✍Von dem, was Sie hier interessiren kann, wird Ihr lieber Sohn Ihnen mündlich
vollständige Nachricht geben; auch kann der Überbringer dieser Zeilen, H. Raabe, von
vielem Auskunft ertheilen. Dies benutze ich, um hier nur von dem zu schreiben,
was mir zunächst obliegt.
Behufs seines besseren Fortkommens in Italien hat H. Raabe gewünscht, mit Aufträgen
versehen zu werden. Diese Veranlassung schien mir erwünscht, u ich habe vorgeschlagen,
daß er mit Anfertigung farbiger Copien beauftragt würde, welche als Beläge u
Studien zu der von Ihnen u H. Hofrath Meyer seit so langer Zeit ausgesprochenen
Lehre von der Harmonie der Farben dienen könnten. Der Antrag ist genehmigt wor-
den, u Raabe (R.) hofft demselben nachzukommen. Die Sache ist aber so leicht nicht. Um
in den Sinn Ihrer Lehre ganz einzudringen, wird eine anhaltende innige Be-
schäftigung damit erfordert, die Raabe (R.) derselben nicht gewidmet hat. Da
die Angelegenheit, nach der unschlüssigen Verfahrungsweise dieses sonst
schätzbaren Mannes, erst in den letzten Tagen seines hiesigen Aufenthalts zur
Sprache kam, so habe ich nicht, wie ich wünschte, dazu beitragen können, ihn
besser vorzubereiten. {ich} würde das Unternehmen aber im Voraus für gelungen
erachten, wenn Sie sich gütigst seiner annehmen u ihn mit Ihrem Rath unterstützen
wollten. Wie die Aufgabe gefaßt ist, darüber wird1 Raabe (R.) Ihnen das, was ihm zuge-
gangen ist, mittheilen. Dieser Mittheilung erbitte ich Ihre Nachsicht, als einem
[2r]augenblicklichen Versuche, eine günstige Veranlassung zu benutzen.
...
✍Pro Memoria
Die, von dem Großherzoglich (Großherzog.) Darmstädtschen Hofmaler, Herrn
Raabe, auf dessen Reise, in Italien für die Lehre von der
Harmonie der Farben zu sammelnden Studien betreffend.
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[3r]Die Reise des Herrn Raabe nach Italien gibt die erwünschte
Gelegenheit, einen Gedanken auszuführen, der für das Studium der
Malerei von Wichtigkeit ist, bisher aber von keinem der dorthin
reisenden Künstler berücksichtigt wurde, nämlich:für die Lehre von
der Harmonie der Farben zweckmäßige und vollständige Studien
zu sammeln.
Diese Lehre liegt noch in der Kindheit, nachdem die schätzba-
ren Grundsätze, in deren Besitz die Alten sich befunden haben,
in die neuere Kunst-Epoche nicht wieder erweckt worden sind.
Die Versuche späterer Theoretiker, von denen {letzlich} Raphael Mengs
besondere Erwähnung verdient, haben nicht zum Ziele geführt, und
erst in unseren Jahren hat, wie man unbedenklich gestehen muß,
diese Lehre durch die Bemühungen der Weimarischen Kunstfreun-
de von neuem einen sicheren Grund erhalten; daher ich mich über
den Begriff derselben lediglich auf die betreffenden, sehr unter-
richtenden Aufsätze in den von vGoethe herausgegeben Propy-
laeen, Winkelmann und sein Jahrhundert, vorzüglich aber in
dem Werke: zur Farbenlehre, auch in der Meyerschen Abhandlung
über die {Aldobrondinische} Hochzeit, beziehen zu dürfen glaube.
Zeichnung, Composition, Ausdruck und Colorit im engeren
Sinne mit Einschluß des Helldunkels, waren bisher die Gegenstände,
[3v]denen die Maler ihre Studien widmeten. Die Harmonie der Farben,
die selbst den größten Meistern der neuern Kunst dem Begriffe nach
unbekannt blieb, und die sich nur in einzelnen wenigen Werken
derselben der Vollkommenheit nähert, ist meistens unbeachtet ge-
lassen worden, weil niemand wußte, nach welchen Grundsätzen
sie zu erkennen und zu erreichen sey. Da nun die wesentliche Wirk-
ung der Malerei in der richtigen Anwendung der Farben, als ihre
Elemente, beruhet, so läßt sich schon aus der Achtlosigkeit auf diesen
Haupttheil der Kunst, der zunehmende Verfall der Malerei seit
jener Epoche herleiten, wo die großen Malerschulen aufgehört
haben, in denen wenige durch die Werke selbst sich vom Meister auf den Schüler fortpflanzende Maximen, verbunden mit dem Glück und der Kühnheit des Talents, den Mangel eines vollständigen und consequenten Lehrganges zu ersetzen vermogte.
In dem Zeitalter der Kunst, in welchem wir leben, ist es
daher von unumgänglicher Nothwendigkeit, die Harmonie der Farben
eben so wie alle andern Theile der Malerei zum Gegenstande des
Unterrichts zu machen, und zu diesem Ende keine Bemühung zu
verabsäumen, um die Lehre derselben auf Prinzipien zu bringen,
wozu in jenen Schriften der Weimarischen Kunst-Gelehrten höchst
gründliche und überzeugende Anweisungen zu finden sind. Diese
Principien, durch Aufstellung anschaulicher Beispiele aus der
älteren und neueren Kunst-Epoche practisch zu machen, und
dadurch eine weitere Ausbildung der Lehre selbst vorzubereiten,
ist die Absicht meines gegenwärtigen Antrages.
... [4r] ...
Sodann käme es auf die Aufgaben an, welche er für den Zweck
in Italien zu leisten hätte.
Herr Geheime (Geh.) Ober Bau Rath Schinkel hat bereits in dem, für
Herrn Raabe entworfenen, praktischen Cursus "genaue und
viele Studien für die Farbenwahl, für's Colorit überhaupt, in den
Herculanischen und Pompejischen Gemälden, und in den
Verzierungen des Vatican's" als Hauptzweck der Reise angege-
ben, weil davon wenig Gutes öffentlich erschienen und zu {benuz-
zen} ist; womit ich umso mehr einverstanden bin, als das Studi-
um der antiken Gemälde in dieser Hinsicht allerdings von erster
Wichtigkeit ist.
Ich würde daher vorschlagen, dem Herrn Raabe aufzugeben:
... [4v] ... [5r] ...
Sehr glücklich ist es, daß Herr Raabe über Weimar zu reisen
gedenkt, und dort, bei dem Vertrauen, welches er schon früher
zu erwerben Gelegenheit gehabt hat, sich zu dieser Aufgabe noch
näher vorzubereiten im Stande sein dürfte. - Berlin, d. 2. Jun. 1819.
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. [2.-]3. Juni 1819. C. L. F. Schultz an Goethe. Z_1819-06-03_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-0F30-C