Der Lautenbacher.

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Die Glocke läutete hell, ihre Töne zerflossen sanft in dem lichten Mittag; die Menschen kehrten von ihrer Arbeit heim. Die Männer gingen mit der Mütze in der Hand von den Feldern auf die Straße, die Stimme Gottes hatte sie gerufen, das harte Feldgeräthe aus der Hand zu legen, heimzukehren und sich zu stärken am Gebete und an irdischer Speise. Ein junger, schlank gewachsener Mann war die Straße von der Stadt heraufgekommen. Er war städtisch gekleidet und hatte einen braun marmorirten Ziegenhainer Stock, in den viele Namen eingeschnitten waren, in der Hand. Als er nun das Dorf so vor sich ausgebreitet sah, blieb er stehen, horchte hin nach dem Geläute und schaute umher in den Wald der blühenden Obstbäume, die das Dorf umdrängten. Er grüßte die Leute, die vom Felde herüber kamen, mit einer besondern Freundlichkeit, ja, als ob er sie kenne. Die Leute dankten herzlich und schauten sich Alle nochmals nach ihm um, sie meinten, das müsse Einer aus [] dem Dorfe sein, der aus der Fremde heimkehre; er hatte sie ja so durchdringend angeschaut, und doch kannten sie ihn nicht.

Als die letzten Töne der Glocke verklungen waren, als Alles auf dem Felde stille, kein Mensch mehr zu sehen war und nur die Lerchen hoch in der Luft jubelten, da setzte sich der Fremdling an den Wegrain, schaute noch lange hinüber nach dem Dorfe, zog endlich eine Brieftasche heraus und oft wieder um sich blickend schrieb er hinein:

»Griechen und Römer! Wie hoch schallten eure Triumphe, wie schmetterten eure Kriegstrompeten, aber nur das Christenthum grub das Erz aus den dunkeln Schachten der Erde, ließ es hoch in den Lüften schweben und weithin seinen Klang ausgießen, zur Anbetung, zur Freude und zur Trauer. Wie herrlich mögen die Harfen und Pauken im Tempel zu Jerusalem geklungen haben; aber nicht mehr Ein Tempel steht auf der Erde, tausende hieß das Christenthum erstehen aller Orten ... Mir war's vorhin, als ob die Glocken erschallten zum Einzuge in meinen neuen Bestimmungsort, als ob die Stimme Gottes mir Willkommen zuriefe. Wohl saht ihr euch verwundert nach mir um, ihr guten Menschen, ihr wußtet nicht, was wir einander werden sollen. O könnt' ich die Seelen dieser Menschen ganz in meine Gewalt bekommen, ich [] wollte sie frei machen von ihrem trägen Aberwitze und sie kosten lassen die reinen Freuden des Geistes. – Da wandeln sie aber hin, und gleich dem Thiere, das vor ihnen hergeht, sehnen sie sich nach nichts als nach dem Futter für ihren Mund ... Das also ist der Ort, wo mein erneutes Leben beginnt: diese Schluchten und Ackerflächen, mit welchen Gedanken wird mein Auge auf ihnen weilen! O die Erde ist überall schön und freudespendend, wo es Blumen gibt. Und wenn die Menschen mich nicht verstehen, verstehst du mich doch, o ewige Natur, und lächelst mir freundlich zu, wenn ich deinen stillen Offenbarungen lausche ... Da stehen die Bäume in ihrer Blüthenpracht und drinnen im Dorfe hör' ich das Jauchzen der Kinder, in deren Herzen ich den Lichtstrahl der Bildung werfen soll ....«

Der Schreibende hielt inne; seinen Stock betrachtend, sagte er leise vor sich hin: »Nach allen Gauen hin seid ihr zerstreut ihr Genossen meiner Jugend, nichts als eure Namen hier sind mir geblieben, und mit ihnen betrete ich die Schwelle meines neuen Lebens, ihr Alle begleitet mich im Geiste. Ich sende euch einen Herzensgruß hinaus in den Frühling, möge er euch wiedertönen aus dem Munde der Vögel in den Lüften und eure Seele erquicken!«

Rasch stand er auf und schritt durch das Dorf.

[] Wir wissen nun, daß wir den neuen Schullehrer in dem jungen Mann kennen gelernt. Er fragte nach dem Schultheiß, man wies ihn in das Haus des Buchmaiers.

Der Buchmaier saß mit seinem zahlreichen Hausgesinde bei Tische, als der Fremde eintrat. Nach herzlichem Willkomm wurde er eingeladen sich zu Tische zu setzen; der Lehrer dankte.

»Ei was?« sagte der Buchmaier, der sich alsbald wieder gesetzt hatte, da er sich beim Essen durchaus nicht stören ließ, »rucket ein Bisle zusammen, ihr da. Hurtig, Agnes, hol' einen Teller. Da setzet Euch her, Herr Lehrer. Bei uns geht's nicht wie bei den Horbern, die sagen immer: wäret Ihr bälder kommen; wer bei uns zur Essenszeit kommt, muß mithalten. Wo Ihr jetzt hinkommt, kriegt Ihr doch nichts mehr, und da ist gekocht; Ihr müsset halt fürlieb nehmen mit dem, was da ist. Ihr kommet grad' zu einem rechten Schwarzwälderessen: gerührte Knöpfle und Hutzeln.«

Agnes hatte einen Teller gebracht, und der Lehrer um nicht grob zu erscheinen, sich zu Tische gesetzt.

»Da, mein' Agnes,« sagte der Buchmaier, nach dem er einen gehauften Teller voll herausgeschöpft, »die kriegt Ihr in die Sonntagsschul'.«

»O, Sie werden wenig mehr zu lernen haben,«[] sagte der Lehrer, um doch etwas vorzubringen. Das Mädchen heftete den Blick scheu auf den Teller.

»Wie! Agnes, red' auch, du hast ja sonst dein Maul bei dir, sag', kannst du Alles?«

»Jo, mit deam Lease do käm' ich schaun no furt, herrentgege mit em Schreiba, do will's halt nimmei reacht gaun, d'Fingere weant oam härt, wemmer d'gahnz Woch so schaffe muaß.«

All' die Schönheit des Mädchens verschwand plötzlich vor den Augen des Lehrers, da er diese harte, in groben Lauten vorgebrachte Rede hörte.

Nachdem abgespeist und gebetet war, stellte sich einer der Knechte, der bei Tische nicht weit vom Buchmaier gesessen hatte, vor seinen Herrn hin, und indem er sein Messer einsteckte, sagte er:

»I will gaun mit de Gäul' naun alloan naus?«

»Ja, ich komm' bald nach. Nimm einen Buben mit, der dir den Fuchs führt, der will sich nicht recht eingewöhnen.«

»Schätz' wol, i krieg ihn schaun z'reacht,« sagte der Knecht und ging mit schweren Schritten von dannen. Der Lehrer schüttelte den Kopf.

Agnes deckte schnell ab, denn sie eilte, um in der Küche ihre Bemerkungen über den Ankömmling mit den Mägden auszutauschen.

»Ein nett's Bürschle,« sagte die Legat, die älteste Magd und Vertraute der Agnes, »er hat dich [] anguckt, ich hab' nicht recht gewußt, will er dir ein Tätzle oder ein Schmützle geben. Was meinst, wär' das nicht ein Mann für dich? Er ist noch ledig.«

»Lieber möcht' ich ledig bleiben, bis die Kuh einen Batzen gilt, eh' ich den nähm'.«

»Hast Recht,« sagte eine andere Magd, »der thät dich auch mit zwei Händ' in's Maul stecken; hast nicht gesehen, der hat ja das Messer in die recht' und die Gabel in die link' Hand genommen und mit zwei Hand' gessen, das hat man sein Lebtag von keinem ehrlichen Menschen gesehen.«

»Ja,« sagte eine dritte, »der ist auch noch nicht über seines Vaters Miste 'nauskommen, der hat ja die Knöpfle mit dem Messer verschnitten, statt daß man's verreißt; da sind sie ganz talkig worden. O du Talk! geschieht dir recht, daß du hast so dran würgen müssen.«

Während draußen beim Spülen die Mädchen den Lehrer auch nicht ungewaschen ließen, nicht sowohl aus Bosheit als weil man einmal so begonnen hatte, war drinnen in der Stube die Unterredung des Buchmaiers auch keine sehr erfreuliche.

»Der Sprach' nach,« begann er, »scheinet Ihr aus dem Unterland gebürtig.«

»Eigentlich nicht, ich bin aus dem Taubergrund.«

»Nu, wir nehmen das nicht so genau, was halt [] unter Böblingen ist, heißen wir das Unterland; wie heißt denn der Ort?«

Der Lehrer stockte ein wenig, legte beide Hände auf die Brust und sagte endlich sich verbeugend: »Lauterbach.«

Der Buchmaier stieß ein schallendes Gelächter aus, der Lehrer sah ernst drein; endlich sagte Ersterer:

»Nichts für ungut, Lauterbach weiß ja jed' Kind, das ist ja in dem Lied. Warum habt Ihr denn nicht recht mit 'raus wollen? Das ist ja kein' Schand. Nu Ihr könnet mir jetzt g'wiß die Wahrheit sagen, warum ist jetzt grad' Lauterbach in dem Lied?«

»Wer kann das wissen? es hat wahrscheinlich gar keinen Grund, solche dumme Lieder werden von einfältigen Menschen gemacht, die diesen und jenen Ort nehmen, weil er ihnen gerade in das Metrum, ich wollte sagen, in das Versmaß paßt.«

»Ei, das Lied ist gar nicht so dumm und es hat ein' recht lustige Weisung, ich hör's rechtschaffen gern singen.«

»Sie erlauben, daß ich entgegengesetzter Ansicht bin.«

»Was ist da viel zu erlauben? wenn ich's auch nicht erlauben thät, wäret Ihr's doch, nur frei heraus und saget mir einmal: warum?«

»Ich meine: welcher Gedanke, ja nur welcher Sinn liegt in dem Lied:

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Zu Lauterbach hab' ich mein' Strumpf verloren,

Ohne Strumpf geh' ich nicht heim,

Jetzt geh' ich halt wieder gen Lauterbach,

Kauf mir ein' Strumpf zu mein eim.

Das ist nichts als barer Unsinn, und das nennen Sie lustig? Wie kann ein Lied lustig sein, wenn gar kein Gedanke darin ist? Ist die Gedankenlosigkeit Lustigkeit?«

»Ja, es mag jetzt sein, wie es will, lustig ist es doch; es paßt halt so grad, wenn man« – der Buchmaier konnte sich hier nicht mehr recht ausdrücken, er schnalzte nur mit den beiden Händen, dann fuhr er fort: »ich will sagen, wenn man so recht darüber 'naus ist. Wir haben hier Einen, den Jörgli, von dem müsset Ihr's einmal hören, dann saget Ihr auch: es gibt nichts lustigeres. Ein Spaßvogel hat mir einmal berichtet, es müss' nicht ›Strumpf,‹ es müss' ›Schuh‹ heißen, und deßwegen sei von Lauterbach die Red', weil dort auf allen Gassen Schlappen 'rumliegen. Aber was geht uns jetzt das Lied an? Wir wollen was Andres reden. Habt Ihr hier herum auch Bekannte?«

»Keinen Menschen.«

»Nun Ihr werdet schon gute Freund' bei uns finden, die Leut' sind zwar hier herum ein Bisle grob; es ist nicht so, aber es sieht so aus. Ein Bisle spöttisch, das ist wahr, das sind sie, es ist [] aber nicht bös gemeint, man muß nur tüchtig heimzahlen; und wenn man mit ihnen umzugehen weiß, kann man's um einen Finger wickeln.«

»Ich werde gewiß allen Menschen mit Liebe entgegenkommen.«

»Ja, was ich hab' sagen wollen, nun müsset Ihr auch die Gemeinderäthe und den Bürgerausschuß begrüßen, Ihr müsset sie besuchen; und noch Eins, gehet auch zum alten Schullehrer, der jetzt schon 25 Jahr in Ruhstand versetzt ist, er ist ein braver Mann, und es thut ihm wohl. Er ist noch von der alten Welt, aber auch grundgut. Ich bin auch noch bei ihm in die Schul' gangen, freilich weiß ich auch wenig genug. Der letzte Schullehrer hat's mit ihm verdorben, weil er ihn nicht besucht hat; und wenn Ihr ihm einen besondern Gefallen thun wollet, lasset ihn als einmal am Sonntags Orgel spielen. Jetzt will ich Euch Euer' Wohnung zeigen, Eure Sachen sind schon gestern ankommen.«

Mißvergnügten Antlitzes ging der Lehrer neben dem Buchmaier durch das Dorf. Er war mit so hohen, überschwänglichen Gedanken hier angekommen, und war auf eine so rauhe, harte Wirklichkeit gestoßen. Oft hörte er hinter sich sagen: das ist g'wiß der neu' Schullehrer. Bei der Krone begegnete den Beiden der uns wohlbekannte Mathes, er war nun im Bürgerausschuß. Der Buchmaier stellte ihm den [] neuen Lehrer vor. Einige hatten dies gehört und nun verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Mathes schloß sich den Beiden an.

So groß war die hinneigende Liebe der Kinder, in deren Herzen der Lehrer einzudringen gedachte, daß sie davon liefen, als sie ihn von ferne sahen. Hie und da blieb aber auch einer der beherzten Knaben stehen und nickte freundlich, ohne die Kappe abzuziehen, aus dem einfachen Grunde, weil er keine auf hatte.

Nicht weit von dem Schulhause stand ein hübscher Knabe von sechs bis sieben Jahren. »Komm' her, Hannesle,« rief Mathes, »gucket, Herr Lehrer, der ist mein. Nehmet ihn nur recht dazwischen, er kann lernen, aber er mag oft nicht. Gib dem Herrn eine Hand, der ist jetzt dein Herr Lehrer, den mußt du gern haben. Wie sagt man zu einem Fremden?«

»Grüß' Gott,« sagte der Knabe, herzhaft die Hand reichend.

Das Antlitz des Lehrers war wie verklärt, dieser Gruß aus Kindes Munde that ihm gar wohl. Er war jetzt wieder in seinem Paradiese, das unschuldvolle Gemüth eines Kindes wendete sich ihm zu. Er beugte sich zu dem Knaben nieder und küßte ihn.

»Willst du mich lieb haben?« fragte er dann. Hannesle sah seinen Vater an.

[] »Willst du den Herrn Lehrer gern haben?« fragte der Mathes.

Der Knabe nickte bejahend mit dem Kopf, er konnte nicht mehr reden, denn die Thränen standen ihm in den Augen.

Die drei Männer gingen fort, der Knabe sprang eilends, ohne sich umzusehen, nach Hause.

Der Buchmaier und Mathes zeigten nun dem Lehrer seine Wohnung.

»Da gehört bald ein Weib 'rein,« sagte Mathes, »ein Schullehrer muß eine Frau haben. Wir haben jetzt zum erstenmal einen Ledigen; nun wir haben hier Staatsmädle, Ihr müsset euch einmal umgucken. Das Best' ist, ihr nehmet eine aus dem Ort; wenn man nicht aus dem Ort ist und nicht 'rein heirathet, bleibt man halt wildfremd. Hab' ich Recht oder nicht, Vetter?«

»Vielleicht hat der Herr Lehrer schon eine ausgesucht,« entgegnete der Buchmaier, »und sie mag her sein, wo sie will, sie soll bei uns gut aufgehoben sein.«

»Ja, wir halten ihr einen Gegenritt,« sagte Mathes, indem er dachte: der Buchmaier ist doch gescheiter als du. Der Lehrer aber sagte:

»Ich bin noch durchaus ledig, ich kann schon noch eine geraume Zeit zusehen.« Innerlich dachte er: lieber eine Aeffin, als so eine vierschrötige Bäuerin zur Frau.

[] »Jetzt müsset Ihr mich verexkusiren,« sagte der Buchmaier, »ich muß in's Feld; ich hab' da einen Gaul im Handel und muß sehen, wie der im Zug ist. Nun, wir sehen uns ja heut Abend. B'hüt's Gott dieweil. Gehst mit, Mathes?«

»Ja, b'hüts Gott, Herr Lehrer, und wenn Euch die Zeit zu lang wird, so nehmet's doppelt.«

Der Lehrer verstand diese nicht sehr geschickte Redensart des Mathes, die von dem Bilde eines zu langen Fadens genommen ist, nicht ganz.

Nachdem hinter den Fortgegangenen die Thüre schon zu war, drückte der Lehrer nochmals an derselben, gleichsam um sich zu vergewissern, daß er jetzt allein sei. Er fühlte sich sehr beklommen und konnte sich doch nicht recht sagen warum. Endlich siel ihm die Lauterbacher Geschichte wieder ein. Er sah darin eine grobe und rohe Begegnung, alle ihm sonst erwiesene Freundlichkeit haftete nicht an ihm.

So sind die Menschen! Wenn sie sich in gereizter Stimmung befinden, behalten sie immer nur das Eine im Sinne, was sie verletzte, und übersehen alles andere noch so Liebreiche.

Erst saß der Lehrer lange still, dann erhob er sich, seine Sachen auszupacken. Es heimelte ihn wiederum an, da die gewohnten Gegenstände um ihn her lagen. Bald versank er indeß abermals in stilles Brüten, und er dachte bei sich: da bist du [] nun wie in eine Wildniß versetzt; was dich erfreut und betrübt, ist für diese Menschen gar nicht vorhanden; dein Schultheiß ist eben nichts als ein Bauernschulz, noch stolz auf seine Rohheit. Wohl mag der Geist auch in diesen Menschen schlummern, aber er ist verschüttet. Ich will alle meine Kraft zusammenhalten, um mich gegen das Verbauern zu wahren. Tagtäglich will ich mein ganzes Sein aufwühlen, ich will frei bleiben von dem Einflusse meiner Umgebung. Ich habe Lehrer gesehen, die mit dem freien Geiste der Zeit erfüllt in ihr Amt traten, und nach einigen Jahren versanken sie ganz in den Schlendrian, sie waren zu Bauern geworden, selbst ihr Aeußeres war nachlässig und schlapp. – Er schrieb auf ein Zettelchen: Memento! und steckte es an den Spiegel.

Endlich raffte er sich auf und ging hinaus auf das Feld, den Weg, den er herein gekommen war. Die Bauern, die hier auf den Aeckern an der Straße arbeiteten, sagten: »Nun, wie geht's, Herr Lehrer? schon eingewöhnt?« Der Lehrer gab kurze, aber freundliche Antworten; diese Zuthulichkeit kam ihm fremd vor und beleidigte ihn fast. Er wußte nicht, daß die Leute ein Anrecht zu derselben zu haben glaubten, weil sie ihn zuerst gesehen hatten, zuerst von ihm begrüßt worden waren.

Nach langem Umherschweifen in den Feldern fand[] er »im Grunde« einen einsam stehenden Holzbirnenbaum von schönem Schlage. Er umwandelte ihn von allen Seiten, bis er den rechten Punkt gefunden hatte. Nun setzte er sich auf einen breiten Markstein und zeichnete.

Viele Bauern kamen neugierig herbei und schauten zu. Schnell verbreitete sich von Mund zu Mund das Gerücht: der neu' Lehrer schreibt die Bäum' ab.

Der Lehrer zeichnete noch den Hügel gegenüber mit dem Haselbusch und der Brombeerhecke, die sich über einen Felsen wand, auch das Feldhäuschen, in dem man das Feldgeschirr aufbewahrt oder bei Unwetter Schutz sucht; zuletzt zeichnete er einen Bauern mit Pferd und Pflug als Staffage.

Es neigte sich gegen Abend. Mit beruhigter Seele kehrte der Lehrer heimwärts. Unterwegs schlossen sich ihm mehrere Bauern an; ohne viel Umstände zu machen, hielten sie gleichen Schritt mit ihm und hatten gar viel zu fragen. So unbequem dieß dem Fremdling war, so ließ er sich's doch gefallen. Sehr ungeschickt aber war es, daß er auf die Frage: nicht wahr, es ist eine schöne Gegend hier herum? die Antwort gab: »So, so, es geht an.« Er dachte, daß sich hier nicht viel Malerisches zu finden scheine, und konnte das doch nicht sagen. Da ihm die Plumpheit der Kirchthurmspitze aufgefallen war, fragte er: »Wer hat die Kirche gebaut?«

[] Die Leute sahen ihn mit großen Augen an, sie konnten sich gar nicht denken, daß es einmal anders gewesen, daß es eine Zeit gegeben haben könne, da die Kirche noch nicht da war.

Zu Hause harrte der Lehrer auf den Buchmaier, der ihn seiner Erwartung nach abholen würde. Es dämmerte, auf der Straße regte sich lebendiges Treiben; nur der Lehrer saß still am offenen Fenster. Er gedachte jetzt lebhafter als je, wie nothwendig ihn: eine Lebensgefährtin sei, die ihn verstünde, damit er nicht mehr »unter Larven die einzig fühlende Brust« sei.

Es war Freitag Abend; die jungen jüdischen Burschen zogen nach ihrer Gewohnheit singend durch das Dorf. Einst war eine Stimme darunter, die jetzt nicht mehr so hell klingt. Man sang mehr Lieder aus den Büchern. Als man an der Wohnung des Lehrers vorüber kam, wurde eben das schöne Lied begonnen:

Herz mein Herz, warum so traurig?

Und was soll das Ach und Weh?

's ist ja so schön in fremden Landen!

Herz mein Herz, was fehlt dir denn?

Nach und nach verklang das Lied nach dem obern Dorfe zu. Der Lehrer fühlte sich in tiefster Seele bewegt. Er griff nach seiner Geige und spielte den [] Sehnsuchtswalzer; das waren im Dorfe nie gehörte Klänge. Bald vernahm er, daß sich viele Menschen vor dem Hause gesammelt hatten; sich selbst und die Anderen zur Lust aufrufend, spielte er dann noch einen neuen muntern Walzer. Jauchzen und Lachen auf der Straße lohnte ihm.

Endlich ward es dem Lehrer doch zu lange, er verließ das Haus und fragte den ihm begegnenden Mathes nach dem Buchmaier.

»Kommet mit,« sagte Mathes, »im Adler ist er und am Freitag Abend besonders gern.«

Der Lehrer fand es zwar nicht recht, daß der Schultheiß so bei den Anderen im Wirthshaus faß, er ging indeß doch mit.

Im Adler traf er große Gesellschaft und eifriges Gespräch. Die Juden, die großen Theils die ganze Woche nicht zu Hause sind, saßen hier unter ihren christlichen Mitbürgern und tranken; nur mit dem einzigen Unterschiede, daß sie, weil Sabbath war, nicht dabei rauchten.

