✍Das dem Herrn Hofmaler
Raabe mitgegebene Pro Memoria
oder Instruction: über diejenige
Angelegenheiten der Kunst auf
welche er in Italien besondere
Aufmerksamkeit wenden solle,
ist seinem allgemeinen Inhalt
nach vollkommen zweckmäßig,
und es ist zu hoffen, daß eben
durch die Reise und Bemü-
hungen des Herrn Raabe
ein bisher vernachlässigter
Theil der Malerey zu neuem
Leben erweckt werden könne.
Um nur beym Nöthigen
über die dem Herrn Raabe
gemachten Aufträge zu ver-
weilen, so ist es in Beziehung
auf gemalte Ornamente der
Baukunst allerdings hinreichend
wenn er sich in Rom vor
allem andern an die Logen
[7v]des Raphael im Vatikan hält,
wo ihm zumal die Loge
Logen1 im
ersten Stockwerk, auch die im
dritten zwar nicht schönern
aber doch weniger bekannte
Muster für seine Studien lie-
fern werden als die mit recht wegen
schönererschönerAusführung
der Ornamente undwegen derden Gemälden aus
derbiblischen Geschichte
berühmtenLogen im 2 t.
Stockwerk2. Zugleich möchte
er auch das bekannte Cabinet
P.
P.3 Julius II., desgleichen die
reiche von Pierr4 Perin del Vaga
gemalte Decke der Sala
Borgia5, die Villen Matama
Madama6
und Lanti für seinen Zweck
benutzen. Die Bäder der
Livia des Titus und die Villa
des Hadrian zu Tivoli liefern
zwar auch manches Schöne,
allein da die Farben meisten[s]
erloschen oder undeutlich sind
so würde es eine viel zu große
Zeit bedürfen, um daselbst
Studien zu verfertigen. Auch
wird der reisende Künstler
in Hinsicht auf gemalte antike
Ornamente zu Pompeji und
im Herculanischen Museum
einen größeren Erwerb machen
können.
Daß Herr Raabe sich die
möglichste Mühe gebe um eine
Copie der Altobrandinischen
Hochzeit in der Größe des Ori-
ginals zu verfertigen, scheint
uns durchaus wünschenswerth,
theils in der Hinsicht, weil be-
sagtes Gemälde durch Abwaschen
der aufgemalten Stellen wieder
in den Zustand gekommen seyn
soll in welchem es gefunden
worden und also eine treue
Copie selbst7 dem Alterthumsforscher
interessant seyn kann, theils
weil es an sich als eins der
wichtigsten Denkmale der alten
Malerey eben für die Farben
und ihre Harmonie von vor-
züglicher Bedeutung ist, und
endlich weil Herr Raabe sich,
indem er eine Copie davon
verfertigt, mit der antiken
Malerey bekannter und also
eine höchst zweckmäßige Vor-
arbeit macht für seine später
an den Herkulanischen Ma-
lereyen vorzunehmenden Stu-
dien.
Diese Studien müssen, wenn
er nach Neapel kömmt sein
[8v]Hauptaugenmerk seyn, ja sie
können für ihn und andere
den größten Nutzen haben.
Man wird dadurch mit der
Malerey der Alten beßer als
es bisher der Fall war bekannt
werden, und eben die Har-
monie der Farben dürfte, in
sofern sie daraus zu erforschen
ist, große Aufklärung erhalten.
Da dem Hrn. Raabe in
seiner Instruction von der
Behörde mit weisem Bedacht
nachgelassen worden, sich zu
dergleichen Studien der Kupfer-
stiche, behufs der Umrisse, zu
bedienen; so kann er dazu
entweder das große Herku-
lanische Museum benutzen, oder
die verkleinerten Nachstiche, wel-
che man zu Rom findet, oder
auch allenfalls nur die nach-
gestochenen und von Murr zu
Nürnberg herausgegebenen
Umrisse. Wir zeigen hier
absichtlich diese drei Werke an
damit er sich dasjenige zu Nutz
mache, welches am nächsten zur
Hand ist, weil es hier mehr
[9r]darauf ankömmt eine bedeutende
Zahl solcher colorirter Studien
zu verfertigen, als wenige
wo auch die Zeichnung mit
Sorgfalt berücksichtigt worden.
So ist es z. B. auch nothwendig
daß er vornehmlich von den
Tänzerinnen und von der
den8
Centauren Gruppe
Gruppen9 Copien ver-
fertige, in denen nicht nur
die Farben auf das genauste
angegeben seyen, sondern auch
Licht und Schatten, indem Licht und
Schatten bekanntermaßen Ein-
fluß auf das Colorit, die Har-
monie der Farben und allge-
meine Wirkung der Bilder
haben, und gerade die er-
wähnten Gemälde vielleicht
die vorzüglichsten sind, so aus
dem Alterthum übrig ge-
blieben.
Noch einmal sey es wieder-
holt daß Hr. R. seine Zeit um
so viele
viel10 besser benutzt haben wird,
für sich und andere nützlich an-
gewendet, je mehr er colorirte
Studien von
nach11 Herkulanischen Ge-
mälden mitbringt.
Die neueren Meister, von Seiten
der Harmonie der Farben be-
trachtet, dürften bis etwa auf
die Zeit Raphaels zu übergehen
seyn, weil die Zeit nicht hin-
reichen wird, von allen denen
die sich früher um dieses Fach
verdient gemacht, ausgemalte
Nachbildungen zu verfertigen.
