Ab der Landstraße.
Ab der Landstraße, die durch das rauschende Waldthal führt, zieht sich ein Fahrweg bergan durch den Wald und dann zwischen lebendigen Buchenhecken nach einem einsamen Gehöfte, einer sogenannten Einzechte.
Die Gleise auf dem Wege sind alle gleich, denn hier bewegen sich nur Wagen von derselben Spurweite, wer hier auf und abzieht, hat mit dem Bauer von der langen Furche zu thun; denn dieser Weg gehört dem Furchenbauer zu eigen und führt nur zu ihm; wer von da wieder zurück will zu anderen Menschen, muß auf demselben Wege wieder umkehren.
So stattlich und weit sich auch Haus und Scheunen dort ausnehmen, die mit ihren grauen Strohdächern fast felsenartig in's Thal herniederschauen; sie haben doch nicht Raum genug für all das reiche Erträgniß des Feldes, denn hüben und drüben in den Feldern sehen wir die kegelförmig gebauten Garbenhaufen, Feimen genannt, die erst nach und nach abgedroschen werden und in den noch herbstgrünen Bergwiesen stehen lustige Scheunen, sogenannte Stadel, deren Wände und Dach von graugewordenen Brettern viel nahrhaftes Heu in sich bergen.
[] Dort etwas fern vom Hofe, am Rande des Bergvorsprunges jenes kleine aus Holz erbaute Häuschen, mit einer Thurmspitze geschmückt, das ist die Kapelle, die dem Hofe zu eigen gehört. An Sommerabenden oder auch am Sonntage wenn man nicht nach der mehr als eine Stunde entfernten Kirche gehen kann, versammelt der Hausherr seine Kinder und sein Ingesinde in dem Käppele (wie der Landesausdruck hier das Wort Kapelle umgewandelt hat) und vor den mit Blumen und Bändern geschmückten Heiligenbildern wird er selber eine Art Priester, indem er laut die üblichen Gebete spricht und Alles um ihn her kniet.
Wir sind längst auf Grund und Boden des Furchenbauern, aber der Weg ist noch lang genug, daß wir uns einstweilen erinnern können, zu wem wir gehen, bis wir den Mann selbst vor uns haben. Damals, als wir mit dem Brosi auf der lustigen Hochzeit in Endringen waren und den Bändelestanz entstehen sahen, damals hatten wir uns vorgesetzt, die Geschichte des Furchenbauern zu erzählen. Wer damals das glückselige und reich gesegnete junge Paar erschaute, konnte nicht ahnen, welch ein schweres Geschick ihm bevorstand, das sich mit der Zeit erfüllte.
Freilich, stolz und eigenmächtig war der junge Furchenbauer schon damals: hatte er ja dem armen Brosi einen Taglohn dafür geben wollen, wenn er mit Tanzen und Singen die Hochzeitsgäste erlustige; schon damals blickte der Furchenbauer mit einer stillen innern Verachtung auf Jeden herunter, der ihm nicht gleichstand und hielt es nur selten der Mühe werth, in[] Wort und Mienen das auszusprechen. Aber warum soll ein junger Baron in schwarzem rothausgeschlagenem Sammtrock, rother Weste und Lederhosen nicht eben so stolz sein wie einer mit Epauletten und goldgesticktem Halskragen? Der Furchenbauer konnte sich neben jedem Ritterbürtigen sehen lassen. Er war alleiniger Erbe oder wie man es hier zu Lande noch heißt, der Lehnhold des großen Gutes von der langen Furche, das sich in Wald und Feld weit über Berg und Thal ausbreitet; er hatte acht Roß im Stall, eben so viel Ochsen und die Doppelzahl Kühe und Rinder und Alles war schuldenfrei, denn er heirathete die Tochter des reichen fetten Gäubauern, des Vogts von Siebenhöfen, der den ehrenvollen Unnamen »der Schmalzgraf« hatte, und von dem Beibringen der Frau konnte die ausbedungene Losung der einzigen Schwester, die nachmals den Gipsmüller heirathete, blank ausgezahlt werden; der einzige Bruder, der sich dem geistlichen Stande weihte, erhielt nur einen Theil des ihm Zukommenden, das Uebrige ließ er auf dem elterlichen Hofe stehen, es war ja ohnedieß das einstige Erbe der Bruderskinder.
Mit einem stolzen gesättigten Behagen sah der Christoph, oder wie er jetzt – da ihm seine Würde erst den rechten Namen verlieh – hieß, der Furchenbauer am Morgen nach seiner Hochzeit zum Fenster hinaus und schaute zu, wie der Wind mit den Morgennebeln spielte, fast so wie er selber die Tabakswolken vor sich her blies. Der Vater hatte ihm die Zeit lang gemacht, Christoph war ledigerweise viel älter geworden, als die Bauernsöhne seinesgleichen, der Vater schien [] das Gut nicht lassen zu können, bis der Tod es ihm entriß. Christoph zürnte im Stillen oft darüber, aber er war in Gehorsam und Unterwürfigkeit erzogen und durfte sich nichts merken lassen; war es ihm ja übel bekommen, als er einmal scherzweise zu seinem Vater sagte: »Gebt Euer Sach doch her so lang ihr lebet, dann höret Ihr's auch noch wie man Euch Dank sagt.« Christoph hörte die Antwort darauf nicht, aber er fühlte sie. Nur auf Bedrängen der Gefreundeten und besonders des zweiten Sohnes, der damals Pfarrverweser in Reichenbach war, ließ sich endlich der Vater bewegen, an Christoph abzugeben. Er wählte seinem Sohne die ebenbürtige Frau und dieser willfahrte nach altem Brauch; aber als müßte es doch zur Wahrheit werden, daß der Vater das Gut bei Lebzeiten nicht lassen könne, starb er vor der Uebergabe und der Hochzeit. Am Morgen nach dieser dachte Christoph mit einem gewissen wehmüthigen Danke an den Vater; er hatte Recht gethan ihn nicht früher in das Gut einzusetzen, jetzt erst war er geeignet, der Furchenbauer zu heißen, und ein schönes reichgesegnetes Leben lag vor ihm ...
Die freudige Stimmung jenes ersten Morgens nach der Hochzeit ist schon lange verklungen. Wenn man bald vierzig Jahre im Besitze einer Macht ist, denkt man kaum mehr der Stunde, da man damit bekleidet wurde. Der Furchenbauer hat seitdem Mancherlei erlebt. Von neun Kindern waren ihm vier verblieben, drei Söhne und eine Tochter; er hatte die Freude, den ältesten zum Schmalzgrafen erhoben zu sehen, denn er erbte das Gut des Muttervaters; aber schon nach wenigen [] Jahren starb der rüstige Schmalzgraf mit Hinterlassung einer einzigen Tochter. Dieß war das alleinige Enkelchen des Furchenbauern, denn die andern Kinder waren unverheirathet, und wir werden bald sehen warum.
Wir sind am Hofe. Dumpfes Bellen und Kettenrasseln zweier Hofhunde, die in ihrem Bellen sich bald ablösen und bald zusammenstimmen, zeigt an, daß kein Fremder sich unbemerkt hier nahen darf; über das Bellen hinaus tönt aber der Taktschlag von sechs Dreschern und dazwischen vernimmt man das rasche Klappern einer Handmühle, der sogenannten Putzmühle, die statt des ehedem üblichen Wurfelns das Korn säubert. Häuser, Ställe und Scheuern sind im Gevierte gebaut, das Thor steht offen; halten wir aber noch eine Weile inne, bevor wir eintreten. – Auf der Leiter an einem Zwetschgenbaum im Hausgarten steht eine Frauengestalt in üblicher Landestracht, die rothen Strümpfe umschließen ein mächtiges Wadenpaar. Aus dem offenen Hofthore kommt ein schlanker junger Bauer, drei mächtige Strohbündel auf dem Rücken.
»Ameile, fall nicht abe,« ruft der junge Mann.
»Da unten ist auch schwäbisch,« antwortet es in die Zweige hinein und die Strohbündel hüpfen auf und nieder von dem Lachen des jungen Mannes, während die Frauengestalt wieder fragt:
»Was willst denn mit dem Stroh?«
»Der Bauer will, daß man die Breitlingäpfel dort dießmal nicht brechen soll, man hab' kein' Zeit dazu, ich soll sie schütteln und Stroh unterlegen. Steig abe und gieb mir die Leiter.«
»Bist zu steif? Kannst nicht 'naufkrebseln?« spottet [] das Mädchen, während der Bursche das Stroh ausbreitet und erwidert:
»Du sollst auflesen, ich muß gleich wieder an's Dreschen.« Behende ist er auf den Baum geklettert, der ganze Baum wird hin und hergeschüttelt, es rasselt in den Zweigen und dumpf prasselnd auf das knisternde Stroh und darüber hinaus fallen die rothbackigen Aepfel. Das Mädchen will bald da bald dort anfangen aufzulesen, aber wo es sich zeigt, wird ein Ast mächtiger geschüttelt und manchmal getroffen von einem Apfel grillt es auf und schilt den tückischen Mann auf dem Baume. Dieser steigt ab, schaut das Mädchen kurz an und will nach dem Hofe gehen.
»Du machst unsaubere Arbeit!« sagt das Mädchen lachend und fährt auf den Baum deutend fort: »Schau, dort hängt noch ein Apfel und dort noch einer.«
Im Fortgehen erwidert der Bursche:
»Du vergißst's immer wieder und ich hab' dir's schon oft gesagt: wenn man einem Obstbaum nicht Alles abnimmt, trägt er im nächsten Jahre um so gewisser.«
Ameile (Amalie) hält einen Apfel in der Hand und will den Weggehenden damit werfen, aber noch im Ausholen hält sie an, ein zweiflerischer Gedanke scheint ihr die Hand zu senken, sie steckt den Apfel in die Tasche und auf das Stroh kniend, rafft sie die Aepfel zusammen und singt dazu:
»Schätzele, Engele,
Laß mi e wengele –«
»Schätzele wasele?«
»Nur mit dir basele?«
[] Der Bursche, der eine Soldatenmütze auf dem Kopfe trägt und überhaupt eine soldatische Haltung verräth, geht wieder nach dem Hofe zurück, nimmt den Dreschflegel zur Hand und fällt taktmäßig in die Schläge ein.
Im Hofe.
Im Hofe, in dessen Mitte der große mit Stangen eingezäunte Düngerhaufen, daran eine Jauchenpumpe sich befindet, ist reiche lebendige Bewegung: da wird Korn auf einen Wagen geladen, dort Stroh und dort Aepfelsäcke getragen, die zahlreichen Hühner und Enten wissen geschickt auszuweichen und überall etwas zu ernaschen. Rechts von dem Eingangsthor unter einem breiten Hollunderbaume, der jetzt schon schwarze Beerenbüschel trägt, steht der Röhrbrunnen, der seinen hellen, armdicken Strahl in den langen Eichentrog ergießt und rings um den Brunnen ist der Boden vortrefflich gepflastert, so daß nicht wie sonst oft gerade hier Alles unsauber ist; der Abfluß des Brunnens hat einen gepflasterten Weg nach dem Baumgarten links am Thor und bildet dort sogar einen kleinen See. Die Kühe und Rinder werden zur Tränke geführt, denn die Ochsen und Pferde sind draußen im Feld beim Pflügen und Eggen. Der Kühbub knallt, daß es im Hofe widerhallt. Eine glänzend schwarze Kalbin, die auch nicht ein anderes Härchen hat und in Schönheit strahlt, tanzt lustig im Hofe hin und her, steht bald still und schaut wie neckisch und verwundert drein und hüpft [] dann wieder mit gehobenem Schweif auf und ab. Die Drescher, die eben eine neue Spreite auflegen, stehen unter dem Scheunenthor und betrachten mit lauter Bewunderung das schöne Thier und dieses scheint gefallsüchtig fast zu wissen, daß es bewundert wird, denn es macht immer freudigere Sprünge, bis endlich ein Mann aus dem dunkeln Schuppen ruft:
»Hannesle, gieb Acht, daß dem Schwärzle nichts geschieht, thu's ein.«
Das ist aber nicht so leicht, auch ein Thier läßt sich in seiner Lustbarkeit nicht gern unterbrechen, und erst mit Hülfe der Drescher, die sich wie es scheint, auch gern ein wenig im Freien umhertummeln, gelingt es dem Kühbub, das Schwärzle in den Stall zu bringen. Das Schwärzle ist eine wichtige und beliebte Erscheinung auf dem Furchenhofe, dem hohe Ehren bevorstehen und Jedermann spricht nur Gutes von ihm.
Wir wollen aber jetzt der Stimme aus dem Dunkel folgen, deren Ruf Alles gehorchte. Das rollt und quetscht und platzt in dem dunkeln Schuppen und ein eigener süßer Duft dringt uns entgegen. In einem fast halbrunden Eichentroge wird ein steinernes Rad gewälzt, das die eingeschütteten rothbackigen und grünen Aepfel zerdrückt und dort hinten rinnt es aus der Presse in die Kufe; wir sind beim Mosten. Ein einäugiger schlanker junger Bursche treibt die Stange vorwärts, die mitten im Steinrade steckt, und ein anderer älterer Mann mit röthlich grauem Haar drückt sie wie der zurück, wobei Einer dem andern hilft. Ein alter schlanker Mann mit enganliegenden schwarzen Lederhosen [] und Rohrstiefeln, die faltenreich niederfallen und blaue Strümpfe sehen lassen, hält eine längliche hölzerne Schippe in der Hand, wandelt an der freien Seite des Eichentroges auf und ab und schiebt je nach der Wendung die zerdrückten Aepfel zum bessern Auspressen unter das Rad, manchmal bückt er sich, um einen ganzen oder getheilten Apfel, der über den Rand des Eichentroges gefallen, wieder hineinzulegen.
Das ist der Furchenbauer. Er sieht langgestreckt, dürr und hartknochig aus, und das ganze Wesen hat etwas Zähes, Unbeugsames. Die weißen Haare, die den spitzen Oberkopf ringsum bedecken, sind kurz geschoren, die hohe Stirne ist runzelvoll, über den grauen Augen sind die Ausläufer der dicken Brauen in die Höhe gewirbelt, die linke mehr als die rechte, man sieht offenbar, daß der Mann seine Brauen oft mit der Hand bewegen muß, und wenn er auch die Augen ganz aufschlägt, hängt noch immer die Haut des Augenlides schlaff und fast wie ein Vordach auf den Backenwinkel des Auges, die Backenknochen stehen dürr hervor und tiefe Furchen ziehen sich zu beiden Seiten der knolligen Nase herunter; das sind Furchen, die das Schicksal gepflügt. Die schmalen Lippen des Mundes sind so sehr einwärts gezogen, daß man fast gar kein Roth sieht. Dabei hat der Mann in seinem Behaben noch etwas Bewegliches, wenn dieß auch eckig und herb ist.
Man wird in vielen Bauerngesichtern etwas Trotziges und Widersacherisches finden, es ist das nicht immer Ausdruck einer innerlichen Gemüthsverfassung, sondern rührt meist von der schweren Arbeit her, gegen die es [] oft ein trotziges Anstemmen, ja gewissermaßen ein feindseliges Besiegen gilt.
Wie jetzt der Furchenbauer nach einem großen Sack Aepfel ausgreift, um ihn zu wenden, haben seine Mienen etwas Grimmiges, das sich noch steigert, da er seiner Schwäche gewahr wird und ächzend ruft er:
»Helfet doch, ihr faulen Kerle!« Der ältere Mann gehorsamt rasch diesem Zuruf, der jüngere Einäugige aber sagt ruhig stehen bleibend:
»Vater, ich mein', es wär genug für heut. Ich möcht' lieber dreschen als mosten.«
»Ich weiß was du lieber thätest, gar nichts wär' dir am liebsten,« erwidert der Furchenbauer zornig und schüttet mit Hülfe des älteren Mannes die Aepfel in den Trog. Die Aepfel platzen und zischen wieder unter dem steinernen Rad und erst als Alles in die Presse gebracht war, als die Spindeln der Presse krachten und knackten und der Saft nur noch tröpfelnd in die Kufe floß; erst als der Einäugige schon zweimal gesagt hatte, daß die Drescher bereits aufgehört hätten, gehen die Drei endlich nach dem Röhrbrunnen, waschen sich dort die klebrigen Hände, die sie nur durch Abschütteln trocknen, und treten endlich in das Haus.
Die Drescher und Feldtaglöhner schienen schon lange auf den Hausherrn zu warten, sie umstehen den Sattler, den sich der Furchenbauer ins Haus genommen hat und der auf einem Seitentische der großen Stube ganze Felle zerschnitt, um daraus neue Pferdegeschirre zu machen und die alten in Stand zu setzen. Kaum ist der Hausherr in der Stube und plötzlich Stille eingetreten, [] als Ameile mit einer kübelartigen Schüssel eintritt und sie auf den mit einem Tuch bedeckten Tisch stellt; ihr folgen noch zwei Mädchen, die das Gleiche bringen. Nachdem man gebetet hat, setzt man sich wortlos an den Tisch. Der Bauer sitzt oben, links von ihm der Einäugige, rechts der schlanke Bursche, den wir heute schon beim Eintritte die Aepfel schütteln gesehen. Taktmäßig wie beim Dreschen langt Eines nach dem Andern mit dem Löffel in die Suppe. Die Mädchen sitzen am untern Ende des Tisches, unter ihnen Ameile, und nur leise sagt Eines dem Andern, ihm mehr Raum zum Sitzen zu geben. Die wahren Seen von Suppe sind bald verschlungen, ein großer Laib Brod geht von Hand zu Hand und Jedes schneidet sich mit seinem Taschenmesser einen Ranken. Niemand spricht ein Wort, außer wenn etwa der Bauer Einen anredet und die Antworten sind stets knapp und gemessen. Nun verlassen die Mädchen den Tisch und kommen rasch wieder mit Bergen von Leberklößen und Felsstücken von geräuchertem Fleisch. Das Sprüchwort sagt nicht umsonst: die können essen wie Drescher. Mit einer Ruhe und Nachhaltigkeit, die sich immer gleich bleibt, werden die Leberklöße vertilgt und erst als das Fleisch zum Vertheilen kommt, schnipfeln Viele nur an ihrem Theile herum, und kaum hat der Mann, der mosten geholfen hat, das Beispiel gegeben und das übrige Fleisch in ein Tuch gewickelt und in die Tasche gesteckt, als ihm auch viele Andere beherzt folgen. Der Bauer sagt nur noch, daß er morgen nicht daheim sei und Vinzenz die Aufsicht führe, ein Jeder schneidet [] sich noch ein Stück Brod, steckt es zu sich und man steht vom Tische auf. Nach dem Schlußgebete sagt der Bauer zu dem Burschen, der ihm zur Rechten gesessen:
»Dominik, wenn du draußen fertig bist, komm' 'rein, ich hab' dir was zu sagen.«
Nach einem Gutnacht in verschiedenen Tonarten verlassen die Drescher und Taglöhner mit schweren Tritten die Stube und erst draußen vor dem Hause hört man sie unter einander sprechen und lachen. Mehrere machen sich bald davon und zerstreuen sich in die Häuslerwohnungen, die da und dort im Thale stehen und an den Bergen hangen; nur einige, die aus fernen Gegenden sind, gehen in die Scheunen und legen sich in's Heu.
Die Bäuerin, eine alte wohlbeleibte Frau, kommt jetzt auch aus der Küche, bringt sich ihr Essen mit und verzehrt es neben ihrem Mann. Dieser sagt ihr, daß er morgen nach Wellendingen (einem in der Mitte des Bezirks gelegenen Dorfe) fahre, da dort das jährliche landwirthschaftliche Bezirksfest sei und daß Dominik das Schwärzle hinführen müsse; Ameile nehme er zu sich auf das Bernerwägele.
»Du solltest den Vinzenz mitnehmen,« sagt die Frau in etwas schüchternem Tone.
»Wie soll ich ihn denn mitnehmen? Ich kann ihn doch nicht die Kalbin führen lassen? Und er und der Dominik können nicht miteinander vom Hof weg sein. Wenn ich was sag', mußt du dich vorher dreimal besinnen, eh du was dreinredest.«
»Ich hab' nur gemeint, weil du doch auch für den[] Vinzenz ein Mädle aus einem rechtschaffnen Haus finden kannst –.«
»Da brauch' ich ihn grad nicht dazu, das kann ich am besten allein. Zuerst muß Ich die Sach' fertig haben, dann kommt erst er.«
Die Bäuerin schweigt und der Bauer liest die Zeitung, den Wälderboten, den der Milchbub, wenn er Morgens die Milch nach der Stadt führt, mitbringt, den aber der Bauer täglich ruhig warten läßt und die Weltnachrichten, Vergantungen und Fruchtpreise jedesmal erst am Abend wenn alle Arbeit abgethan, liest. Er zwirbelt sich dabei mit der Hand die linke Augbraue und manchmal fährt er sich über die Stirne, denn er liest heute zerstreut. Der Gedanke, daß er keinen ebenbürtigen Nachbar habe und darum für seine Kinder sich auswärts umthun müsse, geht ihm durch den Sinn. In dem Blättchen stand, daß in Klurrenbühl wiederum Liegenschaften versteigert werden. Der Hofbauer von Klurrenbühl war der einzige ebenbürtige Nachbar gewesen, aber er hat schon vor Jahren sein Gut verkauft und ist Papierer geworden. Der Hirzenbauer von Nellingen hat die unverzeihliche That begangen, sein schönes, von alten Zeiten her unzerspaltenes Gut unter seine Kinder zu zertheilen.
Der Furchenbauer schüttelt den Kopf und holt tief Athem, er schaut nachdenklich steif in's Licht, dann steht er plötzlich auf und stellt sich fest hin indem er beide Fäuste ballt; er mag es fühlen, daß er bald der Einzige ist in der Gegend, der einzige mächtige Stamm, während Alles ringsum abgeholzt ist. Er ist fest genug, sich von keinem Sturm entwurzeln zu lassen.
[] Ja, der Furchenbauer gleicht einer mächtigen Tanne, und wie diese oft in ihrer Wurzelausbreitung auf ein Felsstück stößt, aber unbehindert ihre Wurzeln darüber hinstreckt und den Fels in sich einkrallt und wie dieses Wurzelgeäste harzgetränkt lichterloh brennen kann, so ist auch der Furchenbauer unbewegt, einen Gedanken wie einen Felsen mit den Wurzeln festhaltend und helle Flammen in sich bergend.
Ein Knecht mit verschiedenen Anliegen.
Nach geraumer Weile tritt Dominik der Oberknecht ein und stellt sich ruhig wartend an den Tisch des Sattlers. Der Bauer liest noch ein wenig weiter, dann sagt er aufschauend:
»Du stehst heut Nacht um zwei auf und giebst Acht, daß gut gefüttert wird, besonders das Schwärzle, und vor Tag machst du dich mit dem Schwärzle Wellendingen zu. Du fahrst den Hennenweg über Jettingen, der Boden ist oben linder als auf der Landstraß und das Schwärzle hat weiche Klauen, du thust recht gemach und laßst dir Zeit. Daß du mir aber ja nicht über Nellingen fahrst; kannst deiner Mutter Bescheid geben lassen, daß sie zu dir nach Wellendingen kommt. Du ziehst dein Sonntagsgewand an und in Wellendingen im Apostel wartest auf mich, wenn ich noch nicht da bin.«
Ohne ein Wort zu sagen, will Dominik weggehen, da ruft ihm noch der Bauer nach:
[] »Kannst dich auch freuen, du kriegst morgen eine Denkmünze, weil du jetzt schon bis Martini elf Jahr bei mir dienst.«
Dominik stolpert über einen Stuhl als er die Stube verläßt.
»Soll ich dir was mitbringen von Wellendingen?« fragt Dominik in der Küche beim Pfeifenanzünden das Ameile, und diese erwidert:
»Ich fahr' mit dem Vater. So? Gehst du auch hin?«
»Ja, und ich krieg' ein' Denkmünz und das Schwärzle vielleicht auch. Mensch und Vieh ist eins. Es ist nur schad, daß man die Menschen nicht auch verkaufen und metzgen kann.«
»Der Dominik thät bitter und sauer schmecken,« sagt die Großmagd, eine stämmige und handfeste Person, während ihr verliebter Blick sagt, daß ihr dieser grobe Witz keineswegs ernst war. Ameile aber setzt hinzu: »Es muß dich freuen, Dominik, daß du den Ehrenpreis kriegst. Wenn ich ein Dienstbote wär' –«
»Dann wärst du nicht des Furchenbauern Ameile,« unterbricht sie Dominik und geht davon, denn er hörte wie die Stubenthür sich öffnet. Die Bäuerin ruft Ameile in die Stube.
Bald kommt Ameile wieder, nimmt die kupferne Gelte und geht damit zum Brunnen. Die Nacht ist stille und sternlos, am Himmel jagen sich die Wolken, aus den Ställen vernimmt man das Kettenrasseln der Pferde, das Brummen der Kühe und Ochsen, ein lautes Zwiegespräch zwischen Knechten oder fremden Taglöhnern, das oft von Lachen unterbrochen wird,[] und der Kühbub stimmt jetzt auf seinem Lager ein einsames Lied an.
Die Gelte ist schon lange bis über den Rand gefüllt und lauft über, aber noch steht Ameile mit auf der Brust über einander geschlagenen Armen träumend davor. Ein plötzlicher Windstoß macht den Hollunderbusch rauschen und sich beugen, der Brunnenstrahl wird seitwärts gebogen und Tropfen davon gerissen, die Ameile ins Gesicht spritzen, sie wischt mit der einen Hand die Tropfen ab und steht wieder still. Jetzt vernimmt man ein Geräusch in der Stallkammer, Ameile ruft den Kühbuben um ihr aufzuhelfen, aber statt des Gerufenen kommt Dominik.
»Holst noch Wasser?« sagt dieser die Gelte Ameile auf's Haupt hebend und sie erwidert:
»Ja, und weil du da bist, grüß' mir dein' Mutter und sag' ihr, ich schick' ihr mit Nächstem was.«
»Dank, weiß nicht, ob ich mein' Mutter seh.«
»Ja und wegen dem Ehrenpreis muß ich dir noch einmal sagen, du mußt dich mit freuen, du versündigst dich, wenn du's nicht thust. Ich freu' mich auch mit. Es ist ja auch eine Ehre für uns, daß du so lang bei uns bist, und sei nur recht stolz.«
»Freilich, freilich,« erwiderte Dominik, »gut Nacht.«
Ameile geht nach dem Hause, aber schon auf halbem Wege begegnet ihr die Mutter, die nach Dominik ruft und als dieser bei ihr steht ihm sagt:
»Du mußt morgen in Reichenbach anhalten und schauen was mein Alban macht. Wir haben seit der Heuet nichts von ihm gehört. Des Nagelschmieds Vreni [] soll jetzt auch in Reichenbach bei ihrer Schwester sein, sag ihm, er soll doch von ihr lassen, dann wird wieder Alles gut.«
Dominik kommt endlich zu Worte:
»Der Bauer hat mir verboten über Reichenbach zu fahren, ich soll den Waldweg über Jettingen.«
»Geh du nur über Reichenbach. Du wirst schon eine Ausrede finden, und wenn alle Sträng' brechen, nehm' ich's auf mich; thu's mir zulieb und bring' mir Bescheid.«
Dominik zuckt die Achseln und antwortet: »Will sehen was zu machen ist.«
In dem Herzen dieses Knechtes gehen an diesem Abende seltsame Kämpfe vor. Er gesteht es sich selbst nicht und hütet sich wohl, es irgend eine Menschenseele merken zu lassen, daß er eigentlich seines Bauern Tochter liebt. Das ist ein unverzeihlicher wahnsinniger Uebergriff, und sowohl um sich selbst zu wahren als auch um als treuer Diener seines Herrn zu bestehen, sucht er jede Aeußerung dieser Zuneigung zu bekämpfen. Das hätte aber Alles nichts gefruchtet, wenn er nicht erwogen hätte, daß es ein unnützes und frevlerisches Spiel sei, das Kind – denn er betrachtete Ameile noch immer als Kind, weil er schon ein hochaufgeschossener Bub war, ehe sie noch in die Schule ging – das Ameile, das ihn wie einen alten Ohm ansah, mit solchen Dingen zu plagen, und wenn sie auch einst oder vielleicht morgen an einen Großbauern verheiratet wurde, so war's besser, sie hat nichts davon gewußt. Heute Abend in der Küche hat er sich aber doch etwas verrathen, und die Großmagd, die ihm allzeit nachstellt [] und auflauert, hat ihn so verwunderlich angesehen, daß er sich darob ärgerte. Die morgige Preisbelohnung ist ihm auch zuwider. Diese öffentliche Schaustellung hat noch nicht die Form gefunden, in der sie wirklich volksthümlich wäre. Nun kommt noch der Kampf dazu, daß er nicht weiß, soll er dem Bauer oder der Bäuerin folgen; ersteres ist ihm doch genehmer, denn er hatte sich vorgenommen trotz des Verbotes nach Nellingen zu eilen und seine Mutter zu sehen, bei der er seit Weihnachten nicht gewesen war. Wenn er den Befehl des Herrn übertritt, wär's doch besser, das für sich zu thun als für Andere.
Ein Dienstbote ist doch allezeit angebunden, sein Leben und seine Tage gehören einem Fremden.
Im Zorn über dieses Gefühl der eigenen Abhängigkeit weckt Dominik mit Schelten und Püffen seinen Untergebenen, den Kühbub, der ein Sohn des Nagelschmieds ist, und befiehlt ihm die Nacht aufzubleiben, damit er zur Zeit wecke.
Auf dem Hofe ist es jetzt still und dunkel wie ausgestorben, der Halbmond blickt bald unter jagenden Wolken hervor und verschwindet schnell wieder, und die Häuser und Scheunen des Furchenhofes mit ihren schweren wie Kappenschilde überhängenden Strohdächern erscheinen wie unförmliche Felsengebilde. Die Hofhunde sind von der Kette gelassen und schleichen still und frei umher, legen sich bald da bald dort nieder und richten sich wieder auf bei jedem Geräusche. Der Kühbub geht hinab in den Hofraum und spielt mit den Hunden, um sich wach zu erhalten; der Türkle, ein rother Wolfshund, [] ist zuthulich und leutselig, der Greif aber, ein schwarzer böhmischer Schäferhund, knurrt wenn sich ihm der Kühbub naht und selbst als er ihm ein Stück Brod reicht, ist dies verschwendet, er hat es in einem Schluck weg, bleibt aber unwirsch. Er ist wahrscheinlich stolz, sei es auf seine Wissenschaft, weil er kunstgerecht auf den Mann dressirt ist, oder auf seine Abkunft, denn er stammt mütterlicherseits von edler Rasse. Mitten in der sternlosen Nacht, in der Kameradschaft mit dem einen Hunde, geht dem Kühbuben eine glorreiche Zukunft auf. Er hat gehört, daß der Dominik einst auch als Kühbub auf den Hof gekommen war und der war jetzt Oberknecht und der nächste beim Bauer und bekam morgen eine Denkmünze. Solches kann ihm einstmals auch werden. Der zukünftige Oberknecht erlabt sich besonders an dem Gedanken, wie er dann seine Untergebenen strenge halten wolle, die mußten ihm auf den Pfiff gehorchen. Das ist eine Aussicht, die leicht wach hält. Bei der trüben Stalllaterne betrachtet der Kühbub die doppelgehäusige Taschenuhr des Oberknechts und gedenkt der Zeit, wo er einst eine solche zu eigen haben werde; ja er wagt es sogar, die Pfeife des Dominik in den Mund zu nehmen und kalt daraus zu rauchen. Und mitten in der Nacht steigt in dem barhauptigen Kühbuben ein großer Gedanke auf. Ein reicher Bauernsohn zu sein, das wäre doch noch besser als sich zum Oberknecht aufzuschwingen; da hat man nichts zu thun als gehörig zu wachsen, und wenn man groß geworden, hat man Haus und Vieh und Aecker von selbst. Warum haben's die Einen so leicht und [] die Anderen so schwer? ... Das ist ein Räthsel, das der Kühbub noch nicht gelöst hat, als er den Dominik weckt, und nur das Eine hat er davon erobert, er läßt sich das rauhe Wesen des Oberknechtes leichter gefallen, denn er lacht ihn innerlich aus, er ist ja doch kein Bauernsohn und hat noch einen über sich.
Nächtige Rückerinnerung.
Noch als das Licht gelöscht war, hatte der Bauer seiner Frau gesagt, daß er auch hoffe, morgen für das Ameile einen rechten Bräutigam aufzubringen, die Frau hatte nichts geantwortet, denn sie betete still für sich und in ihr Gebet schloß sie einen Namen ein, den sie schon seit bald einem Jahre nicht vor ihrem Manne nennen durfte, es war Alban, seit dem Tode des Schmalzgrafen ihr ältester Sohn ...
In dem Hause, wo überall nichts als Fülle und vielgepriesener Wohlstand sich kundgab, wachte in stiller Nacht die Mutter und klagte um ihren Sohn, der in der Fremde als Knecht dient. Sie brach bald ab und wollte einschlafen, denn sie hatte auch eine wunderbare Macht über ihre Gedanken und konnte sich zwingen, Störendes und Unruhvolles zu verbannen. Wie zu lästigen Bettlern konnte sie jetzt zu Erinnerungen, die mit klagender Stimme an sie herantraten, barsch und doch wieder wohlwollend sagen: kann euch heute nicht brauchen, kommet morgen wieder, oder ein andermal – und sie gingen. Heute aber verschlug das nicht ...
[] Das eigene Leben der Bäuerin durfte rasch an ihr vorüberziehen. Ohne Neigung, aber auch ohne Widerstreben hatte sie als reiche Bauerntochter den gleichbegüterten Furchenbauer geheirathet. In den bald vierzig Jahren ihrer Ehe hatte sie es nicht vergessen, daß ihr das herbe und schroffe Wesen ihres Mannes viel Herzeleid gemacht, aber sie hatte sich daran gewöhnt. Dennoch blieb sie dem oberländischen Wesen noch vielfach fremd. Auf einem großen einsamen Bauernhofe aufgewachsen, kam sie als Frau wieder in einen solchen, sie kannte wenig von der Welt, aber hier war doch Alles anders; sie stammte aus dem viel mildern geschmeidigern Unterlande, hier oben war Alles wie mit der Holzaxt zugehauen. Daheim auf Siebenhöfen hatte sie oft bei der Heuet im Thale die Flözer vom Schwarzwald auf dem Neckar mit einander schreien und fluchen hören, daß man meinte, sie hätten die gräßlichsten Händel und würden beim Zusammentreffen einander erwürgen und mit ihren Aexten das Hirn spalten, und am Ende war's nichts als ein tapferer Zuruf. So sah sie auch bald, daß viele Heftigkeiten in Haus und Hof nicht so bös gemeint waren, es gehörte eben zu der lauten »herrscheligen« Art und Weise der Menschen. So sehr sie aber dies erkannte, blieb sie doch diesem Leben fremd, sie hatte noch immer die Sitten ihres väterlichen Hauses im Sinne und wenn später ihre eigenen Kinder unbändig waren, sagte sie oft: »So sind halt des Furchenbauern.«
Dieses stete Rückschauen nach der Heimath, dieses Preisen derselben als eines allezeit friedsamen stillen[] Paradieses, brachte in der ersten Zeit manches Zerwürfniß zwischen den Eheleuten, bis die Bäuerin endlich einsah, daß ihr Mann Recht hatte, wenn er ihr sagte: »Du glaubst, bei dir daheim hätten sie alle Gutherzigkeit in Beschlag genommen und des Schmalzgrafen hätten das Beßthaupt kriegt. Wenn's drauf ankommt, wirst schon sehen, daß wir auch ein Herz im Leib haben, grad so gut wie ihr.«
Und das war in der That der Fall.
Der Furchenbauer war offenbar ein rechter Mann, karg an Worten, aber arbeitsam von früh bis spät, pünktlich und auf Ehre haltend; er ließ seine Frau in ihrem Bereich gewähren, er wußte was sich für einen großen Bauernhof und für die Tochter des Schmalzgrafen schickte. In solchen Verhältnissen hat man überhaupt nicht lange mit Gemüthsangelegenheiten zu thun, der Tag hat seine hundertfältigen Pflichten; in einem solchen großen Anwesen gilt es überall zur Stelle zu sein, anzuordnen und selbst Hand anzulegen, und das ruhige Gefühl, Alles gehörig im Stand zu halten, und dazu noch ein gewisser Stolz der Herrschaft und des Besitzes füllt Alles aus.
Die beiden Eheleute lebten in Frieden und hielten einander in Ehren.
Es mag hart klingen, aber es ist doch wahr und erweist sich bei näherer Betrachtung auch milder: bei den Bauern, besonders aber bei den Großbauern, ist die Ehe vielfach nur ein Vertragsverhältniß in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes. Erkennen die Eheleute, daß die Verschiedenartigkeit ihrer Naturen sich [] nicht zur Einigkeit verschmelzen läßt, so tritt ein gegenseitiges selbständiges Gewährenlassen ein. Hier wo die Hausfrau gleichmäßig mit dem Manne für den Besitzstand zu arbeiten hat, erfüllt ein Jedes den Kreis seiner Pflicht ohne weitere Anforderung. Die Arbeit für Erhaltung und Vermehrung des Besitzthums ist die Wesenheit des Lebens, dem die Heilighaltung des geschlossenen Bundes noch eine gewisse Weihe ertheilt, und kommen Kinder, so erblüht die Verträglichkeit auch wiederum oft zur Liebe.
Offene Zerwürfnisse oder gar Trennungen aus Mangel an Liebe kommen darum im Leben der Großbauern fast nie vor.
Nur selten, zu einem Jahrmarkt, zu einer Gevatterschaft oder Hochzeit verließ man den Hof, und die Bäuerin hörte überall mit Befriedigung, wie hochgepriesen sie und ihr Mann waren und wie sie als eine Zierde der ganzen Gegend galten, so daß es immer hieß: solche Bauersleute seien schon lange nicht in der Gegend gewesen. Die Bäuerin hörte solchen Lobpreis immer mit ruhigem Behagen an, sie hatte sich von ihrem Mann angewöhnt, auch kein übrig Wort zu reden. Nie kam es ihr in den Sinn, von ihrem Reichthum einen andern Genuß haben zu wollen als den, ihn zu erhalten und zu vermehren und wie sich's gebührt, den armen Leuten der Gegend ihre Gaben zukommen zu lassen. Die schwere Kriegszeit, die in den Anfang ihrer Ehe fiel, verschonte auch den Furchenhof nicht, ja sie brachte Noth und Gefahr. Gegen eine Einquartirung, die sich unziemlich gegen die schöne[] Bäuerin benahm, fuhr Christoph mit der ganzen Heftigkeit seines Wesens auf und nur ein Zufall rettete ihn vom Todtschlage. Damals fühlte die Bäuerin recht deutlich, welch ein Mann der Furchenbauer war und in dem Gedanken, daß sie ihn hätte verlieren können, wie lieb sie ihn hatte. Nur das Einemal sagten dies die Eheleute einander und sonst nie.
Der Furchenbauer lebte ganz für sich, er schloß sich an Niemand an, er hatte keinen Freund, keinen Vertrauten; mit seiner Schwester und seinem einzigen Schwager, dem Gipsmüller, lebte er in oberflächlicher Beziehung, die sich nachmals durch einen Streit in gegenseitiges einander Vergessen verwandelte; nicht einmal mit seiner Frau beredete er was er vorhatte, er war eine einsame Natur, ohne Anhänglichkeit und ohne Abhängigkeit, man kann fast sagen: er selber war ein geschlossenes Gut.
Es kamen mehr Kinder als sonst in einem solchen Bauernhofe gewöhnlich ist. Der Bauer war oft unwirsch; wenn er aber den Neugeborenen auf den Armen hielt, war er seltsam weich und liebevoll. Vier Kinder lagen auf dem eine Stunde weit entfernten Kirchhofe, drei Söhne und Ameile waren geblieben, der Alban war nach dem Schmalzgrafen der älteste, Vinzenz der jüngste. Da wurde abermals ein Sohn geboren, und als zwei Tage darauf Vinzenz mit dem Vater vom Kornmarkt heimfuhr, sagte der kecke Bursche:
»Vater es ist ein' Schand und Spott und Ihr solltet Euch auch schämen wie ich, daß ich noch ein kleines Brüderchen bekommen hab'.« Der Furchenbauer [] ward über diese Rede so wild, daß er ihn niederwarf und ihm mit dem Peitschenstiel so in's Gesicht hieb, daß er ihm ein Aug' ausschlug.
Das war ein Jammer, als der Vater mit dem einäugigen Sohn heimkam und in derselben Stunde war das kleine Brüderchen gestorben, dem die Wehmutter noch die Nothtaufe gab.
Es war nun ein seltsam zerstörtes Leben auf dem Furchenhofe. Der alte Bauer lebte in Unfrieden mit sich und mit der Welt, er schlug die Augen nieder wenn er den Vinzenz sah, den er so jämmerlich verletzt hatte und verhätschelte ihn auf allerlei Weise. Der Vinzenz zeigte jetzt ein herrisches und tückisches Wesen und lebte in stetem Hader mit seinem ältern Bruder Alban, der bis jetzt, so weit es ging, der natürliche Herrscher des Hauses gewesen war. Denn Alban war zu Allem anstellig und allezeit aufgeweckt und wußte besonders gut mit den neuen Pflügen, Häckselschneide- und Säemaschinen umzugehen, die der Furchenbauer angeschafft hatte, da er den Ruhm eines aufgeklärten Landwirthes besitzen und es gern so weit es seinem Vortheil entsprach, den studirten und adeligen Gutsbesitzern der Gegend gleichthun wollte. Jetzt schien Alles auseinanderzufahren, Niemand war mehr recht bei der Arbeit; aber ein festgefugtes Anwesen hat so viel innere Stetigkeit, daß es auch ohne besondere Leitung noch eine Weile seinen geregelten Gang fortgeht; und dazu kam noch, daß Dominik sich jetzt in seiner ganzen Verständigkeit und Treue zeigte: er ließ die drin im Hause zanken und schelten und sorgte unermüdlich dafür, daß [] Alles in Feld und Stall und Scheunen gehörig vollführt wurde. Der Furchenbauer fand endlich einen glücklichen Ausweg. Alban hatte schon oft gewünscht, in eine Ackerbauschule einzutreten, jetzt ward ihm das gewährt. Kam diese Gewährung auch für Alban etwas zu spät, er ließ sich doch auf Zureden der Mutter, der Schwester und des Dominik zu deren Annahme bewegen, und nach seinem Weggang schien auch wieder Friede und Ruhe im Hause zu herrschen. Nur sah man den Furchenbauer oft heimlich knirschen, der Vinzenz schien ihn allerwege zu quälen und seine Befehle zu verhöhnen, und so reichlich er ihm auch gegen seine Gewohnheit Taschengeld gab, er war damit nie zufrieden und man mußte bald da bald dort Schulden für ihn bezahlen und allerlei böse Streiche vertuschen. Vinzenz hatte es Niemand gesagt, wie er um sein Auge gekommen war, die Drohung damit gegen den Vater ward eine ergiebige Quelle für allerlei Gewährung. Endlich schien auch dies sich beizulegen, Vinzenz wurde arbeitsamer und häuslicher und der Furchenbauer eröffnete seiner Frau, daß er sich entschlossen habe, dem Vinzenz einstmalen das Gut zu übergeben, der Alban sei ein aufgeweckter Bursche, der sich leicht durch die Welt bringen und eine reiche Lehnbesitzerin erobern könne; denn die meisten großen Bauerngüter waren oder heißen noch Lehen. Die Mutter hatte nichts dagegen einzuwenden, in ihrer Heimath war es ohnedies Sitte, daß nicht der Aelteste sondern der Jüngstgeborne das väterliche Erbe erhielt und den anderen Geschwistern eine nothdürftige Abfindung ausbezahlte. Sie ahnte wohl, daß diese [] Neuerung hier zu Lande und besonders bei Alban nicht so glatt abginge, aber sie beschwichtigte ihre Sorge, ja sie freute sich vollauf der nun wieder herrschenden Eintracht; sie war eine kluge und behagliche Frau, die die Freude des heutigen Tages nicht mit Kummer um kommende Zeiten verscheuchte.
Der Völkerfrühling und ein flammendes Jünglingsherz.
Zu Lichtmeß 1848 kehrte Alban wieder auf den väterlichen Hof zurück. Die Mutter hatte ihre Freude an dem schönen Burschen und betrachtete ihn oft, als wäre er ein Fremder. Die braunen Haare, die nur am ovalen Hinterkopfe ganz glatt geschoren waren, trug er auf dem breiten Oberhaupte gescheitelt. Wie leuchtete die weiße Stirne, doppelt hell über dem sonnverbrannten Antlitze mit dem braunen Schnurr- und Knebelbarte, wie glänzten die braunen Augen, die er so hoch aufschlug, daß man unter den tief hereinstehenden Brauen gar kein Augenlid sah. Er trug ein nach vorn geöffnetes kurzes graues Burgunderhemd, die sogenannte Blouse, und alle seine Bewegungen, jeder Schritt, jede Stellung und Wendung war allezeit geschlossen und mit gesammelter Kraft, Alles machte den Eindruck der Frische und straffen Jugendlichkeit. Die Mutter hatte nicht allein ihre Freude an dem schönen Sohne, wer auf den Hof kam, konnte sein nicht Rühmens genug finden und die ganze Gegend war stolz auf ihn. Die Mutter hatte es vollkommen getroffen, [] wenn sie nach dem landesüblichen Ausdruck sagte: »Mein Alban ist ein waidlicher Bursch,« denn mit waidlich bezeichnet man das Hurtige wie das Jugendfrische.
Begriff und Wort Jüngling sterben jetzt allmälig fast aus: Alban war noch ein Jüngling in der frischen Bedeutung des Wortes, kindlich hingebend und hell aufflammend. Er war in dem Jahre seiner Abwesenheit fast jünger geworden. Er hatte ein freies Behaben aus der Fremde mitgebracht, das aber heimathlich anmuthete. Er hatte fremde Gedanken mitgebracht wie auch fremde Lieder, die man ihm bald auf dem Hofe nachsang, aber zum Ruhme seiner Lehrer wie seines eignen Naturells muß gesagt werden: er hatte sich in keinerlei Weise der Heimath entfremdet, sein Wesen hatte nur etwas Sonntägliches und das paßte ganz zu dem neuen glorreichen Sonntag, der jetzt über der Welt aufgegangen war. Einstimmig wurde Alban zum Leitmann gewählt, als man, von dem noch jetzt unerklärten Franzosenlärm geschreckt, sich vorerst mit gestreckten Sensen bewaffnete. Auch Dominik war mit unter den Bewaffneten, der Furchenbauer hatte ihm ausdrücklich die Erlaubniß gegeben.
Wie oft stand die Mutter mit Ameile hinter dem »Käppele« und schaute nach dem Thal, wo ihr Sohn wie ein Feldherr regierte, oder sie ging gegen ihre Gewohnheit am Werktage nach dem Thal, um in der Nähe zu sehen wie ihr Sohn commandirte, und mit Hülfe des Dominik und des Nagelschmieds, eines ehemaligen Soldaten, der als Häusler und Taglöhner auf dem Hellberge wohnte, militärische Ordnung einübte. Wenn [] er dann mit der schwarzrothgoldenen Schärpe angethan mit ihr nach Hause ging, sagte sie ihm oft: »Du könntest Offizier sein,« und dann erzählte er ihr von der Schweiz, wohin er mit dem Lehrer und den Genossen eine landwirthschaftliche Reise gemacht hatte und wo die reichen Bauernsöhne Offiziere seien, das ganze Jahr nach Pflicht arbeiteten und nur zu den alljährlichen Uebungen einrückten. Die gute Frau ließ oft der freudige Gedanke nicht schlafen, daß ihr Alban Offizier sei.
Der Furchenbauer sah die Erwählung seines Alban doppelt gern und zog daraus manchen trostreichen Gedanken, den er aber in sich verschließen mußte.
Schon die Erwägungen, die bei der Wahl der Führer in Dörfern und Städten zu Tage kamen, zeigten eine gewisse Unentschiedenheit der Gemüther, die sich bald im großen Ganzen kenntlich und verderblich darstellte. Es herrschte die allgemeine Stimmung, daß der Nagelschmied als ehemaliger Soldat und redlicher gescheiter Mann Führer sein sollte; man sah das wohl ein, aber man wollte doch auch wieder einen Mann von Ansehen, der auch Bedeutung hatte. Die Parteien vereinigten sich zuletzt und um Allem gerecht zu sein, wählte man keinen Hofbauern, sondern den Sohn eines solchen und Alban war nach Stellung und Persönlichkeit dazu am geeignetsten.
