über
die Farbenlehre nach Goethe
vom Standpunkt der Naturphilosophie
aus betrachtet.
Uebersicht des Inhalts.
[2r]Angabe des Gegenstandes der Vorlesungen. S. 1 – Goethe
als empirischer Physiker; Widerstand den seine Farben-
lehre gefunden. S. 2. – Beginnendes Anerkennen seiner
sonstigen naturwissenschaftlichen Leistungen. S. 5. Verhältniß
der Naturphilosophie zur goetheschen Farbenlehre; daß es
nicht darauf abgesehen ein erfahrungsmäßig Zweifel-
haftes und nicht genugsam Begründetes durch philosophi-
sche Argumente zu unterstützten. S. 6. – Wichtigkeit
des Zeugnisses der sinnlichen Anschauung bey der
Natur, als der sinnlich existierenden Idee. S. 7. –
Auch das Wahrnehmen und Erfahren nicht blos passiv,
sondern auch activ, d. h. denkend. S. 9. – Man findet
in der Natur nur was man mitbringt. ibid. – Daß
es nicht zufällig und gleichgültig daß Goethe gerade das
Licht und die Farben zum Gegenstand seiner Forschun-
gen gemacht. S. 10. – Wahrhafter Anfang einer dyna-
mischen Physik. S. 11. Daß es bey den sich so nennenden
dynamischen Physikern kein wahrer Ernst mit der Dy-
namik, und daß diese ihnen nicht in Fleisch und Blut
übergegangen ist. S. 12. Das Licht fortwährend ato-
mistisch betrachtet. S. 13. – Bey der Specification des
Lichts zur Farbe erweißt dasselbe sich zuerst als freye
[2v] Qualität. S. 14. Goethe's Farbenlehre das erste Kapitel ei-
ner anschauungsmäßigen, von allen Fictionen und hypothe-
tischen Grillen freyen Physik. S. 15. Darum von so ent-
schiedenem Interesse für die philosophische Betrachtung der Na-
tur. S. 15. – Schiefe Vorstellungen über die Naturphilo-
sophie: einfacher Begriff derselben. S. 16. – Nähere Angabe des
Unterschiedes zwischen den empirischen Naturwissen-
schaften und der Naturphilosophie. S. 17. – Verfahrungswei-
se in der empirischen Wissenschaft; Fortgang vom Einzelnen
zum Allgemeinen. S. 19. – Schranken zwischen Subjectivi-
tät und Objectivität. S. 22. – Ausspruch des unbefan-
genen Natursinns über die Resultate der empirischen
Naturforschung. S. 24. – Wissenschaftliche Critik jenes Ver-
fahrens. S. 25. – In wie fern dasselbe von den Empi-
rikern selbst als kein absolutes Erkennen und keine letz-
te Befriedigung gewährend, anerkannt worden ist. S. 26.
– Nähere Nachweisung der Endlichkeit jener Erkenntnis-
weise. S. 27. – Trennung des Allgemeinen vom Beson-
dern und des Besondern vom Besondern. – Kategorie der
Zusammengesetztheit aus Theilen. S. 28. – Kluft zwischen
dem Gegenständlichen und dem erkennenden Subject. S. 29.
– Das Innere der Natur als ein uns unzugängliches
Jenseits aufgefaßt. S. 30. – Das Innre der Natur ist
unser eignes Innerstes, die Idee, der νοῦς. S. 31. –
Rückblick auf die früher aufgestellte Definition der Na-
[3r]turphilosophie, daß sie denkendes Erkennen der Natur sey.
Unterschied zwischen dem formellen, endlichen und
dem seinen Inhalt an sich selbst habenden, absolu-
ten Denken. S. 31 – Der Begriff seiner Wahrheit
nach kein bloßes Abstractum, sondern vielmehr das
schlechthin Concrete. S. 32. – Der Begriff das Centrum
der Natur; die Natur begreift sich selbst nicht und
darin besteht ihre Endlichkeit. S. 32. Das animalische
Leben, die höchste Stufe der Natur; im Menschen ist
der Zauber unter dem die Natur befangen ist
gelößt. S. 33.
Nähere Betrachtung der Art und Weise wie der abso-
lute Begriff sein Daseyn in der Natur hat. – Der
Begriff ist die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, so-
mit das Punctum saliens aller Lebendigkeit. S. 36. –
Unterschied zwischen Begriff und Idee. S. 37. – Die Idee
nicht ein Träges, ein Ruhendes, sondern vielmehr
absoluter Proceß. S. 38. – Eines der Stadien die-
ses absoluten Processes der Idee ist die Natur, deren
Grundbestimmung das Andersseyn der Idee, die Nega-
tivität überhaupt (das οὐκ ὀν) ist. S. 39. Erschaffung
der Welt aus Nichts. – Die Natur und der endliche Geist,
zusammen als Welt, Gott gegenüber. – Grundlehre
der christlichen Religion daß Gott der absolute Geist sey.
S. 40. – Die Natur die erste oder unmittelbare Of-
[3v]fenbarung der göttlichen Idee. S. 40. – Das Außersichseyn, auch
nach der gewöhnlichen Vorstellung die Grundbestimmung der Na-
tur. S. 41. – Die Natur ist an sich das Äußerliche und nicht
blos für uns. S. 43. – Die dieses Außereinander als ih-
re Leiblichkeit durchdringende Seele, ist der Begriff.
S. 43. – Dieser entfaltet sich zu einem System von
Gedankenbestimmungen, welche in der Natur in der Weise
selbstständiger Gestaltungen vorhanden sind. S. 43. – Die
Natur als ein System der Nothwendigkeit. S. 44. Stu-
fen der Natur. S. 44. – Kein unbestimmter Fortgang in's
sogenannte Unendliche hinaus, vielmehr ein festes
Ziel, – nämlich der Geist, welcher die Wahrheit d.
Natur ist. S. 45.
Kurze Ubersicht der allgemeinen Systematisirung der Na-
tur. S. 46. – Die Hauptsphären der Natur: die me-
chanische, die physikalische, im engern Sinn und die or-
ganische. S. 46. – Gegenstand der Mechanik die all-
gemeine, wesentlich schwere Materie. – Die erste
Gestalt in der physikalischen Natur ist die wiederlegte
Schwere, das Leichte schlechthin – das Licht. S. 48. – Un-
terschied der Physik von der Mechanik. S. 49. – Grundbe-
stimmung des Lichts. S. 50. – Proceß der 2tn Sphäre der
Natur. S. 50. – Organik: Widerkehr des Lichtprincips
im animalischen Leben als Seele. S. 53. – Reflexion der
Seele in sich und Sichgegenständlichwerden derselben im Ich,
[4r]dem existierenden Begriff. S. 54.
Nähere Betrachtung des Lichts und seines Verhältnisses
zur Materie. S. 55. – Mechanisches und physikalisches
Bestimmtwerden des Lichts. Optik und Chromatik. S. 55.
Frage nach der Materialität des Lichts. S. 57. – Ab-
leitung und Feststellung des Begriffs der Materie.
S. 58 – Raum und Zeit, die beyden ersten und
darum abstractesten Formen der Natur. S. 59.
– Dialektik des Raums und Fortgang des Raums
zur Zeit. S. 62. Grundbestimmung d. Zeit. S. 65.
Die Materie als Einheit und nächste Wahrheit des
Raums und der Zeit. S. 66. – Die Einheit von Raum
und Zeit als Proceß, als ein Werden, die Bewe-
gung. S. 69. – Unterschied zwischen der endlichen
und der unendlichen Mechanik; die Materie ein-
mal betrachtet als von außen bewegt und
zweytens als sich aus sich selbst bewegend. – Der
Fall als relativ freye Bewegung. – Das System
der himmlischen Körper die Darstellung der freyen
Mechanik. S. 73. – Nähere Betrachtung der Mate-
rie. – Raum und Zeit, in concreterer Gestalt
als Repulsion und Attraction, den ideellen Momenten
der Materie, wiederkehrend. S. 75. – Atomistische u.
dynamische Ansicht von der Materie. S. 77. –
Dialektik der wesentlich schweren Materie, zum
[4v]schlechthin Leichten, dem Licht. S. 80. – Freywerden der
ideellen Momente der Materie. S. 81. Freye Bethei-
ligung der Attraction, im Fall. S. 82. – Das Heer
der Gestirne, als bloße Menge, noch nichts Ver-
nünftiges; erst im System der Himmelskörper ist
Vernunft. S. 83 – Die an sich seyende, im Begriff
liegende, Identität von Materie und Bewegung ist
im System der Himmelskörper gesetzt. S. 85. –
Die Sonne, als freyes, existirendes Centrum,
ihrem Begriff nach, zugleich der Lichtkörper. S. 90.
In der Sonne das Princip der Subjectivität, der
Idealität, auf abstracte Weise vorhanden. S. 95. –
Das Licht überhaupt der ganz abstracte Gedanke
als ein äußerlich Gegenständliches. S. 97. – Ohne
die Anschauung vom Licht als dem schlechthin Ein-
fachen und damit Andern der Materie, können
auch das Feuer, die Wärme, d. Klang, die Crystal-
lisation, der Galvanismus, der Chemismus und das(?)
organische Leben nicht verstanden werden. S. 99. –
Vergleichung der empirisch anerkannten Beschaffenheit d.
Lichts mit der begriffsmäßigen Bestimmung desselben. S. 102. –
Imponderabilität. S. 102. – Unsperrbarkeit. 103.
– Das Licht seine Bestimmung schlechthin von außen,
durch d. existirende Finstre erhaltend, und damit
zur Farbe specificirt. – Newtons Fiction von der
Zusammengesetztheit des Lichts. – Vernunft- und Erfahrungswi-
drig. – Aufklärung der newtonschen Verfinstrung d. Lichts durch
Goethe. – S. 111. Anfang der hylozoistischen Physik. S. 112.
✍Vorlesungen
über
die Farbenlehre nach Göthe,
vom
Standpunkt der Naturphilosophie
aus betrachtet
|: Eröffnet am 1. May 1823 :|
Einleitung
[5r]Meine hochgeehrten Herren! Die chromati-
schen Vorlesungen, welche ich hiemit beginne,
haben einen Theil der Naturlehre zu ihrem
Gegenstand, der die wissenschaftliche Thä-
tigkeit Goethes, dieses von uns Allen so
hochverehrten Mannes, einen großen Theil
seines Lebens hindurch ganz besonders in An-
spruch genommen hat und der durch die
vieljährigen Bemühungen dieses umfassen-
den Geistes zu einer solchen Vollendung ge-
bracht worden ist, daß er sich vorzugswei-
se dazu eignet, als ein Muster ver-
nünftig-erfahrungsmäßiger Naturbe-
trachtung dargestellt zu werden. Ich begebe
mich gegenwärtig mit besonderer Freudig-
keit zum zweiten Mal an dieses Geschäft,
welches, heiter und erfreulich wie es über-
haupt ist, jetzt, nachdem erst vor kurzem die1
dringende Gefahr, durch welche das theure
[5v]Leben unseres Dichters bedroht war, abgewen-
det worden ist, zugleich die Bedeutung einer,
wie wir überzeugt seyn dürfen, ihm nicht
unerwünschten Genesungsfeyer gewinnt.
Wir dürfen dies letztere um deswillen
voraussetzen, weil demjenigen was Goethe
als Naturforscher geleistet hat, zur Zeit
noch nicht jene weitverbreitete und ent-
schiedene Anerkennung zu Theil geworden
ist, wie seinen dichterischen Hervorbrin-
gungen, rücksichtlich deren es heut zu Tage
keinem Menschen von gesundem Sinn
mehr einfällt, ihnen ihren Rang neben
den Meisterwerken eines Sophokles, ei-
nes Dante oder eines Schakespeare strei-
tig zu machen. Gleichwohl ist es ein
natürlicher und gerechter Wunsch eines
Jeden der es sich auf dem Gebiete des
Erkennens hat sauer werden lassen, zu
sehen, daß dasjenige was er erarbeitet
hat, in dem Gemüth der Zeitgenossen
auch Wurzel schlägt und sich2 geltend macht.
Goethe hat, wie wir durch ihn selbst
wissen, von seiner Jugend an sich
mit entschiedener Neigung und rast-
losem Eifer um die wissenschaftliche
Erforschung der Natur bemüht und
es ist fast kein Gebiet derselben,
[6r]worin er mit seinem großen Sinn nicht Be-
deutendes und Erfreuliches geleistet hätte;
vornämlich aber ist es die Lehre von den
Farben, welche länger als dreyßig Jahre
hindurch Gegenstand seiner Forschungen ge-
wesen ist, und die ihn3, wie wir unter andern
aus dem neusten Bande seiner Biographie
ersehen, selbst mitten in dem Drange ei-
nes vielbewegten Lebens auf Märschen und
in Lägern fortwährend beschäftigt hat.
Ob man schon nun glauben sollte, daß
wenn ein solcher Mann mit einem sol-
chen Aufwand von Zeit und Kraft, ei-
nem einzelnen Gegenstand seine Bemühun-
gen widmet, dies rücksichtlich der Verbrei-
tung gründlicher Einsicht in die Natur
dieses Gegenstandes seine Wirkung nicht
verfehlen würde, so ist es dennoch geschehn,
daß Göthe gerade auf dem Gebiete der
Farbenlehre, von seinem ersten Auf-
treten an bis auf den heutigen Tag
von Seiten der Physiker den hartnäckigsten
Widerstand gefunden hat. Ich habe in ei-
ner den von mir im vorigen Sommer
gehaltenen chromatischen Vorlesungen vor-
ausgeschickten ausführlichen Einleitung die
Gründe dieser Erscheinung zu entwickeln
mich bemüht, und erlaube mir, da die-
se Einleitung seitdem im Druck erschienen
ist, um Zeit zu ersparen und um mich4 nicht
[6v]zu wiederholen, Sie auf den Inhalt
jener Auseinandersetzung zu verweisen.
Es ist meine bereits in der Ankündigung
dieser Vorlesungen ausgesprochene Ab-
sicht, mich dieses Mal ehe wir uns5
an die Betrachtung des speziellen Inhalts
unserer Disciplin und an die Erläuterung
und Veranschaulichung desselben durch Ex-
perimente uns begeben, über das Ver-
hältniß der goetheschen Farbenlehre zur
Naturphilosophie überhaupt, etwas wei-
ter zu verbreiten – da, wie ich gleich
zu Anfang andeutete, Goethes Darstellung
dieses einzelnen ZeugesZweiges6 der Physik ganz
besonders dazu geeignet ist, eine An-
schauung ächter empirischer Naturforschung
und des Verhältnisses derselben zur spe-
kulativen Naturlehre zu gewähren. –
Im Verlauf der zu dem erwähnten Be-
huf anzustellenden Betrachtungen wird
sich denn auch Gelegenheit finden, wenig-
stens kürzlich der Vorurtheile zu ge-
denken, denen es zuzuschreiben ist, daß
die goethesche Farbenlehre bei der
Mehrzahl der heutigen Physiker bis-
her noch so wenig Eingang gefunden hat. –
Wenn übrigens vorher bemerkt wurde,
daß Goethes naturwissenschaftlichen Be-
mühungen zur Zeit überhaupt noch nicht
[7r]die ihnen gebührende Anerkennung zu
Theil geworden sey, – so darf doch nicht
unerwähnt bleiben, daß sich gerade in den
letzten Jahren, mehrere bedeutende Na-
turforscher daran begeben haben, das
Werthvolle der Leistungen unseres Dich-
ters auf dem Gebiete der Mineralogie
sowohl als auch auf dem der Botanik und
der vergleichenden Anatomie, geltend zu
machen und zu zeigen, wie Goethe sich um
die Förderung der Naturwissenschaft kein
geringeres Verdienst erworben hat, als um
die ästhetische und sittliche Ausbildung sei-
nes Zeitalters. – Zu Verbreitung dieser
Einsicht beizutragen, darum ist es we-
sentlich auch bei diesen Vorlesungen zu
thun, und wir dürfen hoffen, uns diesem
Ziele zu nähern, wenn wir uns bemühen,
uns ein Bewußtseyn über die großartige
Weise zu erwerben, in welcher die durch
NeutonNewton7 so gewaltsam behandelte Theorie
der Farben durch Goethe gleichzeitig der spe-
kulativen Erkenntniß und der unbefange-
nen Anschauung entgegen gebracht worden
ist. Wenn ich mich zunächst dazu wende,
nachzuweisen, welches Interesse von Sei-
ten der Naturphilosophie für die göthe-
sche Farbenlehre obwaltet, und wie, nur
so aufgefaßt, die Farben, und mit ihnen
zugleich das Licht begreiflich werden, – so
[7v]muß ich vor allen Dingen die Meinung be-
seitigen, als beruhe das Verdienst Goe-
thes etwa auf einem Gebäude besonders
glücklicher Hypothesen und Fiktionen, und
als bilde nicht die strengste Erfahrung die
Grundlage dieser Theorie; eine metaphy-
sische Behandlung unseres Gegenstandes
in diesem Sinn würde nicht nur unphi-
losophisch und unvernünftig überhaupt,
sondern auch den ausdrücklichen Absichten
des Gründers unserer Theorien zuwiderlau-
fend seyn, und ich werde bei diesen Vor-
trägen fortwährend die aus dem eig-
nen Munde unseres Dichters an mich er-
gangene Ermahnung vor Augen behalten,
daß wir darauf bedacht seyn müssen,
in Gegenwart der Erscheinungen nachzu-
weisen, daß wir Recht haben. Es ist
bei der wissenschaftlichen Naturbetrach-
tung ganz und gar nicht darum zu
thun, blos durch eine Folge von Rai-
sonnements etwas, wie man sich aus[-]
zudrücken pflegt, Plausibles aufzustellen,
sondern darum, daß die Naturan-schauungenNaturer-scheinungen8, welche als solche ein Sinn-
liches sind, auch vor den Sinn und die
Anschauung gebracht werden und sich als-dannals-denn9 das10 was in der Weise allge-
meiner Sätze oder Gesetze über sie
[8r]ausgesprochen wird, zusagend erweisen11.
