Erste Abtheilung: Am Rhein

Erstes Capitel.
Einleitung.

Es war im Winter des Jahres 1852, als ich von einem Jagdtrupp von Ottoe-Indianern in der beschneiten Prairie am Sandy Hill-Creek aus einer mehr als mißlichen Lage erlöst wurde. Siehe Möllhausen's »Tagebuch u.s.w. « »Abenteuer am Nebraska.«

Sechs Wochen, von Mitte November bis Anfang Januar, hatte ich an jener Stelle in einem kleinen Lederzelt im beständigen Kampfe gegen die unerbittliche Kälte, die furchtbarsten Schneestürme und die halbverhungerten Wölfe zugebracht, und während dieses ganzen Zeitraums, außer zwei feindlich gesinnten Pawnees, kein menschliches Wesen gesehen.

Seit Wochen waren meine Nahrungsmittel auf das zähe Fleisch der Wölfe und einen kleinen Vorrath von Mais beschränkt gewesen, welchen mir meine beiden von der Kälte getödteten Pferde übrig gelassen hatten, als durch das Erscheinen von sechs rüstigen Ottoe-Jägern, die mit Weib und Kind und mit Hülfe von einem Dutzend abgehärteter Mustangs ihrem Dorf am Missouri zueilten, neue Luft zum Leben in mir wachgerufen wurde.

Wie die guten Leute ohne Aussicht auf Belohnung mich bei sich aufnahmen, pflegten und, meinen durch die unglaublichsten Entbehrungen siech gewordenen Körper berücksichtigend, mir das Reisen durch die winterliche Wüste, so viel als möglich, erleichterten, habe ich bereits bei früheren Gelegenheiten geschildert; ebenso, wie sich allmälig ein herzliches Verhältniß zwischen meinen Gastfreunden und mir bildete, welches darin seinen Höhepunkt erreichte, daß Wakitamone, der Zauberer und Medicinmann und zugleich Führer des Trupps, mir erklärte, daß eine eheliche Verbindung zwischen seinen beiden ältesten Töchtern und mir ein für ihn sehr erfreuliches und schmeichelhaftes Ereigniß sein würde.

Selbstverständlich lehnte ich diese Ehre ab, indem ich vorgab, nicht im Besitz von hinlänglichen Mitteln zu sein, um in angemessener Weise das übliche Geschenk an Pferden, Decken und Waffen für die beiden niedlichen Mädchen an ihn entrichten zu können, doch erlitt das gute Einvernehmen zwischen uns dadurch keineswegs eine Störung.

Wakitamone blieb nach wie vor mein guter Freund, seine Töchter pflegten mich mit unveränderter Zuvorkommenheit, und ich wieder legte meine aufrichtige Theilnahme und ungeheuchelte Dankbarkeit dadurch an den Tag, daß ich getreu zu Allen hielt, mich in ihre seltsamen Gebräuche fügte und mich sogar an ihren Medicinmahlzeiten, deren Hauptbestandtheil gewöhnlich ein geschlachteter Hund, betheiligte.

[] Aber auch um meiner selbst willen stellte ich mich mit meinen rothhäutigen Gefährten auf gleichen Fuß. Ich wollte so viel, wie nur immer möglich, von ihren Sitten, Gebräuchen, überhaupt von ihrer ganzen Lebensweise kennen lernen, und keine Gelegenheit ließ ich vorübergehen, ohne nach dem Grunde dieses oder jenes Verfahrens zu fragen, und in demselben Grade, in welchem ich mich mit meinen Gastfreunden immer besser verständigen lernte, wurde es mir auch erleichtert, meine Wißbegierde zu befriedigen.

Die rege Theilnahme für die ihrem Untergange mit schnellen Schritten entgegeneilende Race, welche ich auf diese Weise an den Tag legte, lohnten die Indianer dadurch, daß sie mir bereitwillig über Alles, was ich wünschte, Auskunft ertheilten und mich sogar auf Manches hinwiesen, was im entgegengesetzten Fall meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre.

Unter den Gegenständen, welche vorzugsweise meine Neugierde erweckten, stand Wakitamone's Medicinkasten obenan.

Schon bei unserm eisten Zusammentreffen war mir der eigenthümliche Behälter aufgefallen, dergleichen ich zwar schon vielfach bei andern Stämmen wahrgenommen, jedoch nie genauer hatte prüfen können.

Dieser Medicinkasten, Zauberranzen, oder vielleicht richtiger bezeichnet: indianische Feldapotheke, hatte genau die Form und Größe eines Mantelsacks, wie sie von berittenen Reisenden und Soldaten auf den Sattel geschnallt werden, und aus steinhart gegerbtem Büffelleder bestehend, wurde er in ähnlicher Weise wie diese verschlossen und geöffnet. Dagegen sah ich ihn nie anders, als entweder auf Wakitamone's Schulter hängen, oder vor seinem Zelt gleichsam als Aushängeschild auf einem einfachen Gerüst, oder endlich bei bösem Wetter und zur Nachtzeit als Kopfkissen oder Rückenlehne meines sein Heiligthum mit der Wachsamkeit eines Cerberus hütenden Gastfreundes.

Schon am zweiten Tage meines Zusammenseins mit den Ottoes fühlte ich mich hinlänglich heimisch unter ihnen, um mit meinen Forschungen und Erkundigungen zu beginnen, und machte ich damit den Anfang, daß ich zur gelegenen Stunde meine Hand auf Wakitamone's Feldapotheke legte und ihn durch Zeichen bat, mir gütigst gestatten zu wollen, seine Heilmittel und zu Beschwörungen von Geistern unerläßlichen Amulete einer sorgfältigen Prüfung unterwerfen zu dürfen.

Wakitamone beantwortete mein Ersuch weniger höflich. Er entriß mir nämlich den Zauberranzen mit Heftigkeit und verdeutlichte mir zugleich, daß mein Einblick in sein Heiligthum mir nicht nur unfehlbar das Leben kosten, sondern auch, was noch bei weitem bedauernswerther, seinen Amuleten die Zauberkraft rauben würde.

[] Ich mußte daher von dem Versuch, auch in dem indianischen Medicinalwesen meine Kenntnisse zu bereichern, abstehen. Mit allen äußeren Zeichen der Achtung vor meines weisen Freundes Ansichten und Überzeugungen trat ich mit meiner ihm so ungebührlich erscheinenden Forderung zurück, obwohl ich in derselben Minute fest beschloß, selbst auf die Gefahr hin, mein Leben zu verlieren, nicht eher wieder von den Ottoes zu scheiden, bis es mir gelungen sein würde, den grimmen Krieger zu überlisten und mein Verlangen zu befriedigen.

Wakitamone's entschiedene Weigerung, meinem Wunsche zu willfahren, hatte also meine Neugierde, doch nennen wir es lieber: Wißbegierde, noch verdoppelt, doch hütete ich mich wohlweislich, meine heimlichen Absichten auch nur im Entferntesten durchblicken zu lassen. Ich stellte mich sogar, als habe seine Erklärung mir eine unüberwindliche Scheu vor dem gefährlichen Instrument eingeflößt, und um sein gegen mich erwachtes Mißtrauen vollständig einzuschläfern, würdigte ich den alten, seltsam geschmückten Behälter in nächster Zeit gar keines Blickes mehr. –

Sieben oder acht Tage hatten wir uns unterwegs befunden, als Wakitamone sich durch meine dringenden Vorstellungen bewogen fühlte, einen Rasttag zu halten.

Die scharfe Eiskruste, welche den Schnee bedeckte und nicht stark genug war, die Last eines Menschen zu tragen, hatte meine Füße durch die weichen wildledernen Mokasins hindurch derartig zerschnitten und wund gerieben, daß ich nur noch unter den größten Schmerzen zu wandern vermochte. Der Tag der Rast sollte also vorzugsweise dazu dienen, mich mit einer festeren, aus Büffelleder hergestellten Fußbekleidung zu versehen, und hatte Warukscha, die zweite Tochter des Medicinmannes, beiläufig bemerkt, mein Liebling, es freiwillig und anscheinend mit großer Freudigkeit übernommen, mir ein Paar derbere Mokasins anzufertigen. –

Die Männer waren bereits in aller Frühe ausgezogen; die Einen, um auf den spärlich bewaldeten Ufern des nahen Baches dem Hirsch nachzustellen; die Andern, um die dort sehr häufig vorkommenden Waschbären aus ihren hohlen Bäumen herauszuräuchern, und wiederum Andere hatten die Fährte eines Luchses aufgenommen, um demselben, wer weiß wie weit, bis in seinen Schlupfwinkel nachzuspüren.

Den Freuden der Jagd entsagte ich an diesem Tage sehr gern; ich lag auf einer zottigen Bisonhaut vor der in der Mitte des Zeltes ausgehöhlten Feuergrube, abwechselnd mit Rauchen, Zeichnen, Schreiben und dem Putzen meiner Waffen beschäftigt, und da alle Frauen und Kinder sich in dem andern, etwa zwanzig Schritte entfernten Zelte, zum Zweck des Maisstampfens und Ausbratens von Bärenfett, zu einer heitern Gesellschaft vereinigt hatten, so befand sich außer einem halben Dutzend Hunde nur noch Warukscha bei mir in Wakitamone's Wigwam.