Auf dem Hofe standen Knechte und Mägde oft bei einander und der Hauptgegenstand ihres Gespräches war der Alban, wie der so gut und zutraulich gegen Jedermann sei und selbst der Kuhbub wußte Lobendes von ihm zu erzählen, Alban hatte ihm versprochen, daß er [] Trommler werden solle und er übte sich einstweilen mit zwei Stücken auf dem Melkkübel. In die Dienstleute schien ein unruhiger Geist gefahren: unversehens standen Mehrere bei einander und plauderten von allerlei Abenteuerlichem, von einer ganz neuen Welt, die jetzt anfange. Auf der ersten Volksversammlung, die man erlebte und die in Wellendingen gehalten ward, hatte ein Advokat öffentlich ausgerufen: »Die ganze alte Welt wird jetzt auf den Abbruch versteigert.« Dies Wort wurde von einsamen Wanderern über Berg und Thal getragen, man glaubte daran wie an einen Bibeltext und manche Predigt wurde darüber gehalten. Der Furchenbauer zankte oft über diese »Ständerlinge;« aber behutsam, diese Unruhe, die in alle Menschen gefahren war, däuchte ihm nicht geheuer. Es war ihm nur lieb, daß sein Sohn Anführer war, das schützte ihn gegen das Räubervolk, denn als solches betrachtete er jetzt alle Nichtbesitzenden, die sich in der That jetzt die kecksten Waldfrevel ungeahndet erlaubten und kein Förster hatte Muth gegen sie. Dem Alban folgten die Dienstleute auf einen Augenwink und mit dem größten Eifer. Ohne besondere offizielle Erklärung wurde der Thronfolger Alban jetzt Mitregent und der Dominik, der zum Oberknecht ernannt war, erster Minister. Der Furchenbauer mußte bekennen, daß Alles gut von statten ging, wenn ihm gleich die vielen freundlichen Ansprachen an Dienstleute und Taglöhner nicht gefielen; aber es war jetzt eine neue Welt. Hätte Alban jetzt das väterliche Gut von ihm verlangt, er hätte es ihm geben müssen, trotzdem er dem Vinzenz mit Handschlag versprochen, [] ihn einzusetzen und darauf mit ihm das Abendmahl genommen hatte. Alban dachte an nichts weniger als an derlei Dinge. Er fühlte wohl, daß sein einäugiger Bruder, der nicht gleich ihm in der Fremde gewesen war, sich bedrückt fühlen und neidisch gegen ihn sein mußte; er behandelte ihn daher trotz seines unwirschen Gebarens mit zuvorkommender Liebe und wo er nur konnte, stellte er ihn voran und ließ ihn Befehle ertheilen. Vinzenz ließ sich das gefallen, er verschloß in sich hinein die Gedanken und Plane, daß wieder andere Zeiten kommen werden, wo der Alban froh sein werde, wenn er ihn als Verwalter oder Knecht zu sich nehme. In der Kammer, wo die beiden Brüder schliefen, herrschte Friede und Eintracht. Vinzenz sprach wenig, desto mehr aber Alban und wenn der Vater nach seiner Gewohnheit, von der er nicht lassen konnte, manchmal an der Thür horchte, ging er kopfschüttelnd weg. Der Alban offenbarte allezeit ein so grundklares lauteres Gemüth und war dabei so geschickt und welterfahren, daß es ihm manchmal leid that, ihn nicht in das Gut einsetzen zu können; der würde einen Hof hinstellen, wie landauf und landab keiner zu sehen war. Er tröstete sich aber wieder damit, dem Alban könne es nicht fehlen, sich eine reiche Lehnbesitzerin zu holen, die fürnehmste, die er wolle; der Vinzenz aber war vom Vater verstümmelt und konnte sich ohnedieß nicht selber helfen.
Jenes wonnige Beben, das damals die gedrückten Herzen in ganz Europa durchzitterte, jene freudige Ahnung, daß die Zeit der Noth und der Ehrlosigkeit[] vorüber sei, machte sich damals auf dem Furchenhofe und in der Umgegend in eigenthümlicher Weise geltend. In Wald und Feld, mit Axt und Pflug in der Hand, schaute Jegliches oft plötzlich aus, als müßte ein Wunder kommen, ein neues Erlösungswerk, das auf einmal Alles richte und schlichte.
Es war die Zeit der Zeichen und Wunder, alle Sehnsucht und alle Verheißung, die mehr oder minder klar in den Gemüthern ruhte, sollte ihre Erfüllung finden; die Erlösung war da für die hochstrebenden, die ganze Menschheitentwicklung erfassenden Geister, wie auch für diejenigen, die in beschränkte Gesichtskreise eingeschlossen waren.
Die Hoffnung, daß eine Zeit gekommen sei, in der man seines Schweißes froh werde, bildete sich oft abenteuerlich aus. Oft wenn Einer in verborgener Thalschlucht oder tief im Walde arbeiten mußte, überkam es ihn plötzlich wie ein jäher Schreck, daß er jetzt den Triumphzug versäume, der die Heerstraße dahinzieht und Alles glückselig macht. Die Taglöhner sprachen oft wild durcheinander wegen Vertheilung der Allmend und des Gemeindewaldes, wegen Erhöhung des Tagelohnes und Kürzung der Arbeitszeit, und mancher lang verwundene und halb vergessene Schmerz kam an den Tag. Alban sprach da und dort mit beredtem Munde und hatte einen hülfreichen Beistand an dem verständigen Nagelschmied, der mit seiner Tochter Vreni auf dem Furchenhof als Taglöhner arbeitete. Der Nagelschmied hieß nur noch so, aber er war es nicht mehr. Noch vor wenigen Jahren hatte er im Sommer als [] Taglöhner auf den benachbarten Höfen gearbeitet und im Winter Nägel geschmiedet, wobei ihm seine Frau und seine Goldfuchsen, wie er seine Kinder mit röthlichbraunem Haare nannte, halfen, und besonders die zweitälteste Tochter Vreni zeigte eine große Kunstfertigkeit. Durch ein Verbot der Regierung wurde ihm dieß Gewerbe untersagt, weil es nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht unter die freien Gewerbe gehörte. Vreni hatte das Strohflechten erlernt, und so oft sie zur Feldarbeit ging oder von derselben heimkehrte, sah man sie mit grobem Geflechte beschäftigt; zu dem feineren waren ihre Hände durch die Feldarbeit und die frühere Thätigkeit in der Werkstätte ungeschickt geworden.
Jetzt hoffte der Nagelschmied wieder sein Gewerbe aufnehmen zu dürfen, und Alban versprach, ihm zur Anschaffung des Handwerkszeuges, das er in der Noth verkauft hatte, behülflich zu sein.
Auf dem Furchenhofe wurde allzeit mit doppelter Lebhaftigkeit und unter Lachen und Singen gearbeitet, Jeder war lustig ohne zu wissen warum und ohne weiter darnach zu fragen. Im Frühling, wo gerade die härteste Nothzeit ist, da die Wintervorräthe aufgebraucht sind, vertheilte Alban freiwillig Korn als Vorschuß unter die Taglöhner und der alte Furchenbauer mußte ihm trotz der Widerrede Recht geben; denn andere Großbauern wurden zu Dem gezwungen, was er freiwillig gethan hatte und wofür er nun Dank erhielt.
Alban und der Vater ritten einst zu der großen Versammlung in Wellendingen, die der Candidat für die Stelle eines Reichstags-Abgeordneten anberaumt[] hatte. Alban war auf dem Heimweg ganz erfüllt von den feurigen Worten, die er vernommen, er hatte zum Erstenmal unter freiem Himmel befreiende Worte gehört und mit eingestimmt in den tausendstimmigen Jubel. Als er auf dem Heimweg sein Herz gegen den Vater ausschüttete und endlich sagte: er müsse dem Volksmann seine Stimme geben, sagte der Vater:
»Ja, das thu' ich auch. Man muß jetzt mitthun.«
»Und ich mit,« rief Alban.
»Ja so,« fuhr der Vater fort, »du stimmst ja auch? Das hab' ich fast vergessen. Freilich es ist ja jetzt Alles gleich, Vater und Kind und wer was hat und wer nichts hat; es ist All eins. Ich bin froh, daß ich tief in den Sechzig bin, das ist kein' Welt für mich; die Bettelleut dürfen nicht mitreden, der Nagelschmied darf nicht mitstimmen wie ich.«
Alban schwieg, er traute sich's nicht zu, seinen Vater zu anderer Ueberzeugung zu bringen; auch war er an die natürliche und altherkömmliche Oberherrlichkeit des Vaters gewöhnt und wagte es nicht ihm geradezu zu widersprechen.
Man würde indeß dem Furchenbauer schwer Unrecht thun, wenn man einen gewissen Freimuth desselben in Zweifel zöge.
Der Bauer auf Einzechten – wie man die weit auseinanderliegenden geschlossenen Güter nennt – ist ein ganz anderer, als der in den Dörfern lebt. Die Alles in ihr Netz spannende neue Regierungskunst, oder vielmehr Polizeikunst hat nur eine lose Verknüpfung mit solchen einsamen Höfen und nur selten betritt ein[] Diener der Obrigkeit die oft einen großen Theil des Jahres unwegsamen Pfade, welche dahin führen. Dadurch bildet sich in dem Hofbauer die eine Seite des freistaatlichen Lebens: das Gefühl der Unabhängigkeit und dessen eifersüchtige Wahrung mächtig aus. Die Markscheide, wo die Unabhängigkeit zu Eigensucht wird, tritt nur selten zu Tage. Hat die Büreaukratie aus den Bürgern in Städten und zusammenhängenden Dörfern jeden Gemeinsinn, jede Selbstthätigkeit für's Allgemeine allmälig gründlich ausgetrieben, so ist der einsame Bauer draußen oft gar nie dazu gekommen.
Unser Furchenbauer galt von jeher als ein Liberaler und er war dieß auch nach dem bisher gewohnten Begriff. So oft er mit den Beamten in Berührung trat, war er stolz und zäh. Wenn er aufs Amt kam, sagte sein Gang, seine Miene: »Was seid denn ihr Schreiber gegen mich? Ich bin der Furchenbauer,« und nur Einmal vertraute er in sonst nie vorgekommener Offenherzigkeit dem Hirzenbauer von Nellingen einen Geheimgedanken mit den Worten: »Die Beamten haben doch weit mehr Respekt vor Einem, der kein unterthäniger Jamensch ist, wenn sie ihn auch nicht leiden mögen.« Dazu kam, daß trotz seines Stolzes ihm die Vertraulichkeit der angesehenen Männer aus der organisirten liberalen Partei wohlthat; er duzte sich mit mehreren Advokaten und sogar mit dem ausgetretenen Geheimrath, der trotz seines Liberalismus doch beharrlich Geheimrath betitelt wurde. Der Furchenbauer hörte sich gern als freien Mann rühmen, der nach Niemand was zu fragen habe, er sprach bei den Wahlversammlungen [] nie öffentlich und kaum mit einem Nachbar, aber bei der Abstimmung war er fest und sicher.
Jetzt war eine andere Zeit gekommen. Freilich war es schön, daß zwei von den Duzbrüdern des Furchenbauern jetzt Minister waren. Damit sollte aber auch die Welt zufrieden sein, und unerträglich war's, daß jetzt Jeder die Keckheit hatte, auch ein Liberaler sein zu wollen; das ist doch etwas, was nur Leuten zusteht, die nach Niemand was zu fragen haben, wie kommt so ein Häusler dazu? Und himmelschreiend war's, daß jetzt auch ein Kind, das noch keinen Kreuzer eigen Vermögen besaß, mitstimmen durfte wie der Vater.
Diese Wahrnehmungen machten den Furchenbauer oft unwirsch, aber er verschloß seinen Widerstreit in sich. Nur Einmal gab er ihn kund, indem er Alban befahl und als dies nichts half, ihn sogar bat, von seinem Stimmrechte keinen Gebrauch zu machen; aber Alban ließ sich das nicht nehmen, er hatte von der Volksversammlung das Schlagwort mitgebracht: »Wehrpflicht, Wahlrecht;« und was er einmal in seinem Herzen aufgenommen, ließ er nicht mehr los. Alban war bei der Volkswehr und ein Jubeltag war es für ihn, als er zum Erstenmal im Leben seine Stimme abgab. Vinzenz hatte dem Vater willfahrt und darauf verzichtet.
Freies Gut, freies Brod, und ein Blitz vom Himmel.
Im Laufe des Sommers kam ein Ereigniß, das auch den alten Furchenbauer plötzlich für die neue Zeit [] gewann. Der Furchenhof war noch von Altersher ein sogenanntes Erblehen, auf dem mancherlei Lasten und Abgaben ruhten; jetzt durften diese allesammt abgelöst werden. Der Hof, den man nahezu auf hunderttausend Gulden schätzen durfte, wurde durch die Ausbezahlung von sechstausend Gulden freies Eigenthum, an dem Niemand mehr irgend einen Rechtstitel hatte. In baarem Geld brachte der Furchenbauer die Summe auf das Kameralamt und kam doppelt glückselig und freudestrahlend wieder, denn er hatte in der Stadt gehört, daß fortan auch die adeligen Gutsherren unter dem Schultheiß stehen wie jeder Andere.
»Jetzt bin ich so viel wie ein Baron und ich schaff' mir jetzt für unser Käppele eine Glock' an, ich darf's jetzt so gut wie ein Baron; ich brauch' Niemand darum anfragen,« sagte der Furchenbauer zu seiner Frau und seinen Kindern und strich sich behaglich mit der breiten Hand über die rothe Brustweste. Er ging lächelnd und behend durch Ställe und Scheunen, auf die Felder und in den Wald und betrachtete Alles neu, als grüßte er's erst jetzt als sein rechtes Eigenthum. Vinzenz zuckte mit dem einen Auge als der Vater am Abend zu ihm und Alban sagte:
»Ihr Buben kriegt's besser als wir's gehabt haben, ihr seid Freiherren.«
»Ja, und jetzt darf man mit dem Hof schalten und walten wie man will,« setzte Vinzenz hinzu.
»Vor der Hand bleib' Ich noch ein' Zeitlang Freiherr, Punktum,« schloß der Vater und keiner der Söhne wagte mehr ein Wort zu reden; sie mußten es schon [] als eine Gnade ansehen, daß der Vater so viel mit ihnen gesprochen hatte.
»Der Professor aus der Volksversammlung hat Recht gehabt,« sagte Alban halb für sich, »es darf keine Grundherren mehr geben, nur noch einen Himmelsherrn.«
Der alte Furchenbauer antwortete nichts hierauf.
So lange schon dieser Boden die nährende Frucht hervorbringt und von Geschlecht zu Geschlecht sättigt, wurde die Sichel gewiß noch nie freudiger gehandhabt als in diesem Jahre, und der erste Garbenwagen, den Dominik vierspännig in den Hof einführte, war bekränzt und ihm nach jauchzten Schnitter und Schnitterinnen. Alban hätte gern den ersten Garbenwagen unter dem Gesang aller Arbeitenden in den Hof geleitet, aber das ging jetzt in der hohen Ernte nicht an. Wenn auch das Wetter ständig schien, durfte man doch keine Minute Zeit verlieren; denn nur was man glücklich unter Dach oder in Feime und Stadel hat, darf man erst recht sein Eigen nennen. Der Vater hätte es nicht geduldet, daß man Zeit damit verlor, einen Kranz zu winden, und darum war es klug von Vreni, daß sie einen fertigen Kranz mitgebracht hatte.
Der alte Furchenbauer sah scheel dazu, aber er sagte nichts, als Alban an einem Nagel des Scheunenthores ein Papier aufhängte, die Garben beim Abladen zählen ließ und die Summe auf das Papier verzeichnete; er wollte dem Alban den unschuldigen Stolz gönnen, die neue Art zu zeigen, die alles Erträgniß buchte. [] Noch war der eine Wagen nicht abgeladen als schon ein anderer vor der Scheune hielt und so ging es fort bis zum Abend; Mensch und Thier war in rastloser Thätigkeit und vor Allem schien sich die Kraft und Behendigkeit Albans zu vervielfältigen. Er war überall.
Die Sonne war schon hinabgesunken und nur noch leichte rothe Wolkenstreifen standen ruhig über den blauen Waldbergen und kündigten für morgen einen gleichen gesegneten Tag, als man für heute den letzten Garbenwagen einführte, und hinter ihm sangen Schnitter und Schnitterinnen helle Lieder und die Lerchen über den Feldern erhoben sich nochmals zum letzten Abendsang. Alban ging unter den Taglöhnern und sang mit, seine Stimme tönte rein und hell; er hatte auf der Ackerbauschule nach Noten singen gelernt, war aber den Weisen seiner Heimath in nichts fremd geworden, er stimmte mit doppelter Lust ein in den Gesang, der von Natur sich vierstimmig setzte. Seine Stimme und die Vreni's begannen stets.
Jeder der Vreni sah mußte gestehen, daß sie eine frische und anmuthende Erscheinung war, wenn Mancher auch die Zartheit ihrer Gesichtsfarbe auf Rechnung ihres braunen röthlich glänzenden Haares schrieb, das ihr wie allen Kindern des Nagelschmieds die Bezeichnung der Goldfuchsen gegeben. Niemand aber ersah Vreni so schön als Alban. Wenn er seinen Blick auf sie richtete, erglühte ihre Stirne, sie senkte das Auge in Demuth, aber aus ihrem ganzen Angesicht leuchtete es wie eine Strahlenglorie. Jetzt beim Singen hielt sie zum Erstenmal seinen Blick unverwandt mit offenem [] Auge aus, aber Alban wendete sich plötzlich von ihr ab und ward still. Sein Blick war fest auf den Garbenwagen geheftet: der brachte das erste Brod des wahrhaft freien Mannes und das Auge Albans leuchtete hell, denn er dachte der Männer, die dort in der alten Reichsstadt die Ernte einthun, rathen und helfen, daß Freiheit und Wohlstand allüberall sei. Noch einmal jauchzte er hellauf als man in den Hof einfuhr.
Nach dem Abendessen ging es erst recht lustig her, denn es kam ein Mann, der mit dem Athem seines Mundes Alles tanzen und springen machte. Auf dem Hellberge in der ehemaligen Nagelschmiede wohnte das alte Müllerle, genannt »die Obedfüchti« (Abendfeuchtigkeit) weil es in der Regel in der Dämmerungsstunde vor den Bauernhäusern erschien und die Klarinette blies. Die Obedfüchti arbeitete nicht und sorgte nicht und war doch allzeit lustig und wohlauf. Vor Zeiten war das Müllerle ein Kamerad des Geigerlex gewesen und war auch ein Nachkomme jenes närrischen Musikanten, der am Felsen beim Hellberge sein Leben vergeigte und wovon der Fels noch immer den Namen: des Geigerle's Lotterbett hat.
Auf dem Furchenhofe war die Obedfüchti bei Alt und Jung beliebt und ging nie leer aus.
»Die Obedfüchti! die Obedfüchti!« schrie Alles, als man jetzt Klarinettenton vom Hofe hörte und trotz der Ermüdung von der Arbeit wurde noch in der Tenne getanzt.
Alban war auch hier der unermüdlichste, aber obgleich seine hübschen Basen, die beiden Töchter des Gipsmüllers, auch dazu gekommen waren, tanzte er[] doch fast ausschließlich mit der Vreni, der Tochter des Nagelschmieds. Vinzenz hinterbrachte dem Vater, daß Alban im Jubel der Vreni zugerufen habe, sie müsse Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Der Vater hatte schon lange bemerkt, daß Alban mit der Vreni Etwas habe, er hatte nichts dagegen, daß sein Sohn mit dem, wie er selbst gestehen mußte, »bildsaubern Mädle« seine Lustbarkeit trieb, das darf ein reicher Bauernsohn; aber was soll ein solches Geschwätz?
Bevor Alban schlafen ging, rief ihn der Vater zu sich und sagte ihm:
»Ich will dir ein für allemal zu wissen thun: mach' mir mit der Vreni keinen so Spaß mehr.«
»Was hab' ich denn than?«
»Du hast ihr gesagt, sie muß Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Das geht über den Spaß. Oder willst's leugnen?«
»Nein, es kann sein, daß ich's gesagt hab'.«
»Du hast's gesagt. Punktum. Und so ein Spaß darf nicht mehr vorkommen.«
»Nein,« schloß Alban und ging tiefathmend die Treppe hinauf. Hatte er bei der ersten Probe seine Liebe verleugnet? Bei aller innigen Hingebung, bei aller leicht beschwingten Freudigkeit lastete doch ein geheimer Druck auf dem Herzen Albans, der sein scheinbar so entschlossenes und festes Wesen in stillen Stunden zaghaft und zweiflerisch machte. Nicht sowohl das Hauswesen als die ganze starre Art des Vaters war ihm bei der Heimkehr fremd und unerträglich. Der Lehrer in der Ackerbauschule hatte ihm beim Abschied an's Herz [] gelegt und die Mutter fast mit denselben Worten das Gleiche wiederholt, er möge in Liebe und Demuth die altgewohnte Weise des Vaters aufnehmen und ihm dankbar und erkenntlich sein, auch wo ihm seine Art widerstrebe. Wäre Alban in ruhigen Zeiten wieder in das elterliche Haus eingetreten, vielleicht wäre ihm das leichter gelungen, aber auch jetzt wollte er vor Allem ein gehorsamer und ehrerbietiger Sohn sein. Er sagte sich nun, daß die Vreni alles für Scherz nehmen müsse und es war ja auch nicht mehr, und der Vater hatte Recht: solch ein Verhältniß taugte nicht für ihn, er mußte einst eine Frau haben, von deren Vermögen er bei Uebernahme des Hofes die Geschwister auszahlen konnte. Dennoch war Alban am andern Tage unlustig zur Arbeit und erbat sich vom Vater die Erlaubniß, nach Wellendingen zu einer Volksversammlung zu gehen, auf der eines Bauern Sohn, der Lorenz von Röthhausen, genannt Lenz die rothe Weste, oder auch die gestreckte Sense, durch seine kernigen und schlagfertigen Worte Alles entzündete.
Widerwillige und ungläubige Hörer würde man heut zu Tage finden, wenn man die Reden und Schicksale dieses Bauernjünglings erzählen wollte; der Hauch der Zeit hatte ihn mit einem Prophetengeist angeweht, wie uns ein Gleiches nur von alten Zeiten berichtet wird und er besiegelte seine Sendung mit dem Märtyrertode. Damals riß er alle Herzen in unwiderstehlicher Gewalt fort. Alban fühlte bei den Reden des Lenz alles Blut in seine Wangen treten und oftmals ergriff es ihn, als würde er von einem Sturm davon getragen, er wollte [] auch hinauf auf die blumenbekränzte Rednerbühne, er mußte – aber er bezwang sich doch und vor Allem im Gedanken an seinen Vater. Der Lenz mußte in anderen Verhältnissen stehen, der Furchenbauer hätte es seinem Sohne nie verziehen, wenn er es gewagt hätte, vor aller Welt hinzutreten und sich geltend zu machen; er sagte es oft: die Jungen müssen schweigen und zuwarten in Dingen, in denen nur die Alten mitreden dürfen. Mitten im Sturm seiner Gefühle beugte sich Alban der gewohnten väterlichen Gewalt, er schluckte die Worte hinab, die er auf der Zunge hatte.
Es schien fast nicht möglich, daß Alban noch mächtiger ergriffen werden könnte als von der Rede des Lenz von Röthhausen, und doch war es so. Unter allgemeinem Jubel trat nach dem Lenz von Röthhausen ein ehemaliger Offizier mit vornehmem Namen auf und die Worte, die er sprach, glühten von einer höheren Weihe, die Alban fast kirchlich erschien; in der That wiederholte der Redner auch oft die Bibelworte: »Kain! Wo ist dein Bruder Abel?« Er griff die bisherige Erbfolge im Güterbesitz an und zeigte deren gräßliche Verderbniß und Ungerechtigkeit. »Der Schweiß deines Bruders, den du dir zum Knecht machst, der Schweiß deines Bruders schreit wider dich zum Himmel und die Stimme deines Gewissens muß rufen: Kain, wo ist dein Bruder?«
Jetzt drängte es Alban nicht mehr zum Reden, in ihm sprach es immer: »Kain, wo ist dein Bruder?«
Alban war ein Gemüth, das dem empfangenen Eindruck sich widerstandlos hingab und kein Hinderniß[] und keinen Einwand anerkennen mochte, wo es die heilige Pflicht galt, dem Rechten zu gehorsamen. In den feurigen Worten, die er heute vernommen, erwachte es plötzlich in ihm, in welch schmählicher Verwahrlosung die ganze Welt steht, wie Bruder den Bruder vergißt, sich gütlich thut im eigenen Wohlstand und den Nebenmenschen verkommen läßt. Wäre jetzt wie zu jenem reichen Jüngling in der Schrift, ein Heiland zu ihm getreten und hätte ihm geboten: gieb hin Alles was du dein nennst – er wäre ihm mit Freude gefolgt. Der Pächter des Sabelsbergischen Gutes in Reichenbach hat nachmals oft erzählt, wie leuchtend das Antlitz Albans war, als er eine Strecke mit ihm von der Volksversammlung heimging und plötzlich stehen blieb und die Worte ausrief: »Es geht doch nicht anders, man muß Alles hergeben.« Er wurde still und traurig bei den Einreden, aber noch am andern Morgen sagt er glühenden Antlitzes dem Vater: »Vater, das ist fest und heilig bei mir, wenn ich das Gut übernehm', zahl' ich meinen Geschwistern heraus, was das Gut wirklich werth ist; es ist bis jetzt viel zu gering angeschlagen.«
»Wart's ab, du kannst dich wieder anders besinnen,« sagte der Vater, worauf Alban aufflammend entgegnete: »Ich werd' nie ungerechtes Gut haben.«
Alban war erst spät heimgekommen, er behauptete so lange in Wellendingen gewesen zu sein, er hatte sich aber auf dem Hellberg bei des Nagelschmieds Vreni aufgehalten.
[]Von kleinen Leuten und schweren Gedanken.
Des Menschen Herz ist, wie es heißt, trotzig und verzagt und unerforschlich in seinen Widersprüchen. Weil Alban vor aller Welt der unsichtbaren väterlichen Gewalt sich gebeugt hatte, sprach er sich wiederum davon frei in Dingen, die nur ihn allein angingen, und gleichsam als Lohn seiner Unterwürfigkeit streifte er dieselbe ab, folgte dem Drange seines Herzens und die Erregung, die noch in seinem Gemüthe nachzitterte, ergoß sich in feuriger Liebe zu Vreni auf dem Hellberg. Dort unter freiem Himmel hatten es heute Tausende gehört und im Innern nachgesprochen, daß Arm und Reich, Hoch und Nieder gleich sei, Alban machte es zu einer Wahrheit. Dennoch war noch Tage und Wochen lang genug Bauernstolz und Furcht vor dem Vater in ihm, daß er oft innerlich zitternd einherging, er zitterte vor dem, was mit ihm geschehen war. Wenn Vreni auf dem Hof als Taglöhnerin arbeitete, scherzte er nicht mehr mit ihr; er befolgte in dieser Weise das Verbot des Vaters, aber aus ganz anderen Gründen. Seine innere Liebe und das demüthige und doch so hohe Wesen Vreni's ließen ihm jeden Scherz als eine Entwürdigung und Rohheit erscheinen, zumal da das Mädchen in seiner untergeordneten Stellung sich dagegen nicht hätte auflehnen dürfen und nur dem Spotte der Genossinnen ausgesetzt war. Der kecke allzeit wohlgemuthe und singende Alban hatte jetzt oft etwas Scheues und träumerisch in sich Versunkenes; er, der sonst allezeit [] wie gerüstet und schlagfertig war, schrack jetzt oft plötzlich zusammen, wenn man ihn unversehens anrief. Um diese Schwermuth loszuwerden, ging jetzt Alban mehr denn je den Lustbarkeiten nach, der Vater gab ihm nicht unerkleckliches Handgeld dazu, denn er sah dadurch allmälig die Herrschaft wieder in seine Hände zurückkehren. Alban bedurfte dieses Handgeldes nicht, denn er war reichlich damit versehen, er hatte sich nicht dazu bringen können, gleich anderen Bauernsöhnen karger Väter Korn zu stehlen und zu verkaufen; seit Jahren lieh ihm Dominik seinen vollen Lohn, und obgleich er es wegen seiner Tauglichkeit vollkommen verdiente, war dies doch ein nicht ungewichtiger Grund, daß Dominik zum Oberknecht befördert und der vertraute Genosse Albans wurde. Alban hatte oftmals das aufrichtige Verlangen, sich Vreni aus dem Kopfe zu schlagen, ja er sah sich forschend unter den reichen Töchtern der Gegend um, denn er erkannte die Nothwendigkeit, den Hof von seinen Geschwistern abzulösen und war dabei fest entschlossen, ihn nur zum vollen Werth zu übernehmen. Es durfte nur eine Verirrung sein, daß er je im Ernst an des Nagelschmieds Tochter gedacht. So gewichtige Gründe er aber auch in sich zu befestigen trachtete, und so sehr er sich auch eifrig unter den ebenbürtigen Töchtern des Landes umschaute, er konnte sich trotz mancher Zuvorkommenheiten nie entschließen, und von allen Lustbarkeiten blieb die beste immer die, daß er auf dem Heimwege bei Vreni auf dem Hellberge einkehrte.
Der Winter ging schnell vorüber, die wundersamen [] Schauer, die im Frühling alle Herzen ergriffen hatten, waren längst verweht. Die Freiheit wurde nicht in Einem Sommer gezeitigt und der Landmann vor Allem ist nicht geneigt, sich auf ein längeres Warten einzulassen. Man fand sich allmälig in das altgewohnte Herkommen. Alban war nur noch Einmal auf einer Volksversammlung im Apostel zu Wellendingen gewesen, er hatte jene bekannten Herabwürdigungen des Reichstages gehört und nur daraus entnommen, daß Alles aus sei. Er mußte sich stillschweigend manchen Hohn des Vaters gefallen lassen, dem er nichts erwiedern konnte, auch wenn ihn die kindliche Unterwürfigkeit nicht daran gehindert hätte.
In diesem Winter vollführte Alban eine Arbeit, auf die er nicht wenig stolz war, über die indeß der Vater lächelnd den Kopf schüttelte. Alban entwarf nämlich mit verschiedenen Farben eine Karte des ganzen Hofgutes: Berg und Thal, Feld und Wald und alle Wege waren darauf genau angegeben. Es war allerdings kein Meisterstück, aber Alban verdroß es doch, daß der Vater sagte: das sei unnütz. Die Mutter lobte ihn indeß dafür um so mehr, sie ließ die Karte einrahmen und hing sie in der Stube auf und nicht ohne Stolz hatte der Urheber: »Alban Feilenhauer gez.« darunter geschrieben.
Einst gegen den Frühling, Alban hatte sich vorgenommen, daß dieß das Letztemal sein solle, war er wieder auf dem Hellberg, da erzählte ihm der Nagelschmied, daß sein Großvater es von seinem Vater gehört habe, wie vor Zeiten der Hellberg ein großer[] Bauernhof gewesen sei, drauf lebte eine Familie, die allzeit feindselig mit denen auf dem Kandelhof war, bis der Urahne Albans die einzige Tochter vom Hellberge heirathete und beide Höfe zu einem machte. Der Nagelschmied setzte noch hinzu, daß auch die Obedfüchti von einer reichen Bauernfamilie abstamme, der Ahne aber habe Alles, man wisse nicht warum, vernachlässigt und drunten am Felsen den ganzen Tag Geige gespielt.
Als Alban heimwärts ging, war es ihm immer als spräche ihm Jemand in's Ohr: »Das ist ein Doppelhof, das waren einst zwei Höfe, dein Vater will nicht leiden, daß du den Hof bekommst und die Vreni heirathest, gut, so zerreiß' es wieder, nimm den Hellberger Hof für dich und die Deinigen, das muß er thun.« Alban war aber doch auch wieder ein stolzer Bauernsohn, berechtigt zu dem großen und ganzen Erbe, er warf den Gedanken weit hinter sich, die Hälfte seiner Habe leichtfertig zu opfern und doch kam ihm wieder zu Sinn, daß der Nagelschmied und die Obedfüchti ja auch von reichen Bauern abstammten, warum sollte nicht eines von des Nagelschmieds Kindern wieder zu reichem Besitzthum gelangen? Alban sah weit hinaus in die Zukunft, wie einst auch erblose Nachkommen, die von ihm abstammten, zu Taglöhnern wurden, Vreni sollte glücklich sein, ... aber die Schwiegereltern, die Schwäger und Schwägerinnen waren eine beschwerliche Last. –
Dort, wo eine auf Stützen umgelegte Tanne den Weg einhegt, dort wo der Fels jählings in's Thal abspringt, den man des Geigerles Lotterbett nennt, wo drunten der Bach rauscht, den jetzt die Schneewasser[] schäumend erfüllen, dort stand Alban lang an das Geländer gelehnt und träumte hinein in die dunkle Nacht und in die ferne Zukunft. Die ganze Welt stand still und nur der Bach rauschte und manchmal war's, als ob mitten unter Rauschen und Brausen die längst verstummten Saiten des Geigerle tönten. Das war nur ein dünner Wasserstrahl, der klingend aus einer Felsenschrunde rann.
Endlich machte sich Alban entschlossen auf mit dem festen Vorsatz, diesen Weg nie mehr in solchen Gedanken zu beschreiten; er war ein großer Hofbauer und war verpflichtet, eine Neigung in sich zu bekämpfen.
»Wenn ein Großbauer sich auch noch eine Frau nach reiner bloßer Herzensneigung wählen dürfte, dann hätten ja die Reichen Alles auf der Welt, Gut und Geld und alle Herzensfröhlichkeit auch noch dazu. Das wär' zu viel, drum ist's vertheilt; die Einen haben dies, die Andern haben das, und des Vaters Wille muß gelten: ein Großbauer hat vor Allem daran zu denken, daß die Familie in alten Ehren bleibt.« Das waren die Gedanken, mit denen Alban sein stürmisches Herz zu beschwichtigen suchte.
Theils durch die Anlage seiner Natur, hauptsächlich aber durch sein Verweilen außer dem elterlichen Hause hatte sich Alban Kenntnisse und Lebensanschauungen angeeignet, die ihr Förderndes, aber auch ihre Zwiespältigkeiten in ihm und mit seiner gewohnten Umgebung zu Tage brachten. Schon die ernstliche Neigung zu Vreni und die Erwägungen hierüber waren ein Ergebniß davon und der vollbrachte Sieg hätte ihn vielleicht [] lange in Widerstreit mit sich gehalten, wenn nicht sein Stolz noch mächtiger gewesen wäre; und vor Allem beschäftigten ihn vielfache Neugestaltungen der ganzen Bewirthschaftung. Der Vater ließ ihn jetzt aber nicht mehr schalten wie er wollte und gab ihm nur in Kleinigkeiten nach, die er als große Gunst darstellte.
Alban hatte einen dreischarigen Felgpflug angeschafft und bearbeitete damit eine schon im Herbst abgerodete und umgepflügte Waldstrecke, er spannte jetzt zwei junge Stiere hinter einem vorausgehenden Pferde an den Pflug. Noch nie hatte man hier zu Lande Stiere an die Feldarbeit gewöhnt, man bediente sich dazu der zahmen Ochsen. Der Vater lachte Alban über den neuen Versuch aus, den dieser in der Schweiz gesehen und hier nachahmen wollte, aber nach viel Mühe und Schweiß gelang es ihm, und die wilden Thiere fügten sich in die Arbeit.
Der alte Furchenbauer war trotz vielen Scheltens doch stolz auf seinen Alban und auf dem samstägigen Fruchtmarkt in der Stadt, wenn er bei dem gräflich Sabelsbergischen Pächter in Reichenbach saß, sagte er oft: »Der Alban braucht gar nichts; der Bauer, dem ich den Alban für seine Tochter gebe, der muß mir noch Geld herauszahlen.«
Die Zügel in fremder Hand.
Am Ostersonntag fuhr der Furchenbauer mit seiner Frau, den beiden Söhnen und Ameile nach der über[] eine Stunde entfernten Kirche. Auf dem Heimweg, da wo von der Landstraße ab der eigene Weg nach dem Hofe beginnt, stieg der Vater ab und befahl auch Alban ein Gleiches zu thun und Vinzenz die Zügel zu übergeben.
Es giebt ganz gewöhnliche Ereignisse, die oft so seltsam berühren, daß man sich einen Grund dazu gar nicht erklären kann. Alban hat nachmals oft erzählt, daß ihn der Befehl, die Zügel abzugeben, im Innersten erschreckt habe, ohne daß er wußte warum. Vinzenz nahm ihm mit einem so raschen Griff die Zügel aus der Hand und der sonst so gewandte und behende Alban stieg so ungeschickt ab und verwirrte seine Füße in die Zügel, daß er fast zu Boden fiel.
Kann sein, daß Alban sich Alles was diesem Ereigniß folgt, erst später so bestimmt ausdeutete, genug, er stand auch jetzt eigenthümlich erschüttert vor dem Vater, der nach einer Weile begann:
»Alban, es ist Zeit, daß du jetzt für dich selber zu bauern anfangst.«
»Wie Ihr meinet, Vater, ich hab' glaubt, Ihr wollet warten, bis das Ameile versorgt ist.«
»Das ist mein' Sach'. Es ist gescheiter du heirathest jung, ich bin ein bisle zu spät dazu kommen, ich möcht' aber doch noch mit meinen lebendigen Augen sehen, wie's meinen Kindern geht.«
»Und ich will Euch thun was ich Euch an den Augen absehen kann,« betheuerte Alban und hielt vor innerer Bewegung still, der Vater aber schritt fürbaß, knurrte etwas vor sich hin und sagte endlich:
[] »So ist's nicht gemeint. Ich geb' den Löffel nicht aus der Hand bis ich satt bin. Du hast nichts für mich zu sorgen. Kurzum, heut Nachmittag kommt der Kornmesser Spitzgäbele, er hat mir auf dem letzten Fruchtmarkt gesagt, daß er dir eine rechtschaffene Wittfrau weiß, drüben im Gäu, mit einem Gut so groß wie das meinige und die Aecker noch viel besser, und sie hat nur ein einziges Kind und das hat sein abgetheiltes Vermögen. Du spannst unsre beiden Fuchsen an's Bernerwägele und fahrst mit dem Spitzgäbele nüber und besiehst dir die Gelegenheit.«
»Aber Vater, warum soll ich denn aus dem Haus? Wer kriegt denn unser Gut?«
»Der dem ich's geb'. Das Sach' ist mein.«
»Wer ist denn der älteste?«
»Still sag' ich, du hast nichts zu fragen. Ich kann nicht nur Mulle, ich kann auch Kuz sagen Mulle ist ein Ausdruck beim Schmeicheln, Kuz beim Verscheuchen einer Katze.. Nein, horch, bleib' ein bisle stehen und laß mich ausschnaufen. Guck Alban, ich hab' viel auf dich gewendet, du bist ein Kerle, der sich sehen lassen kann, du bist mein Augapfel gewesen ... Ich brauch' dich beim Teufel nicht fragen, du mußt thun was Ich will ... Nein, horch, der Vinzenz ist freilich der jüngere, aber guck, da, da, du hast deine zwei Augen ... Du Heidenbub, guck mich nicht so an, du mußt thun was Ich will. Red' mir kein Wort. Still sag ich. Du bist jetzt freilich der Aelteste, aber das Gut ist jetzt auch frei, ich kann mit thun was ich mag. Ich kann's verlumpen. Alban,[] sei gescheit und folg' mir ohne Widerred'. Mit Einem Wort. Der Vinzenz kriegt den Hof. Punktum. Alban, jetzt folg' mir, ich will dich nicht verkürzen, er muß dir 'rausbezahlen, daß du dir einen Hof frei machen kannst. Sei brav und folg' mir, das Kind muß dem Vater gehorchen, so steht's geschrieben und so ist's von je gehalten worden. Alban, folg' mir oder ich renn' dir ein Messer in Leib und wenn ich selber darüber zu Grund geh. Da, gieb mir die Hand, die Hand her! Du fahrst mit dem Spitzgäbele 'nüber und machst, daß du den Hof kriegst. Mach mir keine Sprüng'! Du kennst mich noch nicht. Ich rück' die paar Jahr an dich, die ich noch zu leben hab', aber komm, du folgst mir. Punktum.«
Alban hatte die Hand dargereicht, sein Vater hielt sie fest umklammert wie eine Zange, sei es daß er der Betheuerung Nachdruck geben oder seine Kraft noch beweisen wollte. Der Vater sah schauerlich aus. Seine Lippen zogen sich völlig einwärts und seine Augen quollen weit heraus. Alban sah ihn so mitleidig und unterwürfig an, daß der Vater jetzt mit dem Kopf schüttelte und die Augen niederschlug. Alban war in diesem Augenblicke so von Kindesliebe und gewohntem Gehorsam überwältigt, daß er trotz des Sturmes, der in ihm waltete, dem Vater noch aufrichtig versprach, willfährig zu sein. Er hatte ihm Anfangs nur zum Schein und um ihn zu begütigen, gehorchen wollen, jetzt war es sein aufrichtiger Wille. Schweigend gingen Vater und Sohn bis zu dem Hof, der Alte hatte auf Einmal einen raschen festen Tritt. Alban hatte etwas [] von der Mutter geerbt im stillen Bewältigen störender Gedanken, er ließ es nicht in sich aufkommen, daß er ausgestoßen würde vom väterlichen Hause, so weit war es ja nicht; er war nicht umsonst in der Welt gewesen, er wußte, daß man auch anderswo leben kann, und es war seine Pflicht, einen Versuch zu machen, dem Bruder, der einem so traurigen Geschick verfallen war, das Gut zu überlassen und so ihm zu helfen; ja er dachte daran, daß der Schmalzgraf noch leben und ledig sein könnte und dann hätte er als jüngerer Bruder ja ohne Widerrede auf den Besitz des Hofes verzichten müssen.
Als man in den Hof eintrat, stand Vinzenz an die Stallthüre gelehnt und pfiff lustig. Alban glaubte in seinem Gesichte eine Siegesmiene zu finden, ja er bemerkte, daß Vinzenz den Vater fragend ansah und dieser mit dem Kopfe nickte. So war also was jetzt geschehen sollte, längst beschlossen, der Vater hatte das dem Einäugigen versprochen, und während Alban emsig und friedfertig daheim war, war er schon längst ausgestoßen? Grimmige Wuth erfüllte Alban, er wollte widerrufen, daß er dem Vater zulieb nur einen Schritt aus dem Haus thue. Schon zweimal hatte man ihn zum Essen gerufen, er stand wie festgewurzelt auf dem väterlichen Boden, den Blick zur Erde geheftet und die Fäuste geballt. Als endlich die Mutter kam und ihn lobte, daß er sich wieder als guter Sohn beweise, schaute er wie höhnisch auf, er verschloß aber seine Gedanken: man hatte ihn betrogen, er wollte Gleiches mit Gleichem vergelten; er faßte den Vorsatz, dem Vater zum Scheine [] zu willfahren, er kannte die unerschütterliche Oberherrlichkeit seines Vaters und wollte ihn nun auch überlisten und auf seinem Rechte bestehen. Bei Tische war Alles wohlgemuth und noch während des Essens kam der Kornmesser Spitzgäbele. Er drängte zur Eile und Vinzenz half selbst die beiden Fuchsen einspannen und der Vater gab Alban noch seinen eigenen neuen Mantel mit und befahl ihm wiederholt, etwas draufgehen zu lassen und sich als Sohn des Furchenbauern zu zeigen. Nur die Mutter sagte noch leise zu Alban:
»Vergieb dich nicht, du bist uns noch nicht unwerth und hast nichts zu eilen. In keinem Fall mach's fest, eh' ich sie auch gesehen hab'; ich kenn' die Familie wohl, aber das Weib kenne ich nicht. Fahr' auf dem Heimweg über Siebenhöfen und sieh was dein Bruderskind macht, kauf unterwegs was und bring's ihm.«
Lustig knallend fuhr Alban davon und der Furchenbauer, der ihm nachsah, sagte zu seiner Frau:
»Wenn ich ein' einzige Tochter hätt' und wüßt einen Burschen wie den Alban, ich thät nicht ruhen, bis er mein Schwiegersohn wär'.«
Die Brautfahrt.
Alban fuhr indeß mit dem Spitzgäbele, einem lustigen alten Männchen mit lauter Falten im Gesicht, ruhig die Pferde lenkend den abschüssigen Weg hinab, dabei hörte er die Lobeserhebungen des Kupplers über den Eichenhof.
[] »Und wie ist denn die Bäuerin?« fragte Alban keck. Es ist schade, daß die Personalbeschreibung, die Spitzgäbele jetzt aushülste, nicht mitzutheilen ist; er schilderte mit einem schmatzenden Behagen, daß ihm das Wasser davon im Munde zusammenlief. Alban lachte darob aus vollem Halse und that überaus lustig, und als er nach der Gemüthsart der Bäuerin fragte, gab Spitzgäbele seinen Bescheid wieder mit einem so saftigen Scherze, daß Alban abermals laut auflachte.
Vor einer geschmückten Frauengestalt, die am Wege ging, standen die Pferde plötzlich still, Alban wollte schon mit der Peitsche ausholen, da rief Spitzgäbele: »Halt!« und zu der abgekehrten Frauengestalt gewendet:
»Mädle wohin?«
»Gen Reichenbach, Gevatter stehen.«
»Willst mitfahren?«
»Dank' schön.«
»Komm nur 'rauf. Halt doch Alban. Mädle, du kannst auf meinen Schooß sitzen.«
Das Mädchen war Niemand anders als Vreni, sie stieg nach wiederholter Ermahnung, wobei Alban beharrlich schwieg, auf und setzte sich auf den Habersack hinter dem Sitz, wobei Spitzgäbele Mancherlei zu rühmen hatte.
Alban fuhr wildrasend dahin, er fuhr zur Freiet und hinter ihm saß Vreni. Er fuhr doppelt rasch, damit Spitzgäbele nicht mit seinen Scherzen fortfahren konnte.
Vor Reichenbach bat Vreni, daß er anhalte, und behend war sie vom Wagen gesprungen. Jetzt erst[] sprach Alban das erste Wort mit ihr indem er sie fragte:
»Bei wem stehst Gevatter?«
»Bei meiner Schwester.«
»Mit wem?«
»Mit meinem Vater. Mein Schwager hat Niemand anders finden können, es ist das siebente Kind.«
»Da, bring' das als Gevatterschenk von mir,« sagte Alban, langte in die Tasche und holte ein groß Stück Geld. Vreni wollte es nicht annehmen, Alban aber warf es hin, daß es zu Boden fiel und fuhr rasch davon. Spitzgäbele konnte sich nicht enthalten zu fragen:
»Ich hab' gemeint, du kennst das Mädle gar nicht. Wem gehört's denn?«
»Es ist des Nagelschmieds Tochter, ihr Vater taglöhnert bei uns und ihr Bruder ist unser Kühbub,« sagte Alban und es war ihm als brennten ihm die Lippen, da er diese Worte sprach.
»So?« spottete Spitzgäbele, »vielleicht gar ein heimlicher Schatz von dir? Das hat gar nichts zu sagen. Die Bäuerin hat mir selber bestanden, sie sei gar nicht eifersüchtig, aber natürlich gescheit mußt sein. Das versteht sich.«
Alban fuhr immer mehr seinem Ziele zu und bei jedem Schritte wäre er gern umgekehrt. Nur Einmal sagte er zu Spitzgäbele:
»Ihr müsset mir vor meinem Vater bezeugen, daß nicht ich die Vreni auf den Wagen genommen hab', aber Ihr.«
[] »Ich thät noch was Anderes auf mich nehmen. Ich weiß mehr als das von den Großbauern. Ich könnt' sieben Wochen lang davon erzählen.«
Einstweilen begann Spitzgäbele allerlei lustige Geschichten zum Besten zu geben. Alban hörte ihn kaum, er rückte seinem Ziel immer näher und war in Gedanken doch nur in Reichenbach bei Vreni und ihrer Schwester; er dachte darüber nach, ob sie wohl sein Gevatterschenk hergebe, gewiß, sie ist ja gescheit und wird sich mit den Ihrigen davon einen lustigen Tag machen. Tief in die Seele schnitt es ihm, wenn er darüber nachdachte, welch ein schreckliches Loos das sei, daß man nicht einmal mehr einen Gevatter für ein Kind finde und des Nagelschmieds stammten doch auch von reichen Hofbauern. Der genehme Schluß dieser Betrachtung aber war doch: darum muß man dafür sorgen, daß man nie in Armuth geräth.
Im Dorfe vor dem Eichhofe, wo man mit einbrechender Nacht einkehrte, hörte Alban aus dem dunkeln Stall heraus einen Knecht zu einem andern sagen:
»Das ist gewiß wieder ein Freier für die Eichbäuerin, ich bin froh, daß ich ein Knecht bin und mich nicht zu verkaufen brauch'.«
Der Spitzgäbele verstand den Alban gar nicht, als er jetzt am Ziel angelangt, wieder umkehren und gar nicht auf den Eichhof gehen wollte. Nur die Erwähnung des Vaters brachte Alban dahin, daß er sich endlich bewegen ließ, wenigstens auf den Eichhof zu gehen. Auf dem Wege bedauerte Spitzgäbele, daß es Nacht sei und Alban die schönen fetten Aecker nicht[] sehen könne; das sei ein Boden, der gar keinen Dünger brauche. Der Weg war grundlos und eben das wurde als Zeugniß des fetten Bodens gedeutet. Alban schwieg, er fühlte sein Herz klopfen. Man näherte sich dem Hofe, da rief eine Stimme durch die Nacht: Vreni! Vreni!
Gerade dieser Ruf erschütterte jetzt Alban, daß es ihm war, als müßte er in den Boden sinken. Eine Stimme antwortete auf den Ruf: »Ich komm' gleich.« Auch die Stimme war ähnlich.
Als wäre er verzaubert, fast taumelnd trat Alban in den Hof und als er in die Stube trat fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Es war ja wieder als ob Vreni hier wäre, nur war diese hier wohlbeleibter und sah trotziger drein.
Spitzgäbele machte die Vorstellung leicht und sprach, da noch mehr Leute da waren, von einem Roßhandel. Die Frau, die Vreni so ähnlich sah, hatte denselben Namen und war die Bäuerin.
Alban ließ sich nicht lange zum Sitzen nöthigen, die Kniee brachen ihm fast. Er schaute sich in der Stube um, Alles war stattlich und anheimelnd und in ihm war es wie ein Ausspruch der Gewißheit, daß er hier sein Lebensziel gefunden habe.