Die Philosophie an ihrem Theil hat es über-
haupt in allen ihren Zweigen nicht mit einem
blos subjektivenSubjectiven12, Einbildischen und Gemeinten,
sondern durchweg mit einem Seyenden, Ge-
genwärtigen und Vorhandenen zu thun; die
Weisen dieser Gegenständlichkeit sind denn
allerdings verschieden; das Objekt der Na-
turphilosophie ist die äußere, sinnliche Na-
tur; diese hat zwar zu ihrer innersten Wur-
zel, wie alles was da ist, im Himmel
und auf Erden, die IdeenIdee13, die rein göttli-
che Idee, allein die allgemeine Weise ihres
Daseyns, ihrer Realität ist die Räumlich-
keit und Zeitlichkeit, die sinnliche Wahr-
nehmbarkeit überhaupt. Dieses sinnlich Wahr-
nehmbare darf somit, wenn von einer
denkenden Erkenntniß der Natur die
Rede ist, nicht gering geachtet und hint-
angesetzt werden, und es wärenwäre14, um
bei unserem Fall stehen zu bleiben,
ein von Haus aus schiefes und ver-
kehrtes Unternehmen, wenn man ei-
ner in ihrem erfahrungsmäßigen Theil
als mangelhaft anerkannten Theorie,
durch eine naturphilosophische Behandlung
gleichsam von oben herein unter die
Arme greifen, und auf die Beine
helfen wollte. – Diesen Sinn hat
es also keinesweges, wenn die göthesche
[8v]Farbenlehre hier vom Standpunkt der Na-
turphilosophie aus betrachtet werden soll,
sondern wie gesagt, den, an einem emi-
nenten Beispiel das eigentliche Verhältniß
zwischen spekulativer und empirischer
Naturbetrachtung aufzuzeigen. Einen
Theil der Physik so behandelt zu haben,
daß die Resultate davon unmittelbar geeignet
sind, von der Naturphilosophie, als einer
solchen Erkenntniß der Natur, welche
die Idee als die immanente Seele
derselben darstellt, unmittelbar
aufgenommen zu werden, dies ist das
große Verdienst Goethes nach dieser
Seite, und um ein solches zu leisten,
dazu gehört jener gediegene große
Sinn, den wir an ihm auch als Dich-
ter und als Kunst- und Lebenskenner
und Deuter bewundern. Wenn vor-
her gesagt wurde, daß wir es bei
der götheschen Farbenlehre mit einem
durchaus Erfahrungs+++Erfahrungsmäßigen15 zu thun
haben, so ist dabei ferner zu erwä-
gen, daß zum Erfahrenen mehr ge-
hört als eine bloße Anwendung un-
serer Sinne. – Der Mensch als Den-
kender erhebt das Wahrgenommene, Ein-
zelne sofort zu einem Allgemeinen
[9r]und die Erfahrungen, welche wir machen, fal-
len verschieden aus, je nachdem die Art und
Weise unseres Verfahrens dabei beschaffen
ist. Es ist in diesem Sinn mit Recht ge-
sagt worden, man erfahre nur das was
man schon weiß. – Dies ist ein wichtiger
Umstand, der in Folge oberflächlicher
Vorstellungen von der Natur des Erken-
nens überhaupt, häufig übersehen und ver-
kannt zu werden pflegt. Auch bei der em-
pirischen Betrachtung der Natur kommt
es wesentlich darauf an, mit welchen
Augen man sieht, mit welchem Sinn
man an die Erscheinungen herantritt.
– Der Sinn, mit welchem Goethe die Na-
tur und namentlich die Licht- und Farben-
erscheinungen betrachtet hat, ist nun über-
haupt, wie schon angedeutet wurde, der
der gesunden, durch endliche und bornirte
Verstandesreflexion ungetrübten Ver-
nunft. Es ist übrigens nicht für etwas
Gleichgültiges zu achten, daß unser Dich-
ter aus der gesamten Physik gerade die
Lehre von den Farben zum Gegenstande
seiner speziellen +++Bemühungen16 gemacht hat.
Er selbst äußert sich über das was
er auf diesem Gebiet zu leisten be-
zweckt, sehr bescheiden, indem er in der
[9v]Einleitung zu seinem Werke den Wunsch
ausspricht, die Lehre von den Farben
auf gleichergleiche17 Linie mit den andern Zwei-
gen der Physik zu erhaltenerheben181, welche in neu-
erer Zeit durch die vereinten Bemühungen
der Physiker so wesentlich gefördert wor-
den sind, wie die von der Electricität,
dem Magnetismus, den chemischen Verwand-
schaften pp. – Dies hat er denn auch in
reichem Maaße gethan, zugleich hat er
aber auch noch mehr gethan, indem er näm-
lich dadurch, daß er das Licht wieder als
das geltend gemacht hat, wofür es sich
schon dem einfachen unbefangenen Sinn
ankündigt, nämlich als schlechthin Einfa-
ches, in sich Einiges, im Gegensatz ge-
gen die barbarische neutonschenewtonsche19 Lehre,
wonach das reine, in sich ununterbrochene
Licht, aus ursprünglich verschiedenen far-
bigen Theilchen zusammengesetzt sein soll,
mit kühnem Muthe von Seiten der Er-
fahrung aus eine Bahn betreten hat,
auf welche seit Kant zwar oft genug
hingedeutet worden ist, die zu ver-
folgen indeß bis jetzt noch kein Physi-
ker wahren Ernst gemacht hat. Es
ist dies nämlich die Bahn der sogenann-
[10r]ten dynamischen Naturbetrachtung, d. h.
derjenigen Weise, die Natur aufzufas-
sen, wonach dieselbe nicht, wie dies bei
der atomistischen Ansicht der Fall ist, als
ein todtes Aggregat einander gegen-
seitig ausschließendes, materiellesausschließender,
materieller20, Theil-
chen, sondern als eine von innen her-
aus bewegte seelenvolle Totalität
erscheint, deren einzelne Theile keines-
weges ursprünglich selbstständig und blos
äußerlich mit einander verbunden, son-
dern vielmehr so beschaffen sind, daß
sie das was sie sind, nicht nur durch
ihre Differenz, sondern eben so auch
durch ihre ursprüngliche Einheit sind. Es
hat nun zwar seit Kant in Teutschland
nicht an Physikern gefehlt, welche sich
Dynamiker nennen, wenn man indeß
in den Compendien und Lehrbüchern un-
serer dynamischen Physiker näher nach-
sieht, was die dynamische Betrach-
tungsweise, zu der sie sich bekennen, ih-
nen bis jetzt für Früchte getragen hat,
so überzeugt man sich bald, daß die des-
fallsige Ausbeute zur Zeit noch höchst
dürftig ist. Ihre ganze Dynamik be-
schränkt sich in der That auf die Art
und Weise, die abstrakte Materie
[10v]zu erklären, so nämlich daß gesagt wird,
man dürfe diese nicht als aus selbststän-
digen Atomen bestehend betrachten, son-
dern müsse annehmen, daß die Mate-
rie nichts anders sey als das Resultat
des ZusammenrückensZusammenwirkens21 jener beiden ent-
gegengesetzten Kräfte, welche Kant
als Attraktiv- und Repulsiv-Kraft be-
zeichnet hat. Man sieht sofort, daß
mit der bloßen Annahme dieser dynamischen
Erklärung der abstrakten Materie
noch sehr wenig gewonnen ist und daß,
wenn es nicht bei einer todten Formel
sein Bewenden haben soll, dazu fort-
geschritten werden muß, die einzelnen
Phänomene und Gestaltungen der Natur
und zunächst der unorganischen Natur
vom dynamischen Standpunkt aus
zu betrachten, und von ihnen nachzu-
weisen, daß zu ihrer Erklärung die ato-
mistischen Fiktionen nicht auslangen.
Dieser gerechten und wenn es mit
der Dynamik Ernst sein soll, schlecht-
hin nicht von der Hand zu weisenden
Forderung zu genügen, dafür war
indeß von Seiten der empirischen
Wissenschaft bisher so gut wie nichts
geschehen, denn die wenigen Paragraphen
[11r]abgerechnet, welche von der Materie im All-
gemeinen handeln, ist im Übrigen da wo
die besondern Gestaltungen der Materie
betrachtet werden, bei unsern dyna-
mischen Physikern von einer Durchführung
des dynamischen Prinzips nichts wahrzunehmen.
So ist denn namentlich auch das Licht, +++trotz22
alles Eiferns gegen die atomistische Er-
klärung der Materie vor wie nach als
aus selbstständigen Theilen bestehend23 betrachtet
worden, und Goethe ist der erste Phy-
siker der als wahrhafter Dynamiker
die dynamische Natur des Lichts geltend
gemacht und damit die Kluft ausgefüllt
hat, welche bisher die abstrakt allge-
meine Materie von der Materie in
ihrer Besonderung trennte, womit denn
zugleich der Grund zu einer eigentlich le-
bensvollen, hylozoistischen Physik ge-
legt worden ist. – Goethe hat nun zwar
nicht das Licht als solches zum Gegenstand
seiner Untersuchungen gemacht, sondern
die Farben, allein gerade die Farben
sind es, bei denen die eigenthümliche
qualitative Natur des Lichts, diese näm-
lich dies schlechthin Einfache, in sich ungetrübtUngetrübte24
zu seyn, im Gegensatz mit der an sich
dunkeln Materie, zuerst auf eine ent-
[11v]schiedene, augenscheinliche Weise wahrzuneh-
men ist; das Licht ist wesentlich nach zwey
Seiten zu betrachten; einmal nach seiner
mechanischen Seite, so wie es den Gegen-
stand der eigentlichen Optik bildet; hier
handelt es sich blos um Modifikationen des
Lichts, welche dessen Bewegung und die Rich-
tung dieser Bewegung betreffen: – zwei-
tens aber ist denn auch das Licht nach
seiner eigentlich physikalischen Seite
zu betrachten, so wie es in seiner qua-
litativen Bestimmtheit der Materie ge-
genüber steht und durch dieselbe modifi-
cirt wird, und hier ist es, wo uns zu-
erst die Farben begegnen, mit deren
Betrachtung billiger Weise die eigentliche
Physik eröffnet werden sollte. – Es ist
also durchaus nicht für etwas Gleichgül-
tiges zu rechnenerachten25achten, daß Goethe gerade
der Lehre von den Farben seine phy-
sikalischen Bemühungen gewidmet hat,
sondern wir haben Ursache, schon in
der Wahl dieses Gegenstandes seinen
großen und tiefen Natursinn zu be-
wundern. Eben so hat er denn auch
für uns, wenn wir uns hier mit
einem solchen einzelnen Kapitel
einerder26 Physik, wie die Farbenlehre
[12r]ist, beschäfftigen, nicht blos diesen sub-
jektiven Sinn, daß wir uns damit be-
schäftigen, weil es nun einmal Göthe
für der Mühe werth gehalten hat, einen
so großen Theil seines Lebens hindurch
mit diesem Gegenstand sich abzugeben,
sondern wir haben uns gleich beim Be-
ginnen unseres Unternehmens ein ent-
schiedenes Bewußtsein darüber zu ver-
schaffen, daß es die Wichtigkeit der
Sache an und für sich ist, um derentwil-
len wir unsere Aufmerksamkeit auf
diesen Punkt concentriren. Ein solches
Bewußtsein aber kann auf erschöpfen-
de Weise nur dadurch erworben werden,
daß wir die Bedeutung der Natur
überhaupt und das Verhältniß der-
selben zu unserm Erkennen in nähere
Erwägung ziehen. Auf solche Weise
allein kann denn auch dem genügt werden,
was in der Ankündigung dieser Vorlesun-
gen zugesagt ist, nämliche eine Darstel-
lung der götheschen Farbenlehre vom
Standpunkt der Naturphilosophie aus
zu liefern. Über die Naturphiloso-
phie überhaupt sind in unserer Zeit,
seit Schelling das Interesse an einer
spekulativen Betrachtung der Natur
[12v]wieder erweckt hat, so schiefe und ver-
drehte Vorstellungen verbreitet worden,
daß es Manchem von Haus aus als ein
seltsames und misliches Unternehmen er-
scheinen kann, eine ohnehin bei der ehr-
samen und nüchternen Zunft der Phy-
siker nicht im besten Ruf stehende
Theorie, nun vollends noch vom Stand-
punkt der bei der Mehrzahl jener Her-
ren gleichfalls hinlänglich verrufenen Na-
turphilosophie betrachten und darstellen
zu wollen. – Ohne mich nun hier auf eine
ausführliche Beleuchtung des thörigten
Geredes einzulassen, welches man noch
täglich in Beziehung auf das Unterneh-
men die Natur philosophisch zu betrach-
ten, wiederholen hören kann, so be-
merke ich, um auf unseren Standpunkt
uns zu orientiren, vor allen Dingen, daß
man unter Naturphilosophie nichts mehr
und nichts weniger zu verstehen hat, als
dies, daß sie ein denkendes Erkennen
der Natur ist. Dabei muß es nun so-
gleich auffallen, daß es hiernach scheint,
als ob die Naturphilosophie von den
sonstigen Wissenschaften, welche auch
die Natur zu ihrem Gegenstand haben,
nicht27 verschieden nich28 sey. – Es ist also der Unterschied
[13r]der Erkenntnißweise der Naturphilosophie
und seiner[?]jener29 sonstigen Wissenschaften näher
zu betrachten. – Es kann auf den ersten
Anblick etwa scheinen, als ob jene Wis-
senschaften nicht ein denkendes Erken-
nen der Natur wären. Man nennt
diese Disciplinen Erfahrungswissenschaften,
sie wollen sich auf Wahrnehmungen und
Beobachtungen stützen, gründen sich auf
die sinnliche Anschauung und haben in die-
ser ihre Bewährung. – Halten wir uns
genau an jenen Ausdruck, so würde
daraus folgen, daß nur die Sinne die
Organe für diese Wissenschaften sind
und das Verhältniß des Geistes zur Na-
tur erscheint auf diesem Standpunkt
als ein blos sinnliches Verhalten. Im
Gegensatz damit wäre denn die Na-
turphilosophie, eine solche Betrachtung
der Natur, in welcher der Geist sich den-
kend verhält und sie verhältverhielt30 sich somit
allein auf die des Menschen würdige
Weise, da bekanntlich es nur das
Denken ist, wodurch sich der Mensch
vom Thiere unterscheidet. – In der
That verhält es sich indeß auch mit den
zunächst auf der Erfahrung beruhenden
Disciplinen besser als es dem unmittelbaren
[13v]Wortverstande nach scheint, da, wie dies
bereits bemerklich gemacht wurde, zum
Erfahrenen noch etwas mehr als ein
blos sinnliches Verhalten gehört. – Wie
es sich damit verhält, dies haben wir
jetzt etwas näher zu betrachten. –
Ich sagte, zur Erfahrung gehörte mehr
als ein blos sinnliches Verhalten; dieses
Mehr nun, welches wir bei jenen Er-
fahrungswissenschaften finden, be-
steht darin, daß sie auch Gedanken
enthalten, ja, bei Lichte besehen, so
zeigt es sich, daß ihnen eine vollstän-
dige Metaphysik zum Grunde liegt. –
Es ist denn freilich häufig der Fall, daß
die empirischen Naturforscher über
diesen Punkt kein deutliches Bewußt-
seyn haben; wie dies namentlich bei
NeutonNewton31ton der Fall war, von dem der
bekannte von gedankenlosen Physi-
kern häufig als höchst weise angerühm-
te Spruch herrührt: Physik hüte dich
vor der Metaphysik.
Als Bedingung einer wahrheitsgemäßen
Naturerkenntniß wird nun über-
haupt auf dem Standpunkt jener
Erfahrungswissenschaften gefordert,
daß man die Naturerscheinungen
[14r]so aufnehmen soll wie sie sind, die hier
zur Anwendung kommende Thätigkeit
der Geister soll lediglich die der abstrac-
ten Aufmerksamkeit seyn, ohne von dem
Seinigen etwas hinzuzuthun. Es werden
denn auch Versuche angestellt, allein die-
se sollen gleichfalls nur den Zweck haben,
die Gegenstände so wie sie sind nur näher
zugänglich zu machen. – Mit diesem blo-
ßen Aufnehmen dessen was da ist, d. h.
der einzelnen Erscheinung als solcher, ist
es indeß auch hier nicht abgethan; auch
der empirische Naturforscher unterläßt
nicht etwas von dem Seinigen, d. h. Gedan-
ken hinzuzuthun, womit es denn näher
betrachtet, diese Bewandniß hat. Das Erste
ist die Erhebung des unmittelbar wahrge-
nommenen Einzelnen zu einem Allgemeinen.