Ich hätte also die schönste Gelegenheit gehabt, die geheimnißvolle Feldapotheke zu untersuchen, wenn nicht eben Wakitamone die Vorsicht gebraucht hätte, dieselbe mitzunehmen. Ich glaube indessen, daß er seinen Schatz weniger aus Furcht vor meiner Hinterlist mit sich führte, als weil er von demselben einen[] günstigen Einfluß auf den Erfolg seines Jagdausfluges erhoffte. –

Das Plaudern und Schnattern der Weiber und Kinder drang nur als dumpfes Gemurmel aus dem andern Zelte zu mir herüber; Warukscha arbeitete ämsig an meinen Mokasins; die in ein Knäuel zusammengekrochenen Hunde stöhnten, grunzten und bellten auch wohl im Traume, und ich endlich lehnte meinen Rücken gemächlich an ein großes Bündel Pelzwerk und betrachtete abwechselnd die bläulichen Ringe, welche sich meiner mit einer Mischung von süß duftenden Sumachblätlern und gedörrter Weidenrinde gefüllten Pfeife entwanden, und die Holzscheite, die über dem hellen Gluthhaufen allmälig in Kohlen und Asche zerfielen.

Auch zu Warukscha blickte ich gelegentlich hinüber, und indem ich die Tagereisen berechnete, welche uns noch von dem Missouri, unserm nächsten Ziel, trennten, und dabei des geheimnißvollen Medicinranzens gedachte, gelangte ich zu dem Resultat, daß Warukscha vielleicht die einzige Person sei, die Geheimnisse der gefährlichen Feldapotheke vor mir aufzudecken.

Schnell hatte ich meinen Plan entworfen, und etwas weiter um das Feuer herumrückend, rief ich die Indianerin laut bei Namen.

Auf meinen Ruf schleuderte Warukscha durch eine kurze Bewegung ihres Hauptes die ihr bei der Arbeit über die Stirn gesunkenen Haare zurück, und indem sie das ihr ziemlich geläufige englische Wort »Jes« aussprach, richtete sie ein Paar Augen auf mich, die an Glanz und Feuer gewiß den allerkostbarsten geschliffenen schwarzen Diamant übertrafen.

»Mädchen,« fuhr ich darauf mit feierlichem Ausdruck fort, »ich für meine Person halte Dich für eine Perle unter den Ottoe-Weibern, ich würde Dich indessen für noch viel anmuthiger und liebenswürdiger halten, wenn Du mir behülflich wärst, zum Frommen der Wissenschaft Deinen Vater in einer für ihn höchst unschädlichen Angelegenheit zu hintergehen.«

»Jes,« antwortete Warukscha lächelnd. Das arme Kind hatte mich nicht verstanden und spähte mit rührender Einfalt im Zelt umher, um den Gegenstand zu entdecken, nach welchem ich vielleicht verlangt haben könne.

Mit Worten war also nichts auszurichten und mußte ich daher zu andern Mitteln meine Zuflucht nehmen.

Ohne zu zögern ergriff ich eine mir zur Hand liegende Decke, und nachdem ich sie unter Warukscha's gespannten Blicken in die Form des Medicinkastens zusammengerollt und mit dem entsprechenden Riemenwerk umgeben hatte, hielt ich ihr dieselbe hin.

Einen Augenblick betrachtete Warukscha das Bündel sinnend; dann aber brach sie in ein geräuschloses aber herzliches Lachen aus, und ihre kleinen schmalen Hände mit lautem Schall zusammenschlagend, gab sie mir zu verstehen, wie sehr sie meine Kunstfertigkeit bewundere.

Nachdem sie erst das Ebenbild von ihres Vaters Zauberranzen erkannt hatte, kostete es keine große Mühe, ihr mit Hülfe der zusammengerollten Decke meine frommen Wünsche begreiflich zu machen.

Mit ängstlicher Aufmerksamkeit war sie allen [] meinen Bewegungen gefolgt; doch in demselben Grade, in welchem ihr meine Wünsche klar würden, verlor ihr Antlitz den freundlichen, arglosen Ausdruck; und als sie dann endlich gewahrte, wie ich mit ruchloser Hand die Riemen von der Decke löste und vorsichtig in den geöffneten Scheinmedicinranzen hineinschaute, starrte sie sprachlos vor Entsetzen zu mir herüber. Sie schien meine Verwegenheit gar nicht fassen zu können, und unwillkürlich streckte sie mir ihre Hände entgegen, wie um mich an der Ausübung eines so furchtbaren Verbrechens, dem nach ihrer Meinung die Strafe auf dem Fuße nachfolgen mußte, zu verhindern.

Sie hatte mich also vollständig errathen und begriff, daß ich es nicht bei dem vorläufigen Schauspiel mit der Decke bewenden lassen wolle. Es bedurfte daher von meiner Seite nur einiger geringfügigen Zeichen, um ihr zu erklären, daß ich bei meinem gefährlichen Unternehmen ihr die Hauptrolle zugedacht habe.

Meine Zumuthung, das Original, nach welchem ich das Bündel geformt hatte, auf einige Stunden für mich zu entwenden, traf die arme Warukscha abermals wie ein Wetterschlag; sie zitterte am ganzen Körper und sich schmollend von mir abwendend, begann sie mit großer Aemsigkeit an den Mokasins zu nähen, ihre Arbeit, um mir ihre Nichtachtung meiner Vorschläge zu beweisen, mit einer leisen monotonen Melodie begleitend.

»Kero–Kero–Kero–li–la,« sang Warukscha, und ich, um ihr nichts nachzugeben, kehrte ihr ebenfalls den Rücken zu, worauf ich das Lied von der schönen Lorelei anstimmte. Kaum aber hatte ich zu singen angefangen, so schwieg sie still.

Sie liebte nämlich Melodie'n civilisirter Nationen über Alles, und keine größere Freude konnte ich meinen damaligen Gastfreunden bereiten, als wenn ich ihnen irgend ein deutsches Liedchen vortrug und mit zwei klingenden Stäben auf einem dritten Stück Holz den Takt dazu trommelte.

Da es nun keineswegs in meiner Absicht lag, Warukscha für ihren Aberglauben und Eigensinn noch angenehm zu unterhalten, im Gegentheil, ich sie meinen ganzen Zorn wollte fühlen lassen, so schwieg auch ich sogleich wieder, und um überhaupt nicht ganz unbeschäftigt zu sein, begann ich mit vielem Bedacht meine Pfeife zu füllen.

Wie gewöhnlich reichte auch dieses Mal das aufmerksame Mädchen mir mit der eigentümlichen Unterwürfigkeit einer indianischen Frau einen Feuerbrand dar.

Ich aber hatte mich mit aller mir zu Gebote stehenden Grausamkeit gewappnet, und den Feuerbrand mit Verachtung zurückweisend, suchte ich mir selbst unter der heißen Asche eine geeignete glimmende Kohle hervor.

Traurig und mit dem Ausdruck getäuschter Hoffnung begab Warukscha sich wieder an ihre Arbeit, und in den nächsten zehn Minuten herrschte in unseren Wigwam das tiefste Schweigen.

Die Hunde dagegen seufzten und schnarchten nach wie vor; das Feuer knisterte; in dem von einem galgenartigen einfachen Gerüst niederhängenden Kessel brodelte und schäumte es, und halb auf dem Rücken[] liegend beobachtete ich die meiner Pfeife entströmenden blauen Wölkchen, wie dieselben, in mancherlei bizarren Formen emporwirbelnd, sich mit dem Rauch des Feuers und dem Dampf des Kessels vereinigten und mit diesen in der äußersten Spitze des pyramidenförmigen Zeltes durch eine sinnig angebrachte Oeffnung das Freie suchten.

Auch auf dem siedenden Inhalte des Kessels hafteten meine Blicke zuweilen, und auf den langfingeringen Tatzen von Waschbären, die eine so merkwürdige Aehnlichkeit mit kleinen Händen trugen und gemeinschaftlich mit gelben und rothen Maiskörnern von den zischenden Blasen gelegentlich emporgeworfen wurden, um eine Weile mit komischer Beweglichkeit auf der brodelnden Oberfläche zu tanzen, daß es sich ausnahm, als hätten sie noch Leben besessen und sich mit aller Gewalt gegen das ihnen bestimmte Loos gesträubt.

Dann spähte ich auch heimlich zu Warukscha hinüber, um aus ihrem Wesen zu errathen, wie lange sie es wohl ertragen würde, mit mir auf gespanntem Fuße zu leben, und von Warukscha wendete ich meine Aufmerksamkeit wieder den blauen Tabakswölkchen zu, unbekümmert darum, daß die Indianerin recht tief auf seufzte und die Wildflechsen, mittelst deren sie die festen Lederstücke in Schuhform zusammenfügte, mehrfach ihren Händen entglitten und sogar mit lautem Geräusch entzweisprangen.

»Nahanga!« rief endlich nach einer langen Pause Warukscha im Flüsterton zu mir herüber.

Nahanga war der Name, welchen mir meine Ottoe-Freunde beigelegt hatten.

»Nahanga!« ertönte es zum zweiten Male und etwas lauter.

Ich stellte mich, als ob ich den Ruf wohl vernommen habe, jedoch keine Lust hege, ihn zu beachten.

»Nahanga!« rief Warukscha wieder, und als ich auch jetzt noch immer störrisch schwieg, erhob sie sich, und in der nächsten Minute kniete sie an meiner Seite, die zusammengeschnürte Decke in ihren zitternden Händen haltend.