Sehr häufig machen die Menschen gerade die verzwicktesten Gesichter, wenn diese von einem betrachtenden Auge aufgenommen oder gar abgemalt werden sollen. Der Gedanke, das jetzt diese Formen selbständig und dauernd festgehalten werden, prägt eine Erschlaffung oder eine unnatürliche Spannung in ihnen aus. In ähnlicher Lage war jetzt Alban, er wußte nicht, [] sollte er unter dem Forscherblick der Bäuerin die Augen niederschlagen oder erheben. Zu großem Glück schmiegte sich ein großer schwarzer Schäferhund, der in der Stube war, an ihn, und Alban hatte nun Etwas, womit er sich beschäftigen, wobei er auf-und niederwärts blicken konnte. Die Bäuerin bemerkte nicht ungeschickt, daß Alban ein guter Mensch sein müsse, da der fremde Hund so zutraulich gegen ihn sei. Alban schwieg und dabei blieb er, selbst als die Dienstleute sich aus der Stube entfernt hatten und zuletzt auch Spitzgäbele wegging und ihn mit der Bäuerin allein ließ. Diese fragte ihn nun, ob er das Kind seines verstorbenen Bruders in Siebenhöfen besuchen werde und als Alban ohne einen weiteren Zusatz antwortete: »Ich hab's im Sinn,« zeigte sich plötzlich eine seltsame Bewegung in der Bäuerin; sie stand auf, setzte sich aber gleich wieder und fuhr fort, Kartoffeln zu schälen für die morgige Frühsuppe. Sie sprach noch Manches mit Alban, besonders über sein elterliches Haus und über seine Hieherreise und abermals – Alban wußte nicht warum – kam sie auf seinen Besuch bei seinem Bruderskinde zu sprechen. In allen ihren Reden offenbarte sich ein verständiges und gutes Herz, Alban war damit zufrieden, und heiterer als er sich's gedacht hatte, kehrte er mit Spitzgäbele wieder in das Wirthshaus zurück. Er durchforschte mit unbefangenem Blick die große Wirthsstube und saß noch lange bei dem Wirth, er sah sich schon im Geist an manchen Abenden vom Eichhofe hieherwandern, um wieder fremde Menschen zu sprechen und unter ihnen zu sein.
[] Am Morgen war es Alban wieder etwas bange, er fühlte sich wieder wie in die Fremde verstoßen, er sollte sein Leben in ferner Einsamkeit verbringen; hier kannte er Niemand und daheim hatte Jedes ein freundliches Wort für ihn. Spitzgäbele lachte ihn aus, da er offen klagte, er sei so voll Heimweh und banger Besorgniß, daß er weinen möchte wie ein Kind. Spitzgäbele erklärte dieß als das natürliche Beben vor einer großen Freude, und wußte das Glück Albans wieder so hoch zu preisen, daß dieser selber es nicht mehr verkennen konnte.
Alban hatte aus Trotz gegen seinen Vater und eigentlich um ihn zu täuschen, sich zu dieser Brautfahrt entschlossen, und jetzt sah er sich davon gefesselt. Als er aber im hellen Morgen mit seinem Gefährten den nächtlich beschrittenen Weg dahinging, als die Lerchen so jubelnd sangen über den grünen Feldbreiten, die Spitzgäbele als sein künftiges Eigenthum pries, und besonders auf das Winterfeld zeigte, das so gut angeblümt war und hie und da schon buschig zu werden begann, da wurde es Alban fast bräutlich jubelvoll zu Muthe. Wenn die Eichbäuerin am Tag so schön war wie sie am Abend erschien, so konnte sich nicht leicht eine mit ihr vergleichen. Nochmals stellte sich des Nagelschmieds Vreni vor die Erinnerung Albans, aber er sagte sich, daß er sie nicht hätte heirathen können, auch wenn er Bauer auf dem Furchenhofe geworden wäre, der Vater hatte Recht; und abermals lebte die Kindesliebe und der Gehorsam in Alban auf und er fühlte sich im Tiefsten erquickt im Gedenken an die [] Freude, die sein Vater an der Verlobung haben müsse, und es erschien wohlgethan, daß Vinzenz, der beschädigt genug war, den väterlichen Hof erhielt. Die Lerchen sangen nicht lustiger in der blauen Luft als die Freude über alle diese Gedanken im Herzen Albans jauchzte.
Heiter glänzenden Antlitzes trat er in den Eichhof und aus dem Grunde seines Herzens sagte er mit heller Stimme der Bäuerin »Guten Morgen« und streckte ihr die Hand entgegen; sie reichte ihm nur die Linke, sie trug ein wohl kaum zweijähriges Kind auf dem Arm, das sich vor den Männern erschreckt und schreiend umwandte und sein Gesicht am Halse der Mutter verbarg. Diese hieß die beiden Männer sich setzen und suchte das Kind zu beschwichtigen, Alban tief anschauend sagte sie zu dem Kinde: »Peterle, wenn du umguckst und eine Patschhand giebst, schenkt dir der Vetter da ein Gutle, das er dir mitbracht hat.«
Alban schaute verdutzt drein, er hatte es ganz vergessen und es fiel ihm jetzt schwer auf's Herz, daß er Vater eines fremden Kindes sein sollte; er war jedoch willigen Herzens genug, um dem Kinde jede Liebe zu erweisen. Jetzt wurde ihm auf Einmal klar, warum die Bäuerin am Abend so oft von dem Kinde seines verstorbenen Bruders gesprochen hatte. Während er aber schweigend darüber nachsann, sah ihn die Bäuerin nochmals mit großen Augen an, dann verließ sie mit dem Kinde die Stube und ging in die Kammer. Nach einer Weile, in der man hörte, wie sie das Kind abküßte, rief sie Spitzgäbele zu sich und sagte ihm:
[] »Ich komm nimmer in die Stub', ich will euch so Ade sagen.«
»Warum? Was ist?«
»Der junge Furchenbauer soll sich eine andere suchen. Ich hab' gemeint, er wird von seinem Bruderskind her wissen, was ein verlassenes Kind ist. Es ist nicht so. Sitzt er gestern den ganzen Abend da und fragt nicht nach meinem Kind, und heut' hat er ihm nicht für ein Kreuzers Werth mitgebracht. Eh ich so Einen nehm', bleib' ich lieber allein.«
Spitzgäbele bemühte sich mit allen möglichen Einreden, aber die Bäuerin blieb dabei: »Es kann brav sein, ich hab' nichts gegen ihn, aber wir passen nicht zu einander.«
Zweimal mußte Spitzgäbele seine Worte wiederholen, als er bei Alban eintretend ihm sagte, er möchte mit fort gehen, die Sache sei aus.
Wie taumelnd ging Alban davon, er hörte im Hofe Knechte und Mägde lachen – das konnte nur ihm gelten. Die Lerchen auf dem Wege sangen im gleichen Jubel, aber Alban hörte sie nicht, sein Athem ging rasch, er ballte die Fäuste und erhob kaum den Blick; er schämte sich vor seinem Begleiter, der die Absageworte der Bäuerin wiederholte und dann gegen seine Gewohnheit schweigsam neben ihm ging.
Ohne nochmals in die Wirthsstube einzutreten, spannte Alban an, aber er mußte innerlich fluchend mit dem Leitseil in der Hand lange auf Spitzgäbele warten. Man war nüchtern nach dem Eichhofe gegangen, man wollte bei der Braut sich gütlich thun; Spitzgäbele brachte [] sein verspätetes Frühstück auf fremde Kosten sattsam ein. Mitten im Zorn und Ingrimm spürte auch Alban einen Hunger, daß er meinte, er fresse ihm das Herz ab, aber in solchen Momenten tritt leicht zu dem vorhandenen Schmerz noch eine Selbstquälerei; Alban freute sich fast an dem körperlichen Ermatten, das er fühlte, seine Wangen glühten und er träppelte hin und her wie die Fuchsen, die muthig scharrten. Endlich kam Spitzgäbele noch schmatzend, und wie aus dem Rohre geschossen flog der Wagen davon. Alban fuhr nicht, wie er sich Anfangs vorgenommen, über Siebenhöfen, um nach seinem Bruderskinde zu schauen, ja er war diesem fast böse, denn es war Schuld an seiner Schande; er fuhr geradewegs wieder heimwärts. Im nächsten Dorf kehrte er ein und der Wein schien ihm sehr zu munden; ja er wurde ganz lustig, und jetzt offenbarte sich eine eigenthümliche Folge seiner Abweisung. Vor Allem war er voll Zorn gegen seinen Vater. Er gedachte nicht mehr, wie er ihn hatte täuschen wollen, sondern nur wie er auf dem Morgengange nach dem Eichhofe ihm zulieb sich hatte in die Heirath fügen wollen, und laut auflachend kam ihm plötzlich ein guter Gedanke: er war nicht abgewiesen, er hatte das Nichtzustandekommen beabsichtigt und darum vorsätzlich gethan, als ob gar kein Kind da wäre; der Furchenhof gehöre ihm, er sei der älteste, er lasse sich nicht davon vertreiben.
Als er das gegen Spitzgäbele herauspolterte und dieser sein Gesicht in noch mehr Falten zog, wurde Alban plötzlich gewahr, daß er sich verrathen und seine besten Handhaben abgebrochen habe; es war ja viel [] besser, wenn er sich als gehorsamen Sohn, der tief gekränkt war, hinstellte. Er suchte daher einzulenken, aber Spitzgäbele hielt ihn fest und Alban mußte sich alle Mühe geben, Etwas zu zerstören, was im Voraus unwahr gewesen und er nur im tollen Uebermuth ausgeheckt hatte. Er mußte dem Spitzgäbele, der ihm ein Abscheu war, alle guten Worte geben und jetzt selber wieder darauf drängen und hoch und heilig betheuern, wie sehr er durch die Abweisung beschimpft und verunehrt sei. Zuletzt mußte er sogar noch bekennen, daß ihm Recht geschehe, daß die Eichbäuerin eine rechtschaffene Frau und Mutter sei, er aber sich hartherzig und unklug benommen habe und alle Schuld, die auch Spitzgäbele hatte, weil er ihn nicht daran erinnerte, nahm er gern auf sich. Er schenkte von dem mitgenommenen Gelde ein Namhaftes dem Spitzgäbele, nur um ihn ganz für sich zu gewinnen.
Lautlos dahinfahrend dachte Alban nur immer an seine Beschimpfung, und wenn auch in seinem jetzigen Zustande nur halb, erkannte er doch in gewisser Weise eine Entweihung, die mit ihm vorgegangen war: er hatte sein ganzes jugendliches Leben hingegeben und war damit zurückgewiesen. Er, der Alban, der jedem Menschen frei in's Gesicht sah, mußte fortan vor manchem Worte den Blick zur Erde schlagen. Es half nichts, daß Spitzgäbele oft wiederholte:
»Ein junger Bursch macht sich aus so was nichts, er setzt den Hut auf die linke Seite und freit um eine Andere, Schönere.« Alban wurde seine schmerzlichen Gedanken nicht los.
[] In Reichenbach stieg Spitzgäbele ab und wanderte über die Berge zu Fuß nach der Stadt. Alban kam unerwartet früh nach Hause und begegnete überall fragenden Blicken.
»Wie ist dir's gangen?« fragte die Mutter noch vor dem Absteigen und Alban erwiderte trotzig:
»Wie unserm Fuchsen auf dem Wellendinger Markt.«
»Was hast? Was redest?«
»Deutsch. Man verkauft nicht jedes Stückle Vieh, das man zu Markt bringt.«
Er blieb im Stall bei Dominik, bis die Mutter ihn holte, gegen die er kurz den Schwur aussprach, nie mehr eine solche Fahrt zu machen; er habe als gehorsamer Sohn gehandelt und jetzt sei's genug.
Der Vater redete gar nichts mit ihm von der Sache. Er fragte nur, wo der Spitzgäbele abgestiegen sei, denn von diesem wollte er sich den ordnungsmäßigen Bescheid holen; eine mit Betheuerungen und allerlei Zubehör untermischte Auskunft war nicht nach seinem Geschmack. Er blieb beim Ordnungsmäßigen.
Nachrede und Lärm in der Welt.
Ein von der Reise Ankommender ist so zu sagen körperlich und geistig eine Zeitlang ungelenk in der Mitte derer, die in der Gewohnheit des häuslichen Lebens verharrten, und der Angekommene kann noch geraume Zeit eine gewisse Unruhe nicht los werden. Dies war nun heute bei Alban doppelt der Fall. Er[] kam mitten im Tage und wußte nichts mehr anzufangen; dazu der Aerger über seine Schmach und die Ungewohnheit seiner heutigen Lebensweise. Nachdem er das Schelten der Mutter gehört, weil er nicht über Siebenhöfen gefahren war, ging er fast unwillkürlich nach dem Hellberg zu Vreni.
Er war kaum auf dem Hellberg angekommen und hatte Vreni noch nicht gesehen, die von dem Montagsrechte Gebrauch machend, im Walde war, um Holz zu holen: als Dominik ankam und ihm im Namen des Vaters den Befehl brachte, nach Hause zurückzukehren. Alban willfahrte nur langsam und als er heimkam, that sein Vater als ob er gar nicht da wäre; erst durch die Mutter erfuhr er, daß sie es gewesen, die nach ihm geschickt hatte, weil sie das Zornesmurmeln des Vaters verstanden hatte und ihm zuvorkommen wollte, daß sie aber Dominik verboten hatte, Alban dies zu sagen. Dieser sah in dem ganzen Vorgang nur das Eine, daß die einzigen Menschen, die er sich treu und anhänglich glaubte, die Mutter und Dominik, auch hinterhältig gegen ihn waren und sich vor den Gewaltthätigkeiten des Vaters fürchteten. Er ging im Hofe hin und her als müsse er irgendwo räuberisch einbrechen und den schlummernden Streit freiwillig wecken; er blieb aber doch nicht lang in dieser Stimmung, und sei es im Angedenken an die heute erlebte Schmach, sei es aus Verlangen, doch vielleicht noch Alles gütlich auszugleichen, oder aus altgewohnter Arbeitslust – im Hof stand ein leerer Wagen, auf dem Kornspeicher hörte man schaufeln; Alban erinnerte sich, daß morgen [] ein außergewöhnlicher Kornmarkt in der Stadt sei, er ging auch auf den Speicher und sah den Vinzenz mit Beihülfe zweier Knechte große Säcke füllen. Der Vater stand daneben und ohne nach Alban umzuschauen, spöttelte er, daß man dieses Jahr sein gutes Korn nicht für halben Preis an die Taglöhner als Vorschuß verschleudere, jetzt brauche man dem Lumpenpack nicht mehr schön zu thun, jetzt müsse es wieder unterducken; aber sein Lebenlang werde er es nicht vergessen, daß er mehrere Hundert Gulden durch Verschleuderung seines Korns zum Fenster hinausgeworfen habe. Alban merkte wohl, daß diese Worte nach ihm zielten, aber er schwieg, theils aus Gehorsam, theils aber auch, weil er schon bedachte, daß er unnöthigen Widerspruch vermeiden und um so fester auf dem einen beharren müsse. Als indeß einer der mitbeschäftigten Taglöhner sagte:
»Es war doch eine lustige Zeit, alle Menschen waren Brüder, wie wir das Korn da eingethan haben,« da konnte Alban nicht umhin, mit rothglühendem Antlitz hinzu zu setzen:
»Und jetzt sind's doch wieder Sklaven, die das Brod von dem ferndigen (vorjährigen) Korn essen.« Dabei ließ er sich nicht aufhelfen, sondern schwang mit leichter Mühe einen Malter Spelz auf die Schulter, trug ihn die knarrende Stiege hinab und lud ihn auf den Wagen.
Der Vater preßte die Lippen zusammen und schaute ihm mit weit aufgerissenen Augen nach. Noch neben dem geladenen Wagen schaute er Alban mehrmals von Kopf bis zu Fuß an, er öffnete mehrmals den Mund [] als wollte er etwas sagen, aber er schwieg. Das galt doch noch mehr als die heftigsten Worte.
Noch in der Nacht fuhr Dominik mit dem Fruchtwagen nach der Stadt. Am Morgen fuhr der Vater mit Vinzenz auf den Kornmarkt und Alban ackerte wieder auf dem Neubruch am Kugelberger Feld. Es war ein regnerischer Frühlingstag, die Luft war knospenfrisch, der freie Athem und die Arbeit waren doppelt erquickend nach einem verstürmten Tage. Ein Hagelschauer kam wie im Zorn dahergestürmt, aber der Hagel zerging rasch wieder in den offenen Schollen und auf den grünenden Wiesen, und nur seine Tropfen säuselten noch im nahen Walde, sonst vernahm man nichts als bisweilen den verstohlenen Pfiff eines Vogels aus dem Nest oder das Krächzen eines Raben, der seinen Gefährten anrief, trotz des Wetters mit ihm in's Weite zu ziehen. Alban zählte die Stunden ab, wann der Vater in der Stadt sein und wann Spitzgäbele ihm den gestrigen Vorgang erzählen könne; er war voll Unruhe, denn auf den Schelm war doch kein Verlaß, heute zum Erstenmal wurde seine Schande ruchbar und Vinzenz war dabei. Im Angesicht Albans prägte sich die giftige Schadenfreude aus, die er sich in Vinzenz dachte, und jetzt fühlte es Alban wie einen Stich mitten durch's Herz, denn zum Erstenmal lebte ganz deutlich der Haß gegen den Bruder in ihm auf. Die Thiere waren heute gar nicht zu bändigen, es gelang dem Treibbuben schwer, sie in der Linie zu halten, Alban wollte sich nicht bekennen, daß er sie mit in seine Unruhe hineingerissen und er fuhr nun auf dem weiten [] Felde mit ihnen kreuz und quer, er wollte sie ermüden um sie dann besser in der Gewalt zu haben, seine beiden Hände hielten die Pfluggabel fest und oft war es ihm, als rissen die Thiere ihm die Arme vom Leibe. Von Schweiß und Regen dampfend ging er hinter den Thieren drein, die auch wie in einer Wolke dahinschritten, aber er war stark genug und setzte sich immer mehr darauf, ihrer Meister zu wer den. Dennoch mußte er ausspannen, bevor es Mittag war. Im nahen Walde unter einer breitästigen Kiefer ruhte er mit dem Treibbuben aus und war so müde, daß er gar nichts denken konnte, bis der Kühbub ihm das Mittagessen brachte. Lächelnd schaute er ihn an, denn er wollte ihm »Schwager« zurufen, aber er sagte ihm nur, daß er ihn bei sich behalte, damit er die zuchtlosen Thiere lenken helfe. Während er hier im Walde unter säuselndem Regen sein gewohntes Mittagsmahl verzehrte, dachte er nach der Stadt, wo jetzt der Vater und Vinzenz in der Rose beim schäumenden Bier sich auftischen ließen und wie da hin und her die Rede schoß und er war hier im Walde bei dem Treibbuben. Alban wollte sich hineindenken, was man von ihm rede und wie Alles herginge, er errieth wohl Manches, aber doch nicht das Ganze.
Der Vater war am Morgen mit Vinzenz ausgefahren und dieser triumphirte innerlich über den zurückgesetzten Bruder, er sprach aber seine Siegesfreude nur dadurch aus, daß er lustig mit der Peitsche knallte und den Kragen des Mantels, den er über hatte, oftmals zurückwarf. Als man im Thal dahinfuhr, wo man [] oben in einer Baumwiese des Nagelschmieds Behausung zum Hellberge sah, sagte er, indem er eine neue Schmitze mit den Zähnen aufknüpfte:
»Er ist gestern noch da oben gewesen.«
»Wer?« fragte der Vater.
»Ha der Alban, die Mutter hat ihm aber gleich nachgeschickt und ihn holen lassen, damit Ihr's nicht erfahret.«
Der Vater schaute nur kurz nach seinem Sohne um, aber sein Blick fiel gerade auf das gespenstisch leere Auge, er hielt sich die Hand vor seine beiden Augen und erwiderte nichts.
Man fuhr durch Reichenbach. Am Hause des Schultheißen stand dessen älteste Tochter und hielt einen grauen Mantel auf dem Arm, sie rief Vinzenz, er möge anhalten und übergab ihm den Mantel, den der Vater vergessen hatte und den er in der Stadt abliefern solle.
»Ich nähm' dich auch noch mit,« scherzte Vinzenz.
»Ich wills gut behalten für ein Andermal. Schön Dank,« sagte das Mädchen lachend und stolz fuhr Vinzenz davon.
Als es bergan ging sagte der Vater: »Das ist ein saubers Mädle,« und schnell fügte Vinzenz hinzu:
»Und Ihr müsset selber sagen, eine rechtschaffenere Familie als des Schultheißen giebt es nicht.«
»Ho ho, es giebt noch mehr.«
»Freilich, freilich, aber das wär' eine Söhnerin, die den Schwiegereltern die Händ' unter die Füße legen thät.«
»Hast denn schon was angezettelt und bist denn schon so weit?«
[] »Nein, nein, Ihr wisset, ich thu nichts als was Ihr wollet, aber so viel weiß ich schon, daß des Schultheißen Tochter mich nimmt; sie muß freilich auch ein Aug' zudrücken, daß sie nicht mehr hat wie ich,« sagte Vinzenz und schaute dem Vater starr in's Gesicht, »aber wie gesagt, ich thu keinen Schritt als was Ihr wollet, aber schön wär's, wenn man heut' die Sach noch in's Reine brächt', auf dem Markt wär's grad geschickt –«
»Du hast schon noch Zeit«, erwiderte der Vater und mit unterwürfigem Ton fuhr Vinzenz fort:
»Wie gesagt, wie Ihr wollet, ich wünsch' Euch noch ein langs Leben und wenn ich hundert Jahr alt werde, will ich's immer Kindeskindern sagen, was Ihr für ein Mann gewesen seid und wie Ihr Alles so zusammengehalten habt und kein Hängenlassen duldet –«
»Brauch' dein Lob nicht,« unterbrach ihn der Vater. »Wie kommst du dazu mich zu loben? Wenn ich mich unterstanden hätt' so was zu meinem Vater zu sagen, er hätt' mir die Zähn' in den Rachen geschlagen.«
»Ja, Ihr habt's beim Vetter Dekan auch anders vor Euch gesehen; ich muß mir's vorsagen, was Ihr für ein Mann seid, damit ich nicht auch lern' ... Ich will aber lieber nichts sagen.«
»Was? Was? Was sollst lernen? Gleich sag's. Was?«
»Ich sag's nicht gern, aber jeder Knecht und jeder Taglöhner giebt dem Alban Recht, wenn er sich berühmt, er habe den Hof erst zu Etwas gemacht und das soll erst noch einmal ganz anders werden, wenn er ihn erst ganz in der Hand hat ... wenn mein Alter, wie er nie anders sagt –«
[] »Still, kein Wort mehr,« rief der Vater zornig, »sag' kein Wort mehr gegen deinen leiblichen Bruder, du machst's grad verkehrt damit; sag' kein Wort mehr oder du wirst sehen –«
»Mit Einem Aug, wenn Ihr mir nicht das auch noch ausschlaget,« erwiderte Vinzenz wieder und der Vater begann nach einer Weile in ruhigem Ton:
»Guck, Vinzenz, ich halt' dir mein Wort.«
»Aber Ihr fürchtet Euch doch vor dem Alban, das in's Reine zu bringen?«
»Nein, das nicht, aber es soll nicht heißen und soll auch nicht sein, daß du mich gegen deinen Bruder verhetzest. Was ich thu, das thu ich weil ich mein eigener Herr bin und weiß was ich thu und der Alban ist mein Kind so gut wie du, und er hat sein Lebenlang noch kein böses Wort auf dich zu mir gesagt und auf mich zu Anderen gewiß auch nicht, ich glaub's nicht; ich weiß, die Leute sind schmeichlerisch und verdrehen Einem das Wort auf der Zunge. Mein Alban ist ein folgsames, ehrerbietiges Kind.«
»Ich kann Euch alle Dienstleute bis auf den Dominik und seinen Schwiegervater den Nagelschmied zu Zeugen stellen, wenn Ihr mir nicht glauben wollt.«
»Ich will nichts davon. Das wär' mir schön, die Dienstleute abzuhören. Red' jetzt nichts mehr. Ich will gar nichts wissen!«
Vinzenz fuhr schweigend dahin. Er setzte sich's als eine kluge Regel vor, nichts mehr gegen Alban zu sagen, aber darum nicht minder auf baldige Erledigung der schwebenden Sache hinzuarbeiten. –
[] Die armen Kleinbauern und Häusler, die heute zu Markte gingen und ihre zusammengeschnurrten Kornsäcke bald wie einen Zopf gedreht am Stocke auf der Achsel, oder wie eine Schärpe um Schulter und Hüfte gebunden trugen, grüßten heute den Furchenbauer nur halb und lächelten.
Was geht denn vor in der Welt? ...
Das sollte sich bald zeigen.
Auf dem Kornmarkt war heute eine seltsame Bewegung. Mitten unter dem aufgewirbelten Staub, unter Feilschen um den Preis und Abmessen des Korns, sprach man von nichts als von der Revolution im Nachbarlande und es hieß, daß es auch hier bald losgehe.
Der alte Furchenbauer stand ruhig an die aufgestellten Säcke gelehnt, auf denen mit großen Buchstaben: Christoph Feilenhauer und die Jahreszahl 1849 geschrieben stand. Er mußte oftmals die Frage beantworten, ob es wahr sei, daß sein Alban unter die Freischärler gegangen. Niemand konnte sagen, woher das Gerücht entstanden war, und doch war es da.
Unter solchen Umständen war es natürlich, daß es nach dem hiesigen Landesausdrucke »abgehrte« d.h. daß die Fruchtpreise fielen, und selbst zu niedrigen Preisen konnte man nicht verkaufen. Der Furchenbauer, der sonst das Unverkaufte in der Stadt lagern ließ, befahl jetzt, daß Alles wieder aufgeladen und heimgeführt werde; er traute der Sicherheit in der Stadt nicht.
Spitzgäbele war heute früher als sonst in der Rose; und während um ihn her Alles im wilden Gespräche über die Zustände des Nachbarlandes und des eigenen [] schrie und zankte, ließ sich der Furchenbauer vom Spitzgäbele das Nähere von der Brautfahrt erzählen. Den Vinzenz hatte er beim Aufladen des Korns gelassen, er sollte dort helfen und auch nicht hören, was hier vorging.
Spitzgäbele glaubte dem Gerücht, daß Alban unter die Freischärler gegangen sey, trotz der heftigsten Gegenbetheuerungen des Furchenbauern; er bewunderte wiederholt die unerschütterliche Ruhe dieses Mannes, er glaubte nicht anders, als der Furchenbauer wünsche noch einen weitern Zornesgrund gegen seinen Sohn und theils um ihm diesen zu gewähren, theils auch um sich selber im Glanz zu erweisen, erzählte er nun, wie Alban Alles verkehrt gethan und sich zuletzt noch berühmte, er habe die Brautfahrt nur gemacht, um seinen Vater zu betrügen.
Der Furchenbauer verzog bei diesen Mittheilungen keine Miene, ja er hob das Glas auf, um zu trinken, aber kaum brachte er es an die Lippen, als er es wieder absetzte, es däuchte ihm Alles wie Galle.
Der Lärm in der Stadt war heute dem Furchenbauer zu toll. Auf den Nachmittag hieß es, kämen hunderte mit Doppelbüchsen bewaffnete Holzhauer von Wellendingen herüber, wo sie sich beim Apostel unter Anführung des Lenz von Röthhausen sammelten, eine Volksversammlung sei in der Stadt angesagt und jetzt müsse Alles mitthun. Theils um diesen Fährlichkeiten zu entgehen und in solchen Verhältnissen auf seinem Hofe zu sein, theils aber auch aus einer gewissen Bangigkeit um Alban, eilte der Furchenbauer mit[] Vinzenz vor der Zeit heimwärts. In jedem Dorf, durch das sie fuhren, hieß es, daß sie nicht weiter können, im nächsten Dorf seien Freischärler und raubten Alles und hätten es besonders auf die Pferde abgesehen. Man wollte ganz genauen Bericht haben, und obgleich es sich in jedem Dorfe als unrichtig erwies, glaubte man doch seltsamerweise daran und je weiter man kam, desto tiefer schob sich immer Alles zurück.
Eine wunderliche Gespensterfurcht hatte sich der Menschen am hellen Tag bemächtigt. Der Aufstand, durch den der letzte Versuch gemacht werden sollte, die Freiheit zu erobern, erschien zuerst als Gefährdung von Gut und Blut.
Der Furchenbauer hatte den Dominik mit dem Fruchtwagen bald eingeholt, und so sehr war er von der allgemeinen Bangigkeit befangen, daß er fürchtete, die Freischärler hätten es auf seinen Fruchtwagen abgesehen. Er befahl daher dem Dominik, langsam weiter zu fahren, bis er Gegenbefehl erhalte.
Der Tag hatte sich aufgeklärt, der ganze Himmel war mit rothen Wolken überzogen, als der Furchenbauer mit Vinzenz von der Straße ab in seinen eigenen Weg einlenkte.
»Gottlob, da ist der Alban,« rief Vinzenz und der Vater schaute dem neben ihm Sitzenden, der doch seinen Bruder lieben mußte, freudig in's Gesicht. Als aber Vinzenz mit der Miene klugen Einverständnisses hinzusetzte: »Seid nur jetzt auch gut gegen ihn, nur jetzt keine Händel, er ist unser Schutz,« da knirschte der Vater die Zähne zusammen, gerade weil Vinzenz Etwas [] von seinen Gedanken errathen hatte, und hastig stieß er die Worte hervor:
»Ich brauch' Niemand, ihn nicht und dich nicht; ihr könnet alle Beide zum Teufel gehen,« und gleichsam als Zeichen, daß er selber noch am Platze sei, riß er dem Vinzenz Peitsche und Leitseil aus der Hand und hieb zornig auf die Pferde ein.
Dennoch konnte er sich nicht leugnen, daß er eine gewisse Freude hatte, seinen Alban dort zu sehen; er hatte zuletzt fast selbst an das Gerücht geglaubt und er beklagte schon leise den verloren geglaubten Sohn; er merkte doch jetzt, wie lieb er eigentlich den Alban hatte, er war stolz und unbeugsam wie er selbst, nur anders, etwas vornehmer, und ein Vater liebt in seinen Kindern selbst seine Fehler, zumal wenn sie zugleich auch als Tugenden oder mindestens als Kraft erscheinen. Der Furchenbauer sagte sich, daß er eigentlich keinen Schutz von seinem Sohn wolle, aber es war ihm doch lieb, ihn in der Unruhe bei sich zu haben, wie man bei einem drohenden Gewitter gern alle Angehörigen wach und um sich versammelt hat.
Der Sturm bricht los.
Alban mußte gehört haben, daß sich das Gefährte nahe und der Furchenbauer hob mehrmals die Peitsche hoch, um ihm zu winken, ja er knallte; aber Alban schaute nicht um und in dem Vater stieg plötzlich wieder der ganze Zorn auf, daß dieser Sohn, wie Spitzgäbele [] erzählte, ihn verhöhnt und verspottet habe und hinterrücks sein Possenspiel mit ihm trieb. Darum faßte er jetzt den Vorsatz, mitten in aller Unruhe, während jetzt die ganze Welt aus Rand und Band ging, in seinem Hause den Meister zu zeigen. Wie er jetzt die Zügel fest anhielt und auf die Pferde loshieb, so mußte es auch im Hause sein: die Zügel fest in der Hand und dann drauf losgehauen, bäumt euch, schnaubt und schlagt aus wie ihr wollt, ihr seid festgebunden.
Alban hatte den Pflug draußen im Feld inmitten der Furche liegen lassen, um ihn morgenden Tages wieder aufzunehmen; wohlgemuth das Schleswig-Holstein-Lied pfeifend, war er mit den ledigen Thieren zurückgekehrt, als er plötzlich mitten im Pfeifen abbrach, er sah von fern den Vater mit Vinzenz daherkommen; sie fuhren müßig in der Welt umher und thaten sich gütlich, sie waren die Herren, während er daheim sich als Knecht abarbeiten mußte. War er der Knecht und nicht der Erste im Erbgang? War er nicht der künftige Hofbauer und hatte er nicht aus übermäßiger Nachgiebigkeit sich dem Schimpf blosgestellt, von der Eichbäuerin abgewiesen zu werden? Nicht eine Handbreit von seinem Recht wollte er künftighin preisgeben, und jetzt da der Vater ihm nahe war, drückte er die Thiere an den Zaun und stellte sich neben sie, damit das Gefährte bequem vorbei könne. Er rief den Ankommenden keinen Gruß zu und als der Vater neben ihm war, knallte er mit der Peitsche hart an seinem Ohr und höhnte dabei:
»Das ist ein Gruß von Spitzgäbele.«
[] Alban hatte nicht Zeit auf diesen Zuruf etwas zu erwidern, denn im raschen Trab fuhr jetzt auf der Hochebene das Gefährte dahin und langsam vor sich hin knirschend trieb Alban die Thiere in den Hof.
Beim Abendessen that er, als ob nichts vorgefallen wäre, nach demselben aber blieb er in der Stube und harrte eine Weile, daß der Vater zu reden anfangen werde. Als dies aber nicht geschah, fragte er geradezu:
»Was hat denn der Lump, der Spitzgäbele, von mir gesagt?«
»Weil du ihn so heißst, ist Alles wahr,« entgegnete der Vater und erzählte nun mit beißendem Spott und mit einer Zuthat des Ingrimms, wie sehr ihn Alban verhöhnt habe und wie er überhaupt hinterrücks sich als Bauer geberde und alle Maßnahmen des Vaters verhöhne. Vinzenz, der dabei in der Stube war und seine Saat aufgehen sah, setzte sich auf die Ofenbank und spielte mit seinem Lieblingshund, dem Greif, den er sich angeschafft hatte und der fast ausschließlich nur ihm gehorchte. Der Vater hatte heute wieder seine »Flözerstimme« wie sie die Mutter bei sich nannte. Sie wußte zwar schon längst, daß er jedesmal wenn er vom Kornmarkt heimkam, lauter sprach; er behielt den Ton noch bei, den er dort unter dem Lärm gebrauchte, aber heute war's doch übermäßig. Sie winkte ihm mit den Augen, ja sie erhob beide Hände flach in der Luft zu begütigenden Zeichen, aber es half nichts. Der Vater erklärte weiter, daß Alban ganz anders werden müsse, ganz anders, wenn Friede im Hause sein solle. Als Alban hierauf entgegnete, daß er nicht wisse, worin [] er sich ändern solle, er sei gehorsam, fleißig und ehrerbietig, wie Viele Seinesgleichen jetzt nicht wären, da schlug der Vater auf den Tisch und schrie zornig:
»Was Deinesgleichen? Was weißt du wer du bist? Mein Knecht bist du wenn ich will, und ich will's. Ja, es bleibt dabei, du suchst dir einen andern Hof, denn den kriegt der Vinzenz. Still sag ich! Was Deinesgleichen? Meinst du, weil andere Väter jetzt sich von ihren Buben über's Ohr hauen lassen, meinst ich leid's auch? Ich bin Herr und Meister, und mit dir mach' ich was ich will und mit meinem Hof mach' ich was ich will.«
»Das könnet Ihr nicht,« rief Alban fest auftretend, »der Hof gehört im Erbgang mir, es wird sich zeigen, ob Ihr mir ihn nehmen könnt!«
»Was wird sich zeigen? Ich bin noch über dich 'naus studirt. Du meinst weil du herrelen – den vornehmen Mann spielen – kannst, du seist was? Nichts bist. Ja, reib' nur deinen Bocksbart. Wenn du nicht augenblicklich mich um Verzeihung bittest und mir versprichst, mir in Allem zu folgen, ohne Widerrede, da kannst mein' Hand auch noch in deinem Gesicht spüren.«
Die Mutter und Ameile suchten den heftig Erregten zu beruhigen, auch Vinzenz trat auf den Vater zu und sagte:
»Ich bitt' Euch, haltet nur jetzt Friede. Wir werden uns als Brüder vergleichen.«
»Du willst mir auch dreinreden? Wer bist denn du? Naus sag ich, oder ihr habt die Wahl, ob ihr [] zu der Thür oder zum Fenster 'nauswollet; 'naus alle Beide, ihr dürfet mir nicht mehr vor die Augen bis ich euch ruf'.« Er riß die Thüre auf und schob zuerst Vinzenz hinaus, der nur geringen Widerstand leistete, als er aber auch Alban anfassen wollte, streifte dieser die Hand rasch ab und sagte in scharfem, bestimmtem Tone:
»Vater, rühret mich nicht an. Ich geh allein, ich geh von selber, und da schwör' ich's: nie, nie mehr komm' ich daher vor Eure Augen, wenn Ihr mich nicht selber darum bittet.«
Er nahm seinen breitkrämpigen grauen Hut vom Ofenstängele und ging hinaus. Drin in der Stube hörte man noch Schelten zwischen Mann und Frau und dann lautes Weinen, das erst aufhörte, als die Thüre zugeschlagen und dann noch einmal mit dem Fuß darauf getreten wurde.
Am Röhrbrunnen stand Alban mit seinem Bruder und dieser sagte:
»Alban, ich bin oft neidisch auf dich gewesen, aber jetzt mein' ich's gut. Du wirst sehen, ich werd' dir Alles geben, was recht ist.«
»Ich brauch' nichts von dir, du eher von mir.«
»Sei jetzt nicht bös, ich kann nichts dafür. Sieh da, sieh her, siehst das da?«
»Ja, dein blindes Aug'.«
»Und weißt wovon das ist?«
»Wie du vom Wagen gefallen bist. Was geht mich das jetzt an?«
»Es geht dich an. Zum Erstenmal in meinem [] Leben sag ich das, ich hab's noch nie über meinen Mund bracht, aber jetzt, jetzt muß es 'raus. Ich bin nicht vom Wagen gefallen. Der Vater hat mir im Zorn das Aug' ausgeschlagen.«
Alban faßte zitternd die beiden Hände seines Bruders.
»Ja,« fuhr Vinzenz fort, »es weiß es sonst kein Mensch als er und ich, du bist der Erste, und ich hab ihm einen Eid geschworen, es Niemand zu sagen, aber ich muß ihn jetzt brechen. Und weil mir der Vater das than hat, hat er mir den Hof versprochen und das Abendmahl drauf genommen.«
Alban stand still neben dem Bruder. Man hörte lange nichts als das Rauschen des Brunnens und ein sanftes Flüstern des Hollunderbaumes. Plötzlich raffte sich Alban zusammen, reichte dem Bruder die Hand und sagte:
»Behüt' dich Gott. Ich geh fort.«
»Wohin?«
»Ich weiß selbst nicht.«
»Bleib' lieber da und geh nur nicht unter die Freischärler. Man sagt, sie sammeln sich jetzt im Thal, und in der Stadt hat's auch geheißen, du seist schon dabei, und deßwegen ist der Vater auch so bös gewesen.«
»So?« rief Alban gedehnt, rückte den Hut fester in die Stirne und reckte sich mit allen Gliedern, »hauset mit einander wie ihr wollet. Trifft mich ein' Kugel, ist mir's recht, und komm' ich wieder, wollen wir schon abrechnen.«
Ohne nochmals die Hand zu reichen, rannte er zum[] Thor hinaus und den Berg hinab; die Augen brannten ihm und es war ihm, als fühlte er an sich den gräßlichen Jähzorn des Vaters, der sein eigenes Kind fast geblendet. Als er auf der Landstraße war, überkam ihn auf Einmal mitten im Jammer ein frohes Gefühl, er war nun frei, frei von der ganzen Welt. Wie oft hatte ihm schon der Ruf nach Freiheit das Herz erfüllt, jetzt endlich konnte er ihm Folge leisten, er durfte für sich handeln und brauchte nicht zu fragen, ob dies der Vater genehm finde; es war recht, daß er verstoßen war, er hatte zu lange sein eigenes Herz unterdrückt, jetzt war er frei. Er streckte die Arme empor und war bereit zu sterben, damit die ganze Welt frei und glücklich sei.
Raschen Laufes schritt er dahin, nur Einmal stand er still, denn ihn hemmte der Gedanke, ob nicht Vinzenz in ausgefeimter Falschheit ihm diesen Weg gezeigt hatte und ihn scheinbar abhielt, um ihn so sicherer darauf zu lenken und seiner entledigt zu werden. Er konnte an solche Bosheit des Menschen nicht glauben. Und war es nicht sein Bruder? Und zitterte nicht seine Stimme so kläglich, als er die grause That des Vaters erzählte? Mit neuem Muth schritt Alban dahin. Da begegnete ihm ein Wagen, er kannte den Tritt der Pferde, das Rollen des Wagens und das eigenthümliche Peitschenknallen des Dominik. Er hatte sich nicht getäuscht, Dominik kam mit dem Fruchtwagen.
»Wohin noch?« fragte Dominik erstaunt.
»Gen Reichenbach.«
[] »Bleib' heut davon, die Freischärler sind dort, ein paar hundert Mann, der Lenz von Röthhausen führt sie an. Ich hab' auch deinen Namen nennen hören.«
»So? Da komm' ich gewiß,« entgegnete Alban und erzählte nun alles Vorgegangene. Alban war erstaunt, als Dominik ohne große Theilnahme sagte:
»Ich weiß schon lang, doch du bist auch kein rechter Freisinniger. Hättest du den Hof allein bekommen, es wär' dir nicht eingefallen, daß deine Geschwister durch das alte Herkommen verkürzt werden, du wärst halt ein großer Hofbauer wie Andere, wenn auch ein bisle gutmüthiger.«
»Das verstehst du nicht,« entgegnete Alban zornig.
»Freilich, ich bin nur als armer Knecht aufgewachsen. Was kann so Einer wissen.«
Alban stand betroffen, aber er wollte jetzt von nichts Anderem wissen und ging fast zornig davon. Er hatte Dominik um ein Darlehen bitten wollen, aber jetzt that er ihm diesen Gefallen nicht.
In Reichenbach wurde Alban mit großem Jubel bewillkommt. Es klärte sich jetzt Alles auf. Der Lenz hatte dem Alban schon am Morgen einen Boten geschickt, der Bote hatte die Weisung angenommen, war aber wahrscheinlich nach einer andern Gegend entflohen, weil er sich vor der Verantwortlichkeit fürchtete. Mitten im Sturm war Alban für sich plötzlich hoch erfreut. So war es also nicht Lüge und Falschheit von Vinzenz, daß man in der Stadt gesagt hatte, er sei bereits unter den Freischärlern, er bat dem Bruder in Gedanken jeden Zorn ab, den er gegen ihn gehegt hatte ...
[] Der Pflug im Kugelberger Felde blieb lang unberührt liegen.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Monatelang hörte man nichts von Alban, bis auf den Furchenhof plötzlich die Nachricht kam, der Alban habe sich eine Zeitlang beim Hirzenbauer in Nellingen aufgehalten und diene jetzt als Knecht auf dem Sabelsbergischen Gut in Reichenbach. Die Mutter eilte zu ihm, um ihn nach Haus zu bringen, aber er ging nicht und beharrte auf seinem Eid, der Vater müsse ihn holen. Es war unerhört, daß der Sohn des Furchenbauern bei dessen Lebzeiten Knecht sein, an der Schwelle des väterlichen Hofes fremden Leuten dienen sollte. Alban war unnachgiebig, als auch Ameile und Dominik nach einander zu ihm kamen, er wiederholte Beiden: er wolle dem Vater zeigen, daß er Knecht sein könne, aber nur bei fremden Leuten, nicht auf dem väterlichen Hof, dazu werde er sich nie verstehen; der Vater, der ja für seine Nachkommen sorgen wolle, könne jetzt bei Lebzeiten an ihm sehen, wie es ihnen einst ergehe.
Es war ein strenger Befehl des Vaters, daß in seinem Beisein Niemand von Alban reden durfte, auch die Mutter nicht; ja sie hatte es so weit gebracht, selbst ihren Gedanken zu wehren, daß sie zu ihm hingingen. Ueber ihre Träume aber hatte sie keine Macht ....
[]Ein Sohn und ein Knecht.
Heute waren alle die stürmischen und trüben Erinnerungen in der Seele der Mutter erwacht, und als sie endlich eingeschlafen, schrak sie plötzlich auf und rief laut den Namen Albans, von dem sie seit länger als einem Jahre ihre Lippen entwöhnen mußte. Sie horchte still, ob ihr Mann nichts gehört habe, der aber schlief ruhig.
Die ganze Welt war wieder in ihr altes Geleise zurückgekehrt, die gerade gestreckten Sensen waren wieder umgebogen und einzelne, bei denen sich das nicht mehr thun ließ, waren zum alten Eisen geworfen; die Gemeinden, die auf allgemeine Kosten Waffen angeschafft, hatten diese wieder verkauft und nur hier und da sah man noch einen einzelnen Heckerhut mit schlaffer Krempe, der allmälig zertragen wurde. Die Jahre der Bewegung, die auch in der entlegensten Hütte eine Erschütterung hervorgebracht, schienen jetzt vergessen wie ein Traum. Auf dem Furchenhofe war auch Alles wieder wie ehedem, ja der Furchenbauer war wieder einer der Liberalen, die man freilich jetzt anders nannte, denn bei der Einführung der Geschwornengerichte hatte man ihn, der doch auf der Liste der Höchstbesteuerten stand, eben wegen seiner ehemaligen Gesinnung nicht zum Geschwornen er nannt, vielmehr waren viel Geringere aus der Gemeinde dazu berufen. Alles war wieder in's alte Gleise zurückgekehrt, nur mit Alban war dies nicht der Fall. Trotz aller Ruhe und gewohnten Ordnung, die auf dem Furchenhofe herrschte, [] war es doch immer, als fehlte Etwas und als könnte eine plötzlich eintretende Erscheinung Alles ändern. Das ganze Leben, das sonst so stetig erschien wie das Wachsen von Baum und Pflanze, hatte jetzt etwas Einstweiliges, morgen rundum zu Verkehrendes. Die Dienstleute standen oft bei einander und plauderten und wenn der Meister zu ihnen trat, verstummte plötzlich das Gespräch; es hatte gewiß wieder vom Alban gehandelt und wie der mit dem Meister entzweit sei, weil er die Eichbäuerin abgewiesen habe und lieber des Nagelschmieds Vreni heirathe, und darin geben sie ihm gewiß Alle Recht, denn jeder Knecht und jede Magd fühlte sich damit erhoben, daß Eines ihresgleichen zu hohen Ehren kommen sollte. Der alte Furchenbauer schien sich seit dem Streit mit seinem Alban verjüngt zu haben, er stand Allem vor wie der jüngste Mann; nur die Bäuerin merkte oft an seinem stillen Brüten, daß ihm Etwas im Gemüthe saß, das er nicht verwinden konnte: sie durfte aber nicht davon sprechen, denn er wurde immer heftig gegen sie und verbot ihr zuletzt, je vor ihm den Namen Albans zu nennen. Nur Einmal, und das vor wenigen Wochen, sprach er selbst von ihm und mit einer gewissen verhaltenen Freude. Er erzählte, wie ihm der Rentamtmann im Vertrauen mitgetheilt habe, Alban habe sich eigentlich nicht als Knecht verdingt, er habe sich ausdrücklich wöchentliche Kündigung bedungen, auch seinen Genossen erklärt, er diene nur hier, um die höhere Ackerwirthschaft noch besser zu erlernen. Dieser Stolz Albans, der zugleich die Ehre des Vaters wahrte, gefiel diesem; er widersprach [] nicht, als die Mutter hinzusetzte, der Alban gleiche ganz ihrem eigenen Vater, der habe auch so was Adeliges gehabt, darum habe man ihn auch spottweise den Schmalzgrafen geheißen. Als die Mutter aber weitergehen und eine Versöhnung daran knüpfen wollte, wurde der Furchenbauer plötzlich wieder voll Ingrimm und betheuerte, daß das nie geschehe, bis Alban bittend vor ihn hintrete.
Sprach der alte Furchenbauer nur äußerst selten mit seiner Frau von Alban, so that er dies um so öfter mit Dominik. Dieser war eine treue Stütze des Hauses, und wenn gleich nur Knecht, doch wohl angesehen. Der Bauer wußte, that aber als ob er Nichts davon gemerkt habe, daß ihn die Mutter schon mehrmals zu Alban geschickt hatte; er suchte daher von ihm zu erfahren, was denn eigentlich Alban vorhabe, aber Dominik war behutsam und klug und gab nur knappe Antworten. Der Vater, der seinem Sohn keine unmittelbare Nachricht gab, wollte doch, wie man sagt, es seine Meinung auf die Post geben; er that, als ob er nur Dominik mittheilte, daß er den Hof diesmal höher schätzen lasse als es von Alters her bräuchlich sei, damit die abgefundenen Kinder auch ein Erkleckliches hätten, daß er aber Alban ganz enterbe, wenn er nicht von des Nagelschmieds Vreni lasse. Dominik hörte das ruhig an und erwiderte in der Regel nichts, nur manchmal fragte er geradezu, ob er das Gehörte dem Alban im Namen des Vaters mittheilen solle, was der Furchenbauer streng verneinte; er durfte sich weder vor seinem Sohn noch vor dem Knecht eine Blöße geben.
[] Das gesetzte Benehmen des Dominik machte auf den Furchenbauer einen bedeutsamen Eindruck. Er ehrte den Dominik damit, daß er ihn mehrmals geradezu fragte: ob er denn nicht Recht habe, ob denn ein Vater nicht schalten und walten dürfe wie er wolle, ob sich ein Kind dagegen auflehnen dürfe und ob nicht Kindeskinder Dem danken müssen, der die Größe und die Ehre der Familie fest gewahrt habe. Aber auch hierauf gab Dominik nur wenig entsprechende Antworten, er sprach davon, daß der kindliche Gehorsam, aber auch daß der Friede über Alles gehe, lehnte indeß jede Selbstentscheidung ab, mit dem Bedeuten, daß er diese Sachen nicht verstehe. Der Bauer war mehrmals versucht, den Dominik für dumm zu halten; aber aus einzelnen Worten entnahm er doch wieder wie klug er war, hatte er ja einmal geäußert:
»Es ist wahrscheinlich dumm was ich sag', aber ich weiß nicht, der Pfarrer sagt doch immer, Gott allein sei die Vorsehung und ich weiß jetzt nicht: wollet Ihr nicht mit dem was Ihr vorhabet, wie man bei uns in Nellingen sagt, in Gottes Kanzlei steigen und Vorsehung spielen? Kann man da nicht auch zu viel thun und muß man nicht unserm Herrgott die Hauptsach' überlassen, was er für künftige Zeiten vorhat?«
»Du bist gar nicht so dumm, gar nicht, aber du verstehst die Sach nicht,« hatte darauf der Bauer erwidert und Dominik war mit dieser Antwort mehr als zufrieden und blieb doppelt bestärkt in seinem gehaltenen Benehmen. Er mischte sich trotz aller geheimen und offenen Aufforderungen nicht eigentlich in die [] Sache, er verdarb es weder mit dem Bauer noch mit Alban, wenn dieser einst doch den Hof bekomme, und solche weise Zurückhaltung eines Dienstboten verfehlte nicht, dem Bauer einen gewissen nachhaltigen Respect abzunöthigen. Minder war das bei Alban der Fall; dem Dominik, als er ihn einst im Auftrag der Mutter besuchte, gesagt hatte: »Ich bin auch ein Häuslerkind, mein Großvater war auch ein reicher Bauernsohn, den man nebenausgesetzt hat. Man muß sich drein finden ...«
Als jetzt die Furchenbäuerin in der Nacht erwachte und hörte, wie der Dominik das Schwärzle aus dem Stall zog, däuchte es ihr eine Ahnung, daß sie erwacht war; jetzt zog ja ihre Botschaft zu ihrem Alban, denn sie hoffte, daß Dominik dem Willen des Bauern ungetreu über Reichenbach fahren werde.
