bannerträger, wollte ihn decken, aber des Goten Schwert traf seinen linken Arm: er riß ihm die Fahne aus der erschlafften Hand und warf sie dem nächsten Goten zu. Laut auf schrie Belisar vor Zorn und wandte sich gegen ihn: aber der junge Totila ist rasch wie der Blitz, und zwei scharfe Hiebe trafen, eh' er sich's versah, des Feldherrn beide Schultern: der wankte im Sattel und sank langsam vom Pferd, das im selben Augenblick [] ein Wurfspeer traf und niederwarf. ›Gib dich gefangen, Belisar!‹ rief Totila.
Der Feldherr hatte gerade noch die Kraft, das Haupt verneinend zu schütteln, da sank er vollends zur Erde. Rasch war ich abgesprungen, hatte ihn auf mein eigen Pferd gehoben und der Sorge des Johannes empfohlen, der fünfzig Leibwächter um ihn scharte und ihn schnell aus dem Getümmel flüchtend nach der Stadt hin brachte.« – »Und du?«
»Ich focht zu Fuß weiter. Und es gelang mir, da jetzt unsre Nachhut eintraf, – die Vorräte in der Mitte hatten wir preisgegeben –, das Gefecht gegen Totila zu stellen. Aber nicht auf lange. Denn nun war auch die zweite Schar der gotischen Reiter heran; wie der Sturmwind sauste der schwarze Teja herzu, durchbrach unsern rechten Flügel, der ihm zunächst stand, von vorn, durchbrach dann meine eigene gegen Totila gerichtete Front von der Flanke und zersprengte unsern ganzen Schlachthaufen. Ich gab das Gefecht verloren, ergriff ein ledig Roß und eilte dem Feldherrn nach. Aber auch Teja hatte die Richtung von dessen Flucht erkannt und jagte uns wütend nach. An der fulvischen Brücke holte er die Bedeckung ein; Johannes und ich hatten mehr als die Hälfte der noch übrigen Leibwächter an der Brücke aufgestellt, den Übergang zu wehren, unter Principius, dem tapfern Pisidier, und Tarmuth, dem riesigen Isaurier. Dort fielen sie alle dreißig, zuletzt auch die beiden treuen Führer, von dem Schwerte des Teja allein, wie ich vernahm. Dort fiel die Blüte von Belisars Leibwächtern: darunter viele meiner nächsten Waffenfreunde, Alamundarus der Sarazene, Artasines der Perser, Zanter der Armenier, Longinus der Isaurier, Bucha und Chorsamantes die Massageten, Kutila der Thrakier, Hildeger der Vandale, Juphrut der Maure, Theodoritos und Georgios die Kappadokier. Aber ihr Tod erkaufte unsre Rettung. Wir holten hinter der Brücke unser hier zurückgelassenes Fußvolk ein, das dann noch die [] feindlichen Reiter so lang beschäftigte, bis das Tiburtinische Tor sich, – spät genug! – dem wunden Feldherrn öffnete. Dann eilt' ich, als wir ihn auf einer Sänfte Antoninens Pflege zugesandt, an das Grabmal Hadrians, wo, wie es hieß, die Stadt genommen sei, und fand dich dem Tode nah.«
»Und was hat jetzt Belisar beschlossen?«
»Seine Wunden sind nicht so schwer wie die deine und doch die Heilung langsamer. Er hat den Goten den Waffenstillstand gewährt, den sie verlangten, ihre vielen Toten zu bestatten.«
Cethegus fuhr auf von den Kissen. »Er hätte ihn verweigern sollen! Keine unnütze Verzögerung der Entscheidung mehr! ich kenne diese gotischen Stiere; nun haben sie sich die Hörner stumpf gestürmt: jetzt sind sie müd' und mürbe.
Jetzt kam die Zeit für einen letzten Schlag, den ich schon lang ersonnen. Die Hitze draußen in der glühenden Ebene werden ihre großen Leiber schlecht ertragen: schlechter den Hunger: am schlechtesten den Durst. – Denn der Germane muß saufen, wenn er nicht schnarcht oder prügelt. Nun braucht man nur ihren vorsichtigen König noch ein wenig einzuschüchtern. Sage Belisar meinen Gruß: und mein Dank für sein Schwert sei mein Rat: Er solle noch heute den gefürchteten Johannes mit achttausend Mann durch das Picenum gegen Ravenna schicken: die flaminische Straße ist frei und wird wenig gedeckt sein: denn Witichis hat die Besetzungen aller Festungen hierher gezogen: und leichter gewinnen wir jetzt Ravenna, als die Barbaren Rom. Sowie aber der König Ravenna, seinen allerletzten Hort, bedroht sieht, wird er eilen, ihn um jeden Preis zu retten. Er wird sein Heer hinwegziehen von diesen uneinnehmbaren Mauern und wieder der Verfolgte statt des Verfolgers sein.« – »Cethegus,« sprach Prokop aufspringend, »du bist ein großer Feldherr.« – »Nur nebenbei, Prokopius! geh jetzt und grüße mir den großen Sieger Belisar.«
[] Fünfzehntes Kapitel.
An dem letzten Tage des Waffenstillstandes konnte Cethegus bereits wieder auf den Wällen des Grabmals Hadrians erscheinen, wo ihn seine Legionare und Isaurier mit lautem Zuruf begrüßten. Sein erster Gang war zu dem Grabmal des Kallistratos; er legte auf die schwarze Marmorplatte einen Kranz von Lorbeern und von Rosen nieder. Während er von hier aus die Verstärkung der Befestigungen anordnete, brachte ihm Syphax ein Schreiben von Mataswintha.
Es lautete lakonisch genug: »Mach' bald ein Ende. Nicht länger kann ich den Jammer ansehn. Die Bestattung von vierzigtausend Männern meines Volks hat mir die Brust zerrissen. Die Klagelieder schienen alle mich anzuklagen. Währt das noch länger, so erlieg' ich. Der Hunger wütet furchtbar in dem Lager. Ihre letzte Hoffnung ist eine große Zufuhr von Getreide und Vieh, die aus Südgallien unter Segel ist. An den nächsten Calenden wird sie auf der Höhe von Portus erwartet. Handle danach – aber mach' rasch ein Ende.«
»Triumph,« sprach der Präfekt, »die Belagerung ist aus. Unsre kleine Flotte lag bisher fast müßig zu Populonium. Jetzt soll sie Arbeit finden. Diese Königin ist die Erinnys der Barbaren.« Und er ging selbst zu Belisar, der ihn mit edler Großheit empfing. –
In derselben Nacht, der letzten der Waffenruhe, zog Johannes zum pincianischen Tore hinaus, dann links nach der flaminischen Straße schwenkend. Ravenna war sein Ziel. Und eilende Boten flogen zur See mit raschen Segeln nach Populonium, wo sich ein kleines römisches Geschwader gesammelt hatte. Der Kampf um die Stadt ruhte, trotz Ablauf des Waffenstillstands, fast ganz. Eine Woche darauf etwa, machte der König, der sein Schmerzenslager zum erstenmal verließ, in Begleitung seiner Freunde den ersten Gang durch die Zelte. [] Drei von den sieben vormals menschenwimmelnden Lagern waren völlig verödet und aufgegeben: auch die übrigen vier waren nur noch spärlich bevölkert. Todmüde, ohne Klage, aber auch ohne Hoffnung, lagen die abgemagerten Gestalten, von Hunger und Fieber verzehrt, vor ihren Zelten.
Kein Zuruf, kein Gruß erfreute den wackern König auf seinem schmerzensreichen Gang: kaum daß sie die müden Augen aufschlugen bei dem Schall der nahenden Schritte.
Aus dem Innern der Zelte drang das laute Stöhnen der Kranken, der Sterbenden, die den Wunden, dem Mangel, den Seuchen erlagen. Kaum fand man die hinlängliche Zahl von Gesunden, die nötigsten Posten zu beziehen. Die Wachen schleppten die Speere hinter sich her, zu matt, sie aufrecht oder auf der Schulter zu tragen.
Die Heerführer kamen an die Schanzen vor dem aurelischen Tor; im Wallgraben lag ein junger Schütz und kaute an dem bittern Gras. Hildebad rief ihm zu: »Beim Hammer! Gunthamund, was ist das? deine Sehne ist ja gesprungen, was ziehst du keine andre auf?« – »Kann nicht, Herr, die Sehne sprang gestern bei meinem letzten Schuß. Und ich und die drei Bursche neben mir, wir haben die Kraft nicht, eine neue aufzuziehen.« Hildebad gab ihm einen Trunk aus seiner Lederflasche: »Hast du auf einen Römer geschossen?« – »O nein, Herr,« sagte der Mann, »eine Ratte nagte dort an der Leiche. Ich traf sie glücklich und wir teilten sie zu viert.«
»Iffaswinth, wo ist dein Oheim Iffamer?« fragte der König. »Tot, Herr.«
»Er fiel hinter dir, als er dich hinwegtrug. Vor dem verfluchten Marmorgrab.«
»Und dein Vater Iffamuth?« – »Auch tot. Er vertrug's nicht mehr, das giftige Wasser aus den Pfützen. Der Durst, König, brennt noch heißer als der Hunger. Und es will ja nicht regnen aus diesem bleiernen Himmel.« »Ihr seid alle aus [] dem Athesistal?« »Ja, Herr König, vom Iffinger Berg. O welch' köstlich Quellwasser dort daheim!«
Teja sah in einiger Entfernung einen andern Krieger aus seiner Sturmhaube trinken. Seine Züge verfinsterten sich noch mehr. »He, du, Arulf!« rief er ihm zu, »du scheinst nicht Durst zu leiden?« – »Nein, ich trinke oft,« sprach der Mann. »Was trinkst du?« – »Das Blut von den Wunden der Frischgefallnen. Anfangs ekelt's sehr: aber man gewöhnt's in der Verzweiflung.«
Schaudernd schritt Witichis weiter. »Schick' all meinen Wein ins Lager, Hildebad. Die Wachen sollen ihn teilen.« – »All' deinen Wein? O König, mein Schenkamt ist gar leicht geworden. Du hast noch anderthalb Krüge. Und Hildebrand, dein Arzt, sprach, du sollst dich stärken.«
»Und wer stärkt diese, Hildebad? Die Not macht sie zu wilden Tieren!«
»Komm mit nach Hause,« mahnte Totila, des Königs Mantel ergreifend. »Hier ist nicht gut sein.«
Im Zelt des Königs angelangt, setzten sich die Freunde schweigend um den schönen Marmortisch, der auf goldnen Gefäßen steinhartes verschimmeltes Brot aufwies und wenige Stücke Fleisch. »Es war das letzte Pferd aus den königlichen Ställen,« sagte Hildebad, – »bis auf Boreas.« – »Boreas wird nicht geschlachtet! – mein Weib, mein Kind sind auf seinem Rücken gesessen.«
Und er stützte das müde Haupt auf die beiden Hände: eine neue schwere Pause trat ein. »Freunde,« hob er endlich an, »das geht nicht länger also. Unser Volk verdirbt vor diesen Mauern. Mein Entschluß ist schwer und schmerzlich gereift –.«
»Sprich's noch nicht aus, o König!« rief Hildebad. »In wenig Tagen trifft Graf Odoswinth von Cremona ein mit der Flotte: und wir schwelgen in allem Guten.«
»Er ist noch nicht da!« sprach Teja.
»Und unser Verlust an Menschen, so schwer er ist,« ermutigte [] Totila, »wird er nicht durch frische Mannschaft ersetzt, wenn Graf Ulithis von Urbinum eintrifft, mit den Besatzungen, die der König aus den Festen von Ravenna bis Rom weggezogen hat, unsre leeren Zelte zu füllen?«
»Auch Ulithis ist noch nicht da,« sprach Teja. »Er soll noch in Picenum stehen. Und kommt er glücklich an, so wird der Mangel im Lager noch größer.«
»Doch auch die Römerstadt muß fasten!« meinte Hildebad, das harte Brot mit der Faust auf dem Steintisch zerschlagend. »Laß sehn, wer's länger aushält!«
»Oft hab' ich's überdacht in schweren Tagen und schlummerlosen Nächten,« fuhr der König langsam fort.
»Warum? warum das alles so kommen mußte? Nach bestem Gewissen hab' ich immer wieder Recht und Unrecht abgewogen, zwischen unsern Feinden und uns: und ich kann's nicht anders finden, als daß Recht und Treue auf unsrer Seite stehen. Und wahrlich, an Kraft und Mut haben wir's nicht fehlen lassen.«
»Du am wenigsten,« sagte Totila.
»Und an keinem schwersten Opfer!« seufzte der König. »Und wenn nun doch, wie wir alle sagen, ein Gott im Himmel waltet, gerecht und gut und allgewaltig, warum läßt er all dies ungeheure, unverdiente Elend zu? Warum müssen wir erliegen vor Byzanz?«
»Wir dürfen aber nicht erliegen,« schrie Hildebad. »Ich habe nie viel gegrübelt über unsern Herrgott. Aber wenn er das geschehen ließe, müßte man Sturm laufen gegen den Himmel und ihm seinen Thron mit Keulen zerschlagen.«
»Lästre nicht, mein Bruder!« sprach Totila. »Und du, mein edler König, Mut und Vertrauen.
Ja, es waltet ein gerechter Gott dort über den Sternen. Drum muß zuletzt die gute Sache siegen. Mut, mein Witichis, und Hoffnung, bis ans Ende.«
[] Aber der Tiefgebeugte schüttelte das Haupt. »Ich gestehe es euch, ich habe aus diesem Irrsal, aus den schrecklichen Zweifeln an Gottes Gerechtigkeit, nur einen Ausweg gefunden. Es kann nicht sein, daß wir all dies schuldlos leiden. Und da unsres Volkes Sache zweifellos gerecht, so muß verborgne Schuld an mir, an eurem König haften. Wiederholt, erzählen unsre Lieder aus der Heidenzeit, hat sich ein König für sein Volk selbst den Göttern geopfert, wenn Unsieg, Seuche, Mißwachs jahrelang den Stamm verfolgte. Er hat die verborgne Schuld auf sich genommen, die auf den Volksgenossen zu lasten schien und sie durch Tod gebüßt, oder indem er ohne die Krone ins Elend ging, ein friedloser Landflüchtiger. – Laßt mich die Krone abtun von diesem Haupt ohne Glück noch Stern. Wählt einen andern, dem Gott nicht zürnt: wählt Totila, oder –«
»Das Wundfieber faselt noch aus dir!« unterbrach ihn der alte Waffenmeister. »Du mit Schuld beladen! du, der Treueste von uns allen! Nein, ich will's euch sagen, ihr Kinder allzujunger Tage, die ihr der Väter alte Kraft mit der Väter altem Glauben verloren habt und nun keinen Trost wißt für eure Herzen. Mich erbarmt eurer Reden ohne Zuversicht.« – Und seine grauen Augen leuchteten in seltnem Glanze über die Freunde hin. »Alles, was hier auf Erden erfreut und schmerzt, ist kaum der Freude noch des Schmerzes wert. Nur auf eines kommt es hier unten an: ein treuer Mann gewesen sein, kein Neiding, und den Schlachttod sterben, nicht den Strohtod. Den treuen Helden aber tragen die Walküren aus dem blutigen Feld auf roten Wolken hinauf in Odhins Saal, wo die Einheriar mit vollen Bechern ihn begrüßen. Dann reitet er alltäglich mit ihnen hinaus zu Jagd und Waffenspiel beim Morgenlicht und wieder herein zu Trunk und Skaldensang in goldner Halle beim Abendlicht. Und schöne Schildjungfrauen kosen mit den Jungen: und weise Vorzeitrunen raunen wir Alten mit den [] alten Helden der Vorzeit. Und ich werde sie alle wiederfinden, die starken Gesellen meiner Jugend, den kühnen Winithar und Herrn Waltharis von Aquitanien und Guntharis, den Burgunden. Und schauen werd' ich auch ihn, dessen Anblick ich lange begehrt: Herrn Beowulf, den Geaten, und aus grauen Urtagen den Cherusken, der zuerst die Römer schlug, von dem noch die Sänger der Sachsen singen und sagen. Und wieder trag' ich Schild und Speer meinem Herrn, dem König mit den Adleraugen. Und so leben wir fort in alle Ewigkeit in Licht und heller Freude, vergessen der Erde hier unten und alles ihres Wehs.«
»Ein schön Gedicht, alter Heide,« lächelte Totila. »Wenn uns aber das nicht mehr tröstet für wirkliches, herznagendes Leid? Sprich du doch auch, Teja, du finstrer Gast. Was ist dein Gedanke bei diesen unsern Leiden? Nie fehlt uns dein Schwert: was versagst du dein Wort? Was schweigt dein tröstender Harfenschlag, du liederkundiger Sänger?«
»Mein Wort,« sagte Teja aufstehend, »mein Wort und Gedanke wäre euch vielleicht schwerer zu tragen als all' dies Leid. Laß mich noch schweigen, mein sonnenheller Totila. Vielleicht kommt noch der Tag, da ich dir Antwort gebe. Vielleicht auch zur Harfe spiele, wenn dann noch eine Saite daran hält.« Und er schritt aus dem Zelte.
Denn draußen in dem Lager hatte sich ein wirrer, rätselhafter Lärm von rufenden, fragenden Stimmen erhoben.
Die Freunde sahen ihm schweigend nach. »Ich weiß wohl, was er denkt,« sagte der alte Hildebrand endlich. »Denn ich kenne ihn vom Knaben auf:
Er ist nicht wie andre. Auch im Nordland denken manche so, die nicht an Thor und Odhin glauben, sondern nur an die Not und ihre eigene Kraft und Stärke. Es ist fast zu schwer für ein Menschenherz. Und glücklich, – glücklich macht es nicht, wie er zu denken. Mich wundert, daß er singt und Harfe schlägt dabei.«
[] Da riß Teja, wieder eintretend, die Zeltvorhänge auf: sein Antlitz war noch bleicher als zuvor: seine dunkeln Augen blitzten: aber seine Stimme war ruhig wie sonst, da er sprach: »Brich das Lager ab, König Witichis. Unsre Schiffe sind bei Ostia in der Feinde Hand gefallen. Sie haben Graf Odoswinths Kopf ins Lager geschickt. Und sie lassen auf den Wällen Roms, vor den Augen unsrer Wachen, von den gefangenen Goten die erbeuteten Rinder schlachten. Große Verstärkungen aus Byzanz unter Valerian und Euthalius: Hunnen, Sclavenen und Anten, hat eine segelreiche Flotte aus Byzanz in den Tiber geführt. Denn der blutige Johannes hat das Picenum durchzogen ...« –
»Und Graf Ulithis?«
»Er hat Ulithis geschlagen und getötet, Ancona und Ariminum genommen. Und –«
»Ist das noch nicht alles?« rief der König.
»Nein, Witichis! Eile tut not! Er bedroht Ravenna: er steht nur noch wenige Meilen von der Stadt.«
Sechzehntes Kapitel.
Am Tage nach dem Eintreffen dieser für die Goten so verhängnisvollen Nachrichten hatte Witichis die Belagerung Roms aufgegeben und sein tief entmutigtes Heer aus den vier noch übrigen Lagern herausgezogen.
Ein volles Jahr und neun Tage hatte die Einschließung gewährt. So viel Mut und Kraft, so viele Anstrengungen und Opfer waren vergeblich gewesen.
Schweigend zogen die Goten an den stolzen Wällen vorüber, an denen ihr Glück und ihre Macht zerschellt waren. Schweigend trugen sie die höhnenden Worte, die Römer und »Romäer« (Byzantiner) ihnen von den sichern Zinnen herab zuriefen. Ihr Zorn und ihre Trauer waren zu groß, um durch solchen Spott getroffen zu werden.
[] Aber als Belisars Reiterei, aus dem pincianischen Tore brechend, die Abziehenden verfolgen wollte, wurde sie grimmig zurückgewiesen. Denn Graf Teja führte die gotische Nachhut.
So zog das Heer von Rom auf der flaminischen Straße durch Picenum in raschen Märschen (obwohl den von den Feinden besetzten Plätzen Narnia, Spoletium und Perusium ausgewichen werden mußte) nach Ravenna, wo Witichis zur rechten Zeit eintraf, die gefährliche Stimmung der Bevölkerung, die auf die Kunde von dem Unglück der Barbaren schon mit dem drohenden Johannes in geheime Verhandlungen getreten war, zu unterdrücken.
Johannes zog sich bei der Annäherung der Goten in seine letzte wichtige Eroberung Ariminum zurück. In Ancona lag Konon, der Nauarch Belisars, mit den thrakischen Speerträgern und mit Kriegsschiffen.
Der König führte aber keineswegs sein ganzes, von der Belagerung Roms aufgebrochenes Heer nach Ravenna, sondern hatte unterwegs viele Mannschaften in Festungen verteilt. Eine Tausendschaft ließ er unter Gibimer in Clusium in Tuscien, eine andre in Urbs Vetus unter Albila, eine halbe in Tudertum unter Wulfgis: in Auximum vier Tausendschaften unter Graf Wisand, dem tapfern Bandalarius: in Urbinum zwei unter Morra: in Caesena und Monsferetrus je eine halbe. Hildebrand entsandte er nach Verona, Totila nach Tarvisium und Teja nach Ticinum, da auch der Nordosten der Halbinsel durch byzantinische, von Istrien aus drohende Truppen gefährdet wurde.
Er tat dies übrigens noch aus andern Gründen.
Einmal, um Belisar auf dem Wege nach Ravenna aufzuhalten. Dann, um im Fall einer Einschließung nicht wieder sobald durch die große Stärke des Heeres dem Mangel ausgesetzt zu sein. Und endlich, um für den nämlichen Fall die Belagerer auch vom Rücken, und zwar von mehreren Seiten [] her beunruhigen zu können. Sein Plan war zunächst, die seinem Hauptstützpunkt Ravenna drohende Gefahr abzuwenden, und sich mit seinen zerrütteten Streitkräften auf die Verteidigung zu beschränken, bis fremde Hilfstruppen, langobardische und fränkische, die er erwartete, ihn in den Stand setzen wurden, wieder das offne Feld zu halten.
Aber die Hoffnung, Belisar auf seinem Wege nach Ravenna durch diese gotischen Burgen hinzuhalten, erfüllte sich nicht. Er begnügte sich, sie durch beobachtende Truppen einzuschließen, und zog ohne weiteres gegen die Hauptstadt und den letzten bedeutenden Waffenplatz der Goten. »Habe ich das Herz zum Tode getroffen,« sagte er, »werden sich die geballten Fäuste von selbst öffnen.«
* * *
Und so dehnten sich alsbald um die Königsstadt Theoderichs in weit gestrecktem Bogen die Zelte der Byzantiner, an allen drei Landseiten, von der Hafenstadt Classis an bis zu den Kanälen und Zweigarmen des Padus, die im Westen besonders die Verteidigung der Festungslinien bildeten.
Zwar hatte die alte, vornehme Stadt damals schon viel verloren von dem Schimmer, in dem sie seit zwei Jahrhunderten fast strahlte als Residenz der Imperatoren: und auch das letzte Abendrot, das die glorreiche Regierung Theoderichs über sie gebreitet, war seit dem Ausbruch des Krieges verschwunden.
Aber gleichwohl. Welche andern Eindruck muß damals die immer noch volkreiche, dem heutigen Venedig gleichende Wasserstadt gemacht haben als heute, wo es den Wandrer aus den ausgestorbnen Straßen, den leeren Plätzen, den einsam schweigenden Basiliken nicht minder melancholisch anhaucht als draußen, vor den Mauern der Stadt, wo sich weithin die öde Sumpflandschaft der Padusniederungen dehnt, bis sie in den Schlamm des weit zurückgetretenen Meeres auslaufen.
Wo einst in der Hafenstadt Classis zu Wasser und zu Lande [] geschäftiges Leben wogte, wo die stolzen Trieren der kaiserlichen Adriaflotte tief schaukelnd sich wiegten, da liegen jetzt sumpfige Wiesen, in deren hohem Schilf und Riedgras verwilderte Büffel grasen; versumpft die Straßen, versandet der Hafen, verschollen das Volk, das hier freudig geherrscht: – nur ein riesiger runder Turm aus der Gotenzeit steht noch neben der allein erhaltnen, einsamen Basilika San Apollinare in Classe fuori, die, von Witichis begonnen, von Justinian vollendet, nun eine Stunde fern von aller Menschenwohnung auf der sumpfigen Ebene trauernd ragt.
Die starke Seefestung galt für uneinnehmbar: darum hatten sie seit dem Sinken ihrer Macht, und der wachsenden Gefährdung Italiens durch die Barbaren, die Kaiser zur Residenz gewählt. Die Südostseite deckte das damals noch bis an und in ihre und der Hafenstadt Mauern spülende Meer.
Und um alle drei Landseiten hatten Natur und Kunst ein labyrinthisches Netz von Kanälen, Gräben und Sümpfen des vielarmigen Padus gesponnen, in welchem sich der Belagerer rettungslos verstricken mußte. Und diese Mauern! noch jetzt erfüllen ihre gewaltigen Reste mit Staunen; ihre ungeheure Dicke und – weniger ihre Höhe als – die Anzahl von starken Rundtürmen, die von ihren Zinnen noch heute aufsteigen, trotzten vor der Erfindung der Feuerwaffe jedem Sturm, jedem gewaltsamen Angriff. Nur durch Aushungerung hatte nach fast vierjährigem Widerstand der große Theoderich diese letzte Zuflucht Odoakars bezwungen.
Vergebens hatte Belisar versucht, gleich nach seiner Ankunft die Stadt mit Sturm zu nehmen. Kräftig ward sein Angriff abgewiesen, und die Belagerer mußten sich begnügen, die Festung enge zu umschließen und, wie einst der Gotenkönig, durch Mangel zur Übergabe zu nötigen. Dem aber konnte Witichis getrost entgegensehn. Denn er hatte mit der Vorsicht, die ihm eigen, in diesem seinem Hauptbollwerk, schon vor dem Aufbruch nach [] Rom, Vorräte aller Art, namentlich aber Getreide, in außerordentlicher Menge in besonders von ihm (mit Benutzung und in den Räumen des ungeheuren Marmorzirkus des Theodosius) erbauten Kornspeichern von Holzgezimmer aufgehäuft. Diese ausgedehnten Holzbauten, gerade gegenüber dem Palast und der Basilika Sancti Apollinaris, waren des Königs Stolz, Freude und Trost. Nur weniges von diesen Nahrungsmitteln hatte man durch das von den Feinden durchstreifte Land nach dem Lager vor Rom führen können: und bei einiger Sparsamkeit reichten diese Magazine ohne Zweifel für die Bevölkerung und das nicht mehr zahlreiche Heer leicht noch zwei und drei Monate aus. Bis dahin aber war das Eintreffen eines fränkischen Hilfsheeres infolge der aufs neue angeknüpften Verhandlungen sicher zu erwarten. Und dieser Entsatz mußte notwendig die Aufhebung der Belagerung herbeiführen.
Dies wußten – oder ahnten doch – Belisar und Cethegus so gut wie Witichis: und rastlos spähten sie nach allen Seiten, ein Mittel zu finden, den Fall der Stadt zu beschleunigen. Der Präfekt suchte natürlich vor allem seine geheime Verbindung mit der Gotenkönigin zu diesem Zwecke zu benutzen. Aber einmal war der Verkehr mit ihr jetzt sehr erschwert, da die Goten alle Ausgänge der Stadt sorgfältig überwachten. Und dann schien auch Mataswintha wesentlich verändert und keineswegs mehr so bereit und willfährig, sich als Werkzeug gebrauchen zu lassen, wie ehedem.