Anfangs errieth ich nicht, was sie bezweckte; sobald sie aber, ihre ängstlichen Blicke auf mich gerichtet, die Decke auseinander rollte, begriff ich, daß der Wunsch, Frieden mit mir zu schließen, den Sieg über ihre abergläubische Furcht davongetragen habe.

Ich gab ihr daher meine vollste Zufriedenheit zu erkennen, worauf ich sie dadurch wieder einigermaßen tröstete und beruhigte, daß ich ihr durch leicht verständliche Zeichen versprach, ihrem Vater nichts entwenden, sondern nur einen Blick in seine Apotheke werfen zu wollen.

Unser freundschaftliches Verhältniß war somit wieder hergestellt, und wenn die Indianerin meinen Worten vollen Glauben beimaß und mein Versprechen ihre Besorgnisse zum größten Theil verscheuchte, so wußte ich, daß ich nicht minder fest auf ihre Zusage rechnen durfte. Ich nahm mir daher gar nicht mehr die Mühe, darnach zu forschen, wann, wo oder wie sie ihren Plan auszuführen gedenke. Durch unmännliche Kundgebungen von Mißtrauen und Ungeduld hätte ich überhaupt nur die Achtung meiner Mitverschworenen und damit auch meinen Einfluß auf sie verscherzen können. –

[] Nur einmal, und zwar noch am Abend desselben Tages befürchtete ich, daß Warukscha sich als zu schwach für ihre Aufgabe ausweisen würde. Es war, als der heimkehrende Wakitamone in's Zelt eintrat und, nachdem er seine Jagdbeute, einen prächtigen Luchs, in einen Winkel geworfen und seine Waffen zusammen mit dem Zauberranzen behutsam auf seine Lagerstätte niedergelegt hatte, mir mit einem sehr jovialen: »Hau Antarro, Nahanga« – was so viel bedeutet, wie: ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Abend zu wünschen – die Hand kräftig schüttelte.

Ich begrüßte den riesenhaften Krieger mit aller, seinem Stande und seiner Würde gebührenden Achtung, indem ich ihm meine brennende Pfeife darreichte, um ihn einige Züge aus derselben thun zu lassen, was er mit entsprechender Förmlichkeit ausführte und mit verschiedenen, gewiß sehr schwungvollen Komplimenten in der Ottoe-Sprache begleitete.

Durch seine Höflichkeit fühlte ich mich veranlaßt, ihm in gutem Deutsch zu erwidern, wie außerordentlich schmeichelhaft es mir sei, mit einem so berühmten Krieger und weisen Zauberer abermals Brüderschaft geraucht zu haben, daß ich aber trotzdem nicht umhin könne, im Verein mit seiner schönsten schwarzäugigen Tochter, den fürchterlichsten Verrath gegen ihn und seine Feldapotheke zu spinnen.

Wakitamone gab sich das Ansehen, als habe er jedes einzelne meiner Worte verstanden, denn er drückte seine nackte, mit feuerrothen Wellenlinien und einer gelben Hand geschmückte Brust noch weiter heraus, und indem er sich mit der Faust auf dieselbe schlug, daß sie wie ein kupferner Kessel dröhnte, sagte er Etwas, das nicht nur aufrichtig klang, sondern auch ehrlich gemeint sein mußte. Ich glaubte nämlich dies annehmen zu dürfen, weil Warukscha sich schnell abwendete, um einen Ausdruck des Bedauerns und der Furcht vor ihrem Vater zu verbergen, und übersetzte daher seine tiefen Gurgellaute mit: »Auf Ehre, mein Freund, Treue bis zum Tode, und ewige Verdammniß demjenigen, der den Andern hintergeht.«

Zum Glück hielt er es unter seiner Würde, sich speciell um die Gefühle von Weibern zu kümmern; es wäre ihm sonst wohl kaum entgangen, daß seine schuldbewußte Tochter sorgfältig vermied, seinen durchdringenden Blicken zu begegnen, und sich ihres Uebereinkommens mit mir schämte oder auch gar dasselbe bereute.

Doch bei den Indianern ist es, wie bei vielen andern Menschen: sie gewöhnen sich sehr bald an den Gedanken, eine Sünde begangen zu haben, namentlich aber, wenn dieselbe ungestraft bleibt; und so hatte auch ich noch an demselben Abend die Genugthuung, zu bemerken, daß Warukscha's böses Gewissen sich schnell beruhigte und sie sich allmälig mit dem Gedanken aussöhnte, mir bei dem Durchkramen des gefährlichen Heiligthums behülflich zu sein. –

Sechs Tage waren wieder verstrichen, den Missouri hatten wir nach fünf mühevollen Märschen durch Schnee und Eis erreicht und unterhalb der das breite Thal begrenzenden Hügel in einem Dickicht von Weiden und Pappelbäumen unser Lager aufgeschlagen.

Von dort aus brauchte ich nur über den fest zugefrorenen Strom zu wandern, um mich bei einem hart am Ufer angesiedelten Pelztauscher mit einigen [] Lebensbedürfnissen zu versehen, deren Mangel sich bereits seit langer Zeit sehr fühlbar gemacht hatte.

Des Anschlages auf den Medicinranzen war zwischen Warukscha und mir nicht wieder gedacht worden. Das Mädchen schien sogar absichtlich jede Unterhandlung mit mir zu vermeiden, und hätte ich nicht hin und wieder in ihren Augen das Gegentheil gelesen, so wäre wohl Grund zu dem Verdacht vorhanden gewesen, daß sie in ihrem Entschluß wankend geworden sei.

Wakitamone zeigte sich gnädiger gegen mich, denn je. Er hatte mich wohlbehalten an den Missouri gebracht und damit seine Aufgabe gelöst, und zu genau wußte er, daß ich nicht verfehlen würde, ihn für seine geleisteten Dienste auf einem weiter oberhalb gelegenen Handelsposten nach meinen besten Kräften zu belohnen.

Der gute Wakitamone, wenn er nur geahnt hätte, wie sein Vertrauen mißbraucht werden sollte; gewiß würde er mit den Beweisen seiner wohlwollenden Gesinnungen weniger verschwenderisch gegen mich gewesen sein.

Ja, der gute Wakitamone, mit seinem steil emporgewöhnten halblangen Haar und der zierlich geflochtenen Skalplocke, mit seinem ausdrucksvollen, feuerroth gefärbten Antlitz und den blitzenden Augen, mit dem stattlichen Halskragen von sinnig aneinandergereihten Bärenkrallen und dem scharf geschliffenen Tomahawk; was half ihm sein Ruf als Krieger und Medicinmann, was half ihm sein Geisterseher- und Teu felbeschwörer-Talent? Er wurde hintergangen, schmählich hintergangen von seiner eigenen Tochter und einem fremden Eindringling, mit dem er vor dem Feuer in seinem Wigwam so manche Mahlzeit getheilt, so manche Brüderschaftspfeife geraucht hatte! –

Der Morgen war irisch, die Atmosphäre klar; ein scharfer Nordwind fegte erstarrend durch das Thal des Missouri und trieb die losen feinen Eiskrystalle auf der spiegelglatten Decke des regungslosen Stromes lustig vor sich her.

Ich stand im Begriff, den auf dem andern Ufer wohnenden Weißen einen Besuch abzustatten und war eben aus dem Dickicht in's Freie getreten, als ich von Warukscha durch ein lautes Zischen in den Schutz der dicht stehenden Weiden zurückgerufen wurde.

Natürlich leistete ich augenblicklich Folge, und meine freudige Ueberraschung war nicht gering, als die junge Indianerin mich benachrichtigte, daß nunmehr die Zeit zum Handeln gekommen sei.

Meine Freude über ihre Mittheilung beachtete sie nicht; dagegen forderte sie mich mit ängstlicher Geberde auf, bald nach Einbruch der Dunkelheit in der Nähe von ihres Vaters Wigwam auf weitere Zeichen von ihr zu harren, woran sie die wiederholte Versicherung schloß, daß meine Neugierde befriedigt werden würde.

»O, Weiber!« rief ich entzückt aus, indem ich Warukscha zärtlich umarmte und einen Kuß auf ihre Lippen – den einzigen unbemalten Theil ihres sonst gewiß recht anmuthigen Gesichtes – drückte, »o Weiber, selbst die indianischen Squaws nicht ausgenommen, wie viele Millionen Jahre muß Mutter Eva im Fegefeuer brennen, wenn sie alle Erbsünden, welche sie auf ihre weibliche Nachkommenschaft übertrug, abbüßen soll?«

[] »Jes,« antwortete Warukscha, sich fester in ihre warme Büffeldecke hüllend.

»Und Du Mädchen,« fuhr ich scherzhaft fort, mich herzlich ergötzend an dem fragenden Ausdruck, mit welchem die Indianerin mir in die Augen schaute, »Du Perle aller listigen Ottoe-Squaws; Du edle Tochter eines edlen Medicinmannes, und wäre Mutter Eva so weiß gewesen, wie frisch gefallener Schnee, so würde ich in Dir, trotz Deiner schönen Mahagonyfarbe, stets eine würdige, vollendete Evastochter erkennen und begrüßen!«

»Jes,« entgegnete Warukscha, mit einem beifälligen Kopfnicken.