Ein nächtiger Gang bis daß es tagt.
Der Kühbub hatte Dominik zur Zeit geweckt und Dominik war bald zur Abfahrt bereit, er war aber entschlossen, mindestens auf dem Hinweg dem ausdrücklichen Befehl des Bauern zu gehorchen; wenn er ihm zuwiderhandelte, wollte er es lieber zu eigenem Nutzen thun und eine halbe Stunde ab des Wegs zu seiner Mutter nach Nellingen gehen. Er war darüber noch nicht mit sich einig, als er von der Landstraße ab den Waldweg einschlug. Das Schwärzle brummte vor sich hin, als man in den nächtig säuselnden Wald eintrat, wo die dunklen Wipfel rauschten, obgleich [] man keinen Wind verspürte; es stand oft still und nur den freundlichen Ermahnungen oder auch dem Schelten des Dominik folgte es und schritt fürbaß.
Die Gelehrten haben vielleicht nicht unrecht, daß sie den Hennenweg eigentlich Hünenweg nennen, ungeheuerlich genug ist er und die Felsblöcke und seltsamen Erdwälle, die hüben und drüben sind, können wohl für Hünengräber gelten; die Volksmeinung aber bleibt dabei, der Weg gleiche einer Hühnersteige und darum heißt er der Hennenweg. Das Schwärzle, einmal im frischen Lauf, konnte klettern wie eine Ziege und das war natürlich; das Schwärzle war von echter Schwyzerrasse, die Mutter war unmittelbar aus dem Appenzell gekommen und unter der Obhut des Dominik war das Schwärzle aufgewachsen und so gediehen, daß ihm der Preis nicht fehlen konnte. Wie ein Hund seinem Herrn, folgte das Schwärzle dem Dominik, und erst als man auf der Anhöhe war, hielten Beide an, Dominik stopfte sich eine Pfeife und das Schwärzle fand in der Nacht ein thaufeuchtes Maulvoll Gras am Wege, das war für den Hunger und für den Durst. »Vorwärts in Gottes Namen« sagte jetzt Dominik und mit einem schnell erhaschten Vorrath für den Weg folgte das Schwärzle. Dominik fürchtete weder Gespenster noch lauernde Uebelthäter, aber der Ruf, den er vorhin gethan, erlöste ihn doch von einem gewissen Gefühl der bangen Einsamkeit und dabei schlug er sich an die Hüfte und überzeugte sich, daß sein im Hirschhorngriffe feststehendes Messer dort sicher ruhte. Der Meister hatte Recht, der Weg war von jetzt an bequem [] und lind, er zog sich auf einem Walddurchschlag hin, auf dem bis zum Jahre 1848 die gräflich Sabelsbergischen Schafe weideten, das Gras war jetzt in die Höhe geschossen, denn der Furchenbauer hatte sich nicht entschließen können, nach dem Rathe Albans selber Schafe einzuthun und eine mehrmalige Ausschreibung der Schafweideverpachtung hatte bis jetzt zu keinem Erfolge geführt. Dominik dachte in sich hinein, wie manches Erträgniß doch auch auf solch einem großen Bauernhofe verloren gehe, er dachte, wie es einem rechtschaffenen Knechte zukommt, zunächst an den Vortheil seines Meisters, dann aber auch an sich selber; er verstand die Schäferei, und hätte er nicht sein ganzes Geld an Alban verliehen gehabt, er hätte sich selber Schafe eingethan und den Weidgang gepachtet. Es giebt ja hier zu Lande viele Eigenthümer von Schafheerden, die keinen Grundbesitz haben. Dominik war in die Jahre getreten, wo er allzeit ausschaute nach einem selbständigen Anwesen und sei es auch noch so klein. Er gedachte jetzt, wie Manches von einem großen Hof doch noch ganz anders ausgenutzt werden könnte, wenn es in fleißige Hand gegeben wäre, die nur das allein hätte. Immer kam Dominik wieder auf die Ueberlegung zurück, wie es einem noch so Fleißigen hier zu Lande nicht möglich sei, Etwas vor sich zu bringen. Drüben im Gäu, wo es wenig geschlossene Güter giebt, die auf ewige Zeiten in Einer Hand bleiben, da ist es einem sparsamen Knecht, der von Haus aus Nichts hat, doch möglich, mit der Zeit ein gut Stück Feld zu erwerben, er heirathet noch Etwas dazu und wenn die Gemeinde [] sieht, daß das junge Paar fleißig und sparsam, läßt sie ihm bei einem schicklichen Kauf die Vorhand und nach und nach zahlt man jedes Jahr ein Ziel ab und hat mit der Zeit ein schönes Bauerngütle und die Aecker sind alle das Doppelte werth. Hier zu Land aber ist Grund und Boden in fester Hand und es bleibt Nichts, als Häusler werden und wie der Spatz auf dem Dach leben. Das aber wollte Dominik nicht, lieber ledig sterben; er hatte im elterlichen Hause zu bitter erfahren, welch ein elendes Leben das ist.
An einer starken Lichtung, die jetzt am Wege war, erkannte Dominik den Grenzstein vom Gute seines Herrn. Wer wird doch noch Recht behalten? Alban oder der Vater? Wer weiß, es kann noch bös werden, zwei harte Mühlsteine mahlen nicht gut, sagt das Sprüchwort. Es raschelte Etwas im Walde, das allgemein bewaffnete Jahr muß doch noch nicht alles Wild weggepirscht haben, das Schwärzle brummte leise und drängte sich näher an Dominik. Gen Morgen zeigte sich allmälig ein lichteres Grau, die Nebel senkten sich, das Schwärzle begrüßte durch lautes Schreien den jungen Tag. Ein Rabe hockt noch verschlafen auf einem Baumast, er hat den Kopf unter den Flügeln, jetzt erwacht er, schüttelt sträubend sein Gefieder, öffnet den Schnabel wie gähnend und fliegt krächzend waldaus. Ein enges grünes Thal thut sich auf, über den Waldbergen jagen die Nebel in zerrissenen Wolken dahin, die Elstern schnattern und fliegen von Baum zu Baum, auf einem blätterlosen Kirschbaum klagt der Fink regenverkündend: es gießt! es gießt! und hoch oben schwebt [] ein Raubvogel, es ist die Hühnerweihe, sie stößt ihr jauchzendes Geschrei aus: Gujah! Gujah! Hähne krähen, Hühner gackern, der Taktschlag der Drescher tönt herauf, das ist das arme, von Waldarbeitern bewohnte Dorf Klurrenbühl, aber man sieht nichts davon, Alles ist in Nebel gehüllt, die Wälder tauchen daraus auf, eine heisere Morgenglocke ertönt wie weit verloren, jetzt erscheinen die Häuser des Dorfes bis zur Dachfirste, hell und darüber die Nebelwolken, von den Bäumen am Weg tropft es leise, die breiten Blätter des Kohls tragen schwere Tropfen, die manchmal in der Mitte des Blattes wie von einander angezogen zusammenrinnen und je näher sie sich kommen, immer hastiger. Da und dort fällt ein einzelner Apfel schwer vom Baume. Dominik hatte für Alles Aug und Ohr, denn er wünschte sich doch einen hellen Tag, heute da er und das Schwärzle gekrönt würden. Als er jetzt am ersten Haus unter dem Geläute der Glocke, die so armselig und wie bescheiden bittend ertönte, den Hut abzog, mischte sich in sein Gebet der Dank, daß er nicht dazu bestimmt sei, in einer Einöde wie dieses Dorf war, sieben Stunden hinterm Elend wie man sagt, sein Leben zu verbringen; er war auf dem Furchenhof an Besseres gewöhnt. Lieber lebenslang auf dem Furchenhof als Bürger in so einem armseligen Nebensausorte, dachte Dominik. Auf einem »abscheinigen« Hauswesen bauern, wo Einen die Schulden morgen wie der Wind wegblasen können – da ist Knecht sein besser; und doch: ein eigen Leben geht wieder über Alles.
Im Dorfe zeigte sich schon frühes Leben, dort ging[] einer mit der Peitsche knallend, gleichsam sich und die Thiere erweckend, nach der Stallthüre, dort öffnete sich eine Stallthüre von innen und die Kühe schreien – der hat seinen Thieren schlecht über Nacht aufgesteckt; ein Mann, der in dürftigem Kleide über die Straße ging, schaute den Dominik verwundert an und vergaß seinem freundlichen Gruße zu danken. Wer weiß, mit welchen bösen oder traurigen Gedanken Der seinen Tag anfängt. Auf einen Ehrenpreis hofft der wenigstens heute nicht. Diese Aussicht, die gestern den Dominik noch grimmig gemacht, ward ihm jetzt im frischen Morgen zu einer lichten Freude; er fühlte sich so lustig wie seit lange nicht und etwas Anderes konnte es doch nicht sein. Mit frischer Kraft wanderte er, das Schwärzle am Seile führend, dahin, und selbst das wohlbekannte Thier erschien ihm jetzt so schön wie noch nie. Wie prächtig schwarz war die Farbe, die durch einen kaum merklich lichteren Streif auf dem Rücken noch gehoben war; nur wenig überbaut, wie war es so fest und doch fein, der Kopf mit den weißen Hörnern, dem weißen Maul und den hellen Haarbüscheln in den Ohren – wie verständig sah das Thier aus.
Es mag wohl von dem ehemaligen Hirtenleben des Dominik herkommen, daß er nie ein rechtes Auge für die Schönheiten des Pferdes hatte, um so mehr aber für die des Rindviehs, und er erquickte sich wahrhaft daran.
»Du verdienst auch den Preis,« sagte Dominik fast laut, dem Thier auf den Bug klatschend »friß jetzt nicht, du kriegst was Besseres, ich vergeß dich nicht wenn ich was zu mir nehm'.«
[] Das Schwärzle schien aber eine Vertröstung auf die Zukunft nicht zu verstehen, es bog den Kopf noch mehrmals nach dem Gras am Wege und Dominik mußte es kurz halten.
Auf den Wiesen wurde es nun lebhaft. Die Kühe, die den ganzen Sommer im Stall gehalten wurden, sprangen jetzt auf der Weide lustig klingend hin und her und die Hütenden rannten hin und wieder, knallten und jodelten und sangen bei dem Feuer, in dem sie ihre Kartoffeln brieten. Dominik gedachte, wie auch er einst ein armer Hirtenbub war und jetzt hatte er's doch so weit gebracht. Dieses stete Untersichschauen, dieses beständige Erwägen was er einst gewesen und wie weit er's gebracht, machte ihn weniger kühn und muthig und mehr bescheiden und demüthig als eigentlich seine Natur mit sich brachte. Jetzt sang ein Hirtenbub dasselbe Lied, das Ameile gestern ihm nachgesungen und das Antlitz des Dominik erleuchtete plötzlich in Freude.
Nun wußte er's: nicht der Ehrenpreis war es, der ihn so innerlichst fröhlich machte, das Lied lag ihm im Sinn und weiterschreitend sang er:
»Schätzele, Engele
Laß mi e wengele –
Schätzele, wasele?
Nur mit dir basele.«
Das Lied verließ ihn auf dem ganzen Weg nicht mehr und hob seine Schritte und lachte ihn aus mit all seinem Denken und gab ihm auf Alles Antwort.
[] Ich bin neun Jahre älter als das Ameile – das ist ja kein Fehler, das ist ja grad recht ... Das Ameile ist ein anvertrautes Gut von meinem Herrn, ich darf nicht falsch damit gegen ihn sein – er muß dir noch Dank sagen, daß du ihm so einen rechten Tochtermann giebst. Was fehlt dir denn zu einem rechten Bauer als Geld und Gut? Und das hat sie ... Ich mag mich nicht so hoch versteigen, ich plumps sonst so arg 'runter – das ist Feigheit von dir und du wirst's bereuen, wenn's zu spät ist. – Es war merkwürdig, wie sich in Dominik Alles Red' und Antwort gab, als wären zwei Seelen in ihm, und das war wohl auch, denn er trug Ameile im Herzen. Schon vor elf Jahren, als der Hirzenbauer von Nellingen, der Klein-Rotteck genannt, dem Dominik den Dienst auf dem Furchenhof verschaffte, schon damals gewann der hochaufgeschossene Bub das kleine Kind besonders lieb. Ameile stand am ersten Abend am Brunnen und schaute Dominik zu, der sich die Hände wusch; das Kind aß von einem großen Apfel, den es mit beiden Händen hielt, es mochte den zutraulichen Blick des Dominik, der nach ihm umschaute, wohl anders deuten, denn es trat auf ihn zu, streckte ihm den Apfel entgegen und sagte: »Beiß auch ab.« Dominik war selber noch kindisch genug, um mit diesem Anerbieten so weit Ernst zu machen, daß das Kind eine Weile verblüfft auf seinen so sehr verminderten Apfel sah, dann aber doch wieder Dominik anlachte. Von jenem Abend an hatte Dominik eine besondere Liebe zu dem Kinde und suchte ihm auf jede Weise Freude zu machen. Im Winter trug er es oft den [] größten Theil des Weges auf seinen Armen nach der eine Stunde weit entfernten Schule, und wenn Schneebahn war, führte er es auf einem Handschlitten. Als Dominik Soldat werden mußte und nach halbjährigem Verweilen in der Garnison wieder in seinen alten Dienst zurückkehrte, gewahrte er plötzlich, daß das Kind eine Jungfrau zu werden begann. Der Abstand ihrer Lebensverhältnisse wurde ihm immer klarer und selbst in die Herzen voll Einfalt finden oft verschlungene, sich selbst verhüllende Gedanken ihren Weg. Dominik war jung genug, daß ihm die unverkennbare Liebe Ameile's die tiefste Seele erquickte; er lächelte oft still vor sich hin, aber wenn er Ameile begegnete, ihr etwas zu bringen oder zu sagen hatte, machte er immer ein finsteres, ja fast zorniges Gesicht und war wortkarg, er bangte vor dieser Liebe, die ihm nur Unglück bringen konnte, er wollte sie bezwingen, aber es gelang ihm nicht. Da fand sich eine glückliche Aushülfe: nicht um seinetwillen, sondern um Ameile mußte er jede Neigung ausreißen und zerstören, das gute harmlose Kind, das durfte nicht in's Elend kommen, es mußte behütet und beschirmt werden. Dominik erschien sich groß in dieser Entsagung um der Geliebten willen, die ihm jetzt zu gelingen schien; er war nun auch oftmals freundlicher gegen Ameile, nur um ihr zu zeigen, wie gut er's mit ihr meine und bald schien es wieder, daß sie von Allem nichts wisse, sie war allezeit gleich fröhlich und behend, lustig wie ein Vogel auf dem Zweige. Dominik däuchte es, daß er sich getäuscht habe; er hatte mit Schmerzen und Kämpfen eine Liebe ausgerottet, die[] gar nicht da war. Und so seltsam ist das Menschenherz: statt daß Dominik sich dabei beruhigte und zufrieden war, daß Alles sich fügte, wie er wünschen mußte, wollte er jetzt mindestens eine Erkenntlichkeit für seine Aufopferung, und er sagte es einst Ameile was er für sie gethan. Ameile stand betroffen dabei und redete kein Wort. Wochenlang sah sie ihn kaum an wenn sie ihm begegnete und huschte vorbei, als fliehe sie vor ihm. Hatte Dominik erst geweckt was er tödten wollte? Es schien nicht der Fall. Einst als sie ihm nicht mehr ausweichen konnte und er sie fragte, warum sie so trotzig gegen ihn sei, sagte sie mit keckem Antlitz lächelnd:
»Es hat einmal Einer einen Bärenpelz verkauft, ehe er den Bären geschossen hat.«
»Wie? Was meinst?«
»Es hat einmal Einer ein Mädle aufgeben, bevor er's gehabt hat. So ist's.« Der Mädchenstolz schien beleidigt, daß eine Liebe preisgegeben wurde, um die noch gar nicht geworben war. Wollte sie ihn zurückweisen, wenn dies geschehen war? Ameile schien nun ein grausames Spiel mit Dominik zu treiben, sie ging allezeit trällernd und lachend umher und die Natur selber mußte ihr helfen, denn sie wurde mit jedem Tag schöner und liebreizender. Wo sie nur konnte, hänselte sie den Dominik, und die Mutter selber schalt sie oft darüber, der Vater aber hatte seine heimliche Freude an dem lustigen Kind und seinen Scherzen und es war nicht uneben, als er einmal sagte: »Sie ist grad wie ein Kanarienvogel, je mehr Lärm und Untereinander [] im Haus ist, je lustiger ist sie, grad wie ein Kanarienvogel, der schlagt auch immer heller, wenn's recht toll hergeht in der Stub'.« Auch Dominik hatte nach dem anfänglichen Aerger seine Lust an dem Uebermuth Ameile's, es wäre ihm gar nicht lieb gewesen, wenn sie ihn nicht geneckt hätte, sie lachte und jauchzte dabei so grundmäßig; und daß sie grade immer mit ihm anheftelte, war kein böses Zeichen. Er gab sich nun selber manchmal zum Besten und bot Ameile oft Gelegenheit über ihn zu lachen.
Auf dem einsamen Furchenhof war damals eine Bewegung der Gemüther wie sie sich nur selten aufthut, und in Stube und Stall und Scheune sagte man einander, daß es gewiß nirgends lustiger hergehe. Man wußte nicht und wollte nicht wissen, was denn eigentlich vorging und warum Jedes am Morgen so fröhlich aus dem Schlafe sich erhob, man fragte nicht darnach und konnte es nicht sagen und das ist die beste aus innen quillende Freude. So viel aber wußte doch ein Jedes, daß Ameile der Mittelpunkt aller Lustbarkeit war. Selbst der alte Furchenbauer, der eine gewisse finstere Miene nie ablegte, konnte sich des Einflusses der »Blitzhexe« wie er Ameile auch bisweilen nannte, nicht erwehren, und es war doppelt zum Lachen, wenn man sah, welche Mühe er sich gab, bei den losen Streichen und Reden Ameile's seine ernste Miene zu bewahren, wie es aber innerlich zuckte und er am Ende doch nicht anders konnte, als laut auflachen. Oft an Winterabenden, wenn der Vater im Stüble saß und den Wälderboten studirte, während Ameile mit dem [] Gesinde in der großen Stube spann und allerlei Kurzweil trieb, hörte man bei einer neckischen Rede Ameile's den Vater drin im Stüble laut lachen.
Als Dominik jetzt auf seinem Gang an diese Zeiten und besonders den sieben und vierziger Winter dachte, leuchtete die Heiterkeit von damals wieder aus seinem Antlitz.
Als im Vorfrühling darauf Alban aus der Fremde heimkehrte, trat plötzlich mit ihm ein anderer Geist ein. Ein Angehöriger und doch vielfach fremden Wesens war auf den Hof gekommen. Man hatte heiter und erfüllt gelebt in seiner Abwesenheit und es war als ob jedes gewaltsam Raum schaffen müsse für das Gebaren des neuen Ankömmlings, der so zu sagen der zweite Meister war und alsbald überall zugriff.
Mit Ameile ging eine besondere Veränderung vor, sie betrachtete den Bruder oft mit staunender Verehrung und glühte vor Entzücken, da ihr Alban stets mit etwas fremder und so zu sagen höflicher und doch wieder brüderlicher Zutraulichkeit begegnete.
Bald nach der Ankunft Albans hatte auch jene Bewegung begonnen, die so wunderbar die ganze Welt umstellte. Hand in Hand geleitete oft Ameile ihren schönen und so vornehmen Bruder hinab in's Thal zu den Waffenübungen, sie blieb mit der Mutter in der Ferne am Käppele stehen und sah ihm zu und ihr Herz lachte vor Freude. Hundertmal wünschte sie sich im Scherz und Ernst, auch ein Bursche zu sein und klagte, daß bei der neuen Welt gar nichts für die Mädchen herauskäme. Dominik war mit unter den Bewaffneten, [] aber er wußte, daß Ameile nicht seinetwillen auf der Anhöhe stand und unverwandten Blicks herabschaute; sie hatte nur ein Auge für ihren Alban. Dominik war innerlichst eifersüchtig auf diesen, aber er durfte sichs nicht merken lassen und bald hatte er keinen Grund mehr dazu. Die Hinneigung Albans zu Vreni ward sichtbar und Dominik schöpfte daraus neue, wenn auch unbestimmte Hoffnung, aber die Welt war ja jetzt eine andere, alle Menschen waren Brüder, und noch leichter als Alban die Vreni heimführte, konnte der Knecht des Bauern Tochter gewinnen. Ameile schloß sich fortan mit klugem und gutem Herzen der Vreni an, sie konnte dem Bruder ihre Liebe nicht besser erweisen, und als Alban einst in militärischer Weise den Dominik Kamerad nannte, sagte Ameile:
»Dem Dominik gönn' ich's am ehesten, daß er dein Kamerad ist.«
Dennoch war Ameile äußerst zurückhaltend, und wollte Dominik sich ihr nähern, hatte sie immer eine scherzende Abweisung. Als der Zerfall zwischen dem Vater und Alban eingetreten war, wurde Ameile oft still und in sich gekehrt und einmal sagte sie zu Dominik:
»Es ist doch Recht, daß du mich schon lang aufgeben hast, dabei wollen wir auch bleiben.«
Fortan verhielten sich Dominik und Ameile so, als ob nie etwas zwischen ihnen vorgegangen wäre. Ameile, die ihren Bruder so sehr geliebt hatte, wurde wunderbarerweise bald wieder so heiter wie ehedem; sie war überzeugt, daß ihr Bruder unbedingt Unrecht habe und [] sprach das auch unverhohlen gegen den Vater aus. Es ging sie nichts an, was er für einen Streit mit dem Vater hatte, es war und blieb jedenfalls unverzeihlich, daß er die Sache aus dem Hause trug. Was im Hause vorgeht und besonders zwischen Vater und Kind, das darf nicht über die Schwelle.
Der Vater wurde nun noch besonders liebreich gegen Ameile, da er sie so reden hörte und er ging einmal so weit, daß er ihr sagte: »Du bist mein einzig Kind, an dem ich Freud' hab'.«
Dominik war wortkarg und ging still seiner Arbeit nach. Wenn ihn auch Ameile auch oft ermahnte: »Bös brauchen wir just nicht mit einander zu sein; wir dürfen doch mit einander lachen.« Dominik ging nicht darauf ein.
Ein stolzer Bauernbursche wie Alban, der kann es wagen, eine neue Regel für sich aufzustellen und keck über altgewohnte Schranken hinwegzusetzen; ein Knecht, der sich sein Leben lang fügen und ducken mußte und allezeit nach seiner Herkunft schaut, findet die erforderliche Spannkraft hierzu nicht. Es giebt Naturen, die die Abhängigkeit immer weicher und zaghafter macht.
Das Vertrauen, das nach dem Zerfalle mit Alban der Furchenbauer jetzt seinem Knechte schenkte, erweckte in diesem den alten Vorsatz: er wollte Ameile nicht in's Unglück stürzen und dem Vater nicht neuen Kummer bereiten.
Darum hatte er noch gestern beim Aepfelschütteln so herb gegen Ameile gethan und am Abend am Brunnen sich zu wenigen Worten herbeigelassen. Jetzt aber, [] da er allein war auf dem Wege, sang sie ihm allezeit in's Ohr: »Schätzele, Engele.«
In Jettingen, wo Dominik das Schwärzle einstellte, daß es sich an Futter und Ruhe erhole, gönnte er sich selber keine Rast. Er eilte eine halbe Stunde ab des Weges zu seiner Mutter nach Nellingen, er hatte sich nicht darüber berathen und sich nicht dazu entschlossen, es trieb ihn unwiderstehlich fort. Im armseligen väterlichen Hause, das nun der ältere Bruder besaß, traf er die Mutter nicht; sie war, wie die heimgebliebenen Bruderskinder sagten, beim Kartoffelausthun auf dem Felde des Hirzenbauern. Dominik kannte das Feld und eilte dorthin. Auf dem Wege schlug ihm das Herz gewaltig, da er bedachte: wie grausam es sei, daß die alte Frau noch taglöhnern müsse; er kam sich als schlechter Sohn vor, denn er überdachte, wie oft er sich gutthue und seiner Mutter vergesse. Im Hinausschreiten gelobte er sich, dies fortan zu ändern. Die Mutter, eine lange dürre Gestalt, reichte ihrem Sohn die Hand und hob gleich wieder die Harke und wollte während des Harkens mit ihm weiter sprechen; der Sohn des Hirzenbauern, der den Dominik freundlich bewillkommte, sagte ihr aber, sie solle nur mit ihrem Sohn heimgehen, sie solle doch ihren Taglohn erhalten. Dominik dankte und ging langsam neben der Mutter durch das Dorf hinein, die Wangen brannten ihm; denn er mußte eilen, er hatte gegen den ausdrücklichen Befehl seines Herrn diesen Abweg gemacht, aber er zwang sich doch zur Ruhe. Er hatte der Mutter nichts mitgebracht als den verheißenden Gruß, den Ameile ihm mitgegeben; sie [] bat ihn um Geld, er versprach ihr von Wellendingen zu schicken, und als eben der Hirzenbauer auf seinem Bernerwägelein am Hause vorüberfuhr, sagte er: »Ich schick Euch's mit Dem, verlaßt Euch darauf, und ich komme bald wieder.«
Als Dominik schon die Thüre in der Hand hatte, fragte ihn noch die Mutter: »Ist's denn wahr, daß dir dein Bauer sein' einzige Tochter giebt?«
»Wer hat das gesagt?«
»Ich hab's gehört, die Leut reden davon. Mach nur, daß ich's noch erleb'.«
»Da könnt Ihr lang leben bis dahin,« schloß Dominik und machte sich eilig auf den Rückweg durch den Wald. Das Schwärzle brummte ihm entgegen, als er in den Stall trat und ohne Säumen machte er sich nun mit ihm auf nach ihrem Ziel.
Draußen vor Jettingen fuhr der Hirzenbauer an ihm vorüber und winkte ihm zu, sich zu beeilen; Dominik glühte vor Erregung, es war schon spät, er konnte die ganze Feierlichkeit versäumen und mit seinem Herrn hart zusammentreffen; es war unbegreiflich einfältig, daß er nach Nellingen gesprungen war, er hatte ja doch nichts mit seiner Mutter reden können und was sollte er auch? Das Schwärzle mußte in langsamem Gang erhalten werden, damit es nicht erhitzt und abgemattet ankomme, das hätte neuen gerechten Zank gegeben vor aller Welt, und heute sollte er ja wegen seiner treuen Dienste öffentlich belohnt werden. Dominik wünschte sich Riesenkraft, damit er das Schwärzle tragen und mit ihm davon rennen könne; er hätte ihm [] gern geholfen seine Schritte fördern, aber er konnte nichts thun als langsam neben ihm hergehen. Dahin war nun all der fröhliche Muth, all das morgenfrische Leben der vergangenen Stunden, und oft fuhr er sich über die heiße Stirn, wenn er bedachte, was seine Mutter ihm gesagt und was die Leute redeten.
Erst nach geraumer Weile, als aus einzelnen Gehöften Leute kamen, die gleich ihm ein Rind oder einen Stier zur Preisbewerbung nach Wellendingen führten, beruhigte er sich und schalt sich innerlich über seinen unnöthigen Jast; es war ja noch früh an der Zeit und in der That war er einer der Ersten an dem Wirthhaus zum Apostel in Wellendingen.
Festgefahren.
Der Furchenbauer war noch nicht da. Heitern Sinnes war er am Morgen mit seiner Tochter ausgefahren. Er war festtäglich gekleidet, er trug seinen schwarzsammtnen, roth ausgeschlagenen kragenlosen Rock, dazu die rothe Weste mit silbernen Kugelknöpfen, den breiten schwarzen Hut mit nach hinten flatternden Band-Enden. Auch Ameile war im vollen Putz. Der safrangelbe hohe Strohhut mit schmaler nach vier Seiten eingebogener Krämpe, die schwarzen um das Kinn gebundenen breiten Sammetbänder hoben noch die frischen Farben ihres runden Antlitzes, um den Hals war ein schwarzblaues seidenes Tuch geschlungen, dessen rothe Endstreifen im Nacken flatterten und lange Zöpfe mit [] eingeflochtenen rothen Bändern hingen den Rücken hinab; der schwarzsammtne »Schoben« (die Jacke) nach vorn offen ließ die Silberkettchen auf dem rothen Mieder sehen und war nach einer glücklichen Neuerung bis auf die Hüfte verlängert, dazu die weiße Schürze, der schwarze Rock mit Scharlach und Goldborden eingerändert und die rothen Strümpfe vollendeten den Festanzug.
Die beiden Schweißfuchsen gingen ruhig, der alte Mann lenkte sie leicht und nur manchmal draußen vor den Dörfern überließ er Ameile auf ihr Bitten das Leitseil und Ameile schnalzte mit der Zunge und fuhr lustig. Auf dem allzeit finstern Antlitze des Bauern ruhte heute der Abglanz des Triumphes, daß vor aller Welt heute sein Knecht und sein Vieh mit dem Preis ausgezeichnet würde; der eigentliche Ruhm davon gehörte doch dem Herrn und Meister.
Wäre nicht der geheime Kummer um Alban gewesen, in dem Furchenbauern hätte lauter Freude und Wohlbehagen gelebt. Er gedachte jenes Tages, da er mit Sorge um seinen Fruchtwagen diesen Weg gefahren; jetzt war die Welt wieder ruhig, und gehörte er auch nicht gerade ganz zu Denen, die Dem Recht geben, der Recht behalten, oder, wie der Klein-Rotteck von Nellingen sagt, dem Anderen zuvorgekommen und ihn zuerst ins Loch gesteckt hat: so dachte er doch nicht mehr viel an solcherlei Dinge. Die Hauptsache war auch ihm, daß man jetzt wieder die Erträgnisse des Ackers gut absetzt; im Uebrigen mag die Welt regieren wer will und wer kann.
Seit vielen Jahren war der Furchenbauer Mitglied[] des landwirthschaftlichen Vereines; der alte, in diesem Bezirk ehedem so sehr beliebte Oberamtmann Niagarra, dessen Lachen immer so mächtig war und lautete wie wenn ein Klafter Holz zusammenfällt, hatte den Furchenbauer zum Eintritt beredet und er blieb dabei, denn er sah den jährlichen Beitrag als eine Art Ehrensteuer an, der sich ein großer Bauer nicht entziehen dürfe. Von all den vorgeschlagenen Verbesserungen in der Landwirthschaft, von den vielen empfohlenen Werkzeugen hatte sich der Furchenbauer nur wenige angeeignet; er befand sich wohl bei seinem alten Verfahren und hatte nicht Lust Neues zu versuchen, das nicht nur fraglich, sondern auch ihm fremd war und dadurch seine Meisterschaft herabsetzte. Eines aber hatte er gern befolgt. Mehr aus Stolz als aus Einverständniß mit der Sache hatte er seinen Alban in die neuerrichtete Ackerbauschule gegeben, und das hatte böse Frucht getragen; wenigstens wälzte der Vater die wesentliche Schuld auf dieses Verhältnis. Jetzt aber zeigte sich doch auf Einmal ein strahlender Erfolg seiner Mitgliedschaft und halb vor sich hin und halb in sich hinein murmelte der Furchenbauer:
»Die Leute werden Alle sehen, wie gut es meine eigenen Kinder bei mir haben, wenn es mein Knecht so gut hat, wie sich öffentlich ausweist.«
Er schien dieser Rechtfertigung vor sich und der Welt zu bedürfen. Ameile, die diese Worte wohl hörte, erwiderte nichts darauf und der Vater sah sie scharf darob an. Er ärgerte sich aber nicht nur über das Schweigen des Kindes, sondern auch über seine eigene [] Redseligkeit; es war nicht wohlgethan und ganz gegen alle strenge Familienzucht, sich so vor dem Kinde auszulassen.
Unmittelbar vor dem Dorfe Reichenbach wäre den Fahrenden beinahe ein Unglück geschehen. Alban kam gerade mit einem großen Düngerwagen aus dem Dorf heraus, als der Furchenbauer in dasselbe einfuhr; sei es nun, daß der Vater die Zügel in zitternder Hand lenkte oder daß die Pferde Alban erkennend auf ihn zueilten – unversehens hingen die beiden Fuhrwerke in einander und konnten nicht vom Fleck und um ein Kleines wäre Alban dazwischen zerquetscht worden. Ameile riß dem Vater rasch die Zügel aus der Hand, rief Alban, er möge sein Gespann halten, daß es nicht vorwärts gehe und drang in den Vater, daß er absteige, so lange sie die Pferde halte. Alban stand eine Weile an seinen Sattelgaul gestemmt, der sich hoch bäumte, aber er bändigte ihn, und mit einer geschickten Wendung löste er rasch die Stränge, sprang behend über die Deichsel und löste die Stränge dem andern Pferde gleichfalls. Nun konnte sein Fuhrwerk nicht mehr vom Fleck und keinen Schaden mehr anrichten. Er eilte nun, dem Vater beim Absteigen zu helfen. Dieser hatte den einen Fuß über der Leiter und wagte trotz der Ermahnungen Ameile's nicht, den andern Fuß nachzuziehen; das Ungemach und das Zusammentreffen mit Alban hatte ihn ganz wirr und blöde gemacht. So stand er noch, mit hülfesuchendem Blick umherschauend als schwebte er am Rande eines Abgrundes, da kam Alban, faßte ihn mit starken Armen, [] hielt ihn hoch empor und stellte ihn dann sanft auf den Boden. Er befahl Ameile, ruhig sitzen zu bleiben, hob wie spielend die Hinterräder ihres Wagens in die Höhe und zur Seite, sprang vor an den Kopf der Thiere, lenkte sie etwas zurück und dann wieder vorwärts und flott war das Fuhrwerk. Der Vater stieg behende wieder auf, die Beihülfe Albans abwehrend, und dieser stand noch eine Weile ruhig, die Hand auf die Wagenleiter gelegt und schaute dem Vater in's Antlitz; dann sagte er:
»Es hat schon so sein müssen, Vater, daß wir einander auffahren.«
»Fahr' zu!« herrschte der Furchenbauer gegen Ameile als Antwort, und an die Schwester gewendet mit zornig wehmüthigem Tone sagte Alban wieder:
»Wohin geht's?«
»Gen Wellendingen zum landwirthschaftlichen Bezirksfest, unser Dominik kriegt heut einen Preis und vielleicht das Schwärzle auch. Kehr' um und führ' uns, wir können so Beide nicht fahren, hast gesehen,« entgegnete Ameile und der Vater befahl nochmals: »Fahr' zu!«
»Ich kann nicht mit,« sagte Alban vor sich niederschauend, »ich bin hier Knecht.« Er reichte der Schwester die Hand und schloß: »B'hüt dich Gott.« Auch dem Vater streckte er die Hand entgegen und sagte: »B'hüt's Gott Vater.« Er zog die dargereichte Hand aber leer zurück, denn der Vater riß Zügel und Peitsche an sich und fuhr davon. Ameile schaute noch einmal zurück und winkte dem Alban, dieser aber sah sie nicht, [] denn er strängte die Pferde wieder ein, stieg auf den Sattelgaul, untersuchte die Treibschnur und fuhr hell knallend die Straße hinauf und dann querfeldein.
Draußen vor dem Dorf sagte der Furchenbauer:
»Der Malefizbub ist mir überall im Weg. Wenn ihm der Dominik Bescheid gegeben hat, geht's dem schlecht. Der Malefizbub hat's gewiß erfahren, wann ich komm', und hat mir zeigen wollen, wie er Knecht ist, und aufgefahren ist er auch mit Fleiß, es kann ja kein Hofkutscher besser fahren wie er.«
»Nein Vater, da thuet Ihr ihm Unrecht, er hat halt die Besinnung verloren, wie er uns gesehen hat, wie wir Beide auch.«
»Ich nicht.«
»Man sieht ihm aber nichts mehr von seiner Krankheit an,« begann Ameile nach einer Pause, und der Vater fragte:
»Ist er denn krank gewesen? Woher weißt du's?«
»Ich hab' des Jörgpeters Maranne von hier Setzling (zu Kohl) verkauft und die hat mir gesagt, daß er's auf der Brust hab'.«
»Das ist nichts. In unserer Familie ist Alles gesund auf der Brust und der Alban hat eine Brust wie ein Faß.«
»Er sieht doch aber aus wie ein Graf.«
»Viel zu wenig, zum Geringsten wie ein Prinz. Red' mir heut kein Wort mehr von ihm. Punktum. Ich werd's heut wieder von fremden Leuten schon genug hören müssen.«
Trotz dieser Mahnung sagte Ameile doch nochmals:
[] »Ihr hättet ihm wohl ein' Hand geben dürfen, er hat so herzgetreu Behüt's Gott gesagt. Das Wasser ist ihm in den Augen gestanden.«
»Ich will aber keine Hand und kein Wort von ihm. Still jetzt, du darfst mir heut seinen Namen nimmer gedenken, oder ich zeig' dir, daß ich über dein Schneppebberle auch Meister bin. Punktum sag' ich zum Letztenmal.«
Der Furchenbauer konnte den Seinigen verbieten, von Alban zu sprechen, selbst aber sein zu gedenken, dessen konnte er sich nicht erwehren. Er hatte seit anderthalb Jahren die Stimme seines Kindes zum Erstenmal wieder gehört, das Auge des Kindes hatte lange auf diesem starren Antlitze geruht und die Mienen wurden nur noch finsterer und die schmalen Lippen wurden oft zwischen die Zähne gekniffen.
Erst als er sich Wellendingen näherte und den Leuten begegnete, die ihr Vieh zur Preisbewerbung führten, lächelte der Furchenbauer vor sich hin. Als Dominik am Apostel auf ihn zukam, rief er diesem barsch zu.
»Bist doch über Reichenbach gefahren und hast dem Alban gesagt, daß ich auch komm'?«
»Nein, ich bin wie Ihr befohlen, über Jettingen gefahren; der Hirzenbauer kann mir's bezeugen.«
»Schon recht. Ist das Schwärzle gut gelaufen?«
»Ja, wie ein Hirsch.«
Der Furchenbauer ging mit Ameile nach der Wirthsstube, wo Spitzgäbele ihn alsbald bewillkommte.
[]Ein officielles Volksfest, eine exotische und eine wilde Blüthe.
Seitdem wieder jede freie und natürliche Strömung des Volkslebens gebunden ist, seit die Verzweiflung an der Macht des rein sittlichen Gedankens immer allgemeiner zu werden droht, seit man Eidbruch und Verhöhnung des Rechts und Ehrgefühls als nicht zu erörternde Thatsachen hinstellt, ist von dem stolzerhabenen Fahnenrufe der vergangenen Jahre Alles verlöscht worden und nur das eine Wort: Wohlstand stehen geblieben. Die öffentlichen Stimmen rufen es allein aus und jeder Einzelne dünkt sich weise und gewitzigt und berühmt sich dessen, daß der günstige Geschäftsbetrieb, der Wohlstand, doch das einzige Wünschenswerthe sei. Höheren Ortes – wie man es nennt – wird diese Richtung sorglich gepflegt und ihr allenfalls noch durch Erweckung eines kirchlichen Sabbathsinnes ein Gegengewicht zu geben versucht; jede Bürgerehre, jede sittliche Verbindung der Staats-und Volksgenossenschaft wird als entbehrlich, ja vielfach als strafwürdig angesehen. Wenn sich hierdurch die bürgerlich-sittliche Gemeinschaft immer mehr aufzulösen droht, so wird der einsichtige Kenner der Menschengeschichte dennoch nicht trostlos verzweifeln, vielmehr die Zuversicht schöpfen, daß trotz aller eigensüchtigen Zerfahrenheit doch am Ende wieder Ehre und Freiheit sich entwickeln muß, wenn auch zunächst nur als die höchsten Güter des Genusses oder des Wohlstandes, wenn man es so nennen will.[] Und auch jetzt schon, so wenig man es auch Wort haben will, zeigt der Staat, daß er diesseits der Markscheide der jüngst vergangenen Jahre andere Ziele haben muß: die ehemalige verneinende Polizeikunst möchte sich zu einer positiven Förderung des Gemeinwohls entwickeln, möchte von oben herab beglücken, ohne das doch je zu können.
Die vergangenen Jahre haben es oft dargethan, daß der Bauernstand die Pfahlwurzel alles gesunden Staats- und Nationallebens sei, und ihm wendet sich nun die höchste und allerhöchste Fürsorge zu. Während man jede Volkssitte, die frecherweise ohne höhere Genehmigung aufgewachsen ist, auszutilgen sucht, während man das öffentliche Singen der Volkslieder in den Dörfern verbietet, während man die Spinnstuben in Acht und Bann erklärt und sogar polizeilich sprengt, während man die Kirchweihen alle auf Einen Sonntag verlegt und so Nachbardorf von Nachbardorf absperrt – will man in den landwirthschaftlichen Vereinen und Festen ein mit Kanzleitinte verschriebenes Surrogat dafür setzen. Da sollen die politischen Schreier einmal zeigen, ob sie wirklich etwas wissen zur Hebung des Nothstandes und zur besseren Ausnutzung der Arbeits- und Naturkräfte! Jeder Hinweis auf die große Strömung des Nationalbesitzthums und seine Erfordernisse erscheint natürlich alsbald als Flausenmacherei; es handelt sich hier nur darum, wie die Cultur, natürlich der Gewächse, zu fördern, wo man russischen Weizen und Luzerne pflanze, wie der belgische Pflug zu handhaben, wie der Dünger zu behandeln und welche Vortheile [] bestimmte Kreuzungen und Veredlungen, natürlich der Hausthiere, bringen. Zeigt sich dann auch beim Schmause eine gewisse Lebendigkeit und Lustigkeit, sie ist doch immer gedämpft und in Schranken gehalten, oder will einmal gar wildes Wasser einbrechen, es sind Dämme genug da, durch die Anwesenheit der Angestellten, die hier freilich nur einfache Mitglieder sind, aber doch ihre Amtstitel behalten und sogar in entsprechenden Uniformen darstellen. Eine gewisse Humanität, die auch den Niederen und Niedersten bedenkt, ist dabei jedoch nicht vergessen, wie wir bald sehen werden.
Eine mit Eichenlaubgewinden, mit Astern und mannichfachen besonders ausgezeichneten Jahreserzeugnissen geschmückte Tribüne erhob sich am Gartenzaun des Apostelwirths, so daß die Versammlung auf der Straße zwischen dem Wirthshause und der breiten Tribüne sich aufstellen konnte; Fuhrwerke, die des Weges kamen, mußten um das Apostelwirthshaus herum weiter fahren. Hier war noch vor wenigen Jahren eine fast beständige Tribüne für Volksversammlungen gewesen; hier war der Reichstagsabgeordnete gewählt und waren Proteste gegen ihn erlassen worden, der Lenz von Röthhausen hatte hier seine glänzendsten Triumphe gefeiert. Der Ort war vortrefflich in der Mitte des Bezirkes gelegen und der Wirth war einer der eifervollsten Freisinnigen und rauchte beständig aus einer Heckerpfeife. Seitdem hat er sich anders besonnen, hat sich das Rauchen abgewöhnt, schnupft nur noch echten Pariser und ist sogar fromm geworden.
Eine Musikbande war im obern Stock des Wirthshauses [] an den Fenstern aufgestellt, ein Trompetenstoß und darauf folgender Marsch verkündete, daß jetzt die Viehmusterung beginne. Natürlich hatten zwei mit Ober- und Untergewehr bewaffnete Landjäger den Zug angeordnet und hielten Wache. Die Preisrichter waren fünf. Obenan stand der derzeitige Präsident des landwirthschaftlichen Vereins, ein resignirter Cameralverwalter, der jetzt als Pächter mehrerer Domänen den Titel Domänenrath hatte, ein behäbiges und lustiges Männchen mit spärlichen grauen Haaren auf dem Haupte, die jetzt sichtbar wurden, da er beim Austreten aus dem Apostel fortwährend alle Anwesenden grüßte, die entblößten Hauptes vor ihm standen. Dominik war der erste, der seinen Hut wieder aufsetzte, denn das Schwärzle war unbegreiflich wild. Dem Domänenrath folgte eine hagere selbstbewußte Erscheinung, die den Schnurrbart zwirbelte; es war der Rittergutsbesitzer von Renn, ehemaliger Leutenant. Nun kam eine vollbärtige untersetzte Gestalt, ebenfalls ein studirter Oekonom, ehemals Pfarrkandidat und jetzt Pächter auf dem Sabelsbergischen Gute in Reichenbach, im Rufe gelinder Freisinnigkeit stehend. Der Hirzenbauer, Klein-Rotteck genannt, eine untersetzte, gedrungene Figur und der ewig lächelnde, halb städtisch gekleidete Schultheiß des Ortes beschlossen die Reihe der Auserwählten.
Die Thiere wurden vorgeführt und von allen Seiten gemustert, der Domänenrath riß ihnen das Maul auf, um das Alter zu erkunden, seine Hände trieften von Schaum; er gab seine Stimme ab: erster oder zweiter Preis, worauf die Andern in der Regel laut beistimmten, [] nur der ehemalige Theolog und der Klein-Rotteck wichen manchmal ab. Als Dominik mit dem Schwärzle vorfuhr und sich mächtig anstemmen mußte, da das sonst so geduldige Thier in der Menschenmenge unter der Musik schnaubte, und hin und herriß, lächelte eine Frauengestalt aus dem untern Fenster des Apostels. Die Oberamtmännin stand dort neben Ameile und sagte: »Das ist ein prächtiger Bursch, und wie er sich gegen den Kopf des Thieres anstemmt, steht er zum Malen da.« Der Domänenrath prüfte das Schwärzle und einstimmig wurde ihm der erste Preis zuerkannt. Der Landjäger verwies Dominik mit dem Thiere nach der rechten Seite, das Thier schleifte ihn fast und er mußte mit aller Kraft hemmen.
Nun bestiegen die Preisrichter die Tribüne. Der Oberamtmann in seiner Uniform mit der gelben Schärpe und dem Degen an der Seite stellte sich auch dort auf. Ihm folgte die Oberamtmännin, die nicht abließ, bis auch Ameile mitging; sie stellte sich aber immer hinter die Oberamtmännin, so daß sie kaum gesehen werden konnte. Der Domänenrath hielt nun einen Vortrag über den Flurzwang und die Vortheile des Zusammenlegens der Grundstücke, den er mit manchen anschaulichen Bildern und Scherzen zu würzen wußte, so daß oft ein verhaltenes Lachen durch die Versammlung sauste.
Auf seinen Wink ertönte dann ein Trompetenstoß und die Austheilung der Dienstbotenpreise begann, wobei noch ausdrücklich bemerkt wurde, daß nur solche belohnt würden, die ohne nahe Verwandtschaft viele Jahre in Einem Hause vorwurfsfrei gedient haben. [] Auf der Tribüne lagen rothe Kästchen, welche mit dem Namen der Belohnten bezeichnet waren und die Denkmünze enthielten. So oft ein Name ausgerufen wurde, reichte die Oberamtmännin dem Domänenrath das Kästchen, dieser reichte es hinab und jedesmal ertönte ein dreimaliger Trompetentusch. Dominik war erst der vorletzte unter den Preiswürdigen, weil seine Dienstzeit durch die Militärpflicht unterbrochen war. Als endlich sein Namen ausgerufen wurde, faßte Ameile unwillkürlich das Kästchen und ohne es durch die Hand des Domänenraths gehen zu lassen, reichte sie es Dominik unmittelbar hinab. Ein heller Trompetentusch ertönte, in den sich freudiges Zujauchzen der Versammelten mischte. Wer könnte ermessen, was in diesem Augenblick in Ameile und Dominik vorging? Der Domänenrath streichelte ihr die glühende Wange und sprach etwas von Ritterfräulein und Turnieren, Ameile verstand ihn nicht, sie schwebte wie auf den Tönen der Musik in Jubel und Bangen.
Dominik steckte das Empfangene ruhig in die Tasche, schaute nur flüchtig auf und sich ungeschickt verbeugend und stolpernd kehrte er zu seinem Thiere zurück. Dort erst öffnete er das Kästchen und es enthielt ihm jetzt in der That einen hohen Ehrenpreis. Der Furchenbauer brachte nun dem Dominik eine mächtige Kuhschelle mit neuem rothem Riemen, die er vorsorglich im Wagensitze mitgenommen. Das Schwärzle ließ sich nicht ohne Unruhe die Schelle umhängen und vom Apostelwirth den Kranz auf's Haupt setzen. Der Apostelwirth war ein kluger, politischer Kopf, er hatte Kränze bereit [] gehalten für alle, die gekrönt worden waren, und er behauptete, ganz genau vorher gewußt zu haben, welches Thier preiswürdig befunden würde.