Eine Weile herrschte Stille, als der Lehrer in die Stube trat; aber bald nach dem Willkomm und nachdem der Buchmaier neben sich Platz gemacht, fuhr dieser fort:

»Wie gesagt, der Thiers hat mit einem fetten Stück Deutschland Frankreich schmälzen wollen; pros't Alter, dir hat man die Supp' versalzen, du wirst [] nimmer so schleckig sein. Was meinet Ihr, Herr Lehrer?«

»Sie haben ganz Recht, nur sollten wir auch das Elsaß wieder haben.«

»Ja, mornemorgen, Morgenfrüh, morn heißt immer so viel als am andern Tag. aber die Elsäßer wollen nicht. Wie ich das letztemal in Straßburg gewesen bin, hab' ich mich in die Seel' 'nein geschämt, wie sie mich gefoppt haben, ob wir nicht wieder bald falsch Geld haben, das kein' Heimath hat? Ein rechtschaffener Mann hat mir gesagt: die Beamten von drüben, die wären lieber deutsch, bei uns sind sie am besten bezahlt, sind versorgt auf Kinder und Kindeskinder und haben Ruh', aber drüben ist das anders; die Beamten machen das nicht aus. Und wenn's deutsch würd', wer sollt's kriegen? Ein Sohn von dem falschen Sechser? Es ist glaub' ich, noch Einer da? Oder ein verlegtes hannöverisch Zehnguldenstück? Man thät's aber nicht Einem geben, man thäts verschnipfeln; sie haben ja den Ueberrhein in drei Theil' verschnitzelt, damit man's auch recht weiß, daß er deutsch ist.«

Der Lehrer saß in stummem Erstaunen nach dieser Rede des Buchmaier; da begann ein starker, wohlbeleibter Mann, dessen städtische Kleidung und eigenthümliche Redeweise den Juden nicht verkennen ließ:

[] »Ja, und die vielen Juden im Elsaß ließen sich eher massakriren, ehe sie deutsch werden thäten; drüben sind sie vollkommen gleich mit den christlichen Bürgern; wir, wir bezahlen alle Steuern gleich, werden Soldaten wie die Christen und haben doch nur die halben Rechte.«

»Hast Recht, Mendle, kriegst aber nicht Recht,« erwiderte der Buchmaier.

Eine Pause entstand, nach welcher der Buchmaier wiederum begann:

»Herr Lehrer, was haltet Ihr von den Thierquälervereinen? Kann man mir befehlen, wie ich mit meinem Eigenthume umzugehen hab'? Darf man mich dafür strafen?«

Der Lehrer sah hierin wiederum nichts als die Rohheit dieser Menschen; mit großem Eifer vertheidigte er daher die Polizeimaßregeln wegen Mißhandlung der Thiere; der Buchmaier aber entgegnete:

»In der Stadt, da kann's meinetwegen nöthig sein, daß man die Leut' ermahnt, das Vieh zu schonen, aber strafen kann man's nicht. So ein Kutscher oder Kutschersknecht, oder so ein Livreebeamter, ich will sagen Livreebedienter, der hat kein' rechte Lieb' zum Vieh, es ist oft gar nicht einmal sein eigen, und davon, daß er's aufgezogen hat, ist gar nicht zu reden. Bei uns aber, ich hab' schon [] gesehen, daß die Leut' mehr heulen, wenn ihnen ein Rind draufgeht, als wenn ihnen ein Kind stirbt.«

»Die Herren sollten zuerst die Bauern besser behandeln,« sagte Mathes. »Der alt' Amtmann, der hat seinem Hund die besten Wörtle geben und die Bauern nur so angeschnauzt; sie sollten zuerst einen Verein stiften, daß Keiner mehr Er zu einem Bauern sagt.«

»Ja,« sagte der Buchmaier, »die Hauptsach' ist, die Amtleut' wollen jetzt gern auch über das Vieh regieren. Ihr werdet sehen, wenn's so fort geht, wird man über zehn Jahr' Einem befehlen, was er auf seinem Acker säen darf und wann er ihn brach legen muß; man kann ja auch seine Aecker quälen und kann ihnen zu viel zumuthen.«

»Wenn die Menschen nicht so vernünftig sind,« sagte der Lehrer, »das gehörige Maaß in allen Dingen zu halten, so ist der Staat verpflichtet, das Gute durch Strafen einzuführen.«

»Nein und neun und neunzigmal nein!« rief der Buchmaier, hielt aber plötzlich inne; sei es, daß er seiner Heftigkeit den Zügel halten wollte, oder daß er in der That nichts vorzubringen wußte. Er trank in langsamen Zügen, während dessen ein Mann mit gerollten, weißen und schwarzen Haaren, so was man Kümmel und Salz nennt, auf hochdeutsch sagte:

»Man kann die Menschen dafür strafen, wenn [] sie schlecht handeln, aber man kann sie nicht zwingen, gut zu sein; eine durch's Gesetz erzwungene Güte ist auch keine Güte mehr.«

»Hat Recht,« sagte der Buchmaier auf die Worte des Mannes, dessen Rede trotz des Hochdeutschen in dem singenden Tone des jüdischen Dialekts gesprochen war. Der Lehrer aber ging nicht darauf ein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er, wie die gelehrten Herren pflegen, auf die Gegenrede eines Juden that, als ob sie gar nicht vorgebracht worden wäre; vielmehr betrachtete er nur den Buchmaier als seinen Gegner, er fragte diesen:

»Glauben Sie, daß der Staat ein Recht hat, die Leute durch Strafen zu zwingen, ihre Kinder in die Schule zu schicken?«

»Freilich, freilich.«

»Ja warum denn?«

»Weil das in der Ordnung ist.«

»Ja man hat doch aber kein Recht die Leute zu zwingen, daß sie gut seien.«

»Man kann's aber strafen, wenn sie schlecht sind, und wer sein Kind nicht in die Schul' schickt, der handelt schlecht. Ist's nicht so?« schloß der Buchmaier zu dem gewendet, der vorhin das Wort für ihn ergriffen hatte.

»Gewiß,« erwiederte dieser. »Der Staat ist der Vormund derer, die nicht selber für sich sorgen und [] sich nicht wehren können. Wie er die Pflicht hat, sich um ein Kind anzunehmen, wenn ihm die Eltern sterben, und so durch den Tod nicht mehr für dasselbe sorgen können, so muß er auch solche, die durch Dummheit oder Schlechtigkeit ihre Kinder vernachlässigen, durch Strafen zu ihrer Pflicht zwingen.«

»Hat Recht, hat rechtschaffen Recht,« sagte der Buchmaier triumphirend.

Ohne sich an den, wie ihm schien, unberufenen Redner zu wenden, doch auch ohne ihn zu vermeiden, sagte der Lehrer:

»Wenn der Staat der Vormund der Unmündigen ist, derer, die sich nicht selber helfen und wehren können, so hat er auch die Herrschaft über das Vieh, das in gleichem Falle ist wie die Kinder.«

»Aepfelstiel und Birenschnitz, wie kommen die Rüben in den Sack? Das ist gar kein Vergleich,« sagte der Buchmaier lachend. »Herr Lehrer, nichts für ungut, aber da habt Ihr euch vergaloppirt. Ich hab' zu Haus ein Waisenrind, das arme Thierle hat kein Vater und kein' Mutter mehr, ich muß bigott morgen den Gemeinderath zusammenkommen lassen, man soll ihm einen Vormund setzen.«

Ein schallendes Gelächter erdröhnte in der ganzen Stube. Der Lehrer gab sich alle Mühe, seine Ansicht näher zu begründen, aber er konnte nicht mehr zu einer ordentlichen Auseinandersetzung kommen. [] Die ganze Versammlung war seelenfroh, daß das zu ernste Gespräch endlich eine lustige Wendung genommen hatte. Nur so viel vermochte er darzulegen, daß er weit entfernt sei, die Kinder und das Vieh in eine Reihe zu stellen.

»Davon ist keine Red',« sagte der Buchmaier, »Ihr habt ja des Mathesen Hannesle einen Kuß geben, das thut man keinem Vieh. Aber jetzt ist mir's, wie wenn ich eine dreifache Versicherung hätt', daß das mit den Thierquälervereinen nichts ist als den Hühnern die Schwänz 'naufbinden, sie tragen's schon allein oben.«

Die Heiterkeit steigerte sich nun immer mehr, überall öffneten sich die Schleußen eines nicht immer sehr wählerischen Witzes. Der Lehrer war nicht dazu aufgelegt, sich davon fortreißen zu lassen, vielmehr ward er im Tiefinnersten verstimmt.

Mit jenem quälenden Gefühle, vor Mehreren seine Ansicht ausgesprochen zu haben, ohne sie ganz dargelegt zu haben und ohne ganz gehört worden zu sein, verließ der Lehrer nun bald das Wirthshaus. Er sah es wohl ein, wie schwer es ist, eine Versammlung von Erwachsenen in der gründlichen Erforschung eines Gedankens zu leiten und ihn durchzukatechisiren; bald aber verließ er diese Betrachtung wieder und ward überzeugt, daß er hier die Rohheit getroffen, die nicht in der eckigen und derben Natürlichkeit, [] sondern in der selbstgefälligen Mißachtung der Bildung und der verfeinerten Ansichten besteht. Er war sehr betrübt. Der Vorsatz: sich nur der bildsamen Kindheit und der reinen Natur hinzugeben, befestigte sich stets mehr in ihm.

Andern Tages, es war Samstag, machte der Lehrer die Besuche bei den Gemeinderäthen, er traf aber keinen zu Hause. Er ging nun zuletzt zu dem alten Schullehrer, man wies ihn nach einem Garten am Wege. Hier waren die Beete nach der Schnur schön geordnet und mit Bux eingefaßt; der üppige Buchenzaun, der das Ganze einhegte, war schön geschoren und nach genau abgemessenen Zwischenräumen erhob ein Stämmchen nach dem andern seine gerundeten Zweige über den Haag. In der Mitte war ein Rondell, um welches ein mehrere Schuh hoher Bux einen natürlichen Kübel bildete, Blumen aller Art knospeten und blühten. Man vernahm hinten am Garten, in der Nähe der Laube, ein Gespräch. Der Lehrer trat auf die beiden Männer zu und seinen Hut abziehend sagte er:

»Kann ich den Herrn Schullehrer sprechen?«

»Wir sind zwei für Einen, he, he,« sagte der alte Mann, der hemdärmelig die Hacke in der Hand hielt.

»Ich meine den alten Herrn Lehrer.«

»Das bin ich, und das da ist der Judenlehrer [] he he,« erwiderte der Mann mit der Hacke, auf seinen sabbathlich geputzten Nebenmann deutend.

»Das ist mir lieb, daß ich Sie auch hier treffe. Haben wir uns nicht gestern gesprochen?«

»Als Sie mit dem Schultheißen sprachen.«

Der alte Mann warf die Hacke weg, that die Pfeife aus dem Munde, griff schnell nach seinem Rocke und wollte ihn anziehen; unser Freund aber verhinderte dieß.

»Wir brauchen vor einander keine Umstände zu machen,« sagte er, »wir sind ja Collegen, ich bin der neue Lehrer. Gehört der Garten Ihnen eigen?«

»He he, wem denn? Ja,« erwiderte der Alte; alle seine Reden waren mit einem aus tiefer Brust geholten Lachen begleitet. »Grüß Gott in Nordstetten,« setzte er hinzu und reichte dem Angekommenen die Hand; diesem war es, als ob er die eiserne Hand Berlichingens fasse, so hart war sie anzufühlen.

Der jüdische Lehrer stand in Verlegenheit da, seine gefalteten Hände auf einander reibend. Er wußte nicht, sollte er dem Angekommenen die Hand reichen oder nicht. Er fürchtete zudringlich zu erscheinen, da man ihn nicht aufgesucht hatte; sodann fühlte er sich auch durch diese Nichtbeachtung beleidigt, er glaubte sich durch Zuvorkommenheit etwas zu vergeben.

Diese beiden Gefühle – Furcht vor Zudringlichkeit und Mißachtung auf der einen, und vor zu [] weit getriebener Empfindlichkeit auf der andern Seite – das sind die beiden Schächer, zwischen denen der Jude im gesellschaftlichen Leben gekreuzigt ist; sie bleiben es so lange, als seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft keine gesicherte und vor Mißdeutungen geschützte ist.

Wie alle gebildeten Juden aus der älteren Generation hatte der jüdische Lehrer die Sätze der Schrift genau inne, er gedachte der Bibelstelle: »Liebet den Fremden, denn ihr wäret selbst Fremde im Lande Aegypten« und »betrübe den Fremden nicht, denn du weißt wie es ihm zu Muthe ist.« Er gedachte der Freude, die ihm vor Jahren ein freundliches Entgegenkommen bereitet hatte. So stand er nun da, seine Lippen bewegten sich still, alle seine Gesichtsmuskeln zuckten. Er trat endlich auf den Angekommenen zu, reichte ihm die Hand und hieß ihn mit besonderer Herzlichkeit willkommen. Der Fremde sagte:

»Sie können mir gewiß viel Anleitung geben, meine Herren, über mein Verhalten dahier; ich bin hier so ganz fremd.«

»Ich kann mir das noch recht gut denken,« nahm der jüdische Lehrer das Wort, »ich war auch bloß auf Verfügung des Consistoriums hieher gekommen und kannte keinen Menschen. Ich wünschte mir oft, ich hätte eine Zeit lang incognito da bleiben können, um die Charaktere der Eltern genau zu [] beobachten, und ohne die Eltern wissen Sie wohl, ist auch bei den Kindern nichts auszuführen. Bei mir war noch der besondere Umstand, daß ich vor fünf und zwanzig Jahren zum erstenmale eine geordnete Schule einzurichten hatte, was die Juden damals noch gar nicht kannten. Ich kam mir in der ersten Zeit vor, als wär' ich in eine fremde Welt verzaubert.«

»Nun, du hast dich bald verzaubern lassen und hast das schönst' Mädle aus dem Ort geheirathet, he he, und das war auch recht,« erwiderte der alte Mann. Zu unserm Freunde gewendet fuhr er fort: »Ihr müsset halt auch ein Mädle aus dem Ort heirathen.«

Unser Freund fuhr so bestürzt zurück, daß er in ein wohlgeglättetes Beet trat; es war ihm, als hätte sich Alles gegen ihn verschworen, um ihn zu verkuppeln. Nachdem er sich über die angerichtete Zerstörung entschuldigt, sagte er:

»Ich meine nur über mein Verhältniß zu den Eltern und den Kindern.«

»Nur recht streng,« sagte der Alte, die zertretene Stelle wieder aufhäckelnd. »Von dem neuen Schulwesen versteh' ich nichts, da fragt man die Kinder: wer hat den Stuhl gemacht? als wenn man das nicht schon von selber wüßt'; da lautiren sie b.k.l.m. wie die Stummen, es gibt gar kein ABC mehr.«

[] »Sie meinen also recht streng?« erwiderte ablenkend unser Freund.

»Ja. Wie die Mannen im Dorf 'rumlaufen, ist keiner da, der es nicht aus dem Salz von mir kriegt hat, und sag' du, ob sie nicht noch heutigen Tags allen Respekt vor mir haben?«

»Ganz gewiß,« sagte der jüdische Lehrer lächelnd. Der Alte fuhr fort:

»Und wenn eine Lustbarkeit im Dorf ist, da darf man nicht den vornehmen Herrn spielen, der sich's eine Weile so anguckt, wie das dumme Volk auch lustig sein kann; nein, da muß man auch mitthun. Kreuz Himmel! Ich hab' die tollsten Streich' mitgemacht, den Balbiererstanz, den haben sie von mir gelernt, und den Siebensprung den hab' ich mit meiner Gret immer vorgetanzt; es juckt mir noch in den Beinen, wenn ich daran denk'.«

»Sie waren aus der Gegend, Sie konnten schon eher so etwas mitmachen.«

»Ich bin nicht aus der Gegend. Anno fünf ist hier erst Württembergisch geworden, damals war Alles vorderösterreichisch. Ich bin bei Freiburg daheim.«

»Sie haben wohl viel erlebt?«

»Das will ich meinen. Die Leut', die jetzt dreißig Jahr alt sind, die wissen gar nichts von der Welt, da geht Alles glattweg, wie auf der Kegelbahn. So [] ein Lehrer, ich mein' euch nicht mit, aber was weiß denn jetzt so einer? Wo ist er in der Welt gewesen? In den Büchern ist er gesteckt. Da geht jetzt Alles seinen geweis'ten Weg, eins zwei drei, Schüler Seminarist Lehrer. Ich war Soldat, ich war Musikant, ich war Schreiber auf dem Amt in vielerlei Herren Länder. Ich hab' Russen und Franzosen und Sachsen und alles Teufelszeug mit durchgemacht. Ich hab' hier im Ort ein Buch angefangen gehabt und mit der schönsten Fraktur, und denket nur einmal, grad wie ich beim F bin, kommen die Teufelsfranzosen; da war's aus, die haben Fraktur mit Einem gesprochen.«

Nun erzählte der Alte, auf die Haue gestützt, seine zwei Hauptgeschichten; wie er nämlich einen Topf mit zweihundert Gulden im Keller vergraben hatte, den die Franzosen doch fanden, wie er im grimmkalten Winter den Pfarrer nach Egelsthal begleitete, um einer alten Frau die letzte Oelung zu geben, unterwegs ihnen ein Kosake begegnete und dem Lehrer die fuchspelzenen Handschuhe auszog. Er war eben an einer ausführlichen Beschreibung der Handschuhe, als es eilf Uhr läutete: man verließ den Garten.

Unser Freund ging noch im Geleite seines jüdischen Amtsgenossen bis zum Adler, dort hatte er sich zur Kost eingedungen.

Am andern Morgen erwarb sich der Lehrer viel[] Lob durch sein Orgelspiel. Aus einzelnen Gruppen, die sich nach der Kirche gebildet hatten, hörte er mehrmals den Ausspruch: »er kann's fast gar wie der alt' Lehrer.« Er ging nun zu diesem und bot ihm das Orgelspiel für die Mittagskirche an.

Der alte Mann lachte ganz überselig und sagte endlich, wie immer in schnell abgestoßenen Sätzen sprechend: »Ja, sie können was lernen die jungen Leut', wenn sie wollen. Ich war dritthalb Jahr Unterorganist im Münster in Freiburg, he he. Ja, der früher' hochmüthig' Professor hat mich aus der Kirch' vertrieben, ich bin ein ganz Jahr nicht 'neingegangen, ich hab' dem sein Gequicks nicht hören können, und später bin ich nur zum Amt und zur Predigt: beim Singen hab' ich davonlaufen müssen.«

Der alte Lehrer spielte nun Mittags die Orgel, aber er machte mit dem heiligen Instrumente so lustige Sprünge, daß der junge Mann oft den Kopf schüttelte; auf dem Antlitze aller anderen Anwesenden aber leuchtete zufriedene Heiterkeit.

Die Freundlichkeit gegen den alten Lehrer erregte dem neuen vieles Lob; darüber aber, daß er die Gemeinderäthe am Werktage besucht hatte, da sie doch nicht zu Hause waren, ward ihm eben so vieler Tadel. Von Beidem kam ihm nichts zu Ohren.

[] Montags begann die Schule. Der Pfarrer, ein freundlicher und edeldenkender Mann, führte den neuen Lehrer mit einer gehaltvollen Rede, im Beisein des ganzen Gemeinderaths und Bürgerausschusses, in seinen Wirkungskreis ein.

Von dem Tage an, da die Schule begonnen hatte, aß der Lehrer nicht mehr im Wirthshause; das laute Leben und die Gespräche dort störten ihn, er wollte, nachdem er die Schaar der Kinder entlassen, ganz allein sein. Ueberhaupt zog er sich ganz in sich zurück, er verrichtete sein Amt gewissenhaft, pflog aber mit Niemand Umgang; nur bisweilen ging er mit dem jüdischen Lehrer oder mit dem alten spazieren. Ueber den Charakter des letzteren war er bald einig, der Geistesrichtung des ersteren aber, in der die staatlichen und sittlichen Angelegenheiten seiner Glaubensverwandten im Vordergrunde standen, konnte er keine entsprechende Theilnahme widmen. Mit den übrigen Leuten im Orte, selbst mit dem Buchmaier, stand der Lehrer noch so fremd wie am Tage seiner Ankunft. Er ging nie in's Wirthshaus und gesellte sich nie zu den abendlichen Kreisen, die sich vor den Häusern bildeten. Waren die Schulstunden zu Ende, schweifte er einsam durch Wald und Feld, zeichnete oder schrieb in sein Taschenbuch, und wenn es Nacht war, musizirte oder las er.

Da wir die Zeichnungen nicht vorlegen und die[] Musik nicht wieder aufspielen können, so mögen hier die Taschenbuchbemerkungen eine Stelle finden, unter dem Titel, den ihnen der Lehrer selbst gab:

Feldweisheit

von

Adolph Lederer.

(Im Grase liegend.) Bei allen Wiederbelebungen, in allem neuen Dasein sind Rückständigkeiten mitten darunter gemischt. Wenn man das Wiesengrün des Frühlings genau betrachtet, liegt viel verdorrtes überjähriges Gras zwischen und unter dem grünenden; es muß verfaulen und zum Dünger für das neue Leben werden. Da schreien dann die Thoren: es ist kein Frühling, es kann auch keiner kommen, seht hier die dürren Halme! Ist es nicht auch im ganzen Leben des Geistes so? ... ist der alte Schullehrer nicht auch so ein Stück dürres Gras? ...

Mir ist die ganze Natur ein Sinnbild des Geistes; ich meine immer, sie sei nur die Larve, hinter der das Geistesantlitz steckt. Die armen Bauern! sie leben mitten in der freiesten Natur wie in einem todten Hause, sie sehen in all den Feldern und Wäldern nur den Ertrag, die Zahl der Garben, die Säcke Kartoffeln, die Klafter Holz; ich aber schlürfe [] den Geistesduft der Schönheit, der darüber schwebt. Ich will hinwegsehen über die Menschen, die da mitten unter diesem glanz vollen Leben lichtlos einherwandeln, ich will mich erheben über all das niedere klägliche Treiben, und wie die Biene hier aus der unanfaßbaren Distel Honig saugt, die dem Esel bloß zum derben Futter wird, so will ich den Honigseim des Geistes aus Allem ziehen. Steh' mir bei, du ewiger Geist und laß mich nicht denen gleich werden, die an der Scholle haften, bis die Scholle über ihren Sarg rollt; und ihr! ihr großen Geister meiner Nation, deren Werke mich hieher begleitet, stärket mich und laßt mich stets zu euren Füßen sitzen.

Jeder Acker hat seine Geschichte. Wüßte man die Wandlungen, die ihn aus der einen Hand in die andere gebracht, die Schicksale und Gefühle derer, die ihn bearbeitet, es wäre die Geschichte des Menschengeschlechts: sowie seine geologische Bildung, tief hinab bis zum Mittelpunkt der Erde aufgedeckt, die Geschichte des Erdballs aufzeigte.

Alles auf der Welt wird zur Nahrung oder zum sonstigen Verbrauch und Genuß für ein Anderes; nur der Mensch eignet sich alles an, er selber aber steht frei über der Erde, bis sie ihren Mund aufthut und seinen Leichnam verschlingt. Ich bin da auf [] eigene Weise zu dem trivialen Gedanken gelangt, daß der Mensch der Herr der Erde ist; aber nur das ist Wahrheit, eigene Erkenntniß, was wir auf eigenthümliche Weise wiederfinden.

Ich habe einmal gehört und gelesen, daß nur da, wo die Anzahl der nützlichen Hausthiere die der Menschen übersteige, ein behaglicher und glücklicher Zustand des allgemeinen Besitzthums sei.

Ist das wohl eine geistige Lehre, daß die Zahl der Unvernünftigen die der Vernünftigen übersteigen müsse?

Es wäre schrecklich, wenn es so wäre, und doch ...

Es ist entschieden, daß die Bildung der Menschheit erst mit dem Ackerbau und durch denselben begonnen hat. So lange die Menschen ihre Nahrung nur suchten, sei es durch Jagen, Fischen und dergleichen, standen sie noch fast den Thieren gleich. Erst als sie begannen, sich die Nahrung vorzubereiten, indem sie das natürliche Wachsthum beobachteten und lenkten, indem sie pflanzten und pflegten, hielten sie an einem bestimmten Boden fest, mußten sie die Gesetze der Natur erforschen und entdecken, Einfluß auf das Leben der Außenwelt und ihrer Innenwelt gewinnen.