Die unmittelbare Anschauung liefert uns
immer nur Einzelnes. Dieses Thier, diese
Lufterscheinung, dieser Stand der Planeten,
u. s. f. Solche Generalien nun, zu denen
das Erkennen sich erhebt, sind theils das
was man Gattungen, Arten, Klassen
u. s. f. nennt, theils sind es allgemeine
Eigenschaften, Kräfte und dergleichen. Die-
ses Allgemeine ist aber kein Sinnliches
mehr; man kann Einem ein Thier im
Allgemeinen nicht zeigen, sondern immer
[14v]nur dieses Thier, ein ganz Einzelnes. –
Das Nächste nun bei jenem Festhalten
von Arten, Gattungen und Klassen ist
das Definiren derselben, und dies geschieht
durch ein Hervorheben des Wesentlichen
aus dem was sich in der unmittelba-
ren Anschauung findet. Dies Heraus-
heben von Merkmalen ist nun wieder
ein Thun des Verstandes, der Abstraktion.
Es tritt sofort die Frage ein, welche
der wahrgenommenen Eigenschaften
als wesentliche Merkmale betrachtet
werden sollen. Die nächste Bestim-
mung, welche sich hier darbietet, ist das
subjektive Interesse der bloßen Unter-
scheidung; allein es ist leicht einzusehen,
daß ein solcher Zweck nicht ausreicht. –
Die andere vorher nahmhaft gemachte
Weise dieser Metaphysik, besteht
in der Auffassung solcher Formen,
wie Kräfte, allgemeine Eigenschaften pp.32
Dergleichen fällt nun auch nicht in die
Wahrnehmung; diese hat es immer blos
mit einzelnen Bestimmungen zu thun; die
Himmelskörper bewegen sich nach
einem bestimmten Gesetz, allein dies
ist nicht ein unmittelbar Wahrnehm-
bares, sondern ein aus vielen einzelnen
[15r]Wahrnehmungen Erschlossenes. Eben so ist
es mit dem Gesetze der Elektricität, des
Magnetismus pp. – Diese Art nun der Me-
taphysik in der empirischen Naturwissen-
schaft, ist also etwas Thatsächliches, und es
kann nicht anders seyn, da es der Mensch
ist, welcher sich zur Natur verhält und die-
ser wesentlich denkend ist. – Es kann nun
scheinen, als ob es dem Zweck widerspre-
che, den man bei der Naturbetrachtung
hat, wenn man sich in der gedachten Wei-
se denkend dabei verhält, da, wie vor-
her bemerkt wurde, man ja darauf aus-
gehet, die Natur aufzufassen wie sie
ist. Durch das Denken aber machen wir
etwas Anders aus der Natur als was
sie unmittelbar ist. – Häufig pflegt
dies nun so betrachtet zu werden, als
ob die im Verlaufe der Naturbetrach-
tung sich hervorthuenden Formen des Den-
kens nur äußere Formen seyen, wel-
che das Gegenständliche selbst nichts an-
gehen, und nur äußerm subjektiven
Erkennen angehören. So ist es mit den
Ordnungen, Klassen und Merkmalen. –
Was die andere Art der vorher er-
wähnten Gedankenbestimmungen betrifft,
die allgemeinen Kräfte oder solche
[15v]Abstraktion wie Materie und dergleichen
so läßt man von diesen zwar gelten,
daß sie den Gegenständen selbst eigen-
thümlich und immanent sind, allein sie sind
darum, nichts desto weniger ein uns durch
die Thätigkeit des Gedankens für uns
Vorhandenes und nicht ein unmittelbar
Wahrzunehmendes. – Ganz auf dieselbe
Art verhält es sich nun auch mit den
zuerst erwähnten Gedankenbestimmungen,
mit den Gattungen pp. – Wir sehen so
wie diese Erkenntnißweise in einem
ungewissen Schwanken zwischen Sub-
jektiven und Objektiven begriffen ist,
indem die bemerklich gemachten Ge-
dankenbestimmungen, einmal als etwas
blos Subjektives, dann aber auch wie-
der als etwas Objektives betrachtet
werden. – Die philosophische Erkennt-
nißweise ist nun von diesem empiri-
schen Thun überhaupt verschieden, al-
lein sie erkennt zugleich ausdrücklich
an, daß auch diese Weise der erken-
nenden Thätigkeit unentbehrlich und
nothwendig und eine Durchgangsstufe ist,
welche nicht übersprungen werden darf. –
Es ist nähernunmehr33 darum zu thun, daß
[16r]wir uns ein näheres Bewußtseyn dar-
über verschaffen, worin das Ungenü-
gende jener empirischen Erkenntniß-
weise besteht. Erinnern wir uns zu
dem Ende zunächst an jene der gelehr-
ten Naturbetrachtung gegenüberstehende
Disposition, welche wir als den un-
befangenen Natursinn bezeichnen kön-
nen, so werden wir bemerken, daß
diesem die Natur überhaupt als eine
lebendige, seelenvolle Totalität sich
darstellt und daß eben so bei Be-
trachtung ihrer einzelnen Gebilde +++die34
innige Einheit der zu einem individuellen
Ganzen vereinigten Theile als das We-
sentliche, ihn wahrhaft Ansprechende
von ihm hervorgehoben wird – woge-
gen es denn geschieht, daß die end-
liche Wissenschaft, indem sie die vor-
her erwähnten Verstandes-Formen
auf den ihr dargebotenen Stoff anwen-
det, die Einheit des Lebendigen auf
manigfaltige Weise zersplittert und
zerreißt. Wir finden
dies häufig beiDichtern. Die Natur auch
als ein le-bendiges Ganzes ahndet, daß
dasselbeeine Totalität ist. Eben so
wird35
[16v]es bei
Betrachtung des Einzelnen die
innigeEinheit als das Wesentliche, ihn
wahrhaftAnsprechende
herauszuheben.36Wir finden
dies häufig bei Dichtern, ganz besonders
auch bei Goethe mit tiefen Bewußt-
sein auf günstigegeistige37 Weise ausgesprochen.
Dasselbe ist denn auch der Grund, weshalb
sinnige Frauen, solche die ihrer Bestimmung
getreu, im Gefühl der Vernunft, durch die
bloße Verstandesgelehrsamkeit sich nicht impo-
niren lassen, wenn ihnen die Natur in
der gedachten endlichen Weise explicirt wird,
sich wohl dahin zu erklären pflegen,:38 die
VorstellungenVorstellung39, welche sie sich bisher von
der Natur gemacht als einem seelenvol-
len Ganzen, werdenwerde40 durch jenes Auseinan-
derlegen in einzelne Kräfte, Stoffe
und dergleichen zerstört und41 die FreudenFreude42 an
der Natur überhaupt ihnen verleidet, und43 das
poetische Gebiet, worin sie sich heimisch
gefühlt, in das für sie unheimische Ge-
biet einer trocknen Prosa umgewan-
delt. So berechtigt nun auch solche
{Außerungen} sind, so kann doch die
bloße Berufung auf die Empfindung
und das Gefühl wissenschaftlich nicht
genügen. – Die wissenschaftliche Weise
[17r]des Ungenügenden jener empirischen Na-
turbetrachtung aufzuzeigen, kann nur die
seyn, daß die Metaphysik oder das Ge-
dankensystem, welches bei der empirischen
Betrachtung der Natur auf Seiten des Sub-
jekts die Grundlage bildet, näher unter-
sucht und daß auf diesem Wege die Endlich-
keit der KatKathegorienKategorien44, welche hier als ein
letztes gelten, nachgewiesen wird, welches
denn überhaupt das Geschäft der spekula-
tiven Logik ist. Ohne uns hier auf
ausführliche logische Erörterungen, wel-
che uns zu weit führen würden, einzulas-
sen, wollen wir nur einen
jenerein paar45 Haupt-
punkte, auf die es hier ankommt, kürz-
lich erwägen. Zunächst bemerken wir
daß man in den empirischen Wissen-
schaften zum Theil selbst dahin gekom-
men ist, jene Betrachtungsweise des
Verstandes aufzugeben. So hat man
z. B. in der Phisiologie |: der Lehre
vom lebendigen Organismus :| ziemlich
allgemein die früher zur Erklärung
gebrauchte mechanische Form als unzu-
reichend erkannt. – Der verständigen
Betrachtungsweise ist es überhaupt
eigenthümlich, sich an Verhältnisse
[17v]der Aeußerlichkeit zu halten. Eben so
hat sich denn auch die demnächst beliebt ge-
wordene chemische Erklärungsweise der
organischen Vor+++Vorgänge46 gleichfalls als un-
zulänglich erwiesen. Das Fernere ist denn,
daß in neuerer Zeit jene ganze Refle-
xionsweise durch die kantische Philosophie
dargestellt und erkannt worden ist, aberals47 un-
zureichend, die Wahrheit zu erfassen, in
so fern es nämlich nach Kant nicht die
Dinge an sich sondern nur Erscheinungen
|: ein durch unsere Subjektivität gesetz-
ter Inhalt :| sind, welche den Gegenstand
unseres auf Wahrnehmung und Erfahrung
beruhenden Erkennens bilden. Die kan-
tische Philosophie hat denn zunächst das
negative Resultat geltend gemacht, daß
es gleichwohl keine andere als jene end-
liche Weise, das was ist zu betrachten,
gebe, und daß somit das Wahre über-
haupt für uns nicht sey. Über diese Wen-
dung ist indeß der Trieb der Vernunft,
der nie rastet, auch bald hinwegge-
schritten, denn die Vernunft läßt
es sich nicht nehmen, daß das Wahre
zu erkennen seyn müsse. –
Die bisher beschriebene Weise des
[18r]Erkennens, welche in den empirischen Na-
turwissenschaften statt findet, wurde als
endlich bezeichnet: diese Endlichkeit zeigt sich
auf gedoppelte Weise, einmal in der Tren-
nung des Allgemeinen vom Besondern und
zweitens in der Trennung der Besondern von
einander. Was das erstere anbetrifft, so ha-
ben wir gesehen, wie in den empirischen
Naturwissenschaften darauf ausgegangen
wird, Gattungen, Kräfte, allgemeine
Gesetze aufzustellen und zu fixiren.
Dies sind Allgemeinheiten überhaupt, wel-
che vom Besondern unterschieden sind.
Wenn so zB. das Thier überhaupt defi-
nirt wird, so ist damit noch keine be-
sondere Gattung, Art u. s. f. angege-
ben. Diese besonderen Bestimmungen
lassen sich nicht aus dem Begriff der
Thiere ableiten. Eben so ist es mit an-
dern allgemeinen Bestimmungen, so zB.
mit der allgemeinen Materie und den
besondern Arten derselben. Die lezte[r]n
können nach der gewöhnlichen Weise des
Erkennens nicht aus der Erstern ent-
wickelt werden. Es fehlt also hier die
Brücke zwischen dem Allgemeinen und dem
Besondern, die Thätigkeit des Allge-
meinen |: der Verstand :| ist nicht zu-
[18v]gleich anschauendbesondernd48, welchen +++Mangel49 man auch so
ausgedrückt hat, daß man gesagt hat, der
Verstand sey nicht zugleich anschauend. –
Die andere Weise der Trennung betrifft
die des Besondern unter einander. Das
Lebendige, und nicht nur dieses, sondern
das Gegenständliche überhaupt, stellt
sich uns dar als ein Concretes, viele
Besonderheiten in sich enthaltend. So
gehören z. B. zu einer Pflanze Wurzeln,
Stengel, Blätter, Blüthen pp und eben
so sind denn auch die einzelnen Theile
selbst wieder ein Concretes in sich. Von
solchem ConcretemConcreten50 heißt es denn, es
bestehe, sey zusammengesetzt aus den
und den Theilen, welche hiemit als
etwas Selbstständiges und nur äußer-
lich zu einer für sie gleichgültigen und
eben deshalb ohnmächtigen und todten
Einheit Verbundenes betrachtet wer-
den. In ähnlicher Art wie mit sol-
chen concreten Naturgebilden, ver-
hält es sich auch mit den allgemei-
nen Naturgesetzen. – Diese ent-
halten unterschiedene Bestimmungen
in sich vereinigt, von denen die eine
durchaus nicht ist51 ohne die andere,
[19r]wie z. B. im Gesetze des Falles gewissen
Zeitabschnitten mit52 gewissegewissen53 Raumab-
schnitten54 schlechthin entsprechen. Auch
hier haben wir Unterschiedenes, Beson-
ders mit Besonderm zu einem Ganzen
und Allgemeinen vereinigt, dergestalt,
daß diese Vereinigung blos als eine er-
fahrungs- und nicht als eine begriffs-
mäßige Nothwendigkeit sich darstellt.
Diese gedoppelte Art der Trennung ist
es also überhaupt, welche in dieser empi-
rischen Naturbetrachtung herrschend ist.
Hieraus ergiebt sich nun ferner, daß auf
diesem Standpunkt die Natur dem Men-
schen als ein Anderes seiner, als ein sol-
ches, in das er sich nicht zu finden ver-
mag, überhaupt als ein Räthselhaftes
gegenübersteht; dasder55 absolute DrängenDrang56 aber
der Menschen geht dahin, dieses Räthsel
zu lösen, die ungeheure Kluft zu über-
steigen die hier zwischen dem erkennen-
den Subjekt und dem was das Objekt
dieses Erkennens bildet, vorhanden ist. –
Auf dem Standpunkt dieser endlichen Natur-
wissenschaften pflegt denn auch das
Innere der Natur als ein Jenseits
[19v]für den Menschen, als ein demselben
Unzugängliches betrachtet zu werden. In
diesem Sinn kann man bekanntlich
von allen Seiten sprechen hören. Das
Innere der Natur ist nun aber nichts
anderes als das concret Allgemeine,
die Idee, welche anstatt für den
Menschen ein Jenseits zu seyn, viel-
mehr sein Eigenstes und Innerstes ist |:
Goethe der Dichter der Vernunft, gegen
Haller den Dichter der bloßen Ver-
standesreflexion, über den Gegensatz
vonvom57 Innern und Äußern :| Es kömmt,
wie früher bemerkt wurde, nur darauf
an, mit welchem Auge, in welchem Sinn
man die Natur betrachtet. Für den,
der die Natur mit geistigem Auge, der
sie mit dem Sinn der Idee betrachtet,
ist ihr Inneres keinesweges ein Unzu-
gängliches, ein Verborgenes, sondern ein
solches, in das er sich zu finden weiß und
zwar um deswillen weil das Innere der
Natur Eins ist mit unserm eigenen Innern,
d. h. mit dem Gedanken.* 1
[20r]Daß nun das Innere der Natur nichts an-
deres ist, als Ich selbst in meinem Innersten
oder als Ich überhaupt, (denn indem ich
sage ichIch60, so spreche ich damit mein Inner-
stes aus,) dies ist der Grundgedanke der
ganzen Naturphilosophie. Hier nun ha-
ben wir uns der früher angegebenen
Definition der Naturphilosophie als
denkender Erkenntniß der Natur wie-
der zu erinnern. – Auch in der empirischen
Naturwissenschaft handelt es sich, wie
wir sehen, um ein denkendes Erkennen,
allein dieses Denken ist nicht reines, freyes,
sondern blos formelles, endliches Denken.
Das Denken, welches ich so eben das
freye Denken nannte, ist dies um des-
willen, weil hier Denken und Gedach-
tes in Eins zusammenfallen und von
solcher Art ist nun überhaupt das
philosophische, oder das begreifende
Denken. Der Begriff ist nicht das,
wofür er gewöhnlich ausgegeben wird,
nämlich ein bloßes Abstractum der
Allgemeinheit, sondern es ist +++vielmehr61
das schlechthin Concrete und somit die
Wurzel aller Besonderung in sich ent-
haltende. Eben so muß man, wenn
[20v]vom Begriff gesprochen wird, nicht glau-
ben, hier handle es sich blos um etwas
in unserunseren
Köpfenunserem Kopfe62 vorhandenesVorhandenes63 und von
uns Gebildetes. – Der Begriff in seinem
wahren Sinn ist das Innerste, das eigent-
liche Centrum der Natur; die Natur
aber als solche gelangt nicht dazu, sich selbst
zu begreifen; sich zu beweisen[?]begreifen64, sich in der
Form der Allgemeinheit zu erfassen,
oder was dasselbe ist, sein Wesen an-
zuschauen, dies ist das Vorrecht und zu-
gleich das innerste, Tiefste[?]nächste[?]65 Bedürfniß des
Geistes. Das Höchste wozu es die Natur
bringt, ist die Form des empfindenden
Lebens; die Empfindung aber ist we-
sentlich an die Form der Einzelnheit
gebunden und dies Verhalten in der
Weise der Einzelnheit ist wie ich früher
bemerkte das thierische Verhalten. – Der
Mensch dagegen ist denkend, d. h. er
weiß von sich als Allgemeinem, und
indem er von sich als Allgemeinem weiß,
so weiß und erkennt er hiemit auch
die ihm gegenüberstehende Natur,
deren Wesen, wie gesagt, gleichfalls
das Allgemeine, der Begriff ist. –
[21r]Im Menschen feyert so die Natur fort-
während ihre Befreyung; die Natur als
solche ist nicht nur außer uns, sondern, wo-
von nachher weiter die Rede seyn wird,
auch außer sich selbst und erst im Geiste
kehrt sie aus diesem Außer sich seyn in
sich zurück. – Eine bekannte (rel.)religiöse Lehre ist
es, daß der Zustand der Natürlichkeit
ein dem Menschen ungemäßer[,] ein Zustand
der Unseeligkeit sey und daß der Mensch,
um zur bewußten Theilnahme am Gött-
lichen zu gelangen wieder geboren werden
müsse im Geiste. – Diese wahrhafte und
tiefe Lehre findet in dem bisher Gesag-
ten ihre EinleitungErläuterung66. – So viel nun über-
haupt über den Begriff der Naturphilo-
sophie und ihr Verhältniß zur empirischen
Naturwissenschaft. Es liegt, wie wir
gesehen haben, im Charakter dieser letz-
tern, daß sie dem denkenden Geiste
keine absolute Befriedigung zu gewäh-
ren vermag, das heißt nicht die Be-
friedigung, daß er in der Natur in
der Weise des Gedankens, das wieder-
finde, als was sie sich dem gesunden
Menschensinn von Haus aus ankündigt und
von ihm geahndet wird, nämlich ein
seelenvolles, von dem göttlichen Athem
[21v]belebtes Ganze, zu dem er sich um deswil-
len als eineinem67 ihm BefreundetesBefreundetem68 zu verhalten
vermag. Dies ist aber, wie bemerkt wurde,
nur dann der Fall, wenn das was unser
eignes Innerstes ausmacht auch als das Inner-
ste der Natur wieder erkannt wird.
