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Ewr Wohlgeborn

habe ich die Ehre anzuzeigen, daß ich, unsrer Verabredung gemäß, das Manuskript meiner Lateinischen Abhandlung Gestern der Enslin'schen Buchhandlung übergeben habe, woselbst man mit sagte, es würde Ihnen in 8 Tagen zukommen. Sobald Sie es empfangen, bitte ich mir Anzeige davon zu machen. Ich habe es mit großer Sorgfalt ausgearbeitet und es hat mich viel Zeit gekostet. Die Umänderung ist viel beträchtlicher ausgefallen als ich vorhergesehn. Bloß einige Paragraphen in der Mitte sind gewissermaaßen nach der Deutschen Schrift übersetzt, aber auch diese mit vielen Veränderungen, Auslassungen und Einschaltungen. Alles übrige ist der Form nach und großentheils auch dem Inhalt nach ganz neu. Durch Auslassung alles minder Wesentlichen und Einfügung, wie auch völligere Ausführung wesentlicher Betrachtungen, ist das Ganze vollkommner und geründeter als die Deutsche Schrift, und ihr durchaus vorzuziehn.

Die wichtigsten der ganz neu hinzugekommenen Erörterungen sind: der vollständige Beweis a priori von der Nothwendigkeit des Göthischen Ur-Phänomens; meine Hypothese über die chemischen Farben; und am Schluß die ausführliche Widerlegung der allgemein geltenden Erklärung der physiologischen Farben. - Ueber die Latinität wird es mich sehr freuen Ihre Meinung zu vernehmen, aber ganz unumwunden und ungeschminkt; da es mir nicht etwa um ein Kompliment, sondern um ein Urtheil zu thun ist, und ich vermuthe, daß Sie ein Kenner sind. Ich habe auch darauf viel Sorgfalt verwendet: übrigens ist es nicht zu vermeiden, daß man nicht zuweilen einen unklassischen Ausdruck gebrauchte, da wir mit dem Reichthum unsrer seit 1 1/2 Jahrtausenden aufgehäuften Be-[114]griffe auf den armen Sprachvorrath einer ganz auf das praktische gerichteten Nation hingewiesen, in der Lage sind, wie ein reicher Mann, mit vielem kostbaren Hausrath, genöthigt in eine ärmliche Hütte zu ziehn und nun Alles unterzubringen, so gut es geht: da wird hin und wieder etwas hervorragen. - Eine Erinnerung fühle ich mich gedrungen Ihnen zu machen, welche ich Sie bitten muß der herzlichen Besorgniß zu gute zu halten, mit der ein Vater sein sorgsam gepflegtes Kind jetzt fremden Händen anvertraut: es ist diese, daß es Ihnen, als Herausgebern, nicht etwa zusteht irgend etwas zu ändern oder wegzustreichen: ich würde so etwas als eine Verfälschung aufnehmen. Gewiß ist die Erinnerung überflüssig und bitte ich nochmals recht sehr mir solche zu verzeihen. Aber immer ist doch eine unnütze Bemerkung vorher, besser als eine Tragödie nachher. Sollte in meiner

irgend etwas zu sehr gegen Ihre eigenen Ansichten anstoßen, so steht es Ihnen frei sich darüber in Anmerkungen unten auf der Seite, wie Sie wollen, zu äußern, und habe ich dagegen nichts: nur mein Wort muß unverändert und unverkürzt dastehn. Ein Anderes wäre es, wenn Sie einen Sprachfehler entdeckten, dergleichen bekanntlich auch dem besten entschlüpfen kann und sich nachher dem daran gewohnten Auge entzieht, dem fremden gleich aufstößt. Obgleich ich die Abhandlung von Niemanden habe durchlesen lassen, so sollte es, wegen der darauf gewandten Sorgfalt, mich doch sehr wundern, wenn dergleichen mit eingelaufen wäre: für den Fall jedoch, werde ich Ihnen für die Ausmertzung danken: doch bitte ich auch alsdann zwei Mal zuzusehn: z. B. gleich auf dem ersten Bogen steht "credere in" -: kein sonderliches Latein: allein hier ist mit Fleiß und mit sichtbarem Vortheil der Kirchenstil affektirt. - Die letzte Korrektur besorgen Sie ohne Zweifel selbst: und da empfehle ich Ihnen mein armes Kind ganz besonders, und bitte Sie das Manuscript zur Hand zu haben: Kann einen doch ein Druckfehler Jahre lang ängstigen! - Ich würde es gern sehn, wenn der Druck etwas splendid behandelt wäre: z. B. der Titel, ein Blatt für sich: sodann, daß jede der drei Hauptabtheilungen eine neue Seite anfienge, und dgl. - Außer dem Autor-Exemplar des Bandes, darin die Abhandlung steht, hätte ich gern 8, allenfalls 10 Abdrucke, bloß der Abhandlung allein, zum Verschenken an Göthe und andere Freunde: da ich kein Honorar erhalte, wird dies keine Schwierigkeit haben: doch bitte ich es dem Verleger bei Zeiten zu sagen, damit die Paar Bogen gleich einigemal mehr abgedruckt werden. Es werden etwa 4 Ihrer Bogen sein, obschon 22 geschriebene: denn ich habe sehr groß und deutlich geschrieben, um meiner Seits keinen Anlaß zu Druckfehlern zu geben.

Schließlich bitte ich noch mir gefälligst anzuzeigen, wann ungefähr der Band ans Licht treten wird, da ich begierig bin die Sache im Druck zu sehn. Ich wünsche dem Werke von Herzen eine guten Absatz und wird es mich freuen dazu beigetragen zu haben.

Ewr. Wohlgeb. meine Arbeit nochmals bestens empfehlend bin ich mit vorzüglicher Hochachtung

Ewr Wohlgeborn
ergebener Diener Arthur Schopenhauer.

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Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek

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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 13. Juni 1829. Schopenhauer an Radius. Z_1829-06-13_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-20A3-5