[] Der Ackerbau ist die Wurzel aller Bildung in der Welt, aber die Ackerbauer selber haben die wenigste Frucht davon. Muß das so sein?

Auf der schwankenden Blume, die vom Winde geschüttelt wird, klammert sich die Biene fest und saugt emsig den Honig: so auch genießet der Mensch das schwankende Erdenleben, und der Boden zittert unter ihm.

(Am Buchsee.) Ein Himmelstropfen, der in ein stehendes Wasser fällt, bildet eine Weile ein Bläschen, dann zerplatzt er, und vermengt sich mit dem Sumpfe; in den lebenden Strom gefallen, wird er selbst ein Theil der lebendigen Welle. Ist mein Dasein ein solcher Tropfen? Ich will, daß ich in einen lebendigen Strom aufgehe, es muß so sein ...

Alle Vögel fliehen den Regen, nur die Schwalben flattern lustig darin.

Es erregt mir oft ein sonderbares Gefühl, daß wenn ich hinausgehe in das Feld, um mir körperlich erquickliche Ermüdung zu holen, die Leute von der Arbeit ermüdet heimkehren; es ist mir da oft, als müßt' ich mich schämen, daß ich jetzt spaziren gehe.

[] Nur am Abend und am Morgen bemerkt man den schnellen Wechsel des Lichts; dieser ist aber den ganzen Tag aufsteigend bis zum Mittag und von da absteigend ebenso.

Ist nicht bei der Entwickelung des Menschengeistes das Gleiche der Fall?

So oft ich auch schon den Sonnenuntergang betrachtet, nie war er gleich; das ist die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur, darum ist sie auch ewig schön und neu.

Beim Sonnenuntergang glaubt man immer, von der Stelle, wo man steht, bis nach Westen hin reicht das Abendroth, da ist noch Licht, rückwärts gekehrt erscheint Alles dunkel; diejenigen aber, die weiter hinten stehen, glauben, es reiche nur noch bis zu ihnen. So bemißt Jeder den Horizont nach seinem Standpunkte, und wer das untergehende Licht betrachtet, glaubt, es reiche nur noch bis zu ihm.

Warum ist ein Sonnenuntergang für die meisten Menschen ansprechender als ein Sonnenaufgang?

Ist es, weil diesen die Wenigsten oft sehen, oder weil das Verschwindende, das Sterbende näher zu uns spricht? Ich glaube nicht. Beim Sonnenuntergang erhält das Schauspiel einen zart geheimnißvollen Abschluß in der Nacht und der darauf folgenden Ruhe; der Sonnenaufgang aber hat keinen Abschluß, ihm folgt das helle Licht, die Unruhe und das [] lärmende Gewühl des Tages. Schön ist das Sterben! o ich sehne mich ....

(Hinter'm Schloßhag.) Wenn man einen Pfosten in die Erde rammt, muß man die einzugrabende Spitze brennen, damit sie nicht faule; wen die Flamme des Geistes berührt, der kann nicht sterben.

Aus der Haut des einen Thieres schneidet man das Riemenwerk für Zaum und Zügel und die Einjochung des andern. Die Anwendung ist leicht.

Wenn man Jemand einen Weg zu kurz angibt, ermüdet er doppelt; dieß kommt wohl von der stets gespannten Erwartung am Ziele zu sein.

Ich habe mir den Weg zu meinem Lebensziele auch zu kurz gedacht.

Beim Mähen darf man nur kleine Schritte machen und gradaus. Je dünner der Klee steht, um so müder wird man beim Mähen; da fährt man mit der Sense auf dem harten Boden herum und in die Luft hinaus und hat am Ende nichts erschafft. Wie vieldeutig ist das!!

Vom Futter und Allem, was man grün heimthut, entrichtet man keinen Zehnten.

[] Beim Kornschneiden muß man die abgeschnittene Frucht stets hinter sich legen, da ist Raum dafür, vorwärts stehen die neuen Halme, die zu schneiden sind; so muß es auch mit unseren fertigen Thaten sein, wir müssen sie aus unserm Gesichtskreise legen und das vor uns stehende Neue in Angriff nehmen.

Wenn ich von ferne die bald sich erhebenden, bald sich niederbeugenden Schnitter ansehe, ist es mir oft, als ob sie ein ceremoniöses Gebet verrichteten.

Da wird der neue Zaun am Schloßgarten mit grüner Oelfarbe angestrichen. Dürres Holz fault in Wind und Wetter, wenn man es nicht mit Farbe bekleidet. Die Natur hat über alle ihre Geschöpfe eine schützende Oberhaut ausgebreitet; die Menschen aber reißen die natürlichen Rinden und Glasuren ab, dann müssen sie eine künstliche auftragen.

Ist die Bildung vielleicht nichts als eine Oelfarbe, die den natürlichen Schmelz ersetzt? Nein, sie ist erhöhte, sie ist die wahre Natur; diese Menschen, wie sie hier sind ....

Der alte Zimmermann Valentin ist so vergeßlich, er geht mit der Peitsche über der Schulter seinen [] Weg und sagt immer vor sich hin: Hio! ohne zu merken, daß seine Kühe schon dreißig Schritte hinter ihm einen andern Weg gegangen sind. Ergeht es nicht auch manchen Herrschern gerade so?

In einem Garten an der Straße steht eine Trauerweide, deren Aeste in allerlei Ellipsen, Zirkel, schiefe und rechte Winkel zusammengebunden wurden und nun so in einander verwachsen sind.

Ja, die Aeste des Trauerbaumes, die Zweige des Schmerzens sind am leichtesten zu biegen, da lassen sich die Menschen gar wunderlich verschnörkeln; aber die zähe Naturkraft macht die herben Krümmungen von Neuem ausschlagen. Warum nur die Bauern die verschnörkelte Natur so lieben? warum sie die Trauerweide, den schönsten aller Bäume, so mißhandeln? Vielleicht liegt es tief in der menschlichen Natur, mit dem, was das ganze Jahr die ernsteste Beschäftigung darbeut, auch einmal zu spielen ...

(Am Kreuz im Schießmauernfeld.) Ich habe früher nie über Juden nachgedacht, obgleich in meinem Geburtsorte auch Juden wohnten; ich erinnere mich nur, daß ich als kleines Kind auch die Judenknaben meines Alters verhöhnte und, wenn ich konnte schlug.

Es kömmt uns nicht ein, über unser Verhältniß [] zu den Juden nachzudenken, so wenig wir über unser Verhältniß zu den Pferden nachdenken. Im Gegentheil, durch die Bibel bekömmt jedes Christenkind die Empfindung, daß ihm jeder einzelne Jude etwas Böses gethan. Ein geheimnißvoller Abscheu setzt sich dann in der Seele des Kindes fest; ich dachte mir immer alle Juden räudig; ein Kind kann ein Thier liebkosen, nie aber einen Juden.

Hier habe ich Gelegenheit, oft mit Juden zu verkehren. Der jüdische Lehrer ist ein vorurtheilsfreier Mann von Bildung, wie ich noch selten einen getroffen. Er weiß mehr von der Theologie als von den Naturwissenschaften. Ist das bei allen Juden so? In seinem Unterrichte ist mehr Geistreiches, weniger Methode und Stetigkeit; das ist für minder begabte Kinder nicht gut. Als ich zum erstenmale die Synagoge besuchte, war es mir ganz eigen zu Muthe: hier, in die schwarzen deutschen Tannenwälder haben sich diese ebräischen Worte vom Libanon verloren, und doch, ist nicht auch unsere Religion von dort her? Noch mehr, das alte Rom konnte die Deutschen nicht besiegen, sie nicht römisch reden lehren, das neue vollbrachte es; hier auf den fernen Bergen ertönt allsonntäglich in der Kirche die römische Sprache.

Meinem Hause gegenüber ist der sogenannte Brandplatz: dort stand das Haus, in dem eine ganze[] jüdische Familie, Großmutter, Schwiegertochter und fünf Enkel verbrannt sind; jetzt spielen die Kinder am liebsten auf dieser Stätte, eine solche Ruine bietet sonst seltene Verstecke. An den schwarzen Wänden klettern die rothwangigen Buben umher und tollen und jubeln. So baut sich überall schnell neues Leben auf; wo die Flammen einst gewüthet, tummelt sich sorglos das junge Geschlecht. Es ist auch in der Weltgeschichte so.

Drinnen im Dorfe haben sie heute den Hammeltanz aufgeführt.

Solche Dinge passen nicht mehr in unsere Zeit, sie gehören in das Mittelalter. Da sah wohl der Gutsherr vom Schloßerker herab der Fröhlichkeit seiner Leibeigenen zu; er hatte ihnen den Hammel und die Schnur geschenkt und steuerte wohl auch das gewinnende Paar mit einem kleinen Lehen aus. Jetzt hat das Alles keine Bedeutung mehr, man sollte es abschaffen.

Manchmal verliert sich von der Tanzmusik drinnen im Dorfe ein Klang zu mir heraus in das Feld; nur die schmetternden Töne der großen Trompete sind es, die ich abgerissen vernehme. So auch stehen diese Bauern fern von der großen Harmonie der Geisteswelt; nur wenn die große Trompete erschallt, oder die große Trommel gerührt wird, dringt [] ein abgerissener Klang zu ihnen und sie schreiten eine Weile im Marschtakte der Zeit. Von dem lieblichen Adagio, von dem friedlichen Zusammenklingen wissen und hören sie nichts.

Es ist gut, daß immer noch Plätzchen auf der Welt sind, die Niemand gehören, wo die Armen ihr Gras sammeln können; das sind die Raine, Anwände oder wie man sie nennen mag. Wo aber der Fuß des Men schen kaum mehr einen Halt findet, da klettert noch die Ziege, die Genossin der Armen, umher, um sich ein frisches Kraut oder ein schmackhaftes Läublein zu holen.

An den Holztagen dürfen die Armen von den grünenden Bäumen sich die dürren Aeste aneignen. Ich habe einmal die schöne Deutung gelesen, daß die gütige Natur dieses Gewohnheitsrecht aufstellte und von ihrem reichen Tische den Armen abgibt. Die Armen und das dürre Holz – –

Auch das Unkraut in den Kornfeldern gehört Niemand, das jäten die Armen aus und es ist nahrhaftes Futter; fragst du nun noch: wozu das Unkraut? Vielleicht ist es auch mit vielem andern so ...

Diese Blätter sind die Ausbeute von dreien Monaten, während welchen der Lehrer in den Feldern [] umherschweifte. Sie hatten ihm manche üble Nachreden zugezogen, denn die Leute konnten gar nicht begreifen, was er immer einzubuchen habe, und sie erschöpften sich in allerlei Vermuthungen. Man wird bemerkt haben, daß er auch manche Erkundigung über Gewöhnliches einzog, das ihm noch neu war; die Leute sahen ihn groß an und schüttelten die Köpfe, sie konnten gar nicht begreifen, wie man so etwas nicht wissen könne.

Es ist gewiß schon Vielen begegnet, daß, wenn sie einen Bauern um den Weg nach dem nächsten Orte befragten, der Angeredete stutzte, weil er glaubte, man necke ihn, dann aber eine Erklärung gab, die auf der Voraussetzung beruhte, daß man die Oertlichkeiten kenne. Es geht aber auch vielen Gebildeten so: weil ihnen ihr gewohnter Gesichts- und Ideenkreis klar ist, meinen sie, das begriffe Jeder und sie verständigen sich nur halb.

Der Lehrer war im Dorfe noch so unbekannt, daß Niemand seinen Namen wußte. Eines aber hatte Jeder erfahren, nämlich, daß der Lehrer aus Lauterbach sei; hieran heftete sich nun die Spottsucht, man wollte es ihn entgelten lassen, daß er so stolz und zurückgezogen war. Abends, wenn die Burschen wußten, daß der Lehrer zu Hause war, rotteten sie sich vor seinen Fenstern zusammen und sangen unaufhörlich den Lauterbacher. Weil man auch wußte, [] daß er ein strenger Vertheidiger des Vereins gegen Thierquälerei war, wurde ein gewöhnliches Lied zum Draufsetzen oft gesungen, es lautete:

Jetzt ischt das Liadle aus,

Jetzt speir i do e Maus:

Such i 'rum und find se,

Nehm i e Messer und schind se,

Stich ihr d'Augen aus –

No haun i e blinde Maus.

Diese »Gemeinheit« ärgerte den Lehrer. Er wußte aber noch immer nicht, was alles das zu bedeuten habe, bis sich endlich der Studentle zu den Burschen gesellte; obgleich er verheirathet war, stand er doch bei jedem muthwilligen Streiche obenan. Er brachte nun einen neuen Vers, der oft wiederholt wurde:

Z' Lauterbach bin ich so stolz gebor'n,

Stolz das ist meine Manier;

Ei wär' ich doch wieder in Lauterbach,

Da wär' ich in meinem Revier.

Jetzt merkte der Lehrer, was diese Zusammenrottungen zu bedeuten hatten; in seiner tiefsten Seele trauerte er, daß diese Menschen, denen er doch nur wohlwollte, ihn so mißhandelten. Drinnen trauerte der Lehrer, draußen aber wurde das Gejubel immer lauter. Da raffte er sich auf, er wollte an das [] Fenster treten und ein Wort der Verständigung sprechen; glücklicher Weise fiel aber sein Blick auf die Geige, er nahm sie von der Wand und spielte frischweg die Melodie des ihn verfolgenden Liedes. Drunten horchte man still auf, nur verhaltenes Kichern ließ sich vernehmen; aber der Gesang begann bald wieder und der Lehrer begleitete ihn mit der Geige, so oft man auch wieder anfing.

Endlich trat er an das Fenster und sagte hinaus:

»So, hab' ich's recht gemacht?«

»Ja,« erscholl die allgemeine Antwort, und von diesem Abende an blieb der Lehrer von dem Liede verschont, denn man wußte, daß es ihn nicht mehr ärgere.

Von dieser Zeit an nahm sich indeß der Lehrer vor, freundlicher und gesprächsamer gegen die Leute zu fein; er erkannte, daß er nicht nur in der Schule, sondern auch außer derselben Pflichten gegen die Menschen habe, mit denen er gemeinsam lebte.

Die Ausführung dieses Vorsatzes wurde ihm bald treulich belohnt.

Eines Sonntags nach der Mittagskirche ging er durch die am Hügel gelegene Straße »Bruck« genannt. Da sah er eine alte Frau vor einem Hause sitzen, sie hatte die Hände ineinander gelegt und ihr Kopf wackelte; er sagte freundlich:

[] »Guten Tag! Nicht wahr, der Sonnenschein thut Ihnen gut?«

»Dank schön, lieber Mensch,« erwiderte die Alte, oft mit dem Kopf nickend.

Der Lehrer blieb stehen.

»Sie haben schon manchen Sommer erlebt,« sagte er.

»Acht und siebenzig, es ist ein' schöne Zeit, siebzig Jahr ein Menschenleben heißt es in der Schrift. Es ist mir oft, wie wenn mich der Tod vergessen hätt'; nun unser lieber Herrgott wird mich schon holen, wenn's Zeit ist, er weiß wohl, ich verlauf' ihm nicht.«

»Sie können aber doch noch immer gut fort?«

»Nimmer recht – der Krampf – aber das thut gut,« sie zeigte auf die grauen Fädchen, die sie um die beiden Arme gebunden hatte, an denen die Venen geschwollen waren.

»Was ist denn das?«

»Ei, das hat eine reine Jungfrau gesponnen, des Morgens nüchtern mit ihrem Munde und hat drei Vaterunser dabei gebetet. Wenn man das unbeschrieen um den Arm thut und dabei neunmal das Gebet in unsers Herrgotts heilige drei Nägel sagt, so stillt's den Krampf, ich muß so viel husten,« sagte sie wie zur Entschuldigung ihrer oft unterbrochenen Rede auf ihre Brust deutend.

[] »Wer hat denn die Fäden gesponnen?« fragte der Lehrer.

»Ei mein' Hedwig, mein Enkele, kennet Ihr denn die nicht? Wer sind Ihr denn?«

»Ich bin der neue Lehrer.«

»Und da kennet Ihr mein' Hedwig nicht? Sie ist ja eine von den Kirchensängerinnen. Sag' mir nur auch ein Mensch, was das für eine Welt ist, da kennt der Lehrer die Kirchensängerinnen nicht mehr. Ich bin auch Kirchensängerin gewesen, man hört mir's jetzt nimmer an mit meinem Husten; ich bin ein sauber's Mädle gewesen, ja, ich hab' mich dürfen sehen lassen, und alle Jahre war das Jahressen, da war der Pfarrer und der Schulmeister dabei; o! wie sind da g'spässige Lieder gesungen worden, der bayrische Himmel und so Sachen, das ist jetzt auch nimmer, ja die alt' Welt ist eben aus und vorbei.«

»Sie haben wohl Ihr Enkelchen sehr lieb?«

»Es ist ja das jüngst'. O! mein Hedwig die ist noch eine von der alten Welt, die hebt mich und legt mich und da ist kein unschön Wörtle; ich wollt's ihr gunnen, daß ich bald sterben thät, sie muß so viel daheim bleiben wegen meiner, und wenn ich gestorben bin, will ich auch recht für sie beten im Himmel.«

»Sie beten wohl recht viel?«

»Ja, was kann ich Besseres thun? Mit dem [] Schaffen ist es aus. Ich kann auch ein Gebet, das die Seelen vom Mond gerad in den Himmel bringt und daß die Seelen gar nicht in's Fegfeuer brauchen. Die heilig Mutter Gottes hat einmal zu Gott Vater gesagt: Lieber Mann, ich kann das nimmer hören, wie die armen Seelen im Fegfeuer schreien und heulen, es geht mir durch Mark und Bein, und da hat er gesagt: Nu meinetwegen, du darfst ihnen helfen. Und da ist in dem Tyrol einem Mann, der acht Kinder gehabt hat, sein' Frau gestorben, und da hat er eben ganz schrecklich gejammert wie man sie auf den Kirchhof tragen hat, und da ist alle Morgen die Mutter Gottes kommen, hat die Kinder gestrehlt und gewaschen und die Betten gemacht, und da hat der Mann lang nicht recht gemerkt, wer das thut, und da ist er endlich zum Pfarrer gangen, und da ist der ganz früh mit dem Heilig kommen, und da hat der gesehen wie die Mutter Gottes zum Fenster n'aus ist, schneeweiß, und da ist das Gebet auf der Simse gelegen, und da hat man da ein' Kirch' hingebaut.«

»Dieses Gebet kennen Sie?« fragte der Lehrer, sich neben der Alten auf die Bank setzend.

»Ihr müsset nicht so Sie sagen,« begann die Alte vertraulicher werdend, »das ist nicht der Brauch.«

»Habt Ihr noch mehr Enkel?« fragte der Lehrer.

»Noch fünf und auch vierzehn Urenkel, und von[] meinem Constantin krieg' ich auch bald eins. Kennet Ihr meinen Constantin nicht? Der hat auch gestudirt, er ist ein Wilder, aber ich hab' nichts über ihn zu klagen, gegen mich ist er alleweil gut.«

Plötzlich kam hinter dem Hause hervor ein Mädchen, dem ein schneeweißes Huhn auf dem Fuße folgte. »Hent ihr guate Roath Ahne?« fragte das Mädchen im Vorübergehen, es schaute kaum eine Weile auf. Der Lehrer war so betroffen, daß er unwillkürlich, aufstand und nach der Mütze griff.

»Ist dieß euer Enkelchen?« fragte er endlich.

»Freilich.«

»Das ist ja prächtig,« sagte der Lehrer.

»Nicht wahr, es ist ein sauber's Mädle? Der alt' Schmiedjörgli sagt ihm immer, wenn es das Dorf hineinkommt, es wär' grad wie sein' Ahne. Der Schmiedjörgli ist noch der einzig von denen jungen Bursch, mit denen ich getanzt hab'; jetzt ist es grad wie wenn wir hundert Stund' von einander wären, er sitzt drinnen im Dorf und kann nicht zu mir kommen und ich nicht zu ihm; wir müssen halt warten, bis wir halbwegs auf dem Kirchhof zusammenkommen, und da treff' ich die ganz' alt' Welt, und im Himmel da geht's erst recht an. Mein guter Hansadam muß lange warten bis ich zu ihm komm', die Zeit wird ihm lang werden.«

[] »Euch haben gewiß alle Leut' im Dorfe gern,« sagte der Lehrer.

»Wie's in den Wald 'neinhallt, hallt's raus. Wenn man jung ist, möcht' man gern alle Leut' auffressen, die einen aus Lieb' und die anderen aus Aerger; wenn man alt ist, da läßt man einem Jeden sein Sach'. Ihr glaubet's gar nicht, was die Leut' hier so gut sind; Ihr werdet's auch noch erfahren. Seid Ihr denn auch schon viel in der Welt 'rumkommen?«

»Fast gar nicht. Mein Vater war auch Schullehrer, er starb, als ich kaum sechs Jahr alt war, bald darauf starb auch meine Mutter; ich wurde nun in das Waisenhaus gebracht, blieb dort, zuerst als Zögling, dann als Incipient und Hülfslehrer, bis ich diesen Frühling hierher versetzt wurde. Ja, liebe gute Frau, es ist ein hartes Loos, wenn man sich kaum mehr erinnert, daß einen die Hand der Mutter berührt hat.«

Die Hand der alten Frau streifte ihm plötzlich über das Gesicht, es war dem Lehrer in der That als ob ihn eine höhere Macht berührte, er saß da mit geschlossenen Augen und die Augäpfel zitterten und bebten, die Wangen glühten; wie erwachend faßte er die Hand der Alten und sagte:

»Nicht wahr, ich darf euch auch Großmutter heißen?«

»Rechtschaffen gern, du guter, lieber Mensch, es[] kommt mir auf eilt Enkele mehr oder weniger nicht an, und ich will's probiren und will dir deine Strümpf stricken, bring' mir auch die zerrissenen.«

Mit einem erhabenen Wohlgefühl faß nun der Lehrer bei der alten Frau, er wollte gar nicht weggehen. Die Vorübergehenden staunten, daß der stolze Mensch sich so vertraulich mit der alten Maurita unterhielt.

Endlich kam ein Mann aus dem Hause, die Augen reibend, sich reckend und streckend.

»Hast ausg'schlafen Johannesle?« fragte die Alte.

»Ja, aber mein Kreuz thut mir noch sträflich weh von dem Schneiden.«

»Es wird schon wieder gut, unser Herrgott läßt Einem vom Schaffen keinen Schaden zukommen,« er widerte die Mutter.

Der Lehrer dachte daran, wie ihm das Bücken der Leute als ein ceremoniöses Gebet vorgekommen war. Nach gegenseitigen Begrüßungen begleitete er nun den Johannesle hinaus in das Feld.

Johannesle liebte eine Unterhaltung, bei der man nichts zu trinken brauchte und die auf diese Weise nichts kostete; er war daher entzückt von der Liebenswürdigkeit und Gescheitheit des Lehrers, denn dieser hörte ihm aufmerksam zu: die Darlegung seines Hauswesens, die Geschichte des Constantin und noch vieles Andere.

[] Am Abend erzählte Johannesle allen Leuten, der Lehrer sei gar nicht so ohne, er könne nur nicht recht mit der Sprache heraus, er könne den Rank Mit einem Fuhrwerk geschickt um eine Ecke biegen, nennt man den Rank kriegen. nicht kriegen.