Sie hatte eine rasche Vernichtung oder Demütigung des Königs erwartet. Das lange Hinzögern ermüdete sie: und zugleich hatten die großen Leiden ihres Volkes in Kampf und Hunger und Krankheit angefangen, sie zu erschüttern.
Dazu kam endlich, daß die traurige Verwandlung in dem sonst so kräftigen und gesundfreudigen Wesen des Königs, der stille, aber tiefe und finstre Gram, der über seiner Seele lag, mächtig an ihrem Herzen rüttelte. Wenn sie auch mit der [] ganzen Ungerechtigkeit des Schmerzes, mit dem bittern Stolz gekränkter Liebe ihn verklagte, daß er ihr Herz verworfen und doch, um der Krone willen, mit Gewalt ihre Hand erzwungen hatte, und wenn sie ihn dafür auch mit der ganzen leidenschaftlichen Glut ihres Wesens zu hassen glaubte und zum Teil auch wirklich haßte, so war doch dieser Haß nur umgeschlagene Liebe. Und als sie ihn nun von dem schweren Unglück der gotischen Waffen, von dem Fehlschlagen all' seiner Pläne – an dem ihr heimtückischer Verrat so großen Anteil trug, – tief, bis zur krankhaft-schwermütigen Verfinsterung des Geistes, zu marternder Selbstpeinigung niedergebeugt sah, so wirkte dieser Anblick gewaltig auf ihre aus Härte und Glut seltsam gemischte Natur.
Sie hätte im Augenblick des schmerzlichen Zornes mit Entzücken sein Blut fließen sehen. Aber mondenlang ihn mit bohrendem Gram sich selbst zerstören sehen, – das ertrug sie nicht. Zu dieser weichern Stimmung trug aber endlich wesentlich bei, daß sie seit der Ankunft in Ravenna auch eine Veränderung in des Königs Benehmen gegen sie selbst bemerkt zu haben glaubte. Spuren von Reue, dachte sie, von Reue über die Gewaltsamkeit, mit welcher er in ihr Leben eingegriffen hatte.
Und weil sich in diesem Glauben ihr hartes, schroffes Auftreten bei den selten und immer nur vor Dritten erfolgenden Begegnungen unwillkürlich gemildert hatte, erblickte Witichis hierin einen erfreulichen Schritt des Entgegenkommens, den er stillschweigend ebenfalls mit freundlicheren Formen anerkannte und lohnte. Grund genug für Mataswinthens beweglich flutende Gedanken, die Anträge des Präfekten, selbst wenn diese manchmal noch durch des klugen Mauren Vermittelung an sie gelangten, abzuweisen.
Doch hatte der Präfekt aus dieser Quelle schon während des Zuges gegen Ravenna erfahren, was später auch sonst bekannt wurde, daß die Goten Hilfe von den Franken erwarteten. [] Unverzüglich hatte er deshalb seine alten Verbindungen mit den Vornehmen und Großen, die an den Höfen zu Mettis (Metz), Aurelianum (Orleans) und Suessianum (Soissons) im Namen der merowingischen Schattenkönige herrschten, wieder angeknüpft, um die Franken, deren damals sprichwörtlich gewordne Falschheit gute Aussicht auf Gelingen solcher Versuche gewährte, von dem gotischen Bündnis wieder abzuziehen.
Und als die Sache durch diese Freunde gehörig vorbereitet war, hatte er an König Theudebald, der zu Mettis Hof hielt, selbst geschrieben und ihn dringend gewarnt, bei einer so verlornen Sache, wie die gotische seit dem Scheitern der Belagerung Roms offenbar geworden, sich zu beteiligen. Diesen Brief hatten reiche Geschenke an seinen alten Freund, den Majordomus des schwachen Königs, begleitet: und sehnlich erwartete der Präfekt von Tag zu Tag die Antwort auf denselben: um so sehnlicher, als das veränderte Benehmen Mataswinthens die Hoffnung auf raschere Überwältigung der Goten abgeschnitten hatte.
Die Antwort kam, gleichzeitig mit einem kaiserlichen Schreiben aus Byzanz, an einem für die Helden in und außer Ravenna gleich verhängnisvollen Tage.
Siebzehntes Kapitel.
Hildebad, ungeduldig über das lange Müßigliegen, hatte aus der ihm zu besonderer Obhut anvertrauten Porta Faventina mit Tagesanbruch einen heftigen Ausfall auf das byzantinische Lager gemacht, anfangs in ungestümem Anlauf rasche Vorteile errungen, einen Teil der Belagerungswerkzeuge verbrannt und ringsum Schrecken verbreitet.
Er hätte unfehlbar noch viel größern Schaden angerichtet, wenn nicht der rasch herbeieilende Belisar an diesem Tage all' [] seine Feldherrnschaft und all' sein Heldentum zugleich entfaltet hätte. Ohne Helm und Harnisch, wie er vom Lager aufgesprungen, hatte er sich zuerst seinen eignen fliehenden Vorposten, dann den gotischen Verfolgern entgegengeworfen und durch äußerste persönliche Anstrengung und Aufopferung das Gefecht zum Stehen gebracht. Darauf aber hatte er seine beiden Flanken so geschickt verwendet, daß Hildebads Rückzug ernstlich bedroht war und die Goten, um nicht abgeschnitten zu werden, all' ihre errungenen Vorteile aufgeben und schleunigst in die Stadt zurückeilen mußten.
Cethegus, der mit seinen Isauriern vor der Porta Honoriana lag und zur Hilfe herbeikam, fand das Treffen schon beendet und konnte nicht umhin, nach her Belisar in seinem Zelte aufzusuchen und ihm, als Feldherrn wie als Krieger, seine Anerkennung auszusprechen, ein Lob, das Antonina begierig einsog. »Wirklich, Belisarius,« schloß der Präfekt, »Kaiser Justinian kann dir das nicht vergelten.«
»Da sprichst du wahr,« antwortete Belisar stolz: »er vergilt mir nur durch seine Freundschaft. Für seinen Feldherrnstab könnte ich nicht tun, was ich für ihn schon getan habe und noch immer tue. Ich tu's, weil ich ihn wirklich liebe. Denn er ist ein großer Mann mit allen seinen Schwächen. Wenn er nur Eins noch lernte: mir vertrauen. Aber getrost: – er wird's noch lernen.«
Da kam Prokop und brachte einen Brief von Byzanz, der soeben von einem kaiserlichen Gesandten überbracht worden. Mit freudestrahlendem Antlitz sprang Belisar, aller Müdigkeit vergessen, vom Polster auf, küßte die purpurnen Schnüre, durchschnitt sie dann mit dem Dolch und öffnete das Schreiben mit den Worten: »Von meinem Herrn und Kaiser selbst! Ah, nun wird er mir die Leibwächter senden und den lang geschuldeten Sold, den ich erwarte, und das vorgeschossene Gold.«
Und er begann zu lesen.
[] Aufmerksam beobachteten ihn Antonina, Prokop und Cethegus: seine Züge verfinsterten sich mehr und mehr: seine breite Brust fing an, sich wie in schwerem Krampf zu heben: die beiden Hände, mit welchen er das Schreiben hielt, zitterten. Besorgt trat Antonina heran: aber ehe sie fragen konnte, stieß Belisar einen dumpfen Schrei der Wut aus, schleuderte das kaiserliche Schreiben auf die Erde und stürzte außer sich aus dem Gezelt, eilend; folgte ihm seine Gattin.
»Jetzt darf ihm nur Antonina vor die Augen,« sagte Prokop, den Brief aufhebend. »Laß sehn: wohl wieder ein Stücklein kaiserlichen Dankes,« – und er las: »Der Eingang ist Redensart, wie gewöhnlich – aha, jetzt kommt es besser:
›Wir können gleichwohl nicht verhehlen, daß wir, nach Deinen eignen früheren Berühmungen, eine raschere Beendigung des Krieges gegen diese Barbaren erwartet hätten, und glauben auch, daß eine solche bei größerer Anstrengung nicht unmöglich gewesen wäre. Deshalb können wir Deinem wiederholt geäußerten Wunsche nicht entsprechen, Dir Deine übrigen fünftausend Mann Leibwächter, die noch in Persien stehen, sowie die vier Zentenare Goldes nachzusenden, die in Deinem Palaste in Byzanz liegen.
Allerdings sind beide, wie Du in Deinem Briefe ziemlich überflüssigermaßen bemerkst, Dein Eigentum: und Dein in demselben Brief geäußerter Entschluß, Du wolltest diesen Gotenkrieg bei dermaliger Erschöpftheit des kaiserlichen Säckels aus eignen Mitteln zu Ende führen, verdient, daß wir ihn als pflichtgetreu bezeichnen. Da aber, wie Du in gleichem Briefe richtiger hinzugefügt, all' Dein Hab' und Gut Deines Kaisers Majestät zu Diensten steht und kaiserliche Majestät die erbetene Verwendung Deiner Leibwächter und Deines Goldes in Italien für überflüssig halten muß, so haben wir, Deiner Zustimmung gewiß, anderweitig darüber verfügt und bereits Truppen und Schätze, zur Beendung des Perserkriegs, Deinem Kollegen [] Narses übergeben.‹ – Ha, unerhört!« unterbrach sich Prokop.
Cethegus lächelte: »Das ist Herrendank für Sklavendienst.«
»Auch das Ende scheint hübsch,« fuhr Prokopius fort. – ›Eine Vermehrung Deiner Macht in Italien aber scheint uns um so minder wünschbar, als man uns wieder täglich vor Deinem ungemessenen Ehrgeiz warnt.
Erst neulich sollst du beim Weine gesagt haben: das Zepter sei aus dem Feldherrnstab und dieser aus dem Stock entstanden: gefährliche Gedanken und ungeziemende Worte.
Du siehst, wir sind von Deinen ehrgeizigen Träumen unterrichtet.
Diesmal wollen wir warnen, ohne zu strafen: aber wir haben nicht Lust, Dir noch mehr Holz zu deinem Feldherrnstab zu liefern: und wir erinnern Dich, daß die stolzest ragenden Wipfel dem kaiserlichen Blitz am nächsten stehn.‹
»Das ist schändlich!« rief Prokop. »Nein, das ist schlimmer: es ist dumm!« sagte Cethegus. »Das heißt die Treue selbst zum Aufruhr peitschen.«
»Recht hast du,« schrie Belisar, der, wieder hereinstürmend, diese Worte noch gehört hatte. »Oh, er verdient Aufruhr und Empörung, der undankbare, boshafte, schändliche Tyrann.«
»Schweig! Um aller Heiligen willen, du richtest dich zugrunde!« beschwor ihn Antonina, die mit ihm wieder eingetreten war und suchte seine Hand zu fassen.
»Nein, ich will nicht schweigen,« rief der Zornige, an der offenen Zelttür auf und nieder rennend, vor welcher Bessas, Acacius, Demetrius und viele andre Heerführer mit Staunen lauschend standen. »Alle Welt soll's hören. Er ist ein undankbarer, heimtückischer Tyrann! Ja du verdientest, daß ich dich stürzte! Daß ich dir täte nach dem Argwohn deiner falschen Seele, Justinianus!«
Cethegus warf einen Blick auf die draußen Stehenden: sie [] hatten offenbar alles vernommen: jetzt, eifrig Antoninen winkend, schritt er an den Eingang und zog die Vorhänge zu. Antonina dankte ihm mit einem Blicke. Sie trat wieder zu ihrem Gatten: aber dieser hatte sich jetzt neben dem Zeltbett auf die Erde geworfen, schlug die geballten Fäuste gegen seine Brust und stammelte: »O Justinianus, hab' ich das um dich verdient? O zu viel, zu viel!« Und plötzlich brach der gewaltige Mann in einen Strom von hellen Tränen aus. Da wandte sich Cethegus verächtlich ab: »Leb wohl,« sagte er leise zu Prokopius, »mich ekelt es, wenn Männer heulen.«
Achtzehntes Kapitel.
In schweren Gedanken schritt der Präfekt aus dem Zelt und ging, das Lager umwandelnd, nach der ziemlich entlegenen Verschanzung, wo er mit seinen Isauriern sich eingegraben hatte vor dem Tor des Honorius. Es war auf der Südseite der Stadt, nahe dem Hafenwall von Classis, und der Weg führte zum Teil am Meeresstrand entlang.
So sehr den einsamen Wanderer in diesem Augenblick der große Gedanke, der der Pulsschlag seines Lebens geworden war, beschäftigte, so schwer die Unberechenbarkeit Belisars, dieses gefühlsüberschwenglichen Gemütsmenschen, und die Spannung wegen der Antwort der Franken gerade jetzt auf ihm lastete, – doch ward seine Merksamkeit, wenn auch nur vorübergehend, auf das außergewöhnliche Aussehen der Landschaft, des Himmels, der See, der ganzen Natur abgezogen.
Es war Oktober: – aber die Jahreszeit schien seit langen Wochen ihr Gesetz geändert zu haben. Seit zwei Monden fast hatte es nicht geregnet: ja kein Gewölk, kein Streif von Nebel hatte sich in dieser sonst so dünstereichen Sumpflandschaft gezeigt. Jetzt plötzlich – es war gegen Sonnenuntergang – [] bemerkte Cethegus im Osten, über dem Meer, am fernsten Horizont, eine einzelne rundgeballte, rabenschwarze Wolke, die seit kurzem aufgestiegen sein mußte.
Die untertauchende Sonnenscheibe, obwohl frei von Nebeln, zeigte keine Strahlen. Kein Lufthauch kräuselte die bleierne Flut des Meeres.
Keine noch so leise Welle spülte an den Strand. In der weitgestreckten Ebene regte sich kein Blatt an den Olivenbäumen. Ja, nicht einmal das Schilf in den Sumpfgräben bebte.
Kein Laut eines Tieres, kein Vogelflug war vernehmbar: und ein fremdartiger, erstickender Qualm, wie Schwefel, schien drückend über Land und Meer zu liegen und hemmte das Atmen. Maultiere und Pferde schlugen unruhig gegen die Bretter der Planken, an welchen sie im Lager angebunden waren. Einige Kamele und Dromedare, die Belisar aus Afrika mitgebracht, wühlten den Kopf in den Sand. –
Schwer beklommen atmete der Wanderer mehrmals auf und blickte befremdet um sich. »Das ist schwül: wie vor dem ›Wind des Todes‹ in den Wüsten Ägyptens,« sagte er zu sich selber. – »Schwül überall – außen und innen. Auf wen wird sich der lang versparte Groll der Natur und Leidenschaft entladen?«
Damit trat er in sein Zelt. Syphax sprach zu ihm, »Herr, wär' ich daheim, ich glaubte heute: der Gifthauch des Wüstengottes sei im Anzug« und er reichte ihm einen Brief.
Es war die Antwort des Frankenkönigs! Hastig riß Cethegus das große, prunkende Siegel auf.
»Wer hat ihn gebracht?«
»Ein Gesandter, der, nachdem er den Präfekten nicht getroffen, sich zu Belisar hatte führen lassen. Er hatte den nächsten Weg – den durchs Lager – verlangt. Deshalb hatte ihn Cethegus verfehlt.«
Er las begierig: »Theudebald, König der Franken, Cethegus dem Präfekten Roms. Kluge Worte hast Du uns geschrieben. [] Noch klügere nicht der Schrift vertraut, sondern uns durch unsern Majordomus kundgetan. Wir sind nicht übel geneigt, danach zu tun. Wir nehmen Deinen Rat und die Geschenke, die ihn begleiten, an. Den Bund mit den Goten hat ihr Unglück gelöst. Dies, nicht unsre Wandlung, mögen sie verklagen.
Wen der Himmel verläßt, von dem sollen auch die Menschen lassen, wenn sie fromm und klug. Zwar haben sie uns den Sold für das Hilfsheer in mehreren Zentenaren Goldes vorausbezahlt. Allein das bildet in unsern Augen kein Hindernis.
Wir behalten diese Schätze als Pfand, bis sie uns die Städte in Südgallien abgetreten, welche in die von Gott und der Natur dem Reich der Franken vorgezeichnete Gebietsgrenze fallen. Da wir aber den Feldzug bereits vorbereitet und unser tapferes Heer, das schon den Kampf erwartet, nur mit gefährlichem Murren die Langeweile des Friedens tragen würde, sind wir gewillt, unsre siegreichen Scharen gleichwohl über die Alpen zu schicken. Nur anstatt für: gegen die Goten.
Aber freilich, auch nicht für den Kaiser Justinianus, der uns fortwährend den Königstitel vorenthält, sich auf seinen Münzen Herrn von Gallien nennt, uns keine Goldmünzen mit eigenem Brustbild prägen lassen will und uns noch andre höchst unerträgliche Kränkungen unsrer Ehre angetan. Wir gedenken vielmehr, Unsre eigene Macht nach Italien auszudehnen.
Da wir nun wohl wissen, daß des Kaisers ganze Stärke in diesem Lande auf seinem Feldherrn Belisar beruht, dieser aber eine große Zahl alter und neuer Beschwerden gegen seinen undankbaren Herrn zu führen hat: – so werden wir diesem Helden antragen, sich zum Kaiser des Abendlandes aufzuwerfen, wobei wir ihm ein Heer von hunderttausend Frankenhelden zu Hilfe senden und uns dafür nur einen kleinen Teil Italiens von den Alpen bis Genua hin abtreten lassen werden.
Wir halten für unmöglich, daß ein Sterblicher dieses Anerbieten ablehne. Falls Du zu diesem Plane mitwirken willst, [] verheißen wir Dir eine Summe von zwölf Zentenaren Goldes und werden, gegen eine Rückzahlung von zwei Zentenaren, Deinen Namen in die Liste unsrer Tischgenossen aufnehmen. Der Gesandte, der Dir diesen Brief gebracht, Herzog Liuthari, hat unsern Antrag Belisar mitzuteilen.«
Mit steigender Erregung hatte Cethegus zu Ende gelesen.
Jetzt fuhr er auf. »Ein solcher Antrag zu dieser Stunde: – in dieser Stimmung: – er nimmt ihn an! Kaiser des Abendlandes mit hunderttausend Frankenkriegern! Er darf nicht leben.« –
Und er eilte an den Eingang seines Zeltes. Dort aber blieb er plötzlich stehen: »Tor, der ich war!« lächelte er kalt. »Heißblütig noch immer? Er ist ja Belisar und nicht Cethegus! Er nimmt nicht an. Das wäre, wie wenn der Mond sich gegen die Erde empören wollte, als ob der zahme Haushund plötzlich zum grimmigen Wolfe würde. Er nimmt nicht an! Aber nun laß sehen, wie wir die Niedertracht und Gier dieses Merowingen nutzen. Nein, Frankenkönig,« und er lächelte bitter auf den zusammengeknitterten Brief, »solang Cethegus lebt, – nicht einen Fußbreit von Italiens Boden.«
Und einen raschen, heftigen Gang durchs Zelt. Einen zweiten langsamern. Und einen dritten –: nun blieb er stehen –: und über seine mächtige Stirn zuckt' es hin. »Ich hab' es!« frohlockte er. »Auf, Syphax,« rief er, »geh und rufe mir Prokop.« –
Und bei einem neuen Durchschreiten des Gemachs fiel sein Blick auf den zur Erde gefallenen Brief des Merowingen. »Nein,« lächelte er triumphierend, ihn aufhebend, »nein, Frankenkönig, nicht so viel Raum, als dieser Brief bedeckt, sollst du haben von Italiens heiliger Erde.«
Bald erschien Prokop. Die beiden Männer pflogen über Nacht ernste, schwere Beratung. Prokop erschrak vor den schwindelkühnen Plänen des Präfekten und weigerte sich lange, darauf einzugehen.
[] Aber mit überlegener Geistesmacht hatte ihn der gewaltige Mann umklammert und hielt ihn eisern fest mit zwingenden Gedanken, schlug jeden Einwand, noch eh' er ausgesprochen, mit siegender Überredung nieder und ließ nicht eher ab, seine unzerreißbaren und dichten Fäden um den Widerstrebenden zu ziehen, bis dem Eingesponnenen die Kraft des Widerstandes versagte. –
Die Sterne erblichen und das erste Tagesgrauen erhellte den Osten mit blassem Streif, als Prokopius von dem Freunde Abschied nahm. »Cethegus,« sagte er aufstehend, »ich bewundere dich.
Wär' ich nicht Belisars, – ich möchte dein Geschichtschreiber sein.«
»Interessanter wäre es,« sagte der Präfekt ruhig, »aber schwerer.«
»Doch graut mir vor der ätzenden Schärfe deines Geistes. Sie ist ein Zeichen der Zeit, in der wir leben. Sie ist wie eine blendendfarbige Giftblume auf einem Sumpfe. Wenn ich denke wie du den Gotenkönig durch sein eigen Weib zugrunde gerichtet ... –«
»Ich mußte dir das jetzt sagen. Leider hab' ich in letzter Zeit wenig von meiner schönen Verbündeten gehört.«
»Deine Verbündete! Deine Mittel sind ...« – »Immer zweckmäßig.«
»Aber nicht immer ...! – Gleichviel, ich gehe mit dir: – noch eine Strecke Weges, weil ich meinen Helden aus Italien forthaben will, sobald als möglich. Er soll in Persien Lorbeeren sammeln, statt hier Dornen. Aber ich gehe nicht weiter mit dir als bis ... –«
»Zu deinem Ziel, das versteht sich.«
»Genug. Ich spreche sofort mit Antoninen: ich zweifle nicht am Erfolg. Sie langweilt sich hier aufs tödlichste. Sie brennt vor Begierde, in Byzanz nicht nur so manchen Freund wiederzufinden, auch die Feinde ihres Gatten zu verderben.«
[] »Eine gute schlechte Frau.«
»Aber Witichis? Meinst du, er wird eine Empörung Belisars für möglich halten?«
»König Witichis ist ein guter Soldat und schlechter Psychologe. Ich kenne einen viel schärferen Kopf, der's doch einen Augenblick für möglich hielt. Und du zeigst ihm ja alles schriftlich. Und jetzt gerade, da er von den Franken im Stich gelassen ist, geht ihm das Wasser an den Hals: – er greift nach jedem Strohhalm. Daran also zweifle ich nicht: – versichre dich nur Antoninens.« –
»Das laß meine Sorge sein. Bis Mittag hoff' ich als Gesandter in Ravenna einzuziehn.«
»Wohl: – dann vergiß mir nicht, die schöne Königin zu sprechen.«
Neunzehntes Kapitel.
Und mittags ritt Prokop in Ravenna ein.
Er trug vier Briefe bei sich: den Brief Justinians an Belisar, die Briefe des Frankenkönigs an Cethegus und an Belisar und einen Brief Belisars an Witichis. Diesen letztern hatte Prokop geschrieben, und Cethegus hatte ihn diktiert.
Der Gesandte hatte keine Ahnung, in welcher Seelenverfassung er den König der Goten und seine Königin antraf. Der gesunde, aber einfache Sinn des Königs hatte schon seit geraumer Zeit begonnen, unter dem Druck unausgesetzten Unglücks zwar nicht zu verzagen, jedoch sich zu verdüstern. Die Ermordung seines einzigen Kindes, das herzzerfleischende Losreißen von seinem Weibe hatten ihn schwer erschüttert: – aber er hatte es getragen für den Sieg der Goten. Und nun war dieser Sieg hartnäckig ausgeblieben.
Trotz allen Anstrengungen war die Sache seines Volkes mit jedem Monat seiner Regierung tiefer gefallen: mit einziger [] Ausnahme des Gefechts bei dem Zug nach Rom hatte ihm nie das Glück gelächelt.
Die mit so stolzen Hoffnungen unternommene Belagerung von Rom hatte mit dem Verlust von drei Vierteln seines Heeres und traurigem Rückzug geendet. Neue Unglücksschläge, Nachrichten, die betäubend wie Keulenschläge auf den Helm in dichter Folge sich drängten, mehrten seine Niedergeschlagenheit und steigerten sie zu dumpfer Hoffnungslosigkeit.
Fast ganz Italien, außerhalb Ravenna, schien Tag für Tag verloren zu gehen. Schon von Rom aus hatte Belisar eine Flotte gegen Genua gesendet, unter Mundila, dem Heruler, und Ennes, dem Isaurier: ohne Schwertstreich gewannen deren gelandete Truppen den seebeherrschenden Hafen und von da aus fast ganz Ligurien. Nach dem wichtigen Mediolanum lud sie Datius, der Bischof dieser Stadt, selbst: von dort aus gewannen sie Bergomum, Comum, Novaria. Andrerseits ergaben sich die entmutigten Goten in Clusium und dem halbverfallnen Dertona den Belagerern und wurden gefangen aus Italien geführt. Urbinum ward nach tapferm Widerstand von den Byzantinern erobert, ebenso Forum Cornelii und die ganze Landschaft Ämilia durch Johannes den Blutigen: die Versuche der Goten, Ancona, Ariminum und Mediolanum wieder zu nehmen, scheiterten.
Noch schlimmere Botschaften aber trafen bald des Königs weiches Gemüt.
Denn inzwischen wütete der Hunger in den weiten Landschaften Ämilia, Picenum, Tuscien. Dem Pfluge fehlten Männer, Rinder und Rosse.
Die Leute flüchteten in die Berge und Wälder, buken Brot aus Eicheln und verschlangen das Gras und Unkraut. Verheerende Krankheiten entstanden aus der mangelnden oder ungesunden Nahrung. In Picenum allein erlagen fünfzigtausend Menschen, noch mehr jenseit des Ionischen Meerbusens [] in Dalmatien, dem Hunger und den Seuchen. Bleich und abgemagert wankten die noch Lebenden dem Grabe zu: wie Leder ward die Haut und schwarz, die glühenden Augen traten aus dem Kopf, die Eingeweide brannten. Die Aasvögel verschmähten die Leichen dieser Pestopfer: aber von Menschen ward das Menschenfleisch gierig gegessen. Mütter töteten und verzehrten ihre neugebornen Kinder. In einem Gehöft bei Ariminum waren nur noch zwei römische Weiber übrig. Diese ermordeten und verzehrten nacheinander siebzehn Menschen, die vereinzelt bei ihnen Unterkunft gesucht. Erst der achtzehnte erwachte, bevor sie ihn im Schlaf zu erwürgen vermochten, tötete die werwölfischen Unholdinnen und brachte das Schicksal der früheren Opfer ans Licht.
Endlich scheiterte auch die auf Langobarden und Franken gesetzte Hoffnung. Die letzteren, die große Summen für das zugesagte Hilfsheer empfangen hatten, verharrten in schweigender Ruhe. Die ungestüm zur Eile, zur Erfüllung der versprochenen und vorausbezahlten Leistungen mahnenden Boten des Königs wurden zu Mettis, Aurelianum und Paris festgehalten: keinerlei Antwort kam von diesen Höfen. Der Langobardenkönig Audoin aber ließ sagen: er wolle nichts entscheiden ohne seinen kriegsgewaltigen Sohn Alboin. Dieser jedoch sei mit großem Gefolge auf Abenteuer ausgezogen.
Vielleicht komme derselbe selbst einmal nach Italien: – er sei mit Narses eng befreundet. Dann werde er das Land sich ansehn und seinem Vater und Volke raten, welche Beschlüsse sie über dies Land Italia fassen sollten.