»Du pflichtest mir bei?« rief ich in der besten Laune aus, »wohlan, ich entdecke darin Deine großen und hervortretenden Anlagen zu einer verfeinerten Bildung; mögest Du indessen in Deinem Leben nie eine schwerere Sünde begehen, als Diejenige, zu welcher ich Dich verleitete, und Dir wird in den glückseligen Jagdgefilden gewiß kein zu verachtender Platz angewiesen werden!«

»Jes, jes, jes,« wiederholte Warukscha, indem sie zum Zeichen der Vorsicht den niedlichen Zeigefinger quer über ihre Lippen legte und gewandt, wie ein Wiesel, in das Dickicht zurückglitt.

Ich dagegen wanderte frohen Muthes über den Missouri, und trotzdem ich mich in der warmen Stube und der heiteren Gesellschaft des gastfreien Pelztauschers und seiner Gehülfen außerordentlich wohl befand, sehnte ich doch den Abend herbei, an welchem mir endlich das Heiligthum des großen Medicinmannes erschlossen werden sollte. –

Zur verabredeten Stunde traf ich auf der bezeichneten Stelle mit Warukscha zusammen.

Viel mit einander sprechen konnten wir nicht, unsere beiderseitige Sprachkenntniß reichte dazu nicht aus, doch verstand ich, daß weiter oberhalb, hart an der Mündung des Nebraska, wo die Wigwams der Ottoes gedrängter standen, das glückliche Eintreffen des letzten Jagdtrupps durch einen großen Medicintanz gefeiert und verherrlicht werden solle.

Schließlich ermahnte sie mich zur Geduld, und ihre Kühnheit war während meiner kurzen Abwesenheit in so hohem Grade gewachsen, daß sie mich sogar auf einem Umwege an die Rückseite des Zeltes führte, wo ich durch eine kleine Oeffnung in dem straff gespannten Leder das ganze Innere ziemlich genau übersehen konnte.

In dem Zelte befanden sich nur Wakitamone und zwei schlanke, schön gebaute Jünglinge, alle drei sehr ämsig damit beschäftigt, ihre nackten Oberkörper, Arme und Gesichter festlich zu bemalen. Die übrigen Bewohner des Zeltes hatten sich bereits dahin begeben, wo ein großer Feuerschein, der einem mächtigen Scheiterhaufen entströmte, Zuschauer wie handelnde Mitglieder von nah und fern zusammenlockte.

Ob Warukscha befohlen worden war, zur Bewachung des Wigwams zurückzubleiben, oder ob sie sich freiwillig dazu bereit erklärt hatte, ging weder aus ihrem, noch aus dem Benehmen Wakitamone's hervor; jedenfalls erhielt ich sehr bald den untrüglichsten Beweis, daß ihr die Erfüllung meiner Wünsche mehr am Herzen lag, als das Wohlwollen ihres Vaters.

[] Eine halbe Stunde war nämlich vorstrichen, nachdem die Indianerin sich von mir getrennt hatte und wieder in's Zelt geschlüpft war, als ich von meinem Posten aus bemerkte, daß die drei Krieger sich erhoben und die zu dem Tanz notwendigen Waffen und Zierrathen auf ihren Körpern befestigten.

Der Medicinranzen schien ebenfalls seine Rolle bei den Festlichkeiten spielen zu sollen, denn Wakitamone hatte ihn neben sein Lager auf die Erde gelegt, offenbar mit der Absicht, ihn ganz zuletzt, wenn er sich in seine Büffelhaut gehüllt haben würde, um seine Schultern zu schlingen.

Alle waren fröhlich und guter Dinge, und mit manchen, ohne Zweifel sehr verbindlichen Redensarten nahmen die Krieger die großen Fleischstücke in Empfang, welche Warukscha mittelst eines gabelförmigen Stabes aus dem brodelnden Kessel fischte und ihnen zur Stärkung mit auf den Weg gab. Dabei blitzten des Mädchens Augen ängstlich und verstohlen im Kreise herum, als wenn es mit einem kühnen Entschluß umgegangen wäre und nur auf die geeignete Gelegenheit, denselben auszuführen, gelauert habe.

Mit wachsender Spannung verfolgte ich jede einzelne Bewegung der Indianerin; doch vergeblich bestrebte ich mich, aus denselben ihre heimlichen Absichten herauszulesen, und immer näher rückte der Zeitpunkt, in welchem Wakitamone voraussichtlich seine Hand nach dem Medicinränzel ausstrecken würde.

Endlich, ganz zuletzt, als ich Warukscha's Plan bereits als gescheitert betrachtete, trat sie handelnd auf, und zwar mit einer solchen Gewandtheit und einer so schlauen Berechnung, daß ich kaum ein verrätherisches Lachen zu unterdrücken vermochte.

In demselben Augenblick nämlich, in welchem Wakitamone seinen Schatz an sich nehmen wollte, verlor der über dem Feuer hängende Kessel durch eine geschickte Bewegung des Mädchens das Gleichgewicht, so daß ein großer Theil des siedenden Inhaltes herausstürzte und nicht nur Wakitamone's Lagerstätte, sondern auch den so heilig gehaltenen Medicinranzen überströmte.

Der Medicinmann, um nicht verbrüht zu werden, sprang unter dem schallenden Gelächter seiner beiden jungen Geführten zurück; gleich darauf bewegte er sich aber wieder mit derselben Schnelligkeit nach vorn, um sein Heiligthum vor Schaden zu bewahren; allein er kam zu spät. Das steife Leder, von welchem kaltes Wasser vollständig harmlos abgetrieft wäre, war durch die siedende Flüssigkeit zum Theil aufgeweicht worden und befand sich in einem Zustande, daß es vielleicht Stunden des vorsichtigsten Trocknens bedurfte, um dem Zusammenschrumpfen desselben vorzubeugen.

Wakitamone's Schreck über den Unfall war so groß, daß er vergaß, seiner Tochter wegen des von ihr verübten Verbrechens Vorwürfe zu wachen; daß Warukscha aber wirklich eine harte Strafe erwartet hatte, bekundete sie durch die ungeheuchelte Verwirrung und Angst, welche aus ihren Zügen wie aus ihrer ganzen Haltung sprachen.

Alles lief also glücklicher ab, als ich im ersten Augenblick zu hoffen gewagt hätte. Wakitamone beruhigte sich, sobald er die Ueberzeugung gewann, daß von der zerstörenden Flüssigkeit nichts in das Innere des Behälters eingedrungen war, und leicht fügte er[] sich in die Notwendigkeit, ohne die äußeren Embleme eines weisen Zauberers der nächtlichen Festlichkeit beizuwohnen. Wie mir schien, betrachtete er den Vorfall als eine höhere Weisung, welche er, anstatt darüber zu hadern, dankbar entgegen zu nehmen habe. Seine beiden jüngeren Gefährten waren unterdessen schon ungeduldig geworden, und gemahnt durch deren Bitten, wie auch durch das wilde Gellen und Heulen, welches von dem Ufer des Nebraska sogar bis zu ihm in's Zelt drang, belehrte er nur noch Warukscha, wie sie, ohne den Behälter zu öffnen und ohne Nachtheil für dessen Inhalt, mit dem Trocknen zu Werke zu gehen habe, worauf er die Büffelhaut fester um seine Schultern zusammenzog und den beiden vorausgeeilten jungen Leuten schnell nachfolgte.

Hätte er mich, den er auf der andern Seite des Missouri glaubte, in der Nahe gewußt, so würde er sich schwerlich ohne Bedenken von seinem Medicinranzen getrennt haben. Von seiner Tochter aber, die den geheimnißvollen Behälter mit einer gewissen Scheu anzusehen gewohnt war, befürchtete er nicht, daß die Neugierde den Sieg über ihren Aberglauben davontragen könne. –

Kaum befand sich Wakitamone aus der Hörweite, als ich, durch ein Zeichen Warukscha's dazu aufgefordert, zu ihr in's Zelt schlich.

Mit vieler Sorgfalt breiteten wir zunächst die nassen Decken des Medicinmanns zum Trocknen vor dem Feuer aus, und nachdem wir einen ausreichenden Vorrath von Holz zur Unterhaltung des Feuers in unsere Nähe gelegt, nahmen wir die alte Feldapotheke zwischen uns, um mit kühner Stirne allen bösen Geistern der indianischen Unterwelt Trotz zu bieten und mit unsern ungeweihten Händen nach Herzenslust zwischen den verborgenen Heiligthümern zu wühlen.

Vor Wakitamone, dessen Heimkehr innerhalb der nächsten fünf Stunden nicht zu erwarten stand, brauchten wir uns nicht zu fürchten und noch weniger vor den übrigen Hausgenossen, die lieber, wer weiß was geopfert, als auch nur eine Viertelstunde des Anblicks des erheiternden und aufregenden Medicintanzes eingebüßt hätten. –

Der Medicinranzen hatte, wie schon erwähnt, die Form und Größe eines Reiterfelleisens. Derselbe wurde durch drei zähe Riemen zusammengehalten, deren jeder einzelne an der niederwärts hängenden Seite eine lange schwarze Skalplocke als Verzierung trug. Die Skalpe waren noch mit dem freilich schon sehr zerstörten Schmuck versehen, welchen deren ursprüngliche Besitzer einst auf ihrem Wirbel befestigt hatten. Namentlich fiel mir die größte dieser unheimlichen Trophäen auf, in welcher sich eine Strähne weißer Haare befand. Bei näherer Untersuchung der gedörrten Kopfhaut stellte sich heraus, daß die Haare in Folge einer schweren Verwundung, deren Narbe noch deutlich erkennbar, diese Farbe angenommen hatten.