Der Lehrer aber schrieb, als er nach Hause kam, in sein Taschenbuch: »Die Frömmigkeit allein erhält den Menschen auch noch im Alter liebenswürdig, ja sie macht heilig und anbetungswerth, die Frömmigkeit ist die Kindheit der Seele; wenn fast wieder das Kindischwerden hervortritt, verbreitet sie eine anmuthige glorienhafte Milde über das ganze Wesen. Wie hart, herb und häßlich sind genußsüchtige, selbstsüchtige Menschen im Alter, wie erhaben war diese Frau selbst in ihrem Aberglauben!«

Noch etwas Anderes schrieb der Lehrer in sein Taschenbuch, aber er strich es alsbald wieder aus. In herber Selbstanklage saß er lange einsam, endlich ging er hinaus auf die Straße, sein Herz war so voll, er mußte unter Menschen sein; der Gesang der Burschen, der weithin schallte, durchzitterte seine Brust und er sagte: »Wohl mir, es ist gekommen, daß der Gesang der Menschen mich noch tiefer faßt, als der Gesang der Vögel; ich höre den brüderlichen Ruf. O Gott! ich liebe euch Alle!«

So wandelte er noch lange durch das Dorf, im [] Herzen traulich zu Allen sprechend, aber kein Wort kam über seine Lippen. Ohne zu wissen, wie es gekommen war, stand er plötzlich vor dem Hause Johannesle's in der Bruck: Alles still ringsum, nur aus der untern Stube, wo die Leibgeding-Wohnung der Großmutter war, vernahm man eintöniges Murmeln von Gebeten.

Erst spät in der Nacht kehrte der Lehrer heim. Alles war still, nur hier und dort vernahm man das leise Wispern zweier Liebenden. Als er endlich in seine Stube eintrat, wo Niemand war, der ihm auf seine Reden eine Antwort gab, der nach ihm aufschaute und ihm gleichsam sagte: freue dich, du lebst und ich lebe mit dir – da betete er laut zu Gott: »Herr! laß mich das Herz finden, das mein Herz versteht.«

Am andern Tage wußten die Kinder gar nicht, warum der Lehrer heute so überaus fröhlich dreinsah. In der Zwischenstunde schickte er des Mathesen Hannesle in den Adler und ließ sagen, man brauche ihm das Essen nicht zu schicken, er wolle selbst hinkommen.

Es war mißlich, daß der Lehrer sich mit so hochfliegenden Gedanken dem Leben um ihn her näherte; er konnte sich wohl zurückhalten, seine eigenen Empfindungen den Andern mitzutheilen, dem aber konnte er nicht steuern, daß ihm manches Häßliche und Widrige vor die Augen gerückt wurde.

[] In der Wirthsstube traf er das Bärbele, das in der Schenke stand, in eifrigem Gespräch mit einer andern Frau.

»Gelt,« sagte Bärbele, »sie haben dir gestern Abend den Deinen wüst heimbracht, er hat stark auf ein' Seite geladen gehabt; wenn ich's gesehen hätt', daß sie ihm Branntwein in's Bier schütten, ich hätt' scharf ausgefegt.«

»Ja,« sagte die Frau, »er war ganz erbärmlich Zugerichtet, er war grad wie ein voller Sack.«

»Ja und du sollst dich noch so schön bedankt haben, was hast denn gesagt? Sie haben so gelacht, es hat gar kein End' nehmen wollen.«

»Ich hab' halt gesagt, sag' ich: Ich dank' schön ihr Mannen, vergelt's Gott. Da haben sie mich gefragt: für was denn? Da hab' ich gesagt, sag' ich: Bedankt man sich ja wenn man einem ein' Wurst bringt, warum wird man sich nicht für ein' ganze Sau bedanken?«

Der Lehrer legte die Gabel weg, als er diese Nohheit vernahm; bald aber aß er wieder weiter, indem er lächelnd darüber nachdachte, wie das Unglück und die Leidenschaft so oft witzig mache.

Bei allen Gefühlsverletzungen, die der Lehrer durch die Art und Weise der Bauern empfand, wendete er sich aber nicht mehr an die Mutter Natur, sondern an die Großmutter Maurita, die ihm über [] die Art, wie die Menschen hier lebten, manchen Aufschluß gab. Viele Leute sagten daher, die alte Frau habe den Lehrer behext. Dem war aber nicht so. So gerne er sich auch an ihrem liebevollen Herzen erlabte, konnte man doch eher sagen, die Hedwig hätte es ihm angethan, obgleich er sie nur einmal gesehen und noch kein Wort mit ihr gesprochen, hatte. »Hent ihr guate Roath, Ahne?« Diese Worte wiederholte er sich oft, sie klangen ihm so innig, so melodisch, trotzdem sie in dem derben Dialekte gesprochen waren, ja dieser selber hatte eine gewisse Milderung und Anmuth dadurch erhalten.

Mit aller Macht seiner früheren Vorsätze stemmte sich unser Freund gegen die Hinneigung zu einem Bauernmädchen, aber wie es immer geht, die Liebe findet Auswege genug; so sagte sich auch der Lehrer: »Gewiß ist sie das wiedergeborene Ebenbild der guten Großmutter, nur frischer, von der Sonne der neuern Zeit durchleuchtet. Hent ihr guate Roath, Ahne?«

Eines Abends saß der Lehrer wiederum bei der Alten, da kam das Mädchen hochgerötheten Antlitzes mit der Sichel in der Hand vom Felde heim, seine Schürze hielt es behutsam aufgeschlagen; es trat nun zur Großmutter und reichte ihr aus der Schürze die in Haselblätter eingehüllten Brombeeren.

»Du weißt doch, was der Brauch ist Hedwig, [] zuerst wartet man den Fremden auf,« sagte die Großmutter.

»Langet naun zua, Herr Lehrer,« sagte das Mädchen frei aufschauend; der Lehrer nahm erröthend eine Brombeere.

»Iß auch mit,« sagte die Großmutter.

»I dank, esset's naun Ihr mit einander, 's soll Euch wohl bekommen.«

»Wo hast's denn brochen?« fragte die Großmutter.

»Neabe aunserm Acker im Grund, Ihr kennet jo die Heck,« sagte das Mädchen und ging in das Haus.

Es war dem Lehrer ganz eigen zu Muthe, daß von der Hecke, die er am ersten Mittage seines Hierseins gezeichnet, ihm Hedwig jetzt die reife Frucht brachte.

Hedwig kam bald wieder aus dem Hause, die weiße Henne folgte ihr auf dem Fuße.

»Wohin so schnell wieder, Jungfer Hedwig?« fragte der Lehrer, »wollt Ihr euch nicht ein wenig zu uns setzen?«

»Ich dank schön, ich will noch bis zum Nachtessen ein bisle 'nüber zum alten Lehrer.« Hedwig sprach zwar immer ganz im Dialekt, zum bessern Verständniß geben wir es aber möglichst hochdeutsch wieder.

»Wenn's erlaubt ist, begleit' ich Euch,« sagte unser Freund und ohne eine Antwort abzuwarten ging er mit.

[] »Kommet Ihr oft zum alten Lehrer?«

»Freilich, er ist ja mein Vetter, sein Weib ist die Schwester von meiner Ahne gewesen.«

»So, das freut mich herzlich.«

»Warum? Habt ihr mein Bas' gekannt?«

»Nein, ich mein' nur so.«

Man war an dem Garten des alten Lehrers angelangt, Hedwig schloß schnell die Gartenthüre hinter sich und ließ die Henne draußen, die wie eine Schildwache hier harrte.

»Wie kommt's,« fragte der Lehrer, »daß Euch das Huhn so nachläuft? Das ist ja etwas ganz Seltenes.«

Hedwig stand verlegen da und zupfte an ihren Kleidern.

»Dürfet Ihr mir's nicht sagen?« fragte der Lehrer wieder.

»Ja, ich darf, ich kann, aber – Ihr dürfet mich nicht auslachen und müsset mir versprechen, daß Ihr's nicht weiter saget; sie thäten mich sonst foppen.«

Der Lehrer faßte schnell die Hand des Mädchens und sagte: »Ich versprech's Euch hoch und heilig.« Er ließ die Hand nicht mehr los, und verlegen zur Erde schauend, sagte das Mädchen:

»Ich, ich hab', ich hab' das Hühnle an meiner Brust ausgebrütet; die Gluckhenn' ist verscheucht worden und da hat sie die Eier liegen lassen und wie [] ich das einzig Ei'le gegen das Licht gehalten hab', hab' ich gesehen, daß schon ein Köpfle drin ist, und da hab' ich's halt zu mir genommen ... Ihr müsset mich nicht auslachen, aber wie das Hühnle 'rauskommen ist, da hab' ich mich vor Freud' gar nicht zu halten gewußt; ich hab' ihm ein Federbettle gemacht, hab' ihm Brod gekaut und hab's geäzt, und es ist schon an: andern Tag auf dem Tisch 'rumgelaufen. Es weiß Niemand was davon als mein' Ahne. Da ist mir jetzt das Hühnle so treu, wenn ich in's Feld' geh', muß ich's einsperren, daß es mir nicht nachlauft. Geltet, ihr lachet mich nicht aus?«

»Gewiß nicht,« sagte der Lehrer, und ging noch eine Strecke Hand in Hand mit Hedwig, dann aber verwünschte er die Ordnungsliebe und Sparsamkeit des alten Lehrers, der den fernern Weg so eng gemacht hatte, daß nicht zwei neben einander gehen konnten.

Unser Freund war sehr erzürnt, als der alte Schullehrer mit ungewöhnlich schnellem Lachen den beiden Ankommenden zurief:

»Kennet Ihr schon einander? Hab' ich dir's nicht schon lang gesagt, Hedwig, du mußt einen Schullehrer kriegen?«

Dieses unzeitige Anfassen einer kaum knospenden Blüthe that unserm Freunde in tiefster Seele weh, doch er bemeisterte seine Empfindlichkeit und schwieg; [] er staunte aber, daß Hedwig, als ob nichts gesagt worden wäre, begann:

»Vetter, Ihr müsset morgen Eure Sommergerste in den Holzschlägeläckern schneiden, sie ist überzeitig und fällt sonst ganz um.«

Es wurde wenig gesprochen, Hedwig schien sehr müde, sie setzte sich auf die Bank vor einem Baume. Die beiden Lehrer sprachen nun mit einander, aber unser junger Freund sah das Mädchen dabei immer so durchdringend an, daß es sich mehrmals mit der Schürze über das Gesicht fuhr: es meinte, es müsse in der Küche, als es die Kartoffeln an's Feuer gestellt hatte, sich rußig gemacht haben. Unser Freund hatte aber ganz andere Dinge zu bemerken. Es fiel ihm jetzt zum erstenmale auf, daß Hedwig mit dem linken Auge ein wenig schielte; dieß war aber keineswegs unangenehm, vielmehr gab es dem Ausdrucke etwas Weiches und Scheues, was zu der übrigen Bildung des Gesichtes wohl paßte: die feine schlanke Nase, der überaus kleine Mund mit den kirschrothen Lippen, die runden, zartrothen Wangen – die Blicke des jungen Mannes ruhten mit Wohlgefallen darauf. Endlich, da er seinem Collegen mehrere verkehrte Antworten gegeben hatte, merkte er daß es Zeit zum Gehen sei; er verabschiedete sich, und Hedwig sagte:

»Gut' Nacht, Herr Lehrer.«

»Erhalte ich nicht auch noch eine Gutnachthand?«

[] Hedwig versteckte schnell beide Hände hinter dem Rücken.

»Bei uns fragt man nicht, bei uns nimmt man sich die Hand, he, he,« sagte der alte Lehrer.

Unser Freund ließ sich diese Weisung nicht zweimal geben, er sprang hinter den Baum, um die Hand Hedwigs zu fassen, diese aber wendete ihre Hände schnell nach vornen.

Der Lehrer getraute sich nicht, mit ihr zu ringen und so sprang er noch mehrmals vor- und rückwärts, bis er zuletzt stolperte und vor Hedwig niederfiel; sein Haupt lag in ihrem Schooße auf ihrer Hand, schnell besonnen drückte er einen heißen Kuß auf diese Hand und nannte sie im Geiste sein. So blieb er eine Weile, ohne sich zu erheben, bis endlich Hedwig mit beiden Händen seine Wangen bedeckend ihn emporhob; verworren um sich schauend sagte sie:

»Stehet auf, Ihr habt Euch doch nichts gethan? Gucket, das kommt von denen Späß'; Ihr müsset Euch nur von meinem Vetter da nichts anlernen lassen.«

Der Lehrer stand auf und Hedwig bückte sich schnell nieder, um ihm mit der innern Seite ihrer Schürze die beschmutzten Knie zu reinigen; der Lehrer aber duldete das nicht, sein Herz pochte schnell, da er diese demuthvolle Bescheidenheit sah. Bald stand er wieder gesäubert da und sagte Hedwig abermals [] gute Nacht; sie blickte zur Erde, weigerte ihm aber ihre Hand nicht mehr.

Schwebenden Ganges ging der Lehrer dahin, es war als ob er den Boden kaum berührte, als ob eine höhere Macht ihn trüge; ein unnennbares Kraftgefühl durchströmte sein innerstes Mark, ihm war so leicht und frei, alle Leute schauten ihn verwundert an, denn er lächelte ihnen ganz offen zu. –

So schnellem Wechsel ist aber ein Menschengemüth hingegeben, daß bald nach dem ersten Jubel der Lehrer in trüber Selbstanklage zu Hause saß: »Du hast dich von einer Leidenschaft zu schnell hinreißen lassen,« sagte er sich. »Ist das die Festigkeit? An ein ungebildetes Bauermädchen hast du dich hingegeben, weggeworfen. – Nein, nein, aus diesem Antlitze spricht die Majestät einer zarten, sanften Seele.« Noch mancherlei Gedanken stiegen in ihm auf, er kannte jetzt das Bauerleben, und noch spät schrieb er in sein Taschenbuch: »Das silberne Kreuz auf ihrem Busen ist mir ein schönes Sinnbild der Heiligkeit, Unnahbarkeit und Unberührtheit.«

Hedwig aber hatte zu Hause keinen Bissen zu Nacht gegessen, ihre Leute zankten, sie habe zu viel geschafft, sie habe gewiß noch dem Lehrer in der Gartenarbeit geholfen; sie verneinte und machte sich bald zu ihrer Großmutter, mit der sie in einem Zimmer schlief.

[] Noch lange nach dem Nachtgebet sagte sie, als sie die Großmutter husten hörte und nun wußte, daß sie auch noch wach sei:

»Ahne, was hat denn das zu bedeuten, ein Kuß auf die Hand?«

»Daß man die Hand gern hat.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

Wieder nach einer Weile sagte Hedwig: »Ahne.«

»Wasele?« Verkleinerungsform von »was.«

»Ich hab' was fragen wollen, ich weiß aber nimmer.«

»Nun, so schlaf jetzt, du bist müd, wenn's was Gut's ist, wird's morgen früh auch nicht zu spät sein; es wird dir schon einfallen.«

Hedwig wälzte sich aber schlaflos im Bett umher. Sie überredete sich, daß sie nicht schlafen könne, weil sie den Hunger übergangen habe; sie wirkte nun mit aller Gewalt ein Stück Brod hinab, das sie für alle Gefahren bereit gehalten hatte.

Der Lehrer war indeß auch mit sich in's Reine gekommen. Anfangs hatte er sich vorgenommen, sich selber und seine Neigung zu prüfen, eine Zeit lang Hedwig gar nicht mehr zu sehen; endlich aber gelangte er doch zu dem weiseren und erfreulicheren Entschlusse, Hedwig im Gegentheil recht oft zu sehen und ihre Geistesbildung auf allerlei Weise zu prüfen.

[] Andern Tages ging er nun zu seinem alten Collegen und forderte ihn zum Spazirgange auf; er sah es wohl, schon um Hedwigs willen mußte er hier in ein näheres Verhältniß treten. Der alte Mann ging eigentlich nie spaziren, die Gartenarbeit verschaffte ihm Bewegung genug; die Einladung unseres Freundes erschien ihm jedoch als Ehrenbezeigung und er ging mit.

Es war auffallend, wie wenig Gesprächsstoffe bei dem alten Manne Feuer fingen; sie waren immer wieder eben so schnell aus als seine Pfeife, für die er aller fünf Minuten Feuer schlug. Von Hedwig wollte der junge Mann nicht unmittelbar sprechen, aus den Bestrebungen des Alten selber wollte er schon Manches schließen.

»Leset Ihr auch bisweilen noch Etwas?« fragte er daher.

»Nein, fast gar nichts, es kommt mir auch doch nichts dabei heraus; wenn ich auch alle Bücher auswendig könnte, was hätt' ich davon? Ich bin pensionirt.«

»Ja,« erwiderte der junge Mann, »man vervollkommnet seinen Geist doch nicht bloß um des äußern Nutzens willen, den man daraus ziehen mag, sondern um ein erhöhtes, inneres Leben zu gewinnen, um immer tiefer und klarer zu schauen. Alles auf Erden und zumal das höhere Geistesleben muß zuerst Zweck für sich –«

[] Der Alte schlug sich mit großer Gemüthsruhe Feuer, unser Freund hielt mitten in einer Auseinandersetzung inne, die ihm erst seit Kurzem aufgegangen war. Eine Weile schritten die Beiden wortlos neben einander, dann fragte der Jüngere wieder:

»Nicht wahr, aber Musik macht Ihr immer gern?«

»Das will ich meinen, da sitz' ich oft halbe Nächt' und feile, da brauch' ich kein Licht, verderb' mir die Augen nicht, hab' Unterhaltung und brauch' keinen Menschen dazu.«

»Und Ihr vervollkommnet Euch darin, so weit Ihr könnt?«

»Warum nicht? Gewiß.«

»Ihr habt doch aber auch keinen Nutzen davon,« sagte der junge Mann. Der Alte schaute ihn verwundert an; jener aber fuhr fort: »Wie Euch die Musik und Eure Ausbildung darin Freude bereitet, ohne daß Ihr einen Nutzen davon wollt, so könnte und sollte es wohl auch mit dem Lesen und der Geistesbildung sein; aber es geht hiemit oft gerade so wie vielen Leuten, die sich nicht mehr mit der gehörigen Sorgfalt kleiden, weil sie Niemanden haben, auf dessen Gefallen sie ein besonderes Gewicht legen. Ich hörte vorgestern, wie ein junger Bursche einer jungen Frau über ihren nachlässigen Anzug Vorwürfe machte. ›Ei,‹ sagte sie, ›was liegt jetzt da [] dran? Ich bin jetzt schon verkauft, der Mein' muß mich halt haben, wie ich bin.‹ Als ob man sich eines äußern Zweckes, nur Anderer wegen sorgfältig kleide, und nicht weil es die eigene Natur, die Selbstachtung verlangt. So geht es auch Vielen mit der Geistesbildung; weil sie solche bloß des äußern Zweckes wegen betrieben, lassen sie davon ab, sobald der nächste Zweck erreicht oder nicht mehr da ist. Wer aber seine geistige Natur, seinen geistigen Leib, wenn ich so sagen kann, achtet und schätzt, wird ihn immer schön und rein erhalten und ihm stets mehr Kraft zu geben suchen.«

Der junge Mann erkannte erst jetzt, daß er eigentlich ein lautes Selbstgespräch gehalten hatte; er fürchtete indeß nicht, den Alten beleidigt zu haben, denn er sah dessen vollkommene Gleichgültigkeit. Mit schwerem Herzen erkannte er von Neuem, wie mühevoll es sei, die höheren allgemeinen Gedanken und Anschauungen an Mann für Mann zu verzapfen. »Wenn der alte Lehrer so harthäutig ist, wie wird es dir erst bei den Bauern gehen,« dachte er. So schritten sie eine stille Weile dahin, bis der Jüngere wieder begann:

»Meinet Ihr nicht auch, daß man in unserer Zeit viel frommer, oder wenigstens grad so fromm ist, als in der alten Zeit?«

»Frommer? In's Teufels Namen, man war in [] der alten Zeit auch nicht letz, Verkehrt. aber man hat nicht so viel Aufhebens, so viel Geschmus Geschmus, von den Juden entlehnter Ausdruck, so viel als unnöthige Redensart. davon gemacht; z'litzel und z'viel verdirbt alle Spiel', he he.«

Wieder war Stille.

Endlich fand der junge Mann den rechten Gegenstand, indem er fragte:

»Wie war's denn in früheren Zeiten mit der Musik?«

Da lebte der Alte ganz auf, er hielt Zunder und Stahl in der Hand, ohne sich Feuer zu schlagen, denn er sagte:

»Das ist heutigen Tages nur noch ein Gedudel. Ich war dritthalb Jahr' Unterorganist im Münster zu Freiburg, Herr! Das ist eine Orgel, ich hab' den Abt Vogler drauf gehört, im Himmel kann's nicht schöner sein als der gespielt hat. Hernach hab' ich auch auf mancher Kirchweih aufgespielt. Früher hat man meist Geigen gehabt, auch eine Harf' und ein Hackbrett, jetzt haben sie nichts als Blasinstrumente: große Trompeten, kleine Trompeten, Klappentrompeten, Alles nichts als Wind und viel Geschrei. Und was verdient jetzt so ein Musikant bei einer Kirchweih? Vor Zeiten waren drei Mann vollauf, jetzt müssen's sechs, sieben sein; sonst waren [] kleine Stuben, kleiner Baß und groß Geld, jetzt – große Stuben, großer Baß und klein Geld. Ich bin einmal mit zwei Kameraden im Schappacherthal 'rumzogen, da sind uns die Federnthaler von allen Seiten zugeflogen. Einmal haben sich zwei Orte schier todtgeschlagen, weil mich ein jedes hat zur Kirchweih haben wollen.«

Nun erzählte der Alte eine seiner Hauptgeschichten, wie ihn nämlich ein Ort wegen seines guten Geigenspiels als Lehrer angenommen, die Regierung aber einen Andern mit Dragonern einsetzen wollte, wie das ganze Dorf revoltirte, so daß es am Ende doch bei seiner Bestallung blieb.

»Hat denn Euer Ansehen als Lehrer nicht darunter gelitten, wenn Ihr auf den Kirchweihen spieltet?« fragte der junge Mann.

»Im Gegentheil, ich hab' hier im Ort mehr als fünfzigmal gespielt und Ihr werdet Keinen sehen, der nicht die Kapp' vor mir lupft.«

Der Redefluß des Alten war in ununterbrochenem Gange, bis man wieder in den Garten zurückgekehrt war; unser Freund harrte aber umsonst auf die Ankunft Hedwigs, sie kam nicht. So ward doch der anfängliche Vorsatz erfüllt, er sah Hedwig eine lange, lange Zeit nicht, nämlich einen ganzen Tag.

Andern Tages ging unser Freund wieder allein [] in das Feld, er sah den Buchmaier auf einem großen, breiten Acker mit einem Pferde, das vor eine Art Walze gespannt war, arbeiten.

»Fleißig, Herr Schultheiß?« sagte der Lehrer; er hatte sich nun schon die bräuchlichen Anreden gemerkt.

»So ein Bisle,« erwiderte der Buchmaier und trieb seinen Gaul noch bis an's Ende des Feldes nach dem Wege zu, dann hielt er an.