Tapfer widerstand zwar noch Auximum monatelang allen Anstrengungen des starken Belagerungsheeres, das Belisar selbst, begleitet von Prokop, vor die Mauern geführt hatte und während der Einschließung befehligte. Aber es zerriß dem König das Herz, als ihm durch einen Boten (der nur mit Mühe und verwundet sich durch die Reihen beider einschließenden Heere [] in das drei Tagreisen entfernte Ravenna schlich) der heldenmütige Graf Wisand der Bandalarius die folgenden Worte sandte: »Als Du mir Auximum anvertrautest, sagtest Du: ich sollte damit die Schlüssel Ravennas, ja des Gotenreiches hüten. Ich sollte männlich widerstehen, dann würdest Du bald mit all' Deinem Heer zu unsrem Entsatz heranziehen. Wir haben männlich widerstanden Belisar und dem Hunger. Wo bleibt Dein Entsatz? Wehe, wenn Du recht gesprochen und mit unsrer Feste jene Schlüssel in der Feinde Hände fallen. Deshalb komm und hilf: – mehr um des Reichs, als unsrer willen.«
Diesem Boten folgte bald ein zweiter, ein mit vielem Golde bestochner Soldat der Belagerer, Burcentius: sein Auftrag lautete – mit Blut war der kurze Brief geschrieben: – »Wir haben nur mehr das Unkraut zu essen, das aus den Steinen wächst. Länger als fünf Tage können wir uns nicht mehr halten.« Der Bote fiel auf der Rückkehr mit der Antwort des Königs in die Hand der Belagerer, die ihn im Angesicht der Goten vor den Wällen von Auximum lebendig verbrannten.
Ach und der König konnte nicht helfen!
Noch immer widerstand das Häuflein Goten in Auximum, obwohl ihnen Belisar durch Zerstörung der Wasserleitung das Wasser abschnitt und den letzten Brunnen, der ihnen geblieben und nicht abzugraben war, durch Leichen von Menschen und Tieren und Kalklösungen vergiftete. Sturmangriffe schlug Wisand immer noch blutig ab: nur durch Aufopferung eines Leibwächters entging einmal Belisar hierbei dem ganz nahen Tode.
Endlich fiel zuerst Cäsena, die letzte gotische Stadt in der Ämilia, und dann Fäsulä, das Cyprianus und Justinus belagerten. »Mein Fäsulä!« rief der König, als er es erfuhr: – denn er war Graf dieser Stadt gewesen und dicht dabei lag das Haus, das er mit Rauthgundis bewohnt hatte. »Die Hunnen hausen wohl an meinem zerstörten Herd!«
[] Als aber die gefangene Besatzung von Fäsulä den Belagerten in Auximum in Ketten vor Augen geführt und von diesen Gefangnen selbst jeder Entsatz von Ravenna her als hoffnungslos bezeichnet wurde, da nötigten den Bandalarius seine verhungerten Scharen zur Übergabe.
Er selbst bedang sich freies Geleit nach Ravenna aus.
Seine Tausendschaften wurden gefangen aus Italien geführt. Ja, so tief gesunken war Mut und Volksgefühl der endlich Bezwungenen, daß sie unter Graf Sisifrid von Sarsina gegen die eigenen Volksgenossen Dienste nahmen unter Belisars Fahnen.
Der Sieger hatte Auximum stark besetzt und alsbald die bisherigen Belagerer dieser Feste zurückgeführt in das Lager vor Ravenna, wo er Cethegus den bisher anvertrauten Oberbefehl wieder abnahm.
Es war, als ob ein Fluch an dem Haupte des Gotenkönigs hafte, auf dem so schwer die Krone lastete. Da er nun den Grund seines Mißlingens keiner Schwäche, keinem Versehen auf seiner Seite zuschreiben, da er ebensowenig an dem guten Recht der Goten gegen die Byzantiner zweifeln und da seine einfache Gottesfurcht in diesem Ausgang nichts andres als das Walten des Himmels erblicken konnte, so kam er immer wieder auf den quälenden Gedanken, es sei um seiner unvergebenen Sündenschuld willen, daß Gott die Goten züchtige: eine Vorstellung, welche die Anschauungen des die Zeit beherrschenden Alten Testaments ihm nicht minder nahelegten als viele Züge der alten germanischen Königssage.
Diese Gedanken verfolgten unablässig den tüchtigen Mann und nagten Tag und Nacht an der Kraft seiner Seele. Bald suchte er im selbstquälerischen Grübeln jene seine geheime Schuld zu entdecken. Bald sann er nach, wie er den ihn verfolgenden Fluch wenigstens von seinem Volke wenden könne. Längst hätte er die Krone einem andern abgetreten, wenn ein[] solcher Schritt in diesem Augenblick nicht ihm und andern als Feigheit hätte erscheinen müssen. So war ihm auch dieser Ausweg – der nächste und liebste – aus seinen quälenden Gedanken verschlossen. Gebeugt saß jetzt oft der sonst so stattliche Mann, blickte lange starr und schweigend vor sich hin, nur manchmal das Haupt schüttelnd oder tief aufseufzend.
Der tägliche Anblick dieses stillen, stolzen Leidens, dieses stummen und hilflosen Erduldens eines niederdrückenden Geschickes blieb, wie wir gesehen, nicht ohne Eindruck auf Mataswintha. Auch glaubte sie sich nicht darin getäuscht zu haben, daß seit geraumer Zeit sein Auge milder als sonst, mit Wehmut, ja mit Wohlwollen auf ihr geruht habe. Und so drängte sie teils uneingestandene Hoffnung, die so schwer erlischt im liebenden Herzen, teils Reue und Mitleid mächtiger als je zu dem leidenden König.
Oft wurden sie jetzt auch durch ein gemeinsames Werk der Barmherzigkeit vereint. Die Bevölkerung von Ravenna hatte in den letzten Wochen angefangen, während die Belagerer von Ancona aus das Meer beherrschten und aus Calabrien und Sizilien reiche Vorräte bezogen, Mangel zu leiden. Nur die Reichen vermochten noch die hohen Preise des Getreides zu bezahlen. Des Königs mildes Herz nahm keinen Anstand, aus dem Überfluß seiner Magazine, die, wie gesagt, die doppelte Zeit bis zu dem Eintreffen der Franken auszureichen versprachen, auch an die Armen der Stadt wohltätige Verteilungen zu machen, nachdem er seine gotischen Tausendschaften versorgt hatte: auch hoffte er auf eine große Menge von Getreideschiffen, welche die Goten in den oberen Padusgegenden auf diesem Flusse zusammengebracht hatten und in die Stadt zu schaffen trachteten.
Um aber jeden Mißbrauch und alles Übermaß bei jenen Spenden fernzuhalten, überwachte der König selbst diese Austeilungen: und Mataswintha, die ihn einmal mitten unter [] den bettelnden und dankenden Haufen angetroffen, hatte sich neben ihn auf die Marmorstufen der Basilika von Sankt Apollinaris gestellt und ihm geholfen, die Körbe mit Brot verteilen. Es war ein schöner Anblick, wie das Paar, er zur Rechten, die Königin zur Linken, vor der Kirchenpforte standen und über die Stufen hinab dem segenrufenden Volk die Spende reichten.
Während sie so standen, bemerkte Mataswintha unter der drängenden, flutenden Volksmasse, – denn es war viel Landvolk ja auch von allen Seiten vor den Schrecken des Krieges in die rettenden Mauern zusammengeströmt, – auf der untersten Stufe der Basilika seitwärts ein Weib in schlichtem, braunem, halb über den Kopf gezogenem Mantel. Dies Weib drängte nicht mit den andern die Stufen hinan, um auch Brot für sich zu fordern: sondern lehnte, vorgebeugt, den Kopf auf die linke Hand und diesen Arm auf einen hohen Sarkophag gestützt, hinter der Ecksäule der Basilika und blickte scharf und unverwandt auf die Königin.
Mataswintha glaubte, das Weib sei etwa von Furcht oder Scham oder Stolz abgehalten, sich unter die keckern Bettler zu mischen, die auf den Stufen sich stießen und drängten: und sie gab Aspa einen besondern Korb mit Brot, hinabzugehen und ihn der Frau zu reichen. Sorglich bemüht häufte sie mit mildem Blick und mit den beiden weißen Händen tätig das duftende Gebäck. –
Als sie aufsah, begegnete sie dem Auge des Königs, das, sanft und freundlich gerührt, wie noch nie, auf ihr geruht hatte. – Heiß schoß ihr das Blut in die Wangen und sie zuckte leise und senkte die langen Wimpern.
Als sie wieder aufsah und nach dem Weib im braunen Mantel blickte, war diese verschwunden. Der Platz am Sarkophag war leer.
Sie hatte, während sie den Korb füllte, nicht bemerkt, wie ein Mann mit einem Büffelfell und einer Sturmhaube, der [] hinter der Frau stand, sie beim Arme gefaßt und mit sanfter Gewalt hinweggeführt hatte. »Komm,« hatte er gesagt, »hier ist kein guter Ort für dich.« Und wie im wachen Traum hatte das Weib geantwortet: »Bei Gott, sie ist wunderschön.«
»Ich danke dir, Mataswintha!« sprach der König freundlich, als die für heute bestimmten Spenden verteilt waren.
Der Blick, der Ton, das Wort drangen tief in ihr Herz. Nie hatte er sie bisher bei ihrem Namen genannt, immer nur die Königin in ihr gesehen und angesprochen. Wie beglückte sie das Wort aus seinem Munde – und wie schwer lastete doch zugleich diese Milde auf ihrer schuldbewußten Seele! Offenbar hatte sie sich zum Teil seine wärmere Stimmung durch ihr werktätiges Mitleid mit den Armen erworben. »O er ist gut,« sagte sie, halb weinend vor Erregung, »ich will auch gut sein.«
Als sie mit diesem Gedanken in den Vorhof des ihr angewiesenen linken Flügels des Palastes trat – Witichis bewohnte den rechten – eilte ihr Aspa geschäftig entgegen. »Ein Gesandter aus dem Lager,« flüsterte sie der Herrin eifrig zu. »Er bringt geheime Botschaft vom Präfekten einen Brief, von Syphax' Hand, in unsrer Sprache – er harrt auf Antwort ...« –
»Laß,« rief Mataswintha, die Stirne furchend, »ich will nichts hören, nichts lesen. Aber wer sind diese?«
Und sie deutete auf die Treppe, die aus der Vorhalle in ihre Gemächer führte. Da kauerten auf den roten Steinplatten Weiber, Kinder, Kranke, Goten und Italier durcheinander, in Lumpen gehüllt – eine Gruppe des Elends.
»Bettler, Arme, sie liegen hier schon den ganzen Morgen. Sie sind nicht zu verscheuchen.« – »Man soll sie nicht verscheuchen!« sprach Mataswintha, nähertretend.
»Brot, Königin! Brot, Tochter der Amalungen!« riefen mehrere Stimmen ihr entgegen. »Gib ihnen Gold, Aspa, alles, was du bei dir trägst und hole ... –« – »Brot! Brot! [] Königin, nicht Gold! um Gold ist kein Brot mehr zu haben in der Stadt.«
»Vor des Königs Speichern wird es umsonst verteilt. Ich komme gerade davon her, warum wart ihr nicht dort?«
»Ach Königin, wir können nicht durchdringen,« jammerte eine hagere Frau. »Ich bin alt, und meine Tochter hier ist krank, und jener Greis dort ist blind. Die Gesunden, die Jungen stoßen uns zurück. Drei Tage haben wir's umsonst versucht: wir dringen nicht durch.« – »Nein, wir hungern,« grollte der Alte. »O Theoderich, mein Herr und König, wo bist du? Unter deinem Zepter hatten wir vollauf. – Da kamen die Armen und Siechen nicht zu kurz. Aber dieser Unglückskönig ... –«
»Schweig,« sprach Mataswintha, »der König, mein Gemahl« und hier flog ein wunderschönes Rot über ihre Wangen – »tut mehr als ihr verdient. Wartet hier, ich schaffe euch Brot. Folge mir, Aspa.«
Und rasch schritt sie hinweg. »Wohin eilst du?« fragte die Sklavin staunend.
Und Mataswintha schlug den Schleier über ihr Antlitz, als sie antwortete: »Zum König!«
Als sie das Vorgemach des Witichis erreicht, bat sie der Türsteher, der sie mit Befremden erkannte, zu verweilen. »Ein Abgesandter Belisars habe geheime Audienz: er sei schon lange im Gemach und werde es bald verlassen.«
Da öffnete sich die Türe: – und Prokop stand zögernd auf der Schwelle. »König der Goten,« sprach er, sich nochmals wendend, »ist das dein letztes Wort?« – »Mein letztes, wie's mein erstes war,« sprach der König voller Würde. – »Ich gönne dir noch Zeit: – ich bleibe noch bis morgen in Ravenna.« – »Von jetzt an bist du mir als Gast willkommen, nicht mehr als Gesandter.« – »Ich wiederhole: fällt die Stadt mit Sturm, so werden alle Goten, die höher als Belisars Schwert, getötet – er hat's geschworen! Weiber und Kinder als Sklaven [] verkauft – du begreifst: Belisar kann keine Barbaren brauchen in seinem Italien – dich mag der Tod des Helden locken: aber bedenke die Hilflosen – ihr Blut wird vor Gottes Thron –« – »Gesandter Belisars, ihr steht in Gottes Hand wie wir, leb wohl.« Und so mächtig wurden diese Worte gesprochen, daß der Byzantiner gehen mußte, so ungern er es tat. Die schlichte Würde dieses Mannes wirkte stark auf ihn. Aber auch auf die Lauscherin.
Als Prokop die Türe schloß, sah er Mataswintha vor sich stehn und trat bewundernd einen Schritt zurück, geblendet von so viel Schönheit. Ehrerbietig begrüßte er sie. »Du bist die Königin der Goten!« sagte er, sich fassend, »du mußt es sein.«
»Ich bin's!« sagte Mataswintha, »hätt' ich das nie vergessen.« Und stolz rauschte sie an ihm vorüber.
»Augen haben diese Germanen, Männer und Weiber,« sagte Prokop im Hinausgehen, »wie ich sie nie gesehen.«
Zwanzigstes Kapitel.
Mataswintha war inzwischen ungemeldet bei ihrem Gatten eingetreten.
Witichis hatte alle Gemächer, welche die Amalungen, Theoderich, Athalarich, Amalaswintha bewohnt (sie lagen im Mittelbau des weitläufigen Palastes) unberührt gelassen und einige auch früher schon von ihm, wenn er die Wache am Hofe hatte, bewohnte Räume im rechten Flügel bezogen. Er hatte die Gold-und Purpurabzeichen der Amaler nie angelegt und aus seinen Zimmern allen königlichen Pomp entfernt. Ein Feldbett auf niedern Eisenfüßen, auf welchem sein Helm, sein Schwert und mehrere Urkunden lagen, ein langer Eichentisch und wenig Holzgerät standen in dem einfachen Gelaß.
Er hatte sich nach des Gesandten Entfernung, erschöpft, mit dem Rücken gegen die Tür in einen Stuhl geworfen und stützte [] das müde Haupt in beiden Händen auf den Tisch. So hatte er den leicht schwebenden Schritt der Eintretenden nicht bemerkt.
Mataswintha blieb, wie gebannt, an der Schwelle stehen. Sie hatte ihn noch niemals aufgesucht. Ihr Herz pochte mächtig. Sie konnte ihn nicht ansprechen: sie konnte nicht nähertreten.
Endlich stand Witichis mit Seufzen auf. Da sah er die regungslose Gestalt an der Türe stehen. »Du hier, Königin?« sprach er staunend und trat ihr einen Schritt entgegen. »Was kann dich zu mir führen?«
»Die Pflicht – das Mitleid« – sagte Mataswintha rasch. »Sonst hätte ich nicht – – ich habe eine Bitte an dich.«
»Es ist die erste,« sagte Witichis. – »Sie betrifft nicht mich« fiel sie schnell ein – »Ich bitte dich um Brot für Arme, Kranke, welche –«
Da reichte ihr der König schweigend die Rechte hin. –
Es war das erstemal: sie wagte nicht, sie zu fassen: und hätte es doch, o wie gerne, getan. So faßte er selbst ihre Hand und drückte sie leicht.
»Ich danke dir, Mataswintha, und bitte dir ein Unrecht ab. Du hast dennoch ein Herz für dein Volk und seine Leiden. Ich hätte das nie geglaubt: ich habe hart von dir gedacht.«
»Hättest du von jeher anders von mir gedacht: – es wäre vielleicht manches besser.«
»Schwerlich! Das Unglück heftet sich an meine Fersen. Eben jetzt – du hast ein Recht, es zu wissen – brach meine letzte Hoffnung: Die Franken, auf deren Hilfe ich hoffte, haben uns verraten. Entsatz ist unmöglich: die Übermacht der Feinde durch den Abfall der Italier allzugroß. Es bleibt nur noch ein letztes: ein freier Tod.«
»Laß mich ihn mit dir teilen,« rief Mataswintha, und ihre Augen leuchteten. – »Du? nein; die Tochter Theoderichs wird ehrenvolle Aufnahme finden am Hofe von Byzanz. Man weiß, [] daß du gegen deinen Willen meine Königin geworden ... – Du kannst dich laut darauf berufen.«
»Nimmermehr!« sprach Mataswintha begeistert.
Witichis fuhr, ohne ihrer zu achten, in seinen Gedanken fort: »Aber die andern! Die Tausende! die Hunderttausende von Weibern, von Kindern! Belisar hält, was er geschworen! Es ist nur Eine Hoffnung noch für sie: – eine einzige! Denn – alle Mächte der Natur verschwören sich gegen mich. Der Padus ist plötzlich so seicht geworden, daß zweihundert Getreideschiffe, die ich erwartete, nicht rasch genug den Fluß herabgebracht werden konnten: die Byzantiner haben sie aufgefangen!
Ich habe nun um Hilfe an den Westgotenkönig geschrieben: er soll seine Flotte senden. Die unsre ist ja in Feindes Hand! Dringt sie in den Hafen, so kann darauf entfliehen, was nicht fechten kann und nicht sterben soll. Auch du kannst dann, wenn du es vorziehst, nach Spanien entfliehen.«
»Ich will mit dir –, mit euch sterben.«
»In wenig Wochen können die westgotischen Segel vor der Stadt erscheinen. Bis dahin reichen meine Speicher – der letzte Trost. Doch, das mahnt mich an deinen Wunsch: – Hier ist der Schlüssel zu dem Haupttor der Speicher. Ich trag' ihn Tag und Nacht auf meiner Brust. Bewahre ihn wohl: – er verwahrt meine letzte Hoffnung. Er schließt das Leben von vielen Tausenden ein. Es war meine einzige Mühewaltung, die nicht fruchtlos blieb. Mich wundert,« fügte er schmerzlich hinzu, »daß nicht die Erde sich aufgetan hat oder Feuer vom Himmel gefallen ist, diese meine Bauten zu verschlingen.«
Und er nahm den schweren Schlüssel aus dem Brustlatz seines Wamses. »Hüt' ihn wohl, es ist mein letzter Schatz, Mataswintha.«
»Ich danke dir, Witichis – König Witichis –«, sagte sie, verbessernd, und griff nach dem Schlüssel, aber ihre Hand zitterte. Er fiel.
[] »Was ist dir,« fragte der König, den Schlüssel ihr in die Rechte drückend, – sie steckte ihn in den Gürtel ihres weißseidnen Unterkleides – »du zitterst? Bist du krank?« setzte er besorgt hinzu.
»Nein – es ist nichts. – Aber sieh mich nicht an so – so wie jetzt und wie heute morgen ... –« »Vergib mir, Königin,« sagte Witichis, sich abwendend. »Meine Blicke sollten dich nicht kränken. Ich hatte viel, recht viel Gram in diesen Tagen. Und wenn ich nachsann, mit welcher Schuld ich all dies Unglück verdient haben könnte ...« – seine Stimme wurde weich.
»Dann? o rede?« bat Mataswintha hingerissen. Denn sie zweifelte nicht mehr an dem Sinn seines unausgesprochenen Gedankens.
»Dann hab' ich, unter all' den ringenden Zweifeln, oft auch gedacht, ob es nicht Strafe sei für eine harte, harte Tat, die ich an einem herrlichen Geschöpf begangen. An einem Weibe, das ich meinem Volk geopfert –.« Und unwillkürlich sah er im Eifer seiner Rede auf die Hörerin.
Mataswinthens Wangen erglühten: sie faßte, sich aufrecht zu halten, nach der Lehne des Stuhles neben ihr. »Endlich – endlich erweicht sein Herz und ich – was habe ich ihm getan!« dachte sie, »und Er bereut –«
»Ein Weib,« fuhr er fort, »das unsäglich um mich gelitten, mehr als Worte sagen können.« – »Halt ein!« flüsterte sie so leise, daß er es nicht vernahm. »Und wenn ich dich in diesen Tagen um mich walten sah, weicher, milder, weiblicher als je zuvor – dann rührtest du mein Herz mit Macht: und Tränen drangen in meine Augen.« –
»O Witichis!« hauchte Mataswintha.
»Jeder Ton deiner Stimme sogar drang tief in meine Seele. Denn du mahnst mich dann so ganz, so herzerschütternd an –«
»An wen?« fragte Mataswintha und wurde leichenblaß.
»Ach an sie, die ich geopfert! Die alles um mich gelitten, [] an mein Weib Rauthgundis, die Seele meiner Seele.« Wie lange hatte er den geliebten Namen nicht mehr laut gesprochen! Jetzt überwältigte ihn bei diesem Klang die Macht des Schmerzes und der Sehnsucht: und in den Stuhl sinkend bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen.
Es war gut. Denn so bemerkte er nicht, wie es blitzähnlich durch die Gestalt der Königin zuckte, ihr schönes Antlitz sich medusenhaft verzerrte. Doch hörte er einen dumpfen Schlag und wandte sich.
Mataswintha war zu Boden gesunken. Ihre linke Hand klammerte sich in die durchbrochene Rücklehne des Stuhls, an dem sie niedergeglitten war, während die Rechte sich fest auf den Mosaikboden stemmte. Ihr bleiches Haupt war vorgebeugt, das prachtvoll rote Haar flutete, losgerissen aus dem Scheitelband, über ihre Schultern: ihre scharf geschnittenen Nüstern flogen.
»Königin!« rief er hinzueilend, sie aufzuheben, »was hat dich befallen?«
Aber ehe er sie berühren konnte, schnellte sie wie eine Schlange empor und richtete sich hoch auf: »Es war eine Schwäche,« sagte sie, »die jetzt vorbei: – leb wohl!« Wankend erreichte sie die Tür und fiel draußen bewußtlos in Aspas Arme.
* * *
Unterdessen hatte sich das unheimliche, drohende Ansehen der ganzen Natur noch gesteigert.
Die kleine, rundgeballte Wolke, die Cethegus am Tage zuvor bemerkt, war der Vorbote einer ungeheuren schwarzen Wolkenwand gewesen, welche die Nacht über aus dem Osten aufgestiegen war, jedoch seit dem Morgen unbeweglich, wie Verderben brütend, über dem Meere stand und die Hälfte des Horizonts bedeckte.
Aber im Süden brannte die Sonne mit unerträglich stechenden Strahlen aus dem unbewölkten Himmel. Die gotischen [] Wachen hatten Helm und Harnisch abgelegt: sie setzten sich lieber den Pfeilen der Feinde als dieser unleidlichen Hitze aus. Kein Lüftchen regte sich mehr. Der Ostwind, der jene Wolkenschicht heraufgeführt, war plötzlich gefallen. Unbeweglich, bleigrau lag das Meer: die Zitterpappeln im Schloßgarten standen regungslos.
Allein in die tags zuvor ebenfalls verstummte Tierwelt war Angst und Unruhe geraten. An dem heißen Sand der Küste hin flatterten Schwalben, Möven und Sumpfvögel unsicher, ziellos, hin und her, ganz nieder an der Erde hinstreichend und manchmal schrille Rufe gellend. In der Stadt aber liefen die Hunde winselnd aus den Häusern: die Pferde rissen sich in den Ställen los und schlugen, ungeduldig schnaubend, dröhnenden Hufes um sich; kläglich schrieen Katzen, Esel und Maultiere und von den Dromedaren Belisars rasten und schäumten sich drei zu Tode, in wütenden Anstrengungen, zu entkommen. –
Es neigte jetzt gegen Abend. Die Sonne drohte alsbald unter den Horizont zu sinken.
Auf dem Forum des Herkules saß ein Bürger von Ravenna auf der Marmorstufe vor seinem Hause. Er war ein Winzer und schenkte, wie der verdorrte Rebenzweig über seiner Tür zeigte, in seinem Hause selbst von seinem Gewächs. Er blickte nach dem drohenden Wettergewölk. »Ich wollte, es käme Regen,« seufzte er. »Kömmt nicht Regen, so kömmt Hagel und zerschlägt vollends, was an Wachstum draußen die Rosse der Feinde noch nicht zerstampft haben.«
»Nennst du die Truppen unsres Kaisers Feinde?« flüsterte sein Sohn, ein römischer Patriot. Aber leise. Denn eben bog um die Ecke eine gotische Runde.
»Ich wollte, der Orkus verschlänge sie alle miteinander, Griechen und Barbaren! Die Goten haben wenigstens immer Durst. Siehst du, da kömmt der lange Hildebadus, der ist der Durstigsten einer. Sollte mich wundern, wenn er heute [] nicht trinken wollte da die Steine bersten möchten vor Trockenheit.«
Hildebad hatte die nächste Wache abgelöst und schlenderte nun langsam heran, den Helm im linken Arm, die lange Lanze lässig über der Schulter. Er schritt an der Weinschenke vorbei, zu großem Befremden ihres Herrn, bog in die nächste Seitengasse und stand bald vor einem hohen und dicken Rundturm – er hieß der Turm des Aetius –, in dessen Schatten oben auf dem Walle ein schöner junger Gote auf und nieder schritt. Lange, hellblonde Locken rieselten auf seine Schultern: und das zarte Weiß und Rot seines Gesichts, wie die milden blauen Augen gaben ihm ein fast mädchenhaftes Ansehn.
»He, Fridugern,« rief ihm Hildebad hinauf, »huiweh! Blitzjunge, hältst du's noch immer aus auf diesem Bratrost da oben? Und mit Schild und Panzer – uf!«
»Ich habe die Wache, Hildebad!« sagte der Jüngling sanft.
»Ach, was Wache! Glaubst du, bei dieser Schmelzofenhitze wird Belisar stürmen? Ich sage dir, der ist froh, wenn er Luft hat und verlangt heute kein Blut. Komm mit: ich kam dich zu holen – der dicke Ravennate auf dem Herkulesplatz hat alten Wein und junge Töchter: – laß uns beide zu Munde führen.«
Der junge Gote schüttelte die langen Locken und seine Stirn faltete sich. »Ich habe Dienst und keinen Sinn für Mädchen. Durst habe ich freilich: – schicke mir einen Becher Wein herauf.«
»Ach, richtig, bei Freia, Venus und Maria! du hast ja eine Braut über den Bergen am Danubius! Und du glaubst, die merkt es gleich und die Treue sei gebrochen, wenn du hier einer Römerdirne in die Kohlenaugen guckst. O lieber Freund, bist du noch jung! Nun, nun, nichts für ungut. Mir kann's ja recht sein. Bist sonst ein guter Gesell und wirst schon noch älter werden. Ich schicke dir vom roten Massiker heraus: – da kannst du dann allein Allgunthens Minnetrinken.«
[] Und er wandte sich und war rasch in der Schenke verschwunden. Bald brachte ein Sklave dem jungen Goten einen Becher Wein; dieser flüsterte: »All' Heil, Allgunthis!« und leerte ihn auf einen Zug. Dann nahm er die Lanze wieder auf die Schulter und ging auf der Mauer auf und nieder, langsamen Schrittes. »Von ihr sinnen und träumen darf ich wenigstens,« sagte er, »das wehrt kein Dienst. Wann werd' ich sie wohl wiedersehn?« Und er schritt weiter: und blieb dann gedankenvoll im Schatten des mächtigen Turmes stehn, der schwarz und drohend auf ihn niedersah. –
Bald nach Hildebad zog eine andre Schar Goten vorbei. Sie führten in der Mitte einen Mann mit verbundenen Augen und ließen ihn zur Porta Honorii hinaus. Es war Prokop, der vergeblich noch die festgestellten drei Stunden gewartet hatte. Es war umsonst: keine Botschaft vom König kam: und mißmutig verließ der Gesandte die Stadt. Des Präfekten feiner Plan war, so schien es, an der schlichten Würde des Gotenkönigs gescheitert. –
Und noch eine Stunde verging. Es war dunkler, aber nicht kühler geworden. Da erhob sich vom Meere plötzlich ein starker Windstoß aus Süden: er schob die schwarzen Wolkenballen mit rasender Eile nach Norden. Sie lagerten jetzt dicht und schwer über der Stadt.