Der Domänenrath hielt hierauf noch eine sehr in's Salbungsvolle übergehende Anrede über die Tugenden eines wackeren Dienstboten; ein aufmerksamer Zuhörer hätte es ihm deutlich angehört, daß er auf einen Uebergang zu der nun erfolgenden Handlung spekulirte und in seiner Rede hin und her tappte; er fand aber den richtigen Ausweg nicht und half sich endlich damit, daß er wieder einen Marsch aufspielen ließ. Der Rainbauer von Hirlingen – der sogenannte Scheckennarr, weil er nur scheckiges Vieh hielt und es oft theuer bezahlte – erhielt den ersten Preis für einen selbstgezogenen hochbeinigen holländischen Zuchtstier, den vier Mann führen mußten. Unmittelbar darauf wurde das Schwärzle vorgeführt, unter dem Kranze hervor schaute sein Auge keck hinauf zu den Preisrichtern, während der Furchenbauer den Hut abzog, da er seinen Namen ausrufen hörte und wieder Trompetentusch erschallte. Er geleitete den Dominik noch aus der Reihe hinaus und befahl ihm, jetzt nur der Straße nach heimzufahren. Durch alle Dörfer sollte nun sein Ruhm erklingen, der noch verewigt wurde im Wochenblättle.
Dominik wartete indeß noch auf den Hirzenbauer, und als er ihn sah, übergab er ihm das Kästchen sammt der Denkmünze und bat ihn, solches seiner Mutter in Nellingen zu zeigen und ihr drei Gulden darauf zu leihen. Der Hirzenbauer entgegnete, daß er von Dominik kein Pfand brauche, er nahm aber [] doch die Denkmünze mit, um solche, wie er sagte, der Mutter zu zeigen und für sie aufzubewahren.
Gern hätte Dominik noch einmal Ameile gesehen, er konnte sie aber mit keinem Blicke erspähen, und mit verlangendem Herzen machte er sich auf den Heimweg. Das Fest, vor dem er sich gestern noch fast gefürchtet hatte, war nun doch ein freudiges geworden, aber freilich nicht blos durch die von oben gesetzte Anordnung.
Kaum war Dominik eine halbe Stunde von Wellendingen, als ihm ein wilder Reiter auf schnaubendem Rosse begegnete und staunend erkannte er den Alban; er hielt an und fragte:
»Wohin des Weges?«
»Wo du herkommst,« erwiderte Alban.
»Dein Vater ist drin.«
»Das weiß ich und eben deßwegen komm' ich. Ich bin's satt zu warten bis er mich ruft; heim komm' ich nicht, aber wo er sich in der Welt sehen läßt, muß er mir Rede stehen. Ich bin lange genug das verstoßene Kind gewesen. Heut auf Einmal ist mir's eingefallen, daß ich keinen Tag mehr versäumen darf.«
»Wenn du mir folgst,« belehrte Dominik ruhig, »kehrst wieder mit mir um; vor allen Leuten machst die Sache nur ärger, da kann dir dein Vater nicht nachgeben, wenn er auch wollt', und glaub mir, er möcht' und weiß nur nicht wie. Kehr' mit mir um. Ich hab' dir einen Gruß von deiner Mutter. Du machst einen Unschick, wenn du weiter rennst.«
»Was Unschick?« rief Alban, »ich bin kein Knecht, [] ich will's nicht sein; des Furchenbauer Großer darf auch schon einmal einen Unschick machen.« Er ritt in wildem Galopp davon.
Dominik rief ihm noch nach, das Ameile sei auch da, aber Alban hörte schon nicht mehr.
Eine neue Freundschaft geknüpft und eine alte Liebe zerrissen.
Im obern Saale des Apostels hielt unterdeß der Domänenrath eine sehr geschickte Rede; er sagte, es sei noch ein wichtiger Gegenstand auf der Tagesordnung zu erledigen, er glaube aber allgemeiner Beistimmung sicher zu sein, wenn er voraussetze, daß ein anderer Gegenstand noch viel dringender und das sei, daß man vorher esse. Alles schrie durcheinander »Ja wohl! Bravo!« und manche riefen vorzeitig: »Der Herr Domänenrath soll leben hoch und abermals hoch.« Es war eben eine Versammlung der materiellen Interessen und Jeder beeilte sich einen guten Platz dafür zu erlangen. Der Furchenbauer erhielt seinen Platz zwischen Spitzgäbele und dem Hirzenbauer.
Die Oberamtmännin kam und bat in wohlwollenden Worten, daß Ameile bei ihr sitzen dürfe. Der Furchenbauer willfahrte mit doppelter Freude, denn das war nicht nur eine hohe Ehre, sondern auch ein Gegengewicht gegen seine vertrauliche Nachbarschaft mit dem Hirzenbauer, der als unbezwinglicher Radikaler bekannt und von den Beamten übel angesehen war.
[] Die Oberamtmännin hatte seit dem Betreten der Tribüne Ameile nicht mehr von ihrer Seite gelassen, sie erkannte bald ein Liebesverhältniß zwischen der Bauerntochter und dem Knechte und die überraschende Preisübergabe bestätigte dieß vollkommen; sie liebte jetzt Ameile, denn in dem was sie unwillkürlich gethan hatte, sah die Oberamtmännin einen unmittelbaren Herzenstakt und sie bewunderte den sichern Muth desselben, der eine scheinbare Demüthigung des Geliebten in eine Erhöhung verwandelte. Die Oberamtmännin war eine Frau von tiefem idealem Streben. Während ihr Mann allezeit über die Rohheit der Menschen und die Rauheit der Gegend zu klagen hatte, in deren Mitte er versetzt war, verklärte die Oberamtmännin gern Alles mit einem idealen Schimmer; sie erquickte sich an der Zutraulichkeit in dem Wesen der Menschen und manche Bergschlucht, die man bisher nur als eine unwirthliche Stätte gekannt, wo man nicht einmal das Holz fällen und thalwärts bringen könne, entdeckte sie als ein heimliches Naturheiligthum voll romantischen Zaubers, dahin sie oft wallfahrtete und zum Staunen der Umwohnenden auch andere Städter beredete. Auf solchen Wanderungen trat sie oft in einsame Bauernhöfe und Häuslerhütten ein; sie hatte das Bedürfniß, auch den Menschen nahe zu kommen, aber es gelang ihr nicht. Bei dem landwirthschaftlichen Fest leistete sie immer gern Beistand, und doch kehrte sie jedesmal unbefriedigt von demselben zurück; sie verkannte die Nothwendigkeit der materiellen Debatten nicht, aber es fehlte doch gar zu sehr an Schönheit und Innigkeit. »Unserer [] Zeit,« klagte sie einst ihrem Mann, »ist der weltlichreligiöse Geist der öffentlichen Naivetät abhanden gekommen. Wir können uns kaum mehr denken, daß einst die Männer in Griechenland Thyrsusstäbe schwangen und sich das Haupt bekränzten und daß sie in Kanaan Palmenzweige schwangen; wir schämen uns jedes äußern Zeichens der Lust, höchstens wagt man es noch, Kinder zu bekränzen oder stecken Jünglinge einen grünen Zweig auf den Hut.«
Der Oberamtmann, der in seinem häuslichen Kreise nicht ungern zarte Empfindungen hegte, hatte seine Frau zu überzeugen gesucht, daß die Gebildeten keine Festesattribute für das Volk aufbringen können und die Oberamtmännin hatte trotz ihrer übergreifenden Wünsche innere Kraft genug, das was sich nicht äußerlich und allgemein darstellen ließ, in einer innerlichen Beziehung und bei Einzelnen zu suchen und sich von keiner Herbheit abstoßen zu lassen.
Die Oberamtmännin stand noch unter dem Einflusse der Nachwirkung, daß sie sich einst öffentlich lächerlich gemacht hatte: sie war eben in dem Gedanken, daß den Vereinigungen der neuen Zeit auf's Neue Schmuck und Zier gegeben werden müsse, mit Blumen und Aehren auf dem Haupte erschienen. Sie erfuhr bald den Fehlgriff, den sie begangen und dessen Folgen nicht so bald schwanden, aber sie war ehrlich und stark genug, nicht aus Empfindlichkeit fortan ihren innersten Bestrebungen untreu zu werden. Heute nun hatte sie gewonnen, wonach sie so lange trachtete: Ameile war ein holdes frisches Naturkind und noch dazu verklärt [] durch eine fast tragische Liebe. Anfangs wurde Ameile fast erschreckt durch die übermäßige Zuthulichkeit und Freundlichkeit; ein Bauernkind kann es nicht fassen, warum ein Nichtverwandtes und noch dazu ein Höhergestelltes sich ihm vertraulich zuneigen soll. Die Oberamtmännin erkannte das so zu sagen Rehscheue in dieser Natur und sie erzählte nun, daß sie auch einen ledigen Bruder habe, der Landwirth sei. Ameile lächelte bei dieser Mittheilung, es lag etwas Schmeichelhaftes darin, wenn sie das auch innerlich ablehnte; sie sagte aber nur:
»Er hat gewiß aber auch so feine Händ' wie die Frau Oberamtmännin?«
Hieran knüpfte sich nun ein immer weiter gehendes vertrauliches Gespräch und die beiden Frauen, so verschieden in Bildungsstufe und Lebensanschauung, wurden immer vertrauter mit einander.
Man wird es immer finden, daß edelsinnige Frauenherzen, wenn sie durch sich selbst oder durch äußere Bedingungen über gewisse Begrenzungen hinausgehoben sind, sich bei rascher Begegnung leicht aneinander anschließen; die gesellschaftlichen Unterschiede und Schranken sowie die starren Besonderheiten von Beruf und Gesinnung, die den Mann kennzeichnen, fallen bei Frauen oft leichter weg; der Lebenskreis hat trotz aller Verschiedenheit doch wieder im Wesentlichen ein Gleichartiges. Die Oberamtmännin verstand das herauszufinden, und bald erzählte ihr Ameile mit bewegter Stimme das Leben auf dem väterlichen Hof und – da es doch schon in der Welt bekannt war – den Zerfall mit Alban.
[] »Ihr solltet euch an meinen Mann wenden,« schloß die Oberamtmännin, »der würde die Sache gütlich in's Reine bringen.«
»Das geht nicht, Gott behüte, das geht nicht,« entgegnete Ameile.
»Und warum? Mein Mann ist die beste Seele.«
»Glaub's wohl, aber das geht nicht, das thät ich nicht leiden, nie. Was für Zwei ist, ist nicht für Drei, hat mein' Mutter im Sprüchwort. Es ist schon arg genug, daß unser Familienstreit draußen in der Welt herumfährt; das wär' gar noch eine unerhörte Schand', wenn man mit einander vor Amt ging'.«
Dieses starre Festhalten, eine Familiensache nie zum Austrag vor das bestellte Gericht zu bringen, erschien der Oberamtmännin als jene Feindseligkeit, von der sie schon oft gehört hatte, indem man die bestellten Beamten als natürliche Feinde und Widersacher ansieht. Sie seufzte vor sich hin und betrachtete in schweigendem Nachdenken Ameile. Mit welcher Widerspenstigkeit und welchem verschlossenen Trotze hatte das Mädchen jene Worte gesprochen. Wie ist das sonst so offenbar Scheue in diesem Wesen mit solcher schroffen Widersetzlichkeit vereinbar? Ist aber das Scheue nicht gerade eine verhüllende Form der Wildheit und Unzähmbarkeit?
Als die Oberamtmännin Ameile zu Tisch führte, war diese voll Lustigkeit und äußerst gesprächsam; sie bat die Frau Oberamtmännin auch einmal auf den Furchenhof zu kommen, damit sie ihr die Ehre auch in etwas vergelten könne. Die Oberamtmännin sagte zu, indem sie beifügte, man habe ihr von einer schönen[] Felsenparthie in der Nähe des Furchenhofes gesagt, die des Geigerles Lotterbett heiße und schroff abginge in einen Waldbach. Ameile bestätigte und sagte aber, es sei ein »wüster Weg« dahin und es sei auch nichts zu sehen als Felsen und Bäume; sie berühmte dagegen den Wald am Kugelberg, die schönen Wiesen und den Kuhstall, die dürfen sich sehen lassen.
Die Oberamtmännin war nun äußerst heiter und versprach zum Frühling zu kommen; vorher aber müsse Ameile sie in der Stadt besuchen.
Ameile thaute immer mehr auf und manche kluge Rede kam über ihre runden Lippen; die Oberamtmännin machte heute eine seltsame Erfahrung, denn Ameile sagte ihr einmal zutraulich keck:
»Sie sind so gescheit wie die rechteste Bauernfrau.«
Dieses Lob erschien Anfangs eben so wunderlich als übermüthig, bald aber erkannte die Oberamtmännin, daß Ameile sie nach ihrem Herzen nicht besser loben konnte. Der Bauer ist nichts weniger als bescheiden, er traut den Gebildeten und Studirten fast nur verdrehten Verstand zu, weil er sie oft über Dinge entzückt und über andere mit Abscheu erfüllt sieht, die ihm solche Empfindung gar nicht einflößen. Das höchste Lob was ein Bauer Einem aus dem Herrenstande zu spenden vermag, ist, daß er ihm den Lebensverstand zuerkennt; und am Ende kann Niemand anders als mit eigenem Maße messen, nur der Freigebildete anerkennt bis zu einem gewissen Grade auch solche Dinge und Anschauungen, die ihm nicht genehm sind.
[] Aus dieser Erfahrung heraus wurde die Oberamtmännin immer herzlicher gegen Ameile und ihr anfänglich eigentlich nur allgemeines Interesse wurde zu einem persönlichen.
Während Ameile am obern Tisch viel lachte, war der Vater von Spitzgäbele und dem Hirzenbauer in die Mitte genommen.
Der Furchenbauer hätte sich gern vom Klein-Rotteck zurückgezogen, denn er war ihm innerlich neidisch, weil er sehen mußte, wie dieser zwei Söhne, wovon einer die Eichbäuerin geheirathet hatte, und einen Tochtermann hier bei Tische hatte, während er allein stand; auch hänselte ihn der Klein-Rotteck wiederholt, indem er sagte: »Es nutzt dich jetzt nichts mehr, daß du ein Aristokrat sein möchtest, du hast einmal als Altliberaler ein' Bläß und das schmiert dir kein' Kanzleitinte zu, und du bist grad so übel angesehen wie ich. Sie haben dich auch nicht zum Geschwornen gewählt wie mich. Drum wär's besser, du thätest gleich mit uns.«
Wir haben schon oft gehört, daß der Hirzenbauer Klein-Rotteck heißt und müssen nun auch erzählen, woher das kam; es entstand einfach, daß er in den dreißiger Jahren bei einer Versammlung in Freiburg öffentlich sprach, worauf ihm der berühmte Rotteck auf die Schulter klopfte und sagte: »Ihr könnt so gut öffentlich sprechen wie wir.«
Der Klein-Rotteck war heute in gereizt übermüthiger Laune und es war nicht abzusehen, wohin das führt. Der Furchenbauer hörte ihm nicht zu, als er giftigen Spott über Uniform, Degen und Schärpe des[] Oberamtmanns losließ. Jetzt aber horchte er doch auf als er sagte:
»Wenn die Sach' nicht in der Kanzlei angesetzt wär', müßten wenigstens die Dienstboten, die den Ehrenpreis bekommen haben, da mit uns am Tisch sitzen.«
»Und die Kühe und Ochsen auch,« ergänzte Spitzgäbele lachend; der Furchenbauer aber nahm ruhig das Wort und sagte:
»Der Ehrenpreis gehört eigentlich dem Meister, weil er's so lang mit dem Lumpengesindel aushält. Es ist ein wahres Elend, daß man so viel Dienstboten halten muß.«
»Darum zerschlag' dein Gut wie dein Alban will,« schaltete Klein-Rotteck ein; der Furchenbauer hörte nicht darauf, sondern fuhr fort:
»Wenn Eines von meinen Dienstboten was verfehlt hat und ich halt's ihm vor, ruhig und streng, darf es sich nicht entschuldigen, das leid' ich nicht, es muß einfach eingestehen: das und das war nicht recht. Es ist verteufelt, wie stockig sie oft sind und der Dümmste findet noch Ausreden, nur um nicht sagen zu brauchen, ich hab's dumm gemacht, ich bin dumm gewesen; und wenn man einen Dienstboten fortschickt, da sieht man erst, wie galgenfalsch sie gewesen sind –«
»Das mußt du bald wieder erfahren,« sagte Spitzgäbele und zog den Furchenbauer nahe an sich, damit es der Klein-Rotteck nicht höre. Er erzählte nun, wie er es so viel als richtig gemacht habe, daß der älteste Sohn des Scheckennarren das Ameile heirathe, aber jetzt sei Alles wieder auseinander; ein Jedes rede davon, [] daß das Ameile mit dem Dominik verbandelt sei, und es habe sich ja gezeigt, wie sie ihm den Preis selber übergeben habe. Der Furchenbauer suchte zuerst über das Gerede zu spotten, da kein wahres Wort daran sei; Spitzgäbele erzeigte ihm den Gefallen und that als ob er der Versicherung glaube, empfahl ihm aber dennoch, weil nun einmal die Rede sei, den Knecht wegzuthun. Der Furchenbauer konnte nicht umhin beizufügen, wie brav der Knecht gewesen sei, daß er ihn vermissen werde und besonders jetzt in der Dreschzeit; dennoch schwur er, daß Dominik ihm noch heute aus dem Hause müsse und Spitzgäbele empfahl ihm nur, es ohne Aufsehen zu thun. Die Beiden sprachen noch viel miteinander, die Musik spielte lustig dazu auf und der Klein-Rotteck hatte sich zu seinem Nachbar gewendet, dem er erzählte, daß er fünf Söhne habe, davon sei der Aelteste Advokat, der Zweite sei gut versorgt, er habe die Eichbäuerin geheirathet und unter die drei Jüngsten theile er sein Gut, es behielte Jedes noch genug, um zwei Knechte zu halten.
»Weißt mir Niemand für meinen Vinzenz?« fragte der Furchenbauer heimlich, und Spitzgäbele erwiderte ebenso:
»Das geht nicht, bis du mit deinem Alban abgemacht hast; das sagt Jedes.«
Ohne zu wissen warum wendete der Furchenbauer plötzlich seinen Blick nach dem Empor des Saales, wo die Musikanten waren. Hatte ihn der Wein benebelt oder was war das? Dort schaute ja Alban mit festem Blick auf ihn herab. Er fragte Spitzgäbele ob er nichts [] dort sähe, aber dieser sah nichts, es mußte also Täuschung sein. Ameile lächelte vom obern Tisch zu ihrem Vater herunter, dieser erblickte sie jetzt, aber er sah sie finster an.
»Mit Hunden hetz' ich dir deinen Dominik aus dem Haus,« knirschte er vor sich hin.
Zweckesser, Hofmetzger und Nachtisch.
Man hat in den letzten Jahren so oft gepredigt, daß England der Musterstaat sei; die Beamten haben wenigstens so viel davon angenommen, daß sie das erste Glas mit Segenssprüchen den Erdengöttern weihen. Der Oberamtmann hatte den ersten Toast dem »gekrönten fürstlichen Landwirthe« gebracht, der in der That für Hebung des Ackerbaus Ersprießliches gethan. Hierauf ging es an ein gegenseitiges Beräuchern. Der Verein ließ den Präsidenten, der Präsident den Verein, das älteste Mitglied das jüngste, das jüngste das älteste, der Studirte den Unstudirten, der Dickste den Dünnsten, der Dünnste den Dicksten u.s.w. leben. Der Jubel und glückselige Untereinander war allgemein, man schüttete sich beim Anstoßen den Wein über Rock und Hände und lachte dazu, man drückte sich an's Herz, man reichte sich die Hände und unter rauschender Musik, bei der man kaum sein eignes Wort hörte, sagte Eines dem Andern, wie glückselig man sei und welch ein herrlicher unvergeßlicher Tag das geworden. Der Domänenrath hemmte indeß noch einmal den gemüthlichen [] Glückseligkeitsdusel. Wohlweislich vor dem Braten verlas er einen geschriebenen Aufsatz und während er sonst einfach und sachgemäß zu sprechen verstand, erging er sich hier in gelehrten Darlegungen. Weil er sich vom Schreiber emporgearbeitet hatte, wollte er wohl den anwesenden Beamten und Studirten zeigen, daß sein Wissen auch nicht von gestern sei und verlor sich in eine Darlegung des römischen Familienrechts, in dem der Vater in unbeschränkter Machtvollkommenheit war und das jus vitae ac necis (das Recht über Leben und Tod) hatte im Gegensatz zu der germanischen Familie, die eine Rechtsgenossenschaft war, und in der die Familienglieder einen selbständigen Rechtskreis erhielten. Hier wurde er unterbrochen. Auf der Tribüne bei den Musikanten wurde es unruhig, der Oberamtmann befahl Ruhe, oder er werde den Störer mit einem Landjäger abführen lassen. Der Domänenrath sprach weiter und mit einem Sprunge, bei dem er den getödteten Grundrechten, welche die bäuerlichen und adeligen Fideicommisse aufgelöst hätten, noch einen Tritt versetzte, kam er auf die Bedeutung der Familien-Fideicommisse; er hielt sich bei den adeligen Erbgütern nicht lang auf, sondern wies auf die Bedeutung der großen geschlossenen Bauerngüter hin, wie diese die Stammhalter des Staates seien und wie Alles zu Grunde gehe wenn die Gütercomplexe zersplittert würden und das eintrete, was der Märtyrer für Deutschlands Wohlfahrt und Kraft, Friedrich List, die Zwergwirthschaft genannt. Mit erhobener Stimme pries er die Landschaft glücklich, in der noch nicht der Grundbesitz, das [] unbewegliche Gut, so sehr zu einem beweglichen geworden sei, daß es davon laufe, wo vielmehr noch die Grundfeste einer mächtigen Bauernschaft bestehe und »freudig« rief er aus »sehe ich mich auch hier um und sehe noch Männer im groben Kittel voll Kraft und Bedeutung, die sich ein Denkmal setzen für ewige Zeiten wie sie es von den Vorvätern überkommen und die es nicht dulden, daß auf ihren großen Ackerbreiten einst nichts als Markstein an Markstein wachsen. Ich sehe mich um und sehe nicht Zwergwirthe, sondern mächtige gesunde Bauernstämme.« Ein allgemeines Lächeln unterbrach den Redner und der Furchenbauer sah stolz umher und schien größer und jünger zu werden. Dieser Tag brachte ihm Preis und Ehre in Fülle. Der Domänenrath ging nun auf den eigentlichen Zweck seiner Rede über, indem er gegen das in der That vielfach verderbliche Verfahren der Zertheilung großer Güter durch Händler, die sogenannte Hofmetzgerei, loszog und damit schloß daß man eine Petition an die Stände unterschreiben solle, damit ein Gesetz erlassen würde zum Schutze der geschlossenen Güter und gegen die Hofmetzgerei. Bevor er die bereits entworfene Petition vorlas, stellte er den Gegenstand zur Debatte.
»Will Jemand das Wort ergreifen?« fragte er.
Lautlose Stille.
Da rief eine Stimme vom Empor: »Ich, ich will da gegenreden.«
Der Furchenbauer erbleichte. War das nicht die Stimme Albans?
Der Oberamtmann schickte einen Landjäger auf den [] Empor, um den Ruhestörer zu entfernen. Noch einmal fragte der Domänenrath: »Will Jemand das Wort ergreifen?«
»Ja wohl,« rief jetzt eine Stimme neben dem Furchenbauer, daß dieser zusammenfuhr. Ein Lachen und Murmeln zog durch die Versammlung, aus dem man vielfach das Wort hörte: »Ah! der Klein-Rotteck.« Dieser stand auf, hielt das Messer in der Hand und stemmte dessen Spitze auf den Tisch; er schaute gelassen hin und her und wartete bis Ruhe eingetreten war, dann begann er: wie er auch meine, daß große Bauern dem Staat nützlich seien, weil sie noch die einzigen sein könnten, die nicht unterducken; daß dies aber nicht der Fall sei, wo die Ehre und der Verstand fehle »und die hat« setzte er mit erhobener Stimme hinzu »ein Taglöhner, der mit dem Handkarren fährt, ein Bettelmann, der seine Schuhe in der Hand trägt, oft grad so gut und noch besser als Einer der vierspännig fährt. Der Furchenbauer da neben mir,« der Erwähnte fuhr wieder zusammen, »der Furchenbauer hat einen Knecht, ihr habt ihm heute einen Preis gegeben, sein Urgroßvater war ein Bruder von meinem und hat fast nichts bekommen. Darf man die Enkel zu Bettlern machen, warum denn nicht seine Kinder zu Mittelleuten?« Er erhob sein Messer und fuhr fort: »Da liegt ein Laib Brod, ich will sagen er ist mein, ich zertheil' ihn und geb' Jedem von meinen Kindern ein gut Stück; so hab' ich's auch mit meinem Hofgut und so darf ich's haben und Niemand, kein Gesetz und Niemand soll mir's wehren. Das ist und bleibt ein Grundrecht, sei's [] geschrieben oder nicht. Und weil wir grad davon reden: die große Verfassung gilt jetzt nichts mehr, aber in unserer kleinen, in unserer Landesverfassung ist uns mit deutlichen Worten ›Freiheit des Eigenthums‹ zugesichert. Ich weiß die Worte deutlich und einer von den Herren wird wissen welcher Paragraph es ist –«
Der Klein-Rotteck hielt eine Weile inne und eine Stimme rief: »der vier und zwanzigste,« worauf der Redner fortfuhr:
»Also im 24. Paragraph haben wir Freiheit des Eigenthumsrechts. Die Hofmetzgerei ist ein Elend, ein großes Elend, das ist wahr; aber ist nicht ganz Deutschland auch ein zerstückeltes Gut, in der Hofmetzgerei geschlachtet? Und die Zwergwirthschaft –«
Ein allgemeiner Sturm entstand, der Präsident verwies den Klein-Rotteck zur Ordnung und dieser fuhr ruhig fort, aber nur noch mit halbem Nachdrucke, das freie Schalten über jegliches Eigenthum zu vertheidigen. »Die niedern Leute,« schloß er, »müssen auch Gelegenheit haben, ein Stück Acker zu erwerben, daß sie nicht ewig in der Luft stehen. Ich bin dafür: man kann ein Ausmaaß stellen, bis wie weit ein Gut vertheilt werden darf für die Zukunft; man muß aber auch ein Ausmaaß stellen, bis wie weit man Grund und Boden in Einer Hand besitzen darf. Die Adeligen kaufen von den Ablösungsgeldern, die sie von uns bekommen haben, jetzt wieder alle Güter auf. Wie lange wird's dauern, da giebt's wieder nur noch Beständer? (Pächter). Dagegen muß auch Vorkehrung getroffen werden. Wenn diese beiden Punkte hineinkommen, dann unterschreib' ich.«
[] Der Klein-Rotteck war zweimal unterbrochen worden, denn der Apostelwirth hatte das Ameile aus dem Saale abgeholt und bald darauf die Oberamtmännin; sie waren beide nicht wieder zurückgekehrt. Aus der untern Stube vernahm man jetzt lautes Rufen und Abwehren.
Der Klein-Rotteck setzte sich lächelnd nieder und zerschnitt den Laib Brod in Stücke; den Furchenbauer fröstelte es: er wußte nicht, warum, er schüttete ein groß Glas Wein in Einem Zuge hinab.
Der Domänenrath wollte erwidern, aber man sah deutlich in der Ferne, wie ihm der Oberamtmann abwehrte, er wollte dies selbst übernehmen, und bald begann er in gemäßigtem Tone zuerst den Klein-Rotteck zu loben, daß er frei herausgesprochen habe, dann aber vertheidigte er, oft vom Beifall unterbrochen, mit hinreißender Beredtsamkeit die Bedeutung eines mächtigen Bauernstandes. Zuletzt wendete er sich nochmals gegen den Vorredner und erging sich in scharfem Spotte über »unverzapftes und sauer gewordenes acht und vierziger Gewächs«. Er hielt dem Klein-Rotteck den Widerspruch vor, daß er gegen die Zerstückelung Deutschlands eifere (worauf dieser einwarf: »Bin deßwegen zur Ordnung gerufen, darf nicht erwähnt werden«) und bei Privateigentum in Grund und Boden doch einer solchen das Wort rede. Er suchte darzulegen, daß man diese Frage »die schwierigste der Volkswirthschaft« nicht mit einigen liberalen Redensarten abthun könne. »Das ist eine Sache,« rief er spottend, »die sich nicht mit dem Brodmesser schneiden läßt, da braucht es die feinsten Instrumente der staatlichen Heilkünstler. Der Hirzenbauer [] wird mir erlauben, daß ich ihn auch Klein-Rotteck heiße und ihm sage, daß sein Pathe der große Rotteck für Untheilbarkeit der Güter sich aussprach.«
Ueberhaupt deckte der Oberamtmann mit schonungsloser Schärfe nicht nur die Widersprüche sondern auch die Lücken auf, die aus der Darlegung des Klein-Rotteck sich ergaben. Er lobte ihn wiederholt wegen seines selbständigen Denkens und seiner unumwundenen Aussprache, zeigte ihm aber, daß ihm die Uebersicht und der Zusammenhang fehle und er traf den Hauptpunkt indem er sagte, daß der Hirzenbauer schlagend und oft unwiderleglich sei, wenn er eine einzelne Bemerkung mache, daß er sich aber auch immer verhaspele, wenn er einen zusammenhängenden Vortrag halten wolle; seine Reden seien eben auch keine geschlossenen Güter. Zuletzt erwies er mit großem Scharfsinn, daß die Freiheit des Eigenthums auf Grund und Boden angewendet nur darin bestehe, daß man in keiner Weise gehindert sein dürfe, sein Grundeigenthum zu bebauen und auszunutzen, wie man den Verstand dazu habe; der Staat aber müsse ein Recht haben; die Zerstörung seines eigenen Bestandes, seines eigenen Bodens, und das sei die Zerstückelung des Grundeigentums, zu verhindern und mit den Worten Justus Mösers schloß er: »Der Boden ist des Staates.«
Der Klein-Rotteck verzichtete auf jede Entgegnung und während der Domänenrath die Petition vorlas, kam der Apostelwirth und rief auch den Furchenbauer ab.
Er wurde nach einer hintern Stube geführt, vor deren Thüre ein Landjäger stand. Als er eintrat, sah [] er zu seinem Erstaunen Alban zwischen Ameile und der Oberamtmännin. Er wollte wieder umkehren, aber die Oberamtmännin faßte ihn bei der Hand und beschwor ihn hier zu bleiben, wenn nicht ein fürchterliches Unglück geschehen soll.
»Was kann geschehen?« fragte der Furchenbauer trotzig.
»Das ist ein rasender, ein fürchterlicher Mensch!« rief die Frau, »Euer Sohn vergreift sich am Landjäger und kommt in's Zuchthaus, wenn Ihr nicht Friede stiftet.«
»Meinetwegen, er ist nichts Besseres werth, er ist widerspenstig gegen seinen Vater und gegen die ganze Welt,« entgegnete der Furchenbauer kalt.
Die Oberamtmännin ließ die Arme sinken, im Innern that sie ihrem Mann Abbitte, weil sie ihm oft nicht glauben wollte, wie roh die Menschen seien. Der Oberamtmann hatte sich das Sprüchwort angewöhnt: Elf Ochsen und ein Bauer sind dreizehn Stück Rindvieh. Zeigt sich nicht hier eine stiere Unbeugsamkeit? Der Furchenbauer wendete sich wieder nach der Thüre, die Oberamtmännin hielt ihn fest und erzählte hochathmend wie es Alban gewesen sei, der vom Empor gerufen habe, wie ihn der Landjäger verhaftet und er nach Ameile schickte, diese sie rufen ließ, wie sie sich dafür verbürgt habe, daß Alban frei ausgehen solle, und daß dieser unerwartete Ueberfall zum Frieden und zur Versöhnung führen müsse.
Der Furchenbauer rieb sich mit beiden Händen Schläfe und Wange, der Wein schlug ihm zum Gesichte heraus, er athmete schwer; endlich sagte er:
[] »Mach' ein Fenster auf, Ameile; ich erstick'.«
Ameile gehorchte und wieder sagte der Vater:
»Was will denn der ungerathene Bub da? Red', red', sag' ich.«
Alban schwieg beharrlich und der Vater fuhr fort: »Da sehet Ihr's wie er ist. Recht war's wie der Domänenrath von alten Zeiten erzählt hat, da hat der Vater seinen Sohn aufknüpfen dürfen. Er hat ihm das Leben gegeben, er darf's ihm auch nehmen. Darf ein Kind jetzt seinen Vater durch Ungehorsam umbringen?«
Seine Stimme stockte und er hielt inne.
»Vater, er ist brav, er will brav sein,« beschwichtigte Ameile.
»Still Du, mit dir hab' ich allein zu reden, dein' Falschheit ist am Tag; aber wart nur, komm nur heim,« polterte der Furchenbauer gegen Ameile.
Die beiden Frauen standen rathlos. Endlich begann Alban: »Ich will auch Friede, nichts als Friede; ich schäm' mich in's Herz hinein, daß ich da so da stehen soll.« –
»Hast's auch nöthig.« –
»Ich kehr' wieder heim, aber unter einer Bedingung.« –
»Ho, ho! Er will Bedingung stellen.« –
»Ich hab's geschworen und der Vater muß bitten.« –
Der Furchenbauer schlug sich auf den Mund und rief:
»So lang die Zung' da lallen kann, nicht, darauf kannst du dich verlassen. Herr Gott, was ist das für eine Welt! Mein Vater wär' hundert Jahr' alt geworden, wenn er sich nicht Schaden gethan hätt'; ich werd' [] nächsten Montag siebzig Jahr alt, ich erleb's nicht, du kannst dich rühmen, daß du das zuweg bracht hast, es wird dir am Vergeltstag angerechnet werden.«
Jetzt mit bebender Stimme sagte Alban: »Vater! Ich will Euch in Ehren halten, ich will Euch jeden Tag doppelt vergelten, den ich Euch Kummer gemacht hab'. Vater! Wenn ich fest bin in dem was ich gesagt hab', so hab' ich das von Euch, Ihr habt mich's gelehrt und mich darüber gelobt; Ihr dürfet mich jetzt nicht dafür verstoßen.« Er warf sich vor dem Vater auf die Knie und schrie schluchzend: »Da bitt' ich Euch um Alles in der Welt, saget das eine Wort! Draußen steht der Landjäger, ich vergreif' mich an ihm, ich will zu Grunde gehen, ich will in's Zuchthaus, Vater! zum Letztenmal halt' ich Eure Hand, saget nur die paar Worte und ich bin wieder am Leben. Vater! lieber Vater! saget's.«
»Könnet Ihr widerstehen, dann seid Ihr ein Unmensch,« rief die Oberamtmännin unter Thränen die Faust ballend.
»Nun meinetwegen, ich bitt' dich, komm heim,« sagte endlich der Furchenbauer. Die Oberamtmännin faltete die Hände und umarmte Ameile und küßte sie, während Alban schluchzend am Halse des Vaters hing. Dieser riß sich rasch los und sagte: »Komm 'rein und trink' einen Schoppen.«
Der Landjäger vor der Thüre entfernte sich auf Geheiß der Oberamtmännin. Alles staunte als Alban mit dem Vater eintrat.
Als Alban nicht trinken wollte, sagte der Vater:
[] »Mein Wein ist dir wahrscheinlich zu gering? So ein Herr wie du muß petschirten haben? Laß dir nur kommen.«
Alban trank.
Der Furchenbauer war der letzte, der die Petition unterschrieb, er konnte vor Zittern die Feder nicht führen und befahl Alban seinen Namen für ihn zu schreiben. Alban wollte das Geschriebene zuerst lesen, aber der Vater befahl ihm unbedingt zu unterschreiben und Alban willfahrte.
»Erst nächsten Montag setzen wir Alles auseinander,« sagte der Vater jetzt zu Alban, »bis dahin reden wir kein Wort, und du mußt fleißig sein, ich thue einen Knecht weg.«
Alban zuckte bei diesem Worte und sagte nur:
»Ich will den Hirzenbauer zum Schiedsrichter, wenn's einen Streit geben sollt'.«
»Wirst keinen brauchen. Es darf Niemand Fremdes sich drein mischen.«
Spitzgäbele hielt zu guter Letzt auch noch eine Rede, die mit großem Beifall aufgenommen wurde. Er verkündete, daß am Rhein und im Taunus heuer die Aepfel ganz mißrathen seien, während man hier zu Land nicht wisse wohin damit, er habe daher von zwei Wirthen in Frankfurt, die »Aeppelwein schenken« den Auftrag, das Simri Aepfel zu 28 Kreuzer, frei nach der Amtsstadt an den Neckar geliefert zu kaufen und lege zu dem Behufe eine Liste auf, in die Jeder einschreiben möge, wie viel er liefere.
Allgemeines Gelächter entstand als der Klein-Rotteck [] rief: »Wir liefern Reichsäpfel nach Frankfurt.« Viele unterschrieben sogleich. Der Furchenbauer sagte, er wisse nicht wie viel er habe, Spitzgäbele solle zu ihm auf den Hof kommen.
Bei der Cigarre und Pfeife, die jetzt dampften, ward Allen erst recht behaglich. Der Domänenrath kam auf den Klein-Rotteck zu und schüttelte ihm die Hand wegen seines freimüthigen Ausspruches; der Klein-Rotteck vergalt es durch aufrichtigen Ausspruch seines Respects vor dem Domänenrath, dessen Eifer und Verdienst um den Verein und seine Zwecke er wohl erkannte.
Der Domänenrath verwand dadurch die betrübende Erfahrung, daß seine Gelehrsamkeit noch nicht allseitig stichhaltig sei, denn der Oberamtmann hatte ihm so eben auseinander gesetzt, wie in England die ungetheilte Vererbung von Grund und Boden und die Fideicommisse überhaupt nicht als Gesetz, sondern nur als Sitte bestehen.
Die Oberamtmännin, die eine besondere Gönnerin des Klein-Rotteck war und es ihm blieb trotz seines Radikalismus, so daß er ihr jedesmal, wenn er als Schultheiß nach der Stadt kam, seine Aufwartung machte, scherzte nun in freundlicher Weise mit ihm und selbst der Oberamtmann that freundlich und neckte seine Frau, daß er eifersüchtig werde. So schien am Ende doch Alles in eine freundliche und versöhnliche Stimmung auszuklingen.
Der Pächter von Reichenbach entließ Alban sogleich aus dem Dienst und als Ameile auf den Wagen stieg, küßte die Oberamtmännin sie herzlich; aber Ameile war [] trotz des wiederhergestellten Friedens traurig. Sie ahnte Unheimliches.
Zwei Söhne sind heim und fremd.
Alban hatte das Reitpferd, das er mitgebracht, hinten an den Wagen gehängt, um es in Reichenbach abzugeben. Jetzt saß er vor dem Vater und der Schwester und lenkte die gewohnten Thiere. Die Pferde, allezeit rasch wenn es der Heimath zugeht, waren es heute doppelt; ahnten sie vielleicht, daß ihr junger Herr sie lenkte und daß sie auch ihn wieder heimbrachten? Alban hatte nur immer die Zügel fest anzuhalten. Die drei Fahrenden sprachen kein Wort, diese Versöhnung war so urplötzlich in gewaltiger Gemüthsüberwallung gekommen und nichts war mit ihr geschlichtet und ausgeglichen.
Ameile schloß still die Augen und dachte in sich hinein, was nun geschehen werde, auch mit ihr; der plötzliche unbegreifliche Zorn des Vaters, was war sein Grund und seine Folge? Sie wagte es nicht, jetzt den Vater zu fragen, was er gegen sie habe, sie war ein seltsam und streng in's Haus gebanntes Wesen, nicht einmal auf offener Straße, wo man allein mit einander war, durfte eine Erörterung der Familiensachen vor sich gehen, das durften nur die vier Wände des Hauses in sich schließen; deswegen war sie ja gegen Alban auf Seite des Vaters gestanden und hatte dieser ihr so viel Liebe zugewendet. Aus diesem Denken heraus sagte sie nur [] einmal: »Ich will warten, bis Ihr mir daheim saget, was ich verfehlt hab'.« Sie erhielt keine Antwort und im stillen nächtigen Dahinfahren erschien ihr der verflossene Tag wie ein Traum: sie hatte eine vornehme Freundin die sie küßte, und Alban war wieder mit ihnen vereint. Sie öffnete manchmal die Augen, um sich dessen zu vergewissern, und unter dem raschen Hufschlag der Pferde, bei dem Rollen des Wagens hörte sie am Ende nichts mehr als den verklungenen Trompetenwirbel, unter dem Dominik den Preis bekommen hatte.
Erst in Reichenbach erwachte sie, wo Alban das Pferd abgab, seine Habseligkeiten zusammenraffte und aufpackte. Man erfuhr auch, daß Dominik das Schwärzle hier zurückgelassen weil es zu hinken begann; er war allein heimgeeilt.
Nur um das Schwärzle kümmerte sich jetzt der Furchenbauer mit eifriger Sorgfalt und Beredtsamkeit und empfahl dem Wirth in Reichenbach gute Pflege und Abwartung.
Man fuhr weiter. Der Furchenbauer öffnete den Mund kaum zu den gleichgültigsten Worten. Es war ihm nicht minder unbehaglich, daß mit Alban Nichts entschieden ausgeglichen war; die Oberamtmännin, die ihm zudringlich erschien, hatte das verhindert. Er hoffte aber doch jetzt mit dem mürber gewordenen Burschen fertig zu werden und was Zufall gewesen war, erschien ihm jetzt als eine kluge That: Alban hatte ja selber die Petition unterschrieben, die gegen jegliche Güterzersplitterung gerichtet war.
[] Alban war auch unzufrieden mit sich. Was er in Jahr und Tag still für sich ausgesonnen, hatte er gar nicht vorgebracht. Er war von einem Sturm fortgerissen, und nur das Eine hatte er richtig festgestellt, daß der Vater seine Unbeugsamkeit anerkennen müsse, weil er sie selber hatte und in seinem Sohne hegte. Alban war indeß noch der Heiterste von den Dreien, er war wieder mit guter Manier daheim, das war die Hauptsache: mit Fortlaufen ist nichts geholfen, die Sache muß auf dem Fleck ausgemacht werden.
Spät in dunkler Nacht wie Alban einst aus dem väterlichen Haus entflohen war, kehrte er wieder in dasselbe zurück.
Der Kühbub, der trotz des Zerwürfnisses auf dem Hof verblieben war, kam mit der Laterne den Anfahrenden entgegen und leuchtete Alban in's Gesicht, er prallte zurück und schien seinen Augen nicht zu trauen.
»Ich bin's wirklich,« sagte Alban lachend indem er abstieg.
»Wo ist der Dominik?« fragte der Furchenbauer einen zweiten Knecht.
»Er schläft schon.«
»So weck' ihn, ich hab' ihm was zu sagen.«
»Vater,« begann Alban, »ich will gern für den Dominik schaffen, was er heut noch zu thun hat. Lasset ihn jetzt schlafen; er muß grausam müde sein; er hat die wilde Kalbin den weiten Weg hin und her geführt und ich hab's gesehen, sie hat ihm schier den Brustkasten von einander gerissen.«
»So? Fangst schon gleich so an?« sagte der Vater[] gedehnt, »bist kaum über meine Schwelle und willst mir dreinreden und den Herrn gegen mich spielen. So haben wir nicht gewettet, Bürschle, so nicht. Merk' dir's. Du kannst morgen schon das Geschäft vom Dominik übernehmen. Jetzt geschieht was Ich sag.« Zum Knechte gewendet fuhr er fort: »schick' ihn in die Stub', augenblicklich.«
Er schritt voran und Alban stand eine Minute wie angewurzelt. War er darum zurückgekehrt, um die Stelle des Oberknechtes einzunehmen?
Die beiden Hofhunde waren wie toll, der Greif bellte grimmig, er erkannte Alban nicht, das Türkle aber winselte an der Kette und sprang hin und her. Alban löste ihm die Kette und das Thier sprang an ihm empor und leckte ihm die Wangen.
Die Mutter lag schon im Bette und trotzdem, daß Ameile gehört hatte, daß etwas mit Dominik vorgehen solle, vergaß sie jetzt ihres Kummers, eilte zur Mutter und verkündete ihr, daß Alban wieder da sei.
»Komm 'rein Alban! komm 'rein,« rief die Mutter aus der Kammer, als Alban in die Stube trat: er kam zu ihr und sie bedeckte sein Antlitz mit heißen Küssen.
»Gottlob daß ich dich hab', und sei nur jetzt auch brav und dank's dem Vater, daß er dich geholt hat. Ach! du riechst so frisch, du bringst mir wieder neue Luft, mein Husten ist weg. Stell' die Ampel da vorn hin, noch besser, daß ich dich auch sehen kann; du bist magerer, gelt, Dienstbotenbrod ist doch ein hartes? Nun Gottlob, daß es vorbei ist. Du hast mich manche [] Nacht den Schlaf gekostet.« So rief die Mutter. Der Bauer kam auch herein, reichte ihr die Hand und sagte:
»Er will wieder Alles gut machen, er hat mir versprochen folgsam zu sein in Allem.«
Er verließ bald die Kammer wieder und ging in die Stube, denn Dominik war eingetreten, fast noch verschlafen taumelnd. Alban trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand; der Knecht rieb sich die Stirne mit der einen Hand, mit der andern faßte er Alban fest, er wollte sicher sein, daß er nichts träume.
»Jetzt freut mich's, daß Ihr mich aus dem Schlaf habt wecken lassen,« sagte er mit heller Stimme. Ohne darauf zu hören, sagte der Furchenbauer sich setzend und die Beine über einander legend:
»Ich hab' was mit dir zu reden. Vom letzten Viertelfahr bin ich dir noch deinen Lohn schuldig und ein Vierteljahr vorher muß ich dir aufkündigen. Das ist's. So, jetzt ist's geschehen.«
»So? Darf ich fragen, warum Ihr mich so Knall und Fall fortschicket?«
»Freilich.«
»So saget mir warum?«
»Weil ich will.«
»Das ist kein Grund.«
»Haufengenug für dich. Einen andern sag' ich dir nicht. Meinst du, du sollst dich berühmen können, wegen dem und dem, ich weiß nicht wegen was, seist du fortkommen? Und wenn ich hör', daß du Eines von meinen Kindern in's Geschrei bringst, hast du's mit mir zu thun. Bist aber brav, so kannst in einem [] Jahr oder auch bälder wieder zu mir kommen, heißt das, bei mir nachfragen.«
Der Furchenbauer hatte sich trotz seiner schlauen Verdecktheit doch verrathen, er sah das schnell und wollte nun die Anhänglichkeit des Dominik an sein Haus ködern und binden.
»Wenn's an dem ist,« sagte Dominik, »dann geh ich lieber gleich.«
»Ist mir auch recht. Lieber heut Nacht als morgen früh. Ich bezahl' dir noch den Lohn auf vier Wochen, aus Gutheit, das wirst einsehen, von Kost ist ohnedies kein' Red weil du von selber gehen willst.«
Alban wollte sich dreinmischen, er hatte aber kaum die Worte gesagt: »Aber Vater,« als dieser ihm streng zurief kein Wort zu reden. Er zählte Dominik das Geld auf den Tisch und legte das für die vier Wochen besonders. Dominik war eine Minute zweifelhaft, ob er dieses auch nehmen solle und Alban zuckte und hielt sich die Hand vor den Mund als er es wirklich nahm. Er konnte nicht ermessen, daß der von Haus aus allezeit arme Bursch sich nicht das Recht und den Muth zutraute, seiner Ehre zulieb einige Gulden wegzuwerfen und noch dazu seinem langjährigen Herrn gegenüber.
»B'hüts Gott,« sagte Dominik und ging mit dem Geld aus der Stube. Die Mutter in der Kammer und Alban wagten nicht ein Wort zu reden.
Ameile hatte in der Küche Alles gehört. Als jetzt Dominik an ihr vorüberging, sagte sie so laut, daß man es in der Stube hören konnte:
»So? Jetzt gehst fort? Nun so b'hüt dich Gott und[] ich wünsch' dir viel Glück.« Ganz leise aber setzte sie hinzu: »In einer Stunde unterm Breitlingbaum im Garten.« Sie kam in die Stube, sagte Gutenacht und ging mit Geräusch nach ihrer Kammer und verschloß sie hinter sich.
Alban war doch dem Dominik nachgegangen und hatte ihm herzlich zugeredet, sich nicht unnöthigen Kummer zu machen, er solle allzeit Bruderhülfe bei ihm finden. Dominik schwieg zu Allem und packte seine Kleider ein. Erst als Alban sagte, daß er ihm wegen Leben und Sterben ein Schriftliches geben wolle über die Darlehen, die er bei ihm gemacht, sagte er, daß es in guter Hand stehe, bis er es brauche um auszuwandern.
Dominik wollte noch vor Tag aus dem Hofe fort. Alban kehrte in das Haus zurück. Er ging nach der Kammer wo Vinzenz schon schlief und wo sein Bett noch stand von alten Zeiten. Hinter ihm drein war der Vater geschlichen und lauschte an der Thür.
Heimliche Verabredungen.
Als Alban seinen Bruder Vinzenz aus dem Schlafe weckte, rief dieser um sich schlagend: »Thu mir nichts, du darfst mir nichts thun.« Alban war erschreckt von diesem Ausrufe und erzählte nun dem Bruder, wie er in Friede mit dem Vater heimgekehrt, wie Alles gütlich ausgeglichen sei und er dem Vater nachgeben wolle.
Vinzenz richtete sich jetzt im Bett auf und sagte:
[] »Grüß Gott!« Gähnend fügte er hinzu: »Ich hab' arg geschlafen.« Alban setzte sich zu ihm auf das Bett und sagte, wie ganz verändert, jähzornig und wild der Vater sei, wie er den Dominik so plötzlich und hart fortgeschickt, und wie ihn die Kinder als krank behandeln und ihm in Allem nachgeben müßten.
»Ich mein',« schloß Alban, »die Sünde, daß er dir ein Aug' ausgeschlagen hat, läßt ihn nicht ruhen. Wir wollen's vertuschen, so gut als wir können.«
Der Horchende erbebte. So war seine That Alban bekannt und er konnte ihn der Schande preisgeben! Eine Minute dachte er, daß Alban doch bis jetzt brav gewesen, er hatte diese grause That doch bis jetzt Niemand verrathen; schnell aber sprang er wieder in eine andere Stimmung über: der eigenwillige Bursche wußte also warum der Vater nicht anders handeln konnte, und war doch unnachgiebig! Neuer Zorn entbrannte gegen ihn, in den sich nur noch der gegen Vinzenz mischte, der das Geheimniß verrathen hatte. Wenn er Beide hätte enterben können, er hätte es gethan, und fast schien es besser, den muthigen offenen Alban einzusetzen, als den hinterhältigen Vinzenz, der doch nur ein halber Mensch war.