Während ich mich nun mit den alten Siegestrophäen beschäftigte, betrachtete Warukscha die Riemen und Knoten aufmerksam, und erst nachdem sie deren Lage und Verschlingungen ihrem Gedächtnis; genau eingeprägt, gestattete sie mir, den merkwürdigen Behälter zu öffnen.

[] Als ich das Deckelleder zurückschlug, erblickte ich zuerst die getrocknete Haut einer der großen, rautenförmig gezeichneten Klapperschlangen.

Dieselbe lag so, daß sie den übrigen Inhalt verbarg und mir nicht nur ihre achtzehn, bei der leisesten Berührung schnurrenden Klappern, sondern auch den weitgeöffneten, mit mächtigen, indeß nur zur Hälfte aus den getrockneten Giftschläuchen hervorragenden Fangzähnen bewaffneten Rachen entgegenstreckte.

Es war also der triftigste Grund vorhanden, mit äußerster Vorsicht zu Werke zu gehen; denn konnte uns die sichtbare Haut auch nicht weiter gefährlich werden, so blieb doch sehr fraglich, ob nicht noch andere, mit tödtlicher Verletzung drohende Köpfe im Innern als Wächter des Heiligthums angebracht seien. Jeden falls hielt ich für gerathen, meine Hand mit meinem Gürtel zu umwinden, eh' ich meine Forschungen fortsetzte.

Mit leichter Mühe entfernte ich also die Klapperschlangenhaut, wobei Warukscha mir, offenbar sehr schweren Herzens, Hülfe leistete. Nachdem ich sodann noch den kostbaren weißgegerbten Balg eines schwarzen Fuchses, der statt der Augen, zwei messingene Uniformsknöpfe an der Stirne trug, hervorgezogen, lagen endlich die zur Beschwörung von Geistern und Heilung von Kranken erforderlichen und unfehlbaren Zaubermittel vor mir.

Mit größtem Interesse betrachtete ich die wunderliche Sammlung eine Weile, ohne sie anzurühren. Warukscha gewann dadurch Zeit, sich die Ordnung, in welcher sie verpackt waren, zu merken, worauf ich ein Stück nach dem andern, in meine profanen Hände nahm, die einzelnen Sachen von allen Seiten sehr bedächtig prüfte und sie meiner dienstfertigen Gefährtin darreichte, welche sie wieder in bestimmter Reihenfolge neben sich auf die Erde legte.

Manche Gegenstände waren mir fremd, und es gelang mir auch nicht, von der jungen Indianerin Aufschluß über dieselben zu erhalten; was ich aber erkannte, genügte vollkommen, um mir einen ziemlich klaren Begriff von dem Indianischen Medicinalwesen zu verschaffen. Zum Beispiel die auf einen Riemen gestreiften Weißen Schnäbel großer schwarzer Spechte, die Füße einer Landschildkröte, Fängen und Schnabel eines Kriegsadlers, mehrere getrocknete Eidechsenleichen, ein in Blut getauchter Lederstreifen, eine Probe von dem berühmten rothen Pfeifenkopffelsen, eine alte Quittung über empfangenen Sold vom Jahre 1816, Beutelchen mit Asche, und andere, welche menschliche Fingerknochen und noch mit blechernen Zierrathen geschmückte Ohrzipfel enthielten. Als ich dann aber wieder die Haut einer kleinen Prairieklapperschlange hervorzog und dadurch die unterste Schicht der seltsamen Apotheke bloßlegte, verloren die kleineren Gegenstände plötzlich allen Werth für mich, und ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich eine dicke Rolle vergilbten und engbeschriebenen Papiers entdeckte.

Behutsam nahm ich die Rolle zur Hand, denn auch sie wurde von den Giftzähnen der Klapperschlange und der gefährlichen Kopperhead bewacht, deren abgeschnittene Köpfe mittelst eines Streifens Otterfell sinnig an derselben befestigt worden waren. [] Es ging daraus hervor, daß Wakitamone einen hohen Werth auf »sprechendes Papier« legte und einen großen Theil seiner Erfolge auf Jagdzügen und Kriegspfaden der Wirkung der Zauberrolle zuschrieb.

Trotz Warukscha's abwehrender Zeichen, trotzdem sie mit warnender Geberde nach der Richtung hinüberwies, in welcher ihr Vater zur Zeit wohl schon mit wildem Gellen um das hellflackernde Feuer herumtanzte, ließ ich mich nicht abhalten, die Schlangenköpfe von der Papierrolle zu entfernen, um wenigstens einen Blick in die alte Schrift zu werfen.

Das Mädchen war ja meine Mitschuldige und ein Verrath von ihrer Seite nicht zu befürchten, weil im Fall einer Entdeckung sie selbst zuerst von dem Zorn ihres Vaters getroffen worden wäre. Sie beruhigte sich denn auch, sobald sie sich überzeugt, daß ich unerbittlich sei, und in der nächsten Minute entrollte ich meinen kostbaren Fund.

Derselbe bestand aus mehreren Hundert Quartblättern, die, obgleich von verschiedener Größe, Güte und Farbe, doch sehr sorgfältig nummerirt und nach den Nummern geordnet und zusammengeheftet waren. Augenscheinlich um Raum zu ersparen, waren sie sehr eng beschrieben, und nach der bald sehr blassen, bald dunkleren und bräunlich oder bläulich gefärbten Dinte zu schließen, mußte der Schreiber bei der Beschaffung der erforderlichen Materialien mit zahlreichen Hindernissen zu kämpfen gehabt haben. Am meisten überraschte mich indessen, daß der Verfasser, wer er auch immer gewesen sein mochte, sich der deutschen Sprache und deutscher Schrift bedient hatte.

Ich schlug die Blätter auseinander und las bei dem flackernden Licht der Flammen eine mir zuerst in die Augen fallende Stelle. Ich las die erste Seite, die zweite, die dritte und vierte, und vergessen waren der Zauberer und seine Tochter, vergessen meine Umgebung und die Gefahr, welche mir drohte, wenn mein Gastfreund zufällig heimgekehrt wäre.

Ich las, und je weiter ich las, um so mehr befestigte sich in mir der Entschluß, die Rolle um keinen Preis wieder aus den Händen zu geben, sogar, um dieselbe zu behalten, vor einem ernstlichen Zank mit dem Zauberer selbst nicht zurückzubeben.

Warukscha saß neben mir; ich fühlte, daß ihre besorgnißvollen Blicke auf mir hafteten, aber ich las ruhig weiter.

Da trug ein Windstoß den tollen Lärm bei dem Medicinfeuer lauter und deutlicher zu uns herüber. Erschreckt fuhr ich empor, und ebenso erschreckt langte Warukscha nach der geöffneten Rolle.

Erst eine Stunde war seit Wakitamone's Aufbruch verstrichen, seine Rückkehr also in nächster Zeit noch nicht zu befürchten. Aber ich mußte auf alle Fälle vorbereitet sein, und die Blätter wieder zusammenrollend und in meine Kugeltasche schiebend, traf ich Anstalt mit dem Einpacken der umherliegenden Gegenstände zu beginnen.

So leichten Kaufs sollte ich indessen nicht davonkommen, denn Warukscha bemerkte nicht sobald meine Abficht, das Manuskript als gute Beute erklären zu wollen, da wurde auch ihre abergläubische Furcht rege, und mich mit allen Zeichen des Entsetzens umklammernd, suchte sie mir den aufgefundenen Schatz zu entreißen.

[] Da halfen keine Liebkosungen, keine Vernunftgründe, sie bestand darauf, daß die Zauberkraft ihres Vaters nicht zerstört werden dürfe und die alte Feldapotheke unter jeder Bedingung in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden müsse.

Verdrießlich blickte ich umher; zur Gewalt meine Zuflucht zu nehmen, erschien mir undankbar und widerstrebte den freundschaftlichen Gefühlen, welche ich im Allgemeinen gegen Indianer hegte, und so wählte ich denn einen Ausweg, der mich zwar einige Blätter des Manuscriptes kostete, dafür aber die der Verzweiflung nahe Indianerin wieder einigermaßen beruhigte.

Ich riß nämlich mehrere Weiße Bogen aus meinem von mir unzertrennlichen Skizzenbuch, ferner nahm ich einige uralte Nummern des New-York-Herald, die ich zum Verpacken von präparirten Vogelbälgen bei mir führte, hierzu fügte ich noch ein Stück von meiner sehr schadhaften Weste, und nachdem ich alle diese Gegenstände in eine ähnliche Rolle, wie die entwendete, zusammengedreht hatte, wickelte ich zuletzt die beiden äußersten und am wenigsten leserlichen Blätter des Manuscriptes um dieselbe; dabei ging ich so behutsam und geschickt zu Werke, daß es bei einem oberflächlichen Hinblick gewiß nicht leicht gewesen wäre, die falsche Rolle von der echten zu unterscheiden.