So erscheint denn die Natur als eine
individuelle Totalität, und nicht mehr
als ein bloßes Complex neben- und außer-
einander bestehender Stoffe, Kräfte, Ei-
genschaften und dergleichen, wie dies
auf dem Standpunkt der empirischen Wis-
senschaften zumal dann der Fall ist,
wenn sie ihre Grenze überschreitend,
mittelst ungerechtfertigter Hypothesen
ihren Gegenstand zu erklären oder be-
greiflich zu machen sich bemühen. Es giebt
nur Eine Weise, die Natur begreiflich
zu machen, diese nämlich, daß von
ihr aufgezeigt wird, daß sie nichts
anders ist als ein Daseyn des absoluten,
des göttlichen Begriffs und dies aufzu-
zeigen, ist, wie gesagt das Thun der
Naturphilosophie. – Ehe wir nun wei-
ter schreiten zu Betrachtung der be-
stimmten Art und Weise wie der
Begriff in der Natur vorhanden ist,
[22r]so wird es angemessen seyn, wenn wir
noch einen Augenblick dabei verweilen, zu
erwägen, was in der Philosophie unter
dem Begriffe überhaupt verstanden
wird. Wir erinnern uns zu dem Ende
zunächst wieder an die in unserm gewöhn-
lichen Bewußtsein vorhandene Vorstel-
lung über die Natur des Begriffs. Die-
ser ist hiernach etwas blos subjektives,
dem erkennenden Subjekt angehöriges, das-
selbe was man etwa auch Gedanken
nennt, jedoch mit dieser näheren Bestim-
mung, daß darunter eine allgemeine Ge-
dankenbestimmung verstanden wird. –
Der Gedanke erscheint hiernach als et-
was für sich Leeres und Unbestimm-
tes und das Denken als Thätigkeit des
abstrakt Allgemeinen. – Dieses ist nun
aber nicht die wahrhafte Natur des
Denkens, welches zwar Thätigkeit des
Allgemeinen, allein in dieser seiner
Thätigkeit zugleich sich selbst bestimmend
und seine Bestimmtheit somit nicht von
außen erhaltend ist. – Diese sich selbst
bestimmende Allgemeinheit aber ist
es was wir in der philosophische[n] Sprache
den Begriff nennen, und was in der
That allein den Namen Begriff verdient,
[22v]insofern nämlich unter BegriffeBegreifen69 das
Erfassen dessen was da ist in sei-
nem Wesen verstanden wird. Dieses
das Wesen dessen was da ist, kann
nicht ein bloßes caput mortuum2 der
abstrakten Allgemeinheit seyn, son-
dern es muß vielmehr ein solches
seyn, welches das punctum saliens3 der
Lebendigkeit in sich enthält und dies ist
der Begriff dadurch daß es das Moment
der Bestimmtheit in ihm selbst enthält.
BestimmtesBestimmen70 aber71 heißt überhaupt Negiren,
somit ist denn der Begriff als das
sich selbst bestimmende, das sich selbst
Negirende und indem er zunächst thä-
tige Allgemeinheit ist, so ist seine
Thätigkeit wesentlich diese, sich zu be-
sondern, sich zu unterscheiden. In
diesem seinem Unterschiede aber
verliert es sich nicht, d. h. es hört nicht
auf, darin als Allgemeines gegen-
wärtig zu seyn, vielmehr ist es
in diesediesem
seinem Unterschiededieser
Negation72 seiner selbst, erst
das wahrhaft, d. h. das concret Allge-
meine. Jenes erste Allgemeine von
dem wir ausgingen, indem es nur
erst das abstrakt Allgemeine, und
als solches dem Besondern gegenüber-
[23r]stehend ist, ist73 damit selbst ein Besonderes.
Was also negirt wird, das ist das Be-
sondere, welches wir vorher auch das Negative
nannten und wir haben deshalb jetzt
das Negieren der Negation, die sich auf sich
beziehende Negativität, welche zugleich
absolute Affirmation ist. Dies ab-
solut Affirmative und eben so schlecht-
hin Positive ist nun dasjenige {war-
um} es uns hier zu thun ist, nämlich
der spekulative Begriff, den wir denn
auch als Subjekt, als Ich, oder als Prin-
zip der Individualität zu begreifenbezeichnen74
pflegen. – Dieser nun der spekulative
Begriff, indem er sich entfaltet oder
mit andern Worten, indem der zu-
nächst nur der Anlage nach in ihm ent-
haltene Unterschied gesetzt, – realisirt
wird, ist das was früher als Idee
bezeichnet wurde. Beide, Begriff und
Idee müssen von einander unterschie-
den werden, allein es liegt in der
Natur des Begriffs, sich zur Idee zu
bestimmen. – Der Begriff ist in so fern
Idee, als seine Bestimmungen in der
Weise der Selbstständigkeit sind. –
Diese Idee nun ist das absolute
wahrhaft Allgemeine. Dem Besondern
[23v]ist dabei der Schein eigenthümlicher
Selbstständigkeit gegeben, aber es
tritt dasselbe deshalb nicht aus der
Unendlichkeit heraus. Hielten wir
nun dieses, wie bemerkt wurde, in der
allgemeinen göttlichen Idee |: wel-
che alles ist was da ist und außer
der nichts ist :| enthaltene Moment
des Unterschiedes, der Realität, oder
überhaupt des Andersseyns für sich
freyfest75, so haben wir hiemit die Grund-
bestimmung dessen was die Natur
ist. – Die Idee ist nicht ein Ruhendes,
Todtes, sondern sie ist wesentlich
Prozeß, Setzen des Unterschiedes,
desoder76,77 wie Aristoteles sagt das Un-
bewegte {bewegenden} |: άκινητον
κινοῦν :| Im Leben und in der Be-
wegung der Idee erscheint die Na-
tur als eins ihrer Momente; dieses
dem Begriff der Idee gemäße Her-
vortreten der Natur, als ein An-
deres derselben, erscheint in der
religieusen Lehre und in der Form
der Vorstellung als die Erschaffung
der Welt nach dem ewigen Rath-
schluß Gottes, und zwar ist be-
[24r]kanntlich die ausdrückliche Lehre der
Religion, Gott habe die Welt aus Nichts
geschaffen, womit denn eben dies
ausgedrückt wird, was vorher be-
merklich gemacht wurde, daß die
Negativität, das οῦκ ὀν4, die Grund-
bestimmung der Natur ausmacht. Ich
brauchte so eben den Ausdruck Welt,
unter Welt versteht man über-
haupt bekanntlich den Inbegriff des
Endlichen, Gott als dem Unenendlichen
gegenüber. Welt ist in so fern ein
umfassenderer Ausdruck als Natur,
– da zu ihr als dem Endlichen über-
haupt, außer der Natur noch der
endliche Geist gehört. Was nun das
Verhältniß des Geistes zur Natur
überhaupt anbetrifft, so habe ich
dies bereits vorher angedeutet, in-
dem ich bemerkte, im Geiste kehre
die Natur aus ihrem Außersich-
seyn zu sich zurück, womit sie denn
aber eben aufhört, Natur zu seyn.
Endlich ist der Geist, in so fern er
als auf jener Rückkehr begrif-
fen aufgefaßt wird; die Wahrheit
[24v]aber des endlichen Geistes ist der
absolute, der göttliche Geist, in
welchem jene Entzweiung, jene Tren-
nung, welche noch auf dem Stand-
punkt des endlichen Geistes vorhan-
den ist, überwunden ist. Daß
Gott Geist, und zwar nicht ein Geist
neben und außer andern Geistern,
sondern der absolute Geist ist, in
der Einheit mit welcher der endliche
Geist schlechthin nur seine Wahr-
heit ist78 hat, dies ist bekanntlich die
Grundlehre der christlichen Religion;
Geist, absoluter Geist, ist Gott aber
nur in so fern er als dieses ewige
Leben, dessen Momente so eben
angegeben wurden, aufgefaßt wird.
Das Erste ist die logische Idee,
Gott in seinem Wesen; Gott ist aber
nicht nur in seinem Wesen, sondern
als in der Natur und im endlichen
Geist sich †††offenbahrend79 und eben
dadurch als Lebendigeslebendiger80, persönlicher
Gott, oder was dasselbe ist, als
absoluter Geist sich bethätigender Gott.
[25r]Die erste oder die unmittelbare Offen-
barung der göttlichen Idee, Gottes in sei-
ner Ewigkeit, ist die Natur, deren sich
hieraus {ergebenden} Grundbestimmung
die ist, die Idee zu seyn in ihrem
Andersseyn. Während nun die Idee
dieses schlechthin in sich einige Ele-
ment ist, in welchem es zu keiner
vollen Besonderung kömmt, so hat
dagegen die Natur wesentlich den
Charakter des Außereinander oder
außer sich seyns. In diesem Außer-
sich seyn aber ist und bleibt es die
Idee, welche die absolute Grundla-
ge bildet und wir können dieses
die Güte der Idee nennen. – Mit
dem was hier als die Grundbe-
stimmung der Natur angegeben
wurde, stimmt nun auch unser ge-
wöhnliches Bewußtseyn überein, wel-
chem zufolge die Natur überhaupt
außer uns ist. Auch an uns selbst
haben wir eine Natur, unser
organisches, körperliches Leben,
und auch diese unterscheiden wir
von unserm Ich, und betrachten
sie dagegen als ein Äußeres
[25v]Diese Bestimmung der Äußerlichkeit
ist nun aber nicht blos relatifrelativ81.
Die Natur ist an sich das Äußer-
liche und ihr Prozeß ist, wie bereits
angedeutet wurde, überhaupt der
der Überwindung dieser Äußer-
lichkeit, als einer der Idee unan-
gemessenen Weise der Realität. –
Die Begriffsbestimmungen haben
in der Natur den Schein eines gleich-
gültigen Bestehens und der Ver-
einzelung gegen einander[.] Die allgemeineallgemeinste82e Wei-
se natürlicher Existenz ist über-
haupt die, welche wir das Mate-
rielle nennen. Von der Materie
aber wissen wir, daß sie theilbar
ist, d. h. sie ist sich selbst äußerlich. –
Eben so ist es mit jenen abstrak-
ten Formen, deren Einheit, wie
wir demnächst sehen werden, die
Materie ausmacht, nämlich mit
dem Raum und der Zeit. An
beiden erkennen wir jenen Cha-
rakter des Außer sich seyns, – des
Neben- und Nach einander seyns. –
Dies ist nun überhaupt die Wei-
[26r]se in der die Natur existirt; dieses
Außer einander seyn giebt der Natur
jenen Charakter der Unermeßlich-
keit, der das ungebildete, am Sinn-
lichen haftende Bewußtseyn vor-
nämlich in Verwunderung zu setzen
pflegt. – Diese äußerliche Seite der
Natur ist nun aber gerade dasjeni-
ge, worin ihre Endlichkeit und Un-
wahrheit besteht. Ihr Centrum, die
alle ihre einzelnen Gestaltungen durch-
dringende Seele ist, wie früher bemerkt
wurde, der Begriff, dieses schlechthin
Innerliche und in sich Concrete. Dieses
nun[,] der Begriff[,] bildet in sich ein
System von Gedankenbestimmungen,
welche dann auch in der Natur anzu-
treffen sind, allein dem Prinzip
derselben gemäß, d. h. als selbst-
ständige, einander gegenseitig aus-
schließende Gestaltungen. So ist z. B.
unser Sonnensystem Eine Einheit, aber
die Glieder dieses Systems erschei-
nen als getrennte, selbstständige
Individuen. Dasselbe findet sich auf
den übrigen Stufen der Natur,
wie z. B. beim Magnetismus und
[26v]beim chemischen Prozeß. – Indem
nun so die scheinbar von einander
unabhängigen einzelnen Naturge-
staltungen durch ein inneres gehei-
mes Band zusammengehalten sind,
so giebt dies der Natur den Charak-
ter der Nothwendigkeit; dieses
System der Nothwendigkeit aber,
stellt sich bei näherer Betrachtung
zugleich dar als ein System von Stufen. –
Dies ist nun gleichfalls eine auch
in unserm gewöhnlichem Bewußt-
seyn uns geläufige Betrachtung. –
Man spricht demgemäß von höhern
und niedern, von vollkommenen
und unvollkommenen Naturgebilden.
Betrachten wir z. B. die sogenann-
ten drey Reiche der Natur, so wer-
den wir kein Bedenken tragen, das
Thierreich für vollkommener und
ausgebildeter als das Pflanzenreich
und dieses wieder für vollkomme-
ner als das Mineralreich, und
denn die anorganische Natur über-
haupt zu erklären. – In der Na-
tur gewahren wir so also einen
bestimmten Fortgang von Stufe
[27r]zu Stufe, und dasjenige was die-
sen verschiedenen Stufen zum Grun-
de liegt, sind die verschiedenen
Gestaltungen des Begriffs, oder
der Idee, wie solche in der speku-
lativen Logik betrachtet werden. –
Jener Fortgang nun ist jedoch nicht
unbestimmter Fortgang, einerin83 desdas84
{sogenannten} Unendlichen85 hinaus; die
Natur hat ein bestimmtes Ziel und
einen festen Endzweck und dieses Ziel
ist überhaupt die Überwindung der
dem Begriff nicht angemessenen
Äußerlichkeit, welche Überwindung
zugleich ein Überschreiten der Na-
tur als solcher und das Hervor-
gehen des Geistes ist. Erst hier ge-
schieht es, daß der Begriff, der in
der Natur nur ein Inneres ist, frei
heraus tritt und als Begriff zur Exi-
stenz kömmt. Ich-Ich. Der Geist ist
so die Wahrheit der Natur. Der
Fortgang der Natur ist, wie aus
dem Angeführten erhellt, überhaupt
ein In-sich-Gehen aus ihrer Äußer-
lichkeit, und zugleich ein Hervor-
bilden und Gegenständlich-machen
[27v]ihres Begriffs. Dies betrifft also über-
haupt den Charakter der Natur, so
wie derselbe vom Standpunkt der philo-
sophischen Betrachtung sich darstellt. Das
Weitere ist nun, daß wir die Syste-
matisirung der Natur ganz im Allge-
meinen zu dem Ende betrachten, um
die Stelle zu bestimmen, wohin der
Gegenstand, mit dem wir es hier zu
thun haben, gehört. Den Ausgangs-
punkt des Ganzen bildet überhaupt das
Außereinanderseyn, welches abstrakt
für sich festgehalten dasjenige ist
was wir den Raum nennen. Von
hier aus ergeben sich denn drey
Hauptsphären der Natur; die erste
ist die Sphäre der mechanischen Na-
tur, – das zweite ist die Sphäre
der Natur, welche in der Physik
im gewöhnlichen Sinn des Worts
betrachtet zu werden pflegt und
das dritte ist denn die organische
Natur, In der
mechanisch bestimmten Natur86 hat die Äußerlichkeit noch
ihr freystes Ergehen und der Begriff ist
dagegen nur noch ein ganz ab-
strakt Inneres. Die Natur in
dieser ersten Sphäre ist nun noch
[28r]überhaupt Materie, ohne weitere Spe-
cifikation in sich. – Diese nun die
Materie ist, wie wir wissen, wi-
derstandleistend, ein materieller
Punkt schließt die andern von sich
aus – allein zugleich findet auch eine
Beziehung derselben auf einander
statt87, ein Streben dieser atomisti-
schen Materie zur Einheit statt, und
in so fern nennen wir die Materie
schwer. Schwer zu seyn, dies ist
die absolute Eigenschaft der Materie,
zu welcher sich alle die übrigen Be-
stimmungen derselben zusammen-
nehmen. Die Schwere aber ist nur
erst ein Suchen der Einheit, ein
Streben nach derselben. Die ver-
schiedenen materiellen Theile sol-
len Eins seyn, dies liegt im Be-
griff der Materie, allein es bleibt
auch nur beim Sollen. Ich sage,
es bleibt dabei, – nämlich in
Beziehung auf die Materie, so
wie seinsie88 Gegenstand der Mechanik
ist, – es bleibt aber auch nicht
dabei, d. h. die Natur überschreitet
jene erste Stufe, und die nächste
[28v]Gestalt natürlicher Existenz welche
uns begegnet, ist das Aufgehoben-seyn
der Materie, das Andere der schweren
Materie, somit das LeichtereLeichte89 schlechthin,
– oder das Licht. Dieses nun das Licht ist die erste Weise des Phy-
sikalischen im engen Sinn des
Worts. Ich begnüge mich für jetzt
damit, hier nur erst dasdie90 +++Stelle91
bemerklich gemacht zu haben, wo
uns das Licht im System der Natur
begegnet und fahre zunächst noch
fort, die Grundzüge der beiden
andern Sphären der Natur anzu-
geben. –
Die zweite HaupptsphäreHauptsphäre92 der Na-
tur umfaßt überhaupt den Theil
der Natur, welcher in der Physik
und in der Chemie abgehandelt
zu werden pflegt. Das Charak-
teristische, wodurch diese zweite
Sphäre, welche wir kurzweg die
physikalische nennen können, sich
von der ersten, welche als die
mechanische bezeichnet wurde, un-
terscheidet, ist dies, daß die Materie
[29r]hier als qualitativ bestimmt er-
scheint, während die Bestimmtheit
derselben in der Sphäre des Mecha-
nismus blos quantitativ ist. Wir
können dies auch so ausdrücken, daß
erst hier der Unterschied als sol-
cher hervortritt, und als die eini-geeigene93
Bestimmtheit der Materie sich
erweißt. Damit nun aber die Ma-
terie in der Weise des Unterschie-
des sey, dazu gehört vor allen
Dingen das Vorhandenseyn der
Identität, dasder94 SichselbstGleichheitgleichheit95,
gleichfalls als natürliche Existenz,
und dies ist die Grundbestimmung
des Lichts. Unterschied und Iden-
tität, dies sind ein paar Bestim-
mungen, welche schlechthin zusam-
mengehören, die eine derselben
hat ohne die andere gar keinen
Sinn und es ist gedankenlos, von
Unterschied zu sprechen, ohne
dabei zugleich das Bewußtseyn
der Identität zu haben. Nun
aber ist es ferner, wie früher
bemerkt wurde, das Eigenthüm-
liche der Natur, daß hier die
verschiedenen Formen der reinen,
[29v]der logischen Idee, in der Weise
selbstständiger Existenz auftreten
und so haben wir denn auch hier
die Materie immanenteinmal96 in der
Form der Identität, welche
das Licht ist, und 2tens in der
Form des Unterschiedes, welcher
dann die weitere Specification
der Materie giebt. Diese spezi-
fischen oder qualitativen Bestimmt-
heiten der Materie sind es, wel-
che man mit dem Namen der
Elemente zu bezeichnen pflegt.