»Ist das der Fuchs,« fragte der Lehrer, »den Ihr selben Tag, als ich angekommen bin, eingewöhnt habt?«

»Ja, der ist's, das freut mich, daß Ihr auch daran denket; ich hab' gemeint, Ihr denket allfort bloß an eure Geschriften. Gucket, mit dem Gaul ist mir's ganz besonders gangen. Ich hab' meinem Oberknecht seinen Willen gelassen und hab' ihn gleich anfangs zweispännig eingewöhnen wollen, aber es ist nicht gangen. So ein Füllen, das sein Lebtag noch kein Geschirr auf dem Leib gespürt hat, das schafft sich ab und zieht und thut und bringt doch nichts Rechts zuweg; wenn es scharf anzieht und mit den Sträng' ein Bisle vor ist, so macht es den Nebengaul nur irr, daß er gar nichts mehr thut und nur so neben her lottert; wenn man's allein hat, so lernt es stet thun und zappelt sich nicht so für nichts ab. Wenn ein Gaul einmal allein gut [] ist, nachher geht er auch selbander gut, und man kann schon eher 'rauskriegen, wie stark der Nebengaul sein muß.«

Aus mancherlei Anwendungen, die der Lehrer von dieser Rede machte, sagte er nur diese laut:

»Es geht auch bei den Menschen so: zuerst muß man für sich allein etwas gewesen sein, ehe man in Gemeinschaft gut arbeitet und tüchtig ist.«

»Daran hab' ich noch nicht dacht, aber es ist wahr.«

»Ist das die neue Säemaschine, die Ihr da habt? was säet Ihr denn?«

»Reps.«

»Findet Ihr es nun mit der Maschine nützlicher, als mit der früheren Art zu säen?«

»Wohl, es wird gleicher, ist aber nur für große Aecker; Bauern, die nur ein klein Schnipfele haben, das man wohl mit einer Handvoll überlangen kann, die säen besser mit der Hand.«

»Ich muß gestehen, für mich hat das Säen mit der Hand etwas Ansprechendes; es liegt eine sinnige Deutung darin, daß das Samenkorn zuerst unmittelbar in der Hand des Menschen ruht, dann hingeschleudert eine Weile frei in der Luft schwebt, bis es von der Erde angezogen in den Boden fällt, um zu verwesen und neu aufzugehen. Findet Ihr das nicht auch?«

[] »Es kann sein, ich merk' aber eben erst, daß man den Säespruch nicht mehr gut sagen kann mit der Maschine; nun, man kann's doch dabei denken.«

»Welchen Säespruch?«

»Früher hat man bei jeder Handvoll, die man ausgestreut hat, gesagt:

Ich säe diesen Samen,

Hier in Gottes Namen,

Für mich und die Armen.«

»Dieser Spruch sollte nicht aufhören.«

»Ja, wie gesagt, man kann's ja auch so denken, oder auch sagen; es ist eben nützlicher mit der Maschine.«

»Finden solche neue Erfindungen hier leicht Eingang?«

»Nein. Wie ich zum erstenmal meine Ochsen jeden in ein besonder' Joch gespannt hab', ist das ganze Dorf nachgelaufen; wie ich nun gar das Ding da vom landwirthschaftlichen Fest heimbracht hab' und zum erstenmal mit 'naus bin, da haben mich die Leute für närrisch gehalten.«

»Es ist doch traurig, daß die Verbesserungen so schwer bei dem gewöhnlichen Volke Eingang finden.«

»Oh Fuchs, Oha!« schrie der Buchmaier seinem unruhig scharrenden Pferde zu; dann es fester haltend fuhr er fort: »Das ist gar nicht traurig, Herr [] Lehrer, im Gegentheil, das ist recht gut. Glaubet mir, wenn die Bauersleut' nicht so halsstarrig wären und jedes Jahr das Versucherles machen thäten, das die studirten Herren aushecken, wir hätten schon manches Jahr hungern müssen. Oha Fuchs! Ihr müsset Euch in der Landwirthschaft ein Bisle umsehen, ich will Euch ein paar Bücher geben.«

»Ich will zu Euch kommen, ich sehe, das Pferd will nicht mehr stillhalten; ich wünsch' gesegnete Arbeit.«

»B'hüts Gott,« sagte der Buchmaier, über den letzten Gruß lächelnd.

Der Lehrer ging seines Weges, der Buchmaier fuhr in seiner Arbeit fort. Kaum war aber Jener einige Schritte entfernt, als er den Buchmaier den Lauterbacher pfeifen hörte, er schreckte ein wenig zusammen, denn er war noch nicht frei von Empfindlichkeit und war geneigt, dieß für Spott zu halten; bald aber sagte er sich wieder: der Mann denkt gewiß nichts Arges dabei – und darin hatte er Recht, denn der Buchmaier dachte nicht nur nichts Arges, sondern gar nichts dabei, die lustige Weise war ihm eben so in den Mund gekommen.

In einer Feldschlucht, wo er sich zuerst umgesehen, ob ihn Niemand bemerke, schrieb der Lehrer in sein Taschenbuch:

»Die stetige und fast unbewegliche Macht des Volksthums, des Volksgeistes, ist eine heilige Naturmacht; [] sie bildet den Schwerpunkt des Erdenlebens, und ich möchte wiederum sagen, die vis inertiae im Leben der Menschheit.

Welchen unglückseligen Schwankungen wäre die Menschheit hingegeben, wenn alsbald jede sittliche, religiöse und wirthschaftliche Bewegung die der Gesammtheit würde! Erst was die Schwankung verloren, erst was Stetigkeit, ich will sagen was ruhige Bewegung geworden, kann hier einmünden; hier ist das große Weltmeer, das sich in sich bewegt ....

Ich will das Leben und die Denkweisen dieser Menschen heilig achten, aber ich will es versuchen ...«

Was der Lehrer versuchen wollte, war hier nicht ausgedrückt, aber er hatte auf glückliche Weise an manchen Enden des Dorflebens angeknüpft.

Hedwig sprach er mehrere Tage nicht, er sah sie wohl einigemal als er bei der Großmutter war, aber sie schien sehr beschäftigt und huschte nur immer mit kurzen Reden vorbei, ja, sie schien ihm fast auszuweichen; er wartete in Geduld eine Zeit der Ruhe ab.

Wohl bewegte die Liebe zu dem Mädchen mächtig sein Herz, aber auch die ganze Welt des Volksthums, die sich ihm aufschloß, schwellte ihm die Brust. Er ging oft wie traumwandelnd umher, und doch hatte er noch nie so sicher und fest im Leben gestanden als eben jetzt.

Manche Trübsal und Störung erfuhr auch der [] Lehrer durch den Studentle. Dieser war begierig zu erfahren, was der Lehrer mit seiner Großmutter zu »basen« habe; er gesellte sich daher mehrmals zu den Beiden. Wenn ein tieferer Gemüthston angeschlagen wurde, fuhr er mit lustigen Spöttereien drein.

Als der Lehrer fragte: »Großmutter, gehet Ihr gar nie in die Kirche?« erwiderte der Studentle schnell: »Ja, Großmutter, Euch gedenkt's vielleicht noch, wer die Kirch' gebaut hat; der Herr Lehrer möcht's gern wissen, er will aber doch die Kirch' im Dorf lassen.«

»Sei still du,« entgegnete die Großmutter, »wenn du was nutz wärst, wärst du jetzt Meister in der Kirch' und wärst Pfarrer.« Zu dem Lehrer gewendet fuhr sie fort: »Schon seit fünf Jahren bin ich nicht in der Kirch' gewesen, aber am Sonntag merk' ich schon daheim am Läuten, wenn das Heilig gezeigt wird und wann die Wandlung ist; da sag' ich dann die Litanei allein. Alle Jahr zweimal kommt der Pfarrer und gibt mir das Abendmahl; er ist gar ein herziger Mann, unser Pfarrer, er kommt auch sonst zu mir.«

»Meinet Ihr nicht Herr Lehrer,« begann der Studentle, »daß meine Großmutter eine Aebtissin comme il faut wäre?«

Die Großmutter schaute den Beiden verwundert in's Gesicht, da sie so fremde Worte über sich hörte, sie wußte nicht, was das zu bedeuten habe.

[] »Allerdings,« sagte der Lehrer, »aber ich glaube, daß sie auch eben so fromm sein und eben so selig werden kann.«

»Gucket Ihr's, Ahne,« sagte der Studentle frohlockend, »der Herr Lehrer sagt's auch, daß die Pfarrer kein Brösele mehr sind als andere Menschen.«

»Ist das wahr?« fragte die Alte betrübt.

»Ich meine so,« begann der Lehrer, »es können ja alle Menschen selig werden, aber ein echter Geistlicher, der fromm und gut ist und eifrig für das Seelenheil seiner Nebenmenschen sorgt, der hat eine höhere Stufe.«

»Das mein' ich auch,« sagte die Alte. Dem Lehrer stand der Angstschweiß auf der Stirne, der Studentle aber fragte wieder:

»Sind Ihr nicht auch der Meinung, Herr Lehrer, daß die Geistlichen heirathen sollten?«

»Es ist Kirchengesetz, daß sie nicht heirathen dürfen, und wer bei vollem Bewußtsein Geistlicher geworden ist, muß sein Gesetz halten.«

»Das mein' ich auch,« sagte die Alte mit großer Heftigkeit, »die wo heirathen wollen, das sind Fleischteufel, und man heißt's Geistlich und nicht Fleischlich. Ich will Euch was sagen, gebet dem da kein' Antwort mehr, lasset Euch Euer gut Gemüth nicht verderben, der hat heut wieder seinen gottlosen Tag, er ist aber nicht so schlecht, wie er sich stellt.«

[] Der Studentle sah, daß bei seiner Großmutter nichts auszurichten war, und ging mißmuthig davon, auch der Lehrer entfernte sich bald; wieder war ihm ein schönes zartes Verhältnis hart angefaßt worden. Erst zu Hause gelangte er zur Ruhe und stählte sich gegen die unvermeidlichen Eingriffe von außen.

Am Sonntag gelang es unserm Freunde endlich wieder, Hedwig in Ruhe zu sprechen; er traf sie bei dem alten Lehrer im Garten, sie saß mit ihm auf der Bank, die Beiden schienen nichts gesprochen zu haben.

Nach einigen gewöhnlichen Redeweisen begann der Lehrer: »Es ist doch eine hohe erhabene Sache, daß der siebente Tag durch die Religion geheiligt und aller Arbeit ledig ist; wenn wir uns vorstellen, daß das nicht so wäre, die Leute würden vor übermäßiger Anstrengung sterben. Wenn man in dieser hohen Erntezeit z.B. Tag für Tag ohne Unterlaß arbeiten würde, bis Alles vollbracht wäre, Niemand könnte es aushalten.«

Hedwig und der alte Mann sahen zuerst über diese Rede verwundert drein, dann aber sagte Hedwig:

»Ihr sind wohl schon hier gewesen, wie's der Pfarrer in der Heuet erlaubt hat, daß man am Sonntag das Heu wenden darf, weil es so lange [] geregnet hat und Alles erstickt wär'. Ich bin auch mit 'naus in's Feld, aber es ist mir gewesen, wie wenn jede Gabel voll Heu doppelt so schwer sei; es ist mir gerad' gewesen, wie wenn mich Einer am Arm halten thät', und den andern Tag und die ganz' Woch' war mir's, wie wenn die ganz Welt verkehrt wär' und schon ein Jahr lang kein Sonntag mehr gewesen sey.«

Freudestrahlend blickte der Lehrer Hedwig an, ja, das war die Großmutter; zu dem alten Manne gewendet sagte er aber:

»Ihr müsset Euch noch der Zeit erinnern, als man in Frankreich die Dekaden einführte.«

»Dukaten? die kommen ja aus Italien.«

»Ich meine Dekaden. Man verordnet nämlich, daß nur alle Zehn Tage ein Ruhetag sein solle, da wurden ebenfalls alle Menschen krank. Die Zahl Sieben wiederholt sich auf eine geheimnißvolle Weise in der ganzen Natur und darf nicht verrückt werden.«

»Das war ja verrückt, alle zehn Tage einen Sonntag, he, he,« sagte der alte Mann.

»Wisset ihr auch die Geschicht' von dem Herrn, wo in der hiesig' Kirch' in Stein gehauen ist mit dem Hund?« fragte Hedwig.

»Nein, erzählet sie.«

»Das war auch so Einer, der den Sonntag nicht heilig gehalten hat. Es war ein Herr –« [] »Der Herr von Isenburg und Nordstetten,« ergänzte der Alte.

»Ja,« fuhr Hedwig fort, »man sieht in Isenburg nur noch ein paar Mauern von seinem Schloß; der hat nun auch nichts auf keinen Sonntag und keinen Feiertag gehalten, und hat nichts auf der Welt lieb gehabt als seinen Hund, der war so groß und bös wie ein Wolf. Am Sonntag und Feiertag hat er die Leut' zwungen, daß sie haben Alles schaffen müssen, und wenn sie nicht gutwillig gangen sind, ist der Hund von ihm selber auf sie gesprungen und hat sie schier verrissen, und da hat er, der Herr, gelacht und hat dem Hund den Namen Sonntag geben. Er ist nie in die Kirch' gangen als ein einzigmal, wie man sein' einzig' Tochter copuliert hat; er hat den Hund, wo Sonntag geheißen hat, mit in die Kirch' nehmen wollen, der ist aber nicht dazu zu bringen gewesen, und hat sich vor der Kirch' auf die Schwell hingelegt bis sein Herr wieder 'rauskommen ist. Wie nun der 'rausgeht, stolpert er über den Hund, fällt hin und ist maustodt, und da ist auch sein' Tochter gestorben, und die sind jetzt beide mit sammt dem Hund in der Kirch' in Stein gehauen. Man sagt, der Hund sei der Teufel gewesen, und sein Herr hab' sich ihm verschrieben gehabt.«

Der Lehrer suchte zu beweisen, daß diese Sage [] sich erst durch das Vorhandensein des Denkmals gebildet habe, daß die Adeligen sich gerne mit Wappentieren abbilden lassen u.s.w.; er fand aber wenig Anklang und schwieg.

Niemand war geneigt das Gespräch fortzusetzen. Hedwig machte mit ihrem Fuße ein Grübchen in den Sand, der Lehrer nahm hier zum erstenmal Gelegenheit, die Kleinheit ihres Fußes zu bemerken.

»Leset Ihr nicht auch mitunter am Sonntag?« begann er so vor sich hin; Niemand antwortete: er blickte Hedwig bestimmt an, worauf sie erwiderte:

»Nein, wir machen uns so Kurzweil.«

»Ja womit denn?«

»Ei, wie Ihr nur so fragen könnet; wir schwätzen, wir singen, und hernach gehen wir spaziren.«

»Nun, was sprechet Ihr denn?«

Das Mädchen lachte laut und sagte dann: »Das hätt' ich mein Lebtag nicht denkt, das man mich das fragt. Geltet Vetter, wir besinnen uns nicht lang drauf? Jetzt wird bald mein Gespiel', des Buchmaiers Agnes, kommen, da werdet Ihr nimmer fragen, was man schwätzt, die weiß eine Kuhhaut voll.«

»Habt Ihr denn noch gar keine Bücher gelesen?«

»Ja freilich, das G'sangbuch und die biblisch' G'schicht'.«

»Sonst nichts?«

[] »Und das Blumenkörble und die Rosa von Tannenburg.«

»Und noch?«

»Und den Rinaldo Rinaldini. Jetzt wisset Ihr Alles,« sagte das Mädchen, mit beiden Händen über die Schürze streifend, als hätte es sein gesammtes Wissen jetzt vor dem Lehrer ausgeschüttet; dieser aber fragte wieder:

»Was hat Euch denn am besten gefallen?«

»Der Rinaldo Rinaldini, 's ist jammerschad, daß das ein Räuber gewesen ist.«

»Ich will Euch auch Bücher bringen, da sind viel schönere Geschichten darin.«

»Erzählet uns lieber eine, aber auch so eine recht grauselige; oder wartet lieber, bis die Agnes auch da ist, die hört's für ihr Leben gern.«

Da kam ein Knabe und sagte dem alten Lehrer, er solle sogleich zum Bäck kommen und seine Geige mitbringen, des Bäcken Konrad habe einen neuen Walzer bekommen; schnell erhob sich der Alte, sagte: »Wünsch' gute Unterhaltung,« und ging von dannen.

Als nun der Lehrer mit Hedwig allein war, erzitterte sein Herz; er wagte es nicht, aufzuschauen. Endlich sagte er so vor sich hin:

»Es ist doch ein recht guter alter Mann.«

»Ja,« sagte Hedwig, »und Ihr müsset ihn erst [] recht kennen. Ihr müsset es ihm nicht übel nehmen, er ist gegen alle Lehrer ein bisle bös und brummig; er kann's noch nicht verschmerzen, daß er abgesetzt worden ist, und da meint er, ein Jeder, der jetzt als Lehrer Hierher kommt, der sei jetzt grad dran schuld, und der kann doch nichts dafür, das Consistore schickt ihn ja. Es ist eben ein alter Mann, man muß Geduld mit den alten Leuten haben.«

Der Lehrer faßte die Hand des Mädchens und blickte es innig an; dieses liebende Verständniß fremden Schicksals belebte seine ganze Seele. Plötzlich fiel ein todter Vogel vor den Beiden nieder, sie schreckten zusammen; Hedwig bückte sich aber alsbald und hob den Vogel auf.

»Er ist noch ganz warm,« sagte sie, »du armes Thierle, bist krank gewesen und hat dir Niemand helfen können; es ist nur eine Lerch', aber es ist doch ein lebigs Wesen.«

»Man möchte sich gern denken,« sagte der Lehrer, »ein solcher Vogel, der singend himmelan steigt, müßte beim Sterben gleich in den Himmel fallen; er schwebt so frei über der Erde, und nun berührt ihn der Tod, und von der Schwerkraft der Erde angezogen, fällt Alles.

immer wieder

zur Erd' hernieder.«

[] Hedwig sah ihn groß an, diese Worte gefielen ihr, obgleich sie dieselben nicht recht begriff; sie sagte nach einer Pause:

»'s ist doch arg, daß sich seine Verwandten, seine Frau oder Kinder gar nichts um ihn kümmern und ihn nur so 'rabfallen und liegen lassen; es kann aber auch sein, sie wissen noch gar nicht, daß er gestorben ist.«

»Die Thiere,« sagte der Lehrer, »wie die Kinder verstehen den Tod nicht, weil sie nicht über das Leben nachdenken; sie leben bloß und wissen nichts davon.«

»Ist das auch g'wiß so?« fragte Hedwig.

»Ich meine,« erwiderte der Lehrer. Hedwig erörterte die Sache nicht weiter, wie sie überhaupt nicht gewohnt war, anhaltend etwas zu ergründen; der Lehrer aber dachte: hier sind die Elemente einer großen Bildungsfähigkeit, hier ist schon der Stamm eines selbständigen Geistes. Den Vogel aus des Mädchens Hand nehmend, sagte er dann:

»Ich möchte diesen Bewohner der freien Lüfte nicht in die dunkle Erde versenken, hier an diesen Baum möchte ich ihn heften, damit er im Tode in einzelne Stücke verfliege.«

»Nein, das gefällt mir nicht; an des Buchmaiers Scheuer ist eine Eul' angenagelt, und ich möcht's allemal, wenn ich vorbeigeh', 'runter nehmen.«

Stille begruben nun die Beiden den Vogel. Der[] Lehrer, der heute so glücklich in seinen Entdeckungen war, ging schnell einen Schritt weiter; er wollte erproben, wie weit sich Hedwig einer feinern Bildung fügen würde.

»Ihr sagt so gescheite Sachen,« begann er, »daß es jammerschade ist, daß Ihr das holperige Bauerndeutsch sprecht, Ihr könnet es sicherlich auch anders, und das würde Euch viel besser anstehen.«

»Ich thät mich in die Seel' 'nein schämen, wenn ich anders reden thät, und es versteht mich ja auch ein Jedes.«

»Allerdings, aber gut ist gut, und besser ist besser. In welcher Sprache betet ihr denn?«

»Ei, wie's geschrieben steht, das ist ganz was anders.«

»Keineswegs, wie man mit Gott redet, sollte man auch mit den Menschen reden.«

»Das kann ich halt nicht, und das will ich auch nicht. Gucket, Herr Lehrer, ich wüßt' ja gar nichts mehr zu schwätzen, wenn ich mich allemal besinnen müßt', wie ich schwätzen soll; ich thät mich vor mir selber schämen. Nein, Herr Lehrer, euer Wort auf ein seiden Kissen gelegt, aber das ist nichts.«

»Saget doch nicht immer Herr Lehrer, saget auch meinen Namen.«

»Das kann wieder nicht sein, das geht nicht.«

»Ja warum denn?«

»Es geht halt nicht.«

»Es muß doch einen Grund haben, warum?«

[] »Ei, ich weiß ja euern Namen nicht.«

»So? Ich heiße Adolph Lederer.«

»Also Herr Lederer, das ist fast gleich, Herr Lederer oder Herr Lehrer.«

»Nein, heißet mich Adolph.«

»Ach, machet jetzt keine so Sachen; was thäten denn die Leut' sagen?«

»Daß wir uns gern haben,« sagte der Lehrer, die Hand des Mädchens an sein Herz drückend, »habt Ihr mich denn nicht auch lieb?«

Hedwig bückte sich und brach eine Nelke. Da öffnete sich die Gartenthüre.

»Gott sei's getrommelt und gepfiffen, daß ich erlöst bin,« rief des Buchmaiers Agnes. »Guten Tag, Herr Lehrer! Hedwig sei froh, daß du nimmer in die Christenlehr' brauchst. Herr Lehrer, das solltet Ihr machen, daß so große Mädle nimmer drein müssen; freilich mich nutzt's wenig mehr, ich komm' schon nächsten Herbst draus.«

»Schenkt mir doch die Nelke,« sagte der Lehrer mit zart bittendem Tone zu Hedwig; sie gab ihm mit erröthendem Antlitze die Blume, und er drückte sie als Zeichen der Erwiderung seiner Liebe inbrünstig an seine Lippen.

»Du würdest schön ankommen,« sagte Agnes, »wenn der alte He he sehen thät, daß du eine Blum' abbrochen hast; 's ist gut; drinnen sitzt er [] beim Bäck und spielt den neuen Walzer. Den wollen wir aber auch rechtschaffen tanzen an der Kirchweih'. Ihr tanzet doch auch, Herr Lehrer?«

»Ein Wenig, aber ich hab' mich schon lange nicht geübt.«

»Probieren geht über Studiren, lalalalala,« trällerte Agnes im Garten umherhüpfend, »was machst du für ein Gesicht, Hedwig? Komm!« Sie riß Hedwig, die ihrer Gewalt nicht widerstehen konnte, ebenfalls mit sich fort; sie waren aber so ungeschickt, daß sie in ein Beet traten. Agnes lockerte singend den Boden wieder auf und sagte dann:

»Jetzt komm, mach fort, wir wollen aus dem Garten 'naus, wo man sich nicht regen kann; die andern Mädle sind alle schon draußen im Kirschenbusch und Er wartet gewiß schon lang auf uns.«

»Wer?« fragte der Lehrer.

»Ei er,« erwiderte Agnes, »wenn Ihr mit wollet, könnet Ihr ihn umsonst sehen; wir werden Euch doch nicht zu gering sein, daß Ihr mit uns gehet?«

Der Lehrer faßte die Hand der Agnes und sie festhaltend, gleich als hielte er die der Hedwig, ging er mit den Beiden in das Feld.