Aber auch das Meer, der Südosten, ward dadurch nicht frei. Denn eine zweite, gleiche Wolkenmauer war dort emporgestiegen und hatte sich unmittelbar an die erste geschlossen. Der ganze Himmel über Meer und Land war jetzt ein schwarzes Gewölbe.
Hildebad ging, weinmüde, nach seinem Nachtposten an der Porta Honorii: »Noch immer auf Wache, Fridugern?« rief er dem jungen Goten hinauf. »Und noch immer kein Regen! Die arme Erde! Wie sie dürsten muß! sie dauert mich! Gute Wache!«
In den Häusern war es unleidlich schwül: denn der Wind kam aus den heißen Sandwüsten Afrikas.
[] Die Leute drängten sich, geängstigt von dem drohenden Aussehen des Himmels, hinaus ins Freie, zogen in dichten Haufen durch die Straßen oder lagerten sich in Gruppen in den Vorhallen und Säulengängen der Basiliken. Auf den Stufen von Sankt Apollinaris drängte sich viel Volk zusammen. Und es ward, obwohl erst Sonnenuntergangszeit, doch völlig dunkle Nacht.
* * *
Auf dem Ruhebett in ihrem Schlafgemach lag Mataswintha, die Königin, mit todesbleichen Wangen, in schwerer Betäubung. Aber ohne Schlaf. Die weitgeöffneten Augen starrten in die Dunkelheit.
Nicht eine Silbe hatte sie auf Aspas ängstliche Fragen gesprochen und zuletzt die Weinende mit einer Handbewegung entlassen.
Unwillkürlich kehrten in ihrem eintönigen Denken die Worte wieder: Witichis – Rauthgundis – Mataswintha! Mataswintha – Rauthgundis – Witichis!
Lange, lange lag sie so und nichts schien den unaufhörlichen Kreislauf dieser Worte unterbrechen zu können.
Da plötzlich fuhr ein roter Strahl grell und blendend durch das Gemach, und im selben Augenblick schmetterte ein furchtbarer Donnerschlag, ein Donner, wie sie ihn nie vernommen, grollend, knatternd, prasselnd, krachend über die bebende Stadt.
Der Angstschrei ihrer Frauen schlug an ihr Ohr: sie fuhr empor. Sie setzte sich aufrecht auf dem Ruhebett. Aspa hatte ihr das Obergewand abgenommen. Sie trug nur noch das weißseidne Unterkleid: sie warf die wallenden Wogen ihres Haares über die Schultern und lauschte.
Es war eine bange Stille. Und noch ein Blitz und noch ein Donnerschlag.
Ein Windstoß riß heulend das Fenster von Milchglas auf, das nach dem Hofe führte. Mataswintha starrte in die Finsternis [] hinaus, die jetzt jeden Augenblick von grellen Blitzen unterbrochen wurde. Unaufhörlich rollte der Donner, selbst das furchtbare Geheul des Sturmes überdröhnend. Der Kampf der Elemente tat ihr wohl. Sie lauschte begierig, auf die Linke gestützt und mit der Rechten langsam über die Stirne streichend.
Da eilte Aspa herein mit Licht. Es war eine Fackel, deren Flamme in einer geschlossenen Glaskugel brannte.
»Königin, du ... – Aber, bei allen Göttern, wie siehst du aus! Wie eine Lemure. Wie die Rachegöttin!«
»Ich wollte, ich wäre es,« sagte Mataswintha – es war das erste Wort seit langen Stunden, – ohne den Blick vom Fenster zu wenden.
Und Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag. Aspa schloß das Fenster. »O Königin, die Frommen unter deinen Mägden sagen: das sei das Ende der Welt, das da komme, und der Sohn Gottes steige nieder auf feurigen Wolken, zu richten die Lebendigen und die Toten. Huh, welch' ein Blitz! Und noch kein Tropfen Regen. Nie hab' ich solch ein Unwetter gesehen. Die Götter zürnen schwer.«
»Wehe, wem sie zürnen. O, ich beneide sie, die Götter. Sie können hassen und lieben, wie's ihnen gefällt. Und zermalmen den, der sie nicht wieder liebt.«
»Ach, Herrin, ich war auf der Straße: ich komme gerade zurück. Alles Volk strömt in die Kirchen mit Beten und Singen, den Himmel zu versöhnen. Ich bete zu Kairu und Astarte – Herrin, betest du nicht auch?«
»Ich fluche! Das ist auch gebetet.«
»Oh, welch ein Donnerschlag!« schrie die Sklavin und stürzte zitternd in die Kniee. Der dunkelblaue Mantel, den sie trug, glitt von ihren Schultern. Der Blitz und Donner war so stark gewesen, daß Mataswintha aus den Kissen gesprungen und ans Fenster geeilt war.
[] »Gnade, Gnade, ihr großen Götter! erbarmt euch der Menschen!« flehte die Afrikanern.
»Nein, keine Gnade! Fluch und Verderben über die elende Menschheit!
Ha das war schön! Hörst du, wie sie unten heulen vor Angst auf der Straße? Noch einer, und noch ein Strahl! Ha, ihr Götter, wenn ein Himmelsgott oder Himmelsgötter sind – nur um eins beneid' ich euch –: um die Macht eures Hasses, um euren raschen, geflügelten, tödlichen Blitz! Ihr schwingt ihn mit der ganzen Wut und Lust eures Herzens und eure Feinde vergehn: und ihr lacht dazu: – der Donner ist euer Gelächter! Ha, was war das?«
Ein Blitz und ein Donner, der alle frühern übertraf, zuckte und krachte. Aspa fuhr vom Boden auf.
»Was ist das für ein großes Haus, Aspa? die dunkle Masse uns gegenüber? Der Blitz hat wohl gezündet: – brennt es?«
»Nein, Dank den Göttern! es brennt nicht! Der Blitz hat sie nur beleuchtet. Es sind die Kornspeicher des Königs.«
»Ha, habt ihr fehlgeblitzt, ihr Götter?« So schrie die Königin. »Auch die Sterblichen führen den Blitz der Rache.«
Und sie sprang vom Fenster hinweg, – und das Gemach war plötzlich dunkel.
»Königin – Herrin – wo bist – wohin bist du verschwunden?« rief Aspa. Und sie tastete an den Wänden. Aber das Gemach war leer: und Aspa rief umsonst nach ihrer Herrin.
* * *
Unten auf der Straße wogte nach der Basilika von Sankt Apollinaris hin ein frommer Zug.
Ravennaten und Goten, Kinder und Greise, sehr viele Frauen: Knaben mit Fackeln schritten voran, hinter ihnen Priester mit Kreuzstangen und Fahnen. Und durch das Brüllen [] des Donners und durch das Pfeifen des Sturmes scholl die alte, feierlich ergreifende Weise:
Und der Bittgang verschwand in der Kirche. Auch die nächsten Aufseher der Kornspeicher schlossen sich dem Zuge an.
Auf den Stufen der Basilika, gerade der Tür der Speicher gegenüber, saß das Weib im braunen Mantel: still und furchtlos im Aufruhr der Elemente, die Hände nicht gefaltet, aber ruhig im Schoß liegend. Der Mann in der Sturmhaube stand neben ihr.
Eine gotische Frau, die in die Kirche eilte, erkannte sie im Schein eines Blitzes. »Du wieder hier, Landsmännin? Ohne Obdach? Ich habe dir doch oft genug mein Haus angeboten. Du scheinst fremd hier in Ravenna?«
»Ich bin fremd. Doch hab' ich Obdach.« – »Komm mit in die Kirche und bete mit uns.«
»Ich bete hier.« – »Du betest? Du singst nicht und sprichst nicht?«
»Gott hört mich doch.« – »Bete doch für die Stadt. Sie fürchten, es komme das Ende der Welt.«
»Ich fürchte es nicht, wenn es kommt.«
»Und bete für unsern guten König, der uns Brot gibt alle Tage.« – »Ich bete für ihn.«
Da tönte der waffenklirrende Schritt von zwei gotischen Runden, die sich an der Basilika kreuzten.
»Ei, so donnre, bis du springst,« schalt der Führer der einen Schar, »aber brumme mir nicht in meinen Befehl.
Haltet an. Wisand, du bist's? Wo ist der König? Auch in der Kirche?«
»Nein, Hildebad, auf den Wällen.«
[] »Recht so, da gehört er hin! Vorwärts, Heil dem König.« Und die Schritte verhallten.
Da kam ein römischer Lehrer mit einigen seiner Schüler vorbei. »Aber, Magister,« mahnte der jüngste, »ich dachte, du wolltest in die Kirche? Warum führst du uns sonst aus dem Hause ins Freie bei diesem Unwetter?«
»Das sagte ich nur, um euch und mich aus dem Hause zu bringen. Was Kirche! Ich sage dir, je weniger ich Dächer und Mauern um mich weiß, desto wohler ist mir. Ich führ' euch auf die große, freie Wiese in der Vorstadt. Ich wollte, wir hätten Regen. Wäre der Vesuvius nahe genug, wie in meiner Heimat, ich dächte, Ravenna werde heut' ein zweites Herculaneum. Ich kenne solche Luft, wie sie heute – ich traue nicht!« Und sie gingen vorüber.
»Willst du nicht mit mir gehn, Frau?« sprach der Mann in der Sturmhaube zu der Gotin. »Ich muß sehen, Dromon, unsern Gastfreund, jetzt zu treffen: sonst kommen wir diese Nacht wieder nicht unter Obdach. Ich kann dich nicht allein lassen im Dunkeln. Du hast kein Licht bei dir.«
»Siehst du nicht, wie mir die Blitze leuchten? Geh' nur, ich komme nach. Ich muß noch was zu Ende denken –, zu Ende beten.« Und die Frau blieb allein. Sie preßte beide Hände fest gegen die Brust und sah gegen den schwarzen Himmel: leise nur bewegten sich ihre Lippen.
Da war es ihr, als sähe sie in den Hochgängen, Galerien und Oberhallen des gewaltigen Holzbaues der Speicher, die in dunkeln Massen ihr gegenüber lagen, aus dem steinernen Rundbau des Zirkus ragend, ein Licht auftauchen und hin und wieder, auf- und abwärts wandeln. Es mußte wohl eine Täuschung durch die Blitze sein. Denn jedes frei getragene Licht hätte der Wind in den nach außen offenen Galerien verlöscht.
Aber nein: es war doch ein Licht.
Denn in regelmäßigen Zwischenräumen wechselte sein Aufleuchten [] und sein Verschwinden, wie wenn es hastigen Schrittes entlang den Gängen mit ihren verdeckenden Pfeilern und Halbmauern getragen würde. Scharf sah die Frau nach dem wechselnden Licht und Schatten ... – –
Aber plötzlich – o Entsetzen – fuhr sie empor.
Es war ihr: als sei die Marmorstufe, auf der sie gesessen, ein schlafend Tier gewesen, das, jetzt erwachend, sich leise regte, lebendig wurde – und schwankte, – stark, – von der Linken zur Rechten. –
Blitz und Donner und Sturm ruhten auf einmal. –
Da scholl aus den Speichern ein schriller Schrei. Hell aufflammte das Licht und verschwand plötzlich. –
Aber auch die Frau auf der Straße stieß einen leisen Angstruf aus. Denn jetzt konnte sie nicht mehr zweifeln: die Erde bebte unter ihr! – Ein leises Zucken: und plötzlich zwei, drei starke Stöße: als hebe sich wellenförmig der Boden von der Linken zur Rechten.
Aus der Stadt her tönte Angstgeschrei. Aus den Türen der Basilika stürzte in Todesangst die laut kreischende Schar der Beter. – Noch ein Stoß! – Die Frau hielt sich mit Mühe aufrecht.
Und fernher, von der Außenseite der Stadt, scholl ein gewaltiges dumpfes Krachen, wie von massenhaft stürzenden, schweren Lasten.
Ein furchtbares Erdbeben hatte Ravenna heimgesucht.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Während die Frau sich in der Richtung jenes dumpfen Schlages wandte, drehte sie einen Augenblick den Speichern den Rücken. Aber rasch wandte sie sich diesen wieder zu. Denn es war ihr, als sei eine schwere Türe zugefallen. Scharf blickte sie hin. Doch in der tiefen Finsternis konnte ihr Auge nichts [] wahrnehmen. Nur ihr Ohr hörte etwas sacht an der Außenmauer des Gebäudes dahinrascheln. Und sie glaubte, ein leises Seufzen zu vernehmen.
»Halt,« rief die Frau, »wer jammert da?«
»Still, still,« flüsterte eine seltsame Stimme, »die Erde hat darüber – vor Abscheu – sich geschüttelt, gebebt. Die Erde bebt – die Toten stehen auf. – Es kommt der jüngste Tag, – der deckt alles auf. – Bald wird er's wissen. – Oh. –« Und ein tiefgezogener Klagelaut – und ein Rauschen von Gewändern – und Stille.
»Wo bist du? bist du wund?« rief die Frau tastend.
Da zuckte ein heller Blitz, – der erste seit dem Erdstoß – und zeigte vor ihren Füßen liegend, eine verhüllte Gestalt. Weiße und dunkelblaue Frauenkleider. – Das Weib langte nach dem Arm der Liegenden.
Aber rasch sprang diese bei der Berührung auf und war mit einem Schrei im Dunkel verschwunden. Das Ganze war so rasch und ungeheuerlich wie ein Traumgesicht: nur eine breite goldene Armspange, mit einer grünen Schlange von Smaragden, die in ihrer Hand zurückgeblieben, war ein Pfand der Wirklichkeit dieser unheimlichen Erscheinung.
* * *
Und wieder tönten die ehernen Schritte der gotischen Wachen. »Hildebad, Hildebad, zu Hilfe!« rief Wisand. »Hier bin ich: – was ist? wohin soll ich?« fragte dieser mit seiner Schar entgegenkommend. »An das Tor des Honorius! Dort ist die Mauer eingestürzt und der dicke Turm des Aëtius liegt in Trümmern. – Zu Hilfe, in die Lücke!«
»Ich komme: – – armer Fridugern!«
* * *
In dem gleichen Augenblick stürmte draußen im Lager der Byzantiner Cethegus der Präfekt in das Feldherrnzelt Belisars. [] Er war in voller Rüstung, der purpurdunkle Roßschweif flatterte um seinen Helm. Seine Gestalt war hoch aufgerichtet. Feuer leuchtete in seinen Augen. »Auf! was säumst du, Feldherr Justinians? Die Mauern deiner Feinde stürzen von selber ein.
Offen liegt vor dir des letzten Gotenkönigs letzte Burg. – Und du? was tust du in deinem Zelt? – –«
»Ich verehre die Größe des Allmächtigen!« sagte Belisar mit edler Ruhe. Antonina stand neben ihm, den Arm um seinen Nacken geschlungen. – Ein Betschemel und ein hohes Kreuz zeigte, in welchem Tun die wilde Glut des Präfekten das Paar gestört. »Das tu' morgen. – Nach dem Sieg. Jetzt aber: stürme!«
»Jetzt stürmen!« sprach Antonina, »welcher Frevel!«
»Die Erde bebt in ihren Grundfesten, erschüttert und erschreckt. Denn Gott der Herr spricht in diesen Wettern!«
»Laß ihn sprechen! Wir wollen handeln. Belisar, der Turm des Aëtius und ein gutes Stück Mauer ist eingestürzt. Ich frage dich, willst du stürmen?«
»Er hat nicht unrecht,« meinte Belisar, in dem die Kampflust erwachte. – »Aber es ist finstre Nacht. – –«
»Im Finstern find' ich den Weg zum Sieg und in das Herz von Ravenna. Auch leuchten die Blitze.«
»Du bist ja plötzlich sehr kampfeseifrig,« zögerte Belisar.
»Ja, denn jetzt hat's Vernunft zu kämpfen. Die Barbaren sind verblüfft.
Sie fürchten Gott und vergessen darüber ihrer Feinde.«
Im gleichen Augenblick eilten Prokop und Marcus Licinius in das Zelt. »Belisar,« meldete der erste, »der Erdstoß hat deine Zelte am Nordgraben umgestürzt und eine halbe Kohorte Illyrier darunter begraben!« – »Hilfe, Hilfe! meine armen Leute!« rief Belisar und eilte aus dem Zelte. »Cethegus,« berichtete Marcus, »auch eine Kohorte deiner Isaurier liegt unter ihren Zelten verschüttet.« Aber ungeduldig, den Helm[] schüttelnd, frug der Präfekt: »was ist mit dem Wasser in dem gotischen Graben vor dem Aëtiusturm? hat der Erdspalt es nicht verringert?« – »Ja, das Wasser ist verschwunden – der Graben ist ganz trocken. Horch, das Wehegeschrei! Deine Isaurier sind's: sie stöhnen und wimmern unter der Verschüttung und schreien um Hilfe.«
»Laß sie schreien!« sprach Cethegus. – »Der Graben ist wirklich trocken? So laß zum Sturm blasen. Folge mir mit allen Söldnern, die noch leben.«
Und unter Blitz und Donner, die jetzt wieder unaufhörlich rasten, eilte der Präfekt zu seinen Schanzen, wo seine römischen Legionare und der Rest der Isaurier unter Waffen standen. Rasch übersah er sie: es waren viel zu wenige, um mit ihnen allein die Stadt zu nehmen. Aber er wußte, daß ein günstiger Erfolg alsbald Belisar mit fortreißen würde. »Lichter, Fackeln her!« rief er und trat mit einer Pechfackel in der Linken vor die Fronte seiner römischen Legionare. »Vorwärts,« befahl er, »die Schwerter heraus!«
Aber kein Arm rührte sich.
Sprachlos vor Staunen und mit Grauen blickten alle, auch die Führer, auch die Licinier, auf den dämonischen Mann, der im Aufruhr der ganzen Natur nur an sein Ziel dachte und die Elemente, die Schrecken Gottes, nur als Mittel ansah zu seinem Zweck.
»Nun, habt ihr auf mich zu hören, oder auf den Donner?« rief er.
»Feldherr,« mahnte ein Centurio vortretend, »sie beten. Denn die Erde bebt.«
»Glaubt ihr, Italia wird ihre Kinder verschlingen? Nein, ihr Römer, seht: der Boden selbst von Italien erhebt sich gegen die Barbaren. Er bäumt sich, sprengt ihr Joch und ihre Mauern fallen. Roma! Roma aeterna!«
Das zündete. Es war eines jener cäsarischen Worte, welche die Männer und die Waffen fortreißen.
[] »Roma! Roma aeterna!« riefen zuerst die Licinier, dann die Tausende der römischen Jünglinge: und durch Nacht und durch Grauen, durch Blitz und Donner und Sturm, folgten sie dem Präfekten, dessen dämonischer Schwung sie mit fortriß. Die Begeisterung lieh ihnen Flügel. Rasch waren sie über den breiten Graben hinweg, dem sie sonst kaum zu nahen gewagt. – Cethegus der erste am jenseitigen Rand. – Die Fackeln hatte der Sturm gelöscht. Im Finstern fand er den Weg. »Hierher, Licinius,« rief er, »mir nach! hier muß die Lücke sein.«
Und er sprang vorwärts, rannte aber gegen einen harten Körper und taumelte zurück. »Was ist das?« fragte Lucius Licinius hinter ihm, »eine zweite Mauer?« – »Nein,« sprach eine ruhige Stimme von drüben, »aber gotische Schilde.« – »Das ist der König Witichis,« sagte der Präfekt grimmig und maß mit bitterem Haß die dunkeln Gestalten. Er hatte auf Überraschung gezählt. Seine Hoffnung war getäuscht. »Hätt' ich ihn,« sprach er grimmig in sich hinein, »er sollte nicht mehr schaden.«
Da wurden von rückwärts viele Fackeln sichtbar, und die Trompeten schmetterten. Belisar führte sein Heer zum Sturm gegen den Mauersturz. Prokop erreichte den Präfekten: »Nun, was stockt ihr? Halten euch neue Wälle auf?«
»Ja, lebendige Wälle. Da stehen sie,« und der Präfekt deutete mit dem Schwert. »Unter den noch fallenden Trümmern, diese Goten!« –
»Nun wahrlich!« rief Prokop: »si fractus illabatur orbis, impavidos ferient ruinae! Das sind mutige Männer.«
Aber jetzt war Belisar mit seinen dichten, zum Angriff bereiten Scharen heran. Einen Augenblick, – nur die Führer eilten noch, Befehle erteilend hin und wieder, – einen Augenblick noch, und ein furchtbares Morden mußte beginnen.
Da erglühte plötzlich der ganze Horizont über der Stadt. [] Eine Flammensäule schoß hoch empor, und zahllose Funken stoben nieder. Es schien Feuer vom Himmel zu regnen. Im roten Licht glänzte ganz Ravenna. Es war ein furchtbar herrlicher Anblick.
Die beiden Heere, im Begriff handgemein zu werden, hielten inne.
»Feuer! Feuer! Witichis! König Witichis,« schrie jetzt ein Reiter, der von der Stadt herjagte, »es brennt.«
»Das sehen wir. Laß brennen, Markja! Erst fechten, dann löschen.«
»Nein, nein, Herr! alle deine Speicher brennen! Dein Getreide fliegt in Myriaden Funken durch die Luft.«
»Die Speicher brennen!« schrien Goten und Byzantiner.
Witichis versagte die Stimme, zu fragen. »Der Blitz muß schon lange im Innern gezündet haben. Es hat von innen heraus alles zusammengebrannt. Da sieh', sieh' hin. –«
Ein stärkerer Stoß des Sturmwinds fuhr in die Lohe und entfachte sie riesengroß. Die Flammen flogen auf die nächsten Dächer. Zugleich schien der hölzerne Dachfirst des hohen Gebäudes jetzt hinabzustürzen. Denn nach einem schweren Schlag schossen abermals viele, viele Tausende von Funken empor. Es war ein Flammenmeer.
Witichis wollte das Schwert erheben zum Befehl: – matt sank sein Arm herunter.
Cethegus sah's: »Jetzt,« rief er, »jetzt zum Sturm!«
»Nein, haltet ein!« rief mit Löwenstimme Belisarius. »Der ist ein Feind des Kaisers, der ist des Todes, der das Schwert erhebt. Zurück ins Lager alle: jetzt ist Ravenna mein – und morgen fällt's von selbst.«
Und seine Tausende folgten ihm und zogen zurück. Cethegus knirschte. Er allein war zu schwach. Er mußte nachgeben. Sein Plan war gescheitert. Er hatte die Stadt mit Sturm nehmen wollen, um wie in Rom, sich in ihren Hauptwerken festzusetzen.
[] Und er sah voraus, daß sie nun ganz in Belisars Hand werde geliefert werden. Grollend führte er die Seinen zurück.
Aber es sollte anders kommen, als Belisar und als Cethegus dachten.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Der König hatte den Schutz der Mauerlücke am Turm des Aëtius Hildebad übertragen und war sofort auf die Brandstätte geeilt.
Als er dort eintraf, fand er das Feuer im Erlöschen: – aber nur aus Mangel an Nahrung. Der ganze Inhalt, der Speicher, samt deren Brettergerüsten, und dem Dach, alles was durch Feuer zerstörbar, war bis auf den letzten Splitter und das letzte Korn verbrannt. Nur die nackten, ruß- und rauchgeschwärzten Steinmauern des ursprünglichen Marmorbaus, des Zirkus des Theodosius, starrten noch gen Himmel.
Ein Mal des Blitzstrahls war an ihnen nicht wahrzunehmen. Das Feuer mußte sehr lange Zeit von innen heraus, wo der Blitz den Holzbau entzündet haben mochte, unvermerkt fortgeglimmt sein und sich über alle Innenräume des Holzbaus schleichend verbreitet haben. Als Flammen und Rauch aber zu den Dachlücken herausschlugen, war alle Hilfe zu spät. Krachend war bald darauf der Rest des Holzbaues zusammengestürzt: die Einwohner hatten vollauf zu tun, die nächsten, teilweise schon vom Feuer ergriffenen Häuser zu retten. Dies gelang mit Hilfe des Regens, der kurz vor Tagesanbruch endlich einfiel und dem Sturm, sowie dem Blitz und Donner ein Ende machte.
Aber statt der Speicher beleuchtete die aufgehende Sonne, als sie das Gewölk zerstreute, nur einen trostlosen Haufen Schutt und Asche in der Mitte des Marmorrundbaues.
Schweigend, mit tief gesenktem Haupt, lehnte der König lange Zeit diesen Ruinen gegenüber an einer Säule der Basilika. [] Ohne Regung, nur manchmal den Mantel auf der mächtig arbeitenden Brust zusammendrückend. Im Anblick dieser Trümmer war ein schwerer Entschluß in ihm gereift. Jetzt ward es grabesstill in seinem Innern.
Jedoch um ihn her auf dem Platze wogte das Elend der verzweifelnden Armen von Ravenna betend, fluchend, weinend, scheltend. »O, was wird jetzt aus uns!« – »O, wie war das Brot so weiß, so gut, so duftend, das ich noch gestern hier erhielt.« – »O, was werden wir jetzt essen?«
»Bah, der König muß aushelfen.« – »Ja, der König muß Rat schaffen.« – »Der König?«
»Ach, der arme Mann, woher soll er's nehmen?« – »Hat er doch selbst nichts mehr.« – »Das ist seine Sache.« – »Er allein hat uns in all die Not gebracht.« – »Er ist an allem schuld.« – »Was hat er die Stadt nicht lang dem Kaiser übergeben.« – »Jawohl, ihrem rechtmäßigen Herrn!« – »Fluch den Barbaren!« – »Sie sind an allem schuld.« – »Nicht alle, nein, der König allein. Seht ihr's denn nicht? Es ist die Strafe Gottes!« – »Strafe? wofür? Was hat er verbrochen? Er gab dem Volke von Ravenna Brot!« – »So wißt ihr's nicht? Wie kann der Eheschänder die Gnade Gottes haben? Der sündige Mann hat ja zwei Weiber zugleich! Der schönen Mataswintha hat ihn gelüstet. Und er ruhte nicht, bis sie sein eigen war. – Sein ehlich Weib hat er verstoßen.«
Da schritt Witichis unwillig die Stufen herab. Ihn ekelte des Volkes. Aber sie erkannten seinen Schritt.