Merkwürdig wäre es zwar
von Lorenzo12 de Bicci, von Juan
Giov:13
Angelico da Fiesole, wie auch
vom Masaccio in einigen Bey-
spielen zu sehen wie sie sich
benommen haben; indessen kann
man ihnen, in Hinsicht auf Har-
monie der Farben, kein ent-
scheidendes Verdienst und Ver-
fahren nach nützlichen und
nachahmungswerthen Regeln
zuschreiben. Wir glauben
daher, daß es besser sey sich
auf die Meister der Venetia-
nischen und Lombardischen Schule
zu beschränken, und so möchte
Hr. R. etwa Nachbildungen
von ein Paar heiteren Bildern
des Giorgione, dann des Titian
und des Paul Veronese ver-
fertigen, weil es hier darauf
[10r]ankömmt zu sehen, wie diese
Meister Farben gegen Farben
zu stellen pflegten. So müßte
sich Hr. R. vorzüglich an ihre
reicheren Compositionen halten
und könnte sich vielleicht auch
hier für die Umrisse mit
Vortheil der Kupferstiche be-
dienen, wozu das überall
zu findende Werk des Le Febre
Fevre14
zu empfehlen ist.
Aus der Lombardischen
Schule möchte
möchten15 vor allen anderen
Coreggio und Schidone nütz-
liche Beyspiele liefern können.
Von dem Ersteren enhält die
Dresdner Galerie den größten
Bilderschatz [aus] allen den ver-
schiedenen Zeiten seines Lebens.
Hätte indessen Hr. R. so viel
Zeit übrig auch ihm in Italien
einige Zeit zuzuwenden, so
wäre die in der G16 Tribune
zu Florenz hängende Ruhe auf
der Flucht nach Aegypten als eine
der früheren Arbeiten des
Coreggio wünschenswerth in
colorirter Abbildung zu besitzen.
Wenn ferner das zu Parma in
einem Frauen-Kloster von ihm
mit Gegenständen aus der Fabel
ausgemalte Zimmer noch zu-
gänglich ist, wie es vor einigen
Jahren war, so verdiente auch
dieses einige Aufmerksamkeit.
Die Kuppel der Domkirche ist
allerdings auch zu beachten, es
läßt sich aber von einem so
sehr weitläufigen Werk nicht
ohne großen Zeitaufwand eine
colorirte Nachbildung verfer-
tigen. Vom
Von17 Schidone finden sich
vortreffliche Gemälde an der
Decke eines Saals im Stadthause
zu Modena, und die besten
Werke dieses Meisters finden
sich in der Galer18 Galerie zu
Capo di Monte zu Neapel. Wir
überlassen Herrn Raabe davon
zu benutzen was er selbst für
gut achten wird. Francesco Maz-
zuoli, genannt Parmegianino,
ist auch nicht ganz zu übergehen,
Ein oder ein Paar seiner besten
Bilder, in colorirter Abbildung
dürften lehrreich seyn.
Die Römische Schule hat keinen
Meister der hinsichtlich auf Har-
monie der Farbe große Beach-
tung verdiente; denn von Ra-
phaels Wercken sind so häufige
Copien vorhanden, daß man
dem Hrn. R. keine neuern auf-
zutragen braucht.
Unter den neueren Floren-
tinern ist Peter von Cortona
unseres Wissens der Einzige
welcher Beachtung verdient, aber
er ist auch überhaupt, derjenige
unter allen neueren
Neueren19, so auf
die Harmonie der Farben den
meisten Werth geleget und nach
Regeln verfahren ist. Wir
möchten daher vorschlagen
daß Hr. R. den Werken dieses
Meisters besondere Aufmerk-
samkeit zuwendete. Acht Lu-
netten, Beyspiele der Enthalt-
samkeit darstellend, im Pallast
Pitti zu Florenz rechnen wir
zu dessen besten Werken; und
möchten solche besonders empfehlen.
Zu Rom ist das Barberinische großeDeckengemälde vielleicht noch schätzbareraber zu reich und zu weitläufig alsdaß man Hr. R. daran denken könntesolches ganz oder auch nur zum Theilweis weise nachzumalen. Das in derInstruction ebenfalls erwehnte Altar-gemälde in der Capuzinerkirche ent-hält des Meisters ganze Kunst und istwerth daß ihm Hr. R. demselben seineganze Aufmerksamkeit widme.Staffeley Gemalde welche das Auge durchihren Farbenreitz höchst freündlich an-sprechen kommen von Peter v. Cortonain mehreren Gallerien vor und wirmöchten den H. Rabe bitten, auf die-selben auf dieselben Acht zu haben, wennseine Zeit es erlauben sollte.20
Weiter diese Nachweisungen aus-zudehnen, ist die Zeit zu kurz auch möchte solches überflüßig seyn weilunsers Künstlers und FreundesBeobachtungsgabe und Empfänglich-keit ihn bald in den Stand setzen wirdselbst ja das Zweckmaßige ja dasZweckmäßigste zu wahlen wodurcher dem erhaltenen Auftrage ge-nüge leisten kann.26
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- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 15. Juni 1819. J. H. Meyer, Promemoria für Raabe (Konzept). Z_1819-06-15_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-0F72-2