»Von zwei Uebeln muß man stets das kleinere wählen,« dachte Warukscha unstreitig, als sie mit kundiger Hand die Schlangenköpfe an das untergeschobene Amulet befestigte. »Von zwei Uebeln muß man stets das kleinere wählen,« dachte auch ich, als ich blutenden Herzens die beiden beschriebenen Blätter unter dem Pelzstreifen verschwinden sah. So trösteten wir uns in gleicher Weise; was wir aber in nächster Zeit noch weiter dachten, ging verloren in der Eile und Vorsicht, mit welcher wir Alles wieder an seinen gewohnten Platz brachten.

Das Schürzen der Knoten übernahm Warukscha, und nachdem sie sich, noch einmal dicht an die Flammen herantretend, überzeugt, daß selbst das schärfste Auge keinen Unterschleif zu entdecken vermöge, hing sie den Medicinranzen, wie ihr von ihrem Vater geheißen worden war, in angemessener Entfernung von dem Feuer zum Trocknen auf, durch gelegentliches Umdrehen verhütend, daß das feuchte Leder in der Hitze zusammenschrumpfte.

Meiner eigenen Sicherheit wegen, wie auch um Warukscha zu beruhigen, ging ich noch in derselben Nacht, und zwar recht zufrieden mit dem Erfolg meines Unternehmens, über den Missouri zurück.

Damals ahnte ich nicht, welchen Werth die alten Schriften dereinst noch für mich haben würden. Ich war nur froh, mitten in tiefster Wildniß eine Unterhaltung für die langen Winterabende gefunden zu haben. Später aber, als ich den Inhalt des ganzen Manuscriptes kannte und noch andere, den Werth desselben erhöhende Umstände hinzutraten, betrachtete ich es als eine wunderbare Fügung des Geschicks, in den Besitz desselben gekommen zu sein.

Von Wakitamone, den ich am folgenden Morgen noch einmal in seinem Wigmam besuchte, und von seiner Familie und namentlich von Warukscha, trennte ich mich nach einem, nach dortigen Begriffen, sehr herzlichen Abschied, auf längere Zeit.

[] Ich wanderte nordwärts zu den Omahas, und bei einem dort angesiedelten Pelztauscher bot sich mir die erste Gelegenheit, die geraubten Schriftstücke einer eingehenderen Prüfung zu unterwerfen.

Mein an sich harmloser Verrath kam nie an's Tageslicht. Warukscha erhielt zum Lohn für ihre Mühewaltung von mir einen feuerfarbigen wollenen Rock und ein ansehnliches Packetchen Porzellanperlen, während ich ihren Vater mit einem bedeutenden Vorrath von Tabak und Pulver und Blei, und mehreren schönen wollenen Decken beschenkte.

Beide waren, als sie mich später bei den Omahas besuchten, munter und guter Dinge, und ich habe allen Grund anzunehmen, daß die alten Zeitungen, das Stück Weste und die leeren Blätter aus meinem Skizzenbuch ihren Zweck als Amulete mindestens eben so gut erfüllen, wie vorher das Manuscript gethan.

Was das Manuscript aber enthielt, das lasse ich hier ohne wesentliche Veränderungen in der Form folgen.

Zweites Capitel.
Am Mineralbrunnen.

Der eisige Novembersturm streift die letzten braunen Blätter von den Bäumen und wirbelt sie mit vereinzelten kleinen Schneeflocken durcheinander. Bleifarbig hängt der Himmel über der öden Landschaft, als ob er sich in jedem Augenblick auf die Erde niedersenken wolle, um das letzte im Freien zurückgebliebene Leben gewaltsam zu erstarren.

Ohne Furcht oder Bedauern über meinen Entschluß sehe ich dem Winter entgegen, den langen einsamen Nächten und den kurzen Tagen. Ohne Furcht oder Bedauern stehe ich im Begriff, mich aus Monate in diese Wildniß zu vergraben, in eine Wildniß, in welcher keine menschliche Stimme an mein Ohr dringt, der Ton meiner eigenen Stimme von Niemand gehört, unheimlich in den endlosen Räumen verhallt.

Doch nein, ich darf nicht ungerecht sein; denn während ich die Geschichte meines wechselvollen Lebens niederschreibe, werde ich mit schüchterner Anhänglichkeit beobachtet, und wenn ich von meiner Arbeit zufällig emporschaue, blicke ich in die dunklen melancholischen Augen eines indianischen Kindes, meines Schützlings, wahrscheinlich einer der Letzten des einst so mächtigen und glücklichen Mandanenstammes.

Das arme Mädchen, welches mit dankbarem Herzen zu mir, wie zu einer Gottheit emporblickt, mildert das traurige Gefühl der gänzlichen Vereinsamung, welches mich bei dem Gedanken an den langen, unerbittlich strengen Winter beschleicht. Ich kann mir wenigstens sagen: »ich bin nicht allein;« und ist es mir auch nicht vergönnt, mit dem armen, von der ganzen Welt verlassenen Wesen eine meiner Vergangenheit entsprechende Unterhaltung anzuknüpfen, se vermag ich es doch zu belehren, zur Aufnahme in eine Mission vorzubereiten und damit einen guten Zweck zu erfüllen.

Doch das Kind allein ist es nicht, was mich so ruhig das allmälige Erstarren der Natur beobachten läßt, sondern auch das Bewußtsein, fortan mein Leben nicht ohne jede geistige Beschäftigung vertrauern zu müssen.

[] Das verflossene Jahr war für mich ein glückliches, wenigstens in so weit, als ich mehr, wie hinreichend erübrigte, um abgesondert von andern Menschen und unbelästigt von den Anforderunzen selbstsüchtiger Handelsgesellschaften den Winter verbringen zu können. Auch besser ausgerüstet habe ich mich, denn was mir in früheren Jahren mangelte, das besitze ich jetzt in Fülle, nämlich die Mittel, mein wechselvolles Leben zu beschreiben, und dabei meine ganze Vergangenheit gewissermaßen noch einmal zu durchleben.

O, was hätte ich nicht in dem verflossenen Winter für einen kleinen Vorrath Papier hingegeben! Aber es ist vielleicht besser so; ich hatte Muße, die ernstesten Betrachtungen über die verschiedenen Begebenheiten und Erlebnisse anzustellen, die Charaktere, welche, hier zum Guten, dort zum Bösen, einen entscheidenden Einfluß auf mich und meine Zukunft ausübten, bis in die kleinsten Einzelheiten zu zerlegen und mir einen klaren Einblick in Manches zu verschaffen, was mir einst unerklärlich erschien.

Ich beginne daher meine Arbeit nicht unvorbereitet; ich werde erzählen können, als hätte ich mich an allen Orten zu gleicher Zeit befunden, und einen, wenn auch trüben Genuß soll es mir gewähren, mich dadurch im Geiste um so lebhafter in jene Zeiten zurück zu versetzen.

Ich schreibe, aber »für wen?« frage ich mich. Werden jemals die Blicke eines andern Sterblichen auf diesen Schriftzügen haften? Vielleicht nach vielen langen Jahren; denn da ich beim Beginn des Frühlings wieder fort muß in andere Gegenden, meine Arbeit aber auf meinen mühevollen Wanderungen nicht mit mir herumtragen kann, so gedenke ich sie hin zu verbergen. – Werde ich selbst noch einmal hierher zurückkehren, oder ist dies der letzte Winter, welchen ich hier verlebe? Doch wozu in die Zukunft denken, so lange die Vergangenheit mir so reichen Stoff zu Betrachtungen bietet? Die Sorge um die Zukunft soll mich nicht stören, nicht verhindern, mein Vorhaben auszuführen. –

Welch seltsamer Kontrast zwischen dem Früher und dem Jetzt; zwischen dem Knaben, der einst in jugendlicher Vermessenheit wähnte, den Himmel erstürmen zu können, und dem ernsten Mann, der als einsamer Pelzjäger die wilde, freie Natur durchstreift, um sein kärgliches Brod zu erwerben!

Eine selbstgeschaffene Erdhöhle bildet meinen Palast, ein von Bibern und Ottern reich belebtes Nebenflüßchen das Feld meiner Thätigkeit, und in geringer Entfernung, meinen Augen erreichbar, wälzt der Missouri seine gelben Fluthen auf tausendjähriger Bahn dem Golf von Mexiko zu.

Wie der Himmel so schwer, so bleifarbig niederhängt; wie der Sturm mit dürren Blättern und Schneeflocken spielt und heulend zwischen den Hügeln hindurch auf den majestätischen Strom niederfahrt! Wie die Raben und Krähen unheimlich krächzen und ihre starken Schwingen im Kampfe gegen den heftigen Wind prüfen! Wie lange wird es noch dauern, und der Missouri träumt unter einer starren, zusammenhängenden Eislast, während tiefer Schnee Wald und Flur ungangbar macht und mir jede Verbindung mit andern, fern ab lebenden Menschen vollständig abschneidet?

[] Mit Ruhe sehe ich dieser Abgeschiedenheit entgegen; sie schreckt mich nicht. Ich fühle mich so glücklich, wie dies nach meinen Lebenserfahrungen nur immer möglich ist, oder ich würde die Einsamkeit nicht aufgesucht haben.

Das verkohlende Holz knistert auf dem glühenden Aschenhaufen und verbreitet eine angenehme Wärme in meiner wenig umfangreichen Hütte; die junge Mandanenwaise arbeitet mit einer für ihre Jahre ungewöhnlichen Fertigkeit an weichen Mokasins, und zu ihren Füßen spielt ein gezähmter Waschbär gar anmuthig mit einer Büchsenkugel. Ich selbst aber sitze vor einem Felsblock und mit leisem, schnarrendem Geräusch fliegt die Feder über das Papier.