»Da ist der König! Wie finster er blickt,« riefen sie durcheinander und wichen zur Seite. »O, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte den Hunger mehr als seinen Zorn. Schaff' uns Brot, König Witichis. Hörst du's, wir hungern!« sprach ein zerlumpter Alter und faßte ihn am Mantel. »Brot, König!« – »Guter König, Brot!« – »Wir verzweifeln!« – »Hilf uns!« Und wild drängte sich die Menge um ihn.
[] Ruhig, aber kräftig machte sich Witichis frei. »Geduldet euch,« sprach er ernst. »Bis die Sonne sinkt, ist euch geholfen.« Und er eilte nach seinem Gemach.
Dort warteten auf ihn mehrere Diener Mataswinthens und ein römischer Arzt.
»Herr,« sprach dieser mit besorgter Miene, »die Königin, deine Gemahlin ist sehr krank. Die Schrecken dieser Nacht haben ihren Geist verwirrt. Sie spricht wirre Fieberreden. Willst du sie nicht sehen?«
»Nicht jetzt, sorgt für sie.« »Sie reichte mir,« fuhr der Arzt fort, »mit größter Angst und Sorge diesen Schlüssel. Er schien sie in ihren Wahnreden am meisten zu beschäftigen. Sie holte ihn unter ihrem Kopfkissen hervor. Und sie ließ mich schwören, ihn nur in deine Hand zu geben, er sei von höchster Wichtigkeit.«
Mit einem bittern Lächeln nahm der König den Schlüssel und warf ihn zur Seite. »Er ist es nicht mehr. – Geht, verlaßt mich und sendet meinen Schreiber.«
* * *
Eine Stunde später ließ Prokop den Präfekten in das Zelt des Feldherrn eintreten.
Als er eintrat, rief ihm Belisar, der mit hastigen Schritten auf und nieder ging, entgegen: »Das kommt von deinen Plänen, Präfekt! Von deinen Künsten! von deinen Lügen! Ich hab' es immer gesagt: vom Lügen kommt Verderben: und ich verstehe mich nicht darauf! O, warum bin ich dir gefolgt! Jetzt steck' ich in Not und Schande!«
»Was bedeuten diese Tugendreden?« fragte Cethegus seinen Freund.
Dieser reichte ihm einen Brief. »Lies. Diese Barbaren sind unergründlich in ihrer großartigen Einfalt. Sie schlagen den Teufel durch Kindessinn; lies.«
[] Und Cethegus las mit Staunen: »Du hast mir gestern drei Dinge zu wissen getan:
Daß die Franken mich verraten haben. Daß Du im Bund mit den Franken das Westreich deinem undankbaren Kaiser entreißen willst. Daß Du uns Goten freien Abzug über die Alpen ohne Waffen anbietest.
Darauf habe ich Dir gestern geantwortet, die Goten geben nie ihre Waffen ab und räumen nicht Italien, die Eroberung und Erbschaft ihres großen Königs: eher fall' ich hier mit meinem ganzen Heer. So habe ich gestern gesprochen. So spreche ich heute noch, obwohl sich Feuer, Wasser, Luft und Erde gegen uns empörten. Aber was ich immer dunkel gefühlt, hab' ich heut' nacht unter den Flammen meiner Vorräte klar erkannt: es liegt ein Fluch auf mir. Um meinetwillen erliegen die Goten. Ich bin das Unglück meines Volkes. Das soll nicht länger also sein. Nur meine Krone versperrte einen ehrenvollen Ausweg: sie soll's nicht mehr. Du erhebst Dich mit Recht gegen Justinian, den treulosen und undankbaren Mann. Er ist unser Feind wie Deiner. Wohlan: stütze Dich, statt auf ein Heer der falschen Franken: auf das ganze Volk der Goten, deren Kraft und Treue Dir bekannt. Mit jenen sollst Du Italien teilen: mit uns kannst Du es ganz behalten. Laß mich den Ersten sein, der Dich begrüßt wie als Kaiser des Abendlands so als König der Goten. Alle Rechte bleiben meinem Volk, Du trittst einfach an meine Stelle. Ich selber setze Dir meine Krone auf das Haupt und wahrlich: kein Justinian soll sie Dir entreißen. Verwirfst Du diesen Antrag: so mache Dich gefaßt auf einen Kampf, wie du noch keinen gekämpft. Ich breche dann mit fünfzigtausend Goten in Dein Lager. Wir werden fallen. Aber auch Dein ganzes Heer. Eins oder das andre. Ich hab's geschworen. Wähle. Witichis.«
Einen Augenblick war der Präfekt aufs furchtbarste erschrocken. Rasch hatte er einen forschenden Blick auf Belisar [] geworfen. Aber dieser Eine Blick beruhigte ihn wieder ganz. »Er ist ja Belisar,« sagte er sich abermals. »Jedoch gefährlich ist es immer, mit dem Teufel zu spielen. Welche Versuchung! –«
Er gab den Brief zurück und sagte lächelnd: »Welch ein Einfall! Wozu doch die Verzweiflung führt.«
»Der Einfall,« meinte Prokop, »wäre gar so übel nicht, wenn ... –«
»Wenn Belisar nicht Belisar wäre,« lächelte Cethegus.
»Spart euer Lachen,« schalt dieser. »Ich bewundre den Mann. Und es darf mich nicht mehr beleidigen, daß er mich der Empörung fähig hält. Hab' ich es ihm doch selber vorgelogen.« Und er stampfte mit dem Fuß. »Ratet jetzt und helft! Denn ihr habt mich in diese leidige Wahl geführt. Ja sagen kann ich nicht. Und sag' ich nein: – darf ich des Kaisers Heer als vernichtet ansehen. Und muß obenein bekennen, daß ich die Empörung nur erlogen.«
Cethegus sann schweigend nach, das Kinn mit der Linken langsam streichend. Plötzlich durchblitzte ihn ein Gedanke. Ein Strahl der Freude flog verschönend über sein Gesicht: »so kann ich sie beide verderben!« Er war in diesem Augenblick sehr mit sich zufrieden. Aber erst wollte er Belisar ganz sicher machen. »Du kannst vernünftigerweise nur zwei Dinge tun,« sagte er zaudernd.
»Rede: ich sehe weder eins noch das andre.«
»Entweder wirklich annehmen –«
»Präfekt,« rief Belisar grimmig und fuhr ans Schwert. Prokop hemmte erschrocken seinen Arm. »Keinen solchen Scherz mehr, Cethegus, so lieb dir dein Leben.«
»Oder,« fuhr dieser ruhig fort, »zum Schein annehmen. Ohne Schwertstreich einziehn in Ravenna. Und – – die Gotenkrone samt dem Gotenkönig nach Byzanz schicken.«
»Das ist glänzend!« rief Prokop. »Das ist Verrat!« rief Belisar.
[] »Es ist beides,« sagte Cethegus ruhig.
»Ich könnte dem Gotenvolk nicht mehr in die Augen sehen.«
»Das ist auch nicht nötig. Du führst den gefangenen König nach Byzanz. Das entwaffnete Volk hört auf, ein Volk zu sein.«
»Nein, nein, das tu' ich nicht.«
»Gut. So laß dein ganzes Heer Testamente machen. Leb wohl, Belisar. Ich gehe nach Rom. Ich habe durchaus nicht Lust, fünfzigtausend Goten in Verzweiflung kämpfen zu sehen. Und wie wird Kaiser Justinianus den Verderber seines besten Heeres loben!«
»Es ist eine furchtbare Wahl,« zürnte Belisar.
Da trat Cethegus langsam auf den Feldherrn zu. »Belisar,« sprach er mit gemütvoller, tief aus der Brust geschöpfter Stimme: »du hast mich oft für deinen Feind gehalten. Und ich bin zum Teil dein Gegner. Aber wer kann neben Belisar im Feld gestanden sein, ohne den Helden zu bewundern?«
Und seine Weise war so feierlich und salbungsvoll, wie man sie nie an dem sarkastischen Präfekten sah. Belisar war ergriffen und selbst Prokop erstaunte.
»Ich bin dein Freund, wo ich es sein kann. Und will dir diese Freundschaft in diesem Augenblick durch meinen Rat bewähren. Glaubst du mir, Belisarius?« Und er legte die linke Hand auf des Helden Schulter, bot ihm treuherzig die Rechte, und sah ihm tief ins Auge.
»Ja,« sagte Belisar, »wer könnte solchem Blick mißtrauen.«
»Siehe, Belisar, nie hat ein edler Mann einen mißtrauischern Herrn gehabt als du. – Der letzte Brief des Kaisers ist die schwerste Kränkung deiner Treue.«
»Das weiß der Himmel.«
»Und nie hat ein Mann,« – hier faßte er ihn an beiden Händen – »herrlichere Gelegenheit gehabt, das schnödeste Mißtrauen zu beschämen, sich aufs glorreichste zu rächen, seine Treue [] sonnenklar zu zeigen. Du bist verleumdet, du trachtetest nach der Herrschaft des Abendlandes. Wohlan, bei Gott: du hast sie jetzt in Händen. Zieh' in Ravenna ein, laß dir von Goten und Italiern huldigen und zwei Kronen auf dein Haupt setzen. Ravenna dein, dein blindergebnes Heer, die Goten, die Italier – wahrlich, du bist unantastbar. Justinian muß zittern zu Byzanz und sein stolzer Narses ist ein Strohhalm gegen deine Macht. Du aber, der du all' dies in Händen hast, – du legst all' die Macht und all' die Herrlichkeit deinem Herrn zu Füßen und sprichst: ›Siehe, Justinianus, Belisar ist lieber dein Knecht als der Herr des Abendlandes.‹ So glorreich, Belisar, ward Treue noch nie auf Erden erprobt.«
Cethegus hatte den Kern seines Herzens getroffen. Sein Auge leuchtete.
»Recht hast du, Cethegus, komm an meine Brust, hab' Dank. Das ist groß gedacht. O Justinian, du sollst vor Scham vergehn!«
Cethegus entzog sich der Umarmung und schritt zur Türe.
»Armer Witichis,« flüsterte Prokop ihm zu; »er wird diesem Musterstück von Treue aufgeopfert. – Jetzt ist er verloren.«
»Ja,« sagte Cethegus, »er ist verloren, gewiß.« Und draußen vor dem Zelt warf er den Mantel über die linke Schulter und sprach: »Aber gewisser noch du selber, Belisar.«
* * *
In seinem Quartier trat ihm Lucius Licinius gerüstet entgegen.
»Nun, Feldherr,« fragte er, »die Stadt ist noch nicht übergeben. Wann geht's zum Kampf?«
»Der Kampf ist aus, mein Lucius. Leg' deine Waffen ab und gürte dich zu reisen. Du gehst noch heute mit geheimen Briefen von mir ab.« – »An wen?« – »An den Kaiser und die Kaiserin.« – »Nach Byzanz?« – »Nein, zum Glück sind sie ganz nah, in den Bädern von Epidaurus. Eile dich. In [] fünfzehn Tagen mußt du zurück sein, nicht einen halben später. Italiens Schicksal harrt auf deine Wiederkunft.«
* * *
Sowie Prokop mündlich die Antwort Belisars dem Gotenkönig überbracht, berief dieser in seinen Palast die Führer des Heeres, die vornehmsten Goten und eine Anzahl von vertrauten einfach Freien, teilte ihnen das Geschehene mit und forderte ihre Zustimmung.
Wohl waren sie anfangs mächtig überrascht: und ein Schweigen des Staunens folgte auf seine Worte. Endlich sprach Herzog Guntharis, mit Rührung auf den König blickend: »Die letzte deiner Königstaten, Witichis, ist so edel, ja edler als alle deine früheren. Dich bekämpft zu haben werd' ich ewig bereuen. Ich habe mir lange geschworen, es zu sühnen, indem ich dir blindlings folge. Und wahrlich: in diesem Fall hast du zu entscheiden: denn du opferst das Höchste: eine Krone. Soll aber ein andrer als du König sein, – leichter mögen die Wölsungen einem Fremden, einem Belisar als einem Goten nachstehn. Und so folg' ich dir und sage: ja, du hast gut und groß gehandelt.«
»Und ich sage nein! und tausendmal nein!« rief Hildebad. »Bedenkt, was ihr tut! Ein Fremder an der Spitze der Goten!«
»Was ist das andres, als was andre Germanen vor uns getan, Quaden und Heruler und Markomannen, auch die Franken unter jenem Römer Ägidius?« sagte Witichis ruhig, »ja was andres, als was unsre glorreichsten Könige und selbst Theoderich getan? Sie leisteten dem Kaiser Waffendienst und erhielten dafür Land. So lautet der Vertrag, nach dem Theoderich Italien von Kaiser Zeno nahm. Ich erachte Belisar nicht geringer als Zeno und mich wahrlich nicht besser als Theoderich.«
»Ja, wenn es Justinian wäre,« fügte Guntharis bei. »Nie [] unterwarf' ich mich dem feigen und falschen Tyrannen. Aber Belisarius ist ein Held. – Kannst du das leugnen, Hildebad? Hast du vergessen, wie er dich vom Gaul gerannt?«
»Schlag mich der Donner, wenn ich's ihm vergesse. Es ist das einzige, was mir an ihm gefallen hat.«
»Und das Glück ist mit ihm, wie mit mir das Unglück war. Und wir bleiben im reichen Lande hier, bleiben frei wie bisher und schlagen nur seine Schlachten gegen Byzanz. Er wird uns Rache schaffen an dem gemeinsamen Feind.«
Und fast alle Versammelten stimmten bei.
»Nun, ich kann euch nicht in Worten widerlegen,« rief Hildebad. – »Von je hab' ich die Zunge ungefüger, als die Axt geführt. – Aber ich fühl' es deutlich: ihr habt unrecht. – Hätten wir nur den schwarzen Grafen hier: der würde sagen können, was ich nur spüre. Mögt ihr's nie bereuen! Mir aber sei's vergönnt, aus diesem ungeheuerlichen Mischreich davonzugehn. Ich will nicht leben unter Belisar. Ich zieh' auf Abenteuer in die Welt: mit Schild und Speer und groben Hieben kommt man weit.«
Witichis hoffte, den treuen Gesellen in vertrautem Gespräch wohl noch umzustimmen. Er fuhr jetzt in der Sache fort, die ihm so sehr am Herzen lag. »Vor allem hat sich Belisar Schweigen ausbedungen, bis er Ravenna besetzt hat. Es steht zu fürchten, daß einige seiner Heerführer mit ihren Truppen von einer Empörung gegen Justinian nichts wissen wollen. Diese, sowie die verdächtigen Quartiere von Ravenna, müssen von den Goten und den verlässigen Anhängern Belisars umstellt sein, ehe die Entscheidung fällt.«
»Hütet euch,« warnte Hildebad, »daß ihr nicht selbst in diese Grube fallt! Wir Goten sollen uns nicht aufs Feinspinnen verlegen, 's ist, wie wenn der Waldbär auf das Seil steigt – er fällt doch über kurz oder lang. Lebt wohl – mög' es besser ausfallen als ich ahne.
[] Ich gehe, von meinem Bruder Abschied zu nehmen. Der, wie ich ihn kenne, wird wohl mit diesem Römer-Gotenstaate sich versöhnen. Der schwarze Teja aber, denk' ich, zieht mit mir davon.«
* * *
Am Abend durchlief die Stadt das Gerücht von einer Kapitulation. Die Bedingungen waren ungewiß. Aber gewiß war, daß Belisar auf Verlangen des Königs große Vorräte von Brot, Fleisch und Wein in die Stadt schickte, welche an die Armen verteilt wurden. »Er hat Wort gehalten!« sagten diese und segneten den König.
Dieser erkundigte sich nun nach dem Befinden der Königin und erfuhr, daß sie sich langsam wieder beruhige und erhole. »Geduld«: sprach Witichis aufatmend – »auch sie wird bald frei und meiner ledig.«
Es dunkelte bereits, als eine starke Schar berittener Goten sich aus der innern Stadt nach der Mauerlücke am Turm des Aëtius wandte. Ein langer Reiter voran: dann eine Gruppe, die auf quergelegten Lanzen eine mit Tüchern und Mänteln verhüllte Last in schweren Kisten trug. Dann der Rest der stark gerüsteten Männer.
»Auf mit dem Notriegel!« rief der Führer, »wir wollen hinaus.«
»Du bist es, Hildebad?« rief der Wache haltende Graf Wisand, und gab Befehl zu öffnen. »Weißt du schon, die Stadt wird morgen übergeben. Wo willst du hin?«
»In die Freiheit!« rief Hildebad und gab seinem Roß die Sporen.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Mehrere Tage waren vergangen, bis die Königin Mataswintha sich aus den wirren Fieberphantasien und aus dem von wilden Träumen gequälten Schlummer, der auf dieselben gefolgt war, erhoben hatte.
[] Teilnahmslos und stumpf stand sie der ganzen Außenwelt und den gewaltigen Entscheidungen gegenüber, die sich damals vorbereiteten. Sie schien keine Empfindung mehr zu haben, als das eine Gefühl ihrer ungeheuern frevelhaften Taten.
Und rasch hatte sich der wild frohlockende Triumph des Hasses, mit dem sie die Fackel in der Hand, durch die Nacht gestürmt war, in zerstörende Reue, in Grauen und Entsetzen verwandelt. In dem Augenblick, da sie die arge Tat getan, hatte sie der Erdstoß in die Kniee geworfen: und ihr von allen Leidenschaften erregter Sinn, ihr im Augenblick des vollendeten Frevels erwachendes Gewissen glaubte, die Erde wolle sich über ihre Untat empören: sie sah die Rache des Himmels hereinbrechen über ihr schuldiges Haupt.
Und als sie nun, in ihrem Gemache wieder angelangt, alsbald die Lohe, die ihre Hand entzündet, riesengroß emporsteigen sah, als sie das tausendstimmige Wehegeschrei der Ravennaten und Goten vernahm, da schien jede Flamme an ihrem Herzen zu nagen und jede der klagenden Stimmen sie zu verfluchen. Sie verlor das Bewußtsein: sie brach zusammen unter den Folgen ihrer Tat.
Als sie die Besinnung wiedergefunden und sich allmählich des Geschehenen wieder erinnert hatte, war die Kraft ihres Hasses gegen den König völlig gebrochen. Ihre Seele war geknickt. Tiefste Reue über ihre Tat, zitternde Scheu, je wieder vor sein Antlitz treten zu sollen, erfüllte sie ganz.
Um so mehr, als sie selbst wußte und von allen Seiten vernahm, wie der Untergang der Speicher den König zur Ergebung an seine Feinde zwingen werde.
Ihn selber sah sie nicht. Auch als er einmal einen Augenblick Zeit fand, selbst nach ihrem Zustand in ihren Gemächern sich zu erkundigen, beschwor sie die staunende Aspa, um keinen Preis den König vor ihr Antlitz treten zu lassen: obwohl sie wieder seit mehreren Tagen das Lager verlassen und häufig [] arme Leute aus der Stadt empfangen hatte, ja die Darbenden auffordern ließ, sich bei ihr zu melden. Sie pflegte dann eigenhändig die für sie und ihren Hof bestimmten Speisen und mit maßloser Freigebigkeit Schmuck, Gold und Kostbarkeiten an sie zu verteilen.
Solchen Besuch eines Bettlers erwartete sie, als ein Mann in braunem Mantel und einer Sturmhaube wiederholt und dringend sie um die Gnade gebeten hatte, sie möchte nicht ihm, sondern einer armen Frau ihres Volkes die Gunst einer Unterredung ohne Zeugen gewähren.
»Es gelte des Königs Heil: es gelte zu warnen vor tätigem, überführbarem Verrat, der seine Krone, vielleicht sein Leben, bedrohe. Mataswintha gewährte eifrig die Bitte. –«
Mochte es ein Irrtum, ein Vorwand sein: sie durfte nicht mehr abweisen, was auch nur mit dem Vorwand seiner Rettung an sie trat. Auf Sonnenuntergang bestellte sie das Weib. –
Die Sonne war gesunken. Der Süden kennt fast keine Dämmerung. Es war finster beinahe, als der schon lange im Vorsaal harrenden Frau eine Sklavin winkte. Die Königin, krank und schlaflos des Nachts, habe erst zur achten Stunde Schlummer gefunden. Eben erst erwacht, sei sie sehr schwach. Gleichwohl solle die Bittende vorgelassen werden, da es dem König gelte.
»Ist das aber auch gewiß wahr?« forschte die Sklavin. »Nicht unnütz möcht' ich meine Herrin mühen«: – es war Aspa – »wenn Ihr nur Gold damit erlisten wolltet, sagt es mir frei. Ihr sollt mehr haben, als Ihr begehrt: – nur schont meine Herrin. Gilt es dem König wirklich?«
»Es gilt dem König!« Seufzend führte Aspa die Frau in das Gemach Mataswinthens.
Diese erhob sich, das Haupt und Haar von dichtem Tuch umwunden, ganz in leichtes, weißes Krankengewand gekleidet, im Hintergrund des großen Gemaches von dem Lager, an welchem [] ein runder Mosaiktisch stand. Die goldene Ampel, die über demselben in die Wand eingelassen war, brannte bereits mit mattem Licht. Sie blieb auf dem Rand des Lagers müde sitzen. »Tritt näher,« sprach sie. »Es gilt dem König? warum zögerst du? Rede.«
Das Weib deutete auf Aspa. »Sie ist verschwiegen und treu.« – »Sie ist ein Weib.« Auf einen Wink Mataswinthens entfernte sich ungern das Mädchen.
»Amalungentochter – ich weiß: nur des Reiches Not, nicht Liebe, hat dich zu ihm geführt. (Wie wunderschön sie istobzwar todesblaß!) Doch, Gotenkönigin bist du: seine Königin – ob du ihn auch nicht liebst: – sein Reich, sein Sieg muß dir das Höchste sein.«
Mataswintha griff nach der Goldlehne des Lagers. »So denkt jede Bettlerin im Gotenvolk!« seufzte sie.
»Zu ihm kann ich nicht sprechen. Aus eignen Gründen.
So sprech' ich denn zu dir, der es am meisten zusteht, ihn vor Verrat zu warnen. Höre mich.« Und sie trat näher, scharf auf die Königin blickend. »Wie seltsam,« sprach sie zu sich selbst. »Welche Ähnlichkeit der Gestalt.«
»Verrat! Noch mehr Verrat?« – »So ahnst auch du Verrat?« – »Gleichviel. Von wem? Von Byzanz? Von außen? Von dem Präfekten?«
»Nein,« sprach das Weib kopfschüttelnd. »Nicht von außen. Von innen. Nicht von einem Mann. Von einem Weib.«
»Was redest du?« sprach Mataswintha, noch bleicher werdend. »Wie kann ein Weib –«
»Dem Helden schaden? Durch höllische Bosheit des Herzens! Nicht mit Gewalt. Mit List und Verrat. Vielleicht bald mit heimtückischem Gift oder, wie schon geschehen – mit heimtückischem Feuer.«
»Halt ein!« Mataswintha, die sich erhoben hatte, wankte zurück an den Mosaiktisch, sich daran lehnend.
[] Aber das Weib folgte ihr, leise flüsternd: »Wisse das Unglaubliche, das Schändliche! Der König glaubt und das Volk: der Blitz des Himmels habe sein Korn verbrannt. Ich aber weiß es besser. Und auch Er soll es wissen. Wissen, gewarnt durch deinen Mund, zu erforschen und zu entwaffnen die Bosheit. Ich sah in jener Nacht eine Fackel durch die Speichergänge eilen, und ein Weib hat sie hineingeschleudert. Du schauderst? Ja, ein Weib. Du willst hinweg? Nein, höre nur noch ein Wort. Dann will ich dich lassen. Den Namen? Ich weiß ihn nicht. Aber sie brach vor mir zusammen und entkam mir: doch verlor sie als Wahrzeichen, als Erkennungszeichen – diese Schlange von Smaragd.«
Und die Frau trat hart an den Tisch, dicht unter den Schein der Ampel, den Armreif erhebend.
Da fuhr die Gepeinigte hoch empor. Vor das Antlitz hob sie die beiden nackten Arme. – Von der hastigen Bewegung fiel die Kopfhülle. Ihr rotes Haar flutete nieder, und durch das Haar hindurch schimmerte an ihrem linken Arm deutlich eine Goldspange mit smaragdner Schlange.
»Ah!« schrie das Weib laut auf. »Beim Gott der Treue! Du! Du selber bist's!
Seine Königin! Sein Weib hat ihn verraten! Fluch über dich! Das soll er wissen!«
Mit gellendem Aufschrei fiel Mataswintha auf ihr Antlitz in die Kissen zurück. Der Schrei brachte Aspa aus dem Nebengemach zur Stelle. Aber als sie eintrat, war die Königin schon allein. Der Vorhang des großen Eingangs rauschte. Die Bettlerin war verschwunden.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Am andern Morgen schon sahen die Ravennaten mit Staunen Prokop, Johannes, Demetrius, Bessas, Acacius, Vitalius [] und eine Reihe andrer belisarischer Heerführer in den Palast des Königs ziehen. Sie berieten dort mit ihm die näheren Bedingungen und die Formen der Übergabe.
Unter den Goten verlautete einstweilen nur: der Friede sei geschlossen. Die beiden Hauptwünsche, um deren willen das Volk den ganzen schweren Kampf getragen, würden erreicht: sie würden frei sein und im ungeteilten Besitz des fruchtbaren Südlands bleiben, das ihnen so teuer geworden war. Das war weitaus mehr als nach dem schlimmen Stand der gotischen Sache seit dem Abzug von Rom und dem unvermeidlich gewordnen Verlust von Ravenna zu erwarten war. Und die Häupter der Sippen und sonst die einflußreichsten Männer im Heere, die jetzt von dem bevorstehenden Schritt Belisars verständigt wurden, billigten vollständig die beschlossenen Bedingungen.
Die wenigen, welche die Zustimmung weigerten, erhielten freien Abzug aus Ravenna und Italien. Aber auch abgesehen hiervon, wurde das in Ravenna stehende Gotenheer nach allen Richtungen zerstreut. Witichis sah die Unmöglichkeit ein, in der ausgesogenen Landschaft außer den Truppen Belisars mit dessen Vorräten auch noch das gotische Heer und die Bevölkerung zu versorgen: und so bewilligte er die Forderung Belisars, daß die Goten, in Gruppen von Hunderten und Tausenden, zu allen Toren der Stadt hinausgeführt und in allen Richtungen nach ihren Heimstätten entlassen würden.
Belisar fürchtete den Ausbruch gotischer Verzweiflung, wenn der arge Verrat, den man vorhatte, ruchbar würde: und er wünschte deshalb die Verteilung des aufgelösten Heeres. War er einmal im sichern Besitz von Ravenna, so hoffte er etwaige Erhebungen auf dem flachen Lande leicht zu dämpfen. Und Tarvisium, Verona und Ticinum, die letzten festen Plätze der Goten in ganz Italien, konnten dann nicht lange mehr seiner gesamten gegen sie gewendeten Macht widerstehen.
[] Die Ausführung dieser Maßregeln erforderte mehrere Tage Zeit.
Erst als nur mehr wenige Mann Goten in Ravenna versammelt waren, beschloß Belisar seinen Einzug. Und auch von diesem geringen Rest wurde die Hälfte in das byzantinische Lager verlegt, die andre Hälfte in den Quartieren der Stadt verteilt unter dem Vorwand, den etwaigen Widerstand von hartnäckigen Anhängern Justinians zu brechen.
Was aber die Ravennaten und die in den Plan nicht eingeweihten Goten am meisten wunderte, war, daß nach wie vor die blaue gotische Fahne auf den Zinnen des Palastes wehte. Freilich stand ein Lanzenträger Belisars dort oben bei ihr Wache. Denn auch der Palast war schon voll von Byzantinern.