Alban hatte sich in sein Bett gesteckt und sich behaglich streckend rief er:
»Ah! Da ist's doch am besten. Es ist mir wie einem Vogel, der in sein altes Nest kommen ist. Man liegt nirgends besser als daheim. Jetzt horch' auf Vinzenz, was ich dir sag'. Wir machen's so. Hörst auch gut zu?«
[] »Ja.«
»Ich widersprech' nicht, wenn der Vater dir das Gut giebt und es abschätzt wie er will. Ich heirath' die Vreni und bleib' bei dir als Knecht.«
»So? Das wirst nicht wollen? Das ist nicht dein Ernst.«
»Freilich, aber nur auf die Art, wie ich's mein'. Wir thun dem Vater nur zum Schein seinen Willen. Er ist bald siebzig und lebt nicht ewig, und wir wollen ihm den Willen lassen so lang er lebt; er soll meinen, das Sach sei alles dein und bleib' bei einander. Du giebst mir aber schriftlich mit zwei Zeugen unterschrieben, daß du nach des Vaters Tod den Hof abschätzen läßst von Unparteiischen und zu gleichen Theilen mit mir und dem Ameile theilst. Auf die Art ist des Vaters Willen geschehen und doch auch wieder Keines von den Kindern verkürzt, und wir erhalten den Frieden und der Vater kann in Ruhe seine Tage verleben. Zu Zeugen nehmen wir den Hirzenbauer von Nellingen und unsern Vetter den Gipsmüller, die halten Alles verschwiegen und geheim. Ist das nicht recht? Ist das nicht ordentlich gesprochen? Hast du was dagegen? So gieb doch Antwort. Schnarch' nicht, ich glaub' nicht, daß du schlafst. Das ist falsch von dir, Vinzenz; hab' mich nicht zum Narren. Man kann's ja nicht brüderlicher machen als ich geredet hab'. Vinzenz, gieb Antwort. Ich reiß' dich an den Haaren aus dem Bett, wenn du mich so zum Narren hast. Vinzenz, willst du mich auch des Teufels machen?«
Alban sprang aus dem Bett und schüttelte den [] Bruder, dieser schrie laut auf und that wieder als ob er erwachte.
Schon wollte der lauschende Vater zum Schein die Treppe heraufspringend zu Hülfe eilen, als er Alban sagen hörte:
»Sei ruhig. Ich thu dir nichts. Hast denn nicht gehört, was ich gesagt hab'? Hast wirklich geschlafen?«
»Halb und halb.«
»Und was sagst dazu?«
»Ich versteh' die Sach' noch nicht recht, aber so viel weiß ich, ich bin zum Krüppel geschlagen und mir gehört was im Voraus. Ich kann aber heut nimmer viel schwätzen. Morgen ist auch ein Tag. Gut Nacht.«
Alban erhob im Bett seine Hände und betete: »Herr Gott! Laß mich heut' Nacht sterben, wenn ich was Unrechtes will. Ich weiß nicht anders. Es ist nicht meine Schuld, daß ich so bin. Ich muß anfangen, das Unrecht, das von Geschlecht zu Geschlecht gegangen ist, umzustoßen. Ich wollt' es müßt's ein Anderer thun, aber ich muß. Wenn ich Unrecht hab', nimm' mich im Schlaf von der Welt und zu dir –.« Er murmelte noch unverständliche Worte, in denen nur deutlich, wie im gewohnten Kindesgebete, Vater und Mutter vorkamen, dann war Alles still ...
Dem Furchenbauer schoß es in die Knie, er mußte sich auf die Treppe setzen. Erregte vorhin der Plan ihn zu täuschen seinen brennenden Ingrimm, so traf ihn jetzt jedes Wort im Gebete Albans wie ein Blitzschlag. War das sein hartherziger Sohn? Welch ein Kind war das! Er hatte seine geheimsten Gedanken[] hören wollen, er hatte sie gehört, sie waren bös und heilig, schändlich und rechtschaffen. Wer hilft da heraus? Lange saß der Vater auf der Treppe in dunkler Nacht und konnte sich nicht erheben. Wer jetzt in sein Antlitz hätte schauen können, würde den eisenharten Furchenbauer nicht erkannt haben.
Während hier der ungelöste Bruderstreit vom Vater belauscht sich kundgegeben hatte, standen unter dem Apfelbaume im Obstgarten zwei Liebende beisammen und sie sprachen wenig und ihre leisen Worte verhallten von keinem fremden Ohre belauscht und zogen hinan zu den Sternen, die in der Herbstnacht hell glitzerten und funkelten.
»Was soll denn das jetzt noch?« hatte Dominik zu Ameile gesagt. »Es ist besser, du bist frei, ich will dir nicht vor dein Glück stehen und mit mir hättest du nur Elend und glaub' mir, ich könnt's nicht ertragen, wenn du nicht mehr leben könntest wie du's gewöhnt bist.«
»Ich bin an nichts gewöhnt als an dich und dabei bleib' ich, und wenn ich von Vater und Mutter und von der ganzen Welt fort muß, mit dir geh' ich nach Amerika, wie wenn's nach Reichenbach wär'. Ich will froh sein, wenn ich aus unserm Haus bin, da ist ja Jedes immer wie eine geladene Pistol. Ich will Gott danken, wenn ich nur dreimal Kartoffeln des Tages hab' und Ruhe und Friede dazu; aber sie müssen mir mein Vermögentheil geben, im nächsten Jahr werd' ich großjährig. Halt' nur fest aus wie ich. Du mußt wegen meiner aus dem Haus. Ich weiß es. Aber da[] drin in meinem Herzen bleibst du und da kann dir kein Vater und kein Meister aufkündigen. Da hast mein' Hand, dich nehm ich und keinen Andern.«
Dominik faßte die dargereichte Hand nicht, er sagte nur:
»Du kannst auf Einmal reden wie eine Große –«
»Ich bin kein Kind mehr.«
»Freilich, aber deiner Eltern Kind bist noch und dagegen will ich dich nicht aufstiften.«
»Weil du kein' Kurasche hast,« sagte Ameile zornig und Dominik erwiderte:
»Ich hab' mehr als du glaubst, ich könnt' für dich durch's Feuer laufen, ich thät' mich nicht besinnen. O Ameile!« seine Stimme stockte und sich an seinen Hals hängend rief das Mädchen.
»Was? Wer wird heulen? Rechtschaffen und lustig –«
Die Beiden redeten lange kein Wort mehr, der Quell des Wortes war versiegelt, in stiller Nacht hingen sie Lippe an Lippe.
»Sieh den Stern!« rief Ameile nach einer fliegenden Sternschnuppe den Kopf wendend, aber nicht nach ihm deutend, denn es ist bekannt, daß man mit Hindeuten nach einem Stern einem Engel die Augen aussticht. In begeistertem Ton fuhr Ameile fort: »Weißt noch wie du mir gesagt hast, ein Sternschuß ist ein verirrter Stern, der wieder an seinen Ort heimkehrt? So sind wir Zwei jetzt auch. Da, jetzt wollen wir uns Braut und Bräutigam heißen. Du mußt mir eine Trau geben. Weißt was? Deine Denkmünze, das ist mir das Liebste.«
[] »Ich hab' sie nicht mehr.«
»Wo hast sie denn?«
»Ich hab' sie meiner Mutter geschickt. Ich hab' sie dem Hirzenbauer versetzt, daß er meiner Mutter ein paar Gulden geben soll. Ich hätt' dir das nicht sagen sollen, ich will mich aber nicht berühmen. Ich hab' im Gegentheil an meiner Mutter bisher zu wenig gethan.«
»Vor mir darfst dich berühmen. Das ist mir lieb, daß ich jetzt auch weiß wo du hingehst. Ich bin doch dumm. Ich hab' gemeint, du mußt in die wilde Welt hinaus. Du hast ja auch ein' Mutter. Das ist gut. Grüß sie von mir und sag' ihr, sie soll mir meine Trau gut aufheben und soll sich am Leben erhalten, bis sie auf unserer Hochzeit lustig ist. Und wenn dir was vorkommt, daß du eine Annahme brauchst, geh' nur zur Oberamtmännin und sag's ihr nur frei, du seist heimlich mein Hochzeiter, sie weiß schon so was, und die wird dir in Allem helfen und beistehen, die hat den klaren Verstand zu Allem und ist so grad wie eine rechtschaffene Bauernfrau, gar nicht wie eine Herrenfrau. Und noch Eins: verding' dich nicht in einen andern Platz, du wirst dir schon so forthelfen und thu's mir zulieb und geh' heut' nicht in der Nacht fort, du hast nächt (vergangene Nacht) nicht geschlafen und bist müd; wart bis Tag ist.«
Noch Vieles plauderten die Liebenden zusammen in Scherz und Ernst, sie wollten gar nicht voneinander lassen; endlich aber mußten sie sich doch trennen.
Ameile ging still und gedankenvoll nach dem Hause, [] sie öffnete es leise. Als sie die Bühnentreppe hinanstieg zu ihrer Kammer, die der Schlafkammer der Brüder gegenüber war, wurde sie plötzlich von starken Händen gefaßt und eine Stimme rief:
»Wer bist? Wer ist da?«
Ameile schrie laut auf. Die Mutter kam mit Licht herbei und sah wie der Vater die Tochter fest in den Armen hielt.
»Du bist's?« rief der Vater, »So? Ich weiß wo du gewesen bist, aber still, still, nicht gemuckst, daß Niemand im Haus Etwas erfährt, still sag ich.«
Er schleppte Ameile nach ihrer Kammer, schloß sie ein und nahm den Schlüssel zu sich.
Ein armes Kind im Elternhaus.
Ein gut gestelltes Hauswesen geht ordnungsmäßig fort, ohne täglich frisch aufgezogen zu werden. Der rasche Taktschlag der Drescher war schon laut, als Dominik ärgerlich ob seines langen Schlafes erwachte; er besann sich aber, daß er ja das Hans verlassen müsse, aus dem er so plötzlich gewiesen war. Er sputete sich. Verwirrt schaute er sich im Hof um; wie viel hundertmal hatte er's gehört und sich selbst gesagt, daß er wie das Kind im Hause gehalten sei und jetzt – abgelohnt, fortgeschickt, du gehörst nicht mehr hieher ... Da war kein Werkzeug im Hof, das er nicht gehandhabt, an dem er nicht Etwas gerichtet hatte, jedes Thier kannte ihn, seinen Tritt und seine Stimme, [] und jetzt – hinaus, fort, das geht dich Alles nichts an. – Aus dem Hause stieg der morgendliche Rauch auf, dort wird keine Suppe mehr für dich gekocht, du holst dir dort nicht mehr unter Scherz und Neckerei eine glühende Kohle für deine Pfeife. Wo nur Ameile sein mag, daß sie sich nicht einmal vorübergehend am Fenster oder unter der Thüre zeigt? Da drin lebt Alles weiter, als ob du nie dagewesen wärest, und wer weiß, ob sie nicht auch Ameile dazu bringen? Nein das nicht, das wird nie sein. Wie wird's aussehen, wenn du wieder in die Stube trittst und die Tochter begehrst? Bis dahin muß die Welt anders werden.
Noch nie in seinem Leben war Dominik an einem Werkeltags-Morgen so lange müßig dagestanden, heute konnte er nicht vom Fleck und er durfte ja thun und lassen was er wollte, er war Herr über sich und seine Zeit. Dennoch war's ihm manchmal wieder, als müsse er auch zu den Dreschern; das ist die gewohnte Ordnung, das muß sein, davon kann ihn Niemand abhalten. Eine Weile lächelte er vor sich hin, indem er dachte, wie der Meister aufschauen würde, wenn er ohne ein Wort zu sagen, mit den Dreschern zum Morgenimbiß käme. Es wird ihm selber Recht sein, daß seine Uebereilung nicht ausgeführt ist; er ist allezeit so hitzig und denkt oft in der nächsten Minute nicht mehr daran. Wenn er dich aber vor allen Leuten aus dem Haus jagt? Was dann? Gestern vor aller Welt für treue Dienste mit der Denkmünze belohnt und heute mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt. – Was wird Ameile dazu sagen? Bis jetzt hast du selber [] aufgekündigt und kannst mit Stolz weggehen, und das mußt du wenn der Bauer nicht kommt und dich holt.
Sieh, die Thüre öffnet sich – nein, es ist die Großmagd, die nach dem Brunnen geht, um Wasser zu holen, sie ruft Dominik zu: »So, du bist noch da? Glück auf den Weg.« Sie trommelte mit einem Scheit Holz auf dem Kübel zum Aerger des Dominik, denn nach altem Brauch ist dies Trommeln auf den Kübel ein Zeichen des Spottes und der Mißachtung gegen einen »wandernden« Dienstboten. Sie ging nach dem Brunnen und während sie wartete, bis der Kübel voll war, sang sie:
Heut ischt mein Bündelestag,
Morn (morgen) ischt mein Ziel,
Schickt mi mein Bauer fort
Geit (giebt) mir et viel.
Dominik kehrte nach der Stallkammer zurück, schnürte seine Gewandung noch fester zusammen, hob sie auf die Schulter und verließ den Hof ohne noch einmal umzuschauen. Er hatte schon zu lange gezögert.
Als er aber jetzt an das äußere Hofthor kam, wurde ihm doch eine Ehrenbezeigung zu Theil. Die Knechte kamen mit Peitschen, an deren schwanke Spitzen sie rothe Bänder geknüpft hatten, und nun begannen sie allesammt nach einer bestimmten Melodie zu knallen, daß es weithin schallte. Dominik dankte für dieses Ehrengeleit, denn wie man einem Soldaten in's Grab schießt, so gilt es als Ausdruck der Ehre und Liebe der Mitdienenden, daß man einem wandernden Dienstboten [] nachknalle. Dominik ging fürbaß. Er trug schwer auf der Schulter, aber noch schwerer im Herzen. Als er den Hof hinter sich hatte und an dem Garten vorüber kam, wo der Apfelbaum stand, unter dem er noch gestern Nacht Ameile in den Armen gehalten, da glühten ihm die Wangen, die ganze Liebe des treuen und plötzlich so starken und selbständigen Mädchens lebte wieder in ihm auf. Er schalt sich, daß er immer nur an sein Knechtsleben gedacht hatte; Ameile hatte Recht, ihm fehlte der tapfere Muth, er dachte zu viel daran, daß er ein armer Bursch sei und wie er barfuß als Kühbub auf den Hof gekommen. Es sind schon Mindere hoch hinauf gekommen, halt' dein Glück fest und zeig', daß du es werth bist ... An der Hauskapelle, da wo der Weg umbiegt und abwärts in's Thal geht, dort stand Dominik noch einmal still, schaute nach dem Hof zurück, wo jetzt der Taktschlag der Drescher verstummte, sie gingen zum Essen und fast laut sagte Dominik vor sich hin: als Haussohn will ich da aus- und eingehen.
Es ist ein tiefdeutiger Spruch: ein Mädchen, das ein ausgelöschtes Licht aus dem glimmenden Docht wieder anblasen kann, ist eine reine Jungfrau. War die Liebe des Dominik nicht schon einmal ausgelöscht? Und wie hellleuchtend hatte sie der Athem Ameile's wieder angefacht.
Die Gedanken des Dominik, noch vor Kurzem so betrübt und unverzeihlich weichmüthig, wurden auf einmal freudig und fest. Nur über Eines war er noch nicht mit sich im Reinen: ob er es geradezu aller Welt [] sagen solle, daß ihn Ameile liebe und daß er darum aus dem Hause mußte, oder ob er dieß noch verschweigen und sich eine Zeitlang übler Nachrede aussetzen sollte. Wieder wollte ihn die gewohnte Demuth noch einmal überkommen, aber er bewältigte sie und faßte den unabänderlichen Vorsatz, denen, an deren Meinung ihm liege, den Sachverhalt mitzutheilen, vor Allem dem Hirzenbauer; ob auch der Mutter und den Geschwistern, das wird sich zeigen.
Wohlgemuth zog Dominik seines Weges. Heute konnte er welchen Weg er wollte einschlagen, heute befahl ihm Niemand mehr. Du bist dein eigener Herr, sagte er sich, aber doch stieg er wieder den Henneweg hinauf. Der Nebel stand fest über Thal und Wald, von den Zweigen floßen Tropfen, aber Dominik wandelte hin wie in lauter Sonne und lichter Freudigkeit. Als er wieder auf dem begrasten Weg und endlich am Grenzstein des Furchengutes dort an der Waldeslichtung war, dachte er nicht mehr an die Pachtung der Schafweide: er wollte mit seinem Ameile ein gut Stück von diesem Gute haben, und wenn nicht im Boden selbst, doch in Geld. Noch einmal dachte Dominik, ob es nicht klüger wäre, wieder umzukehren und nach Reichenbach zu gehen; dort war jetzt Albans Stelle offen, das war ein Ehrenplatz, und er war näher beim Furchenhof. Aber Ameile hat ihn gebeten, nicht in einen neuen Dienst zu treten ... Während des Ueberlegens schritt er immer rasch voran, er wollte, wenn er sich anders entschließe, keine Zeit versäumt haben, und wirklich blieb er auch dabei, zu seiner Mutter zu gehen. [] Dorthin hatte ihn auch Ameile gewiesen, dort waren ihre Gedanken bei ihm, und er mußte für Ameile die Trau auslösen. Jeder Schritt ward ihm leicht und zur Freude, denn er ging ihn für Ameile.
In Klurrenbühl im Wirthshaus hielt er an und traf heute große Bewegung, einem der Angesehensten des Dorfes wurden heute im Gantverfahren seine Liegenschaften verkauft. Man erinnerte Dominik, wie vor fünf Jahren hier ein großes Hofgut, das er noch gekannt hatte, zerschlagen wurde; der heut zu Vergantende, ein fleißiger, haushälterischer Mittelmann, kaufte übermäßig viel ein, und nun ist er schon der Dritte, der dadurch vergantet wird, zwei Mißernten und die Kapitalschulden erdrückten ihn und jetzt ist auch sein früheres Besitzthum damit verloren und er ein Bettelmann.
Die Leute, die Dominik kannten, staunten, als er fragte, was denn das ganze Anwesen im Schätzungswerthe betrage, und als er auf die Auskunft erwiderte: das wär' mir zu klein. Dominik sah schon vor sich, wie er ein mittleres Gut kaufte, es durch Fleiß und Bewirthschaftung höher hob und am Ende doch noch Ameile in ein Glück setzte, wie es ihr gehörte. Er war jetzt in der Stimmung, daß er auf die halbe Welt ein Anbot gethan hätte, so frisch ausgerüstet fühlte er sich. Fast vor seinem eigenen Muthe fliehend, ging er beim Beginn der Versteigerung davon, und immer wehmüthiger ward es ihm jetzt im Herzen, daß er mit jedem Schritt weiter weg von Ameile sei. Es fiel der erste Schnee, der aber alsbald wieder zerging, und der abgerissene Klang aus dem Liede zog Dominik durch den Sinn:
[]Berg und Thal, kalter Schnee –
Von Herzlieb scheiden und das thut weh.
Wann wird er den Weg wieder zurückkehren, freudig getrieben von lockender Glückseligkeit? Wenn nur Ameile nicht gar zu hoch über ihm stünde! Freilich, sie hat ein festes Herz, aber sie weiß doch noch nicht, was es heißen will, aus solch einem vollen Hause fortzugehen: der Milchkeller ist allzeit voll und es ist etwas Anderes, wenn man jeden Tropfen sparen muß; daheim ist die Mehltruhe, der Schmalztopf allzeit gefüllt, da heißt es nur: geh da geh dort hin und schöpf; wie aber dann, wenn's klein hergeht und wenn man nach dem was man braucht überallhin ausschicken muß? Wir wollen mit Lieb und Freud jeden Bissen salzen und schmalzen.
Ein guter Kamerad gesellte sich unversehens zu Dominik, der wußte die besten Herzensgedanken, und der Kamerad war das Lied, das er also vor sich hin sang:
Es steht ein Baum in Oesterreich
Der trägt Muskatenbluth,
Die erste Blume, die er trug
War Königs Töchterlein.
Dazu da kam ein junger Knab,
Der freit um Königs Tochter;
Er freit sie länger als sieben Jahr
Und kann sie nicht erfreien.
Laß ab, laß ab du junger Knab,
Du kannst mich nicht erfreien;
Ich bin viel höcher geboren denn du
Von Vater und auch von Mutter.
[]Bist du viel höcher geboren denn ich,
Vom Vater und auch von Mutter,
So bin ich dein Vaters gedingter Knecht
Und schwing dem Rößlein das Futter.
Bist du mein Vaters gedingter Knecht,
Und schwingst dem Rößlein das Futter,
So giebt dir mein Vater auch guten Lohn,
Daran laß dir genugen.
Der große Lohn und den er giebt,
Der wird mir viel zu sauer;
Wenn andre zum Schlafkämmerlein gehn,
So muß ich zu der Scheuer.
Des Nachts wohl um die Mitternacht,
Das Mägdlein begunnte zu trauern,
Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm
Und ging wohl zu der Scheuer ...
Das war ein braves Lied. Dominik wußte wohl, es hat noch mehr »G'sätzle«, aber er kannte sie nicht und erinnerte sich nur, daß der Knecht des Königs Schwiegersohn wurde. Und was in alten Zeiten geschehen ist, kann auch wieder geschehen. Und wenn Ameile auch »höcher ist denn er von Vater und auch von Mutter,« so ist sie doch keine Königstochter und hat ihn gewiß mehr lieb als die von alten Zeiten. »Dich nehm' ich und keinen Andern« das sind ihre Worte gewesen. Wenn's nicht wahr wär', hätt' man kein Lied darauf gesetzt. Und Dominik sang die Verse aber- und abermals mit voller Lust und heute hörte er nicht auf den Ruf der Gabelweihe, nicht auf das [] Klingen der Heerden und das Singen der Hütenden, er wußte nichts vom Weg und nichts von Allem rings umher, er ging nicht auf der Erde, er ging im Himmel.
In Jettingen erwachte er wieder plötzlich wie aus einem Traum, hier wo er gestern das Schwärzle eingestellt hatte, ließ er jetzt seine Habseligkeiten zurück und wanderte ledig nach seinem Geburtsorte. Er wollte nicht unterwegs Jedem Red und Antwort stehen, weil er seine Habe bei sich trug und jetzt fiel es ihm doch wieder schwer auf's Herz, daß er so Knall und Fall fortgeschickt war; er konnte ja nicht Jedem sagen, wie ganz anders sich das noch wenden müsse. Heute ließ er sich Zeit zu dem Weg nach Nellingen, und war er ihm gestern unbegreiflich lang erschienen, so däuchte er ihm heute ebenso unbegreiflich kurz. Er dachte sich aus, wie seine Mutter und Geschwister seine Rückkunft aufnehmen würden und wie er sich dabei verhalten solle, als er schon vor dem elterlichen Hause stand. Glücklicherweise war Niemand daheim als zwei kleine Bruderskinder und Dominik ging bald wieder fort und geraden Weges zu dem Hirzenbauer. Nach dem ersten Erstaunen und nachdem er mit auffallender Hast die verpfändete Denkmünze ausgelöst, erzählte er dem Hirzenbauer den ganzen Hergang. Der Hirzenbauer wollte nun seinem Spott über den Furchenbauer Luft machen, Dominik fiel ihm aber in's Wort indem er sagte:
»Redet nicht so von meinem Meister, ich darf das nicht mit anhören.«
»Ja so,« lachte der Hirzenbauer, »er wird ja dein Schwäher.«
[] »Das steht noch im weiten Feld.«
»Nein, nein was ich dabei thun kann, soll mit Freuden geschehen. Was willst denn jetzt anfangen?«
»Wenn Ihr mich als Drescher brauchen könnet, wär' mir's recht.«
»Gut, das kann schon sein, und es mangelt uns grad ein Knecht, da kannst derweil aushelfen und bist auf dem Sprung wenn's auf dem Furchenhof losgeht, denn da geht's noch durcheinander.«
Als Dominik fortgehen wollte, sagte der Hirzenbauer:
»Wart ein bisle, ich geh mit dir. Ich will's deinen Leuten schon zu verstehen geben, daß du was hast, was du ihnen nicht sagen kannst und daß sie noch Ehr' an dir erleben. Die Schwägerin ist gar anfechtig, (reizbar) die meint gleich, du trägst ihr das halb Haus weg. Dein Mädle hat mir gestern wohl gefallen und die hat ganz das Ansehen dazu, die führt aus was sie will.«
Wie glückselig war Dominik als er mit dem Hirzenbauern durch das Dorf ging. Das war doch noch ein Ehrenmann, der sich eines Jeden annahm sei es wer es wolle, und der errieth wo es Einem fehlt, und wie brav war's, daß er an die Heirath mit Ameile so fest glaubte, und er wußte doch nicht einmal Alles was sie ihm heilig versprochen hatte.
Bei den Angehörigen des Dominik, die diesen nur mit halber Freude willkommen hießen, wußte der Hirzenbauer Alles fein herzustellen. Man schien zufrieden und ihm zu trauen, aber doch nur halb. Dominik sollte erst später erfahren warum. Das aber stand [] jetzt schon fest, der Hirzenbauer nahm sich des Dominik an wie seines Grundholden, und er wachte über sein Schicksal und freute sich über dasselbe wie ein Menschenfreund. –
Es ist keine Mutter so arm, sie hält ihr Kindlein warm, sagt ein gutes Sprüchwort, das zeigte sich auch an der Mutter des Dominik. Vor dem älteren Sohne und der Schwiegertochter zeigte sie ihre Liebe nicht, ja sie that auch wie die Anderen fast erzürnt über seine Rückkehr; als sie aber allein mit ihm war, öffnete sich ihr ganzes Mutterherz, das sich in den Worten aussprach:
»Und wenn du aus dem Zuchthaus kämst, du wärst doch mein liebstes Kind, du bist von kleinauf die beste Seele gewesen.«
Die Mutter wußte nicht anders, als Dominik habe sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht, sonst wäre er ja nicht so plötzlich gekommen und hätte nicht den Hirzenbauer zu seinem Fürsprech geholt. Dominik konnte der Mutter nicht sagen, was vorging, sie hatte ihm ja geklagt, daß sie das gestern erhaltene Geld der Söhnerin gezeigt und ihr habe geben müssen und er wußte wohl, daß sie noch weit weniger als Geld ein Geheimniß vor der Schwiegertochter bergen konnte, mit der sie doch scheinbar in stetem Unfrieden lebte. Die Mutter war redselig und da sie Niemand anders hatte als die Söhnerin, sprach sie mit ihr Alles aus. Jeden Tag war sie nun glücklich, denn Dominik war ehrerbietig und liebreich gegen sie, was sie schon lange nicht gewohnt war.
[] Auf dem Hirzenhof unter den Dreschern erfuhr Dominik die seltsame Stimmung seines Heimathsdorfes und jetzt wußte er auch, warum die Seinigen nur halb erfreut und befriedigt waren, als der Hirzenbauer sich seiner annahm. Der Hirzenbauer hatte seinen Hof zertheilt und das ganze Dorf war darüber erbost. Ein Jeder, auch der ärmste Häusler, war stolz darauf gewesen und rühmte sich dessen auswärts, aus einem Dorfe zu sein, wo so ein großer Bauer wie der Klein-Rotteck auch daheim war; jetzt war einem Jeden etwas von seinem Glanze genommen und man war aufgebracht gegen den Hirzenbauer und hatte nur noch den halben Respect vor ihm. Ein Schneider, der mit unter den Dreschern war, erzählte:
»Es geht uns grad wie den Hechingern. Ich bin vor Kurzem wieder dort gewesen. Ihr könnt euch gar nicht denken wie elend das Städtle jetzt dran ist. Früher hat's doch einen Glanz gehabt und seinen Fürsten und Alles, und jetzt können sie Blut schwitzen und haben nichts und sehen nichts. Der Hirzenbauer ist unser Fürst gewesen und jetzt wird Alles lauter Lumpen und unser Nellingen das elendeste Nest so weit man Hosen flickt.«
Dominik stand allein mit seinen Entgegnungen, er konnte den Bettelstolz, der an Hartnäckigkeit keinem andern Stolz nachsteht, nicht besiegen; er wußte aber auch keine Antwort auf den praktischen Vorhalt, wie beim nächsten Geschlecht, wenn der Hirzenhof noch einmal verschnitzelt wäre, jeder Abkömmling Alles allein bewirthschaften könne, dann hätten die armen Leute [] im Orte keinen Winterverdienst mehr und müßten auswärts Arbeit suchen und halb verhungern.
In der Abendruhe saß Dominik jedesmal beim Hirzenbauer. Dieser hätte wohl ein Menschenverächter werden können, wenn seine Natur dazu angelegt gewesen wäre; er kannte genau die Lage in der er sich befand und wie die Menschen um ihn her ihm gesinnt waren, er glich einem mediatisirten Fürsten, dessen Herablassung kaum noch halb als solche angesehen wird. Er ließ sich dadurch nicht abhalten, seine Wohlmeinenheit in doppelter Macht Jedem kund zu geben, aber einen gewissen Spott konnte er manchmal nicht zurückhalten, daß man ihm verargte, weil er gethan, was recht und billig ist, und in diesem Bewußtsein beharrte er. Er erzählte Dominik, wie er im Testament angeordnet habe, daß der Boden nur bis zu einem gewissen Grade zertheilt werden solle, sei es so weit, so sollten die Uebrigen auswandern. Es war eine eigne Erregung, als Dominik einmal hierauf sagte:
»Jetzt das gefällt mir, so thät ich's auch machen und dabei blieb' ich.«
Der Klein-Rotteck verhehlte sich nicht, welch ein Widerspruch darin lag, daß er für künftige Zeiten eine Beschränkung heischte, die er jetzt aufhob; aber er wußte keinen andern Ausweg. »Man muß thun, was man in seiner Zeit für Recht hält: andere Zeiten können's wieder anders machen,« war sein Wahlspruch.
Schön ist der Baum mit seinen farbigen Blüthen, schön ist der Baum mit seinen farbigen Früchten, aber schöner ist ein Tisch, daran Vater und Mutter sitzen[] und um sie her die zahlreichen Kinder, die mit vollen und hellen Wangen die vielfältige Schönheit des Lebens erweisen, ehrwürdig ist der Mann, der sie sättigt und tränkt, selig die Mutter, die sie unter dem Herzen getragen und mit stillem Ernst unterweist.
Auf dem Hirzenhof war ein anderes Leben als beim Furchenbauer, stattliche Schwiegertöchter, vollwangige Enkel gingen aus und ein und überall war ein schön gesättigtes Leben in Arbeit und Frohmuth.
Der Hirzenbauer bewahrte daheim und in seinem Werktagsgewande allzeit eine gewisse phlegmatische Ruhe, eine langsame Stetigkeit in Reden und Mienen und in allem Thun. Das lag nicht nur in seiner Natur, sondern auch bei allem Freimuth im Bewußtsein seiner höheren Stellung. Kleine Leute, denen kommt es zu, ein aufgeregtes, gehetztes, leidenschaftliches Leben zu haben; ein Großbauer muß allezeit mit eisenfester Gemessenheit zu Werk gehen; das schickt sich nicht anders für ihn, so verlangt es seine Würde.
Wenn hier auf dem Hirzenhof Etwas erörtert wurde, merkte man wohl die natürliche Oberherrlichkeit des Vaters, aber es kam nie zu tyrannischen Machtsprüchen, es gab nie ein lautes Wort.
Unserm Dominik erquickte das Reden und Thun des Hirzenbauern das Herz, und dennoch erschien ihm wieder die Welt oft ganz verwirrt. Dort auf dem Furchenhof war Zwietracht wegen ungetheilter Vererbung des Gutes, und hier schimpften die Leute im Dorf, weil man das Gut zertheilt habe und der Bruder des Dominik wollte diesen auch aufhetzen, mit ihm und [] Anderen einen großen Prozeß anzufangen; sie waren ja auch Nachkommen eines abgefundenen Sohnes vom Hirzenhof; nur wenn das Gut beisammen blieb, hatten sie keinen Anspruch, jetzt aber waren auch sie zu einem Erbtheil berechtigt. Dominik, der sich der Betheiligung an diesem Prozesse weigerte, erfuhr nun doppelt, wie mißachtet er im elterlichen Hause beim Bruder war: ehedem, wenn er auf Besuch kam, war er geehrt und geschätzt, jetzt gilt er nichts mehr, weil er nichts mehr ist und fast wird er als ein Eindringling angesehen, der draußen in der Welt verjagt, wieder in's Nest zurückkehrt. Die Mutter wagte es nur im Geheimen ihm ihre Liebe zu bezeigen, vor den Andern mußte sie scheinbar zu ihnen halten; sie mußte ja mit ihrem verheiratheten Sohn und ihrer Schwiegertochter leben, Dominik konnte ihr nichts helfen.
Vom Furchenhof verbreiteten sich plötzlich seltsame Gerüchte, die Einen sagten, der Furchenbauer habe den Alban so geschlagen, daß er am Tode läge; die Anderen sagten, Alban habe den Bruder erstochen. Es duldete Dominik nicht mehr länger in der Ferne.
Es war ein wunderlicher Geleitsspruch, den der Hirzenbauer dem Dominik zum Abschied mitgab, denn er sagte:
»Wenn du auf den Furchenhof kommst, tritt fest auf. So lang man Einen für gutmüthig hält, trampelt ein Jedes auf ihm herum. Ich hab' dich in den Tagen neu kennen gelernt. Glaub' mir, die Menschen kriegen erst Respekt vor Einem, wenn man ihnen die Gurgel zusammenpreßt, daß sie nimmer schreien können.[] Steh fest hin und wenn du jetzt nicht Meister über den Furchenbauer wirst, wirst du's nie.«
Kaum acht Tage waren es, seit Dominik diesen Weg beschritten, als er wieder eilig auf demselben zurückkehrte. Er hatte nichts mitgenommen, als seine Denkmünze. Die Angst trieb ihn unaufhaltsam vor sich hin. Es überlief ihn heiß und kalt, wenn er sich ausdachte, was geschehen sein könnte, und einmal schlug er sich heftig auf die Stirn, als träfe er damit leibhaftig den Gedanken, der dort entsprungen war; denn es fuhr ihm durch den Sinn, ob nicht aus dem Unheil der Familie sein Heil erwachsen könne. Er wünschte einem Jedem Heil und Frieden, er wollte ihnen nur in der Wirrniß beistehen und machte sich jetzt Vorwürfe, daß er fortgegangen war, während er doch sah wie über dem Hause, dem er treu angehört, bös Wetter auf's Neue aufzog. Es ist ein alter Glaube: wenn man mit Fingern auf ein Gewitter weist, dann schlägt es ein. Hatte Dominik das gethan? Mitten in allem Bangen, Sorgen und Selbstanklagen durchflammte wieder die Liebe das Herz des Dominik, denn es ist eine sattsam bekannte Wahrnehmung, daß gerade mitten in den heftigsten Erschütterungen des Lebens oft die Seele am meisten nach Liebe lechzt. Dominik schärfte sich die Lippen und genoß im Voraus die Küsse, deren Süßigkeit er so lange entbehrt hatte. Und heftiger klopften seine Pulse und rascher gingen seine Schritte, er ging zwei Armen entgegen, die sich selig ausbreiten, um ihn an's Herz zu schließen.
[]Ein reiches Kind im Elternhaus.
Am selben Morgen, an dem Dominik den Furchenhof verlassen, war es im Hause wirr hergegangen. Natürlich konnte sich Ameile nicht am Fenster und nicht an der Thüre zeigen, denn sie saß im Stüble bei der Mutter und weinte, daß ihr die Augen schwollen, diese Augen, die sonst nur mit hellem Freudenglanz in die Welt hineinlachten. Der Vater hatte Ameile schon früh aus dem Gewahrsam geholt und es war ihm ein Leichtes, mit harten Worten und drohend aufgehobener Hand das Mädchen zusammen zu brechen, daß es auf den Boden sank. Der Vater ließ sie am Boden liegen und ging, die Hände auf dem Rücken übereinander gelegt, die Stube auf und ab; er fuhr fort, ihr Vergehen in heftigen Worten zu züchtigen und mit der Faust an die Wand schlagend verwünschte er sein Mißgeschick, das ihm lauter widerspenstige Kinder gegeben, die ihn in Schande und vor der Zeit unter den Boden bringen, aber er schwur, ihrer Meister zu werden. Als er jetzt auch gegen Dominik, »den Heuchler und Verführer, den meineidigen treulosen hergelaufenen Lumpenbuben« loszog, da sprang Ameile plötzlich auf, stellte sich fest vor den Vater hin und sagte:
»Vater, Ihr könnet mit mir machen was Ihr wollet, aber das leid' ich nicht; ja, gucket mich nur so an, Ihr könnet mich todtschlagen, aber das leid' ich nicht, er ist ehrlich und treu und rechtschaffen und er hat mich nicht verführt und wir können vor Gott und [] der Welt hinstehen und frei aufschauen, und daß er arm ist, das ist kein' Schand. Mein Dominik –«
»Dein Dominik? Wart ich will dich dein Dominik –«
»Ja, das wird ein' Kunst sein, eine arme Tochter, die sich nicht wehren kann, zu schlagen. Die gut' Oberamtmännin die hat's geahnt, die hat nicht umsonst gestern aus heiler Haut zu mir gesagt: Mädle wenn du einmal Beistand brauchst, vergiß nicht wo ich bin. –«
Es dröhnte ein polternder Sturz an der Kammerthür und man hörte kein Wort mehr in der Stube. Die Mutter kam aus der Kammer, sie sah schnell was geschehen war, Ameile lag am Boden und der Vater saß am Tisch und hielt die geballte Faust auf demselben. Sie führte Ameile schnell in die Kammer und ließ nicht ab, bis sie sich auf das Bett setzte, dann eilte sie zu ihrem Mann und redete ihm mit klugen Worten zu, doch kein Aufsehen zu machen, man müsse die Sache vertuschen; reize er aber das Kind, so mache er's damit ja ärger, das Kind habe nichts mit dem Knecht, es sei nur eine alte Anhänglichkeit, das Kind sei gescheit und werde sich auch wenn etwas wahr sei, so eine Narrheit bald aus dem Kopf schlagen; mache man aber viel Wesens daraus und käme so etwas in der Leute Mund, so müßte man Ameile mehr als das doppelte Heirathgut geben, um sie an den rechten Mann zu bringen.
Diese Gründe leuchteten dem Furchenbauer wohl ein und er sagte nur noch: »Aber das Teufelsmädle will die Sach' selber an die große Glock' hängen und will Alles der Oberamtmännin berichten.«
[] »Das ist nur so gered't. Wenn man gehetzt und gejagt wird, da sagt man Mancherlei was man nachher doch nicht thut. Da laß nur mich dafür sorgen. Jetzt sei lind gegen das Mädle und verscheuch mir's nicht. Hör' nur wie es heult, es stoßt ihm ja fast das Herz ab. Jetzt laß mir heut den Freudentag, weil unser Alban wieder da ist und halt Friede. Meine Kinder sind so brav und noch braver wie andere, und du mußt so gut Alles in Frieden und Gutheit herstellen können wie jeder andere Bauer, und wenn's nicht ist, denk' nur, es ist deine Schuld.«
»Nicht meine, sag' das nicht, es ist nicht meine.«
»Das wollen wir jetzt nicht ausmachen. Ameile!« rief sie laut, »geh' 'naus und thu Schmalz und Mehl 'raus und back Sträuble. Hurtig, mach voran, seit wann muß ich dir was zweimal sagen? Wasch' dir die Augen ab und laß dir vor den Mägden nichts merken. Sei brav und man hält dich brav.«
Der kindliche Gehorsam in der Wirthschaftlichkeit bewältigte den Kummer in dem sich Ameile fast verzehren wollte: ihr Geliebter war aus dem Haus gejagt und sie selber mißhandelt. Noch als sie am prasselnden Feuer stand, rann ihr manche Thräne über die Wangen und sie sagte der Großmagd, daß heute der Rauch sie so sehr beiße. Mit Trauer und Klage im Herzen buck sie den Festkuchen. Als ihr die boshafte Großmagd, die Wasser geholt hatte, erzählte, wie sie den Dominik verhöhnt habe, der dagestanden habe wie der Gott verlaß mich nicht, kam kein Laut der Erwiderung über Ameile's Lippen; sie war der Großmagd [] nicht einmal böse. Warum sollten fremde Menschen besser sein als die eigenen Angehörigen?
Alban kam mit freudiger Morgenfrische in die Küche, die Hinterhältigkeit des Bruders war ihm ganz aus dem Sinn gekommen. Alban hatte in aller Frühe geordnet und gewirthschaftet und es that ihm wohl, wieder im väterlichen Hause zu walten und die Freudenbezeigungen der Taglöhner und Dienstleute erhellten ihm das Gemüth. An Dominik dachte er kaum mehr, er war ein Knecht, er hatte ihn freilich besonders lieb und war ihm zu Dank verpflichtet, aber es ist doch nicht von besonderer Bedeutung, wenn ein Knecht aus dem Haus zieht. Das Herz, das lange der Freude entbehrte, wird oft so eigensüchtig, daß es sich jedes störende Begegniß gern ablenkt. Alban hörte den betrübten Ton nicht, in dem Ameile sagte, daß sie zur Feier seiner Ankunft Sträuble backe; er freute sich nur kindisch ob dieses Schmauses.
Dem Vater und der Mutter sagte er im Stüble mit heller Stimme »Guten Morgen,« und selbst der Vater nickte freundlich; er mochte wohl der Erschütterung gedenken, die er in der Nacht beim Horchen empfunden; auch hatte er heute schon Kummer genug gehabt, er durfte sich eine Freude wohl gönnen.
Bei dem Morgenschmause waren die Eltern und beiden Söhne äußerst wohlgemuth. Ameile trug ab und zu. Der Vater wollte sie jetzt zwingen, fröhlich zu sein und sich mit an den Tisch zu setzen, sie aber schützte allerlei Arbeit vor und als der Vater darob zornig werden wollte, sagte die Mutter nach dem Weggehen Ameile's:
[] »Du willst doch immer die Gedanken gleich umstellen wie du sie haben möchtest. Laß doch in dem Kind die Sach' auskochen, dann ist's vorbei; will aber nicht gleich: jetzt geheult und jetzt wieder lustig.«
Als man aufstand, bat die Mutter, daß ihr Alban noch ein wenig bei ihr sitzen bleibe und der Vater befahl es ihm ausdrücklich. Er machte seiner Frau gern eine Freude und heute besonders, er fühlte doch, daß sie ihn von manchem unüberlegten Aufbrausen abhielt und vielleicht gelingt ihr jetzt bei Alban, wovor ihm noch immer bangte.
»Gelt, du bist jetzt brav und hörst auf zu widerspensten?« sagte die Mutter mit freudig herzlichem Blicke.
»O Mutter!« rief Alban erregt. »Es giebt doch kein' größere Freud' auf der Welt als seinen Eltern Freud' machen. Wenn ich draußen in der Welt ein Lob bekommen hab' über Das und Jenes, hab' ich tausendmal denken müssen: Was nützt mich das Alles? Was thu ich mit eurem Lob und eurer Zufriedenheit? Das geht Alles in Wind auf, weil meine Eltern es nicht hören und sehen können, für die allein möcht' ich der rechtschaffenste und aller Orten gepriesene Mensch sein. Wenn's meine Eltern nicht hören und sehen, ist Alles nichts. Es hat den Schein gehabt, als wenn ich ungehorsam wär', aber jetzt erst seh ich's, ich bin nichts gewesen als ein verirrtes Kind im wilden Wald, das jammert und weint, und weint und ruft nach Vater und Mutter. Mir wär' am liebsten, ich thät jetzt sterben, daß Ihr und der Vater mit Freude an mich denken könntet.«
[] Aus dem Urquell alles Lebens strömten Worte und Gedanken Albans heraus und die Mutter sah ihn staunend und bewundernd an, wie sein Antlitz sich verklärte, wie eine Verzückung daraus leuchtete. Mutter und Sohn waren in diesem Augenblick hinausgehoben über alle Wirrniß und alle Beschwerung des Alltagslebens. Die Mutter drückte ihre beiden Hände auf Augen und Wangen des Sohnes und hielt sein Haupt in den Händen fest, sie drückte ihre Zähne übereinander vor innerstem Jubel, und hier, auf dem einsamen Gehöft unter dem Strohdache leuchtete jene Glorie auf, darob der Stern am Himmel erglänzt zum Zeugniß, daß sie so ewig ist wie er ...
»Lieber Gott, ich hab's ja gar nicht gewußt, was du für ein Kind bist,« brachte endlich die Mutter hervor, und helle Freudenthränen rannen ihr über die Wangen.
Eine Weile waren die Beiden still, die heiligste Regung klang noch in ihnen aus; aber kein Leben, am mindesten das werkthätiger Menschen duldete eine solche in's Höchste versetzte Erhebung lange.
Die Hände in einander legend und ihren Sohn mit behaglichem Lächeln betrachtend sagte die Mutter endlich wieder:
»Du bist doch auch wie dein Vater, nur in anderer Art und bist besser geschult. Es ist wunderig! Dein verstorbener Bruder ist der Einzige gewesen, der meiner Familie nachgeartet ist, der ist grad gewesen wie mein Vater selig, von dem hat man auch sein Lebtag kein laut Wörtle gehört. Dein Vater hat ihn oft [] ausgelacht wegen seinem Ochsenschritt: aber ihr seid Alle wie die wilden Ross': hinten und vorn ausschlagen, wenn's was giebt, das ist bei euch daheim. Aber jetzt komm und erzähl mir einmal geruhig: wie ist dir's denn auch gangen?«
»Wie ich in den Krieg kommen bin –«
»Davon will ich nichts wissen. Wie ist dir's denn als Knecht ergangen?«
»Gut. Nur um Weihnachten war mir's am ärgsten –«
»Kann mir's denken, da hast rechtschaffen Jammer (Heimweh) gehabt?«
»Nein, nicht mehr als sonst, aber schrecklich ist mir's gewesen, daß ich mich hab' müssen beschenken lassen. Ich hätt' gern dem Meister die Schenkasche vor die Füß' geworfen und hab's doch nicht dürfen; er hat's gut gemeint. Und fürchterlich ist's, wie die Dienstboten gegen einander sind. Wenn Eines dem Andern das Leben recht sauer machen kann, ist's ihm ein Freud'.«
»Ihr Kinder und besonders du hast's uns ja nie glauben wollen, was für ein schlechtes Corps das ist, jetzt bist selber drunter gewesen, jetzt wirst uns Recht geben. Freu dich nur jetzt, daß du wieder Haussohn bist. Mach' nur, daß Alles mit Gutem ausgeht und laß die Kirch' im Dorf.«
»Ich thu was ich kann, Mutter! Ich laß mir da die Hand abhacken, eh ich eine Ungerechtigkeit leid'. Wenn nur der Vinzenz auch brav ist, redet mit ihm, mit mir brauchet Ihr nicht zu reden; er soll Euch sagen wie ich's im Vorschlag hab' und was er dazu will. Mir giebt er keinen Bescheid.«
[] Ein unterdrücktes Husten in der Stube bestärkte die Mutter in der Vermuthung, daß der Vater wieder nach seiner bösen Gewohnheit lausche; sie brach ab, sie wollte sich wo möglich nicht in diese Sache mischen, sie konnte Alban ohnedies nicht ernstlich zureden, da es ganz gegen ihre Ansicht war, daß der Erbgang zu Gunsten des Vinzenz geändert wurde; sie hatte keinen Einwand wenn es sich gütlich ausglich, aber im Herzen war sie nicht nur an sich für den herkömmlichen Erbgang, sondern auch noch aus besonderer Liebe für Alban. Als dieser jetzt sagte: »Ich muß jetzt an's Geschäft,« hörte man draußen die Stubenthür in's Schloß fallen.
Noch als Alban weggegangen war, ruhte ein Freudenglanz auf dem Angesichte der Mutter, als ob sie ihn noch vor sich sähe; in Aug und Mund ruhte ein stilles Lächeln, und die Hände faltend mit einem Blick nach oben ging sie an ihre Arbeit.
Auf dem Hofe war Niemand so vollauf glückselig wie die Mutter. In ihrer ruhig thätigen und leidenschaftslosen Natur glaubte sie auch nicht an die Leidenschaftlichkeit Anderer und die Erfahrung hatte sie belehrt, daß all das heftige Gethue nichts als verhetzte Sinnesweise, unnöthig und übertrieben sei; und eben dadurch weil sie nicht an die unbändige Heftigkeit der Menschen glaubte, hatte sie dieselbe oft bewältigt. Wenn ihr Mann oft in Wildheit gegen Kinder und Dienstboten zu rasen begann, konnte sie ihm sagen: »Christoph, das mußt nicht leiden, so darf dich der Hassard nicht übermannen,« und er wurde still und ruhig.
Es ist eine viel zu wenig beachtete Erfahrung, daß[] die Leidenschaft mitten im ungezähmtesten Ausbruche zu bewältigen ist, wenn es dem Unbefangenen gelingt den Punkt zu berühren, wo der im Sturme Fortgerissene mit sich selbst ob seines Thuns zerfallen ist. Die Furchenbäuerin traf dies bei ihrem Manne meist mit unfehlbarem Takt. Sie wollte aber jetzt nichts thun, denn er war selber zu sich gekommen. Es war gut, daß er nach seiner übeln Gewohnheit gelauscht hatte. Es wird sich Alles auf friedlichem Wege ausgleichen. Warum sollte es denn nicht sein? Ist ja daheim in Siebenhöfen allzeit Jegliches gütlich beigelegt worden, warum denn hier nicht auch?