Wie merkwürdig die Buchstaben sich zu Worten, die Worte sich zu Gedanken und Sätzen aneinander reihen! Lange, lange ist es her, seit ich zum letzten Male schrieb, so lange in der That, daß ich schon befürchtete, das Schreiben verlernt zu haben.

Doch wie ich sehe, daß es mir noch gelingt, meine Gedanken festzubannen, stürmen auch die Bilder der Vergangenheit mit fast erdrückender Wucht auf mich ein, so daß ich sie kaum von einander zu scheiden und zu ordnen vermag.

Mögen die Bilder aber eine Färbung tragen, welche sie wollen, bei allen tritt in den Vordergrund der erste Genosse meiner Jugend, der liebe, rebenbekränzte, alte Vater Rhein, der Rhein mit seinen anmuthigen Thälern und alterthümlichen Städten, mit seiner malerischen Felseinfassung und den grauen Ritterburgen, der Rhein endlich mit seinen schönen Sagen und den edlen Weinen, und vor Allem mit der heiteren, warmherzigen Bevölkerung, welche den majestätischen Strom mit Stolz ihren Vater nennt.

Ja, am Rhein bin ich geboren, und zwar an einem Punkte, der sich, hinsichtlich seiner romantischen Schönheit, kühn mit allen hervorragenden Stellen seiner Ufer in einen Vergleich einlassen darf. Weß Kind ich sei und wo meine Wiege einst stand, wenn ich überhaupt je in meinem Leben gewiegt wurde, dürfte kaum in meiner Erzählung von Wichtigkeit sein. Ebenso bieten meine glücklichen Kinderjahre nichts, was sie vor der Jugendzeit anderer Kinder besonders auszeichnete.

Ich war einziger Sohn meiner Eltern, liebte, wie andere Knaben meines Alters, die Freistunden mehr, als den Unterricht, hielt, ebenfalls wie andere Knaben, die Aepfel in den Gärten der Nachbarn für schmackhafter, als die im eigenen Garten, und neigte, nicht minder wie andere Knaben, zu der Ueberzeugung hin, daß es dringend geboten sei, den vom Markt heimkehrenden Bauerfrauen angezündete Schwärmer in die auf ihren Köpfen schwankenden Körbe zu werfen und demnächst davon zu laufen, – in den Dämmerungsstunden an den Klingeln der Herren Präceptores zu reißen, oder auch das Taschengeld für schlechte Cigarren hinzugeben und mich in eine höchst unbehagliche Stimmung hineinzurauchen.

Ich war also, wie die meisten Knaben, keiner von den besten, keiner von den schlechtesten. Es prägte sich dies bereits auf der Schule sehr scharf aus, indem ich keineswegs für die letzten Bänke schwärmte, aber auch kameradschaftlichen Sinn genug besaß, nicht durch angestrengtes Hinarbeiten auf den Primusplatz[] mir ein gewisses Uebergewicht über meine Mitschüler anmaßen zu wollen. Die Bezeichnung »ziemlich gut« erschien mir als vollkommen genügend, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß ich das Abiturienten-Examen ziemlich gut bestand und ziemlich gut vorbereitet zur Universität abging.

Leider hatte ich meine Eltern frühzeitig verloren. Sie waren, als ich noch die untern Klassen des Gymnasiums besuchte, in dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren gestorben, mir gerade so viel hinterlassend, wie nothdürftig ausreichte, um mit ruhigem Gewissen mich für das kostbare und vorläufig sehr wenig versprechende Studium der Rechtsgelahrtheit entscheiden zu dürfen.

In meinen äußeren Verhältnissen bewirkte der Tod meines Vaters die in solchen Fällen fast gewöhnliche Veränderung: Ich erhielt einen Vormund, wurde in Pension gegeben, und zum Ueberfluß entdeckten alle Menschen, namentlich aber die Gattin meines Herrn Pensionsvorstehers, plötzlich in mir so viele Anlagen zum Bösen – was in solchen Fällen ebenfalls nicht ganz selten – und prophezeite man mir so oft die ehrenwerthe Carriere eines Rinaldo Rinaldini, daß ich selbst an mir hätte verzweifeln müssen, wenn ich nicht schon frühzeitig mir geschmeichelt hätte, mich und meine Neigungen selbst am besten und ohne alle fremde Einmischung beurtheilen zu können.

Daß mein Urtheil wenigstens nicht weit von der späteren Wirklichkeit abwich, unterliegt jetzt keinem Zweifel mehr; dagegen läßt sich nicht leugnen, daß diejenigen, die einst in mir einen vielversprechenden Wegelagerer, Kirchenschänder und blutgierigen Demagogen erblickten, recht oft Veranlassung gefunden und genommen haben, kopfschüttelnd den weisen Ausspruch zu thun: »Ich habe es vorhergesehen und gesagt, daß aus dem Jungen nie etwas werden würde.«

Eine rühmliche Ausnahme von Denjenigen, die mich nie ansehen Konnten, ohne einen vorwurfsvollen Blick gen Himmel zu senden und mit einem erschütternden, frommen Stoßseufzer mich vollständig aufzugeben, bildete mein Vormund.

Derselbe, ein alter Kriegskamerad meines Vaters und von diesem schon bei Lebzeiten zu meinem Vormunde bestimmt, fand Gefallen an meinem lebhaften Temperament und meinen tollen Streichen. Er schleuderte mir zwar gelegentlich die ganze Auswahl von Flüchen, welche er seit 1790 im Felde erlernt und höchst sorgfältig in seinem Gedächtniß aufgestapelt hatte, im grimmigsten Commandotone entgegen, dieselben klangen aber drohender, als sie gemeint waren und endeten gewöhnlich damit, daß er mir eigenhändig eine Pfeife stopfte, mich einen verdammten Sansculotten nannte – zu welcher Bezeichnung übrigens nicht der geringste Grund vorhanden war – und schließlich bei allen Granaten und Bomben, die seit Julius Cäsar's Zeiten jemals platzten, beschwor, daß er noch nie einen gesunden Knaben gesehen, der nicht hundertmal verdient habe, gehangen zu werden.

Auf diese Weise sprach er sich gegen mich aus. Dagegen wurde es ihm nicht so leicht, sich »aus der Affaire zu ziehen,« wenn Klagen über meinen unregelmäßigen Schulbesuch einliefen, welches unerhörte Verbrechen, wie man mit sittlicher Entrüstung erklärte, einzig und allein meinem heimlichen Umherstreifen in [] Wald und Flur und auf den Ufern des Rheins zuzuschreiben sei.

In solchen Fällen behauptete er kaltblütig, bereits in meiner allerfrühesten Kindheit eine große Vorliebe für die Natur an mir entdeckt zu haben, eine Vorliebe, die, wenn man sie nicht gewaltsam unterdrücke, von bedeutender Tragweite für meinen ganzen künftigen Lebensberuf werden könne, und daß höchst wahrscheinlich ein hervorragendes Genie in mir verborgen sei. Er bedauerte dann auch wohl, daß die Leiter der Schulen nicht besser verstanden, die Jugend durch das Baud der Liebe an sich und die Bänke zu fesseln, und verfehlte nie, hinzuzufügen, daß er selbst zu seiner Zeit der nichtswürdigste Galgenstrick gewesen sei, und es dennoch bis zum Oberstlieutenant und zum eisernen Kreuze gebracht habe.

Gegen derartige schlagende Beweise ließ sich freilich nichts einwenden; die Leute gingen, doch glaube ich nicht, daß sie einen sehr hohen Begriff von der Erziehungsmethode des alten Kriegers mit fortnahmen.

Unter solchen Umständen konnte es nicht fehlen, daß ich mit innigster Liebe an meinem Vormunde hing und ihm zu Gefallen, wer weiß was hätte aus mir machen lassen.

Leider sah ich ihn nur selten, indem ich der Schule wegen in der Stadt wohnte, während er, mit dem Posten eines Oberförsters betraut, an einem der anmuthigsten Punkte des Siebengebirges sein Domicil aufgeschlagen hatte. Ich brachte indessen, zur größten Genugthuung meiner sparsamen Pensionsvorsteherin, stets die Ferienzeit bei ihm zu, und beobachtete sehr strenge das zwischen uns stillschweigend getroffene Uebereinkommen, ihm erst am Tage meiner Abreise nach der Stadt und schon mit der Mütze in der Hand, meine Censur zur gefälligen Unterschrift zu überreichen.

Der gute, alte Vormund, durch seine Nachsicht und Milde bin ich wahrhaftig nicht schlechter geworden. Leider, leider war er nur zu bejahrt, als daß ich hätte hoffen dürfen, ihn bis in mein reiferes Alter hinein als meinen Katechismus betrachten zu können.