Ohne auf das nähere Detail der
Bestimmungen einzugehen, welche
in dieser zweiten Sphäre der
Natur abzuhandeln sind, so bemer-
ke ich nur, daß die Bewegung97 durch die
verschiedenen Stufen dieser 2ten
Sphäre überhaupt den Sinn hat,
daß Identität und Unterschied,
welche einander zunächst abstrakt
gegenüberstehen, dergestalt in
Eins gebildet werden, daß die
Identität sich darstellt als unter-
schieden und der Unterschied als
[30r]Identität, womit denn zugleich der
wesentliche Charakter der 3ten
Sphäre, oder der organischen Na-
tur angegeben ist. Hier ist es
denn erst wo der freye Begriff,
der, wie von Haus aus bemerkt
wurde, die absolute Grundlage
der gesamten Natur ausmacht,
als solcher hervortritt. In der
ersten Sphäre, in der des Mecha-
nismus, ist der Begriff durchaus
noch ein Innerliches, UnmittelbaresUnentwikkeltes98
und so ist er die Schwere. Die ab-
strakte Materie als solche, wie
sie in der Mechanik betrachtet
wird, ist schwer und weiter nichts,
dies ist ihr Begriff. In der zwei-
ten Sphäre, in der, welche wir
die physikalische genannt haben, ent-
faltet denn der Begriff seine Un-
terschiede, und wir haben hier
überhaupt die Natur in der Form
der Differenz; so wie nun ei-
nerseits der Sinn und die Bedeu-
tung dieser 2ten Sphäre als ein
Setzen des Unterschiedes aufgefaßt
[30v]werden muß, so enthält diese selbe
2te Sphäre auch zugleich das Uber-
winden des Unterschiedes und die-
se gedoppelte Bewegung ist es,
welche im chemischen Prozeß zur
Erscheinung kommt. Der chemische
Prozeß ist die höchste Form der
physikalischen Natur und was darin
zu Stande kommt, das ist über-
haupt die Überwältigung aller
jener qualitativen Bestimmun-
gen der Naturkörper, in so
fern diese Bestimmungen zunächst
als ein Letztes und Bleibendes sich
darstellen. – Damit ist denn der
Grund zur organischen Natur
gelegt, welche in ihrer höchsten
Gestalt als innerlichesanimalischen99 Leben
erscheint. Diese dritte Sphäre
nun der Natur, nämlich die
organische Natur, ist als die
Einheit und Wahrheit der beiden
ersten aufzufassen, in ihr ist
das vereiniget, was an die-
sen beiden ersten Sphären
[31r]vertheilt ist, und wodurch sie den
Charakter der todten Natur er-
halten, im Gegensatz zur leben-
digen, nämlich der organischen Na-
tur. – Das Princip der Idealität
und Identität, welches uns an der
Spitze der physikalischen Natur,
als eine besondere Naturexistenz
in der Gestalt des Lichts begegnete,
recurrirt in der organischen Na-
tur, aber so, daß es nicht, wie
dies beim Sonnenlicht der Fall
ist, nur von außen an die dun-
kle Materie gelangt und diese
erhellt, sondern so, daß es als
Seele einen Leib durchdringt und
diesen gleichsam von innenher-
aus erhellt. Der Organismus stellt
sich bei näherer Betrachtung als
ein dreifacher dar, nämlich als
geologischer, als vegetabilischer
und als animalischer Organismus.
Erst der animalische Organismus
ist der wahrhafte, totale Or-
ganismus und das Leben ist, wie
früher bemerkt wurde, das
[31v]Höchste, wozu es die Natur bringt.
Über den an dieser Stelle sich er-
gebenden Fortgang von der
Natur zum Geist ist gleichfalls
bereits gesprochen worden; im le-
bendigen Organismus erhält der
Begriff, welcher das Centrum der
Natur bildet, seine selbststän-
dige Auslegung, wir die wir das
Leben betrachten, haben in ihm
die Anschauung des Begriffs, d. h.
wir haben hier eine Realität
vor uns, welche sich darstellt als
schlechthin von ihrem Begriff |: der
hier als Seele erscheint :| durchdrun-
gen; allein dies ist nur für uns
die wir als Geist der Natur
gegenüber oder vielmehr über
derselben stehen der Fall; das
Leben selbst aber begreift sich
nicht, oder es wird sich nicht selbst
gegenständlich als Ich, welches
eben der daseyende Begriff ist. Und
hierin besteht denn die Endlich-
keit des Lebens; Ich ist die-
ser Blitz des Geistes, vor wel-
[32r]chem die Natur nicht auszuhalten,
d. h. nicht als ein selbstständiges
zu bestehen vermag, und im Gei-
ste kehrt die in der Natur au-
ßer sich seiende Idee zu sich zurück.
So viel zur allgemeinen Orienti-
rung in den verschiedenen Ge-
bieten der Natur.
Nach diesem allgemeinen Blick
auf die Systematisirung der Na-
tur, wie solche sich vom Stand-
punkt des philosophischen Den-
kens aus darstellt, wenden wir
uns nunmehr dazu, das Licht und
das Verhältniß desselben zur Ma-
terie etwas näher zu betrachten.
Wir stehen hier an der Grenze
jener beiden ersten Sphären der
Natur, welche wir als Mecha-
nik und Physik bezeichnet haben.
Und so ergiebt sich denn auch, wie
bereits angedeutet wurde, ein
gedoppeltes Verhalten des Lichts, einmal ein
mechanisches und so-
mit wesentlich qualitativquantitativ100 be-
stimmbares und zweitens ein
[32v]physikalisches d. h. ein solches, wo
die qualitativequantitative101 Seite zurücktritt
und dagegen die qualitative Na-
tur des Lichts sich vorzugsweise
geltend macht, auf welchem zwei-
fachen Verhältniß denn der
Unterschied der Optik und der
Chromatik beruht. Es soll übri-
gens, indem auf diese Weise
die Chromatik von der Optik
getrennt wird, nicht gesagt wer-
den, als ob das Licht, außer-
dem daß es durch seine Bezie-
hung auf die ihr gegenüberstehen-
de dunkle Materie zur Farbe spe-
cificirt wird, nicht auch noch an-
dere physikalische Wirkungen
habe; das Licht spielt bekanntlich
seine Rolle in der Lehre von der
Wärme, von der Elektricität und
vom chemischen Prozeß; dies sind
indeß untergeordnete Beziehun-
gen in Vergleichung mit der
zur dunkeln Materie über-
haupt, worauf das Hervor-
treten der Farbe beruht und
diese sonstigen physikalischen
[33r]und dann auch weiterhin organi-
schen Wirkungen des Lichts, bilden
deshalb auch nicht den Gegenstand
einer besondern Lehre, sondern sie
werden gehörigen Orts in der Phy-
sik und in der Organik mit ab-
gehandelt. Hier ist es uns also
wesentlich um das Verhältniß des
Lichts zur Materie zu thun, wo-
bei denn auch die Frage zu erwä-
gen seyn wird, ob nicht das Licht
selbst als eine besondere Art
von Materie zu betrachten ist
und wie es sich überhaupt mit
der Materialität des Lichts ver-
hält. Um uns hierüber ins Kla-
re zu setzen, so haben wir uns
vor allen Dingen darüber zu
verständigen, welches überhaupt
die allgemeine Bestimmung der
Materie ist, oder mit andern
Worten, wir haben den Be-
griff der Materie festzustel-
len, denn die allgemeine Be-
stimmung eines Gegenstandes
ist sein Begriff. Nun aber
[33v]wissen wir102 bereits, daß wenn von Be-
ziehen[?]greifen103 im eigentlichen Sinn des
Worts die Rede ist, wir uns auf
dem philosophischen Gebiete be-
finden, d. h. auf einem Gebiete,
wo es sich um ein Erkennen han-
delt, welches sich nicht blos als
formelles Denken zu einem vor-
gefundenen Stoffe, sondern als
freies inhaltsvolles Denken, sich
zu sich selbst verhält. – Somit ha-
ben wir, um den Begriff der
Materie festzustellen, uns nicht
an die Vorstellung zu wenden,
um uns nach dieser zu orienti-
ren – dies ist die Weise des Wahr-nehmens[?]Ver-fahrens104 in den empirischen Wis-
senschaften – sondern an den
freien Gedanken und zwar näher
an den Gedanken in der Ge-
stalt wie er die Grundlage
der Naturphilosophie bildet, und
es wird sich uns dann, indem
wir die Fortbewegung des
Gedankens in dieser Gestalt
verfolgen, eine Bestimmung
[34r]desselben angeben, die dem ent-
spricht was die Erfahrung und die
darauf begründete Vorstellung
über die Materie aussagen. Nun
aber haben wir gesehen, wie denn
Natur überhaupt aufzufassen ist
als die Idee in ihrem Anders-als
was hier dasselbe sagen will,
in ihrem Außer sich seyn. – Die-
ses Außer sich seyn nun ganz ab-
strakt aufgefaßt hat die gedop-
pelte Gestalt des Raums und der
Zeit. Dies sind die beiden Grund-
kategorien der Natur, von denen
schlechthin alles +++Natürliche105 umfan-
gen ist. Dem entspricht denn auch
unsere gewöhnliche Vorstellung und
es frägt sich nur wo diese beiden
Kategorien herkommen und wel-
ches das Verhältniß derselben zu
einander ist. – Was nun zunächst
den Raum anbetrifft, so ist die-
ser, wie bereits neulich bemerkt
wurde, nichts weiter als das ruhige
vermittelungslose Auseinanderseyn
überhaupt. Der Raum ist als
[34v]dieses reine Auseinander das schlecht-
hin discrete; wo wir ein Hier
setzen, so weist dasselbe über sich
hinaus und ist ein sich selbst Äußer-
liches; es hat ein solches Hier kein
Oben und kein Unten, kein Rechts
und kein Links, denn dieses sind
selbst wieder verschiedene Hier.
Indem nun so der Raum dieses
in sich schlechthin Halt- und Be-
stimmungslose ist, so stellt er
sich zugleich dar als das durchaus
Continuirliche; es ist nichts, wodurch
die verschiedenen Hier, die ver-
schiedenen Raumpunkte von ein-
ander unterschieden wären. Wir
haben so in
einemam106 Raum zwey
ganz entgegengesetzte BewegungenBestimmungen107
die der vollkommenen Äußer-
lichkeit und Gleichgültigkeit ge-
gen einander – und eben so
die der vollkommenen Ein-
heit und Ungetrenntheit – oder
wie wir dies vorher ausdrück-
ten, der Raum ist das abstrakt
Discrete und eben so auch das
[35r]abstrakt Continuirliche. – Dies ist
der Begriff des Raums. – Dieser
Begriff des Raums nun in seiner
Bestimmtheit, giebt uns dasjenige
was man die Dimensionen und die
Figurationen des Raums nennt.
AuchAuf108 eine nähere Betrachtung dieser
Bestimmtheit des Raums, auchauf109 eine De-
duktion des Punktes, der Linie, der
Fläche u. s. f. können wir uns hier
nicht einlassen, und ich bemerke nur
so viel, daß wenn gesagt wird,
daß es im Begriff des Raums liegt,
sich zu bestimmen, damit zugleich
gesagt ist, daß in seinem Begriff
überhaupt das Moment der Nega-
tivität liegt. Bestimmen heißt
Negiren. Der Raum, so wie wir
ihn zunächst betrachtet haben, ge-
währt uns die Anschauung eines
ruhig Seyenden; damit ist aber
dersein110 Begriff nicht erschöpft, über-
all wo wir mit unserer Betrach-
tung des Raums verweilen, ist
es ein Hier, und es ist so eine
Unendlichkeit von Hier, dieses
[35v]schlechthin maaßlose Hinaus; nun aber
sind ferner, wie bereits bemerkt
wurde, die vielen Hier nur der
Meinung nach unterschieden, näher
betrachtet zeigt es sich aber, daß
das eine Hier, der Eine Raum-
punkt, durch Nichts vom andern
Raumpunkte getrennt, daß zwi-
schen ihnen keine Unräumlichkeit
ist, und so bleibt uns nur das
Hier überhaupt übrig, oder der
Punkt schlechthin. Dieses nun der
Punkt ist das vorher erwähnte Ne-
gative vonam111 Raum und zugleich ent-
hält er einen Widerspruch in sich,
und die Auflösung dieses Wider-
spruchs ist es, wodurch die Figura-
tionen des Raums zu Stande kom-
men. – Damit nun aber ist noch
immer das Moment der Negativi-
tät nicht zu seinem Recht ge-
kommen. Im und am Raum ge-
setzt ist die Negation nur in der
Weise eines gleichgültigen Be-
stehens vorhanden; sie erscheint
hier als das den Raum begränzende[.]
[36r]Dies ist nun überhaupt der Man-
gel des Raums; sein Gesetztseyn
|: und dies Gesetztseyn des Raums
ist in seinen Figurationen vor-
handen :| entspricht nicht dem was
eser112 an sich, d. h. seinem Begriffe
nach ist. Das was dem Raum fehlt,
die freie Bethätigung der Nega-
tivität als solcher, macht die Grund-
bestimmung der zweiten Form der
sinnlichen Anschauung, nämlich der
Zeit aus. – In unserer Vorstellung
sind wir zwar gewohnt, Raum
und Zeit als ein Paar zusammen-
gehörige Bestimmungen zu betrach-
ten, allein ohne daß wir zu ei-
nem näheren Bewußtseyn dar-
über gelangen was es mit die-
sem Zusammengehören für eine
Bewandniß hat. Dieser Zusam-
menhang kann nur auf die hier
angegebene spekulative Weise
aufgefaßt werden, und wir
haben hier ein Beispiel des in
der Philosophie statt findenden
immanenten Fortganges. – Die
[36v]Zeit ist also das Andere, das Nega-
tive des Raums und zwar nicht
nur so wie der Punkt, sondern
dieser als für sich seyend. Erst als
Zeit hat der Punkt Wirklichkeit,
so weit hier von Wirklichkeit
gesprochen werden kann. – Wir
können denn auch die Zeit das
In sich rendition="simple:underline">seyn nennen, in so fern
sie die Negation ist jenes lee-
ren Ergossenseyns, jenes Außer
sich seyns, welches der Raum ist.
Dieses In sich seyn der Zeit ist aber
noch nicht reines, freies In sich seyn,
wie das des Selbstbewußtseyns
des Geistes, sondern es ist noch
vollkommen sinnlich und unmittel-
bar. – Man nennt die Zeit das
Mächtigste und dies hat in so fern sei-
nen Sinn, als in ihr alles Natür-
liche vorgeht, während dagegen
im Raum alles sein ruhiges
Bestehen neben einander hat; al-
lein die Zeit ist auch zugleich
das {Gemächtigste}, sie ist das schlecht-
hin in sich Halt- und Rastlose.
