den 15 Sept. 1822.
habe noch meinen verbindlichsten Dank für die
gütige Übersendung des vierten Heffts zur Natur-
wissenschafft abzustatten; ich habe mich darin vielfa-
cher Anregungen und Beziehungen, belehrender Noti-
zen u. s. f[.], und in Allem Ihres freundlich theilnehmen-
den, um- und überschauenden Geistes zu erfreuen ge-
habt, ausserdem gefunden, daß Sie einen Brieff von
mir nicht nur freundlich haben aufnehmen, sondern
ihn auch mit dem Titul Aufmunterung haben be-
zeichnen und ihn haben1 abdrucken lassen wollen. Wenn wir mit so vielfachen und reichen Genüßen
und Förderungen beschenkt werden, haben wir dem
wenigstens mit dankbarer Anerkennung zu entgegnen
und können nur etwa {diß} hinzufügen auch andere
zum theilnehmenden Mitgenuß zu befördern, und an
Aussenseiten, Consequenzen und (dergl.)dergleichen zu posseln.
(Hn)Herrn D. von Henning meines Orts zum Einstudiren in die
Farbenlehre aufgemuntert zu haben, muß mich umso
mehr freuen, da Sie zu dem, was er bereits geleistet, nun
auch das Zutrauen fügen, ihm die Redaction der
weitern Specialien, Ausführungen, Erläuterungen
u. s. f. zu2 übergeben und diesen Abschluß des Werkens
nun auch füran3 uns zur Belehrung bringen zu wollen.
[12v]Da er nun bald selbst bey Ihnen, oder es schon itzt seyn wird,
wird er Ihnen über Weiteres etwa erzählen können; -
vielleicht weiß er sich mündlich auch über eine Ansicht, die ich von der Wirkungsweise des Prisma gefaßt, verständlicher zu ma-
chen; ich werde mir aber späterhin noch Mühe geben, mir selbst
das Apperçu klarer zu machen und den Gesichtspunkt, aus dem
dasselbe ein Interesse haben könnte, - für eine nähere Bestimmung der-
selben zu fassen4, denn nur um eine solche etwa könnte es zu thun seyn.
Er wird Ihnen auch sagen können, daß mir das Grau beynahe ganz vergangen ist.
Da Sie und Hr. (Geh.)Geheime Rath Schulz sich das Schema der Farben
gegenseitig herüber und hinüber schieben (er hat mir das Letzte-
re hierüber betreffende von Ihnen an ihn gezeigt) so will
ich hierüber nur einiges kürzlich berichtbemerken5, was Hr. von
Henning weitläuffiger expliciren mag; es schlägt etwas philo-
sophirendes darein ein. - Ich weiß vor Ersteerste6 nicht anders,
als nach Ihnen zu S. 241 (des 4[.] H[e]fts) und allenthalben,
Roth | ||
Gelb | Blau | |
Grün |
Violett und Gelbroth
stellen wir, alsgemei-
ne quantitative Misch-
linge, hier einstweilen
auf die Seite.
Vors erste hat nun der Gegensatz von
Gelb und Blau keine Schwierigkeit,
(resp.)respective heller u. dunkler Grund - und Trübes -
oder Durchleuchten und Durchschatten - des Trüben, das, (resp.)respective
gegen jenes dunkle gegen dieses helle Trübung, ist.
Aber zweytensRoth und Grün, sind zwey anders bestimmte
[13r]Extreme gegeneinander, ein zweyter Gegensatz von anderer
Natur. - Für das Wesentliche überhaupt halte zunächst,
daß schon Gelb und Blau qualitative Extreme sind, und
wir hier für sich nicht mit quantitativen Unterschieden
unters7 ausreichen, die sonst nur in die Farbenpyramide gehören8,
und von keinem wirklichen Interesse - im Gegentheil - für
Theorie und Contemplation sind. - Ferner sind nunRoth
und Grün gleichfalls als qualitative Verschiedenhei-
ten zu fassen, - gegeneinander sowie dieser zweyte Gegen-
satz gegen den ersten; - dazu liegt alles bey Ihnen
vor und ich habe Sie nie anders verstehen können, obgleich
Sie selbst sich des Gebrauchs solcher formellen Bestim-
mungen, als qualitativ und quantitativ, enthalten.
Erstens den zweyten Gegensatz, im Unterschiede
von dem ersten, habe ich als dengleichschwebenden
aus Ihren Darstellungen fassen zu dürfen und müßen
geglaubt, als das Gleichgewicht der Synthese, - indiffe-
rentes Durchdringen der Grundlage und des trüben Mit-
tels, so daß eigentlich der Unterschied von Grundlage
und Mittel nicht mehr seineeine9 Bedeutung hat; Ihnen
brauche ich die Bestätigungen und Documentierungen
aus dem Werk nicht anzuführen. - Diß zu Grunde gelegt,
so ist nun diese synthetische Einheit unter den Unter-
schied zu stellen und gestellt, - das einemal, bloße
[13v]Neutralität, Auflöslichkeit - etwa selbst Mischung
- wie mechanisch - +++10 des (bl.)blauen u. gelben Pulvers; aber auch das
chemische Gleichgewicht ist Neutralität. - Roth dagegen
wäre dieindividuelle Einheit - zum Subjectiven ver-
innigt, - um es mit einem Kunstterminus kurz auszu-
drücken; - die Form der Einheit als Individualität bedarf
bey Ihnen am wenigsten einer Erläuterung. -
Roth erklären Sie darum zum Königlichen der Farbe,
- wir zum lieblichen Innigen - der Rose; - mit leichter Schei-
nens-Veränderung das eine und das Andere.
Ich wünschte, daß Sie in dieser Stellung der Sache unter
unsere Formen, Ihren Sinn erkännten; so dürfte ich unsere
Explication gerechtfertigt glauben.
Schließlich bemerke, daß ich mir die Freiheit ge-
nommen, ein paar Aufsätze, in der Gestalt, wie sie sind,
ins Reine schreiben zu lassen, und sie beyzuschließen. -
Sie danken ihren Ursprung ganz den Unterhaltungen
mit (Hn)Herrn Schulz und von Henning vom vorigen Winter,
und betreffen einige Nebenumstände: der erste
hat vielleicht ein weiteres Interesse, um ein bey Ge-
legenheit des Doppelsehens hereinkommen wollendes,
Nahes und Fernes - zu entfernen. - Einen dritten habe
nicht mehr zu redigiren Zeit gewinnen können; er
betrifft gleichfalls ein Pfaff-pfäffisches Experiment,
auf das er sich besonders viel zu Gute thut, und das
Sie selbst zur Farbenlehre S. 454ff. ihm angegeben
- über Newtons 2ten u. 8ten Versuch; - es ist daran
ein Umstand, der besondere Beachtung verdient.
Doch ich muß schließen; in Berlin konnte diesen Brieff nicht mehr schreiben;
muß darum auch wegen der Wirthshausblässe der Dinte um Entschuldigung
bitten.
Euer Excellenz
gehorsamster Diener
P. S. Mit den Figuren
bitte Nachsicht zu
haben; ein Teil ist
gleichfalls mit hiesiger
blassen Dinte; - der Wein war
nicht so durchwässert
- Holder of rights
- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 15. September 1822. Hegel an Goethe. Z_1822-09-15_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-18BC-4