Gegen einen etwaigen Versuch des Präfekten, sich wie in Rom durch Besetzung der wichtigsten Punkte zum Herrn der Stadt zu machen, hatte Belisar vorsichtige Maßregeln getroffen. Cethegus durchschaute sie und lächelte. Er tat nichts dagegen.
Am Morgen des zum Einzug bestimmten Tags trat Cethegus in glänzender Rüstung in das Zelt Belisars.
Er traf nur Prokop. »Seid ihr bereit?« fragte er. »Vollständig.« – »Welches ist der Moment?« – »Der Augenblick, in dem der König im Schloßhof zu Pferde steigt, uns entgegenzureiten. Wir haben alles bedacht.«
»Wieder einmal alles?« lächelte der Präfekt. »Eins habt ihr mir doch noch übriggelassen. Es wird nicht ausbleiben, daß die Barbaren, sowie unser Plan gelungen und bekannt ist, im ganzen Land in heller Wut auflodern werden. Mitleid und Rachedurst für ihren König könnten sie zu sehr wilden Taten.
Die ganze Begeisterung für Witichis und die Entrüstung gegen uns würde nun im Keim erstickt, und die Goten sähen sich nicht von uns, sondern von ihrem König verraten, wenn dieser selbst schriftlich bezeugen würde, er habe die Stadt nicht [] an Belisar als Gotenkönig und Rebellen gegen Justinian, sondern einfach an den Feldherrn Justinians übergeben. Jene Empörung Belisars, die ja auch wirklich ausbleibt, erscheint dann den Goten als eine bloße von ihrem König ersonnene Lüge, die Schande der Ergebung ihnen zu verhüllen.«
»Das wäre vortrefflich; aber Witichis wird das nicht tun.«
»Wissentlich schwerlich. Aber vielleicht unwissentlich. Ihr habt ihn den Vertrag doch nur im Original unterschreiben lassen?«
»Er hat nur einmal unterschrieben.«
»Diese Urkunde ist in seinem Besitz? Gut, ich werde ihn hier dies von mir aufgesetzte Duplikat unterzeichnen lassen, auf daß auch Belisar,« lächelte er, »das wertvolle Schriftstück besitze.«
Prokop blickte hinein. – »Wenn er das unterzeichnet, hebt sich freilich kein gotisch Schwert mehr für ihn. Aber –«
»Laß die Aber mich besiegen. Entweder unterschreibt er heute freiwillig, im Drang des Augenblicks, ohne zu lesen« –
»Oder?«
»Oder,« vollendete Cethegus finster, »er unterschreibt später. Unfreiwillig. – – Ich eile voraus. Entschuldige, wenn ich euern Triumphzug nicht begleite. Meinen Glückwunsch an Belisar.«
Aber da trat Belisar in das Zelt. Antonina folgte ihm. Er war nicht gerüstet und blickte düster vor sich hin.
»Eile, Feldherr,« mahnte Prokop, »Ravenna harrt ihres Besiegers. Der Einzug –«
»Nichts von Einzug,« sprach Belisar grimmig. »Ruf' die Soldaten ab. Mich reut der ganze Handel.«
Cethegus blieb an dem Ausgang des Zeltes stehen.
»Belisar!« rief Prokop entsetzt, »welcher Dämon hat dir das eingeblasen?« »Ich!« sagte Antonina stolz, »was sagst du nun?« »Ich sage, daß große Staatsmänner keine Frauen haben sollten!« rief Prokop ärgerlich. »Belisar entdeckte mir [] erst in dieser Nacht euer Vorhaben. Und ich hab' ihn unter Tränen ... –«
»Versteht sich,« brummte Prokop, »die kommen stets zu rechter Zeit.« – »Unter Tränen beschworen, abzustehen. Ich kann meinen Helden nicht von so schwarzem Verrat befleckt sehen.«
»Und ich will's nicht sein. Lieber reit' ich besiegt im Orkus ein, denn also als ein Sieger in Ravenna. Meine Briefe an den Kaiser sind noch nicht abgegangen. – Also ist's noch Zeit.«
»Nein,« sagte Cethegus herrisch, von der Tür ins Zelt schreitend. »Zum Glück für dich ist's nicht mehr Zeit. Wisse: ich habe schon vor acht Tagen an den Kaiser geschrieben, ihm alles mitgeteilt und Glück gewünscht, daß sein Feldherr ohne mindesten Verlust Ravenna gewonnen hat und der Krieg beendet.«
»Ah, Präfekt,« rief Belisar. »Du bist ja sehr dienstfertig. Woher dieser Eifer?«
»Weil ich Belisarius kenne und seinen Wankelmut. Weil man dich zu deinem Glücke zwingen muß. Und weil ich ein Ende dieses Krieges will, der mein Italien zerfleischt.« Und drohend trat er gegen die Frau heran, die auch jetzt der dämonischen beherrschenden Gewalt seines Blickes nicht zu entgehen vermochte. »Wag' es, versuch' es jetzt! Tritt zurück, enttäusche Witichis und opfre einer Grille deines Weibes Ravenna, Italien und dein Heer. Siehe zu, ob dir das Justinianus je vergeben kann. Auf Antoninas Seele diese Schuld! Horch, die Trompeten rufen: rüste dich! Es bleibt dir keine Wahl!« Und er eilte hinaus.
Bestürzt sah ihm Antonina nach. »Prokop,« fragte sie dann, »weiß es der Kaiser wirklich schon?«
»Und wenn er es noch nicht wüßte, – zu viele sind schon in das Geheimnis eingeweiht. Nachträglich erfährt er jedenfalls, daß Ravenna und Italien sein war, und – daß Belisar um die Gotenkrone, die Kaiserkrone warb. Nur daß er sie erlangt und – abliefert, kann ihn rechtfertigen vor Justinian.«
[] »Ja,« sagte Belisar seufzend, »er hat recht. Es bleibt mir keine Wahl.«
»So geh,« sprach Antonina eingeschüchtert. »Mir aber sei's erlassen, bei diesem Einzug dich zu begleiten: – es ist ein Schlingenlegen, kein Triumph!«
* * *
Die Bevölkerung von Ravenna, wenn auch im Unklaren über die näheren Bestimmungen, war doch gewiß, daß der Friede geschlossen und den langen und schweren Leiden des verheerenden Kampfes ein Ende gemacht sei.
Und die Bürger hatten in aufatmender Freude über diese Erlösung die Trümmer, die das Erdbeben auf sehr viele Straßen geworfen, hinweggeräumt und ihre befreite Stadt festlich geschmückt. Laubgewinde, Fahnen und Teppiche zierten die Straßen, das Volk drängte sich auf den großen Fora, in den Lagunenkanälen und in den Bädern und Basiliken in freudiger Bewegung, begierig, den Helden Belisar und das Heer zu sehen, die so lange ihre Mauern bedroht und endlich die Barbaren überwunden hatten.
Schon zogen starke Abteilungen von Byzantinern stolz und triumphierend ein, während die in schwachen Zahlen überall zerstreuten gotischen Posten mit Schweigen und mit Widerwillen die verhaßten Feinde in die Residenz Theoderichs einrücken sahen.
In dem ebenfalls reichgeschmückten Königspalast versammelten sich die vornehmsten Goten in einer Halle neben den Gemächern des Königs. Dieser bereitete sich, als die für den Einzug Belisars anberaumte Stunde nahte, die königlichen Kleider anzulegen: – mit Befriedigung, denn es war ja das letztenmal, daß er die Abzeichen einer Würde tragen sollte, die ihm nur Schmerz und Unheil gebracht.
»Geh', Herzog Guntharis,« sprach er zu dem Wölsung, »Hildebad, [] mein ungetreuer Kämmerer, hat mich verlassen. Vertritt du dies eine Mal seine Stelle: die Diener werden dir im Königsschatz die goldene Truhe zeigen, die Krone, Helm und Purpurmantel, Schwert und Schild Theoderichs verwahren. Ich werde sie heute zum ersten- und letztenmal anlegen, sie dem Helden abzuliefern, der sie nicht unwürdig tragen wird. Was gibt es dort für Lärm!«
»Herr, ein Weib,« antwortete Graf Wisand, »eine gotische Bettlerin. Sie hat sich schon dreimal herangedrängt. Sie will ihren Namen dir nur nennen! Weise sie hinaus! –«
»Nein, sagt ihr, ich will sie hören: – heute abend soll sie im Palast nach mir fragen.«
Als Guntharis das Gemach verlassen, trat Bessas ein mit Cethegus. Der Präfekt hatte diesem, ohne ihn einzuweihen, die Abschrift des Vertrages übergeben, die der Gotenkönig noch unterschreiben sollte. Aus dieser unverdächtigen Hand, glaubte er, würde jener die Urkunde argloser nehmen.
Witichis begrüßte die Eintretenden. Bei dem Anblick des Präfekten flog über sein Antlitz, das heute heller als seit langen Monden glänzte, ein dunkler Schatte. Doch bezwang er sich und sprach: »Du hier, Präfekt von Rom? Anders hat dieser Kampf geendet als wir meinten! Jedoch, du kannst auch damit zufrieden sein. Wenigstens kein Griechenkaiser, kein Justinianus wird dein Rom beherrschen.«
»Und soll es nicht, solange ich lebe.«
»Ich komme, König der Goten,« fiel Bessas ein, »dir den Vertrag mit Belisar zur Unterschrift vorzulegen.«
»Ich hab' ihn schon unterschrieben.« – »Es ist die für meinen Herrn bestimmte Doppelschrift.«
»So gib,« sprach Witichis und wollte das Pergament aus des Byzantiners Hand nehmen.
Da trat Herzog Guntharis mit den Dienern eilfertig ins Gemach: »Witichis,« rief er, »der Königsschmuck ist verschwunden.«
[] »Was ist das?« fragte Witichis. »Hildebad allein führte die Schlüssel davon.«
»Die ganze Goldtruhe, auch noch andere Truhen sind fort. In der leeren Nische, da sie sonst standen, lag dieser Streif Pergament. Es sind die Schriftzüge von Hildebads Schreiber.«
Der König nahm und las: »›Krone, Helm und Schwert, Purpur und Schild Theoderichs sind in meinem Gewahrsam. Wenn Belisar sie will, soll er sie von mir holen.‹ Die Rune H – für Hildebad.«
»Man muß ihn verfolgen,« sagte Cethegus finster, »bis er sich fügt.« Da eilten Johannes und Demetrius herein. »Eile dich, König Witichis,« drängten sie. »Hörst du die Tubatöne? Belisar hat schon die Porta des Stilicho erreicht.«
»So laßt uns gehn,« sprach Witichis, ließ sich von den Dienern den Purpurmantel, den sie statt des verschwundenen mitgebracht, um die Schultern werfen und drückte einen goldenen Reif auf das Haupt. Statt des Schwertes reichte man ihm ein Zepter. Und so wandte er sich zur Tür.
»Du hast nicht unterschrieben, Herr,« mahnte Bessas.
»So gib,« und er nahm die Schrift jetzt aus der Hand des Byzantiners. »Die Urkunde ist sehr lang,« sagte er hineinblickend und hob an zu lesen. »Eile, König,« mahnte Johannes.
»Zum Lesen ist nicht mehr Zeit,« sagte Cethegus gleichgültig und reichte ihm die Schilffeder von dem Tisch. »Dann auch nicht mehr zum Schreiben,« antwortete der König. »Du weißt: ich war ein König nach Bauernart, wie die Leute sagten. Bauern unterschreiben keine Zeile, ehe sie genau gelesen: gehen wir.« Und lächelnd gab er die Urkunde an den Präfekten und schritt hinaus. Die Byzantiner und alle Anwesenden folgten.
Cethegus drückte das Pergament zusammen: »Warte nur,« flüsterte er grimmig, »du sollst doch noch unterschreiben.« Langsam folgte er den andern.
Die Halle vor dem Gemach des Königs war bereits leer.
[] Der Präfekt schritt hinaus auf den gewölbten Bogengang, der im Viereck den ersten Stock des Palastes umgab, und dessen byzantinisch-romanische Rundbogen den freien Blick in den weiten Hofraum gewährten. Derselbe war von Bewaffneten dicht gefüllt. An allen vier Toren standen die Lanzenträger Belisars. Cethegus lehnte hinter einem Bogenpfeiler und sprach, dem Gang der Ereignisse folgend, mit sich selbst: »Nun, Byzantiner genug, um ein kleines Heer gefangen zu nehmen! Freund Prokop ist vorsichtig Da! – Witichis erscheint im Portal! Seine Goten sind noch weit hinter ihm auf der Treppe. Des Königs Pferd wird vorgeführt. – Bessas hält dem König den Bügel. – Witichis tritt heran, er hebt den Fuß. – Jetzt ein Trompetenstoß. – Die Treppentüre des Palastes fällt zu und schließt die Goten in den Treppenbau. Auf dem Dache reißt Prokop das Gotenbanner nieder. – Johannes faßt seinen rechten Arm, brav Johannes. – Der König ruft: ›Verrat, Verrat!‹ Er wehrt sich mächtig. – Aber der lange Mantel hemmt ihn. – Da, da, er strauchelt. – Er stürzt zu Boden. – Da liegt das Reich der Goten.« – – –
* * *
»Da liegt das Reich der Goten!« Mit diesen Worten begann auch Prokop die Sätze, die er an diesem Abend in sein Tagebuch eintrug: »Ein wichtig Stück Weltgeschichte hab' ich heut bei Tage machen helfen und zeichne ich nun nachts hier ein.
Als ich heute das römische Heer seinen Einzug halten sah in die Tore und Königsburg von Ravenna, kam mir abermals der Gedanke: nicht Tugend oder Zahl oder Verdienst entscheidet den Erfolg in der Geschichte.
Es gibt eine höhere Gewalt, die unentrinnbare Notwendigkeit.
An Zahl und an Heldentum waren uns die Goten überlegen: und sie haben es nicht fehlen lassen an irgend denkbarer Anstrengung. Die gotischen Frauen in Ravenna schmähten heute [] ihre Männer laut ins Angesicht, als sie die kleinen Gestalten, die nicht zahlreichen Scharen unserer einziehenden Truppen sahen. Summa: in gerechtester Sache, in heldenmütigster Anstrengung kann ein Mann, kann ein Volk doch erliegen, wenn übermächtige Gewalten entgegentreten, die durchaus nicht immer das bessere Recht für sich haben.
Mir schlug das Herz im Bewußtsein des Unrechts, als ich das Gotenbanner heute niederriß und den Golddrachen Justinians an seine Stelle setzte, die Fahne des Unrechts erhob über dem Banner des Rechts.
Nicht die Gerechtigkeit, eine unserem Denken undurchdringbare Notwendigkeit beherrscht die Geschicke der Menschen und der Völker.
Aber den rechten Mann macht das nicht irre. Denn nicht was wir ertragen, erleben und erleiden – wie wir es tragen, das macht den Mann zum Helden. Ehrenvoller ist der Goten Untergang denn unser Sieg. Und diese Hand, die sein Banner herabriß, wird den Ruhm dieses Volkes aufzeichnen für die kommenden Geschlechter. Jedoch, wie immer dem sei: – da liegt das Reich der Goten.«
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Und so schien es.
Auf das glücklichste war, dank den Maßregeln Prokops, der Streich gelungen. Im Augenblick, da auf dem Turme des Palastes die Fahne der Goten fiel und der König ergriffen ward, sahen sich die überraschten Goten überall im Schloßhof, in den Straßen und Lagunen der Stadt, im Lager von weit überlegenen Kräften umstellt: ein Rechen von Lanzen starrte ihnen überall entgegen: fast ausnahmslos legten die Betäubten die Waffen nieder: – die wenigen, welche Widerstand versuchten, [] – so die nächste Umgebung des Königs –, wurden niedergestoßen. Witichis selbst, Herzog Guntharis, Graf Wisand, Graf Markja und die mit ihnen gefangenen Großen des Heeres wurden in getrennten Gewahrsam gebracht, der König in den »Zwinger Theoderichs«: einen tiefen, starken Turm des Palastes selbst.
Belisars Zug von dem Tore Stilichos nach dem Forum des Honorius wurde nicht gestört. Im Palast angelangt, berief er den Senat, die Decurionen der Stadt, und nahm sie in Eid und Pflicht für Kaiser Justinianus. Prokopius wurde mit den goldenen Schlüsseln von Neapolis, Rom und Ravenna nach Byzanz gesendet. Er sollte ausführlichen Bericht erstatten und für Belisar Verlängerung des Amtes erbitten bis zur demnächst zu erwartenden völligen Beruhigung Italiens und hierauf, wie nach dem Vandalenkrieg, die Ehre des Triumphes, unter Aufführung des gefangenen Königs der Goten im Hippodrom.
Denn Belisar sah den Krieg für beendet an. Cethegus teilte beinah diesen Glauben. Doch fürchtete er in den Provinzen den Ausbruch gotischen Zornes über den geübten Verrat. Er sorgte daher dafür, daß über die Art des Falles der Stadt vorläufig keine Kunde durch die Tore drang: und er suchte eifrig im Geiste nach einem Mittel, den gefangenen König selbst als ein Werkzeug zur Dämpfung des etwa neu auflodernden Nationalgefühls zu verwerten. – Auch bewog er Belisar, Hildebad, der in der Richtung nach Tarvisium entkommen war, durch Acacius mit den persischen Reitern verfolgen zu lassen.
Vergebens versuchte er, die Königin zu sprechen. Sie hatte sich seit jener Nacht der Schrecken noch immer nicht ganz erholt und ließ niemand vor. Auch die Nachricht von dem Falle der Stadt hatte sie mit dumpfem Schweigen hingenommen. Der Präfekt bestellte ihr eine Ehrenwache – um sich ihrer zu versichern. Denn er hatte noch große Pläne mit ihr vor.
[] Dann sandte er ihr das Schwert des gefangenen Königs und schrieb ihr dabei: »Mein Wort ist gelöst. König Witichis ist vernichtet. Du bist gerächt und be freit. – Nun erfülle auch Du meine Wünsche.«
Einige Tage darauf beschied Belisar, seines treuen Beraters Prokop beraubt, den Präfekten zu sich in den rechten Flügel des Palastes, wo er sein Quartier aufgeschlagen. »Unerhörte Meuterei!« rief er dem Eintretenden entgegen. – »Was ist geschehen?«
»Du weißt, ich habe Bessas mit den lazischen Söldnern in die Schanze des Honorius gelegt, einen der wichtigsten Punkte der Stadt. Ich vernehme, daß der Geist dieser Truppen unbotmäßig – ich rufe sie ab und Bessas ... –« – »Nun?« – »Weigert den Gehorsam.« – »Ohne Grund? Unmöglich!«
»Lächerlicher Grund! Gestern ist der letzte Tag meiner Amtsgewalt abgelaufen.« – »Nun?« – »Bessas erklärt, seit letzter Mitternacht hätt' ich ihm nichts mehr zu befehlen.«
»Schändlich. Aber er ist im Recht.«
»Im Recht? In ein paar Tagen trifft des Kaisers Antwort ein, auf mein Gesuch. Natürlich ernennt er mich, nach dem Gewinn von Ravenna, aufs neue zum Feldherrn, bis zur Beendigung des Krieges. Übermorgen kann die Nachricht da sein.«
»Vielleicht schon früher, Belisar. Die Leuchtturmwächter von Classis haben schon bei Sonnenaufgang ein Schiff angemeldet, das von Ariminum her naht. Es soll eine kaiserliche Triere sein. Jede Stunde kann sie einlaufen. Dann löst sich der Knoten von selbst.«
»Ich will ihn aber zuvor durchhauen. Meine Leibwächter sollen die Schanze stürmen und Bessas den halsstarrigen Kopf ... –«
Da eilte Johannes atemlos herein. »Feldherr,« meldete er, »der Kaiser! Kaiser Justinianus selbst ankert soeben im Hafen von Classis.«
[] Unmerklich zuckte Cethegus zusammen. Sollte ein solcher Blitzstrahl aus heiterer Luft, eine Laune des unberechenbaren Despoten, nach solchen Mühen, das fast vollendete Gebäude seiner Pläne gerade vor der Bekrönung niederwerfen?
Aber Belisar fragte mit leuchtenden Augen: »mein Kaiser? Woher weißt du?« – »Er selbst kommt, dir für deine Siege zu danken. Solche Ehre ward noch keinem Sterblichen zuteil. Das Schiff von Ariminum trägt die kaiserliche Präsenzflagge. Purpur und Silber. Du weißt, das bedeutet, daß der Kaiser an Bord.«
»Oder ein Glied seines Hauses!« verbesserte Cethegus in Gedanken, aufatmend.
»Eilt in den Hafen, unsern Herrn zu empfangen,« mahnte Belisar.
* * *
Sein Stolz und seine Freude wurden enttäuscht, als ihnen auf dem Wege nach Classis die ersten ausgeschifften Höflinge begegneten und im Palast Quartier forderten, nicht für den Kaiser selbst, sondern für dessen Neffen, den Prinzen Germanus.
»So sendet er doch den ersten nach ihm selbst,« sprach Belisar, sich selber tröstend im Weitergehen zu Cethegus. »Germanus ist der edelste Mann am Hof. Unbestechlich, gerecht und unverführbar rein. Sie nennen ihn: ›die Lilie im Sumpf‹. Aber du hörst mich nicht!«
»Vergib, ich bemerke dort im Gedränge, unter den eben Gelandeten, meinen jungen Freund Licinius.«
»Salve Cethege!« rief dieser, sich Weg zum Präfekten bahnend.
»Willkommen im befreiten Italien! Was bringst du von der Kaiserin?« fragte er flüsternd.
»Das Abschiedswort: Nike (Victoria)! und diesen Brief,« flüsterte der Bote ebenso leise. – »Aber,« und seine Stirne furchte sich – »schicke mich nie mehr zu diesem Weibe.« – »Nein, nein, junger Hippolytos, ich denke, es wird nie mehr nötig sein.«
[] Damit hatten sie die Steindämme des Hafens erreicht, dessen Stufen soeben der kaiserliche Prinz hinanstieg. Die edle Erscheinung, von einem reich geschmückten Gefolg umgeben, ward von den Truppen und dem rasch zusammenströmenden Volk mit Jubelruf und kaiserlichen Ehren empfangen.
Cethegus faßte ihn scharf ins Auge. »Das bleiche Antlitz ist noch bleicher geworden,« sagte er zu Licinius. »Ja, man sagt: die Kaiserin hat ihn vergiftet, weil sie ihn nicht verführen konnte.«
Der Prinz, nach allen Seiten dankend, hatte jetzt Belisarius erreicht, der ihn ehrfurchtsvoll begrüßte. »Gegrüßt auch du, Belisarius,« erwiderte er ernst. »Folge mir sogleich in den Palast. Wo ist Cethegus der Präfekt? Wo Bessas? Ah, Cethegus,« sagte er, dessen Hand ergreifend, »ich freue mich, den größten Mann Italiens wiederzusehen. Du wirst mich alsbald zu der Enkelin Theoderichs begleiten. Ihr gebührt mein erster Gang. Ich bringe ihr Geschenke Justinians und meine Huldigung. Sie war eine Gefangene in ihrem eigenen Reich. Sie soll eine Königin sein am Hofe zu Byzanz.«
»Das soll sie,« dachte Cethegus. Er verneigte sich tief und sprach: »Ich weiß: du kennst die Fürstin seit lange: ihre Hand war dir bestimmt.«
Eine rasche Glut flog über des Prinzen Wange. »Leider nicht ihr Herz. Ich sah sie hier, vor Jahren, am Hof ihrer Mutter: und seitdem hat mein inneres Auge nichts mehr als ihr Bild gesehen.« – »Ja, sie ist das schönste Weib der Erde,« sagte der Präfekt, ruhig vor sich hin sehend. »Nimm diesen Chrysopras zum Dank für dieses Wort,« sagte Germanus und steckte einen Ring an des Präfekten Finger.
Damit traten sie in das Portal des Palastes.
»Jetzt, Mataswintha,« sprach Cethegus zu sich selbst, »jetzt hebt dein zweites Leben an. Ich kenne kein römisch Weib – Ein Mädchen vielleicht ausgenommen, das ich kannte! – das [] solcher Versuchung widerstehen könnte. Soll diese rohe Germanin widerstehen?« –
Sowie sich der Prinz von den Mühen der Seefahrt einigermaßen erholt und die Reisekleider mit einem Staatsgewand vertauscht hatte, erschien er an der Seite des Präfekten in dem Thronsaal des großen Theoderich im Mittelbau des Palastes.
An den Wänden der stolz gewölbten Halle hingen noch die Trophäen gotischer Siege. Ein Säulengang lief an drei Seiten des Saales hin: in der Mitte der vierten erhob sich der Thron Theoderichs.
Mit edlem Anstand stieg der Prinz die Stufen hinan. Cethegus blieb mit Belisar, Bessas, Demetrius, Johannes und zahlreichen andern Heerführern im Mittelgrund.
»Im Namen meines kaiserlichen Herrn und Ohms nehme ich Besitz von dieser Stadt Ravenna und von dem abendländischen Römerreich. An dich, Magister Militum, dies Schreiben unseres Herrn, des Kaisers. Erbrich und lies es selbst der Versammlung vor. So befahl Justinianus.«
Belisar trat vor, empfing knieend den kaiserlichen Brief, küßte das Siegel, erhob sich wieder, öffnete und las:
»Justinianus, der Imperator der Römer, Herr des Morgen- und des Abendreichs, Besieger der Perser und Sarazenen, der Vandalen und Alanen, der Lazer und Sabiren, der Hunnen und Bulgaren, der Avaren und Sclavenen und zuletzt der Goten, an Belisa den Consularen, ehemals Magister Militum.
Wir sind durch Cethegus den Präfekten von den Vorgängen unterrichtet, die zum Fall von Ravenna geführt. Sein Bericht wird, auf seinen Wunsch, Dir mitgeteilt werden. Wir aber können seine darin ausgesprochene gute Meinung von Dir und Deinen Erfolgen wie von Deinen Mitteln mitnichten teilen: und wir entheben Dich Deiner Stelle als Befehlshaber unseres Heeres. Und wir befehlen Dir angesichts dieses Briefes sofort nach Byzanz zurückzukehren, um Dich vor unserem Throne zu [] verantworten. Einen Triumph wie nach dem Vandalenkrieg können wir Dir um so weniger gewähren, als weder Rom noch Ravenna durch Deine Tapferkeit gefallen: sondern Rom durch Übergabe, Ravenna durch Erdbeben, den Zorn Gottes über die Ketzer und höchst verdächtige Verhandlungen, deren Unschuld Du, des Hochverrats angeklagt, vor unserem Thron erweisen wirst. Da wir, eingedenk früherer Verdienste, nicht ohne Gehör Dich verurteilen wollen, – denn Morgenland und Abendland sollen uns für ferne Zeiten feiern als den Kaiser der Gerechtigkeit – sehen wir von der Verhaftung ab, die Deine Ankläger beantragt. Ohne Ketten – nur in den Fesseln Deines Dich selbst anklagenden Gewissens – wirst Du vor unser kaiserliches Antlitz treten.«
Da wankte Belisar. Er konnte nicht weiter lesen: er bedeckte das Gesicht mit den Händen: das Schreiben entfiel ihm.