[37r]Alles vergeht in ihr, aber vor al-
len Dingen vergeht sie selbst. – Die
Zeit ist überhaupt das abstrakte
Werden in der Natur, dieses rast-
lose Umschlagen aus Seyn in Nichts
und aus Nichts in Seyn, wir kön-
nen so von der Zeit sagen, sie sey
das was indem es ist nicht ist, und
indem es nicht ist, ist. – Dieser Wi-
derspruch ist das
Zieldie Zeit113 und wenn
man oft sagen hört, man kön-
ne sich den Widerspruch nicht den-
ken und dieser könne nicht exi-
stiren, so braucht man nur an
die Zeit zu denken und diese anzu-
schauen, um sich von der Grund-
losigkeit einer solchen Behaup-
tung zu überzeugen. – Eben so ist
es denn auch mit jener andern Be-
hauptung als ob das Abstrakte
nicht vorhanden, sondern blos
ein durch unser Denken Gesetztes
wäre. Wenn wir den Raum
und die Zeit betrachten, so ha-
ben wir hiemit die Anschauung
[37v]des Abstrakten als eines Vor-
handenen. Daß übrigens das Ab-
strakte als solches nicht ein Letz-
tes, nicht ein Wahrhaftes ist, dies
ist ganz richtig, und dies weiß, wenn
wir uns so ausdrücken wollen, die
Natur, oder die Idee als Natur,
selbst am allerbesten; wir brau-
chen uns deshalb nicht nach Concre-
tem umzusehen, sondern wir
haben nur zu betrachten wie
Raum und Zeit um ihrer abstrak-
ten Natur willen, sich selbst fort-
treiben zu concreten Gestaltungen. –
Die nächsten114 der Gestaltungen der
Natur nun, welche uns hier be-
gegnet, ist die Materie. – Diese
die Materie, pflegt das gemeine,
vorstellende Bewußtseyn zu be-
trachtentreffen115 als etwas schlechthin für
sich StehendesVorhandenes116, als ein abstrakt
Anderes des Gedankens über-
haupt. So viel ist richtig, daß
die gewöhnlichen117 Weisen118 von
der Materie zu sprechen, ge-
dankenloses119 Zeuggenug120 ist, dies
[38r]ist indeß nicht die Schuld der Materie,
sondern jener Physiker, die sich über
den Standpunkt der Sinnlichkeit und
des endlichen Verstandes nicht zu
erheben vermögen und danndenen121, weil
sie nicht mit dem spekulativen
Begriff an die Betrachtung der
Natur gehen, diese überhaupt, und
hier zunächst die Materie, als ein
Begriffloses erscheint. – Indem wir
auf die Materie zu sprechen kom-
men, so betreten wir hiemit das
Gebiet, welches dem gemeinen
Bewußtseyn als das der eigent-
lichen Realität zu gelten pflegt, Raum
und Zeit das sind noch solche Zwitter-
gestalten, bei denen es zweifel-
haft erscheint, wofür man sie
erklären soll, ob für etwas Vor-
handenes, Gegenständliches, oder für
etwas blos unserer Subjektivi-
tät Angehöriges. – Daß dies letz-
tere nicht der Fall ist, versteht sich
indeß nach allem bisher gesag-
ten von selbst; Raum und Zeit
sind, wie wir gesehen haben
[38v]die beiden ersten und um derent-des-122-
willen abstraktesten Formen der
Naturexistenz, weiter ist nun aber
auch schon vom Raum bemerklich
gemacht worden, daß diese Wei-
se seines Vorhanden
seynsVorhandenseyns123 seinem Be-
griff nicht entspricht und daß eser124
in so fern ein Unwahres genannt
werden muß. Diese Unwahrheit des
Raums haben wir daran erkannt,
daß das in seinem Begriff ent-
haltene negative Moment in ihm,
als Raum, nicht zu seinem Rechte
kommt und dies ist es was uns
den Fortgang zur Zeit gegeben
hat. – Von der Zeit gilt nun das-
selbe was vom Raum gesagt
wurde, daß nämlich die Weise
ihrer Existenz ihrem Begriff nicht
gemäß ist. Die Zeit soll, wie wir
gesehen haben, seyn das Verschwin-
den der in ihr enthaltenen Momen-
te, damit nun aber diese auf-
gehoben werden können, da-
zu gehört, daß sie in der
[39r]That zu einem Seyn kommen. In
der Zeit aber als solcher ist, wie
wir gesehen haben, kein Beharren,
kein gleichgültiges Außereinander,
welches aufgehoben werden könnte.
Die Zeit ist so dieses reine Ver-
zehren und gleichwohl hat sie nichts
zu verzehrendes. Etwas muß ent-
stehen, etwas muß vergehen, sonst
hat das Entstehen und Vergehen
keinen Sinn. Ein solches Etwas
ist nun aber zunächst nicht in der
Zeit enthalten, obschon es, wie
wir sehen, in ihrem Begriff liegt. –
Die Zeit sowohl als auch der Raum,
sind also in ihrer Realität, in ihrer
sinnlichen Existenz, nicht so gesetzt,
wie sie ihrem Begriff nach sind,
und beide sind somit etwas Unwah-
res. Die Wahrheit aber der Zeit
und des Raums, dh. die Weise der
natürlichen Existenz, in welcher das-
jenige gesetzt ist, welches der Be-
griff jener beiden enthält, ist
die Materie und die Bewegung.
[39v]Materie und Bewegung sind beide
Eines und dasselbe und ihr Unter-
schied ist nur der, daß in der Ma-
terie jene Einheit der Zeit und
des Raums auf räumliche, in der
Bewegung hingegen auf zeitliche
Weise gesetzt ist. Vergleichen wir
hier125 das was sich uns hier als phi-
losophisches Resultat ergeben hat,
nämlich dieses zeitlich-Räumliche
und dieses räumlich-Zeitliche, d. h.
die Materie und die Bewegung,
mit dem was in unserer gewöhnli-
chen Vorstellung über diese beiden
enthalten ist. Von der Materie
wird bekanntlich zunächst ausge-
sagt, daß sie ausgedehnt sey, eine
Bestimmung, welche denn auch so ge-
faßt wird, daß man von der
Materie sagt, sie sey zusammenge-
setzt, d. h. so beschaffen, daß sie
ein schlechthin sich Äußerliches sey.
Jedes Materielle, wie klein es auch
sey, kann wieder als ein Vieles
bestimmt werden. Diese der Ma-
[40r]terie schlechthin wesentliche Bestimmung
ist es nun, welche sich auf die Räum-
lichkeit derselben bezieht. Die Mate-
rie ist nun aber auch ferner undurch-
dringlich, Widerstand leistend, Anders
nicht in sich gewähren lassend, und
diese Bestimmung der Punktualität,
des126 Für sich seyns derselben, ist es, wel-
che der Materie von der Zeit zu-
kommt. – Diese127 beiden Bestimmungen
aber machen zunächst die Bestimmung
der Materie überhaupt aus. – Das
Zweite wasworin128 in129 derdie130 Einheit des Raums
und der Zeit erscheint, ist die Be-
wegung; was in der Materie auf
unmittelbare Weise, in der Weise
eines ruhigen Seyns vorhanden ist, das
ist in der Bewegung vorhanden
als Prozeß. Aus unserer Vorstel-
lung von der Bewegung wissen wir,
daß zur Bewegung ein Materiel-
les gehört, welches seinen Ort ver-
ändert; das sich bewegende ist in
einem Raume aber nur in so fern
es nicht in diesem Raum ist. Das
Materielle verliert dabei den Cha-
[40v]rakter der Räumlichkeit nicht, und
wir haben so in der Bewegung
die räumlich gesetzte Zeit und den
zeitlich gesetzten Raum, dasselbe
also was wir an der Materie
haben, nur so daß diese Einheit
das eine Mal als ruhend und das
andere Mal als werdend aufgefaßt
wird. Wir haben also jetzt Ma-
terie und Bewegung, diese beiden
Bestimmungen, welche, wie bekannt-
lich, den Gegenstand der Mechanik
ausmachen. Beide sind an sich das-
selbe, die Materie ist ihrem Be-
griff nach wesentlich bewegt, al-
lein so wie sie unmittelbar ist,
so enthält sie die Bewegung noch
nicht als etwas derselben Wesent-
liches, sondern vielmehr als von
außen an sie gelangend. Dies
ist die Gestalt, unter welcher
die Materie in der endlichen
Mechanik betrachtet wird. In
dieser endlichen Mechanik er-
scheinen Materie und Bewegung
[41r]nicht in ihrem wahrhaften Verhältniß
zu einander; die Materie gilt hier als
träg, d. h. als gleichgültig gegen die
Bewegung und gegen den Ort, - wo-
gegen denn die Bewegung und das
Bewegende, gleichfalls für sich festge-
halten und als von außen an die
Materie gelangend oder diesediesesdieser131 wesent-äußer-132
lich inhaerirende Kraft betrachtet wird.
Dies ist aber, wie gesagt, nicht das
wahrhafte Verhältniß, in welchem Ma-
terie und Bewegung zu einander ste-
hen; – dies wahrhafte Verhältniß
zeigt sich in jener zweiten Form der
Mechanik, welche in dem System der
Himmelskörper ihr Daseyn hat und
dies ist denn die unendliche oder
die freie Mechanik, in welcher Ma-
terie und Bewegung als schlechthin
irdisch[?]identisch133 erscheinen. – Das Nichtunter-
scheiden dieser beiden MaterienWeisen134 der
Mechanik hat zu viel Verwirrung
und zu schiefen Vorstellungen Ver-
anlassung gegeben, wobei ich nur
an jene bekannte newtonsche Hy-
pothese erinnern will, als ob die
[41v]um die Sonne sich bewegenden Him-
melskörper einen ursprünglichen Stoß
von außen erhalten hätten, der
in Verbindung mit der sogenann-
ten Kraft der Trägheit, und der
angeblich von der Sonne gegen sie
ausgeübten BeziehungAnziehung135, die Bewegung
derselben um die Sonne bewirke.
Ohne auf ein näheres Detail hierüber
einzugehen, verweilen wir noch136 etwas bei
Betrachtung der Materie als sol-
cher, um zu sehen, welche Gestalt
die als Momente in ihr enthaltenen
Bestimmungen des Raums und der
Zeit annehmen. – Hiedurch werden
wir denn auch zugleich in den Stand
gesetzt werden, die verschiedenen Wei-
sen derdie137 Materie zu erklären, d. h.
sie zu begreifen, mit Sicherheit zu
beurtheilen. Der Begriff der Mate-
rie hat sich uns ergeben aus der
Dialektik der Zeit; die Zeit ist, wie
wir sahen, dieses reine Werden
und als solches das schlechthin Halt-
lose, sich selbst Verzehrende. Hie-
mit haben wir nun aber nicht
[42r]das abstrakte Nichts überhaupt, sondern
die Zeit als negirt, zur Negation ih-
rer selbst geworden, d. h. zur Be-
stimmung der Räumlichkeit zurückge-
sunken. Diese räumliche Zeit aber
ist nun eben das was wir als Ma-
terie bezeichnet haben; wir könnten,
wenn wir uns bildlich ausdrücken woll-
ten sagen, die Materie sey die er-
starrte, die paralysierte Zeit. So
ist nun die Materie, wie die Zeit,
dieses Punktuelle, andersAnderes138 von sich
ausschließendeAusschließende139, allein nicht mehr als
Prozeß, als ein Werden, sondern
als aufgehobener Prozeß, als Ge-
wordenes und dies ist die Räum-
lichkeit der Materie. Diese erste
Gestalt nun der Materie ist das-
jenige was man die Repulsion
zu nennen pflegt, und man kann
sagen, daß die Repulsion das Raum-
erfüllende, und zugleich Raumrealisirende
sey. – Das eineandere140 Moment aber ist
dieses, daß die Vielen als welche
sich die Materie unter der Bestim-
mung des Repellirens darstellt, we-
sentlich auch Eins sind und dies ist
dann die Attraktion. Attraktion
[42v]und Repulsion sind ein Paar Bestim-
mungen, welche schlechthin zusammen-
gehören und wovon die Eine ohne die
andere für sich festgehalten keinen Sinn
hat. Näher verhält es sich damit so,
daß es die Repulsion, von welcher
zunächst die Rede war, selbst ist,
welche in Attraktion umschlägt; die
Repulsion haben wir erkannt als das
Setzen der Materie oder141 als ein Vieles,
als ein Außereinander. Diese Vielen
aber, sind ein jedes derselben an sich
Eins und als solches sind sie das
Aufheben, die Negation ihrer selbst
als Vieles und somit die Wieder-
herstellung des Eins, welches denn
eben die Attraktion ist. So wie
nun in der Repulsion das Einhüllen[?]Erfüllen142
des Raums vorhanden ist, so ist die
Attraktion die Erscheinung der Zeit
an der Materie. Diese beiden Mo-
mente aber zusammen machen die
Schwere aus, die, wie ich früher be-
merkt, die wesentliche Qualität der
Materie als Materie ist. Begriffen
wird die Schwere, indem sie als Ein-
heit jener beiden Momente aufgefaßt
wird, denn das heißt überhaupt
[43r]begreifen, etwas als Einheit entgegenge-
setzter Momente auffassen. – Thun wir
nun auch einen Blick auf die Art und
Weise wie die Materie heut zu Ta-
ge erklärt zu werden pflegt, so haben
wir an dem Angeführten einen Maas-
stab zur Beurtheilung dieser Erklärungsweise,
deren beide Hauptformen bereits frü-
her als die atomistische und dynami-
sche bezeichnet wurden. Nach der ato-
mistischen Ansicht ist, wie wir se-sa-143
hen, die Materie ein aus kleinsten
und somit nicht ferner theilbaren Theil-
chen bestehendes; das Zusammen-
seyn dieser Theilchen ist etwas ihrihnen144
Äußerliches, Gleichgültiges. Wir
haben in dieser atomistischen An-
sicht, bei Licht besehen, nichts anders
als das einseitige und damit ge-
dankenlose Festhalten des vor-
her betrachteten Moments der Re-
pulsion; die Materie erscheint
hiernach überhaupt als ein Vieles.
Wo dieses Viele herkommt, dar-
über wird auf diesem Stand-
punkte weiter keine Rechen-
schaft gegeben; und eben weil
[43v]es nicht nach seiner Herkunft betrach-
tet wird, so bleibt das
+++der Atomistiker145 auch
dabei stehen, dasselbe als ein letz-
tes gelten zu lassen, so daß alle
Naturgestaltungen, der unorga-
nischen sowohl als der organischen
Natur, nur als äußerliche Ver-
bindungen selbstständiger Theile
betrachtet werden; eine Betrach-
tungsweise mit der man sich
denn überhaupt den Weg zu ei-
nem jeden tieferen Eindringen in
die Natur erspartversperrt146. – Die zweite
Weise die Materie zu erklären,
oder wie man dies in unserer Zeit
genannt hat, zu construiren ist die
dynamische. Diese verdankt, wie
dies früher bemerklich gemacht wur-
de, Kant ihren Ursprung, und
es muß diese Weise die Materie
aufzufassen ohne Frage als eine
höhere betrachtet werden als die
atomistische. Dies ist um deswillen
der Fall, weil hier wenigstens
der Anfang zu einem Begreifen
der Materie gemacht ist, d. h.
zu einem Auffassen derselben
[44r]als ideeller Einheit zweier entgegen-
gesetzten Momente. – Durch diese dy-
namische Betrachtungsweise, wie
wenig auch Kant selbst dieselbe auf
ihren letzten Grund, nämlich die Idee
der Natur überhaupt, zurückgeführt
hat, da er dabei stehen bleibt, At-
traktion und Repulsion als ein Paar
gegebene und nicht weiter abzuleiten-
de Kräfte aufzunehmen, ist nurimmer147
dies geleistet, daß die Materie hier-
nach sich darstellt als den Keim
der Lebendigkeit in sich selbst ent-
haltend, und es ist nur darum zu
thun, die Vorstellung von der Selbst-
ständigkeit und dem für sich vor-
handen seyn zweier solcher Kräfte
wie Repulsion und Attraktion
zu überwinden, welche Aufgabe
zu lösen denn eben das weitere
Geschäft der spekulativen Natur-
betrachtung war.