Draußen, wo der Weg nach dem Daberwasen geht, an der Hanfdarre saß ein kräftiger, wie eine Tanne grad und schlank gewachsener Mann; der [] Lehrer erkannte in ihm den Oberknecht des Buchmaiers, der, als er die drei so daher kommen sah, aufsprang und wie festgebannt stehen blieb; Trotz und Wehmuth sprach aus seinem ganzen Wesen; sein Antlitz erheiterte, seine Faust entballte sich aber, als Agnes fröhlich auf ihn zuschritt. Der Lehrer grüßte den Thaddä, so hieß der Oberknecht, mit besonderer Freundlichkeit. So schritten nun die beiden Paare vergnügt neben einander.

Um dem Thaddä seine Vertraulichkeit zu bezeigen, sprach der Lehrer viel von dem Fuchsen, und wie er sich in den Zug eingewöhne.

So war nun gekommen, was der Lehrer nie vermuthen mochte: er hatte ein Bauernmädchen zur Geliebten und einen Bauernknecht zum Kameraden.

Bald ging Thaddä mit Agnes voraus und der Lehrer mit Hedwig Hand in Hand hintendrein.

Unter traulichen Gesprächen schritt man des Weges dahin. Tief erfuhr es nun der Lehrer, daß man wohl viel miteinander sprechen kann, ohne grade Bücher gelesen zu haben.

Nicht weit von dem Katzenbrunnen, aus dem der Sage nach die Hebammen die Kinder holen, setzte man sich an einen Rain, und nun wurde gesungen. Der Lehrer erfreute sich inniglich an der schönen Altstimme Hedwigs, Thaddä begleitete den Gesang trefflich, und der Lehrer empfand es zu seiner großen [] Betrübniß, daß er so wenig von den Volksliedern kannte; bei seiner musikalischen Bildung faßte er indeß die einfachen Weisen schnell und begleitete sie in tiefem Baß. Mit strahlendem Antlitze nickte ihm Hedwig Beifall zu. Oft aber mußte er auch bei einer unerwarteten Wendung der Melodie, die dazu diente, den schroffen Gedankensprung oder die Ungleichheit des Silbenmaßes auszugleichen, innehalten; dann ermunterte ihn Hedwig mit ihren Blicken, die so viel sagten als: sing nur mit, wenn's auch nicht ganz gut geht. So vereinte der Lehrer seine Stimme mit denen der dörflichen Sänger.

Jetzt war es so weit gekommen, daß er nur den Ton und die Bauern das Wort und den Gedanken hatten.

Man sang:

Bald gras' ich am Neckar,

Bald gras' ich am Rhein,

Bald hab' ich ein Schätzle,

Bald bin ich allein.

Was hilft mich das Grasen,

Wenn d' Sichel nicht schneid't?

Was hilft mich ein Schätzle,

Wenn's nicht bei mir bleibt?

Und soll ich denn grasen

Am Neckar, am Rhein,

So werf' ich mein schönes

Goldringlein hinein.

[]

Es fließet im Neckar,

Und fließet im Rhein;

Soll schwimmen hinunter

In's tiefe Meer 'nein.

Und schwimmt das Goldringlein,

So frißt es ein Fisch,

Das Fischlein soll kommen

Auf Königs sein Tisch.

Der König thut fragen,

Wem's Ringlein soll sein;

Da thut mein Schatz sagen:

Das Ringlein g'hört mein.

Mein Schätzlein thut springen

Bergauf und bergein,

Thut wieder mir bringen

Mein Goldringelein.

Kannst grasen am Neckar,

Kanst grasen am Rhein,

Wirf du mir nur immer

Das Ringlein hinein.

Nach einer Weile drückte Thaddä Agnes näher an sich und sie sangen:

Mädle ruck, ruck ruck

An meine rechte Seite,

I hab' dich gar zu gern,

I kann di leide.

[]

Wann die Leut' et' wär'n,

No müschtst mein Schätzle wär'n,

Wär'n die Leut' et g'west,

No wärst mein Weible jetzt.

Mädle, ruck u.s.w.

Mädle guck, guck, guck

In meine schwarze Auge,

Du kannst dein lieble

Bildle drin erschaue;

Ja, guck du nur 'nein

Du muscht drinne sein,

Du muscht bei mir bleibe,

Muscht mir d' Zeit vertreibe.

Mädle guck u.s.w.

Mädle du, du, du

Muscht mir den Trauring gebe,

Sust liegt mir wahrlich

Nix mehr an mei'm Lebe.

Wann i di net krieg,

No zieh ni fort in Krieg;

Wann i di net hab'

No wurd mir d' Welt zum Grab.

Mädle du u.s.w.

Noch gar viel andere, meist traurige Lieder wurden gesungen, obgleich die Sänger heiter und frohen Muthes waren. Wie der Brunnen zu ihren Füßen fortquoll und leise durch die Felder dahin rieselte, so schien auch der Liederquell unerschöpflich.

[] Der Lehrer war wie in eine neue Welt versetzt. Wohl hatte er schon früher die kindlich zarte Empfindungs- und Denkweise des Volksliedes kennen gelernt, aber er hatte sie nur gekostet, wie man an reich besetzten Tafeln die Walderdbeeren ihres eigentümlichen Duftes wegen den künstlich gehegten und gepfropften vorzieht, sie aber doch mit Zucker und Wein verzehrt; hier aber war er selbst in den Erdbeerenschlag gekommen, und nicht in Haufen genossen, sondern einzeln frisch vom Strauche gepflückt, schmeckte die Frucht noch ganz anders.

Die tiefe Urkraft des Volksliedes erschloß sich unserm Freunde in ihrer ganzen Herrlichkeit, er sah sich liebend umfangen von der edlen, majestätischen Herrlichkeit des deutschen Volksgemüths, und die liebliche Vertreterin desselben saß in trauter Zuneigung an seiner Seite. Er gelobte sich, ein Priester dieses heiligen Volksgeistes zu werden.

Als er Abends mit Hedwig heimkehrte und sie vor der Großmutter standen, faßte er ihre Hand, drückte sie an sein Herz und sagte:

»Nicht zu mühseliger Arbeit sollt Ihr für mich Eure Hände erheben, sondern für das was ihnen gebührt, zum Segnen.«

Mehr konnte er nicht sprechen, und er ging rasch von dannen.

Im ganzen Dorfe sprach man am Abend von [] nichts als davon, daß der Lehrer mit des Johannesle's Hedwig Bekanntschaft habe.

Unser Freund, der früher immer so gern und fast ausschließlich allein gewesen war, konnte jetzt, wenn er seine Schulstunden beendet hatte, fast keine Viertelstunde mehr allein ausdauern, in seinem Hause oder außer demselben. Von all den Büchern, die er bei sich hatte, paßte ihm keines zu seiner Stimmung, und wollte er etwas in sein Taschenbuch schreiben, erschien es ihm so nackt und nichtig, daß er es alsbald wieder durchstrich.

Im Felde konnte er es zu keinem Gedanken und zu keiner Zeichnung mehr bringen, er sprach mit Jedem, der ihm begegnete oder am Wege arbeitete; die Leute waren freundlich gegen ihn, denn seine offene Seele war auf sein Antlitz herausgetreten. Oft aber stand er auch bei den Leuten und sah träumerisch lächelnd vor sich hin, ohne ein Wort weiter zu sprechen; es war, als könne er nicht weggehen, als fürchte er sich, wieder in seine trübe Verlassenheit und Vereinsamung hinausgestoßen zu werden, als müsse er sich an Jeden, wer er auch sei, fest anklammern.

Einst sah er Hedwig auf dem Felde schneiden, er eilte zu ihr, machte sich aber alsbald wieder fort; es war ihm eine unüberwindlich mißliche Empfindung, so allein arbeitslos unter den Emsigen dazustehen,[] und doch verstand er nichts von der Feldarbeit und wußte, wie ungeschickt er sich dabei anstellen würde. Die Hoheit Hedwigs erschien ihm nicht erniedrigt, vielmehr erhöhter durch ihre Arbeit. Im Weggehen sagte er vor sich hin: »Nur Hostien, nur Himmelsbrod sollte man aus der Frucht bereiten, deren Halme sie geschnitten.«

Bei der Großmutter saß er oft in Zerstreuung, und nur wenn sie von ihren Eltern und Großeltern erzählte, gewann sie seine volle Aufmerksamkeit; es that ihm so wohl, an diesem Familienbaume hinaufzuklettern in die Geschichte der Vorzeit. Der Großvater der Alten hatte den Türkenkrieg unter Prinz Eugen mitgefochten, und sie wußte noch gar viel von ihm zu er zählen. Manchmal auch sagte die Alte, jedoch ohne Klage, sie spüre es wohl, sie würde diesen Winter alle ihre Vorfahren wiedersehen. Er suchte ihr solche Gedanken auszureden, was ihm nicht schwer fiel; er suchte sie dahin zu bringen, daß sie von der Kindheit Hedwigs erzählte: wie sie in einem Glückshäutchen geboren ward, ihre Mutter aber bald darauf starb, wie Hedwig sich schon als kleines Kind grämte, daß ihre Puppe mit offenen Augen schlafen mußte und sie daher Nachts ihr mit Papierchen die Augen zuklebte. Wenn sie so sprach, da leuchtete das Auge des jungen Mannes und das der Alten von derselben Glorie, wie zwei nachbarliche Wellen, von demselben Mondstrahle durchglitzert.

[] Ueber Hedwig finden wir nichts im Taschenbuche, aber durch die Erinnerungen der Alten und andere Erfahrungen angeregt sind wohl folgende Worte:

»Man denkt sich wohl gern, man könnte mit einem Katechismus der gesunden Vernunft hinaustreten unter das Volk und es alsbald bekehren; hier aber ist überall heiliger Boden der Geschichte, wir müssen die Fußstapfen der Vergangenheit aufsuchen. Traurig, daß unsere Geschichte zerrissen und zerstückt ist ... wo anknüpfen? ...«

Bei dem Buchmaier war der Lehrer von nun an auch oft, er studirte eifrig die Landwirthschaft und erfreute sich an den kernigen Gedanken des Buchmaiers, trotz ihrer Derbheit; je heimischer er aber im Hause des Buchmaiers wurde, um so fremder schien er in dem Hause Johannesle's zu werden, er selber war noch wie zuvor, aber Hedwig wich ihm sichtbar aus und grüßte ihn im Vorbeigehen immer scheu und zaghaft.

Eines Abends kam Hedwig weinend zu Agnes und sagte:

»Denk' nur, mein Wilder will's nicht leiden.«

»Was denn?«

»Nun, daß der Lehrer zu mir geht. Mein Constantin hat gesagt, wenn ich mich noch einmal mit dem Lauterbacher sehen ließ', nachher schlag' er [] mich und ihn krumm und lahm; du weißt ja, er bosget, weil er mit deinem Vater so gut ist.«

»Das ist ein Kreuz. Was ist denn jetzt da zu machen?«

»Sag' dem Lehrer, wenn er kommt, er soll nicht bös sein und soll doch weniger in unser Haus kommen, ich könnt' nicht anders, ich darf nicht mit ihm reden. Ich thät mir nicht viel daraus machen, wenn mein Bruder auch grob wär', aber wenn er ihn beleidigen thät, und er ist's wohl im Stand, daß er ihm vor allen Leuten einen Disrespekt anthut, ich thät mich in den Tod 'nein grämen.«

»Laß jetzt das Trauern,« erwiderte Agnes, »ich sag' ihm doch von all dem kein Wörtle.«

»Warum?«

»Darum, o! du verliebte Dock! Meinst, ich bericht' ihm das, daß er nachher meint, man dürf' den Nordstetter Mädle nur so pfeifen, nachher kommen sie Einem nur so nachgesprungen?«

»Das glaubt er gewiß nicht.«

»Ich laß es aber nicht darauf ankommen, jetzt, ich bleib' dabei, ich sag' ihm gar nichts von dir; er muß mit mir davon anfangen. Laß mich nur machen, ich krieg' ihn schon dran. Huididä juh! Und wenn's dann so recht bei ihm pfupfert, will ich sagen: es kann sein, es läßt sich vielleicht möglich machen, ich will die Hedwig dazu überreden, daß ihr vielleicht [] am Sonntag bei mir zusammen kommet, ich will dann schon sehen, ob man die Biren schütteln kann und wie man mit ihm dran ist.«

»Ja, du kannst's machen, wie du willst, ich kann dich nicht zwingen, aber das bitt' ich mir aus, plagen darfst ihn nicht; Narr, er ist einer von denen Menschen, die sich über Alles so viel Gedanken machen, ich hab' das schon gemerkt, und da könnt' er betrübt sein und könnt' nicht schlafen.«

»Das weißt du schon Alles? Woher denn?«

»Woher?« sagte Hedwig, »ich denk' halt so, er macht sich so allerlei Gedanken, es geht mir auch oft so.«

»O du guter Hammel. Sei nur ruhig, ich thu ihm nichts an Leib und Leben; so ein Lehrer hält so viel Prüfungen sein ganz Leben, jetzt will ich auch einmal eine mit ihm halten, ich will sehen, ob er gescheit ist.«

»Das ist er.«

»Wenn er gut besteht, darf ich ihm einen Kuß geben?«

»Meinetwegen.«

»Mach jetzt kein' so Gesicht, ein' fröhliche Lieb' muß man haben und keine maunderige. Denk' nur, am Sonntag hat der Pfarrer gefragt: wie muß man Gott lieben? und da hab' ich frischweg gesagt: lustig, und da hat er geschmunzelt und hat ein Pris' [] genommen und hat gesagt: das ist recht – du weißt ja, wie er's macht, er sagt zu Allem, wenn's nicht ganz blitzdumm ist: das ist recht, aber nachher erklärt er's einem, und da kommt was ganz anders 'raus – da hat er eben gesagt: man muß Gott wie seinen Vater lieben, mit Ehrfurcht, und da hab' ich gesagt: man kann seinen Vater ja auch lustig lieben, da hat er wetterlich gelacht und hat sein' Dos' verkehrt aufgemacht, daß aller Tabak auf den Boden gefallen ist, und da haben wir alle zusammengelacht;

Alleweil e Bisle lustig

Und alleweil e Bisle froh,«

so schloß Agnes singend und zog Hedwig hinaus in den Garten, wo sie die ausgebreiteten Linnen in große Falten zusammenzog, um sie ins Haus zu tragen, indem sie dabei erklärte, daß das zu ihrer Aussteuer sei.

Am andern Abend, um die Zeit, da der Lehrer gewöhnlich kam, harrte Agnes vor dem Hause; aber alle ihre Plane von lustigen Neckereien verflogen, als sie bei der Erwähnung Hedwigs das schmerzliche Zucken in dem Antlitze des Lehrers sah und er ihr seinen Kummer dann treuherzig erzählte. Sie erklärte ihm nun die Parteiungen in der Gemeinde: der Studentle, als Schwiegersohn des ehemaligen unteroffizierlichen Schultheißen, gehörte natürlich zu [] dessen Partei, die jeden mit dem Buchmaier Vertrauten als offenen Feind ansah; dazu kam, daß der Studentle voll Gift und Galle war, weil auf Betreiben des Buchmaiers der Mathes statt seiner in den Bürgerausschuß gekommen war.

»Es ist ein Kreuz,« schloß Agnes die Auseinandersetzung der Dorfpolitik, »ich hab' mir's so schön ausdenkt, daß wir bei der Kirchweih mit einander auf den Tanz gehen. Wartet aber nur, der Studentle ist mir nicht studirt genug, und der Thaddä muß auch mithelfen und rathen.«

Der Lehrer verbat sich dieß, Agnes sah ihn groß an, versprach ihm aber doch, er solle Sonntags Hedwig bei ihr sehen; sie wolle sich krank stellen und ihnen zu Gefallen beim schönsten Wetter nicht ausgehen.

In sein Taschenbuch schrieb der Lehrer noch spät am Abend: »Wie leicht ist es, sich rein im Gebiete des Geistes zu halten, sich da eine Welt und einen Himmel aufzubauen; kaum aber nähert man sich dem wirklichen Leben, wird man hineingerissen in den Strudel der Tageszwiste, der grollenden widerstrebenden Strömungen. Ich wollte mich hineinbegeben in das einige Leben dieses Dorfes, nun stehe ich mitten in der Parteiung, meine tiefsten Herzensneigungen werden mit hinein verschlungen.« –

Agnes hielt Wort. Die geheime Zusammenkunft [] der beiden Liebenden erschloß ihre Herzen um so schneller und rückhaltsloser. Da war an kein Widerstreben mehr zu denken, man hatte sich ja verborgen gesucht und gefunden.

Nach dem ersten Austausch der beiderseitigen Betrübniß erwachte in Hedwig der frische Lebensmuth wieder schneller als in dem Lehrer.

»Ist es denn wahr,« fragte sie, »daß Ihr von Lauterbach seid?«

»Allerdings.«

»Ja, warum habt Ihr's denn verläugnen wollen? Das ist ja kein' Schand'!«

»Ich hab' es nie verläugnet.«

»Es ist doch grausam, wie die Leut' lügen können. Da haben sie hier ausgesprengt, Ihr wäret deßwegen so allein wie ein verscheucht' Hühnle 'rumgelaufen, weil Ihr gemeint hättet, man foppt Euch, weil Ihr von Lauterbach seid. Und wenn Ihr auch von Tripstrill wäret, Ihr wäret doch –«

»Nun? was wäre ich?«

»Ein lieber Mensch,« sagte Hedwig, ihm die Augen zuhaltend, er aber umfaßte, küßte und herzte sie und sagte dann endlich:

»Sei nur ruhig, du Liebe, Gute, es wird schon Alles noch gut gehen.«

Ohne sich aus seinen Armen zu erheben, sagte Hedwig doch:

[] »Ihr müsset nicht so sein.«

Der Lehrer aber küßte und herzte sie von Neuem, und sie sagte wieder:

»Nun, jetzt schwätzet auch, erzählet mir was; wie ist's Euch denn gangen? Ihr schwätzet ja gar nichts.«

Der Lehrer nahm ihre Hand und drückte sie an seinen Mund; gleich als wollte er jedes Wort darin versiegeln, Hedwig deutete es wenigstens so, denn sie begann abermals:

»Nein, Ihr müsset schwätzen, ich hör' Euch so gern zu, und mein' Ahne sagt's auch als, er hat so herzige Worte; mein' Ahne hat Euch rechtschaffen gern.«

»Sag' doch du!« das waren die einzigen Worte, die der Lehrer hervorstammeln konnte.

»Du, du, du, du, du,« sagte Hedwig sich niederbeugend und den Kopf schüttelnd, als ob sie mit einem Kinde spielte; der Lehrer blickte sie mit Freudenthränen an, und als sie das bemerkte, sagte sie:

»Warum greinen? Es ist noch nichts verloren, und mein Constantin soll nur aufpassen, ja, was meint der? Ich will schon sehen, wer Meister wird, ich bin kein Kind mehr.«

Ungeachtet sie so sehr gegen das Weinen gesprochen hatte, flossen doch auch ihr die Thränen aus den Augen, sie trocknete sie aber schnell und fuhr fort:

[] »Komm', jetzt wollen wir alles vergessen und was ist denn auch? Wenn's Gott's Willen ist, kriegen wir einander doch. Es ist mir immer, wie wenn Alles zu schön g'wesen wär', wenn alles so den geraden Lauf gehabt hätt'. Ich weiß nicht, wie's kommen ist, aber wie ich selben Sonntag, wo man bei meiner Ahne gesessen ist, um's Hauseck 'rumkommen bin, da ist mir's grad' g'wesen, wie wenn mir Einer mit einer feurigen Hand in's Gesicht langen thät; nein, noch ganz anders, ich kann's gar nicht sagen wie.«

»Ja, von jenem Augenblicke an liebte ich dich.«

»Nichts davon schwätzen,« sagte Hedwig mit strahlendem Auge in's Antlitz ihres Geliebten schauend, es war als scheute sie jedes Wort, da sie nach Art der Bauermädchen um so weniger das Wort Liebe aussprach, je mehr sie liebte; »von was Anderm,« ergänzte sie, sie war es aber auch zufrieden, als sie so schweigend neben einander saßen und kein Laut in der Stube vernommen wurde als das Girren der Turteltauben im Käfig und der eintönige Pendelschlag der Schwarzwälder Uhr.

Endlich trat Agnes, die wohlweislich weggegangen war, wieder ein. Hedwig sagte aufstehend:

»Mach' du, daß er red't, da sitzt er und guckt mich nur an.«

Als im Vorbeigehen ihr Blick in den Spiegel [] streifte, wendete sie sich schnell ab, sie kam sich ganz wie eine andere Person vor, so fremd war ihr Aussehen.

Der Lehrer saß unbewegt da, wie wenn er mit offenen Augen träumte.

Agnes sang, in der Stube umherhüpfend und mit den Fingern schnalzend:

Und i woaß et wie's kommen thut,

Wann's Schätzle i seh,

Und da möcht' i gern schwätze

Und 's will halt et gehn.

Noan, noan und – jo jo –

Und – i moan, und – i muaß

Ist oft unser ganzer verliebter Discurs.

Auf den Lehrer zutretend und ihn am Arme schüttelnd, sagte sie:

»Wie? Was? Holz her! aufg'richt't. Z' Lauterbach hab' ich mein'n Strumpf verlor'n.« Tanzend zog sie ihn nun in der Stube umher.

Nun war wieder Alles Leben und Freude, Thaddä kam dazu. Im großen Rathe wurde der staatskluge Beschluß gefaßt: daß, wenn bis zur Kirchweih die Constantinischen Wirren noch nicht ausgeglichen wären, Thaddä mit Hedwig und der Lehrer mit Agnes zum Tanze gehen sollte.

Noch lange saß man traulich beisammen, die [] Vorfreuden der Zukunft kostend. Endlich forderte Agnes den Lehrer auf, ihr zum Lohne eine Geschichte zu erzählen; die Bitten Aller vereinigten sich mit der ihrigen. Dem Lehrer aber stand der Kopf nicht dazu, er wollte nach Hause gehen und ein Buch holen; das wurde aber nicht geduldet, er sollte nur von selber frischweg erzählen.

Gewaltsam seine Gedanken sammelnd, begann er endlich die Geschichte der schönen Magellone. Anfangs sprach er die Worte tonlos, fast ohne zu wissen, daß er sie sprach; er hielt die Hand Hedwigs in der seinen. Nach und nach schloß er die Augen wieder und redete sich ganz in das Zauberland hinein, die Zuhörer hingen mit strahlendem Blicke an seinem Munde und Hedwig jauchzte innerlich.

Als der Lehrer geendet, faßte ihn Agnes mit beiden Händen am Kopfe, schüttelte ihn und sagte:

»Es ist doch ein ganzer Bursch,« sich umwendend fragte sie dann: »darf ich ihm jetzt den Kuß geben, Hedwig?«

»Rechtschaffen.«

Agnes machte schnell Gebrauch von der Erlaubniß, und der Lehrer sagte dann:

»Wir wollen Freunde sein,« und reichte dem Thaddä die Hand.

Als er fortging, begleitete ihn Thaddä und sagte auf der Treppe:

[] »Herr Lehrer, ich hab' ein' Bitt', ich will Euch auch einen Gefallen thun; ich kann gut lesen, wolltet Ihr mir nicht auch so ein Geschichtenbuch leihen?«

»Recht gern,« sagte der Lehrer, die Hand seines Freundes zum Abschiede drückend. –

Nächst der Umwandlung seines Herzens, oder vielmehr der glücklichen Entfaltung desselben, hatte die Liebe Hedwigs noch einen besondern Einfluß auf den Lehrerberuf unseres Freundes; denn Alles in ihm rang stets nach Einheit.