Bessas hob es auf, küßte es und las weiter: »Zu Deinem Nachfolger im Heerbefehl ernennen wir den Strategen Bessas. Ravenna übertragen wir dem Archon Johannes. Die Steuerverwaltung bleibt, trotz der wider ihn von den Italiern erhobenen höchst ungerechten Klagen, dem in unsrem Dienst so eifrigen Logotheten Alexandros. Zu unsrem Statthalter aber in Italien ernennen wir den hochverdienten Präfekten von Rom, Cornelius Cethegus Cäsarius. Unser Neffe, Germanus, mit kaiserlicher Vollmacht ausgerüstet, haftet mit seinem Haupt dafür, Dich unverweilt nach unsrer Flotte auf der Höhe von Ariminum zu bringen, auf welcher Dich Areobindos nach Byzanz führen wird.«
Germanus erhob sich und befahl allen, bis auf Belisar und Cethegus, den Saal zu verlassen. Darauf stieg er die Stufen des Thrones herab und schritt auf Belisar zu, der nicht mehr wahrnahm, was um ihn her geschah. Er stand unbeweglich, das Haupt und den linken Arm an eine Säule gelehnt, und starrte zur Erde.
[] Der Prinz faßte seine Rechte. »Es schmerzt mich, Belisarius, der Träger solcher Botschaft zu sein. Ich übernahm den Auftrag, weil ihn ein Freund milder als einer der vielen Feinde, die sich dazu drängten, ausführen kann. Aber ich verhehle dir nicht: dieser dein letzter Sieg hebt die Ehre deiner frühern auf. Nie hätte ich von dem Helden Belisar solch Lügenspiel erwartet. Cethegus hat sich ausgebeten, daß sein Bericht an den Kaiser dir vorgelegt werde. Er ist deines Lobes voll: hier ist er. Ich glaube, es war die Kaiserin, die Justinians Ungnade gegen dich entzündet hat. Aber du hörst mich nicht. –« Und er legte die Hand auf seine Schulter.
Belisar schüttelte die Berührung ab. »Laß mich, Knabe – du bringst mir – du bringst mir den echten Dank der Kronen.«
Vornehm richtete sich Germanus auf. »Belisar, du vergissest, wer ich bin und wer du bist.«
»O nein, ich bin ein Gefangner und du bist mein Wächter. Ich gehe sofort auf dein Schiff – erspare mir nur Ketten und Bande.«
* * *
Erst spät konnte sich der Präfekt von dem Prinzen losmachen, der in vollstem Vertrauen die Angelegenheiten des Staates und seine persönlichen Wünsche mit ihm besprach.
Er eilte, sowie er in seinen Gemächern, die er ebenfalls im Palaste bezogen, allein war, den ihm von Lucius Licinius mitgeteilten Brief der Kaiserin zu lesen.
Er lautete: »Du hast gesiegt, Cethegus.
Als ich Dein Schreiben empfing, gedacht' ich alter Zeiten, da Deine Brieflein in dieser Geheimschrift an Theodora nicht von Staaten und Kriegen handelten, sondern von Küssen und Rosen ... –«
»Daran müssen sie immer erinnern,« unterbrach sich der Präfekt.
»Aber auch in diesem trocknen Briefe erkannte ich die Unwiderstehlichkeit jenes Geistes, der einst die Frauen von Byzanz [] noch mehr als Deine Jugendschönheit zwang. So gab ich denn auch diesmal den Wünschen des alten Freundes nach, wie einst denen des jungen. Ach, ich dachte gern unsrer Jugend, der süßen. Und ich erkannte wohl, daß Antoninens Gemahl allzu fest in Zukunft stehn würde, wenn er diesmal nicht fiel. So raunte ich denn – wie Du geschrieben – dem Kaiser in die Ohren: ›Allzu gefährlich sei ein Untertan, der ein solches Spiel mit Kronen und mit Aufruhr treiben könne. Keinen Feldherrn dürfe man lange solcher Versuchung aussetzen. Was er diesmal gegaukelt, könne er ein andermal im Ernst versuchen.‹ Diese Worte wogen schwerer als alle Siege Belisars, und alle meine, d.h. Deine Forderungen, gingen durch.
Denn Mißtraun ist die Seele Justinians. Er traut nur einer Treue auf Erden – der Theodoras. Dein Bote Licinius ist hübsch – aber unliebenswürdig: er hat nur Rom und Waffen in Gedanken. Ach, Cethegus, mein Freund, es lebt keine Jugend mehr wie die unsre war. ›Du hast gesiegt, Cethegus‹ – weißt Du noch den Abend, da ich Dir diese Worte flüsterte? – Aber vergiß nicht, wem Du den Sieg verdankst. Und merke Dir, Theodora läßt sich nur solang sie selber will als Werkzeug brauchen. Vergiß das nie.«
»Gewiß nicht«, sagte Cethegus, das Schreiben sorgfältig zerstörend, »du bist eine zu gefährliche Verbündete, Theodora, – nein, Dämonodora! – laß sehn, ob du unersetzbar bist. Geduld: – in wenig Wochen ist Mataswintha in Byzanz. – Was bringst du?« fragte er den eintretenden Syphax, der glänzende Waffen trug.
»Herr, ein Abschiedsgeschenk Belisars. Nachdem er deinen Bericht an den Kaiser gelesen, sprach er zu Prokop: ›Dein Freund hat meinen Dank verdient. Da, nimm meine goldne Rüstung, den Helm mit dem weißen Roßschweif und den runden Buckelschild und schicke sie ihm als letzten Gruß Belisars‹.«
[] Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Der Rundturm, in dessen tiefen Gewölben Witichis gefangen saß, lag an dem rechten Eckflügel des Palastes, desselben Querbaues, in dem er als König gewohnt und geherrscht hatte.
Der Turm bildete mit seiner Eisentür den Abschluß eines langen Ganges, der von einem Hof aus zur Rechten lief und von diesem Hof wieder durch eine schwere Eisenpforte abgeschlossen war. Gerade dieser eisernen Hofpforte gegenüber lag im Erdgeschoß auf der linken Seite des Hofes die kleine Wohnung Dromons, des Carcerarius oder Kerkermeisters des Palastes. Sie bestand aus zwei kleinen Gemächern: das erste, von dem zweiten durch einen Vorhang getrennt, war ein bloßes Vorzimmer. Das zweite Gemach gewährte durch ein logenartiges Fenster den Ausblick auf den Hof und den Rundturm. Beide waren von einfachster Einrichtung: ein Strohlager im Innengemach und zwei Stühle und Tische im äußern nebst den Schlüsseln an den Wänden waren ihr ganzes Gerät.
Und auf der Holzbank an jenem Fenster saß Tag und Nacht, unverwandt den Blick auf die Mauerlücke heftend, aus welcher allein Luft und Licht in des Königs Kerker fiel, schweigend und sinnend ein Weib. –
Es war Rauthgundis.
Niemals ließ ihr Auge von jenem kleinen Spalt im Turm. »Denn dort,« sagte sie sich, »dort hängt auch sein Blick, dorthin schwebt seine Sehnsucht.« Auch wenn sie mit Wachis, ihrem Begleiter, oder mit dem Kerkermeister, der sie beherbergte, sprach, wandte sie das Auge nicht von dem Turm. Es war, als ob der Bann ihres Blickes Unheil von dem Gefangnen abhalten könne.
Lange, lange war sie heute wieder so gesessen. Es war dunkler Abend geworden.
Drohend und finster ragte der gewaltige Turm und warf [] einen breiten Schatten über den Hof und diesen linken Flügel des Palastes.
»Dank dir, gütiger Himmelsherr,« sprach sie. »Auch deine schweren Schläge treiben zum Heil.
Wär' ich in die Felsen der Skaranzia, auf den hohen Arn, zum Vater, wie ich mir ausgesonnen, – nie hätte ich von dem Gang des Elends hier vernommen. Oder doch viel zu spät. Aber mich zog die Sehnsucht nach der Todesstätte des Kindes, in die Nähe unsres Ehehauses, – das zwar räumte ich – –: wußte ich denn, ob nicht sie, seine Königin, dort einsprechen würde? So hausten wir in der Waldhütte nahe bei Fäsulä.
Und als das Schreckliche kam und eine Nachricht des Mißlingens die andre jagte, und als die Sarazenen unser Haus verbrannten und ich die Flammen leuchten sah bis in mein Versteck, da war's zu spät nach Norden zum Vater zu entrinnen; die Welschen sperrten alle Wege und lieferten, was flüchtete mit gelbem Haar, den Massageten aus. Kein Weg blieb offen als der Weg hierher – nach der Rabenstadt – wohin ich als sein Weib nie hatte kommen wollen. Als flüchtige Bettlerin kam ich hier an, nur sein Roß Wallada und sein Knecht, nun sein Freigelassener, Wachis, noch mir eigen und treu.
Aber ihm zum Heil, – von Gott hierher gezwungen, – ob ich schon nicht wollte – ihn zu retten, zu befreien von scheußlichem Verrat des eignen Weibes! Und aus seiner Feinde Bosheit. Dank dir treuer Gott! Ich durfte nicht mehr mit ihm leben – aber – aber ich, – Rauthgundis! – darf ihn retten.« –
Da rasselte ihr gegenüber die eiserne Hofpforte.
Ein Mann mit Licht trat heraus, ging über den Hof und trat alsbald in das Vorzimmer. Es war der alte Kerkerwart.
»Nun? sprich!« rief Rauthgundis, ihren Sitz verlassend und ihm in das erste Gemach entgegeneilend.
[] »Geduld – Geduld – laß mich erst die Lampe niederstellen. So! – Nun, also: er hat getrunken. Und es hat ihm wohlgetan.«
Rauthgundis legte die Hand auf die pochende Brust. »Was tut er?« fragte sie dann.
»Er sitzt immer schweigend in der nämlichen Stellung. Auf dem Holzschemel, den Rücken gegen die Tür gewandt, das Haupt in beide Hände gestützt. Er gibt mir keine Antwort, so oft ich ihn anspreche. Er pflegte sich sonst gar nicht zu regen. Ich glaube, der Gram und Schmerz hat ihm was angetan. Aber heute, wie ich ihm den Wein im Holzbecher hinreichte und sprach: ›Trink, lieber Herr, es kommt von treuen Freunden‹: – da blickte er auf. So traurig, so zum sterben traurig war der Blick und das ganze Antlitz. Und tat einen tiefen Zug und nickte dankend mit dem Haupt und seufzte tief, tief, daß es mir durch die Seele schnitt.«
Rauthgundis bedeckte die Augen mit beiden Händen.
»Weiß Gott, was er Böses mit ihm vorhat!« brummte der Alte leise vor sich hin.
»Was sagst du?«
»Ich sage, du mußt jetzt auch einmal tüchtig essen und trinken. Sonst verlassen dich die Kräfte. Und du wirst sie brauchen, arme Frau.«
»Ich werde sie haben.« – »So nimm wenigstens einen Becher Wein.« – »Von diesem? Nein, der ist für ihn allein.« – Und sie trat in das innere Gemach zurück, wo sie ihren alten Platz einnahm.
»Der Krug reicht ja noch lang,« fuhr der alte Dromon für sich fort. »Und ich fürchte: wir müssen ihn bald retten, wenn er gerettet werden soll. Da kömmt Wachis. Wenn er nur gute Nachricht bringt, sonst ... –«
Wachis trat ein. Er hatte seit dem Besuch bei der Königin die Sturmhaube und seinen Mantel mit Gewändern Dromons [] vertauscht. »Gute Botschaft bring' ich,« sprach er im Eintreten. »Aber wo wart ihr vor einer Stunde? Ich pochte vergeblich.«
»Wir waren beide ausgegangen, Wein zu kaufen.«
»Ach ja, deshalb duftet das ganze Gemach so stark – was seh' ich? Das ist ja alter, köstlicher Falerner! Womit hast du den bezahlt?«
»Womit?« wiederholte der Alte, »mit dem edelsten Golde der Welt!« Und seine Stimme bebte vor Rührung. »Ich erzählte ihr, daß der Präfekt ihn absichtlich Mangel leiden lasse, daß er elend werde. Seit vielen Tagen hat man mir gar keine Speise für ihn gegeben. Ich habe ihn, gegen mein Gewissen, nur dadurch erhalten, daß ich den andern Gefangnen an dem ihren abbrach. Das wollte sie nicht. Sie sann nach und fragte dann: ›Nicht wahr, Dromon, die reichen Römerinnen bezahlen immer noch das gelbe Haar der Germaninnen so hoch?‹ Und ich, in meiner Einfalt nichts ahnend, sage ja.
Und sie geht hin und schneidet schweigend ihre reichen, schönen, goldbraunen Flechten und Zöpfe ab und bringt sie mir. Und damit ward der Wein bezahlt.«
Da stürzte Wachis in das nächste Gemach, warf sich vor ihr nieder und bedeckte den Saum ihres Gewandes mit Küssen. »O Herrin« – rief er mit versagender Stimme – »goldne, goldtreue Frau!«
»Was treibst du, Wachis? steh auf und erzähle.«
»Ja, erzähle,« sprach Dromon hinzutretend, »was rät mein Sohn?«
»Wozu brauchen wir seinen Rat?« sprach die Frau. »Ich, ich allein will es vollenden.«
»Sehr nötig brauchen wir ihn. Der Präfekt hat aus allen jungen Ravennaten, nach dem Muster der römischen, neun Kohorten Legionare gebildet und meinen Paulus auch eingereiht. Zum Glück hat er diesen Legionaren die Bewachung [] der Stadttore anvertraut. – Die Byzantiner liegen draußen im Hafen, seine Isaurier hier im Palast.«
»Die Tore nun,« fuhr Wachis fort, »werden zur Nacht sorgfältig gesperrt. Aber die Mauerlücke am Turme des Aëtius ist immer noch nicht ausgebaut. Nur die Wachen stehen dort.«
»Wann trifft meinen Sohn die Wache?«
»In zwei Tagen: die dritte Nachtwache.«
»Allen Heiligen sei Dank. Viel länger durft' es nicht währen: – ich fürchte ... –« Und er stockte.
»Was? sprich«, mahnte Rauthgundis entschlossen. »Ich kann alles hören.«
»Es ist am Ende besser, du weißt es. Denn du bist klüger und findiger als wir beide. Und findest eher Rat als wir. Ich fürchte: sie haben's schlimm mit ihm vor.
Solange Belisar hier befahl, ging es ihm noch gut.
Aber seit der fortgebracht und der Präfekt, der schweigsam kalte Dämon, Herr im Palast ist, hat's ein gefährlich Ansehn. Alle Tage besucht er ihn selbst im Kerker.
Und spricht lang und eifrig und drohend in ihn hinein. Ich habe oft im Gang gelauscht. Er muß aber wenig ausrichten. Denn der Herr gibt ihm, glaub' ich, gar keine Antwort. Und wenn der Präfekt herauskommt, blickt er so finster wie – wie der König der Schatten. Und seit sechs Tagen erhalte ich keinen Wein und keine Speisen für ihn als ein kleines Stück Brot. Und die Luft da unten ist so moderdumpf wie im Grabe.«
Rauthgundis seufzte tief.
»Und gestern, als der Präfekt heraufkam – er sah grimmiger als je darein – da fragte er mich ... –«
»Nun? sprich es aus, was es auch sei!«
»Ob die Foltergeräte in Ordnung seien.« Rauthgundis erbleichte, aber sie schwieg. »Der Neiding!« rief Wachis, »was hast du« – »Sorget nicht, eine Weile hat's noch gute Wege.«
[] »›Clarissime‹, antwortete ich, – und es ist die reine Wahrheit – ›die Schrauben und die Zangen, die Gewichte und die Stacheln und das ganze saubere Qualzeug liegt in schönster Ordnung alles beisammen.‹ – ›Wo?‹ fragte er. ›Im tiefen Meer. Ich selbst hab' es, schon auf König Theoderichs Befehl, hineingeworfen.‹ Denn wisset, Frau Rauthgundis: euer Herr hat einmal, da er noch einfacher Graf war, mich gerettet, da die Geräte an mir selbst versucht werden sollten. Da wurde auf sein Bitten das Foltern völlig abgetan: ich schulde ihm mein Leben und meine heilen Glieder. Und darum wag' ich mit Freuden meinen Hals für ihn. Und will auch, wenn's nicht anders geht, gern diese Stadt mit euch verlassen. Aber lange dürfen wir nicht säumen. Denn der Präfekt bedarf nicht meiner Zangen und Schrauben, wenn er einem das Mark aus dem Leibe quälen will. Ich fürcht' ihn, wie den Teufel.«
»Ich haß' ihn, wie die Lüge,« sagte Rauthgundis grimmig.
»Darum müssen wir rasch sein, eh' er seine schwarzen Gedanken vollführen kann. Denn er sinnt Arges gegen den guten König. Ich weiß nicht, was er noch weiter von dem armen Gefangnen will. Also hört und merkt euch meinen Plan. In der dritten Nacht, da mein Paulus die Wache hat, wann ich ihm den Nachttrunk bringe, schließe ich ihm die Ketten los, werfe ihm meinen Mantel über und führe ihn aus dem Kerker und dem Gang in den Hof.
Von da kömmt er ungehindert bis an das Tor des Palastes, wo ihn die Torwache um die Losung fragt. Diese werd' ich ihm sagen.
Ist er auf der Straße, dann rasch an den Turm des Aëtius, wo ihn mein Paulus die Mauerlücke passieren läßt. Draußen im Pinienwald, im Hain der Diana, wenige Schritte vor dem Tore, wartet Wachis auf ihn, der ihn auf Wallada hebt. Begleiten aber darf ihn niemand. Auch du nicht, Rauthgundis. Er flieht am sichersten allein.«
[] »Was liegt an mir! Frei soll er sein, nicht noch einmal an mich gebunden. Du nennst meinen Namen gar nicht. Ich hab' ihm nur Unglück gebracht. Ich will ihn nur noch einmal sehen, von diesem Fenster aus, wann er in die Freiheit tritt.«
* * *
Der Präfekt sonnte sich in diesen Tagen im Vollgefühle der Macht.
Er war Statthalter von Italien: in allen Städten wurden auf seine Anordnung die Befestigungen geflickt und verstärkt, die Bürger an die Waffen gewöhnt. Die Vertreter von Byzanz vermochten ihm in keiner Weise Gegengewicht zu halten. Ihre Heerführer hatten kein Glück, die Belagerungen von Tarvisium, Verona und Ticinum machten keine Fortschritte.
Und mit Vergnügen vernahm Cethegus, daß Hildebad, dessen Schar sich durch Zulauf unterwegs auf etwa sechshundert erhöht, Acacius, der ihn mit tausend Perser-Reitern eingeholt und angegriffen, blutig zurückgeschlagen hatte. Eine starke Abteilung von Byzantinern aber, die ihm von Mantua aus entgegenrückte, verlegte ihm alle Wege – er wollte nach Tarvisium zu Totila – und nötigte ihn, sich in das noch von den Goten unter Thorismuth besetzte Kastell von Castra Nova zu werfen. Hier hielten ihn die Byzantiner eingeschlossen, vermochten aber nicht, den festen Bau zu nehmen, und schon sah der Präfekt die Stunde kommen, da ihn Acacius zu Hilfe rufen würde, den Goten, der ihm dann nicht mehr entrinnen konnte, zu vernichten.
Es freute ihn, daß die Kriegsmacht von Byzanz seit Belisars Entfernung sich offen vor ganz Italien als unfähig erwies, den letzten Widerstand der Goten zu brechen. Und die Härte der byzantinischen Finanzverwaltung, die Belisar überall, wo er einzog, mit sich führen mußte – er konnte die auf Befehl des Kaisers geübte Aussaugung nicht hindern –, erweckte oder[] steigerte in den Städten und auf dem flachen Lande die Abneigung gegen die Oströmer. Cethegus hütete sich wohl, wie Belisar getan, den ärgsten Übergriffen der Beamten Justinians zu wehren. Er sah es mit Freude, daß in Neapolis, in Rom wiederholt das Volk gegen die Bedrücker in offnem Aufruhr emporloderte.
Waren die Goten vollends vernichtet, der Byzantiner Macht verächtlich, ihre Tyrannei verhaßt genug geworden, dann konnte Italien aufgerufen werden, frei zu sein und der Befreier, der Beherrscher hieß Cethegus.
Dabei verließ ihn nur die Eine Besorgnis nicht – denn er war fern von Unterschätzung seiner Feinde, –, der Gotenkrieg, dessen letzte Funken noch nicht ausgetreten, könne nochmal aufflammen, geschürt durch die Entrüstung des Volkes über den geübten Verrat.
Schwer fiel dem Präfekten ins Gewicht, daß die tiefstgehaßten Führer der Goten, daß Totila und Teja nicht mit im Netze zu Ravenna waren gefangen worden. Um der Gefahr jener begeisterten Volkserhebung zuvorzukommen, trachtete er so eifrig, dem gefangnen Gotenkönig die Erklärung zu entreißen, er habe sich und die Stadt zuletzt ohne Hoffnung und Bedingung unterworfen, und er fordre die Seinen auf, den aussichtslosen Widerstand aufzugeben.
Und auch das Kastell, in welchem der Kriegsschatz Theoderichs geborgen lag, sollte ihm sein Gefangner angeben. In jener Zeit war ein solcher, schon um fremde Fürsten und Söldner zu gewinnen und anzuziehen, von höchster Bedeutung. Verloren ihn die Goten, so verloren sie die letzte Hoffnung, ihre geschwächte Kraft durch fremde Waffen zu ergänzen. Und viel lag dem Präfekten daran, jenen als unermeßlich reich von der Sage gepriesenen Hort nicht in die Hände der Byzantiner fallen zu lassen, deren Geldnot und daher verursachte Tyrannei ein wichtiger Bundesgenosse seiner Pläne war: sondern ihn sich [] selbst zu sichern, – auch seine Mittel waren ja nicht unerschöpflich.
Aber all' sein Bemühen schien an der Unerschütterlichkeit seines Gefangnen zu scheitern.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Die Maßregeln zur Befreiung des Königs waren getroffen.
Rauthgundis war mit Wachis hinausgegangen, sich das Walddickicht genau einzuprägen, wo der treue Freigelassene mit dem treuen Roß Dietrichs von Bern ihrer warten sollte.
Und mit der Ruhe, welche die Vollendung aller Vorbereitungen starkem Sinn gewährt, war die Gotin nach der Wohnung des Kerkermeisters zurückgekehrt. Aber sie erbleichte, als dieser ihr wie verzweifelt entgegenstürzte und sie über die Schwelle in das Gemach zog. Dort warf er sich vor ihr nieder, schlug die Brust mit den Fäusten und raufte sein graues Haar. Lange fand er keine Worte.
»Rede,« gebot Rauthgundis und preßte die Hand auf das wild pochende Herz, »ist er tot?«
»Nein, aber die Flucht ist unmöglich! Alles dahin! Alles verloren! Vor einer Stunde kam der Präfekt und stieg zu dem König hinab. Wie gewöhnlich schloß ich ihm selbst die beiden Türen, die Gangtür und die Kerkerpforte, auf – da –« – »Nun?« »Da nahm er mir die beiden Schlüssel ab: er werde sie fortan selbst verwahren.« – »Und du gabst sie ihm?« knirschte Rauthgundis. »Wie konnt' ich sie weigern! Ich wagte das Äußerste. Ich hielt sie zurück und fragte: ›O Herr, vertraust du mir nicht mehr?‹ Da warf er mir einen seiner Blicke zu, die Leib und Seele wie ein Messer trennen können.
›Von jetzt an – nicht mehr!‹ sprach er und riß mir die Schlüssel aus der Hand.«
[] »Und du ließest es geschehen! Doch freilich! Was ist dir Witichis?«
»O Herrin, du tust mir weh und unrecht! Was hättest du an meiner Stelle tun können? Nichts andres!«
»Erwürgt hätt' ich ihn mit diesen Händen! Und nun? Was soll jetzt geschehn?«
»Geschehn? Nichts! Nichts kann geschehen.«
»Er muß frei werden. Hörst du, er muß!«
»Aber Herrin! Ich weiß ja nicht wie.«
Rauthgundis ergriff ein Beil, das an dem Herde lehnte. »Erbrechen wir die Türen mit Gewalt.« Dromon wollte ihr die Axt entwinden.
»Unmöglich! Dicke Eisenplatten!«
»So rufe den Unhold. Sage, Witichis verlange ihn zu sprechen. Und vor der Gangtür erschlag' ich ihn mit diesem Beil.«
»Und dann? Du rasest! Laß mich hinaus. Ich will Wachis abrufen von seiner nutzlosen Wacht.«
»Nein, ich kann's nicht denken, daß es heut' nicht werden soll. Vielleicht kommt dieser Teufel von selbst wieder. Vielleicht« – sprach sie nachsinnend. »Ah,« schrie sie plötzlich, »gewiß, das ist's. Er will ihn ermorden! Er will sich allein zu dem Wehrlosen schleichen. Aber weh' ihm, wenn er kommt! Die Schwelle jener Gangtür will ich hüten wie ein Heiligtum, besser als meines Kindes Leben. Und weh' ihm, wenn er sie beschreitet.« Und sie drückte sich hart an die Halbtür des Gemaches Dromons und wog das schwere Beil.
Aber Rauthgundis irrte.
Nicht um seinen Gefangenen zu töten, hatte der Präfekt die Schlüssel an sich genommen. Er war mit denselben in den linken, den Südbau des Palastes geschritten. Spät am Nachmittag trat Cethegus – er kam aus dem Kerker des Königs – in das Gemach Mataswinthens. Die Ruhe des Todes und die [] Erregung des Fiebers wechselten in der seelisch Tieferkrankten so oft, so rasch, daß Aspa nur mit tränenerfüllten Augen noch auf ihre Herrin sah.
»Zerstreue,« sprach Cethegus, »schönste Tochter der Germanen, die Wolken, die auf deiner weißen Stirn lagern und höre mich ruhig an.«
»Wie steht es mit dem König? Du lässest mich ohne Nachricht. Du versprachst, ihn freizugeben nach der Entscheidung. Ihn über die Alpen führen zu lassen. Du hältst dein Wort nicht.«
»Ich habe das versprochen: – unter zwei Bedingungen.
Du kennst sie beide, und hast die deine noch nicht erfüllt. Morgen kommt der kaiserliche Neffe Germanus zurück von Ariminum – dich nach Byzanz zu führen: – du gibst ihm Hoffnung, seine Braut zu werden. Die Ehe mit Witichis war erzwungen und nichtig.«
»Ich sagte dir schon: nein, niemals!«
»Das tut mir leid – um meinen Gefangenen.
Denn eher nicht sieht er das Licht der Sonne, bis du mit Germanus auf dem Wege nach Byzanz.«
»Niemals.«
»Reize mich nicht, Mataswintha! Die Torheit des Mädchens, das so teuren Preis einst um einen Areskopf bezahlt, ist, denk' ich, überwunden. Dasselbe Geschöpf hat den Ares der Goten ja seinen Feinden verraten. Aber ehrst du noch wirklich den Mädchentraum, so rette den einst Geliebten.«
Mataswintha schüttelte das Haupt.