Es war wieder ein neues rühriges Leben auf dem Furchenhof, Alban arbeitete rastlos vom Morgen bis in die Nacht und pfiff und sang allezeit. Jede Arbeit machte ihm jetzt doppelte Freude, er that sie nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn des Hauses. Der Vater ließ ihn gewähren und schaute ihn oft mit Zufriedenheit an; er that als ob er es nicht wüßte, wenn Alban noch spät Abends oft zu Vreni auf den Hellberg ging; dieses Verhältniß schien ihm jetzt genehm. Je mehr sich Alban mit Vreni einließ, um so weniger konnte er den Hof beanspruchen; er mußte mit einer erklecklichen Auszahlung zufrieden sein und konnte damit nach Amerika auswandern, wenn er sich hier zu Land nicht in ein Häuslerleben schicken mag.
Auf dem Hellberg ging es allzeit lustig her. In dem Hause, wo man die Kartoffeln zählte, ehe man sie an's Feuer stellte, sah doch Jedes wohlgenährt und munter aus. Das machte die Freude, denn hier war [] Singen und Tanzen, als wäre beständig Kirchweih. Die Obedfüchti, die den Tag über ganz allein von Gehöft zu Gehöft wandelte und sich allerlei einhamsterte, spielte am Abend die Klarinette und man sang und tanzte oft dazu. Jetzt wurde bereits an fünf Kunkeln gesponnen, die Erwachsenen spannen den feinen Flachs und die Kinder das Werg. Die Großmutter hatte auch nur Werg an der Kunkel, sie that es wieder den Kindern gleich, denn ihre Finger waren krumm und ihr Auge schwach. Die Spindeln drehten sich lustig auf dem Boden.
Zwischen hinein erzählte die Obedfüchti allerlei lustige Streiche aus alten Zeiten, wie er einst eine tüchtige Zeche bei einem Wirthe angetrunken und als er nicht bezahlen konnte eine Ohrfeige erhielt, worauf sie ruhig antwortete: »So gut ist mir's noch nie gangen, hab' kein Geld gehabt und doch noch was heraus bekommen.« Der Wirth lachte darob so sehr, daß er aufs Neue einschenkte. Eine Hauptgeschichte erzählte die Obedfüchti aber stets unter neuem Lachen. Er war einst im Sommer nach Klurrenbühl auf den dortigen Hof gekommen, als eben Sträuble gebacken wurden; er bat auch darum, wurde schnöde abgewiesen und ging; da sah er ein Kind neben einem Weiher sitzen, schnell tunkt er es in's Wasser und trägt es als vom Tode gerettet in das Haus. Nun wurde er reichlich beschenkt und ging nie mehr leer aus, so oft er kam.
An längst genossenem Wein und Leckerbissen erlabte sich noch das alte Männchen und seine Zuhörer zehrten mit. In diesem Hause, wo das tägliche Leben so wenig [] bot, erquickte und erheiterte man sich an alten Geschichten und Späßen und war wohlgemuth. Die Goldfuchsen lachten mit und sprachen in Alles hinein im Beisein der Eltern und die ganze Familie war wie Ein Mensch. Wenn Alban jetzt wieder täglich vom elterlichen Hause hierher kam, war es ihm stets als athmete er nun erst frei auf, hier war er »ausgeschirrt,« wie er oft sagte, und bei allem Freisinn genoß er noch das Wohlbehagen eines Höherstehenden, der sich in niederen Kreis begiebt, dem man den besten Stuhl anweist, dem man jede Freundlichkeit doppelt dankt und vor dem man sich gern im besten Lichte zeigt. Alban war hier wieder der rechte Sohn des Furchenbauern und das that ihm wohl und er sagte sich nur, daß das überall sei, wo er eintrete.
Der Nagelschmied sprach manchmal mit Alban über das Zerwürfniß mit dem Vater. Er war klug und fest, denn er vermied jeden Schein, als ob er Alban aufhetze, und Alban war stolz und eigenwillig genug, daß dieß gerade das Gegentheil hervorgebracht hätte. Der Nagelschmied hatte daher nur allerlei unhaltbare Einwände gegen den Plan Albans vorzubringen und ließ sich gern von ihm widerlegen; daneben wußte er aber ernste Andeutungen zu geben, daß er mit seiner Tochter Vreni nicht spielen lasse und daß er sein Leben an den wage, der mit der Krone seines Hauses leichtfertigen Scherz treiben wolle oder gar sie verunehre; er wiederholte stets, daß er Alban nicht damit meine, daß er zu ihm alles Vertrauen hege, er wußte ihm aber dabei immer deutlich zu machen, daß der arme Mann [] nichts habe als seine Ehre und sein heiteres Gemüth, und eben darum um so eifriger auf deren Erhaltung bedacht sein müsse.
Bruder und Enkelkind.
Nächsten Montag war der Vater siebzig Jahre alt. Am Samstag Morgen wurde Alban in aller Frühe mit den beiden Fuchsen nach Siebenhöfen geschickt, um die kleine Tochter des verstorbenen Schmalzgrafen zu holen; auf dem Rückweg sollte er Abends in der Stadt die Ankunft des Eilwagens abwarten, mit dem der Bruder des Furchenbauern, der Dekan im Oberlande war, kommen sollte. Mit dem einzigen Bruder und dem einzigen Enkel des Vaters sollte Alban dann zurückkehren. Die letzte Entscheidung nahte. Der Vater schien dazu Alles was ihm angehörte um sich versammeln und feierlich mit der Welt abschließen zu wollen. Alban war es trotz aller innern Entschiedenheit schwer zu Muthe auf dieser Fahrt. Vinzenz war ihm immerdar ausgewichen und hatte ihm nie einen richtigen Bescheid auf seinen in der ersten Nacht gestellten Vorschlag gegeben. Alban fand keinen Schlaf mehr neben dem Bruder, der verstockt und wortlos blieb; theils um doch Schlaf zu finden, theils auch aus innerer Furcht, daß er sich einmal im Grimm an seinem Bruder vergreife, hatte sich Alban nun in der Stallkammer das Bett des Dominik zum Lager gewählt und schließlich hatte das auch noch den besonderen Vortheil, daß man ihm seine Ausflüge nach dem Hellberge und [] seine Rückkunft nicht nachrechnen konnte. Der Greif allein verrieth ihn am ersten Abend, denn dieser Hund, den sich Vinzenz während der Abwesenheit Albans angeschafft hatte und der in der Nacht von der Kette losgelassen war, fiel den Heimkehrenden wie einen räuberischen Eindringling an, so daß das ganze Haus in Allarm kam. Am andern Morgen hatte der Vater zu Alban gesagt:
»Das ist grad nicht nöthig, daß du in der Knechtskammer schläfst, bleib' du nur bei deinem Bruder, und wenn er dir was hinterwärts gegen mich einfädeln will, sag' ihm nur: es gilt Alles nichts als was Ich festsetz', das allein hat Bestand.«
Hatte Vinzenz dem Vater die erste Unterredung verrathen? Alban konnte nicht klug daraus werden. Er blieb aber jetzt um so mehr bei seinem Nachtlager, und um den Greif nicht zum Lärm zu bringen, ließ er einen Laden im Heuschuppen nach der Feldseite offen und schlüpfte durch denselben allabendlich herein. Im eigenen elterlichen Hause hatte er einen verborgenen Eingang. Jetzt im Fahren gedachte er, wie fremd er doch eigentlich noch im Elternhause war.
Als er in der Ferne am Eichhof vorbeifuhr, wo er vor anderthalb Jahren um die Wittwe gefreit, erwachten in ihm wieder Scham und Trotz von damals, und doch konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie ausgeglichen und friedlich Alles wäre, wenn er hier oben bauern würde, vielleicht hielt er jetzt schon ein eigen Kind auf dem Arm ... Alban liebte trotz alledem die Vreni vom Hellberg innig und aufrichtig;[] aber es giebt Stimmungen, in denen auch der Starke und Muthige sehnlichst wünscht, daß ihm die Last des unaufhörlichen Kampfes abgenommen wäre, daß das Schicksal ihm das Heißerstrebte durchkreuzt haben möchte, nur um ihm Ruhe zu gönnen.
In Siebenhöfen wurde Alban herzlich bewillkommt. Man glückwünschte ihm zur baldigen Uebernahme des Hofes und empfahl ihm reiche Bauerntöchter aus der Nähe zur Auswahl. Alban widersprach in Nichts; er wollte den Leuten nicht sagen, wie es noch ungewiß sei, ob er in den Erbgang trete; dieß schien hier ausgemacht und fraglos. Alban wollte fast selber daran glauben, denn eine Zuversicht von außen, so wenig begründet sie dem Hörer auch erscheint, hat doch immer etwas so Einschmeichelndes und Anmuthendes, daß sie sich unvermuthet in der Seele festsetzt und alle Zweifel der eigenen besseren Erkenntniß überdeckt. Alban genoß harmlos die Ehre des Hoferben. Wer weiß, ob es nicht zum Letztenmal ist, daß er sich ihrer erfreuen darf.
Die Mutter hatte Recht: hier im Gäu ging Alles viel bedachtsamer und stetiger her, der Menschen Thun und Reden war gelassener und nicht so laut wie daheim.
Hätte die Eichbäuerin heute gesehen, wie sorgsam und innig Alban um sein Bruderskind bedacht war, sie hätte ihn nicht mehr der Hartherzigkeit geziehen. Als Alban mit der kaum eilfjährigen Amrei (Anna Marie) davon fuhr, war er voll Entzücken; jedes Wort, das das Kind sprach, erquickte ihm das Herz und ein lang nicht gekanntes Lächeln ruhte beständig auf seinem [] Antlitz. Wie die Kinder es immer fühlen, wo ein treues und aufrichtiges Herz sich ihnen zuneigt, so war das Mädchen bald äußerst zutraulich und anschmiegend gegen Alban und als es ihn fragte: »Ohm, hast du daheim auch ein Kind?« wußte er nichts Anderes zu erwidern, als das Kind fest in die Arme zu schließen und es innig zu küssen. Der ganze Jubel, daß er einst auch ein eigen Kind haben solle, stieg in ihm auf und er wünschte sich jetzt nur, diesem Mädchen, das ihn wie eine glückselige Zukunft anschaute, recht viel Liebe erweisen zu können. Plötzlich erwachte Wehmuth in seiner Seele: dieses Kind hatte seines Vaters Liebe nicht gekannt, er war dahin gerafft bevor es seinen Namen nennen konnte und er selber – ihm lebte der Vater und bedrückte ihm das Herz mit Härte und unbeugsamer Herrschsucht. Das aber ist die Beseligung, die die Kindesnatur auf ihre Umgebung ausströmt, daß sie ist gleich der stetigen unwandelbaren Natur um uns her, die sich nicht hereinziehen läßt in die Wirrnisse des Denkens und Lebens und die doch im Kinde Sprache gefunden hat. Amrei wußte so lieblich zu plaudern und freute sich so sehr über jedes Begegniß, daß Alban keinen schweren Gedanken nachhängen konnte; er ward kinderfroh mit dem Kinde. Noch nie war eine Fahrt so rasch und fröhlich gewesen als die von Siebenhöfen nach der Stadt. Mit dem Kind an der Hand ging Alban durch die Stadt und er hüpfte selbst mit dem Kind als das Posthorn klang. Der Oheim Dekan war richtig angekommen. Es war ein stattlicher umfangreicher Mann. Alban hatte ihn seit lange nicht [] gesehen; dennoch ward er sogleich von ihm erkannt. Der Dekan reichte ihm etwas salbungsvoll die Hand, die andere legte er als er gehört hatte, wer das sei, auf das Haupt des Kindes. Alban trug das Gepäcke des Oheims nach dem Wirthshause, aber das Kind wollte sich von dem Geistlichen nicht führen lassen, es hing sich an den Rockzipfel Albans.
Der Dekan war ein Mann, der nichts übereilte, Alban hielt schon die Zügel der angespannten Pferde in der Hand, als der Dekan noch gemächlich seinen Schoppen trank und dazu die mit ihm angekommene Landeszeitung las.
Beim Aufsteigen gab es zwei saure Gesichter, ein altes und ein junges. Das Kind weinte, weil es allein bei dem Pfarrer sitzen sollte, es wollte zu Alban und dieser mußte sich nun mit auf den gemeinschaftlichen Sitz einzwängen; er setzte sich indeß so auf die Kante, daß der Oheim Platz genug hatte. Das Kind saß zwischen ihnen. Im Fahren verschwindet bald jede anfängliche Ungemächlichkeit, man richtet sich allmälig ein und merkt zuletzt, daß Jedes noch genugsam Raum inne hat. Der Dekan, der stets die Hände gefaltet auf der Brust hielt, war ein wohlwollender und behaglicher Mann. Er sprach mit seinem Neffen von dessen vormaligem Leben in der Ackerbauschule, er war selber ein eifriger Landwirth und machte Versuche mit Tabaksbau und Seidenzucht; dann ließ er sich von Alban von den Freischärlerzeiten und dem Leben in Reichenbach erzählen. Erst nachdem dieses ordnungsmäßig abgethan war, wobei sie oft von Anrufungen des Kindes unterbrochen [] wurden, das fast eifersüchtig schien, weil Alban sich jetzt weniger mit ihm beschäftigte, begann der Dekan zu fragen, wie hoch Alban den Hof übernehme, da er jetzt viel mehr werth sei, nachdem man die alten Grundlasten abgelöst habe.
Als Alban berichtete, daß er noch immer aus dem Erbgang gestoßen werden solle, als er die ganze Wirrniß auseinander zu haspeln suchte und zuletzt damit schloß, wie er darauf bestehe, daß Alles zu gleichen Theilen getheilt werde, sagte der Dekan ohne eine Miene zu verziehen und ohne die Finger auseinander zu falten:
»Dann hab' ich auch noch Ansprüche und der Gipsmüller auch; unsere Abfindung beruht nur darauf, daß das Gut beieinander bleibt; wird es getheilt, gehört es gar nicht mehr deinem Vater allein.«
»Wie soll's denn aber gemacht werden?« frug Alban, der von dieser Rede ganz verwirrt wurde, und der Dekan erwiderte lächelnd:
»Wie's Recht ist. Kannst ruhig sein, ich verlang' in keinem Fall etwas und der Gipsmüller wohl auch nicht! Aber ruhig muß Alles gehen. Friede und Duldsamkeit! Mußt nicht gleich glauben, wenn Einer was anders will als du, das sei schlecht; es hat ein Jedes seinen eigenen Weg. Darum nur Friede!«
»O lieber Gott! Ja, den stiftet,« rief Alban inbrünstig mit lauter Stimme aus, und der Dekan befahl ihm, sich auch in seiner Friedensanrufung zu mäßigen, man könne Alles in der Welt viel besser mit leisen Worten beilegen.
[] Das behäbige Wesen des Dekans, der, noch aus der Wessenbergischen Schule stammend, Duldsamkeit und Maßhalten in allen Dingen bewahrte, übte einen eigenthümlich beschwichtigenden Einfluß auf Alban; er fühlte sich wie unter einem Zauberbann und doch wand und bäumte sich noch der Widerspruchsgeist in ihm, der einen nicht unwillkommenen Beistand darin erhielt, daß Alban sich des Gerüchtes erinnerte, wie sein Oheim in der Bewegungszeit ein Gegner derselben gewesen war. Dennoch rief er:
»Ich will mein Leben lang für Euch beten, wenn Ihr mir beistehet.«
»Ich bete selber für mich und ich stehe nur dem Rechten bei, keiner Person,« entgegnete der Dekan.
In Reichenbach hielt man an, hier mußte der Dekan auf länger einsprechen, er war hier vor Jahren Pfarrer gewesen.
Es war schon mehrere Stunden Nacht als man nach dem Furchenhofe fuhr, das Kind schlief und schmiegte sich traulich an Alban; er hatte Mühe die Pferde zu lenken ohne das Kind zu wecken. Alban und der Dekan sprachen fast gar nicht.
Als man auf dem Furchenhof ankam, war große Bewegung. Der Vater eilte dem Bruder mit einem Stuhl entgegen und reichte ihm die Hand, der Gipsmüller stand hinter ihm. Die Mutter umhalste ihr Enkelchen und weckte es mit Küssen, Ameile trug das noch halb Schlaftrunkene nach dem Hause.
In der Stube war heute Abend eine feierliche Weihestimmung, und selbst die Knechte und Mägde im Hofe [] sprachen leiser miteinander, denn der Dekan übernachtete hier. Der Dekan sah den Gipsmüller jetzt zum Erstenmal seit dem Tode der Schwester. Alte Wunden öffneten sich blutend, der Dekan besprach sie aber mit heilenden Worten. Der Gipsmüller kam sonst nie auf den Furchenhof, er hatte sich mit dem Schwager veruneinigt. Heute war Alles friedlich und wie mit einer Alles lindernden Milde gesalbt.
Ein Kirchgang am Morgen und eine Beichte in der Nacht.
Am Sonntagmorgen wurde den Pferden das neue Geschirr angelegt, und die Menschen zeigten sich alle in ihren besten Kleidern. In zwei Wagen fuhr die ganze Familie nach der über eine Stunde entfernten Kirche; neben Vinzenz saß die Mutter, hinter ihnen der Oheim Dekan und der Vater, Alban hatte Ameile und die kleine Amrei bei sich. Die ganze Familie außer Amrei war noch nüchtern, denn man ging heute zur Communion. Die Häusler, die bald da bald dort den Wiesenweg von einsamen Gehöften herabkamen, grüßten ehrerbietig, und der Furchenbauer dankte ernst dem Gruß, der seinem geistlichen Bruder galt. Die Fußgänger schauten der stattlichen Auffahrt noch lange verwundert nach und redeten allerlei darüber. In der Kirche verrichtete der Dekan das Meßamt und reichte den Seinen das Abendmahl.
Eine festtäglich gehobene Kirchenstimmung brachte [] man noch mit auf den Furchenhof zurück, und den ganzen Tag ging Jedes allein und in sich gekehrt umher. Nur Alban und Ameile saßen gegen Abend still beisammen auf der Bank am Brunnen und Ameile sah den Bruder staunend an, als er plötzlich mit tonloser Stimme sagte:
»Ameile, wenn ich sterbe, so will ich dir's gesagt haben, daß ich dem Dominik gegen vierhundert Gulden schuldig bin und er hat nichts Schriftliches von mir.«
Ameile wollte den Bruder ob solcher Rede auslachen, aber er wehrte ihr, er sagte zwar, solche Todesgedanken seien närrisch, aber es sei ihm so schwer im Herzen und er habe sich nun doch erleichtert, daß noch Jemand von seiner Schuld an Dominik wisse, er wolle das auch der Mutter mittheilen.
Woher kam Alban diese Todesahnung? Ein Volksglaube sagt: wer ein umwandelndes Gespenst, einen Geist erlöst, muß bald sterben. Hat Alban den Geist der Gerechtigkeit erlöst und muß er darob sterben? Ist es ein nothwendiges Gesetz der Menschengeschichte im großen wie im kleinen Leben, daß die einseitig hingegebenen Vertreter eines unterdrückten Rechtsgedankens auch dessen Märtyrer werden müssen? ...
Am Abend wallfahrteten alle Hausbewohner nach dem »Käppele,« der Dekan sprach dort den üblichen Abendsegen.
Der Gipsmüller mit seinen Töchtern war auch herbeigekommen und nun war große Familienzusammenkunft in der Stube. Ein Jedes lauschte nur auf die Worte des Dekans, der, dem Scherze nicht abhold,[] manchmal auch ein kleines Späßchen zum Besten gab, worüber man bescheiden zu lachen wagte; in der Regel aber führte er ernste Rede und immer wieder wußte er Beispiele beizubringen, wie Besonnenheit und Mäßigung die Tugenden seien, die ewig in Ehren gehalten werden müssen. Jedes war zufrieden mit diesen Mahnungen, denn Jedes schob dem andern die Bethätigung zu und glaubte selbst deren nicht zu bedürfen.
Der Dekan kannte die alte Geschichte der Familie und wußte besonders viel zu erzählen von jenem Urahn, der auch Alban hieß und der durch Klugheit und Nachgiebigkeit den Hellberger Hof und den Kandelhof – so hieß ehedem das Furchengut – mit einander vereinigte. Dieser Urahn hatte am Michelstag einen mit zwei Pferden bespannten Pflug rings um das Gut geführt und hatte dabei stets die Sonne im Angesicht und ohne zu rasten kam er erst mit sinkender Nacht wieder auf der Ausgangsstelle an. Von jener Zeit hatte das Gut den Beinamen: von der langen Furche.
Der Dekan erzählte noch, daß das Geschlecht der Feilenhauer vor Zeiten Feigenhauer geheißen habe und adelig gewesen sei.
Der alte Furchenbauer schmunzelte, aber zum Staunen Aller sagte Alban:
»Und die Vorfahren dieser Adeligen sind doch auch wieder Bürgerliche gewesen; drum bleiben wir gleich dabei.«
Man ging früh auseinander, denn man wollte morgen mit Tagesanbruch den Feldumgang halten. Der Gipsmüller hatte Abhaltungen, wegen deren er nicht[] dabei sein könne, versprach aber am Abend zur Abtheilung wiederzukommen.
Als Alban dem Oheim Dekan die Hand reichte und ihm eine »ruhsame Nacht« wünschte, erschrack er fast, da der Geistliche vor Allen ohne Scheu sagte:
»Nun schlaf heut noch gut und mach' dich recht rein im Gewissen, denn morgen Nacht gehst du als Furchenbauer zu Bett.«
War der Ohm Dekan auf seiner Seite? Das hatte er nimmer gedacht. Heute zum Erstenmal ging Alban nicht nach dem Hellberg und doch fand er lange keine Ruhe. In stiller Nacht kam die Versuchung über ihn. Er war der Erstgeborne, er trat in den Erbgang: warum sollte es ein Unrecht sein, wenn er den Hof zu geringem Preis annahm und sich erlabte am reichen übermächtigen Besitz? Er konnte den Geschwistern später schenken was er wollte. Er nahm sich fest vor, das zu thun, er feilschte mit sich selber über die Summen, die er dafür festsetzen wollte, er konnte nicht einig mit sich werden und blieb am Ende dabei, Zeit und Maß seiner Leistungen an die Geschwister nach seinem Gutdünken und nach dem Erträgniß guter Jahrgänge zu bestimmen. Dabei wollte er bleiben und ruhig schlafen, aber er fand keine Ruhe und plötzlich sprang er aus dem Bett, faßte das Gesangbuch, das er noch vom Kirchgange bei sich hatte und es in beiden Händen haltend sprach er laut: »Vor Gott und meinem eigenen Gewissen schwör' ich's: ich will kein unrecht Gut. Ich gebe meinen Geschwistern den vollen Theil des Erbes, den ganzen, ohne Vorbehalt und vor aller Welt. Du, [] o Gott, allein hörst mich und mein eigenes Ohr! Höre mich nicht mehr und mein Ohr vernehme meine Stimme nicht mehr, wenn ich diesem Schwur nur einen Augenblick untreu werde ...«
Jetzt erst fand Alban den Schlaf, der ihn Hoffnung und Qual vergessen machte.
Während Alban nach dem Selbstgelöbniß die ersehnte Ruhe fand, war drin im Hause heftige Zwiesprache und Unruhe.
Der Dekan schlief im Leibgedingstüble der verstorbenen Eltern. Als ihn der Furchenbauer dahin geleitete, sagte er:
»Das versteh' ich nicht. Der Herr Dekan – der Furchenbauer redete mit seinem Bruder stets in der dritten Person – spricht von Frieden und Verträglichkeit und hetzt das eigene Kind gegen den Vater auf.«
»Wie thu' ich denn das?«
»In meinem Verstand heißt das aufgehetzt, wenn man dem Alban sagt, er sei der Lehnhold und er sei morgen Nacht Furchenbauer, und das wird er mit meinem Willen nie, und ich habe dem Herrn Dekan schon gesagt, warum ich den Vinzenz einsetzen muß.«
»Die Sünde an dem Einen wird dadurch nicht gut gemacht, daß man eine Sünde an dem Andern thut.«
»So soll ich also meineidig werden?«
»Davor bewahre uns Gott. Für ein ungerechtes Versprechen kann Der Buße thun, der es gegeben hat. Der Alban soll dann etwas mehr hergeben, daß du dem Vinzenz eine Versorgung kaufen kannst.«
[] »Nein, nein, nie; der Alban kriegt meinen Hof nicht, der ist vom Hirzenbauer und von denen, die nichts als theilen wollen, angesteckt; der thät' den Hof, den wir von unsern Ureltern her haben, unter seine Kinder theilen.«
»Drum komm' ihm zuvor und theil' selbst.«
»Das kann der Dekan nicht ernst meinen, er ist ja Keiner von den Revoluzern nie gewesen. Das wär' ja gegen alle rechtschaffene Ordnung.«
»Setz' dich, ich will dir was erzählen,« sagte der Dekan und setzte sich selbst nieder. »Hör' zu: vor Jahren ist ein Mann zu einem Pfarrer in die Beichte gekommen, der nicht aus seinem Ort war, die Stimme war kräftig, etwas stolz im Ton, und viele Jahre ist der Mann immer wieder gekommen und hat immer dasselbe gebeichtet: ich leb' mit meiner Frau in Fried' und Einigkeit, aber wenn sie mir das glückseligste Geheimniß anvertraut, gehen wir immer Beide umher wie zwei junge Leute, die sich verfehlt haben, und ich wünsche den Tod des Kindes noch bevor es geboren ist, und wenn es geboren ist und größer geworden, da zerreißt es mir das Herz, weil ich nicht weiß, welches Kind mir am wenigsten wehe thäte, wenn es stürbe. Mein Weib findet sich bälder darein, sie nimmt es als eine Schickung Gottes auf sich, mich aber verläßt der Gedanke nicht und ich kann nicht ruhen und nicht rasten und ich habe Gott gebeten, er soll mir die große Kinderzahl abnehmen und es ist geschehen und jetzt ist doch mein Herz schwer ob dieser Sünde.« »Und warum hast du einem jungen Leben den Tod gewünscht?« »Damit [] das Erbe nicht zu klein werde.« Dreimal kam der Mann in derselben Zerknirschung ob derselben Sünde und dreimal erhielt er die Absolution. Als er das Viertemal kam, wurde sie ihm verweigert und er kam nicht wieder; er suchte sich wohl einen andern Beichtiger. »Und diese Todesschuld hat der Mann auf sich, weil er im Stolze heischte, daß seine Nachkommen groß und reich seien. Und dieser Mann – bist du –«
Wie vom Blitz getroffen fuhr der Bauer empor, da der Dekan sich plötzlich erhoben hatte und seine Hand mit schwerem Schlag ihm auf die Schulter legte. Schnell aber ermannte er sich, und allen Respekt bei Seite setzend rief er:
»Ist das recht, daß du ein Beichtgeheimniß so verrathest?«
»Mit dir allein darf ich so reden, und ich muß es – weil du noch in der alten Sünde bist. Du willst das eine Kind am Lebensgute tödten, um das andere damit zu bereichern. Folgtest du dem Zwange des Erbganges, du könntest dich vielleicht freisprechen, die Schuld liegt hinter dir in alten Zeiten. Jetzt aber willst du neues Unrecht pflanzen. Das dulde ich nicht. Ich ziehe meine Hand ab von deinem Thun. Entweder setzest du Alban ein, oder du theilst. Bleibst du bei deinem Vorhaben, so schüttle ich den Staub von den Füßen und ziehe wieder dahin, von wannen ich gekommen.«
Der Furchenbauer hatte noch allerlei Einwände und besonders über Einen wurde der Dekan auf's Aeußerste aufgebracht, indem der Bauer erklärte, daß er am Tode [] der Kinder unschuldig sei und dabei das Sprüchwort anführte: »Man trägt mehr Kälberhäute auf den Markt als Ochsenhäute.« (Es sterben mehr Kinder als erwachsene Menschen.) Der allezeit so milde Dekan gerieth darob in solche Heftigkeit und stellte dem Bruder seine Vergangenheit in so greller Weise dar, daß er dadurch die erschütternde Macht, die er bis jetzt geübt hatte, fast ganz einbüßte. Er lernte eine seltsame Verhärtung des Gemüthes kennen, indem der Bauer sagte: »Und wenn's so ist, und sei's meinetwegen, und hab' ich meine Seele verdorben und meine Seligkeit in die Höll' geworfen, so will ich's wenigstens hier auch 'nausführen und soll wenigstens nicht Alles umsonst gewesen sein.«
Der Dekan faßte nochmals in neu gesammelter Ruhe alle die sittlichen Bedingungen zusammen, die hier in Frage stehen, dann ging er auf die praktischen Bedenken über. Der Furchenbauer beharrte dabei, daß er auch ohne die Beschädigung des Vinzenz diesen doch einsetzen würde, denn Alban sei von Haus aus begabter und könne sich leicht forthelfen. Als ihm aber der Bruder erklärte, wie es gegen alles Recht und Herkommen sei, daß ein Beschädigter Lehnhold werde, das geschehe nie, so wenig ein mangelhafter Mensch eine Krone erben dürfe – da stutzte der Furchenbauer. Endlich preßte er das Geständniß hervor, er möchte wohl nachgeben und Alban einsetzen, aber Vinzenz habe ihn in der Hand und werde seine letzten Lebenstage noch der Schande preisgeben. An diesen Ausspruch hielt sich nun der Dekan und redete dem Bruder noch in mildester Weise zu.
[] Mitternacht war längst vorüber, als der Furchenbauer innerlich geknickt und zerbrochen seiner Schlafkammer zuwankte; er wußte nicht mehr was er thun sollte. Als er aber am Morgen erwachte, knirschte er vor sich hin: »Und doch muß es bleiben wie Ich will, und wenn unser Herrgott einen Evangelisten schickt, der kann das nicht ändern. Das ist alte Satzung, die gilt in Ewigkeit.«
Wie ganz anders erwachte Alban. Eine innere Beseligung durchströmte sein ganzes Sein und er trat in die gewohnte Welt mit geweihtem prophetengleich geklärtem Herzen.
Feldumgang und Sonnenwende.
Der Oheim Dekan war unwohl und erklärte den Markungsumgang nicht mitmachen zu können; der Vater und Vinzenz standen indeß dazu bereit und gewaffnet, denn Jeder trug im linken Arme die übliche Handaxt, auch Alban mußte sich eine solche holen, und als er damit wiederkam, hieß ihn der Vater den Quersack aufnehmen, der auf der einen Seite Speisen, auf der andern mehrere gefüllte Weinkrüge enthielt. Alban wußte nicht, ob das Tragen des Mundvorraths eine Pflicht des Lehnholden oder des Abgefundenen war.
Alles hatte heute wieder etwas eigentümlich Feierliches und Ceremonielles. Der Vater reichte der Frau und Ameile die Hand zum Abschiede, und als er dem Dekan die Hand reichte, hielt dieser sie fest, legte die Linke auf die Schulter des Bruders und sagte:
[] »Dein Ausgang sei in Gerechtigkeit und dein Eingang in Frieden.«
Die Zurückgebliebenen standen unter der Thür und schauten den Weggehenden nach; aber schon im Hofe gab es einen kleinen Aufhalt. Vinzenz wollte seinen Hund, den Greif, mitnehmen; der Vater wehrte ihm das streng und er mußte etwas Verwunderliches und Herausforderndes im Blicke Albans bemerkt haben, denn er sagte zu diesem gewendet:
»Wer im Herzen spottet über das was heute geschieht, der ist ein schandbarer Mensch, vor Gott und der Welt verdammt. Unsre Väter und Urahnen haben's so gehalten, und das ist heiliger Brauch.«
Unter dem Hofthor stand der Furchenbauer noch einmal verschnaufend still, er mochte denken, daß er zum Letztenmal hier als Herr und Meister stand; wenn er wiederkehrte, gehörte das Alles einem Andern. Mit dem grünen Maien auf dem Hut wird am Abend ein Jüngerer als Meister hier eintreten.
Wer wird es sein?
Man ging von Sonnenaufgang nach Untergang, schweigend bis zum ersten Marksteine. Dort hielt der Vater an, nahm ein Brod, zerschnitt es in drei Stücke, aß zuerst von dem einen und reichte dann die beiden anderen den Söhnen. Alban erhielt das erste Stück aus seiner Hand. Jetzt füllte der Vater ein Glas, schüttete daraus zuerst ein wenig auf den Markstein und trank; dann reichte er es zuerst Vinzenz, dieser trank, gab das Glas in die Hand Albans, der auf den Wink des Vaters den Rest austrank.
[] War es ein Zufall unwillkürlicher Regung, daß das erste Stück des Brodes dem Aeltesten gereicht wurde, oder war dieser wirklich der Lehnhold? Alban wußte es wiederum nicht.
Der Vater schlug mit dem Haus (breiten Rücken) des Beiles dreimal auf den Markstein, die beiden Söhne mußten das Gleiche thun und der Vater sprach:
»Keine Gnade finde Der bei Gott, der diesen Markstein verrückt.«
Der Vater stieß das Messer, mit dem er das Brod geschnitten, dreimal in den Boden und sagte, als er es zum Letztenmal herauszog, halb vor sich hin:
»Rein ist das Wasser, rein ist der Boden und schärft den Stahl.«
Man schritt weiter. Alban schauderte es im Innern.
Auf dem zweiten Markstein saß ein Rabe und sah den Ankommenden ruhig entgegen. Der Vater winkte aufscheuchend mit der Hand, aber nach Art dieser kecken Thiere, die alsbald merken, wenn man waffenlos gegen sie ist, blieb der Rabe ruhig sitzen. Vinzenz bückte sich und hob eine Scholle auf; aber der Vater hielt ihm den Arm, indem er sagte:
»Man darf nach einem Raben nicht mit Ackererde werfen.«
Erst als man ganz nahe war, flog der Rabe kreischend davon. Dieselbe Weihehandlung wiederholte sich hier, nur sprach der Vater beim Aufstehen keine Verwünschung mehr aus, vielmehr brockelte er Brod ringsumher auf den Boden und sagte dabei:
»Das ist für die hungrigen Vögel in Feld und[] Wald. Wer da gesegnet ist mit reichem Besitz, gedenke allzeit Derer, die in Noth und Armuth sind, denn darum hat ihn Gott gesegnet, und es wird ihm doppelt wohl ergehen.«
Der dritte Markstein war am Waldessaum. Der Vater setzte sich auf den Stein und befahl den Söhnen: »Holt Wanderstäbe!« Sie eilten in das Dickicht und bald hörte man es knacken. Alban war der Erste, der wieder zurück kehrte, und im Angesichte des Vaters zuckte es seltsam, da ihm Alban einen abgezweigten Schwarzdornstock übergab und dann wieder in das Dickicht ging, um sich selbst einen zu holen. Vinzenz brachte zwei noch mit den Zweigen behangene Stöcke; der Vater befahl ihm, einen wegzuwerfen und einen für sich zu behalten. Als nun auch Alban mit seinem Stocke wiederkam, erhob sich der Vater und rief in gebieterischer Haltung:
»Zerbrecht Eure Stöcke!« Vinzenz schaute den Vater verwundert an, der Stock Albans knackte und bald darauf auch der des Vinzenz und der Vater rief wieder:
»Werft die Splitter weg!« Es geschah, und der Vater fuhr fort, seinen Stab erhebend: »Seht, ich allein halte den Stab, ich allein habe Macht über euch und ihr müßt mir gehorsam und unterthänig sein in Allem.« Vinzenz rief laut »Ja,« und gegen ihn gewendet sprach der Vater: »Ihr habt nicht zu antworten und ich hab' euch nicht zu fragen. Von Gott eingesetzt ist es, daß das Kind nach dem Willen des Vaters thue, ohne Widerrede; und so ist es treu und fromm von Alters her in unserer Familie gehalten, und darum stehen wir unter den Ersten im Lande.« Mit erleichtertem[] Herzen schloß er: »So, jetzt hab' ich nach dem alten Brauch gethan, und jetzt können wir ordentlich und frei miteinander reden.«
In der That schien sich der Furchenbauer erst jetzt leicht und frei zu fühlen, er schritt an dem frisch geschnittenen Stabe behend dahin; der Waldweg war breit, seine beiden Söhne gingen neben ihm, Vinzenz war zur Linken, sein blindes Auge stets an der Seite des Vaters. Dieser erzählte abermals die Geschichte von dem Urahn, der die Furche um sein Gut gezogen und ihm den Namen gegeben. Im Walde waren viele Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die Dürrholz rafften, denn am Montag übten sie von Alters her diese Gerechtsame. Jedes dem man begegnete, erhielt nach alter Sitte Wein und Brod und die Kinder sogar kleine Münze. Im Walde jauchzte und jubelte es von allen Seiten und der Tag hellte sich auf. Der Vater sagte, daß nun die Uebergabe des Gutes überall besprochen werde. Er wendete sich mit seinen Worten jetzt vorherrschend und besonders freundlich an Alban und plauderte von allerlei.
Es war schon gegen Abend, als man am Markstein unweit des Felsens, den man des Geigerle's Lotterbett nennt, wieder den üblichen Halt machte. Drunten rauschte der Waldbach und der Vater fragte jetzt Alban geradezu:
»Jetzt sag' einmal: wie thätest du denn das Gut übernehmen?«
»Zehnfach so hoch als es bis jetzt geschätzt ist, aber ich will –«
[] »Schweig. Still sag ich. Du verdienst nicht, daß man dir einen Fußbreit Boden giebt. Kann ein Mensch, der fünf zählen kann, ein Gut übernehmen, das so verschuldet ist? Die Zinsen fressen dich ja auf.«
»Man kann den Wald am Kugelberg schlagen und –«
»So? So fangen die rechten Lumpen an, der Wald muß büßen, was der Acker nicht vermag. Was die Voreltern aufgespart haben, kommt unter die Axt. Am Wald sich versündigen ist das Schlechteste. Du willst gescheit sein und hast kein Loth Verstand. Wenn ein Bauer keinen Wald mehr hat, hat er keinen Anhalt mehr. Drum hab' ich ihn auch geschont wie meine Vorfahren auch. Du thätest es dahin bringen, daß du kein' eigene Tanne mehr hättest, aus der man dir eine Bahre machen kann. Siehst jetzt ein, daß ich Recht hab'? Siehst ein?«
»Wenn meine Geschwister lieber baar Geld wollen – es ist ein Käufer für den Hellberger Hof da.«
»So? Hast schon einen?«
»Ja, der Graf Sabelsberg hat mit mir davon gesprochen –«
»Von meinem Ablösungsgeld? O du bist ein vermaledeiter Bub. Eh ich das zugeb', laß ich mir lieber ein Glied vom Leib abhacken. Mein Gut laß ich nicht verreißen, nie, nie. Sag jetzt gradaus. Guck mich nicht so an, Vinzenz, ich kann machen, was ich will, ich hab' den Stab in der Hand; da komm her, Alban, versprichst du mir in die Hand hinein, des Nagelschmieds Vreni laufen zu lassen und dir eine rechtschaffene Frau [] zu holen: versprichst du mir, vor Gott einen Eid zu thun, daß du einem deiner Kinder das Gut ungetheilt vererben willst? Gieb Antwort. Steh nicht da wie ein Stock, laß mich nicht die Zunge lahm reden –«
»Ich mein'« –
»Nichts, nichts, kein ander Wort, Ja oder Nein. Willst du jetzt das Maul aufthun, oder soll ich dir alle Zähn' in Rachen schlagen?«
»Ich kann nicht, Vater.«
»Gut, dabei bleibt's. Du hast gesehen, ich hab's gut mit dir gemeint, jetzt ist's vorbei, aus und vorbei, oder ich will verdammt sein auf ewig, hier und dort. Komm her, Vinzenz.« Der Vater stand auf, mit zitternder Hand brach er einen Zweig von einer Tanne, nahm dem Vinzenz den Hut ab, steckte den Zweig darauf, setzte ihm den Hut wieder auf's Haupt, reichte ihm die Hand und sagte: »Du bist der Furchenbauer und dabei bleibt's so wahr mir Gott helfe. Alban, du sollst nicht zu kurz kommen, dafür laß nur mich sorgen und sei folgsam. Sei der Erste, der deinem Bruder Glück und Segen wünscht und er soll allezeit brüderlich an dir handeln.«
Alban schaute starr vor sich nieder, jetzt erhob er sein Antlitz, wilde Raserei flammte daraus.
»Ich leid's nicht,« rief er, »ich leid's nicht,« und riß dem Vinzenz den Zweig vom Hute. »Es giebt noch eine Gerechtigkeit. Die Gerichte sollen entscheiden. Das Gut muß und muß getheilt werden.«
Der Furchenbauer war wunderbar ruhig, seine Züge waren eisenstarr, er bückte sich selbst, hob den Hut auf, [] den Alban zu Boden geworfen hatte und setzte ihn Vinzenz wieder auf's Haupt. Dieser redete noch immer kein Wort. Man hörte nichts als das Rauschen des Baches und das Schreien der Raben im Walde. Der Furchenbauer sagte endlich:
»Kommet heim. Oder Alban willst du gleich von hier aus zu Amt? Ich steh' dir nicht im Weg. Ich hab' dir nichts zu befehlen. Du willst mein Kind nicht sein, ich bin dein Vater nicht. Die Gerichte nehmen sich deiner an; und dort werden wir uns sehen. Was hat das Geländer gethan, daß du mit dem Beil darauf loshaust? Hau da zu, da, da ist mein alter Kopf. Komm, Vinzenz.«
Der Vater ging mit Vinzenz davon. Als Alban seine Axt aus dem Balken zog, der querliegend am Rande des Felsweges als Geländer befestigt war, kollerte der Balken krachend und knisternd den jähen Fels hinab und klatschte drunten im schäumenden Waldbach auf. Alban schaute nur eine Minute hinab in den Tobel und beugte sich hinaus, er konnte mit der Hand den Wipfel einer hohen Tanne fassen, die drunten im Thale steht, der Bach war bald sichtbar, bald verschwand er unter vorspringenden Felsen. Alban war's, als müsse er sich hinab stürzen, und wieder, als zöge ihn eine Hand zurück, richtete er sich auf und folgte dem Vater und dem Bruder hintendrein. Er kam sich verlassen und verloren vor in der weiten Welt, und doch konnte er nicht anders und willenlos folgte er dem Schritte des Vaters; er war an seine Macht gebannt.
[] Das Hofgesinde stand am Thor und schaute verwundert aus, daß Keiner der beiden Söhne mit dem grünen Zweig auf dem Hute zurückkehrte.
Alban drängte sich an die Seite des Vaters und dieser schritt machtvoll und fest zwischen seinen beiden Söhnen dem Hause zu. Er dankte kaum dem Gruße seiner Dienstleute.
Alles zerstiebt in's Weite und Einer bleibt in der Enge.
Der Furchenbauer hackte seine Handaxt in die Thürpfoste, daß die Wand dröhnte, dann ging er hinein in's Haus. Die Mutter und Ameile standen in der Küche am prasselnden Feuer, sie bereiteten das Festmahl, das dem heutigen Tag sich ziemte. Der Vater ging ohne Gruß an ihnen vorüber nach der Stube. Dort saß der Gipsmüller mit seinen Töchtern beim Dekan, die Mutter kam hinter Vinzenz drein, sie mußte hören was vorging. Sie hörte es nur allzubald, denn der Bauer war rasend ob des widerspenstigen Sohnes. Niemand wagte zu widersprechen außer dem Dekan. Ameile trug das Essen auf. Man setzte sich dazu nieder, aber es däuchte Allen eher ein Leichenmahl denn ein Freudenfest.
Alban war nicht zu Tisch gekommen, er hatte sich gleich nach der Stallkammer begeben, die Mutter hatte nach ihm geschickt, ja sie war selbst bei ihm gewesen, aber er gab Niemand eine Antwort, sondern saß, das Antlitz mit den Händen bedeckt, auf dem Bett.
[] »Kommt der Bub nicht?« fragte der Vater. Die Mutter wollte Ameile nach ihm schicken, aber der Vater wehrte ab:
»Nichts da, keine guten Worte, ich ruf' ihn und ich will sehen, ob er mir folgt oder nicht.« Er öffnete das Fenster und rief in den Hof hinab:
»Alban, komm gleich 'rauf, Ich ruf' dich!«
Kaum eine Minute verging und Alban trat in die Stube. Das Licht mochte ihn blenden, denn er rieb sich die Augen, alle Röthe war von seinen Wangen gewichen, sein Antlitz war leichenfahl.
Der Dekan und der Gipsmüller allein dankten seinem Gruß, Niemand wagte es ein Wort an ihn zu richten. Nur die kleine Amrei rief:
»Alban, setz' dich hurtig her, die Ahne hat einen ganzen Haufen Schnitz gekocht. Hast du Schnitz auch gern?«
»Und Schnitzgeigerle's,« höhnte der Furchenbauer. Niemand hörte darauf, Alles beschäftigte sich nur mit Amrei und brachte sie immer mehr zum Reden. Ein Jedes fühlte die Erfrischung, daß ein harmloses Gemüth unter ihnen war, das von allem Wirrwarr nichts wußte und wollte. Das Kind fand sich selbstgefällig in die Rolle, daß Alles sich ihm zuwendete und plauderte allerlei kunterbunt durcheinander, Kluges und Albernes, aber Alles wurde belacht. Selbst der Großvater konnte nicht umhin, seine Miene zu einem Lächeln zu verziehen; man sah es ihm aber an, nur die Oberfläche erheiterte sich, in der Tiefe grollte und kochte ein gewaltiger Zorn. Desto glückseliger waren aber [] die Mutter und Ameile mit dem Kinde. Ein Enkelkind am Tisch der Großeltern schmückt und erheitert denselben mehr als die schönsten Blumen. Das Kind darf reden was und wann es will und Alles wird mit Freude begrüßt und ein Jedes hat zu erzählen, was das Kind heute gesagt und gethan und wie Alles so lieb und gescheit sei. Vor Allem strahlen die Großeltern in Freudenglanz und was einst in dem Kinde aus dämmeriger Jugenderinnerung ersteht, wenn die Großeltern längst nicht mehr sind, erblüht jetzt in diesen als heiteres Ausschauen in eine zukünftige und eine vergangene Welt.
Das Abendessen ging durch das Kind ziemlich heiter vorüber. Nur einmal als Amrei fragte:
»Alban, was machst für ein Gesicht? Bist bös mit mir?« sagte der Vater:
»Der? Der ist viel zu sanftmüthig, der beleidigt kein Kind.«
Man stand auf, Amrei betete vor, die Stimmen der Männer bildeten den dunklen Grundton zu der hellen Stimme des Kindes.
Alban wollte die Stube verlassen, da rief ihm der Vater:
»Da bleibst.«
Alban setzte sich auf die Ofenbank, es gesellte sich Niemand zu ihm, er saß da wie ein armer Sünder. Da sprang Amrei vom Schooße der Großmutter und schmiegte sich an die Knie Albans. Der Vater befahl Ameile, das Kind in's Bett zu bringen, es folgte nur mit Weinen und Alban war's, als jetzt das Kind von[] ihm genommen wurde, als wär' er nun alles Schutzes beraubt. In der That ging nun auch der Sturm gegen ihn von allen Seiten los. Der Vater erzählte den ganzen Vorgang ziemlich sachgetreu, nur übertrieb er etwas seine heutige wohlwollende Stimmung gegen Alban, und diesem däuchte es nun, daß sie nie Ernst gewesen. Das Schelten und Fluchen des Vaters, das Weinen der Mutter, das Mahnen des Dekans, Alles drang nun auf Alban ein und Alles vergebens, er blieb bei seinem ausgesprochenen Vorhaben.
Ein Feuer, das der Blitz entzündete, kann menschliche Gewalt nicht löschen, so lehrt der allgemeine Volksglaube. Der Gedanke der Gerechtigkeit, der in jener bewegten Zeit wie ein feuriger Funke in die Seele Albans gefallen, war in ihm unauslöschlich. Mitten unter allen Einreden und Ruhestörungen erhob sich sein Herz, nicht in Gier nach Besitz, sondern in einer märtyrergleichen Hingebung an das Unabänderliche. Sein Herz blutete aus tausend Wunden, die ihm Liebe und Haß schlug, und er zagte und zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, er war bereit zu sterben, aber mit dem Bekenntniß der Wahrheit auf den Lippen.
Immer wieder auf's Neue toste es an ihn heran, aber er stand fest, unbeweglich wie ein Fels. Zuletzt kam der Vater zitternd auf ihn zu und schwur, ihm Alles zu verzeihen, wenn er umkehre; er schilderte noch einmal wie es ihm das Herz zerfleische, daß sich das Kind nicht beweisen lasse, wie Unrecht es habe. »Mein Vater selig,« rief er zuletzt, »hätt' nicht so lang mit einem Kind geredet, er hätt' gesagt: das geschieht und [] da hätt' Keiner mucksen dürfen. Ich will das nicht, du sollst einsehen, daß ich Recht hab', du mußt's einsehen und du kannst, wenn du dich nur nicht verstockt machst. Schau, du willst gegen die ganze Welt gerecht sein, aber gegen deinen Vater nicht. Du weißt nicht, wer dein Vater ist. Dein Vater ist ein Mann, vor dem du den Hut abthun mußt. Ich dürft' für meine Kinder ein glühiges Eisen tragen (die Feuerprobe bestehen). Gott weiß es, wie ich an ihnen ein Vater bin und sein will. Ich weiß besser als du, und wenn du tausend Bücher im Kopf hast, wie's sein muß. Ich will nicht, daß die ganze Welt verlumpen soll und nichts bleibt als Geisenwirthschaft, und kurzum, ich bin tausendmal gescheiter und braver als du, jetzt glaub's oder glaub's nicht.«
Alban verstand sich endlich nur dazu insoweit nachzugeben, daß er sagte:
»Ich thue keinen Schritt, so lang Ihr nichts thut, aber dann auch ohne Widerrede.«
»So soll also auf meinem Grabe mein Gut zerrissen werden?« fragte der Vater weinend vor Zorn. Alban schwieg und die Männer in der Stube mußten abwehren, daß ihn der Vater nicht erdrosselte.