Er hatte die süßen Worte Hedwigs so freudig aufgenommen, daß er sogar die Form derselben liebgewann. Er gedachte nun den Dialekt zu studiren und ihn beim Unterrichte als Grundlage der Denk- und Sprechweise zu benützen. Er wendete sich deshalb an den alten Lehrer, um Schriften im oberschwäbischen Dialekte, dieser holte ihm sein Lieblingsbuch, ja fast sein einziges, und band es ihm auf die Seele, es waren die Dichtungen Sebastian Sailers.

Jetzt erst lernte der Lehrer manche Besonderheit des hieländischen Bauernlebens recht verstehen, er erkannte die Derbheit und die Begierde, sich sogar mit dem Heiligsten und Unnahbaren lustig zu machen.

Die Rolle eines vierschrötigen Dorfschultheißen,[] die hier ein geistlicher Dichter Gott Vater spielen ließ, befremdete ihn sehr; der alte Lehrer aber erklärte ihm, daß das der Heiligkeit der Religion nichts geschadet habe: »Früher,« sagte er, »wo man noch fromm gewesen ist und nicht bloß maulfromm, da hat man sich schon eher einen Spaß mit Gott erlauben dürfen; jetzt aber verträgt's kein Schnauferle mehr, sonst geht ihnen gleich das Licht aus, drum müssen sie jetzt so heilig thun. Ich hab' als in der Kirch' die lustigste Musik gemacht, wie mir's nur eingefallen ist.«

Unser Freund war indeß doch der Ansicht, daß sich auch Religionsspötterei aus dem vorigen Jahrhundert in diese Dichtungen gemischt habe, er behielt das aber für sich und ließ sich von dem Alten erklären, wie diese Stücke früher zur Fastnacht aufgeführt wurden. Besonders ausführlich mußte er sich von dem Alten den Anzug beschreiben lassen, den er einst als Lucifer getragen hatte.

»Die neue Bildung hat dem Volke viel, unendlich viel genommen, was hat sie ihm von wirklichen Freuden dafür gegeben? – – Kann ihm ein Ersatz werden? und wie? ....«

Diese Worte finden sich aus der eben genannten Zeit in dem Taschenbuche unseres Freundes. Eine mächtige Bewegung hatte sein ganzes Wesen ergriffen.

[] Eines Tages kam der Buchmaier zu ihm und forderte ihn auf, bald Ortsbürger zu werden, indem ihm dann die Stelle des verstorbenen Gemeindeschreibers sicher sei. Der Lehrer faßte freudig die breite Hand des Buchmaiers:

»Jetzt,« sagte er, »jetzt könnet Ihr im ganzen Dorf Frieden stiften, ihr müsset meinem Schwa– ich will sagen dem Studentle zu dieser Stelle verhelfen, er kann sie vollkommen versehen.«

Der Buchmaier lächelte, wollte aber doch nicht darauf eingehen; auf die eindringlichen Reden des Lehrers versprach er endlich, sich aller Einwirkung bei der Wahl zu enthalten.

Der Lehrer eilte, den Stand der Dinge dem Studentle bekannt zu machen; dieser aber that stolz und sagte: er wisse noch nicht, ob er eine solche Stelle annehme, indeß dankte er dem Lehrer für seine Freundlichkeit, und so waren gewissermaßen die Vorbedingungen eines Friedens zwischen den Beiden festgestellt.

Die Kirchweihe war gekommen, die beiden Liebespaare gingen verabredetermaßen zum Tanze.

Jetzt stand der Lehrer nicht mehr draußen im Felde, während drinnen im Dorfe Alles jubelte und tanzte, er selber war mitten unter dem tollen Lärm; noch aber war er nicht ganz dabei.

Die beiden Tage der Kirchweihe war er fast [] immer auf dem »Tanzboden«, nur manchmal ging er mit Hedwig und Agnes hinaus in's Feld, um dann neugestärkt wieder zurückzukehren. Oft durchzuckte ihn auch ein tiefer Schmerz, wenn er eines der unreinen Lieder vernehmen mußte; er hätte dann gerne sich und Hedwig die Ohren verstopft. Der Gedanke befestigte sich in ihm, auf die Lieder vor Allem seine Wirksamkeit und seinen Einfluß zu üben; er hatte sich die Gunst der jungen Bursche durch die Theilnahme an ihrer Lustbarkeit gewonnen, hieran wollte er nun anknüpfen.

Bis zum Kehraus hatte er zwei Nächte lang ausgehalten, am dritten Tage aber, als die Kirchweih feierlich begraben wurde, konnte er sich nicht dazu bringen, auch dieß mitzumachen; er stand vor seinem Hause und sah wie die Burschen dahinzogen, die Musik mit einem Trauermarsche voraus, dazwischen sang man halb weinerlich:

O Kirwe bleib au no mai do,

O Kirwe laß nimmermai no,

Drunten im Flecke

Will d' Kirwe verrecke:

O Kirwe bleib au no mai do,

O Kirwe laß nimmermai no.

Ein Schragen, auf dem zerbrochene Flaschen, Gläser, Stuhlbeine lagen, wurde feierlich geleitet [] und draußen auf der Hochbux wurden diese Zeichen der Vergnüglichkeit in ein Grab gescharrt, Wein in dasselbe geschüttet und Trauerreden dabei gehalten. –

Trauer und Freude wechselten bald nach der Kirchweihe im Hause Johannesle's. Constantin war zum Gemeindeschreiber erwählt worden, der Lehrer hatte offen um Stimmen für ihn geworben. Nun war der Friede zwischen den Parteien hergestellt, und der Studentle näherte sich dem Lehrer mit Freundschaft; dieser ging in seiner Herzensfreude so weit, daß er dem Studentle das »Du« anbot. Der neu ernannte Gemeindeschreiber ließ nicht nach, man mußte sogleich in's Wirthshaus und nach echter Studentenweise, das Glas in der Hand und die Arme verschlungen, »Smollis« trinken.

Der Studentle war es aber dann auch, der im Familienrathe das Wort für den Lehrer nahm und seine Bewerbung um Hedwig nachdrücklich unterstützte.

Der »Verspruch« der beiden Liebenden wurde nun gefeiert: vor den Augen des Vaters und des Bruders, des alten Schultheißen und des Buchmaiers, den der Lehrer von seiner Seite geladen, reichten sie sich die Hand.

Hedwig ging bald mit ihrem Bräutigam aus der Stube, auf der Hausflur umarmte sie ihn, und nun zum erstenmal sagte sie:

[] »Ich hab' dich rechtschaffen lieb.«

Dann gingen sie hinab zur Großmutter, die krank im Bette lag; sie knieten an ihrem Bette nieder.

»Er ist jetzt auf ewig mein,« sagte Hedwig, mehr konnte sie nicht vorbringen. Die Großmutter breitete ihre Hände über die beiden Liebenden aus und murmelte leise ein Gebet, dann sagte sie:

»Stehet auf, das ist nichts, so knien; man darf vor Niemand knien, als vor Gott. Ich sag's ja, ich bin der Bot', der im Himmel anzeigen muß, daß ihr euch habt. Lehrer, wie heißt denn dein' Mutter? Ich will gleich zu ihr, wenn ich 'naufkomm', und auch zu deinem Vater, und da nehm' ich meinen Hansadam, meine Geschwister und meine Eltern mit und auch meine drei Enkele, wo gestorben sind, und da setzen wir uns zusammen hin und schwätzen von euch und beten für euch, und da muß es euch gut gehen. Hedwig, ich vermach' dir meinen Anhenker, drinnen im Schränkle wirst ihn finden, und da ist auch noch mein Kränzle von meiner Hochzeit dabei, heb's auf, es wird dir Segen bringen und laß deine Kinder nach der Tauf' dran riechen. Und wenn ihr auch bald nach meinem Tod Hochzeit machet, da müsset Ihr doch Musik haben. Höret ihr's? Ihr sollet nicht so lang um mich trauern und den Siebensprung, den tanzet ihr für mich; ich will auf [] euch 'runtergucken mit Freuden, und droben feiert die ganz' Familie auch die Hochzeit.«

Die Brautleute suchten ihr die Todesnähe auszureden, sie aber erwiderte:

»Es ist mir allfort, wie wenn mich ebber Ebber, so viel als Jemand. am Arm zupfen und sagen thät: jetzt komm, es ist Zeit; es ist aber noch nicht stark genug, es muß noch stärker kommen. Müsset nicht greinen, das ist nichts; warum denn? ich bin gut aufgehoben. Ich dank' unserem Heiland, daß er mich's hat erleben lassen, daß mein' Hedwig einen braven Mann kriegt. Haltet euch nur in Ehren. Hedwig, er ist ein G'studirter, die haben oft Mucken im Kopf, ich weiß das von meiner Schwester her, du mußt Geduld mit ihm haben; denen G'studirten gehen oft ganz andere Sachen im Kopf 'rum und da lassen sie's am Unrechten 'naus. Lehrer und du mußt mein' Hedwig, mein' lieb' Hedwig –« Sie konnte nicht weiter reden, das Mädchen lag weinend an ihrem Halse.

Die Großmutter hatte ganz geläufig gesprochen, ihr Husten war vollkommen verschwunden, jetzt aber sank sie ermattet in die Kissen zurück; die Brautleute standen traurigen Antlitzes vor ihr. Endlich erhob sie sich wieder und sagte:

»Hedwig, hol mir des Valentins Christine, sie soll bei mir bleiben; ich sterb' heut noch nicht. Du [] darfst heut den ganzen Tag nicht mehr zu mir kommen, gehet miteinander und seid recht lustig, versprechet mir's, daß ihr recht lustig sein wollet.«

Der Lehrer ließ Hedwig zurück und holte die uns wohlbekannte Christine. Nun mußten sich die Beiden entfernen; aber ihr Herz erzitterte noch immer in Wehmuth, bis sie bei des Buchmaiers Agnes gewesen waren, die durch allerlei Munterkeiten ihre Seele erheiterte.

Dann gingen sie hinaus in das Feld, das weiße Huhn folgte ihren Fußstapfen, es war jetzt Herbst, man brauchte es nicht mehr einzusperren. Vom frischen belebenden Hauche der Natur angeweht, erwachte in den Beiden eine hohe, himmlische Freude, um sie her pflückte der Herbst die gelben Blätter, in ihnen aber lebte ein neuer, nie geschauter Frühling.

Andern Tages verlangte die Großmutter nach der letzten Oelung. Der Lehrer nahm dem Meßner den Dienst ab und ging mit der Laterne in der Hand dem Pfarrer voraus; ein großer Theil der Gemeinde blieb an der Thüre stehen und betete, während drinnen Maurita »versehen« wurde. Der einzige Gedanke, der den Lehrer bei dieser Handlung beherrschte, war: möchten doch die Freidenkenden ebenso zuversichtlich hinübergehen in den Tod. – Mit offenen, glänzenden Augen empfing Maurita das Abendmahl, dann kehrte sie sich nach der Wand [] zu, sie sprach nicht mehr; und als man nach einer Weile nach ihr umschaute, war sie todt.

Mit stiller, andächtiger Wehmuth, ohne lautes Weinen und Wehklagen wurde Maurita begraben. Alles im Dorfe trauerte. Selbst der alte Schmiedjörgli sagte mit ungewohntem Ernste: »Es thut mir von Herzen weh, daß sie todt ist; nun, jetzt kommt's an mich.«

Als der Lehrer von dem Begräbnisse nach Hause, d.h. zu Hedwig kam, umfaßte ihn diese weinend und sagte: »Jetzt bist du mir doppelt nöthig, ich hab' kein' Ahne nicht mehr.«

Dem Lehrer ward das Dorf von nun an noch einmal so werth und eigen, er hatte ein neues Leben darin gefunden und einen lieben Todten darin begraben.

So hätten wir denn die gute Maurita bis zum andern Leben und den Lehrer bis zu einem neuen Leben begleitet. Wir können der guten Großmutter nicht in den Himmel nachfolgen und wollen noch eine Weile zusehen, welch ein Leben der Lehrer auf Erden führt.

Im ganzen Dorfe hatte seine Verlobung Jubel und Freude erregt; selbst unter den Kindern, die auf dem Brandplatze spielten, gab es lebhafte Verhandlung, [] da das eine und das andere seine Verwandtschaft mit Hedwig und hierdurch mit dem Lehrer darthun wollte. Der Johannesle hatte sonst wenig Freunde im Dorfe, aber über das neue Ereigniß freute sich Alles. Jeder kam dem Lehrer entgegen, gab ihm die Hand und sagte: Ich wünsch' Glück und Segen; Jeder wußte etwas Liebes und Gutes von Hedwig zu erzählen. Männer und Frauen, die sonst vielleicht im Leben nicht dazu gekommen wären, so Zutraulich mit dem Lehrer zu sprechen, standen jetzt bei ihm wie alte Bekannte. Der Mathes kam zu ihm ins Haus, schüttelte ihm wacker die Hand und sagte:

»Ich war halt doch der wo's prophezeit hat, daß es so gehen wird; wisset Ihr noch? Ihr hättet mir weiß nicht was schenken mögen, ihr hättet mir kein' größere Freud' machen können. Wenn der alt' Lehrer stirbt, krieget Ihr auch die zwei Aecker, die er in Nutznießung hat; es sind gute Aecker und Ihr dürfet mir's nur sagen, ich schaff' Euch gern ein paar Tag d'rauf.«

Dem Lehrer that diese Zuthunlichkeit der Leute doppelt wohl, er erkannte ihr gutes Herz daraus und fühlte auch, wie er jetzt weit sicherern Boden gewonnen habe, um in das Leben aller dieser Menschen einzugreifen.

Die Menschen sind es nicht mehr gewohnt, daß man aus allgemeiner Liebe sich ihnen naht, ihnen [] frei und froh ins Auge schaut, sie zu erquicken, zu erfreuen, zu erheben trachtet. Sie wurden schon oft betrogen und getäuscht und meinen nun immer: man müsse etwas Besonderes dabei haben, dahinter müsse Etwas stecken; ja, sie erlauben Einem nur sie ohne Scheu zu lieben, wenn man mit ihnen blutsverwandt oder verschwägert ist.

Der Winter kam mit starken Schritten in das Dorf, die Menschen blieben zu Hause und genossen die Früchte ihres Fleißes, die sie bei sich eingesammelt hatten; Dreschen und bisweilen Dünger hinausführen war noch das einzige Geschäft. Als abgedroschen war, herrschte Stille im ganzen Dorfe. Nur hie und da hörte man einen fremden Hausirer durch die Gassen rufen: »Spindla, Weiber Spindla!« Der Schnee wirbelte, Niemand verließ gern die warme Stube. Da schlich am hellen Tage ein böser Geist auf leisen Sohlen durch das Dorf, es war: die Langeweile. Und wen der Geist ansah, der mußte gähnen oder zanken und Händel suchen. Die Zeit der Ruhe war keine Zeit der Erholung, denn die Leute wußten nicht, wie sie das lästige Ungeheuer, die Zeit, todtschlagen sollten. Junge Männer und ledige Burschen saßen oft ganze Tage im Wirthshause und kartelten; man schien aber doch an der überlangen Zeit noch nicht genug zu haben, denn man harrte bis zur letzten Minute der Polizeistunde aus. [] Andere gingen frühe zu Bette und verschliefen ihr Leben, wieder Andere wandelten schlechte Wege.

Man sagt: Müßiggang ist aller Laster Anfang, das Erste, was daraus hervorgeht, ist Langeweile, da weiß man nicht, wo man sich hinthun soll. Nur arbeitsame Menschen sind aus sich heraus fröhlich, friedfertig und gut, Müßiggänger aber werden zur Trunk- und Spielsucht verleitet, werden ärgerlich, zänkisch, ränkesüchtig und schlecht. Darum Hausen in vielen vornehmen Ständen Laster aller Art.

Während nun der größte Theil der Leute im Dorfe nur ein halbes Leben führte, war dem Lehrer ein doppeltes Dasein aufgegangen.

Man hat schon oft gesehen, daß ein Mensch aus einem heftigen Fieber auch körperlich um einige Zoll größer aufstand, so war in unserm Freunde, während er mit fliegenden Pulsen das Leben Hedwigs in sich aufnahm, auch die Erkenntniß des Volksthums schnell, ja fast wunderbar gereist. Wie er einst den »Geistesduft der Schönheit schlürfte,« der über die äußere Natur ausgeströmt ist, und die rohe Benützung den Anderen überließ, so erkannte er jetzt in einem Jeden ein höheres Dasein, er war ihm ein Vertreter des heiligen und ewigen Volksgeistes. Edler als er sich selbst erschien, erschaute er nun jeden Einzelnen, denn er suchte, erkannte und liebte die reinere Kraft und Weihe in ihm. Er stellte einen Jeden [] höher, als er sich selbst achtete, denn er achtete das höhere Selbst in ihm.

Er stand da als ein Mann, der das innerste Wesen Aller um sich her erkannte. Mit muthigem Entschlusse ging er nun daran, sie die »Freuden des Geistes kosten zu lassen;« er war jetzt gereist genug, durch die äußerliche Schale hindurchzudringen.

So saß er nun oft Abends im Wirthshause und las die Zeitung vor; er hatte viel zu berichtigen, denn der Studentle, an den man sich früher gewendet hatte, liebte es, den Leuten die verkehrtesten Dinge aufzubinden.

Ein kleiner Kreis hatte sich um den Lehrer gesammelt, Andere saßen an den Tischen und spielten, oft aber horchten sie auch hin nach dem, was der Lehrer vortrug und mancher Rams ging dabei verloren, Mancher legte die Kreide nicht an den bezeichneten Ort und erhielt einen Strich.

Die Männer gewannen nach und nach Zutrauen zu dem Lehrer und sprachen sich unverhohlener aus.

Trotz seiner innigen Liebe ward es unserm Freunde doch schwer, sich ganz in die Weise dieser Menschen zu versetzen.

Es ist leicht gesagt: ich liebe das Volk! Aber jederzeit persönlich bereit sein, auf allerlei Seltsamkeiten einzugehen, ohne sich an oft häßlichen Angewohnheiten und verhärteten Sitten zu stoßen, bald [] als Freund in beliebige Abschweifungen eingehen, bald als liebende Mutter sich selber keine Ruhe gönnen und mit Wonnelächeln jedem neuen Worte lauschen – dazu gehört eine Selbstentäußerung, ein Hinausgeben der eigenen Persönlichkeit, die nur der ächten Liebe möglich ist. Dank der gesunden Erkenntniß, sie war in unserem Freunde.

Eines Abends begann Mathes: »Herr Lehrer, ich muß jetzt dumm fragen, aber warum heißt denn auch die Zeitung: Schwäbischer Merkur und nicht Schwäbischer Merker, so soll's doch heißen, weil er auf alles aufmerkt, oder heißt's auf Hochdeutsch Merkur?«

»Du hast den Alten auf dem Nest gefangen,« sagte der Studentle, »du hast ganz recht, Mathes, die in Stuttgart verstehen nichts. Narr, ich thät an deiner Stelle 'nabgehen und thät's ihnen sagen, du kriegst gewiß das Präme.«

Der Lehrer aber erklärte, daß Merkur der Götterbote und der Gott des Handels im alten Griechenland gewesen sei.

»Ja, wie kommt denn der aber jetzt dazu, schwäbisch zu heißen?« fragte Mathes wieder.

»Das hat man eben so gemacht,« erwiderte der Lehrer; er hatte selber noch nie darüber nachgedacht.

»Ich muß jetzt auch noch was fragen,« begann Hansjörg. »Haben denn die Griechenländer an mehr als an einen Gott geglaubt?«

[] »Freilich,« erwiderte der Studentle, »der Ein' hat gemistet und der Ander' gesät, der Ein' hat geregnet und der Ander' donnert; für ein' jed' Sach' einen besondern Gott oder eine Göttin. Die Griechen haben sogar ihren Göttern erlaubt, daß sie heirathen.«

»Es werden halt Heilige oder Engel gewesen sein,« sagte der Maurer Wendel, »oder so Schutzpatronen; sie müssen doch einen Oberherrn gehabt haben, sonst wär's ja eine Gaukelfuhre zum Kranklachen so dumm.«

»Du hast den Thurm von Babylon auch nicht mitgebaut, Maurer,« bemerkte der Studentle, »freilich haben sie einen Oberherrn gehabt, einen Staatskerl, er hat nur ein eifersüchtig Weib gehabt, die hat ihm viel zu schaffen gemacht. Jetzt sag' du, Lehrer, ob's wahr ist oder nicht, sie glauben mir sonst wieder nichts.«

Der Lehrer sah zu seinem großen Leidwesen, daß er durch das Du seinem Schwager eine Stellung sich gegenüber eingeräumt hatte, die manches Nachtheilige brachte; er faßte sich indeß schnell wieder und gab den Bauern eine Uebersicht der griechischen Götterlehre. Er erzählte dabei einige Wundergeschichten, die viel Aufmerksamkeit erregten. Es kam ihm selber sonderbar vor, daß er hier in einer von Tabaksrauch erfüllten Schwarzwälder Dorfschenke die griechische[] Götterschaar herbeizog. Alles das hatte der Schwäbische Merkur gethan.

Viele Mühe kostete es, den Bauern auszureden, daß die Griechen doch »blitzdumm« gewesen seien. Er erzählte ihnen von dem frommen und weisen Sokrates und seinem Martertode.

»Dem ist's ja grad gangen wie unserm Heiland,« sagte Kilian von der Froschgasse.

»Allerdings,« erwiderte der Lehrer. »Wer eine neue, heilbringende Wahrheit gradaus an Mann bringen will, der muß dafür ein Kreuz auf sich nehmen.« Der Lehrer seufzte hierbei, er hatte diese Worte nicht ohne Nebenbeziehung gesagt, denn er fühlte wohl, wie schwer ihm die Aufgabe würde, die er sich gestellt.

Als die Männer weggingen, sagte Einer zum Andern: »Das war doch einmal ein schöner Abend, da lernt man doch was dabei und die Zeit geht 'rum, man weiß nicht wie.«

Der Lehrer hatte sich vorgenommen, den Bauern etwas aus der griechischen Göttergeschichte vorzulesen; glücklicherweise kam ihm aber am folgenden Abend ein ganz anderes Buch, nämlich eine deutsche Sprüchwörtersammlung, in die Hand. Als er nun in die Wirthsstube trat, zog er das Buch aus der Tasche und sagte: »Da will ich euch einmal 'was vorlesen.« Die Leute machten unwillige Gesichter, sie hatten[] einen tiefen Widerwillen gegen Bücher. Der Mathes gewann am ersten das Wort und sagte:

»Erzählet uns lieber, Herr Lehrer.«

»Ja, ja, erzählen, nicht lesen,« hieß es allgemein.

»Höret nur einmal ein wenig zu,« sagte der Lehrer, »wenn's nicht gefällt, könnt ihr ohne Scheu sagen: ich soll aufhören.«

Immer Pausen machend, begann nun der Lehrer die Sprüchwörter zu lesen.

»Ei, das sagt ja der Schmiedjörgli – und das ist ja des Brunnenbasche's Red' – das hat die alt' Maurita immer gesagt – und das ist dein Wort, Andres, Michel, Kaspar,« so hieß es von allen Seiten. Die Spieler hatten ihre Karten weggelegt und sich den Zuhörern beigesellt, denn manchmal erscholl auch ein lautes Gelächter, wenn ein derber Kernspruch vorkam.