»Ich habe dich bisher als eine Freie, als Königin behandelt. Erinnere mich nicht, daß du so gut wie er in meiner Gewalt. Du wirst dieses edlen Prinzen Gemahlin – bald seine Witwe – und Justinian, Byzanz, die Welt liegt dir zu Füßen. Tochter Amalaswinthens – solltest du nicht die Herrschaft lieben?«
»Ich liebe nur ... –! Niemals!«
[] »So muß ich dich zwingen!«
Sie lachte: »Du? mich? zwingen?«
»Ja, ich dich zwingen. (Sie liebt ihn noch immer, den sie zugrunde gerichtet!) Die zweite Bedingung nämlich ist: daß der Gefangene diesen leergelassenen Namen ausfüllt – er ist der Name des Schatzschlosses der Goten – und diese Erklärung unterschreibt. Er weigert sich mit einem Trotz, der anfängt, mich zu erbittern. Siebenmal war ich bei ihm – ich, der Sieger, – er hatte noch kein Wort für mich. Nur das erstemal, da erhielt ich einen Blick für den er allein den stolzen Kopf verlieren müßte.«
»Nie gibt er nach.«
»Das fragt sich doch. Auch Felsen zermürbt beharrlicher Tropfenfall. Aber ich kann nicht lange mehr warten.
Heute früh kam Nachricht, daß der tolle Hildebad in wütigem Ausfall Bessas so schwer geschlagen, daß er kaum die Einschließung noch aufrecht hält. Überall flackern gotische Erhebungen empor. Ich muß fort und ein Ende machen und diese Funken auslöschen mit dem Wasser der Enttäuschung, besser als mit Blut. Dazu muß ich des gefangenen Königs Erklärung und Schatzgeheimnis haben. Ich sage dir also: wenn du bis morgen mittag nicht des Prinzen Begleiterin nach Byzanz bist und mir nicht vorher die Unterschrift des Gefangenen verschaffst, die Echtheit von dir selbst bezeugt, so werd' ich den Gefangenen – – ich schwöre es dir beim Styx, – werd' ich den Gefangenen –«
Entsetzt von seinem furchtbar drohenden Ausdruck fuhr Mataswintha von ihrem Sitz empor und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Du wirst ihn doch nicht töten?«
»Ja, das werd' ich. Ich werd' ihn erst foltern. Dann blenden. Und dann töten.«
»Nein, nein!« schrie Mataswintha auf.
»Ja, ich hab's beschlossen. Die Henker stehen bereit. Und [] du wirst ihm das sagen: dir, dieser händeringenden Verzweiflung wird er glauben, daß es ernst. Du vielleicht rührst ihn: mein Anblick härtet seinen Trotz. Er wähnt vielleicht noch, in Belisars, des Weichherzigen, Hand zu sein. Du wirst ihm sagen, in wessen Gewalt er ist. Hier die beiden Pergamente. Hier die Schlüssel – du sollst deine Stunde frei wählen – zu seinem Kerker.«
Ein Strahl freudiger Hoffnung blitzte aus Mataswinthas Seele durch ihr Auge.
Cethegus bemerkte es wohl. Aber ruhig lächelnd schritt er hinaus.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Bald, nachdem der Präfekt die Königin verlassen, war es dunkel geworden über Ravenna. Der Himmel war dicht mit zerrissenem Gewölk bedeckt, das heftiger Wind aus dem Neumond vorüberjagte, so daß kurzes, Ungewisses Licht mit desto tieferem Dunkel wechselte.
Dromon hatte seinen Abendrundgang in den Zellen der übrigen Gefangenen vollendet und kam müde und traurig in sein Vorgemach zurück. Er fand kein Licht brennend. Mit Mühe nur nahm er Rauthgundis wahr, die noch immer reglos an der Halbtür lehnte, das Beil in der Hand, den Blick auf die Gangtür geheftet.
»Laß mich Licht schlagen, Frau, den Kienspan im Herdeisen entzünden: und teile das Nachtmahl mit mir. Komm, du harrest hier umsonst.« – »Nein, kein Licht, kein Feuer in dem Gemach! Ich sehe so besser, was draußen im Hof, im Mondlicht naht.« – »Nun so komm wenigstens hier herein und ruhe auf dem Dreifuß. Hier ist Brot und Fleisch.« – »Soll ich essen, während er Hunger leidet?« – »Du wirst erliegen! Was denkst, was sinnst du den ganzen Abend?«
[] »Was ich denke?« wiederholte Rauthgundis, immer hinausblickend: »Ihn! Und wie wir so oft gesessen in dem Säulengang vor unserm schönen Hause, wann der Brunnen plätscherte in dem Garten und die Zikaden zirpten auf den Olivenbäumen. Und die kühle Nachtluft strich frei um sein liebes Haupt. Und ich schmiegte mich an seine Schulter. Und wir sprachen nicht. Und oben gingen die Sterne. Mit Schweigen. Und wir lauschten den vollen, tiefen Atemzügen des Kindes, das eingeschlafen war auf meinem Schoß, die Händchen, wie weiche Fesseln, um den Arm des Vaters geschlungen. Jetzt trägt sein Arm andre Fesseln. Eisenfesseln trägt er, – die schmerzen ... – –« Und sie drückte die Stirn an das Eisengitter, fest und fester, bis sie selbst Schmerz empfand.
»Herrin, was quälst du dich? Es ist doch nicht zu ändern!«
»Ich will es aber ändern! Ich muß ihn retten und – Ah, Dromon, hierher! Was ist das?« flüsterte sie und wies in den Hof.
Der Alte sprang geräuschlos an ihre Seite. In dem Hofe stand eine hohe, weiße Gestalt, die lautlos an der Mauer dahinglitt. Rasch nur, aber scharf, fiel das Mondlicht darauf.
»Es ist eine Lemure! Ein Schatte der vielen hier Ermordeten,« sprach der Alte bebend. »Gott und die Heiligen schützet mich!« Und er bekreuzte sich und verhüllte das Haupt.
»Nein,« sprach Rauthgundis, »die Toten kommen nicht wieder vom Jenseits. Jetzt ist's verschwunden – Dunkel ringsum – Sieh, da bricht der Mond durch – da ist es wieder! Es schwebt voran gegen die Gangtür. Was schimmert da rot im weißen Licht? Ah, das ist die Königin – ihr rotes Haar! Sie hält an der Gangtür. Sie schließt auf! Sie will ihn im Schlaf ermorden!«
»Weiß Gott, es ist die Königin! Aber ihn ermorden! Wie könnte sie!«
»Sie könnte es! Aber sie soll es nicht, so wahr Rauthgundis [] lebt. Ihr nach! Ein Wunder tut uns seinen Kerker auf! Doch aber leise! Leise!«
Und sie trat aus der Halbtür in den Hof, das Beil in der Rechten, vorsichtig den Schatten der Mauer suchend, langsam, auf den Zehen schleichend. Dromon folgte ihr auf dem Fuße.
Inzwischen hatte Mataswintha die Gangtür aufgeschlossen und ihren Weg erst viele Stufen hinab, dann durch den schmalen Gang, mit den Händen tastend, zurückgelegt. Nun erreichte sie die Pforte des Kerkers. Sacht erschloß sie auch diese.
Durch einen ausgehobenen Ziegelstein hoch oben im Turm fiel ein schmaler Streif des Mondlichts in das enge Quadrat. Es zeigte ihr den Gefangenen. Er saß, den Rücken gegen die Türe gewandt, das Haupt auf die Hände gestützt, reglos auf einem Steinblock.
Zitternd lehnte sich Mataswintha an die Pfosten der Pforte. Eiskalte Luft schlug ihr entgegen. Sie fror. Sie fand keine Worte: vor Grauen.
Da spürte Witichis an dem Windzug, daß die Pforte geöffnet worden. Er hob das Haupt. Aber er sah nicht um.
»Witichis – König Witichis« – stammelte endlich Mataswintha – »ich bin's. Hörst du mich?«
Aber der Gefragte rührte sich nicht.
»Ich komme, dich zu retten – fliehe! Freiheit!«
Aber der Gefangene senkte wieder das Haupt.
»O sprich! – oh sieh nur auf mich!« – Und sie trat ein. Gern hätte sie seinen Arm berührt, seine Hand gefaßt. Sie wagte es noch nicht. »Er will dich töten – quälen. Er wird es tun, – wenn du nicht fliehst.«
Und nun gab ihr Verzweiflung den Mut, näher zu treten. »Du sollst aber fliehn! Du sollst nicht sterben! Du sollst gerettet sein – durch mich! Ich flehe dich an – fliehe! Du hörst mich nicht! Die Zeit drängt! Einst sollst du alles wissen! Nur jetzt flieh in Freiheit und Leben. Ich habe die Schlüssel [] der Kerkerpforte und der Gangtür! flieh!« Und nun faßte sie seinen Arm, wollte ihn emporreißen.
Da klirrten seine Ketten an den Armen, an den Füßen. – Er war an den Steinblock festgeschlossen.
»O, was ist das?« rief sie und fiel in die Kniee.
»Stein und Eisen,« sagte er tonlos. »Laß mich. Ich gehöre dem Tode. Und hielten mich auch diese Bande nicht – ich folgte dir doch nicht! Zurück in die Welt? Die Welt ist eine große Lüge. Alles ist Lüge.«
»Du hast recht! sterben ist besser. Laß mich sterben mit dir. Und verzeih' mir. Denn auch ich habe dir gelogen.«
»Es mag wohl sein. Es wundert mich nicht.«
»Aber du mußt mir noch vergeben, ehe wir sterben.
Ich habe dich gehaßt – ich habe gejubelt über deinen Niedergang – ich habe – o, es ist so schwer zu sagen! Ich habe die Kraft nicht, es zu gestehn. Und doch muß ich deine Verzeihung haben – und müßt' ich sie mir erstehlen. Vergib mir – reiche mir die Hand zum Zeichen, daß du mir verzeihst.«
Aber Witichis war in sein Brüten zurückgesunken.
»O, ich flehe dich an – verzeihe mir, was immer ich dir mag getan haben.«
»Geh' – warum soll ich dir nicht verzeihn? Du bist wie alle! nicht besser, nicht schlimmer!«
»Nein, ich bin böser als alle. Und doch besser. Wenigstens elender. Wisse denn: ich habe dich gehaßt, ja, aber nur, weil du mich von dir gestoßen! Du ließest mich nicht dein Leben teilen, – verzeihe mir. – Gott, ich will ja nur mit dir sterben dürfen. Reich' mir einmal noch die Hand, zum Zeichen, daß du mir verzeihst.« Und sie streckte knieend, flehend, beide Hände zu ihm empor.
Der König, erhob das Haupt. Der Grundzug seines Wesens, die tiefe Herzensgüte, regte sich in ihm und übertönte den eignen dumpfen Schmerz. »Mataswintha,« sagte er, und erhob [] die kettenklirrende Hand, »geh', es erbarmt mich dein. Laß mich allein sterben. Was immer du an mir getan – geh hin: – ich habe dir verziehn.«
»O Witichis!« hauchte Mataswintha und wollte seine Hand ergreifen.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Aber heftig fühlte sie sich hinweggerissen. »Nachtbrennerin, nie soll er dir vergeben! Komm, Witichis, mein Witichis. Folge mir! Du bist frei.« Der König sprang auf, von dieser Stimme wie aus Betäubung geweckt. »Rauthgundis! Mein Weib! ja du logst nie! Du bist getreu. Ich hab' dich wieder.« Und tief aufatmend, jauchzend aus voller Brust, breitete er die Arme aus. Sein Weib flog an seine Brust und sie weinten beide süße Tränen der Liebe und der Freude.
Mataswintha aber, die sich erhoben hatte, wankte gegen die Mauer. Sie strich sich langsam die roten, losgegangenen Haare aus der Stirn und blickte auf das Paar, das der Mondstrahl, der durch die Turmluke fiel, hell beleuchtete.
»Wie er sie liebt! Ihr, ja ihr würd' er folgen in Freiheit und Leben. Aber er muß ja bleiben! Und sterben – mit mir.«
»Säumt nicht länger!« mahnte von der Kerkertüre her die Stimme Dromons.
»Ja, rasch fort, mein Leben!« rief Rauthgundis. Sie zog einen kleinen Schlüssel aus dem Busen und tastete an den Ketten, des Schlosses kleine Öffnung suchend.
»Wie? soll ich wirklich nochmal hinaus?« fragte der Gefangene, halb in seine Betäubung zurücksinkend.
»Ja, hinaus in die Luft und Freiheit«, rief Rauthgundis und warf die losgeschlossenen Armfesseln zur Erde. »Hier Witichis, eine Waffe! Ein Beil! Nimm!«
[] Begierig ergriff der gotische Mann die Axt und holte kräftig damit aus: »Ah! die Waffe tut dem Arm, der Seele wohl!«
»Das wußte ich, mein tapfrer Witichis!« rief Rauthgundis, kniete nieder und schloß die Kette auf, die seinen linken Fuß an den Steinblock gefesselt hielt. »Nun schreite aus! Denn du bist frei.«
Witichis tat, das Beil in der Rechten hebend, hoch sich reckend, einen Schritt gegen die Türe.
»Und sie darf seine Ketten lösen!« flüsterte Mataswintha.
»Ja, frei!« sprach Witichis, hoch aufatmend. »Ich will frei sein und mit dir gehen.«
»Mit ihr will er gehen!« rief Mataswintha und warf sich dem Gatten in den Weg. »Witichis – leb wohl – geh'! – Nur sage mir nochmal – daß du mir vergibst.«
»Dir vergeben?« rief Rauthgundis. »Nie! Niemals! Sie hat unser Reich zerstört. Sie hat dich verraten. Nicht der Blitz des Himmels – ihre Hand hat deine Speicher verbrannt!«
»O so sei verflucht!« rief Witichis. »Hinweg von dieser Schlange der Hölle!« Und sie von der Pforte hinwegschleudernd, schritt er über die Schwelle, gefolgt von Rauthgundis.
»Witichis!« rief Mataswintha sich aufraffend. »Halt! Halt an! Höre mich nur noch einmal! Witichis!«
»Schweig!« sprach Dromon, ihren Arm ergreifend. »Du wirst ihn verderben.«
Aber Mataswintha, ihrer nicht mehr mächtig, riß sich los und folgte die Stufen hinauf in den Gang.
»Halt!« rief sie, »Witichis! Du darfst nicht so hinweg. Du mußt mir verzeihn.« Da brach sie ohnmächtig zu Boden.
Dromon eilte an ihr vorbei, den Fliehenden nach.
Aber schon hatte das gellende Rufen den Mann des leisesten Schlafes geweckt.
Cethegus trat, das Schwert in der Hand, nur halb gegürtet, [] aus seinem Schlafgemach auf den Gang, dessen offne Logen in den viereckigen Palasthof blickten.
»Wachen,« rief er, »unter die Speere!« Auch Soldaten waren merksam geworden. Kaum hatten Witichis, Rauthgundis und Dromon den Gang und die Gangtüre durchschritten und, gerade dieser gegenüber, die Gemächer Dromons erreicht, als sechs isaurische Söldner laut lärmend in den Gang hineinstürmten.
Rasch sprang Rauthgundis aus der Halbtür, sprang auf die schwere eiserne Gangtüre zu, warf sie klirrend ins Schloß, drehte den Schlüssel um, und zog ihn heraus. »Die sind geborgen und unschädlich!« flüsterte sie.
Schnell eilten nun die beiden Gatten von dem Gemache Dromons dem großen Ausgang zu, der aus dem Schloßhof auf die Straße führte. Mit gefälltem Speer trat hier der letzte Mann der Wache, der hier zurückgeblieben, ihnen entgegen. »Gebt die Losung,« rief er. »Rom und? –«
»Rache!« sprach Witichis und schlug ihn mit dem Beile nieder.
Laut schreiend fiel der Söldner, und warf noch den Speer den Flüchtigen nach: er durchbohrte den letzten der drei – Dromon.
Über die Marmorstufen des Palastes auf die Straße hinabspringend, hörten die Gatten die eingesperrten Soldaten donnernd gegen die feste Eisentüre schlagen, auch einen lauten Befehlruf hörten sie noch. »Syphax! mein Pferd!«
Dann nahm sie Nacht und Dunkel auf.
Wenige Minuten darauf schimmerte der Palasthof von Fackeln, und Reiter flogen nach allen Toren der Stadt.
»Sechstausend Solidi wer ihn lebend, dreitausend wer ihn erschlagen bringt!« rief Cethegus – sich in den Sattel seines schwarzen Hengstes schwingend. »Nun auf, ihr Söhne des Windes, Ellak und Mundzuch, Hunnen und Massageten. Jetzt reitet, wenn ihr je geritten!«
[] »Aber wohin, Herr?« fragte Syphax, an seines Herrn Seite aus dem Palasttor sprengend.
»Das ist schwer raten. Aber alle Tore sind geschlossen und besetzt. Sie können nur etwa zu den Mauerbreschen hinaus.«
»Zwei große Mauerbreschen sind's.«
»Sieh dort den Jupiter, der eben aus der Wolke tritt im Ost. Er winkt mir. Ist nicht dort –?«
»Der Mauersturz am Turme des Aëtius.«
»Gut! dort hinaus! Ich folge meinem Stern!« – – –
* * *
Glücklich hatten inzwischen die Gatten, hindurchgelassen von Paulus, dem Sohn des Dromon, die nur halb ausgefüllte Mauerlücke durcheilt und in dem nahen Pinienhain der Diana Wachis, den Getreuen, und zwei Pferde gefunden. Wallada nahm die Gatten auf den Rücken. –
Der Freigelassene ritt rasch voran, dem Ufer des hier sehr breiten Flusses zu. Witichis hielt Rauthgundis vor sich, hinter dem Hals des Rosses. »Mein Weib! mit dir hatte ich alles verloren! Leben und Lebensmut. Aber nun will ich's noch einmal wagen um das Reich. O wie konnte ich dich von mir lassen, du Seele meiner Seele.«
»Dein Arm ist wund vom Druck der Kette! So! leg ihn hier auf meinen Nacken, o du mein alles.«
»Vorwärts, Wallada! Rasch! es gilt das Leben.«
Da bogen sie aus dem Dickicht des Hains ins Freie. Das Ufer des Flusses war erreicht. Wachis trieb sein bäumendes Pferd in die dunkle Flut. Das Tier scheute und widerstrebte. Der Freigelassene sprang ab. »Er geht sehr tief, sehr reißend. Es ist Hochwasser seit drei Tagen. Die Furt ist nicht zu brauchen. Die Gäule müssen schwimmen und stark recht abwärts wird's uns reißen. Und es sind Felsen im Fluß. Und das Mondlicht wechselt so oft und täuscht.« – Ratlos prüfte er am Ufer hin und her.
[] »Horch, was war das?« fragte Rauthgundis. »Das war nicht der Wind in den Steineichen.«
»Pferde sind's,« sagte Witichis. »Sie nahen in Eile. Ja, wir sind verfolgt. Waffen klirren. Da – Fackeln. Jetzt hinein in den Strom auf Leben und Sterben. Aber leise!«
Und er führte sein Pferd am Zügel in die Flut.
»Kein Bodengrund mehr. Die Gäule müssen schwimmen, halte dich fest an der Mähne, Rauthgundis. Vorwärts, Wallada!«
Schnaubend, zitternd, blickte das Tier in die schwarze Flut – die Mähne flog wirr kopfüber – die Vorderfüße vorgestreckt, den Hinterbug zurückgehemmt.
»Vorwärts, Wallada!« Und leise rief Witichis dem treuen Roß ins Ohr: »Dietrich von Bern!« Da setzte das edle Tier in stolzem Sprung willfährig in die Flut.
Schon jagten die verfolgenden Reiter aus dem Wald, voran Cethegus, ihm zur Seite Syphax, eine Fackel hebend. »Hier, im Ufersand, verschwindet die Spur, o Herr.«
»Sie sind im Wasser! Vorwärts, ihr Hunnen!«
Aber die Reiter zogen die Zügel an und rührten sich nicht.
»Nun, Ellak? was zögert ihr? Sofort in die Flut!«
»Herr, das können wir nicht. Ehe wir zur Nachtzeit in fließend Wasser reiten, müssen wir Phug, den Wassergeist, um Verzeihung bitten. Wir müssen erst zu ihm beten.«
»Betet nachher, wenn ihr drüben seid, solang ihr wollt, nun aber –«
Da fuhr ein stärkerer Windstoß über den Fluß und verlöschte alle Fackeln. Hochauf rauschte die Flut.
»Du siehst, o Herr, Phug zürnt.«
»Still! saht ihr nichts? Da unten, links?«
Der Mond war aus dem jagenden Gewölk getaucht. – Er zeigte Rauthgundis helles Untergewand: – den braunen Mantel hatte sie verloren.
[] »Zielt rasch, dorthin.«
»Nein, Herr! Erst ausbeten.« –
Da war es wieder dunkel am Himmel. – Mit einem Fluch riß dem Hunnenhäuptling Cethegus Bogen und Köcher von der Schulter.
»Nun rasch vorwärts!« rief leise Wachis, der schon fast das rechte Ufer gewonnen hatte, zurück – »ehe der Mond aus jener schmalen Wolke tritt.«
»Halt, Wallada!« rief Witichis, abspringend, die Last zu erleichtern, und sich an der Mähne haltend. »Da ist ein Fels! Stoße dich nicht, Rauthgundis.« –
Roß, Mann und Weib stockten einen Augenblick an dem ragenden Stein, wo in gurgelndem, tiefem Wirbel das Wasser reißend zog.
Da ward der Mond ganz frei. Hell beleuchtete er die Fläche des Stroms und die Gruppe am Felsen.
»Sie sind es!« rief Cethegus, der schon den gespannten Langbogen bereit hielt, zielte und schoß. Schwirrend flog der lange, schwarzgefiederte Pfeil von der Sehne.
»Rauthgundis!« rief Witichis entsetzt. – Denn sie zuckte zusammen und sank nach vorwärts auf die Mähne des Rosses, aber sie klagte nicht.
»Bist du getroffen?« – »Ich glaube. Laß mich hier. Und rette dich«. – »Niemals! Laß dich stützen.«
»Um Gott, Herr, duckt euch! taucht! sie zielen!«
Die Hunnen hatten jetzt ausgebetet. Sie ritten bis hart an den Strom, bis in sein Uferwasser, bogenspannend und zielend.
»Laß mich, Witichis! Flieh, ich sterbe hier.« – – »Nein, ich lasse dich nie mehr!« Er wollte sie aus dem Sattel heben und sie auf dem Stein bergen. In hellem Mondlicht stand die Gruppe.
»Gib dich gefangen, Witichis!« rief Cethegus, sein Roß bis an den Bug in das Wasser spornend.
[] »Fluch über dich, du Lügner und Neiding.«
Da schwirrten zwölf Pfeile auf einmal. Hoch auf sprang das Roß Theoderichs und versank für immer in die Tiefe.
Aber auch Witichis war auf den Tod getroffen. »Bei dir!« – hauchte noch Rauthgundis. Fest mit beiden Armen umfing sie Witichis. – – »Mit dir!«
Umschlungen verschwanden sie im Fluß.
Jammernd rief drüben Wachis im Schilf des Ufers noch dreimal ihren Namen. Er erhielt keine Antwort. Da jagte er davon in die Nacht.
»Schafft die Leichen ans Land!« befahl Cethegus düster, sein Roß wendend. Und die Hunnen ritten und schwammen bis an den Stein und suchten.
Aber sie suchten vergebens. Der rasche Strom hatte sie mit fortgerissen und die wieder vereinten Gatten mit sich hinausgetragen ins tiefe, freie Meer.
* * *
Am gleichen Tage war Prinz Germanus von Ariminum in den Hafen von Ravenna zurückgekehrt, bereit, demnächst Mataswintha nach Byzanz zu führen.
Diese war aus ihrer Betäubung erst durch die Hammerschläge der Werkleute geweckt worden, die das Mauerwerk neben der Gangtür durchbrachen, die eingesperrten Söldner zu befreien. Man fand die Fürstin auf den Kerkerstufen zusammengebrochen. Sie ward in vollem Fieber in ihre Gemächer hinaufgetragen, wo sie auf den Purpurpolstern ohne Laut und Regung, aber mit starr geöffneten Augen lag.
Gegen Mittag ließ sich Cethegus melden. Sein Blick war finster und drohend, sein Antlitz von eisiger Kälte. Er trat dicht an ihr Lager. Mataswintha sah ihm ins Auge.
»Er ist tot!« sagte sie dann ruhig.
»Er wollte es nicht anders. Er – und du. Dir Vorwürfe [] machen ist zwecklos. Aber du siehst, was das Ende wird, wenn du mir entgegen handelst. Das Geschrei von seinem Untergang wird unfehlbar die Barbaren in neue Wut treiben. Schwere Arbeit hast du mir geschaffen. Denn nur du hast ihm Flucht und Tod bereitet. Das mindeste, was du zur Sühne tun kannst, ist: meinen zweiten Wunsch erfüllen. Prinz Germanus ist gelandet, dich abzuholen. Du wirst ihm folgen.«
»Wo ist die Leiche?«
»Nicht gefunden. Der Strom hat ihn davongetragen. Ihn und – das Weib.«
Mataswinthens Lippe zuckte. »Noch im Tode! Sie starb mit ihm?«
»Laß diese Toten! In zwei Stunden werde ich mit dem Prinzen wiederkommen. Wirst du bis dahin bereit sein, ihn zu begrüßen?«
»Ich werde bereit sein.«
»Gut. Wir wollen pünktlich sein.«
»Auch ich. Aspa, rufe alle Sklavinnen herbei. Sie sollen mich schmücken: Diadem, Purpur, Seide.«
»Sie hat den Verstand verloren,« sagte Cethegus im Hinausgehen. »Aber die Weiber sind zäh. Sie wird ihn wiederfinden. Sie können fortleben mit aus der Brust gerissenem Herzen.«
Und er ging den ungeduldigen Prinzen zu vertrösten.
Noch vor Ablauf der bedungenen Zeit kam eine Sklavin, beide Männer zur Königin zu entbieten.
Germanus eilte mit raschem Fuße über die Schwelle ihres Gemaches. Aber gefesselt von Staunen blieb er stehen. So schön, so prachtvoll hatte er die Gotenfürstin nie gesehen.
Sie hatte das hohe, goldne Diadem auf das leuchtende Haar gesetzt, das, gelöst, in zwei dichten Wellen auf ihre Schultern und von den Schultern bis über den Rücken floß. Das Unterkleid, von schwerster weißer Seide mit goldnen Blumen durchwirkt, [] war nur unterhalb der Kniee sichtbar. Denn Brust und Schoß bedeckte der weite Purpurmantel. Ihr Antlitz war marmorweiß, ihr Auge loderte in geisterhaftem Glanz. »Prinz Germanus,« rief sie dem Eintretenden entgegen, »du hast mir von Liebe geredet? Aber weißt du, was du geredet? Lieben ist sterben.«
Germanus sah fragend auf Cethegus.
Dieser trat vor. Er wollte sprechen.
Aber Mataswintha hob mit heller Stimme wieder an:
»Prinz Germanus, sie rühmen dich den Feinstgebildeten an einem weisen Hof, wo man sich übt in spitzer Rätsel Ratung. Auch ich will dir eine Rätselfrage stellen: – sieh' zu, ob du sie lösest. Laß dir nur helfen dabei von dem klugen Präfekten, der sich so ganz auf Menschengemüter versteht. Was ist das? Weib und doch Mädchen? Witwe und doch nie Weib? Vermagst es nicht zu deuten? Hast recht. Der Tod nur löst alle Rätsel.«
Rasch zur Seite warf sie den Purpurmantel. Ein breites, starkes Schwert blitzte. Mit beiden Händen stieß sie sich's tief in die Brust.
Aufschreiend sprangen Germanus von vorn, Aspa von rückwärts hinzu. Schweigend fing Cethegus die Sinkende auf. Sie starb, sowie er das Schwert aus der Wunde zog. Er kannte das Schwert. Er hatte selbst ihr es einst gesendet.
Es war des Schwert des Königs Witichis.
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