Wir haben also jetzt die Mate-
rie als schwer, und ist nunmehr
kürzlich noch der Fortgang die-
ser wesentlich schweren Materie
zum schlechthin Leichten nämlich
[44v]zum Licht zu betrachten. Es wur-
de bereits bemerkt, daß die Ma-
terie und das Verhältniß der-
selben zur Bewegung den Gegen-
stand der Mechanik ausmacht und
daß dies Verhältniß von gedop-
pelter Art ist. – Einmal nämlich
wird die Materie betrachtet als
gleichgültig gegen die Bewegung
und dies äußerliche Verhältniß der
Materie zur Bewegung, ist es, wel-
ches den Gegenstand der endlichen oder
der gemeinen Mechanik ausmacht –
Zweitens aber erscheint die Mate-
rie als mit der Bewegung schlecht-
hin identisch, so nämlich, daß die
Bewegung der Materie immanent
ist, und dies ist denn der Gegen-
stand der freien oder unendlichen
Mechanik, welche, wie gleichfalls
schon bemerkt wurde, ihr Daseyn
im System der himmlischen Kör-
per hat. – Von der Materie
überhaupt nun haben wir ge-
sehen, daß sie nichts anders
ist als die Einheit jener beiden
Bestimmungen, welche wir
als Repulsion und Attraktion
[45r]bezeichnet haben; diese Einheit ist nun
zunächst ein Seyendes; und hierin
liegt die Einseitigkeit der Materie
in ihrer Trennung von der Bewe-
gung. Attraktion und Repulsion
sind nämlich nicht nur identisch son-
dern sie sind auch unterschieden
und dieser ihr Unterschied ist es,
der in der Materie als seyendesseyender148,
ruhig beharrender Einheit der At-
traktion und Repulsion nicht zu
seinem Recht kommt. – Somit wis-
sen wir denn auch die bewegungs-
lose Materie, in derselben Art
wie dies früher rücksichtlich des
Raums und der Zeit geschehen,
etwas Unwahres, d. h. ihrem Be-
griff nicht gemäßes nennen. Die
Materie nun so wie sie in der
endlichen Mechanik betrachtet wird,
erscheint als eine zufällige Viel-
heit gesonderter Massen; eine
jede dieser Massen ist ein aus-
gedehntes und ein aus Theilen
zusammengesetztes Vieles, eben
so ist sie aber auch ein Wider-
stand leistendes, diese vie-
len Theile durch ein gemeinsames
[45v]Band zur Einheit zusammenfassendesZusammenfassendes149
und Attraktion und Repulsion er-
scheinen hier, wie gesagt, als zur
ruhigen Einheit reducirt. – Das Fer-
nere ist nun das Freywerden der
Bewegung in der Materie und dies
zeigt sich uns zuerst in dem bekann-
ten Phänomen des Falls. – Dieser,
der Fall, bildet den Übergang
von der gemeinen, der endlichen,
zur freyen Mechanik; die Be-
wegung des Falls hat zu ihrem
Ausgangspunkt eine dem fal-
lenden Körper von außen her
mitgetheilte Bewegung, diejenige
nämlich, durch welche er von dem
Körper, auf welchem er zunächst
ruhte, getrennt worden ist, so-
dann aber, wenn er in diesem
Getrenntseyn sich selbst überlassen,
d. h. in seinem Schwerpunkt nicht
unterstützt wird, beginnt eine
Bewegung, welche nicht mehr
äußerlicher Art, sondern dem
Körper selbst immanent ist. Was
im Fall zur Erscheinung kommt,
das ist das Freywerden des
[46r]einen der beiden Momente, deren
Einheit die Materie ist, nämlich der
Attraktion; hier beginnt also
die Schwere, der Begriff der Ma-
terie, sich thätig zu erweisen,
allein zunächst nur auf diese ein-
seitige Weise und eben um des-
willen ist dies eine Thätigkeit, wel-
che demnächst auch wieder in Ruhe
übergeht. Zu einer bleibenden
Bethätigung des Begriffs der Ma-
terie oder der Schwere, kommt
er erst da wo auch das andere der
in ihr enthaltenen Momente näm-
lich derdie150 Repulsion frey hervor-
tritt und dies ist der Fall im
System der himmlischen Körper.
Ich sage im System der himm-
lischen Körper – denn nur als
System erhalten diese ein Ver-
nunftinteresse; die bloße Men-
ge der im gemeinen Sinn ins Un-
endliche hinaus gestreutenzerstreuten151 Gestir-
ne ist nichts Vernünftiges. – Die
zahllosen KörperFixsterne152 in ihrer trägen
Ruhe, sind um nichts vortreff-
licher als die zahllosen Sand-
[46v]körner am Meere und die eben so
zahllosen Wassertropfen im Mee-
re. Es wurde früher erwähnt,
daß das Verhältniß der Attrak-
tion und Repulsion zu einander dies
ist, daß eine jede dieser beiden
Bestimmungen, für sich festgehalten,
in ihr Anders umschlägt; dies zeigt
sich nun auch bei dem wovon hier
zunächst die Rede ist; zuletzt sehen
wir die einseitige Bethätigung der
Attraktion; diese, indem sie sich
vollbringt, schlägt um in ihr An-
ders, d. h. sie wird aus einem
Setzen des Einen zum Setzen des
Vielen, zur Repulsion und dies
gesetzte Viele ist denn eben die
Menge der Gestirne. Diese als
Menge haben, wie ich vorher be-
merkte, für uns kein Interesse,
allein hier unter den Gestirnen
ist es zugleich, wo uns die voll-
ständige Realisirung des Begriffs
der abstrakten und als solcher
wie wir wissen, wesentlich
schweren Materie begegnet[.]
[47r]Diese Realisirung des Begriffs der Mate-
rie besteht, wie wir gesehen haben,
darin, daß Materie und Bewegung
sich als identisch darstellen und dies
ist der Fall im Sonnensystem. Dies
ist nicht blos ein vernunftlosesvernunftloser153 Hau-
fen, sondern eine vernünftige
Totalität, ein System selbststän-
diger von einander getrennter
und zugleich wesentlich auf einan-
der bezogener Körper, welche
in einem durch den Begriff be-
stimmten Verhältniß der Bewe-
gung zu einander stehen. – Ich sag-
te so eben hier hatten wir es
mit selbstständigen Körpern zu
thun. Früher, ehe wir auf den
Fall zu sprechen kamen, war die
Rede {vom} materiellen WissenMassen154.
Solche Massen nannten wir aus-
gedehnt und ein Vieles in sich
zugleich aber auch durch ein Band
der Einheit zusammengehalten.
Das Streben nach dieser Einheit
zeigte sich uns im Fall, als
diesem Beginnen einer freyen
Bethätigung der Schwere. – Die
[47v]Schwere indeß, so wie wir sie hier
haben, kommt nicht zu ihrer wahr-
haften Realisirung und es bleibt
bei einem bloßen Sollen. Die ein-
zelnen materiellen Theile streben
nach einem gemeinschaftlichen Mit-
telpunkt als ihrer Einheit, diese
Einheit aber, das Centrum, kommt
bei diesem bloßen Streben nicht
zum Daseyn, sondern bleibt ver-
borgen, verschlossen in der Mitte.
Wenn dem nun so ist, so muß
mit Recht gefragt werden, wie
kommen denn diese Massen da-
zu, nunmehr als selbstständige
Himmelskörper zu erscheinen
und von ihrem Streben nach der
Einheit abzulassen. – Die Ant-
wort auf diese Frage ist in
dem was früher gesagt wurde,
enthalten; die Attraktion näm-
lich, deren Erscheinung, jenes Stre-
ben zur Einheit ist, erscheint als
realisirt in den Fixsternen und
ein solches nicht mehr nur seyn
sollendes sondern vorhandenes
und +wirkliches155 Centrum ist die Sonne,
[48r]dieser Mittelpunkt des nach ihr be-
nannten Systems von Himmelskör-
pern. Selbstständige freischweben-
de Körper sind diese um deswil-
len, weil ihr Centrum, ihre Ein-
heit nicht mehr ein bloßes Sollen
ein Erstrebtes sondern ein Errichte-Erreichtes156
tes157 und Gegenständliches ist158. Eben so
sind denn aber auch diese Himmels-
körper nicht eine unbändige Men-
ge, vielmehr bilden sie eine ge-
schlossene Totalität und ihre Be-
wegung ist eine durchaus gesetz-
liche und durch den Begriff der
Bewegung bestimmte um ihre
Centralkörper. Diese durch den
Begriff bestimmte Bewegung der
Himmelskörper ist es, um5 welche,
wie ich früher bemerkte, den Ge-
genstand der freyen Mechanik
ausmacht. Hier kann von keiner
Kraft der Trägheit, von einem
ursprünglichen Stoß und dergleichen
endlichen Bestimmungen weiter die
Rede seyn; die das Sonnensystem
bildenden Himmelkörper sind nichts
weniger als freyträg159, und als gleich-
gültig gegen Ruhe und Bewegung[.]
[48v]Was nun den näheren Inhalt die-
ser freyen Mechanik anbetrifft,
so können wir auf dessen Be-
trachtung uns hier eben so wenig
einlassen, als auf den der end-
lichen Mechanik.
Mit der bisher angeführten mecha-
nischen Bestimmtheit, welche als freie,
den Körpern immanente Bewegung
sich darstellt, ist die Natur des
Sonnensystems noch nicht erschöpft.
Die bisher betrachteten Bestimmun-
gen der Himmelskörper sind nur
erst äußerliche160, mechanische161 und
noch nicht physikalisch. Bisher war
nur von der Materie als allge-
meiner Materie überhaupt die Re-
de. Diese nun die allgemeine Ma-
terie ist, wie öfter bemerkt wur-
de, nichts anders als das Schwere,
indem der Begriff des Schweren
jetzt gesetzt, entwickelt ist, so
ist hiemit auch die Materie selbst
entwickelt und bestimmt. – Die
Schwere schließt sich jetzt auf; sie
ist noch
seltenals solche,162 das Dumpfe, Ver-
schlossene, Dunkle. – Im Sonnensystem
[49r]als der explicirten Schwere, sind nun
auch die ersten qualitativen Bestim-
mungen der Materie zu suchen, und
diese nächsten qualitativen Speci-
ficationen der allgemeinen Materie
entsprechen den mechanischen Bestim-
mungen der das System der freyen
Bewegung bildenden Himmelskörper.
Wir haben es hier nur mit dem
ersten Kapitel der physikalischen
Natur nämlich mit der Lehre vom Licht
und dessen Beziehung auf das ihm
gegenüberstehende Dunkel zu thun
und wir begnügen unduns163 deshalb
damit, den begriffsmäßigen
Fortgang von der Materie so
wie wir sie bisher betrachtet
haben, zum Licht zu erwägen,
ohne auf die sonstigen Specifi-
kationen der Materie Rück-
sicht zu nehmen. – Wir nannten
die Materie bisher schwer, nun
aber hat sich uns im System der
Himmelskörper gerade die der
Schwere entgegengesetzte Bestim-
mung, die der Leichtigkeit hervorgethan.
[49v]Die Körper in so fern sie schwer
sind, gravitiren gegen ein Centrum.
Dies haben wir zunächst beim Fall
gesehen; anders als mit dem fal-
lenden Körper verhält es [sich] mit den
um ihren Mittelpunkt sich hin[?]herum164 bewe-
genden Körpern. Diesen ist ihr
Centrum in der Sonne objektiv
und dies ist der Grund, weshalb
sie nicht zusammenstürzen. Hier
ist nun aber auch der Punkt, wo
die physikalische Beschaffenheit der
Sonne zur Sprache kömmt. Nach
ihrer physikalischen Seite aber, d. h.
nach der frühern Erklärung, nach
der Seite ihrer qualitativen Be-
stimmtheit, ist die Sonne der
Lichtkörper, oder das Licht so wie
es als freie Qualität für sich exi-
stirt. Das Licht ist es also, wel-
ches wir in der Sphäre der sich
specificirenden Natur zuerst be-
grüßen, und wir können, mit
Beziehung auf das was früher
über die Materie bemerkt wur-
de, vom Lichte zunächst sagen[,]
[50r]es sey die sich aufthuende und als
daseyend manifestirende Materie,
die reine Manifestation überhaupt,
die überwundene und wiederlegte
Schwere, somit das schlechthin Leichte
und Leuchtende. Dies ist die einfa-
che Begriffsbestimmung des Lichts und
wenn man diese gefaßt hat, so
hat man es im Grunde hiemit
begriffen. Das Weitere ist denn
nur, daß man die Folgen165 ableitet,
welche in der angegebenen Begriffs-
bestimmung enthalten istsind166, und dann
damit dasjenige vergleicht, was
uns die Erfahrung über die Na-
tur des Lichts lehrt. Wir müssen
hier, wie überall, bei der phil.
Betrachtung der Natur, zweierlei
unterscheiden, nämlich einmal das-
jenige was sich aus dem Begriff
als solchem ergiebt und dann zwei-
tens die Art und Weise, wie
eine solche als nothwendig erkann-
te Begriffsbestimmung in der
Natur vorhanden und sinnlich wahr-
nehmbar ist. – Jenes Erstere ist für
[50v]sich, a priori, wie man zu sagen
pflegt und dies ist das eigentlich
philosophische. Sache der empirischen
Naturwissenschaft ist es denn, das
vorgefundene Material, durch das
früher bemerklich gemachte Verfah-
ren, so zu bearbeiten und zur
Form der Allgemeinheit zu erhe-
ben, daß dasselbe als ein Da-
seyn des Gedankens zu erkennen
ist. – Dies betrifft also überhaupt
das Verhalten der spekulativen
zur empirischen Naturbetrachtung,
an welches ich, um uns auf dem
Standpunkt, auf welchem wir
uns gegenwärtig befinden, genau
zu orientiren, ausdrücklich wieder
erinnern wollte. |: Erinnerung an
die Materie, – spekulativ und em-
pirisch :|167. – Rückkehr auf unsern
Gegenstand[,] das Licht :|. Der Begriff
des Lichts steht a priori fest; d. h.
aus der freyen gedankenmäßi-
gen Betrachtung der Materie
und der Bewegung ergiebt es sich,
daß es eine solche Naturexistenz
geben müsse, welche sich gerade
[51r]als das Engegengesetzte dessen als
wiewas168 wir die Materie zunächst er-
kannt haben, darstellt, nämlich als
ein Nichtwiderstandleistendes u nicht theil-
bares, oder mit andern Worten
als das schlechthin Leichte. – Die wei-
tere Frage ist denn nur, welche der
durch die EntstehungErfahrung169 uns bekannten
Naturexistenzen hat den so eben
angegebenen Charakter, und diese
Frage wurde dahin beantwortet,
daß das Licht, jenes Andere der schwe-
ren Materie, nämlich das schlecht-
hin Leichte sey. Sollte es sich empi-
rischer Weise ergeben, daß das
Licht sich der angegebenen Begriffs-
bestimmung nicht gemäß verhält,
so hätten wir uns in der Wahl
unseres Gegenstandes geirrt – jenes
apriorische Resultat aber bliebe des-
halb dennoch und wäre dadurch noch
keinesweges widerlegt. – Nun aber
ist allerdings das Licht überhaupt und
zwar zunächst das Sonnenlicht, auch
erfahrungsmäßig durchaus demjenigen
entsprechend was sich uns als spe-
kulatives Resultat der mecha-
nisch bestimmten Natur überhaupt
[51v]ergeben hat, wie dies demnächst
durch eine kurze Vergleichung der
empirischen Resultate über die
Natur des Lichts mit dem was
aus dessen Begriff folgt, nachge-
wiesen werden soll. Vorerst ver-
weilen wir noch etwas bei der
Begriffsbestimmung des Lichts, rück-
sichtlich des Verhältnisses desselben
zur Materie und der Stellung des-
selben zur Natur überhaupt. –
Die Materie haben wir zuletzt be-
trachtet wie sie im System der
himmlischen Körper vorhanden
ist, d. h. explicirt zu einem System
der freyen Bewegung. Materie und
Bewegung sind hier also schlechthin
identisch und wir haben es nicht
mit jenen für sich bewegungslosen
Massen zu thun, welche in der end-
lichen Mechanik als von außen
bewegt betrachtet werden. Indem
nun so die Materie sich darstellt in
der Weise selbstständiger, freyer
Himmelskörper, so ist sie dies nur
dadurch, daß sie, die solchergestalt
realisirt ist, zugleich als nicht ge-
trennt, als idelle Einheit vorhan-
[52r]den ist, und diese ihre vorhandene
Einheit ist nun gerade das was wir
als die Sonne erkannt haben. Die-
se aber die Sonne, als das vorhan-
dene Centrum, kann nicht nur ma-
terielle Masse, eine Anhäufung von
Lichtatomen170 oder Lichtmolekulen seyn, son-
dern sie muß vielmehr das Gegen-
theil davon seyn, d. h. das mit sich
schlechthin Einige und Identische oder
wie wir uns auch ausdrücken könn-
ten, die existirende Idealität, zu
jener Realität, als welche sich die
in der Weise selbstständiger Him-
melskörper existirende Materie
zunächst darstellt. – Es darf uns
nicht befremden, hier auf einmal
von der Idealität und zwar als
einem Existirenden sprechen zu hören,
wenn wir uns dessen erinnern
was von Haus aus über die Na-
tur gesagt wurde, daß sie die
Idee sey in der Weise des Anders-
seyns. Die Natur ist also nicht blos
ein Anderes des Gedankens überhaupt
inein171 einem172 im173 gemeinen Sinne des Worts
Reelles, sondern sie enthält
[52v]dieden174 Gedanken, die Ideen, in sich und
der Prozeß der Natur ist, wie früher
erwähnt wurde der, den an sich in
ihr vorhandenen Begriff zum Für sich
seyn zu bringen. – Wenn von der
Natur die Rede ist, so darf man es
also nicht vergessen, daß man es hier
auch mit dem Gedanken und zwar
als Existirendem zu thun hat. Nun
aber ist in der ersten Sphäre der
Natur, der Gedanke als solcher noch
nicht zur Erscheinung gekommen, wir
haben zwar derdie175 Materie gedacht und
es in so fern mit dem Gedanken
zu tun gehabt; damit ist es indeß
nicht abgethan; der Gedanke muß,
wie gesagt, auch als solcher und zwar
zunächst in seiner ganz abstrakten
Gestalt, als das schlechthin mit sich
Identische zur Erscheinung kom-
men und dies ist der Fall mit
dem Licht. Im Licht ist das Cen-
trum der Natur, in ganz abstrak-
ter Gestalt herausgeboren, wer
es nicht glauben will, daß die Na-
tur den Gedanken in sich enthält,
dem könnte man sagen, thue
die Augen auf und schaue das
[53r]Licht an, so siehst du den Gedanken.