»Red' du, red' du mit ihm,« wendete sich der Bauer an seine Frau, »so red' doch was, du gehörst auch dazu.«
»Mein' Mutter selig hat nie in Mannshändel drein geredet. In den Krieg trag' ich keinen Spieß, hat sie immer gesagt. Wie ihr's ausmachet, muß mir's recht sein. Nur haltet Friede. Bei uns daheim ist's der Brauch, daß –«
[] »Du bist jetzt nicht in Siebenhöfen, du bist nicht daheim –«
»Das merk' ich an deinem teufelmäßigen Schreien und Toben.«
Wie von einem Blitz durchzuckt standen Mann und Frau plötzlich still, sie merkten, daß vor den Kindern, vor fremden Menschen, ein Widerstreit zwischen ihnen zu Tage gekommen war, der tief in ihnen Beiden wurzelte. Die plötzlich eintretende Stille machte die scharfe Widerrede noch schärfer. Alban wendete sich nach der Thür und diese Bewegung des Sohnes zeigte den Eltern auf's Neue was geschehen war und sprach den härtesten Vorwurf aus.
Alban verließ die Stube, die Mutter wollte ihm folgen, aber der Vater hielt sie zurück und so heftig, daß sie laut schrie.
Der Dekan erklärte, daß er am Morgen früh wieder abreise, der Gipsmüller verließ mit seinen Töchtern bald das Haus.
Am Morgen führte ein Knecht den Dekan nach der Stadt, Alban wirthschaftete im Hause umher als wäre gar nichts geschehen; er schien den Plan in der That ausführen zu wollen, bei Lebzeiten des Vaters keinen öffentlichen Widerstreit anzufachen. Der Bauer stand in der Stube und sah, die heiße Stirne an die Scheiben gedrückt, dem widerspenstigen Sohne zu. Ein Gedanke durchfuhr ihn und er bäumte sich hochauf. Er trat zu Alban und befahl ihm einen Sack Kartoffeln aufzuladen und sie in den Keller zu tragen. Alban gehorchte, der Vater folgte ihm, er befahl ihm den [] Sack in einem abgesonderten Verschlage auszuleeren. Kaum war Alban darin, als der Vater hinter ihm zuriegelte und ein Schloß vorlegte.
»Was soll das?« fragte Alban.
»Ich will dich in Schatten stellen, daß dich die Sonne nicht verbrennt.«
Mit einem heftigen Griff und noch einem riß Alban das Lattenwerk zusammen und stieg heraus; aber jetzt faßte ihn der Vater und warf ihn zu Boden.
»Vater, was ist das?« rief Alban; »Vater, es ist Keiner in der ganzen Gegend, der mich zwingen kann, Ihr könnet's, weil ich mich nicht wehren darf. Lasset los, auf diese Art zwinget Ihr mich nicht, so nicht.«
»Aber so,« keuchte der Furchenbauer, er hatte sich sein Halstuch abgeknüpft und band damit Alban die Hände zusammen, dann schwur er, ihn nicht an's Tageslicht zu lassen, bis er nachgebe.
»Du bist mit dabei gewesen,« schloß er, »wie ich gehört hab': in alten Zeiten hat der Vater über Leben und Tod seiner Kinder richten können. Ich bin noch aus der alten Welt. Ich will dir zeigen, daß ich's bin.«
Er sprang behend die Treppe hinauf und wälzte mit ungewohnter Kraft ein Faß und mehrere Kartoffelsäcke auf die Fallthüre.
Während dieß im Keller geschah, hatte die Bäuerin ihre große Noth im Hause. Bettelleute aus allen Himmelsgegenden waren angekommen, denn es war bräuchlich, daß der junge Lehnhold allerlei Geschenke bei der Gutsübernahme austheilte. Die Obedfüchti spielte lustige Tänze vor dem Haus. Die Bäuerin fand [] keinen Glauben, daß ihr Mann noch nicht abgebe und sie brachte sich die Leute erst vom Halse als sie Mehl und Schmalz und Brod und Kartoffeln unter sie vertheilte. Sie seufzte endlich erlöst auf, da trat eine neue Gestalt ihr vor die Augen.
»Dominik, was thust denn du da?«
»Ich hab' gehört, daß, daß –«
»Daß Untereinander bei uns ist und da willst du ihn noch vergrößern?«
»Nein, ich hab' eben sehen wollen, ob man mich nicht brauchen kann. Wenn ich unwerth bin, kann ich schon wieder gehen, aber ich –«
»Ich kann dir nichts sagen, ich weiß selber nicht, ob ich noch da hergehöre, ob ich noch auf der Welt bin, und jetzt kommst du auch noch und jetzt geht die Geschichte mit dem Mädle noch einmal an.«
»Ich hab' mit dem Alban was zu reden.«
»Darf ich's nicht wissen?«
Dominik erstarb die Antwort auf den Lippen, er starrte drein als sähe er ein Gespenst. War das der lebende Furchenbauer oder sein umwandelnder Geist? Wenn er's selber war, hatte er sich in den acht Tagen fürchterlich verändert. Der Furchenbauer sah ihn steif an, seine Lippen zuckten, aber er sprach kein Wort, er wusch sich die Hände in der Küche und sagte endlich:
»Weißt noch Bäuerin? Wir haben einmal den Türkle an den Apostelwirth verkauft gehabt und nach drei Tagen ist er wieder kommen mit dem abgebissenen Seil. Der da ist grad wie der Türkle.«
»Ein Hund bin ich grad nicht,« knirschte Dominik.
[] »Gehörst aber auch nicht hierher. Willst dir was zu essen holen? Siehst übel aus. Gelt, in Nellingen geht's magerer zu als bei uns?«
»Ich will zum Alban,« sagte Dominik stolz.
»Such ihn wo er ist,« antwortete der Bauer.
Ohne eine Erwiderung abzuwarten ging der Bauer nach der Stube. Dominik ging auch davon, er schaute um und um, aber er sah Ameile nicht. Er stand wieder draußen vor dem Hofe. In einem Acker am Wege grub ein Mann eine Grube, eine sogenannte Miete, um die rings umher aufgehäuften Futterrüben einzukellern. Man sah von dem Manne nichts als seine Mütze und die Schaufeln voll Erde, die er herausschleuderte.
»Guten Tag!« rief Dominik. Der Mann dankte und streckte seinen Kopf aus der Grube heraus, es war Vinzenz. Er war hocherfreut den Dominik zu sehen und schloß damit: »Könntest mir wohl helfen.« Dominik war dazu bereit, sprang rasch in die Grube und ergriff die Haue.
»Wo ist dein Alban?« fragte Dominik während des Arbeitens und Vinzenz erwiderte lachend:
»Ich hab ihn nicht im Sack. Weiß wohl, er ist dir Geld schuldig, er kann dir jetzt baar heimzahlen, er kriegt genug. Wie viel ist er dir schuldig? Soll ich's zurückhalten von seinem Zukommen?«
Dominik verneinte und seine Mienen erheiterten sich. Er hatte jetzt die Gewißheit, daß das Gerücht in jeder Weise gelogen hatte, Alban war so wenig beschädigt als der Furchenbauer, und um jenen war ihm[] doppelt bange gewesen, denn Vater und Mutter thaten so verlegen als er seiner erwähnt hatte. Der Vinzenz war äußerst frohgemuth und zutraulich gegen Dominik, ja er sagte ihm:
»Wenn du zu mir hältst und den Alban zurechtbringst, da will ich dir was sagen: ich hab' nichts dagegen, im Gegentheil ich helf' dir dazu, wenn dich mein Ameile will, sie kriegt auch ein schönes Vermögen; der Alban heirathet dann sein' Vreni und du und das Ameile ihr gehet Alle mit einander nach Amerika, da könnet ihr euch mit dem Geld einen Hof kaufen, zehnmal so groß als der da, und ihr zwei, ihr seid ja Bauern oben 'raus, ihr könnet den Hof hinstellen, daß es eine Pracht ist. Das ist doch gewiß ehrlich und gutmeinend gesprochen. Kann man aufrichtiger sein? Wenn ich nicht so in dem Unglück wär', ich thät's gleich, ich thät's um den Frieden zu erhalten. Man muß den Vater vor Allem ehren. Ich hab' kein Wort dagegen gesprochen, wie er den Alban zum Lehnhold hat machen wollen, er soll selber sagen, ob ich nur Laut geben hab'; aber jetzt bin ich Lehnhold und jetzt bleib' ich's, und was der Vater festgesetzt hat, muß man in Ehren halten.«
Noch nie hatte Dominik eine so lange und eindringliche Rede von Vinzenz gehört; der in sich gekehrte wortkarge Bursche schien durch seine ausgesprochene Würde plötzlich viel reifer, viel offener und einsichtiger. Dominik machte der Gedanke, daß er einen Beistand im Hause habe, um Ameile zu gewinnen, die Wangen glühen; freilich war Vinzenz nicht der eigentlich genehme [] und war ihm doch noch nicht ganz zu trauen, aber er ist doch jetzt der eigentliche Herrscher im Hause und an der Seite Ameile's und mit Alban in die weite Welt ziehen, da ist die Ferne nicht mehr fremd, da hat man gleich den liebsten Anverwandten an der Hand. Es war aber eine seltsame und doch natürliche Umbiegung des Gedankens als Dominik jetzt frug:
»Und dir thät's gar nichts ausmachen, wenn deine Geschwister in die weite Welt gingen und du weit und breit Niemand mehr hättest?«
»Was geht denn das dich an?« sagte Vinzenz zornig. »Ich bin zu gutmüthig, daß ich so viel mit dir red'. Ich will den Frieden und ich hab' gemeint du auch. Du vermagst viel beim Alban, mehr als wir Alle, und es wär' dein Glück auch. Ich red' aber nichts mehr. Ich brauch' dich nicht und brauch' keinen Menschen.«
Während Dominik grub, entdeckte er in seiner Seele einen verborgenen ungekannten Schatz: der Hirzenbauer hat Recht, mit der Gutheit allein führt man nichts aus. – Jetzt hatte Dominik ein Mittel, das seinem Verlangen Nachdruck verschaffte, er mußte seinen Einfluß auf Alban verwerthen, er mußte Vermittler, gewiß vor Allem zum Frommen Albans, aber auch zu seinem eigenen sein.
Aus Trübsal heraus und noch mitten in ihr empfand Dominik eine nie gekannte Glückseligkeit; denn nicht nur die begeisterte mit Hingebung erfüllte That erhebt das Herz mit innerster Erquickung: auch das Bewußtsein: die Lebensbegegnisse mit kluger Umsicht zu[] handhaben und auszubeuten, vermag ein Gleiches. Dominik war in dieser Stunde zum festen Manne gereift, er sah, daß er die Augen besser aufmachen müsse, daß er nicht mehr demüthig und mit Kleinem zufrieden nach innen gekehrt, sondern klug und beherzt sich und seinen Vortheil geltend machen müsse.
Während man die Rüben in die Grube schüttete, kam der Bauer auch herbei. Er stand verduzt.
»Was thust du noch da?« fragte er Dominik und Vinzenz erwiderte:
»Ich hab's ihn geheißen und lasset es dabei, Vater. Lasset nur uns Zwei machen, und Ihr werdet sehen, es geht Alles gut aus. Der Dominik hat was und damit kann er den Alban um einen Finger wickeln.«
»Was denn?«
Halb aus Verschlagenheit, halb auch, weil er doch noch nicht recht wußte, was er sagen sollte, that Dominik sehr geheimnißvoll, aber nichts desto minder zuversichtlich.
Der Bauer sah ihn starr an und ging ohne ein Wort zu reden nach dem Hofe zurück.
Dominik und Vinzenz vollendeten die Miete, der letztere wollte die Sache nur rasch abthun, aber Dominik ließ sich von seiner Sorgfalt nicht abbringen, er bedeckte zuerst Boden und Wände der Grube mit Stroh und schüttete dann die Rüben hinab. Nachdem er sie mit einer Lage Stroh zugedeckt, wollte er für jetzt aufhören, aber seine Einwendung half nichts, daß man noch eine Weile bis es gefriere, die Frucht verdunsten lassen müsse. Vinzenz befahl ihm streng, sogleich Erde [] darauf zu schütten und er mußte willfahren, er ließ aber trotz Scheltens über sein Besserwissen nicht ab, Strohwische in die Höhlen zu stecken, damit die Frucht nicht ersticke.
Mitten in Unruhe und innerer Hast that Dominik jede Arbeit, die er zur Hand nahm, vollkommen. Wer über solch ein Thun nachdenken mag, wird wissen was das zu bedeuten hat.
Flüchtig und eingeholt und abermals davon.
Als Ameile mit dem Kind an der Hand in die Stube trat, wie erstaunte sie, den Dominik hier zu sehen; er stand neben Vinzenz, grade dort an der Kammerthür, wo sie im Ringen um ihn niedergefallen war. Sie wußte sich jetzt nicht anders zu helfen, als sie nahm das Kind auf und umhalste und küßte es mit Inbrunst.
»Wo ist der Alban?« hieß es allgemein. Man suchte, man rief im ganzen Hause, nirgends eine Antwort, nirgends eine Spur. Man setzte sich zu Tisch, der Platz Albans blieb leer.
Der Bauer aß fast gar nicht, er schärfte sich immer die Lippen mit den Zähnen. Hätte nicht wieder das Kind bei Tische gesprochen; man hätte keinen Laut gehört.
Als abgegessen und gebetet war, sagte der Bauer zu Dominik:
»Ich muß dir's noch einmal sagen, deines Bleibens ist nicht da. Ich brauch dich nicht.«
[] »Aber der Vinzenz hat gesagt, ich soll bleiben und ich geh nicht, bis ich mit dem Alban gesprochen hab',« erwiderte Dominik. Der Bauer athmete rasch auf und warf dabei den Kopf zurück, aber er hielt an sich und in diesem Augenblicke erschrack Alles im Hause: eine Kutsche fuhr in den Hof. Kommen schon die Gerichtsleute und wer hat sie geholt?
Spitzgäbele stieg aus und nach ihm zwei fremde Männer. Das waren keine vom Gericht. Der Furchenbauer ging ihnen entgegen ...
Die Welt geht ihren Gang fort in Handel und Wandel, mag Wirrniß da und dort herrschen. Spitzgäbele brachte die beiden Männer, die Aepfel einkauften. Auf dem landwirthschaftlichen Bezirksfeste hatte der Furchenbauer eine große Masse davon versprochen, und wie kam jetzt die Erfüllung zur Unzeit! Der Furchenbauer that freundlich und unbefangen; und doch brannte es ihm im Innern. Er hatte gedacht, seinen Alban zu befreien, er hatte sich doch übereilt, und jetzt konnte er es vor den fremden Menschen nicht. Wer weiß, was der wilde, nun doppelt verhetzte Bursch im ersten Augenblick anfängt?
Der Furchenbauer mußte im wahren Sinn des Wortes in einen sauren Apfel beißen und zwar in mehr als einen: er mußte seine Frucht proben und proben lassen, er mußte die Männer im Garten, in den Scheunen geleiten und zuletzt in die Stube führen und Spitzgäbele ließ nicht ab, bis der Furchenbauer den fremden Herren zeigte, was für einen guten Tropfen ein Oberländer Bauer im Keller hege. Glücklicherweise war[] der Weinkeller ein anderer als der, darin der Gefesselte lag. Spitzgäbele war auch eine Art Patriot, er machte sich stolz damit, den fremden Herren zu zeigen und zu erklären, was hier zu Lande ein Bauer sei. Wie war es dem Furchenbauer zu Muthe, als er jetzt seinen übermäßigen Reichthum und den Segen der geschlossenen Güter preisen hörte, und wie bei einem solchen Bauer »die Zeinsle singen,« denn man nennt Zeisige und Zinsen Zeinsle. Es wurde Nacht bevor Spitzgäbele mit seinen Herren davon fuhr, sie hatten hier gegen 400 Simri Aepfel eingekauft.
Während der Furchenbauer mit den Fremden zu thun hatte, stand Ameile wieder bei Dominik im Garten.
»Ich hab's gewußt, daß du kommst, du hast müssen kommen,« sagte sie nach den ersten Begrüßungen. »O Dominik! Wie sieht's bei uns aus. Ich thät' sterben vor Gram wenn ich nicht dich hätte. Laß dich nur nicht verscheuchen, du mußt da bleiben; ich muß einen Beistand haben, es kann jeden Augenblick auch gegen mich losgehen. Du bist mein' Hülf' und mein Zuflucht und mein Alles.« Natürlich war Alban bald der einzige Gegenstand des Gesprächs. Ameile konnte sich gar nicht erklären, wohin er verschwunden war; die Mutter glaube, daß er nach der Stadt vor Amt sei; sie aber habe ihr nicht gesagt, wie sie in seiner Kammer nachgesehen, da seien all seine Kleider und er sei nicht ein solcher, der unordentlich in die Welt hinaus laufe. Sein Gesangbuch sei aufgeschlagen, und weinend sprach sie die Ahnung aus, daß sie fürchte, Alban habe sich ein Leides angethan, er habe am Sonntag, als sie [] allein mit ihm war, so viel vom Tode gesprochen. Dominik beruhigte sie so viel er vermochte und die frische Stärke des Gemüthes, die er heute erst in sich erweckt, sowie der Umstand, daß er allein nicht erhitzt von dem Gehetze der vergangenen Tage aus der Ferne eine gewisse Ruhe mitbrachte, alles das übte endlich einen beschwichtigenden Einfluß auf Ameile. Dennoch war es Dominik nicht wohl dabei, und er sagte, er wolle auf den Hellberg gehen, Alban sei gewiß dort bei der Vreni.
Beruhigt mit dieser Auskunft ging Ameile nach dem Hause und Dominik nach dem Hellberge.
Zum Nachtessen kam Dominik nicht in die Stube, Ameile brachte ihm Speise in die Stallkammer und hörte, daß Alban seit zwei Tagen nicht auf dem Hellberg gesehen worden.
Der Vater war heute voll Unruhe und brummte immer in sich hinein. Er schickte Alles früh zu Bett, aber Ameile konnte nicht schlafen und hörte jeden Tritt ...
Als Alles still im Hause war, schlich der Vater nach dem Keller. Er versuchte es, jetzt die Säcke und das Faß von der Fallthüre zu wälzen, aber die Kraft versagte ihm, er setzte sich ermattet nieder und rief: »Alban!« Keine Antwort. »Alban, ich bin's, dein Vater ruft.« Immer noch lautlose Stille. Dem Vater standen die Haare zu Berge. Hätte sich Alban ein Leid angethan? Kam er zu spät? Mit bebender Stimme rief er: »Alban, du bist mein gutes Kind, Alban, sei fromm und brav, thu' mir das nicht an, es stoßt mir [] das Herz ab. Alban, du bist ein Schandbub', du bist nicht werth, daß man dich erwürgt. Alban gieb Antwort, sei brav, sei brav, ich will dir ja Alles, Alles thun, gieb Antwort –«
»Was wollt ihr thun?« rief eine Stimme von unten und der Bauer athmete frei auf. Alban lebte. Er antwortete lange nicht und erst auf die wiederholte Frage von unten sagte er:
»Du wirst jetzt einsehen, daß ich Recht hab', du mußt's einsehen, du hast dich im Stillen besonnen. Guck, ich könnt' ja warten, ich könnt' ja gar nicht abgeben so lang' ich leb' und mein Testament machen und das muß dann gehalten werden, und das müssen die Gerichte schützen; aber ich will nicht, auch nach meinem Tod sollen die Amtsleut' sich nicht in meine Sach' mengen und ich möcht' auch noch meine Kinder verheirathet und auch noch Enkel sehen. Ist das ein schlechter Vater, der das will? Sag', willst du Allem folgen, was ich thu?«
»Nein.«
»Dann siehst du das Tageslicht nicht bis du anders wirst.«
Der Bauer erhob sich und schlich wieder langsam die Treppe hinauf in seine Schlafkammer .....
Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm
Und ging wohl zu der Scheuer.
Das Wort aus dem Lied erneuert sich. Aus dem ersten Schlaf wurde Dominik geweckt. Ameile rief ihm. Sie hatte des Vaters nächtigen Gang belauscht und[] kam jetzt, Dominik das Gräßliche zu künden, was sie vernommen; sie sprach so verwirrt, daß Dominik sie nicht recht verstand, sie bat ihn, ihr zu helfen, die schweren Lasten von der Fallthüre wegzunehmen, und so viel stellte sich endlich heraus, daß Alban gefangen war. Ameile wollte, daß man ihn insgeheim befreie, aber sie staunte als Dominik sagte:
»Nichts geheim! Dein Vater muß wissen was wir thun. Er darf uns nicht wehren. Das ist unmenschlich! Er muß froh sein, daß wir nicht unter die Leut' bringen, was er thut. Jetzt haben wir Ihn in der Hand, jetzt muß er thun was Wir wollen. Komm, Ameile.«
Nur wie ein flüchtiger Blitz erkannte Ameile, welch' ein kräftiger Muth in Dominik erwacht war, »du bist unser Aller Heil,« rief sie und seine Hand festhaltend eilte sie mit ihm nach dem Hause.
Dominik weckte Alles mit lauter Stimme, als er Alban aus dem Keller rufen hörte. Der Vater, die Mutter und Vinzenz kamen herbei und Alban stieg aus dem Keller empor und starrte sie an wie ein vom Tod Auferstandener.
Dominik hielt den Alban in seinen Armen und sagte: »Thu' nichts was Gott verboten hat; die Hand, die sich gegen den Vater erhebt, wächst aus dem Grabe.«
Alles war still, der Furchenbauer trommelte mit den Fingern auf dem Faß.
Die Mutter umhalste ihren geliebten mißhandelten Sohn und jetzt hörten die Kinder ein entsetzliches Wort aus ihrem Munde gegen den Vater.
[] »Du bist ein Unthier und kein Mensch,« rief sie ihm zu.
Man ging nach der Stube, die Mutter wusch dem Alban selbst die Hände und das Antlitz und trug ihm Essen auf. Der Vater wollte aus Allem einen Scherz machen, Alban redete kein Wort; er aß ruhig und ging dann mit Dominik schlafen.
Als ihm Dominik den gutmeinenden Plan des Vinzenz darlegte, lachte er vor sich hin.
Verhetzt und in den Abgrund gestürzt.
Der Tag graute kaum, als Alban einen der Fuchsen gesattelt aus dem Stall zog, er schwang sich behend auf und ritt im Nebel zum Thor hinaus und davon. Ohne Aufhalt wie ein Feuerbote jagte er im raschen Galopp dahin und er war in der That ein Feuerbote, er wollte in der Stadt Schutzmittel suchen gegen den Brand, der in seinem elterlichen Hause entflammt war. In der Stadt angekommen und ganz brennend vor Zorn befiel ihn doch noch einmal Bangigkeit darüber, daß er einen Familienzwist vor die Gerichte bringen solle; die alte strenge Zucht war doch noch mächtiger in ihm, als er geahnt hatte. Er glaubte sein Auge nicht aufschlagen zu können vor dem Richter, dem er die Sache vorbringe. Der Kreuzwirth, noch ein standfester Republikaner, dessen Wirthschaft darum auch von Vielen, die es mit dem Amte nicht verderben wollten, gemieden wurde, galt für einen klugen [] Advokatenkopf, und ihm entdeckte sich nun Alban zuerst, ohne ihm jedoch Alles und namentlich die letzte Mißhandlung zu sagen. Der Kreuzwirth erklärte, daß Alban nichts anfangen könne, so lange der Vater lebe; man könne ihn nicht zwingen, sein Gut abzugeben auf diese oder andere Weise; er traute sich indeß doch nicht ganz und rieth Alban, nach der nächsten Stadt zu reiten, wo der Sohn des Hirzenbauern als Rechtsanwalt wohne. Alban schien das nicht genehm. Er ging aus und stand geraume Zeit vor dem Oberamtsgericht, ohne sich entscheiden zu können, ob er hineingehen solle oder nicht. Da sah er in der Oberamtei eine Frauengestalt am Fenster, er grüßte hinauf, man dankte freundlich. Alban ging hinauf zur Frau Oberamtmännin. Sie öffnete selbst den Treppenverschlag und hieß ihn eintreten; sie fragte ihn nach Ameile, nach dem Vater, nach Dominik und seinem eigenen Befinden. Alban gab Anfangs nur stotternde und oberflächliche Auskunft. Sein Blick schweifte wie verloren in der Stube umher. Ist denn dieses Haus auf derselben Erde, auf der sein väterliches stand? Wie ist hier Alles so geregelt, so fein, wie spricht aus Allem eine Ruhe; und doch ist das nur ein Stockwerk höher über den Stuben, wo die gräßlichsten Händel, Mord und Todtschlag, Raub und Betrug verhandelt werden. Und dazu diese begütigende Stimme der Frau. Alban hatte ein solches von Bildung und zarter Sitte erfülltes Hauswesen schon einmal kennen gelernt im Hause des Direktors der Ackerbauschule, aber jetzt erschien ihm Alles wieder so fremd, so traumhaft schön.
[] Die Oberamtmännin verstand es, seine Gedanken zu sammeln, und mit einer wie elegisch gebrochenen Stimme erzählte ihr nun Alban Alles. Sie stand oft unwillkürlich auf, wenn er ihr eine Herbheit berichtete, setzte sich aber schnell wieder und bat Alban fortzufahren. Zuletzt sagte sie ihm, daß ihr Mann Morgen nach Reichenbach müsse, sie werde vielleicht mitkommen und ihn wo möglich bewegen, daß er auf den Furchenhof fahre und dann solle Alles rein freundschaftlich ohne den Amtsweg geschlichtet werden, denn das stehe fest, Alban könne nicht mehr bei seinem Vater bleiben. Während dieser noch herzlich dankte für die getreue Annahme, kam ein Dienstmädchen und meldete Dominik. Die Frau Oberamtmännin hieß ihn eintreten.
»So? Da treff' ich dich?« sagte Dominik zu Alban und richtete einen Gruß von Ameile an die Oberamtmännin aus, mit der Bitte, sie möge so bald als möglich auf den Furchenhof kommen, der Vater habe Respect vor ihr und sie könne viel machen. Die Oberamtmännin gab nun feste Zusage, und auf dem Weg nach dem Wirthshause sagte Dominik zu Alban:
»Dein Vater hat mich dir nachgeschickt, du sollst ja nicht vor Gericht gehen. Er will Alles thun.«
»Will er theilen?«
»Das glaub' ich nicht, aber sonst Erkleckliches, und wenn du nachgiebst, ist's mein Glück auch.«
»Ich geh' nicht um ein Haarbreit ab von dem was ich gesagt hab',« erwiderte Alban, ohne auf das Letzte zu hören und im Zorne rief Dominik:
[] »Es ist doch so. Du bist grad wie dein Vater, grad so unbändig.«
»Meinetwegen, und es wird sich zeigen, wer stärker ist.«
Im Kreuz traf man den Klein-Rotteck. Alban bat ihn, doch auch Morgen früh auf den Furchenhof zu kommen und ihm beizustehen. Der Klein-Rotteck lehnte entschieden ab, er mische sich nicht in fremde Händel, da putze sich Jedes an Einem ab. Auf des Dominik Zureden und auf dessen leisen Zusatz, daß er ihm zulieb kommen möge, zumal er es ihm ja versprochen habe, ihm beizustehen, sagte endlich der Klein-Rotteck mit einem Handschlag zu.
Der Hirzenbauer war sehr betrübt, obgleich er heute einen Prozeß gewonnen hatte. Seine Ortseinwohner hatten ihn wirklich verklagt, weil er sein Gut getheilt hatte, kein Advokat aus der Nachbarschaft hatte sich dazu hergegeben, den Klägern eine Eingabe zu machen, sie hatten aber einen Winkeladvokaten, einen sogenannten Entenmaier gefunden, der ihnen die Sache als sehr bedeutsam und erfolgreich darstellte; ja er hatte behauptet, die Advokaten hätten nur deßhalb keine Klagschrift gemacht, weil sie alle Parteigenossen des Klein-Rotteck seien. Nun hatte der Klein-Rotteck heute den Prozeß in erster Instanz gewonnen, aber das sah er, er hatte keine Nachbarn mehr, das sind lauter Feinde, ja, sie denunzirten jetzt bei Gericht, was er im Jahr 1848 gesprochen und wäre der Richter nicht doch noch wohlwollend gewesen, er hätte einen neuen Strick für ihn drehen können.
[] Alban und Dominik ritten mit einander heimwärts, Alban war wild und voll Jähzorn und Dominik erkannte wieder, daß solch ein reicher Bauernsohn ganz anders geartet ist als ein armer Knecht; solch ein Haussohn ist nicht so leicht zufrieden gestellt und vergiebt nicht so schnell. Er erzählte Alban, um ihn zu beruhigen, daß der Vater ihn ja auch dreimal mit Schande aus dem Hause gewiesen habe und er sei doch geblieben, aus Anhänglichkeit und um Frieden zu stiften. Diese Mittheilung machte aber die verkehrte Wirkung, denn Alban sagte:
»Das beweist eben wieder, daß du kein' Ehr' im Leib hast.«
Es war schon Nacht als man am Hellberg ankam, vom Hause schimmerte Licht und die Klarinette der Obedfüchti tönte in's Thal. Alban stieg ab und befahl Dominik, das ledige Pferd an der Hand heim zu führen. Dominik rieth ihm, jetzt zu den Eltern nach Hause zu gehen, die seiner sehnsüchtig harrten, aber Alban erwiderte:
»Ich bin drei, ja vier Tage sind's, nicht dort gewesen. Ich muß wieder hin.«
Raschen Schrittes sprang er den Berg hinan. Die Obedfüchti spielte sich allein etwas vor in ihrer zerfallenen Behausung. Ein Hund schlug auf Alban an. Was ist das? Das ist ja der Greif. Wie kommt der daher? Alban eilte die Treppe hinan, Vreni kam ihm entgegen.
»Geh' nicht hinein,« sagte sie.
»Warum? Wer ist da?«
[] »Dein Vinzenz.«
»Was will er?«
»Nur Gutes. Er hat dem Vater auch vierhundert Gulden versprochen, daß er mit uns kann, wenn du mit mir auswandern willst. Alban, jetzt werden wir ja glücklicher als wir's je gedacht haben. Jetzt leg' deinen Stolz ab und es ist Alles gut.«
»Für deinen Vater sorg' Ich und nicht mein Bruder. Er hat nicht mehr als ich auch. Ich und die Meinigen wir nehmen nichts geschenkt. Laß mich.«
Er riß sich von Vreni los und stürmte in die Stube. Vinzenz zuckte zusammen als er ihn sah.
»Du hast nichts da zu schaffen. Marschir' dich,« gebot Alban.
»Das Haus ist mein,« entgegnete Vinzenz, »und ich kann dich 'nausjagen.«
Der Nagelschmied stellte sich vor Alban und Vinzenz verließ die Stube.
Der Nagelschmied redete nun dem Alban gütlich zu und dieser sagte endlich, er müsse seinem Bruder nach und noch einmal im Guten mit ihm reden. Er eilte von dannen und rief seinen Namen. Unweit des Felsens, dort wo sie vorgestern am letzten Marksteine gesessen, von dorther hörte Alban das Bellen eines Hundes und eine Stimme rief: »Fass' ihn!« Der Greif sprang wie ein Tiger an Alban empor, aber dieser kam ihm zuvor, faßte ihn am Genick und schleuderte ihn in die Schlucht.
»Du hetzest den Hund auf mich!« schrie Alban, rannte nach seinem Bruder, packte ihn und stumm[] rangen die Beiden mit einander; da polterte es, es war kein Geländer da, und fest einander umklammernd stürzten die Beiden den Felsen hinab und der Bach spritzte auf.
Wo ist dein Bruder!
Dunkle stille Nacht war's, als Alban erwachte. Er griff um sich und schaudernd prallte er zurück, er faßte ein Menschenantlitz. Die Erinnerung tauchte in ihm auf, das war Vinzenz, sein eines Auge glitzerte starr in der dunkeln Nacht. Er rief ihn mit Namen, er wusch ihm das Antlitz, kein Laut, keine Bewegung. Er legte sein Ohr an das Herz des Bruders. Ach zu spät! Dieses Herz schlug nicht mehr. Er rief laut um Hülfe zu Gott und den Menschen, vergebens, keine Antwort ertönte. Er raffte sich auf und trug den Bruder in den Armen am Bachesufer fort, er riß sich blutig an den Felsen, aber er ließ nicht los. Jetzt schritt er in den Wald, aber er brach zusammen unter der Last und laut weinend warf er sich auf sie nieder und sprang dann davon, durch die Nacht hin immer: »Vinzenz! Vinzenz!« rufend. Er stand vor dem elterlichen Hause, Alles kam ihm entgegen.
»Wo ist dein Bruder?« fragte der Vater.
»Im Walde, todt,« stöhnte Alban und ein Blutstrom quoll ihm bei diesen Worten aus dem Munde.
Der Vater riß die Axt aus der Thürpfoste und wollte auf Alban los, Alban kniete nieder wie ein [] Opferlamm; aber Dominik fiel dem Vater in den Arm und schleuderte ihn zurück mit den Worten:
»Habt Ihr nicht genug Elend, wollt Ihr noch mehr?«
»Du legst Hand an mich?« schrie der Furchenbauer.
»Ja ich,« erwiderte Dominik trotzig. Er hob Alban in die Höhe und fragte ihn, wo Vinzenz liege. Alban bezeichnete die Stelle, dort wo er am Tage vorher im Unmuthe mit dem Beil das Geländer hinabgeschleudert hatte.
Die Knechte, die fremden Drescher, die in den Scheunen schliefen, wurden aufgeboten und mit Fackeln zog man hinaus: Alban wollte mit, aber beim ersten Schritt brach er zusammen und mußte in die Stube getragen werden.
Durch den nächtigen Wald lief der Furchenbauer mit der Fackel und rief immer: »Vinzenz! Vinzenz!« so daß er zuletzt nur noch mit heiserer Stimme den Namen lallen konnte.
Es wurde Tag, aber das war kein Tag, ein fester Nebel stand über Berg und Thal, man ging in Wolken, man sah nicht Himmel nicht Erde, kaum den Schritt breit wo man stand. Im Haupthaar und im Barte des Furchenbauern stand der eisige Reif und nur noch vor sich hin murmelte er den Namen: Vinzenz.
Man fand Vinzenz an der bezeichneten Stelle nicht, Alban mußte nicht recht gewußt haben, wo er ihn abgelegt.
Der Tag stieg höher, aber der Nebel wich nicht, er war mit Händen zu greifen, als sechs Mann auf [] einer Bahre aus Baumstämmen die Leiche des Vinzenz daher brachten. Unter dem Hofthore drückte ihm der Vater das Eine Auge zu, dieses Auge, das so vorwurfsvoll drein starrte. Keine Thräne kam über die Wange des Furchenbauern und starr schaute er auf die Frau und auf Ameile, die bei dem entsetzlichen Unglücke doch weinen konnten.
Man hatte einen reitenden Boten nach dem Arzte geschickt, er kam zugleich mit dem Oberamtmann und dessen Frau und bald darauf fuhr auch der Hirzenbauer in den Hof.
Der Nagelschmied mit seiner Vreni kam auch und durch Alle hindurch drang Vreni und Niemand wagte es, sie abzuhalten, daß sie zu dem Kranken eilte.
Wie war jetzt der Hof so voll von fremden Menschen, und von den eigenen war der eine Sohn todt und der Arzt erklärte jeden Belebungsversuch vergebens und der andere hatte vielleicht eine Todeswunde und raste mit seiner letzten Kraft!
Der Oberamtmann ging nach dem Felsen, um den Thatbestand in Augenschein zu nehmen, er fand die unverzeihliche Fahrlässigkeit: den Mangel eines Geländers. Die Oberamtmännin blieb bei den Frauen und erwies sich in Allem ordnend und hülfereich.
Im Leibgedingstüble lag die Leiche des Vinzenz, der Vater saß dabei und noch immer hörte man keinen Laut von ihm; das Wort, das zuerst über diese starren zusammengepreßten Lippen ging, mußte Zerschmetterndes bekunden. Als der Hirzenbauer zu dem Trauernden eintrat, wies er ihn mit der Hand hinaus [] und verhüllte sein Angesicht mit beiden Händen. Der Hirzenbauer ging, aber bald nach ihm trat der Gipsmüller ein; auch ihm wurde gewinkt wegzugehen, aber er folgte nicht; er setzte sich ohne ein Wort zu reden, neben seinen Schwager und so saßen die beiden Männer stumm neben einander, vor ihnen die Leiche.
Im Hofe war es lautlos still, nur bisweilen hörte man den raschen Hufschlag eines Pferdes; kein Taktschlag aus den Scheunen ertönte, selbst die fremden Drescher, die nicht im Taglohn standen, feierten, ihre Hände zitterten noch, sie hatten die Leiche getragen und auf dem Heu saßen sie bei einander und sprachen leise davon, wie elend doch auch der große Reichthum machen könne.
Alban war in Ruhe gesunken, der Arzt verordnete, daß man ihm Schnee auf's Haupt lege. Ein Drescher und der Kühbub wurden mit Kübeln nach dem zwei Stunden entfernten hohen Berge geschickt, wo es bereits geschneit haben sollte. Ein Knecht wurde mit einem der Fuchsen nach der Stadt in die Apotheke geschickt.
Um Mittag begannen die Drescher plötzlich zu dreschen und Alban erwachte laut schreiend: »Wo ist dein Bruder?« Er klagte, daß ihm jeder Schlag das Hirn träfe. Dominik eilte, den Dreschern Einhalt zu thun. So viele Hände waren zu beschäftigen und man dachte nicht daran, sie müßig zu lassen. Dominik befahl ihnen, die Aepfel auf die Wagen zu laden, der Furchenbauer hatte ihm gesagt, daß er sie heute abliefern wolle und der Nagelschmied fand sich bereit, die Ablieferung zu übernehmen. Man konnte dem großen Leide im Hause in Nichts beistehen, es blieb nichts übrig, als die [] Arbeit zu vollführen, die der Tag verlangte, Dominik wußte selber oft nicht was er thun sollte und stand oft mitten in einem raschen Gang müssig und selbstvergessen da, bis er dessen inne wurde und hin und her rannte und immer wieder vergaß, was er gewollt hatte. Ameile kam jetzt zu ihm, das Kind hing sich an ihren Rock und ließ nicht ab von ihr, sie sagte, man müsse das Aepfelaufschütten aufgeben, Alban klage: das Poltern der Aepfel sei ihm, als schütte man die Schollen auf sein Grab. Jetzt endlich wurden die Arbeiter zum Müssiggang beordert.
Der Oberamtmann stand beim Hirzenbauer am Brunnen und sie wogen miteinander hin und her abermals die Vortheile und Nachtheile der geschlossenen Güter. Der Hirzenbauer sagte: »O Herr Oberamtmann! Ich habe auf der Versammlung und öffentlich nicht Alles sagen können und ich mag's noch nicht sagen, was für Schandbarkeiten mit dem geschlossenen Erbgang verbunden sind. Der Furchenbauer da hat das traurige Glück gehabt, daß ihm fünf Kinder als klein gestorben sind. Ich weiß wohl, daß mit dem Zertheilen neues Unglück haufengenug kommt, aber kann man's anders machen und darf man?« Der Oberamtmann war heute besonders freundlich mit dem Hirzenbauer, denn er erkannte den wenn auch starren doch reinen Gerechtigkeitssinn des Mannes.
Als der Hirzenbauer und der Oberamtmann mit seiner Frau wegfuhren, kam gerade der Kühbub mit einem Kübel voll Schnee, er war vorausgeeilt, der Drescher blieb klugerweise noch einige Stunden auf dem [] Berge, um dann mit frischem Schnee zu kommen. Bald traf auch der reitende Bote aus der Apotheke ein. Alban duldete Niemand um sich als Vreni und Dominik, selbst die Mutter und Ameile durften sich ihm nicht nahen.
Einen Tag und eine Nacht saß der Furchenbauer bei der Leiche seines Sohnes und aß nicht und trank nicht und sprach kein Wort.
Als man am Morgen darauf die Leiche des Vinzenz zu Grabe führte, schwankte er am Stabe, den Alban ihm geschnitten, hinter der Leiche drein. Erst auf dem Kirchhof, wo er die eingesunkenen Kreuze an den Gräbern der Kinder sah, die Vinzenz vorausgegangen waren, brach er zum Erstenmal in lautes und heftiges Weinen aus.
Auf der Heimfahrt – der Gipsmüller that es nicht anders, er mußte sich auf den Wagen setzen – sprach der Furchenbauer das erste Wort zu seinem Schwager und die zitternde Hand erhebend sagte er:
»Gott hat mich hart gestraft, aber er hat mir doch Recht gegeben, mein Gut bleibt doch bei einander.«
Gleich nach dem Leichenbegängniß führte der Nagelschmied Amrei nach Siebenhöfen. Seit der Zerrüttung des Hauses weinte das Kind unaufhörlich nach seiner Mutter und verging fast vor Heimweh.
Alban hatte nichts davon gemerkt, als man die Leiche seines Bruders fortbrachte, jetzt, da man das Kind fortführte, merkte er es auf seinem Krankenlager und sagte vor sich hin:
»B'hüt dich Gott Amrei.«
[] Der Vater, der sich bisher gar nicht um Alban gekümmert, war jetzt sorglich bedacht um ihn; er hörte still nickend, daß Alban ruhig sei aber keinen Schlaf finde, daß er Alles bis auf's Kleinste erzählt habe, wie es ihm ergangen und wie er dem Bruder im Guten nachgeeilt sei; er nickte still zu diesen Berichten. Selber durfte er sich Alban noch am wenigsten nahen, denn dieser schrie wie rasend auf, als er zu ihm trat, und sogar wenn er ungesehen in der Stube war, merkte es der Kranke und war voll fieberischer Hast, die er augenscheinlich zu bezwingen suchte.
Der Zustand Albans war veränderlich, der Arzt wollte trotz allen Drängens keinen ganz tröstlichen Bescheid geben.
Eines Tages mußte Alles die Stube verlassen, nur Dominik und Vreni durften zurückbleiben. Die Beiden mußten Alban im Bett aufrichten und er sprach:
»Dominik, es wird Alles dein. Meinem Peiniger vertrau' ich's nicht. Gieb mir dein Hand drauf, daß du dem Nagelschmied und meiner Vreni mein Erbtheil giebst. Mein' Vreni ist vor Gott mein.«
Dominik reichte die Hand und sagte:
»Du bist nicht so krank, aber du kannst's gerichtlich machen, wenn du willst, wenn's dich beruhigt.«
»Ich will nichts mehr vom Gericht ... Familiensache ... Ich glaub' dir ... und wenn du Kinder bekommst, sei gerecht, Gerechtigkeit ... Wo ist dein Bruder? ... Gerechtigkeit ...«
Das waren die letzten hellen Worte, die Alban sprach, er raste noch mehrere Tage besinnunglos und[] befand sich oft in der großen Volksversammlung und schrie: »Ruhe! Stille! Bravo!«
Mit den Worten: »Wo ist dein Bruder?« hauchte er seinen letzten Athem aus. Seine Wangen waren roth.
Als man dem Furchenbauer den Tod seines Sohnes berichtete, stampfte er zornig auf und seine Faust ballte sich.
»Das ist sein letzter –« schrie er, er verschwieg die anderen Worte. Er mochte es als eine Unthat seines Sohnes betrachten, daß er ihm durch den Tod seine letzte Hoffnung zerstörte, sein Gut kam in fremde Hand.
Bald nach Alban begrub man auch die Mutter, sie hatte Niemand ihr Leid geklagt und eines Morgens fand man sie todt im Bette.
Der Furchenbauer, der nun Dominik als einzigen Erben vor sich sah, redete ihm viel zu, daß er ihm verspreche, wenn er Kinder bekomme, das Gut nie zu theilen. Dominik weigerte dies und sagte zuletzt, er habe dem sterbenden Alban das Gelöbniß gegeben, gerecht gegen jedes seiner Kinder zu sein.
Der Furchenbauer ging starr und stumm im Hofe umher, er redete mit Niemand und ging durch Stall und Scheunen wie ein Gespenst. Im Wald ließ er sich eine alte Tanne hauen, sie zu Brettern versägen und brachte sie selbst auf den Hof.
Im Frühling, am selben Tag als der Nagelschmied mit seiner Familie auswanderte, fand man den Furchenbauer plötzlich todt. Dunkle Gerüchte gingen über seine Todesart. Man hat nie etwas Bestimmtes darüber erfahren.
[]Der neue Lehnhold.
Aus der zerrissenen Erde sprießt die Saat, aus den Gräbern wachsen Blumen. Trübe Schwermuth lagerte auf dem Gemüth des Dominik wie Ameile's. Die Oberamtmännin war eine milde Trösterin, denn sie kam jetzt im Frühling auf mehrere Wochen auf den Hof. Sie fand eine Erquickung darin, in die Tiefe der Gemüther zu schauen, die ihre Empfindungen nicht in Worten ausdrücken können, sie aber hatte die Macht des Wortes und wie linder Balsam heilten sie die Wunden. Was ihr im Großen und Umfassenden nicht gelingen wollte, gelang ihr im Einzelnen; das Herz der Höherstehenden einte sich mit denen, die im beschränkten Lebenskreise verharren. Es war nicht Gefühllosigkeit, sondern unverwüstlicher Lebensmuth, daß Ameile sich fast bälder in das Unabänderliche fügte und sich der Heiterkeit nicht verschloß wie Dominik, aber auch diesem gelang es endlich.
Oft betrachtete Ameile mit Wehmuth die Karte des Hofgutes, die Alban in jenem letzten friedlichen und hoffnungsvollen Winter gezeichnet. Das war das Einzige, was von ihm übrig geblieben und die Karte hing noch an derselben Stelle, wo sie die Mutter aufgehängt hatte. An die Mutter und an Alban mußte Ameile oft denken und die Beiden waren ja auch immer dem Dominik gut gewesen. Dann aber strich sie sich wieder rasch über das Gesicht und alle Wehmuth war daraus weggenommen.
[] Man mag es Eitelkeit nennen, es war aber weit mehr stolze Siegesfreude und die Lust am Wohlthun, was Dominik empfand, als er vierspännig nach Nellingen fuhr, um seine Mutter zur Hochzeit abzuholen. Er hatte jetzt das doppelte Verlangen, seiner Mutter noch recht viel Freude zu bereiten, er hatte nichts von ihr empfangen als das nackte Leben, und wie gräßlich war es Denen ergangen, die ihre Kinder mit Reichthum auszustatten vermochten.
Die Hochzeit wurde still gefeiert, die Oberamtmännin und die Mutter des Dominik gingen an der Seite Ameile's, Dominik ging zwischen dem Hirzenbauer und dem Gipsmüller zum Traualtar.
Ameile trug zur Freude ihres Mannes und aller Anwesenden einen besonderen Schmuck auf der Brust: sie hatte die Denkmünze des Dominik an einen Henkel fassen lassen und trug sie an der Granatenschnur. »Das ist mein schönster Ehrenschmuck,« sagte sie lächelnd beim Hochzeitmahl.
Dominik behielt seine Mutter bei sich auf dem Furchenhof. Sie hatte allzeit über ihre Söhnerin in Nellingen geklagt; sie hatte jetzt glückselige Tage; aber sie hielt es doch nicht lange aus, sie hatte Heimweh nach der keifenden Söhnerin, nach den Nachbarn und vor Allem nach den Kindern ihres ältesten Sohnes. Dominik brachte sie wieder nach Nellingen und versorgte sie gut.
Erst als auf dem Furchenhof das erste Kind geboren wurde, kam sie wieder und blieb dort.
Auf dem landwirthschaftlichen Feste fehlt Ameile[] nie und ist allezeit im Geleite der Oberamtmännin; der Dominik sitzt jedesmal neben dem Hirzenbauer und ist einer der angesehensten Großbauern.
Bei der letzten Heimfahrt vom landwirthschaftlichen Bezirksfeste war der neue Furchenbauer gar lustig und er sagte zu seiner Frau:
»Bäuerin,« – denn so redet er sie jetzt auch nach herkömmlicher Art an – »ich kann dir nicht sagen, wie wohl mir's doch wieder auch ist und wie glückselig ich bin. Wenn ich so in ein Wirthshaus komm' und ich lass' mir geben was der Brauch ist, und da denk' ich bei mir: und du kannst's bezahlen und es thut dir nichts. Ich mein' oft noch, ich sei der Kühbub, und dann wird mir's doppelt wohl, daß ich jetzt so dasteh' und mir was erlauben darf.«
»Und das sollst du recht oft thun und dir auftragen lassen nach Herzenslust. Du bist manchmal noch ein bisle zu genau. Ich denk' auch bei den Armen immer daran, daß wir auch für die Todten ihr Theil Gaben geben müssen. Aber da ist's schon wieder, hilf mir, daß ich nicht immer und bei Allem dran denk', wie meine Brüder und meine Eltern aus der Welt gegangen sind.«
»Ich will dir schon helfen. Drum denk' jetzt nicht dran. Du bist halt ein Prachtweible. Ein Andere hätt' gewiß gesagt: nimm dich in Acht und laß dich nicht verleiten! man vergißt gar bald wo man herkommen ist. Du kennst mich aber und du gunnst mir was Gutes und du hast nicht bang, daß ich dir dein' Sach verthu'.«
[] »Meine Sach? Es ist Alles so gut dein wie mein. Du weißt was mein Ehrenschmuck ist, aber du mußt auch nie vergessen, daß du jetzt ein Großbauer bist.«
»Und meine Kinder sollen nicht vergessen, was ihr Vater gewesen ist. Und wenn ich zehn Theile machen muß, ich will sie schon so Herrichten, daß ein Jedes glücklich und zufrieden sein kann.«
* * *
Am Allerseelentag brennen auf dem Kirchhof neun Lichter ganz nahe bei einander, es sind die für den Furchenbauer, seine Frau und seine Kinder. Dominik und Ameile knieen mit ihren Kindern betend dabei, und erst wenn die Lichter verlöscht sind, kehren sie heim in die Behausung, wo einst so viel Leidenschaft und Jammer war, und jetzt ein stiller Friede waltet.
[]- Holder of rights
- ELTeC conversion
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2023). German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-deu). Der Lehnhold : ELTeC ausgabe. Der Lehnhold : ELTeC ausgabe. . ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-EDD6-6