... Als selbstthätig lieferte ich zur Morphologie und Naturwissenschaft des ersten Bandes drittes Heft.
Frische Lust zu Bearbeitung der Farbenlehre gaben die entoptischen Farben. Ich hatte mit großer Sorgfalt meinen Aufsatz im August dieses Jahrs abgeschlossen und dem Druck übergeben. Die Ableitung,[160]der ich in meiner Farbenlehre gefolgt, fand sich auch hier bewährt; der entoptische Apparat war immer mehr vereinfacht worden. Glimmer- und Gipsblättchen wurden bei Versuchen angewendet, und ihre Wirkung sorgfältig verglichen. Ich hatte das Glück, mit Herrn Staatsrath Schultz diese Angelegenheit nochmals durchzugehen, sodann begab ich mich an verschiedene Paralipomena der Farbenlehre. Purkinje zur Kenntniß des Sehens ward ausgezogen und die Widersacher meiner Bemühungen nach Jahren aufgestellt.
Von teilnehmenden Freunden wurd' ich auf ein Werk aufmerksam gemacht: Nouvelle Chroagénésie par Le Prince, welches als Wirkung und Bestätigung meiner Farbenlehre angesehen werden könne. Bei näherer Betrachtung fand sich jedoch ein bedeutender Unterschied. Der Verfasser war auf demselben Wege wie ich dem Irrthum Newtons auf die Spur gekommen, allein er förderte weder sich noch andere, indem er, wie Doctor Reade auch getan, etwas gleich Unhaltbares an die alte Stelle setzen wollte. Es gab mir zu abermaliger Betrachtung Anlaß, wie der Mensch, von einer Erleuchtung ergriffen und aufgeklärt, doch so schnell wieder in die Finsterniß seines Individuums zurückfällt, wo er sich alsdann mit einem schwachen Laternchen kümmerlich fortzuhelfen sucht.
Gar mancherlei Betrachtungen über das Her-[161]kommen in den Wissenschaften, über Vorschritt und Retardation, ja Rückschritt, werden angestellt. Der sich immer mehr an den Tag gebende, und doch immer geheimnißvollere Bezug aller physikalischen Phänomene auf einander ward mit Bescheidenheit betrachtet und so die Chladni'schen und Seebeckischen Figuren parallelisirt, als auf einmal in der Entdeckung des Bezugs des Galvanismus auf die Magnetnadel, durch Prof. Oersted, sich uns ein beinahe blendendes Licht aufthat. Dagegen betrachtete ich ein Beispiel des fürchterlichsten Obscurantismus mit Schrecken, indem ich die Arbeiten Biot's über die Polarisation des Lichtes näher studierte. Man wird wirklich krank über ein solches Verfahren; dergleichen Theorien, Beweis- und Ausführungsarten sind wahrhafte Nekrosen, gegen welche die lebendigste Organisation sich nicht herstellen kann.
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Von den Berlinischen Kunstzuständen ward ich[167]nunmehr auf's vollständigste unterrichtet, als Hofrath Meyer mir das Tagebuch eines dortigen Aufenthaltes mittheilte; so wie die Betrachtung über Kunst und Kunstwerke im Allgemeinen, durch dessen Aufsätze in Bezug auf Kunstschulen und Kunstsammlungen, bis zu Ende des Jahrs lebendig erhalten wurde.
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Der älteste Grundsatz der Chromatik: die körperliche Farbe sei ein Dunkles, das man nur bei durchscheinendem Lichte gewahr werde, bethätigte sich an den transparenten Schweizerlandschaften, welche König von Schaffhausen bei uns aufstellte. Ein kräftig Durchschienenes setzte sich an die Stelle des lebhaft Beschienenen und übermannte das Auge so, daß anstatt des entschiedensten Genusses endlich ein peinvolles Gefühl eintrat.
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Der Aufenthalt Herrn Raabe's in Rom und Neapel war für uns nicht ohne Wirkung geblieben. Wir hatten auf höhere Veranlassung demselbigen einige Aufgaben mitgetheilt, wovon sehr schöne Resultate uns übersendet wurden. Eine Copie der Aldobrandinischen Hochzeit, wie der Künstler sie vorfand, ließ[171]sich mit einer älteren, vor dreißig Jahren gleichfalls sehr sorgfältig gefertigten, angenehm vergleichen. Auch hatten wir, um das Colorit der Pompejischen Gemählde wieder in's Gedächtnis zu rufen, davon einige Copien gewünscht, da uns denn der wackere Künstler mit Nachbildung der bekannten Centauren und Tänzerinnen höchlich erfreute. Das chromatische Zartgefühl der Alten zeigte sich ihren übrigen Verdiensten völlig gleich, und wie sollt' es auch einer so harmonischen Menschheit an diesem Hauptpuncte gerade gemangelt haben? wie sollte, statt dieses großen Kunsterfordernisses, eine Lücke in ihrem vollständigen Wesen geblieben sein?
Als aber unser werther Künstler bei der Rückreise nach Rom diese seine Arbeit vorwies, erklärten sie die dortigen Nazarener für völlig unnütz und zweckwidrig. Er aber ließ sich dadurch nicht irren, sondern zeichnete und colorirte, auf unsern Rath, in Florenz einiges nach Peter von Cortona, wodurch unsere Überzeugung, daß dieser Künstler besonders für Farbe ein schönes Naturgefühl gehabt habe, sich abermals bestätigte. Wäre seit Anfang des Jahrhunderts unser Einfluß auf deutsche Künstler nicht ganz verloren gegangen, hätte sich der durch Frömmelei erschlaffte Geist nicht auf ergrauten Moder zurückgezogen, so würden wir zu einer Sammlung der Art Gelegenheit gegeben haben, die dem reinen Natur- und Kunstblick eine Geschichte älteren und neueren Colorits, wie sie schon[172]mit Worten verfaßt worden, in Beispielen vor Augen gelegt hätte. Da es aber einmal nicht sein sollte, so suchten wir nur uns und die wenigen zunächst Verbündeten in vernünftiger Überzeugung zu bestärken, indes jener wahnsinnige Sectengeist keine Scheu trug das Verwerfliche als Grundmaxime alles künstlerischen Handelns auszusprechen.
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 1820. Goethe Annalen. Z_1820-12-31_z.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-1457-A