Die Natur des Lichts ist übrigens
von der Art, daß es derdem176 Verstand
|: und dieser ist es eigentlich, der
sich dagegen sperrt, wenn er hört,
daß der Gedanke in der Natur ge-
genwärtig ist :| nicht unbegreiflich
seyn sollte; – denn der Verstand
hat am Licht das was sein Prin-
zip ist, nämlich die abstrakte Idea-
lität als ein äußerlich Vorhandenes;
allein es geht dem Verstande immer
so, daß er das was er selbst ist,
am wenigsten begreift. Wenn
übrigens früher die Sonne als der
Lichtkörper κατ' ἐξοχην, das abstrak-
te Ich der Natur genannt wurde,
so braucht wohl kaum erinnert
zu werden, daß dieser Ausdruck
nicht etwa dahin gemißdeutet
werden darf, als solle hiemit die
Natur als selbstbewußt ausgespro-
chen werden; indem das Licht als
das abstrakte Ich der Natur be-
zeichnet wurde, so ist damit zu-
gleich gesagt, daß dasselbe nicht
ein wahrhaftes Ich und daß
[53v]die Natur im Lichte nicht ihrer
selbst bewußt ist, in177 denn das wahr-
hafte Ich, der existirende Begriff,
ist concret in sich und dies ist das
Licht nicht; so wie es existirt,
um.
Um178
concret zu seyn, müßte es den
Unterschied in sich enthalten; die-
ser fällt |: eben so wie dies beim
Verstande der Fall ist :| außerhalb
des Lichts und steht der Sonne, als
dem Lichtkörper, in den übrigen
zum Sonnensystem gehörigen Him-
melskörpern gegenüber. Die Sonne
ist im System der Himmelskörper
das einseitg Subjektive und die übri-
gen Himmelskörper, Planeten, Co-
meten und Trabanten stellen
denn die Seite der Objektivität
dar. Es ist gedankenlos, wenn man
sich vorstellt, diese Himmelskörper
könnten auch seyn, wenn die Sonne
nicht wäre und umgekehrt die
Sonne ohne die sich um sie herumbe-
wegenden Himmelskörper. – Sonne,
Planeten, Trabanten und Come-
ten sind durchaus nur Glieder
[54r]einer Totalität und keines dieser
Glieder vermag ohne das andere zu
bestehen, wie dies früher, da vom
Charakter der Natur überhaupt ge-
sprochen wurde, bereits beispielswei-
se bemerklich gemacht worden ist.
Das bisherige +++betraf179 den Begriff des
Lichts überhaupt und den dialekti-
schen Fortgang von der Materie
zum Licht. Man kann füglich sa-
gen, daß für einen jeden der
das Licht nicht begriffen hat, dem
die gedankenmäßige Anschauung
dieses ersten natürlich Wirklichen
nicht aufgegangen ist, die Natur
ein unauflösliches Räthsel bleiben
muß und daß ein solcher im ei-
gentlichsten Sinne des Worts im
Dunkeln herumtappt. Dasselbe
was wir hier in ganz abstrak-
ter Gestalt haben, recurrirt spä-
ter unter concretenconcretern180 Gestalten.
Feuer, Wärme, Klang, Electri-
cität, Crystallisation, galvani-
scher und thermischerchemischer181 Prozeß, und
endlich organisches Leben, dies
alles sind Naturgestaltungen,
[54v]zu deren Erklärung, d. h. zu deren
Erfassung durch das begreifende Den-
ken, die bloße Atomistik schlechthin nicht
ausreicht. Man muß durchaus erst
jenen Aberglauben an die Materie
als ein absolut Anderes des Gedankens
|: und dies ist sie als ein atomistisch
Vieles :| überwunden haben, ehe man
zu einer freyen, d. h. gedankenmäßi-
gen Betrachtung der Natur gelangen
kann. Daß aber der Gedanke in der
Natur vorhanden ist, dies zeigt sich,
wie gesagt, auf ganz abstrakte Wei-
se, im Lichte, und zwar zunächst
am Sonnenlichte. Übrigens bestätigt
es sich auch hier, daß man, um Ge-
danken zu finden, Gedanken mit-
bringen muß; mit einem bloßen
Anstieren des Lichts und eben so
auch mit einem bloßen Daran
herum-Experimentiren-und Hypothe-
tisiren ist die Sache nicht abgethan.
Das Letztere, die empirische, durch
Experimente unterstützte Betrach-
tung des Lichts ist, wie bereits
[55r]bemerkt wurde, allerdings auch noth-
wendig, und die Philosophie ist gegen
das, was von dieser Seite geleistet
wird, nicht undankbar, noch kann
sie dessen entbehren.
Vergleichen wir jetzt noch kürzlich
die empirisch anerkannte Beschaffen-
heit des Lichts mit dem was sich
aus dessen Begriff ergiebt, so be-
gegnet uns hier zunächst jene allge-
meine Eigenschaft des Lichts, wel-
che als Imponderabilität bezeichnet
zu werden pflegt. Die Physiker
haben es sich sauer genug werden
lassen182 und an Veranstaltungen
es nicht fehlen lassen, um aus-
zumachen, ob das Licht bewegbarwägbar183
sey oder nicht; alle Erfahrungen
stimmen darin überein, daß das
letztere der Fall sey, und man kann
nachdem die Empirie hier redlich das
Ihrige gethan, die Akten rücksichtlich
der Ponderabilität des Lichts mit
Fug und Recht für geschlossen
erklären. Dabei bleiben indeß
[55v]unsere Physiker nicht stehen; als Me-
taphysiker sagen sie: daß das Licht
bis jetzt nicht als bewegbarwägbar184 befunden
worden ist, und vielleicht auch nie
befunden werden wird, müssen wir
zugeben, – damit ist indeß nicht aus-
gemacht, daß es überhaupt nicht schwer
sey, vielmehr ist im Gegentheil zu
vermuthen, daß es dennoch einiger-
maaßen, obschon sehr wenig, schwer
seyn wird, da es ein Materielles
und eine Materie überhaupt be-
kanntermaaßen schwer ist. – Hier
sehen wir die Physiker in jenem
Fall, welchem sich nicht aus[zu]setzen
ihr verehrter Heros, Newton, sie
so dringend ermahnt, wenn er sagt:
„Physik hüte dich vor der Metaphysik.“
Daß dies überhaupt nicht geht, und
daß der Mensch das Denken nun ein-
mal nicht lassen kann, wurde schon
öfter erwähnt, und wir müssen
deshalb jene newtonsche War-
nung dahin modificiren, daß wir
[56r]den Physikern zurufen: hütet euch
vor der schlechten Metaphysik. Daß
dies diejenigen Physiker nicht gethan
haben, welche auf eine seichte Ana-
logie gestützt, von der Meinung nicht
loskommen können, mit dem Lichte
müsse es sich durchaus eben so verhalten
als mit jenen materiellen Massen,
welche in der endlichen Mechanik zur
Betrachtung kommen, dies hat sich
aus dem was früher über die Dia-
lektik der Materie gesagt wurde,
deutlich genug ergeben.
Ein zweites empirisches Resultat
über die Natur des Lichts ist dieses,
daß es nicht sperrbar ist. Dies ist
nun gleichfalls eine Bestimmung, welches
der Annahme, daß das Licht eine bloße
Anhäufung kleinster Theile sey, durch-
aus wiederspricht. Die Materie als
solche, in ihren verschiedenen Aggre-
gatzuständen, als starr, als tropf-
bar-, und als elastisch flüssig, ist
bekanntlich von der Art, daß
man sie theilen und die einzelnen
[56v]Theile als getrennt von dem Ganzen
darstellen kann, welches Thun bei
den elastischen Flüssigkeiten die
rücksichtlich ihrer sonstigen Beschaffen-
heit dem Lichte am nächsten stehen,
vorzugsweise sperren genannt zu
werden pflegt. AufAuch185 diese Eigen-
schaft des Lichts, ohne186 un187sperrbar
zu seyn, steht fest und ist allge-
mein anerkannt, und es bedarf
bekanntlich keiner großen Anstal-
ten, um sich zu überzeugen, daß
es sich in der gedachten Art ver-
hält. Diese Nichtsperrbarkeit des
Lichts widerspricht nun gleichfalls
der Materialität desselben, d. h.
wenn wir uns paradox ausdrücken
wollen, jener materiellen Ma-
terialität, wonach alles natür-
lich Existirende ein Zusammenge-
setztes seyn soll. Das nichtsperr-
bare Licht, das schlechthin Leichte,
erweist sich vielmehr, auch als
das schlechthin Einfache, mit sich
[57r]Identische und durchaus Continuirliche und
dies ist es ja, was sich uns bereits aus
dem Begriff des Lichts ergeben hat,
und nur, indem dieser der Begriff
des Lichts festgehalten wird, läßt
es sich begreifen, warum es nicht sperr-
bar ist und daß dem so seyn muß*.2
Indem nun so das Licht als dieses schlecht-
hin mit sich Identische ohne alle Be-
stimmtheit in sich oder wie wir jetzt
ferner sagen können, als diese reine
|: d. h. hier so viel als abstrakte :|
Form, so folgt daraus, daß, wenn
es beim Licht zu einem Inhalt, d. h. zu
einer Bestimmtheit kommen soll, solche
Bestimmtheit nur von außen her, durch
das was Nichtlicht ist, somit durch die
Materie, welche als solche das Finstere
ist, an das Licht gelangen kann.
[57v]Dieser Umstand nun, daß das Licht
seine Bestimmungen durchaus von au-
ßen erhält, ist es welcher uns hier vor-
nämlich interessirt, und um den es
{es} sich bei der goetheschen Farbenlehre
in ihrem Gegensatz zur newtonschen
handelt. Wenn von Finsterniß gespro-
chen wird, scheint dies zunächst nur
eine einfache Negation des Lichts zu
seyn und man sieht dann nicht
ein, wie das Licht durch die Finster-
niß bestimmt werden soll.*3 Die ab-
strakte Finsterniß als solche ver-
schwindet allerdings vor dem Lichte,
allein von solcher abstrakten Fin-
sterniß ist hier so wenig mehr die
Rede als von der abstrakten Ma-
terie; diese als solche ist wider-
legt durch das Licht als die immate-
rielle Materie; nun aber ist das
Licht, diese reine Manifestation, nur
in so fern ein zu Manifestirendes
[58r]vorhanden ist und ein solches ist die
specificirte Materie. Das Andere des
Lichts, das Finstere ist also außer
demselben, das Licht als solches ist
es nicht, welches sich in sich selbst be-
stimmt, finster zu seyn, sondern
es ist das schlechthin Ungetrübte.
Erst im Individuellen und dann im
Subjektiven ist die Bestimmtheit, das
sich-selbst-dirimiren, als immanent vor-
handen. Hier auf diesem Standpunkt
ist es aber nur die Idee, welche sich
auf diese Weise dirimirt. Wenn Herr
von Berger in seinen Grundzügen zur
Wissenschaft |: 2ter Theil :| da wo er
die newtonsche Farbenlehre, sich auf
seinen Freund Pfaff berufend, gegen
Goethe in Schutz nimmt, unter an-
derm sagt: „und da bemerken wir
denn zunächst, daß in dem Gedanken
einer ursprünglichen Duplicität
des |: wohlzumerken :| physischen und ma-
teriellen Lichts, – denn von dem innern
und geistigen des Gedankens soll doch
wohl nicht die Rede seyn – so wenig
etwas Ungereimtes liegt, daß
[58v]vielmehr derdie189 durchgreifende AnlAnalogie190
dafür spricht“ – so ist darauf nur zu
erwiedern, daß die Sache sich gerade
umgekehrt verhält, so nämlich, daß
dasjenige was Herr von Berger
das Innereinnere191 und geistige Licht des
Gedankens nennt |: also überhaupt
die reine logische Idee, der anaxa-
goräische νοῦς :| keineswegs ein solches
Abstraktum der Identität, eine solche
Lockische tabula rasa ist, wofür es
der selbst abstrakte Verstand an-
sieht, vielmehr das schlechthin und
ursprünglich Concrete und eben um
deswillen unendlich prägnantePrägnante192 und
der Urquell alles Lebens uund193 aller Thä-
tigkeit ist, – während dagegen
das physische Licht |: dem früher dar-
gelegten Charakter der Natur ge-
mäß :| das einseitige Daseyn der
abstrakten Identität ist, außer-
halb welcher eben um deswillen
der Unterschied oder die Be-
stimmtheit fällt, woraus denn
[59r]auch weiter dies zu entnehmen ist,
daß man dem Lichte ganz und gar
nicht etwa zuviel Ehre anthue,
wenn wir dasselbe als einfach
und als das Einfache schlechthin an-
erkennen. Während man nun, durch
den Augenschein und die handgreif-
lichste Erfahrung belehrt, nothge-
drungener Weise die Unsperr- und
Unzerlegbarkeit des Lichts nach die-
ser Seite zugestanden hat, so ist
gleichwohl dessen Einfachheit von
einer andern Seite her in Anspruch
genommen worden, indem man auf
angebliche Erfahrungen sich berufend,
behauptet hat und noch immer behaup-
tet, daß das reine Licht dennoch
heterogen und aus kleinsten, ur-
sprünglich verschiedenen, farbigen
Theilchen zusammengesetzt sey, wel-
che Behauptung, wie wir bereits
wissen die Grundlage der berühm-
ten newtonschen Farbenlehre bil-
det. Daß die Farben, welche sich
sofort als ein Hell-Dunkles, als
[59v]ein Mittleres zwischen Licht und Finster-
niß darstellen, dadurch, daß sie ver-
einigt werden |: und zwar heißt ver-
einigen nach atomistisch-newtonscher
Weise so viel als vermischen, zusam-
menrütteln und Zusammenschütteln :|
zu reinem Licht werden sollen, und
daß durch ihre Vermischungen das
ihnen beiwohnende Finstere vertilgt
werden soll, darin liegt schon von
Hause aus etwas dem unbefangenen
Menschensinn widerstrebendes. Dabei
können wir indeß nicht stehen bleiben,
sondern es frägt sich, was sagen Ver-
nunft und Erfahrung zu jener new-
tonschen Theorie von der Zusammen-
gesetztheit des Lichts aus den ver-
schiedenen Farben, als dessen Be-
standtheilen? Was die Vernunft
als solche d. h. freie, spekulative
Denken dazu sagt, das haben wir
gesehen, und eben so wurde bereits
gezeigt, wie die Erfahrung rück-
sichtlich der bisher erwähnten
[60r]Eigenschaften des Lichts, mit dem
was sich aus dem Begriff dessel-
ben ergiebt, durchaus übereinstimmt.
Hier aber bei der newtonschen Far-
benlehre stoßen wir zum ersten-
mal auf etwas dem was bisher
über das Licht gesagt wurde, direkt
Zuwiderlaufendes und die Erfahrung
soll es seyn, worauf die Lehre
von dem Licht als einem aus Far-
ben Zusammengesetzten beruht. So
gedankenwidrig nun auch diese
newtonsche Ansicht vom Licht und
den Farben ist, da das Verhältniß
des Zusammengesetztseyns über
das Gedankenwidrigste ist, so
ist es doch nicht genug, daß von
Seiten der Naturphilosophie, als
dem freien Denken der Natur,
gegen jene Lehre polemysirt wird,
sondern es erfordert es das In-
teresse der Wissenschaft, daß
das angeblich auf Erfahrungen194
Beruhende, wenn es ein solches
[60v]ist, bei dem die Vernunft nicht acquiesci-
ren kann, auch im Wege der Erfahrung
widerlegt werde, denn es ist über-
haupt das Bedürfniß vorhanden, Erfah-
rung und Vernunft als einander ent-
sprechend nachzuweisen. Hier ist nun
die Stelle, wo unser Dichter uns begegnet,
und zwar weder als Dichter noch als Phi-
losoph, sondern als ächt-empirischer Physi-
ker. Als solcher hat er den durch New-
ton als aus Farben zusammengesetzt
behaupteten und somit getrübten
und angeschwärzten Lichte den ritterlichen Dienst
erwiesen, dasselbe erfahrungsmäßig, in seiner Rein-
heit und Integrität wieder herzustellen, indem
er nämlich gezeigt hat, daß die Farben keines-
weges als ein für allemal fertig im Lichte vorhanden
sind und aus diesem nur hervorgelockt werden,
sondern daß es zu ihrer Erzeugung eines Zu-
sammenwirkens des Lichts und des ihm gegen-
überstehenden Finstern bedarf. Nur in so fern
könnte man sagen, habe Goethe sich bei dieser
Arbeit als Dichter und zugleich als Philosoph
erwiesen, als er gerade das Licht und die
Farben zum Gegenstand seiner naturwissen-
schaftlichen Forschungen gemacht und indem er
sich daran begeben, auch die physikalische Existenz
des Apoll, als des wissenden Gottes würdig, d. h.
als das in sich einige und reine Element, wis-
senschaftlich nachzuweisen, den sichern Grund
zu einer eben so gedanken- als erfahrungs-
mäßigen Physik gelegt hat.
bei einem Haus das er erbaut, die Fenster vergessen
hatte und dann diesem Fehler dadurch abzuhelfen suchte,
daß er das Licht in Säcken, die er der Sonne ausge-
setzt, in sein finsteres Haus tragen lassen
wollte. Dieser Mann ist offenbar ein conse-
quenter atomistischer Physiker gewesen, der
auf seine vortreffliche Metaphysik gestützt
und aller Erfahrung zum Trotz dabei geblieben ist,
das Licht müsse sich, wenn es nur gehörig angefan-
gen werde, am Ende dennoch sperren lassen. Unsere ge-
lehrten Physiker die jenen einfältigen Bauherren aus-
lachen, sollten doch bedenken, daß es hier heißt: de
vobis narratur fabula.
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. [1. Mai -] 17. Juni 1823. von Henning: Einleitung zu den Vorlesungen über Farbenlehre 1823. Z_1823-08-31_z.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-1B7C-A