Der Lehrer konnte sich den Triumph nicht versagen, die Frage zu stellen:

»Soll ich weiter lesen?«

»Ja, bis mornemorgen,« hieß es von allen Seiten und der Kilian von der Froschgaß sagte:

»Das muß ein grundgescheiter Mann gewesen sein, der das Buch gemacht hat, der hat Alles gewußt, das war gewiß einer von den alten Weisen.«

»Ja, das sind deine Leut', Kilian,« hieß es aus einer Ecke.

[] »Seid jetzt still,« hieß es von andern Seiten. »Herr Lehrer, leset weiter.«

So geschah. Manchmal kamen auch Berichtigungen und Zusätze vor, und es that dem Lehrer leid, daß er sie nicht aufschreiben durfte; er scheute dieß, denn er fürchtete mit Recht dadurch die Offenherzigkeit der Leute befangen zu machen. Ein wucheriges Leben war unter allen, eine nie empfundene Freude, hier ihre ganze Weisheit auf einem Haufen wieder zu finden. Auch Streit über die richtige Deutung und die Wahrheit des einen und andern Sprüchworts entspann sich unter Einzelnen, in welchen sich der Lehrer wohlweislich nicht mischte. Einige bedrängten dann die Streitenden, sie sollten jetzt nur aufhören, Andere den Lehrer, er solle nur weiter lesen. So waren alle voll Feuer, und unser Freund fand eine wohlige Genugthuung darin, es entzündet zu haben.

Als er am andern Abend wieder kam, waren mehr Bauern als gewöhnlich versammelt; sie fürchteten sich nicht mehr vor einem Buche, sondern umdrängten ihn Alle und fragten:

»Habt Ihr wieder so was Schön's wie gestern?«

»Ja,« sagte der Lehrer und zog ein Buch heraus; aber dießmal ging es nicht so leicht ab, es war Unkraut unter dem Weizen, der Studentle hatte ihn gesäet, denn er hatte einen Widerwillen gegen allen aufkommenden Ernst. Mit einigen jungen Burschen, [] die er gewonnen, saß er an einem Tische und sie begannen laut zu singen; der Lehrer wußte sich nicht zu helfen. Da sagte der Mathes:

»Hör' einmal, Constantin, schämst du dich nicht, du bist jetzt Gemeindeschreiber, daß du so Sachen machst?«

»Ich bin für mein Geld da und thu' was ich will,« er widerte der Studentle, »und Vorlesen gehört nicht in's Wirthshaus.«

Ein Murren entstand.

»Still,« rief Mathes, »keine Händel, da ist leicht geholfen. Adlerwirth, ich spring' schnell heim und hol' Holz, und da machen wir Feuer in die obere Stub'. Wer zuhören will, der geht mit 'rauf, und wer nicht will, kann da bleiben.«

»Ich hol' schon,« sagte Thaddä, der diesen Abend auch gekommen war, und machte sich rasch auf den Weg.

In der obern Stube glühte der Ofen bald, denn Thaddä wollte durch Nachschüren um kein Wort kommen; der Mathes setzte sich neben den Lehrer und putzte ihm das Licht. Der Lehrer las das Goldmacherdorf von Zschokke.

Trotz seines edlen Gehaltes hatte das Buch doch nicht die Wirkung, die der Lehrer wohl mit Recht erwartet hatte; es griff so unmittelbar an das Bauernleben, daß ein Jeder seinen Maßstab ohne Scheu an die getroffenen Einrichtungen anlegte.

[] Es würde zu weit führen, wenn hier alle ausgesprochenen Urtheile wiederholt werden sollten. Allemal, wenn der Ausdruck vorkam: »Oswald öffnete seinen Mund und sprach,« lächelte der Buchmaier, denn dieser Bibelton mißfiel ihm sehr. Manche Rede ging spurlos vorüber, manche traf aber auch den Nagel auf den Kopf, so daß die Leute einander ansahen und nickten.

Sonderbar! als zu Ende gelesen war, stellte sich heraus, daß die meisten Leute für das Dorf gegen den Oswald Partei ergriffen hatten. Der Mathes traf zuerst den Grund dieses Widerspruchs, indem er sagte:

»Mir gefällt's nicht, daß der Oswald so allein Alles gut machen will und muß.«

»Und ich möcht' sagen,« begann Thaddä, »ich möcht' ihm seinen Federbusch und seinen Stern 'runterreißen; er ist ein braver Kerl, er braucht das nicht.«

»Hast Recht,« sagte der Buchmaier, »er spielt überhaupt zu viel den Herrn, und sein Erbprinz da, zu was braucht man den? Aber ich bin dir grad in die Red' gefallen, Andres, du hast was sagen wollen; 'raus mit den wilden Katzen.«

»Ich mein', der Oswald wär' ein Häfelesgucker; daß er so viel vom Kochen versteht, hat mir nicht gefallen.«

[] »Und ich mein',« sagte Kilian, »die Bauersleut' seien viel zu dumm hingestellt; so arg ist's nicht.«

»Ja du bist doch auch ein Schriftgelehrter,« sagte Hansjörg. Alles lachte.

»Jetzt mein' Meinung ist,« sagte der Maurer Wendel, »das Dorf ist zuerst viel zu schlecht und nachher viel zu gut; ich kann's nicht recht glauben, daß es an einem Orte so ist.«

»Mich verdrießt am meisten,« sagte der Buchmaier, »daß zuletzt auch noch ausgemacht wird, was man für Kleider tragen darf. Das ist grad wie mit dem Thierquäler-Verein, das muß man einem Jeden selber überlassen. Und einmal hab' ich das Lachen kaum mehr verhalten können, wie der Oswald in seiner Uniform und mit dem Federhut all' die zwei und dreißig Mann einen nach dem andern umarmt; potz Blitz, das ist ein Geschäft!«

Der Lehrer zeigte nun, daß das Buch schon vor vielen Jahren geschrieben sei und alte Zustände behandle, daß es ein edles Buch sei, das viele beherzigenswerthe Lehren enthalte. Er bewies, wie sehr nöthig noch oft das äußere Ansehen, Geld, Uniform u.dgl. sei, um guten Absichten Eingang zu verschaffen, und schloß, daß man unrecht thue, wegen einzelner Kleinigkeiten so hart über das Ganze herzufahren.

»Davon ist kein' Red',« sagte der Buchmaier.[] »Wenn ich den Mann, der das Buch geschrieben hat, einmal sehen thät, ich thät den Hut vor ihm ab, lieber als vor dem größten Herrn, und ich thät sagen: Du bist ein rechtschaffener Herzmensch, du meinst's recht gut mit uns, so ist's.«

Als man sich endlich zum Fortgehen anschickte, stieß Thaddä den Mathes an und sagte leise:

»Sag's nur jetzt, sonst lauft wieder Alles auseinander.«

»Wie meinet ihr, ihr Mannen,« begann Mathes, »wie wär's, wenn der Herr Lehrer so gut sein wollt' und uns jed' Woch' ein paar Abend so vorlesen thät?«

»Ja, das wär' prächtig,« riefen Alle.

»Ich bin gern bereit,« sagte der Lehrer, »wir wollen morgen Mittag zusammenkommen, etwa im Schulzimmer; unterdessen kann sich jeder über den Verein besinnen und Vorschläge machen.«

»Ja, so ist's recht,« hieß es allgemein, und man trennte sich mit großem Behagen.

Andern Tages wurde die Versammlung gehalten, sie war stürmisch. Der Lehrer hatte mit dem Buchmaier einen Entwurf der Vereinsordnung aufgesetzt. Ein Punkt nach dem andern wurde verlesen und jedesmal eine Weile innegehalten. Da entstand dann allgemeines Zwiegespräch, man meinte, die Leute hätten Alle etwas zu bemerken, aber aufgefordert, [] ihre Ansichten mitzutheilen, schwiegen sie; nur Mathes, Hansjörg, Kilian und Wendel ergriffen laut das Wort. Ein allgemeiner, furchtbarer Sturm entstand aber, als verlesen wurde:

»So lange die Leseabende dauern, darf während derselben nicht geraucht werden.«

Das allgemeine Murren wollte gar nicht aufhören, bis endlich der Buchmaier das Wort ergriff, indem er dem Lehrer dabei zuwinkte, wie wenn er sagen woll te: »Hab' ich dir's nicht prophezeiht? Ich kenn' meine Leut'.« Er begann laut:

»Ich mein', man streicht das Gesetz vom Rauchen ganz weg.«

»Ja, ja,« erscholl es allgemein, wie aus Einem Munde. Der Buchmaier aber fuhr fort:

»Wer also das Rauchen nicht lassen kann, der soll in Gott's Namen rauchen; es wird aber dem Lehrer schwer werden, in dem Dampf zu lesen, und wenn er eben aufhören muß, so hört er auf, es kann's ihm Keiner verübeln. Aber das wollen wir doch feststellen: wer zu rauchen angefangen hat und die Pfeif' geht ihm aus, der darf sie nimmer anzünden, bis das Lesen aus ist, er kann dieweil schlafen, wenn er die Augen nicht aufhalten kann, aber schnarchen darf Keiner.«

Ein schallendes Gelächter entstand, nach welchem der Buchmaier fortfuhr:

[] »Vom Rauchen thun wir also gar kein Wörtle in's Gesetz, und auch das wollen wir nur so mündlich ausmachen: wenn das Lesen vorbei ist, soll einem Jeden ein besonder Licht aufgehen, er soll sich mit einem Papierle sein' Pfeif' anstecken. Ist's so recht oder nicht?«

»Ja, so ist's recht.«

»Und wer schwätzen will, muß die Pfeif' 'rausthun,« rief eine Stimme, man wußte nicht, von wem sie kam; der bescheidene Redner hat sich bis heute nicht entdeckt.

Eine fernere Beschlußnahme machte noch viel Hin-und Herreden, nämlich über den Ort der Zusammenkunft. Da fast sämmtliche Gemeinderäthe anwesend waren, wurde das große Vorzimmer im Rathhause dazu bestimmt, denn der Lehrer hatte aus richtigem Takte gegen die Erwählung des Schulzimmers Einsprache gethan.

Auf den Vorschlag Hansjörgs wurde festgesetzt: daß Jeder, der wolle, seinen Schoppen Bier vor sich haben dürfe, aber nicht mehr. Dieser Vorschlag gewann dem Hansjörg so viel Gunst, daß er nebst Kilian und Mathes in den Ausschuß des Lesevereins gewählt wurde.

Noch gar viele Schwierigkeiten waren zu überwinden, bis der Verein im regelmäßigen Gange war, aber eine Schaar Begeisterter hatte sich um [] den Lehrer gebildet, die ihm in Allem beistand, wozu besonders Mathes und Thaddä gehörten. Es war dem Thaddä nur leid, daß er nicht eine recht schwere Arbeit für den Lehrer thun konnte, er wäre gern für ihn in's Feuer gelaufen. – Dagegen hatte der Verein auch zwei heftige Feinde an dem Adlerwirth und dem Studentle. Jener sah seine Wirthschaft beeinträchtigt und schimpfte sehr auf den Lehrer, der, seitdem er Bräutigam geworden, auch nicht mehr bei ihm, sondern bei seinem Schwiegervater in Kost war; der Studentle aber witterte in Allem Frömmelei, er sagte offen: sein Schwager sei ein Betbruder, er wolle die Leute nur kirren, man werde schon sehen, wo das hinausgehe.

Gleichwie oft eine Staatsregierung die Demagogen zu Beamten macht und so für sich gewinnt, so machte der Lehrer den Studentle zum abwechselnden Vorleser. Nun, da er eine Rolle spielte, die seinem Stolze schmeichelte, ward er zum eifrigsten Anhänger des Vereins.

So lernte der Lehrer nach und nach die Menschen verstehen und lenken.

Den alten Lehrer und den jüdischen Lehrer suchte unser Freund ebenfalls für den Verein zu gewinnen, Ersterer aber war nicht dazu geneigt, um so eifriger und selbstthätiger aber der Letztere. [] Auch mehrere Juden, die als Ackerbauern und Handwerker stets zu Hause waren, nahmen lebhaften Antheil.

Die Auswahl der Bücher war schwierig. Unser Freund merkte bald, daß das Belehrende oder unmittelbar sittliche Zwecke verfolgende nicht ausschließlich vorherrschen dürfe. Ohne daher die Sache zur bloßen Unterhaltung zu erniedrigen, wurden Abschnitte aus der Limpurger Chronik, Gedichte von Gleim, das Leben Schubarts, Mosers, Franklins etc. vorgelesen. Besonders viel Freude machte auch die Geschichte von Paul und Virginie und Wallensteins Lager, dem einige Abschnitte aus dem Simplizissimus beigefügt wurden. Am meisten aber horchte Alles auf, als der Lehrer, der Studentle und der jüdische Lehrer »Hedwig, die Banditenbraut, von Körner« lasen; das Abenteuerliche, Salbungsvolle griff tief ein. Als das Stück zu Ende gelesen war, fragte Mathes: »Wie ist es denn mit den Räubern im Keller gegangen? Sind sie verbrannt oder hat man sie gerichtet?«

Der Lehrer mußte über diese theilnehmende Frage lachen, er wußte aber keine Antwort; vielleicht ist einer der Leser so gut und läßt ihm eine zukommen.

Mitunter wurden auch die alten Volksbücher gelesen, und besonders die Schildbürger erregten großen Jubel.

[] Allgemeine Bemerkungen in sein Taschenbuch einzutragen, dazu hatte der Lehrer nur selten Zeit und Stimmung; was er dachte, gab er sogleich den Männern preis, und was er dachte und fühlte, offenbarte er Hedwig und es war ihm genug, es so ausgesprochen zu haben. Dennoch finden wir einige Bemerkungen in den früher angezogenen Blättern:

»Wenn ich diese Blätter ansehe, ist es mir oft, als war ich früher ein sonderbarer Egoist; ich habe die Welt nur in mich aufzunehmen, nicht mich an sie hinauszugeben getrachtet. Was ist all' die eigensüchtige Verfeinerung der Gefühle gegen einen einzigen Gedankenfunken, in eine fremde Seele geworfen? Das ist tausendmal mehr werth als alle noch so sinnreich schwelgerischen Betrachtungen. Es ist gut und war wohl nöthig, daß ich diese hinter mir habe ....«

»Wie gar leicht ist es, groß, vornehm und gelehrt zu erscheinen, wenn man sich vom Volke zurückzieht, sich einen besondern Palast des Wissens und Denkens auferbaut, eine Burg auf hoher Bergesspitze, fern von den Thalbewohnern. Steigt man aber herab zu den Menschen in den Niederungen, lebt man mit ihnen und für sie, da erfährt man's oft, wie man bisweilen die einfachsten Dinge nicht weiß, die besten Gedanken nicht ahnt. Ich habe einmal [] gelesen, daß es Fürsten gibt, die sich dem Volke nie oder nur selten zeigen; da ist es freilich leicht, sich mit Majestät zu umhüllen.«

»Es ist tief bezeichnend und Wohl sinnbildlich, daß die Schriftsprache Wort und Begriff Bauer noch nicht bestimmt zu dekliniren weiß: der Bauer, des Bauern und – des Bauers.«

»Wie der Athem der Erde und des Meeres aus den höheren Regionen wieder als erfrischender und befruchtender Regen herniederträufelt, so kann und muß auch der Volksgeist, sein Denken und Fühlen aus der höheren Region des Schriftenthums wieder herabgelenkt werden in seinen Ursprung, das Volksgemüth.«

»Gewiß war mancher der berühmten griechischen Helden nicht gebildeter, so was man eigentlich gebildet nennt, als mein Hansjörg, Kilian, Mathes, Thaddä, Wendel u.v.a., von dem Buchmaier gar nicht zu reden; aber durch die öffentlichen Staats- und Rechtsverhältnisse, durch das öffentliche Kunstleben, durch den Gottesdienst, der aus dem innersten Kern des Volkslebens hervorgegangen, war eine Masse von Gedanken, Gefühlen, Anschauungen und zarten Regungen in der Luft. Die Leute lernten und hörten nicht wie wir bloß biblische Geschichten, Erzählungen von Menschen, die in ganz anderen Verhältnissen gelebt und keinen unmittelbaren [] Vergleich zulassen. Sie hörten von Vorfahren, die ähnlich gelebt wie sie selber, so und so gehandelt, so und so gedacht, einzelne Aussprüche und Anekdoten erbten sich fort von Geschlecht zu Geschlecht; alles das ging ihnen nahe, und wo es drauf und dran kam, waren die Nachkommen Helden und großsinnige Menschen wie ihre Vorfahren. Uns aber ist die Geschichte eines fremden verlorenen Volkes, des jüdischen, die heilige geworden, nicht die Geschichte unserer Nation ... Die Griechen kannten ihren Homer auswendig, er gab ihnen Sprüche und Bilder, die auf ihr Leben paßten: wir Deutschen haben noch keinen, der uns ganz das wäre; Schiller ist nicht für die ganze Nation in allen Bildungsschichten. Wir haben aber eine Nationalweisheit in den Sprüchwörtern, die sich unabhängig vom alten und neuen Testament gebildet hat. Wir haben das Nationalgemüth in schönster Fassung im Volksliede; das hatten die Griechen nicht.«

Bald nach der Stiftung des Lesevereins hatte der Lehrer auch einen Gesangverein aufgebracht; außer einigen jungen Männern hatten sich fast alle ledigen Burschen hiezu versammelt. Der Adlerwirt ward hiedurch versöhnt, denn der Gesangverein wurde in seine obere Stube verlegt. Obgleich unser Freund das Ganze im stillen leitete, überließ er doch die sichtbare Regierung dem alten Lehrer, der [] zu diesem Zwecke trefflich zu verwenden war. Klugerweise wurden hauptsächlich Volkslieder eingeübt. Die Leute freuten sich gar sehr, ihr Eigenthum hier verschönert in seiner Vollständigkeit wieder zu erlangen, denn fast Niemand im Dorfe kannte mehr von einem Liede alle »Gesätze«. Nach und nach wurden auch einige neue Lieder gelernt, sehr behutsam, aber nichts desto minder nachdrücklich Ton- und Taktübungen gehalten, und sogar die Noten einstudirt. Wie bei dem Leseverein der Gegenkampf des Studentle, so war hier die Anmaßung des Jörgli zu überwinden, denn dieser wollte als berühmter Sänger sich geltend machen und die Hauptperson spielen; dabei aber verhöhnte er jede taktmäßige Einübung. Es gelang nicht, den Jörgli ganz zu gewinnen, er schied aus, und der Verein drohte zu zerfallen. Die guten Folgen desselben hatten sich schon offenbar kund gegeben; viele gemeine, unzüchtige Lieder wurden von den besseren verdrängt, wenn auch vorerst nicht weil diese besser, sondern weil sie neu waren. So gewannen doch Worte und Klänge aus reineren Regionen Raum und weckten manchen zarteren Widerhall in den Gemüthern.

Nun aber sprengte der Jörgli überall aus, der Lehrer wollte den großen Leuten Kinderlieder einlernen, es sei eine Schande für einen erwachsenen Menschen solche zu singen; er gewann bald ziemlichen [] Anhang, und wenn auch noch einige dem Vereine treu blieben, so waren das doch nur Wenige. Der Thaddä wollte den Jörgli tüchtig durchprügeln, der Buchmaier aber fand ein gelinderes Mittel zur Aufrechthaltung des Vereins. Er lud nämlich den Pfarrer und alle bisherigen Mitglieder des Vereins mit Ausnahme des Jörgli zum Nachtessen am Sylvesterabend bei sich ein, dadurch gewann Alles wieder neues Leben.

Der Pfarrer hatte den Lehrer in seinen Bestrebungen ganz gewähren lassen, denn er war keiner von Jenen, die Alles in ihrer Hand haben und von sich ausgehen lassen wollen.

Am Sylvesterabend war nun großer Jubel beim Buchmaier, man trank, sang und scherzte.

»Herr Lehrer,« sagte der Buchmaier einmal, »wenn Ihr geheirathet habt, müsset Ihr auch einen Mädchengesangverein stiften.«

»Junge Weiber dürfen aber auch dabei sein,« rief Agnes.

»Ja, die müsset Ihr aber in einem Trumm fort singen lassen, sonst schwätzen sie dem Teufel ein Ohr weg.«

Manches Hoch wurde ausgebracht. Sonst ganz blöde Burschen wagten es hier vor Pfarrer, Lehrer und Schultheiß ein öffentliches Wort zu sprechen.

Zuletzt ergriff Thaddä das Glas und rief:

[]

»Unser Herr Lehrer soll leben,

Und sein' Hedwig daneben!«

Hoch! und abermals Hoch ertönte, es wollte fast gar nicht enden.

Mit Hedwig lebte der Lehrer im innigsten Verständnisse; sie leistete seinen Bildungsbestrebungen willig Folge, da er es nicht mehr darauf abgesehen hatte, ihre Natur umzumodeln, sondern nur sie frei zu entwickeln. Anfangs erging es dem Lehrer bei Hedwig sonderbar. Wenn er ihre Seele auf allgemeine Gedanken und Ansichten hinlenken wollte, machte er bei Allem große Vorreden und Einleitungen; er sagte: so und so meine er es und sie solle ihn recht verstehen. Da sagte einst Hedwig: »Hör' mal, wenn du mir was zu denken gibst oder sonst 'was anbringen willst, sag's doch grad 'raus, mach' kein so Schmierale drum 'rum, ich will dir nachher schon sagen, ob ich's versteh' oder ob ich's nicht mag.« Der Lehrer that dieses letzte Bruchstück seines vereinsamten, bloß innerlichen Lebens ab und lebte froh und gemeinsam mit Hedwig.

Selbst auf die Schule verbreitete sich bald der neu erwachte Geist des Lehrers. Er knüpfte seine Erzählungen und Beispiele geschickt an die nächste Umgebung an; emsig sammelte er an einer Geschichte des Dorfes, um sie künftig zum Anknüpfungspunkt [] und zur Veranschaulichung der Geschichte des Vaterlandes zu benutzen.

Manche kluge Leute wollen zwar behaupten, der Eifer des Lehrers werde bald erlahmen, wir aber dürfen vertrauensvoll das Beste hoffen.

Der Frühling nahte, die Glocken wanderten nach Rom um dort die Geschichte des Dorfes zu berichten, es ist gewiß, daß sie von dem vergangenen Winter weniger Sünden zu berichten hatten.

Ostern war vorüber und nun war der Tag der Hochzeit da, er war auf den Jahrestag festgesetzt, an welchem der Lehrer zuerst in das Dorf gekommen war. Am Vorabende ging Hedwig zu dem alten Lehrer und bat ihn, morgen auch ein recht schönes Vorspiel zu machen, da er die Orgel in der Kirche zu spielen hatte. Der alte Mann lachte in sich hinein und sagte:

»Ja, du wirst dich freuen.«

Am andern Tag ging es mit Musik zur Kirche. Hedwig gleichgeschmückt mit ihrer Gespiele, der Agnes, der Lehrer ebenso mit einem Strauße geziert, wie sein Gespiele der Thaddä; der Buchmaier, der Johannesle und der jüdische Lehrer hinter ihnen. – Als Alles versammelt war, begann der alte Lehrer das Vorspiel. Auf dem Antlitze eines Jeden schwebte ein Lächeln, denn der alte Spaßmacher hatte den Lauterbacher Hopser sehr geschickt in das [] Vorspiel verwebt. Gleich darauf begann der Gesangverein in würdiger Haltung das schöne Lied:

»Heilig ist der Herr etc.«

Mit freudigem Ernste wurde das Ehebündniß geschlossen. – Es sei gesegnet.

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TextGrid Repository (2023). German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-deu). Der Lautenbacher : ELTeC ausgabe. Der Lautenbacher : ELTeC ausgabe. . ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-ED55-8