Ja, er zählte damals, als ich zur Universität abging, bereits einundsechszig Jahre; doch mochte die Zeit seine spärlichen Haare und den mächtigen Schnurbart hagelweiß gefärbt haben, mochten Runzeln sein ausgewettertes, gutes Gesicht nach allen Richtungen hin durchkreuzen und die männliche Fülle der Glieder allmälig einer mumienartigen Hagerkeit gewichen sein, eine straffere Haltung und einen festeren Schritt hätte man bei einem jungen Gardelieutenant nicht finden können. Dabei blitzte das eine graue Auge – das andere war ihm bei Jena von einem »unvorsichtigen Granatsplitter« ausgeschlagen worden – so jugendlich und doch so wohlwollend unter der buschigen, roth und weiß gemischten Braue hervor, und klirrten die Sporen – er hatte bei der Kavallerie gestanden – so lustig an seinen Stiefeln, und prangte das schönste aller Ehrenzeichen so stattlich auf seiner hohen, breiten Brust, daß der leibhaftige Kriegsgott Mars über den alten Helden in Extase hätte gerathen können, und die selige Bellona sich nicht gescheut haben würde, ihn persönlich an den Pforten des Himmels mit einem derben Handschlag zu begrüßen und zu ihrem Adjutanten beim nächsten Manöver zu ernennen.

[] Doch im Himmel wird ja nicht manövrirt, und damals befand sich mein lieber alter Vormund ja noch nicht in der Lage, die himmlischen Freuden für sich herbeizuwünschen. Er nahm das Gewisse für das Ungewisse und lebte so glücklich und sorglos auf seiner Oberförsterei, wie es seine Mittel nur immer gestatten wollten, und ihm zur Seite lebte ebenso glücklich und zufrieden seine bejahrte Gattin, eine herzensgute, alte Dame, der man vielleicht nur den einzigen Vorwurf machen konnte, daß sie die himmlischen Freuden zu sehr von der strengen Beobachtung irdischer kirchlicher Formen abhängig glaubte. Sie war Katholikin, betrachtete die Geistlichkeit als etwas Ueberirdisches, glaubte an Wunder und betete und beichtete sehr viel, obwohl sie kaum andere Sünden zu beichten hatte, als etwa, daß sie ihrem »Allen« hin und wieder einmal nicht rechtzeitig den brennenden Fidibus zu seiner stereotypen Morgenpfeife darreichte, oder in ihrem Eifer, Alles zugleich zu besorgen, die Milch überkochen ließ.

Zu welchem Glauben der Oberstlieutenant sich bekannte, gab er vor, selbst nicht zu wissen. Er schwur aber darauf, an seinem Einsegnungstage mit einigen Kameraden über alle Berge gelaufen zu sein, in Folge dessen sein älterer, schon eingesegneter Bruder ihn habe vertreten müssen und zum zweiten Mal eingesegnet worden sei, während er, um die Sache nicht ruchbar zu machen, sich mit dem auf seinen Namen lautenden Konfirmationsschein begnügt habe.

Trotzdem hoffte er sehr stark auf die ewige Seligkeit, um so mehr, da sein zweimal konfirmirter Bruder bei Jena gefallen war und, nach seiner festen Ueberzeugung, die kleine Verwechselungsgeschichte beim lieben Gott bereits rapportirt und zu Aller Zufriedenheit geordnet habe.

Nach solchen Aeußerungen zu schließen, war mein Vormund also Protestant. Doch was er auch immer sein mochte, die Form der Gottesverehrung hatte nie Veranlassung zu Mißhelligkeiten zwischen den beiden ehrwürdigen Leuten gegeben. Der alte Herr ließ seine Gattin für sich mit beten, und dafür erlaubte er sich, – wie er sich sehr zart ausdrückte – gelegentlich für seine treue Ehehälfte ein kleines Donnerwetter unter das Hausgesinde zu dirigiren und auf diese Weise das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Mein Vormund war also duldsam und liberal in Religionsangelegenheiten, und nachsichtig gegen Holzfrevler, namentlich wenn sie die Kriegsdenkmünze trugen und ihn, statt mit »Herr Oberförster,« »Herr Oberschleitnamp zu Befehl« anredeten.

Bei aller seiner Güte und Nachsicht besaß er aber auch eine empfindliche Seite – was übrigens ganz natürlich und erklärlich – die man nur schief anzusehen brauchte, um die ganze Hölle mit allen nur denkbaren Generationen von Teufeln, väterlicher sowohl, als mütterlicher Seits, auf den Leib gehetzt zu erhalten.

Für ihn gab es nämlich nur zwei Farben: schwarz und weiß; nur zwei Melodien: »Heil Dir im Siegerkranz« und »So leben wir;« nur einen Musterstaat: Preußen, und nur einen König: Friedrich Wilhelm den Dritten. Wäre er aber bevollmächtigt worden, in dem abgegriffenen Litaneibuch seiner Gattin einige Berichtigungen vorzunehmen, so würde er ganz gewiß[] die Namen aller Heiligen, vom heiligen Nepomuck bis herab zu den heiligen Schuhnägeln des heiligen Ambrosius ausgestrichen, und dafür obenan den alten Fritz, die Königin Louise, Friedrich Wilhelm den Tritten, demnächst alle preußischen Prinzen, Prinzessinnen, Generale und sonstige ausgezeichnete preußische Helden eingetragen, und sich sogar nicht gescheut haben, statt der elftausend Jungfrauen, zu schreiben: Die Brigade so und so, die Division so und so, und dann, wenn noch einige Köpfe fehlten, die Schaar der Heiligen durch Namen aus der während des letzten Krieges von ihm selbst geführten Escadron vollzählig zu machen.

Dies sind also die beiden Leute, die mir nach dem Tode meiner Eltern am nächsten standen und welchen ich ein ganzes Herz voll kindlicher Liebe entgegentrug.

Sie selbst waren kinderlos, konnten mir also mehr Theilnahme zuwenden, wie es vielleicht im andern Falle geschehen wäre; und wenn es mir auch nicht beschieden ist, ihnen in ihrer letzten Stunde wie ein treuer Sohn zur Seite zu stehen, nicht schmerzbewegt in ihre brechenden Augen zu schauen, so weiß ich doch, daß beim Scheiden aus dieser Welt sie meiner segnend gedenken, ein Gebet für mein Lebensglück auf ihren Lippen schwebt. Ist es aber den Menschen vergönnt, mit fernen Lieben geistig in Verbindung zu treten, dann müssen sie längst wissen, daß meine treue, dankbare Anhänglichkeit, weit, weit über ihr, über mein Grab hinausreicht. –

Seit sechs Monaten war ich im schwarzen Sammetrock mit weißseidenem Futter als flotter Bursche in den krummen Straßen Bonn's umherstolzirt, seit sechs Monaten hatte ich mit lobenswerther Regelmäßigkeit den Fechtboden des Herrn Seger besucht, seit sechs Monaten, wenn es mir die Zeit erlaubte, auch den Collegien meine Aufmerksamkeit zugewendet, und nicht weniger als sechsmal war ich in den sechs Monaten auf der Mensur gewesen.

Eine sehr sauber geheilte Schmarre zierte meine rechte Wange, ein stattlicher Bart Mund und Kinn, meine starken braunen Haare fielen in Locken bis auf meine Schultern nieder, mein Kopf ragte noch eine gute Handbreit über die Köpfe anderer mittelgroßer Menschenkinder empor, kein Wunder daher, daß ich im jugendlichen Uebermuthe mich für eins der gelungensten Schöpfungswerke hielt und schließlich zu der Ueberzeugung gelangte, meine Blicke nur in die schüchternen Augen einer Jungfrau senken zu brauchen, um sie vor Liebesgram, wie eine frühzeitig geknickte Blume, dahinwelken und sterben zu machen.

Dergleichen Gefühle beseelten mich denn auch, als ich am zweiten Pfingsttage des Jahres 1832 vor dem Dorfe Godesberg mich von ewigen heiteren Commilitonen trennte und meine Schritte geraden Weges dem Mineralbrunnen zulenkte. Wir hatten verabredet, gegen Abend in einem der öffentlichen Gärten wieder zusammenzutreffen und von dort aus so geräuschvoll, wie möglich, die nächtliche Wanderung zurück nach Bonn anzutreten. Es blieben mir also noch mehrere Stunden, die ich ganz nach meinem eigenen Geschmack verbringen konnte, und da ich schon damals liebte, auf einsamen Spaziergängen mich rücksichtslos und so recht aus vollem Herzen dem [] kühnen Fluge meiner Gedanken hinzugeben und mich mit dem Ausbau der phantastischsten Luftschlösser zu beschäftigen, so konnte eine romantische Umgebung, wie die von Godesberg, nur anregend auf mich einwirken.

Als mein Vormund behauptete, eine besondere Vorliebe für die Natur in mir entdeckt zu haben, hatte er die Wahrheit vollkommen getroffen, nur mit dem Unterschiede, daß er diesen Schluß aus meiner Abneigung gegen die Schulbänke zog, während der eigentliche Grund dafür richtiger in den Empfindungen zu suchen gewesen wäre, mit welchen ich Alles, was in den Bereich der Natur und ihrer still wirkenden Kraft gehörte, zu beobachten Pflegte.

So erfüllte mich auch ein unbeschreibliches Wohlbehagen, als ich in der alten, im heitersten Frühlingsgrün prangenden Allee dem Mineralbrunnen zuschritt.

Die knorrigen Baumstämme und das reiche Laub, die üppig wuchernden Gräser und die sich entfaltenden Blumen, die wunderbar schön gelegene Ruine Godesberg und den auf derselben mit tiefen Schatten malerisch abwechselnden Sonnenschein, die scharlachfarbig gesattelten Reitthiere und die sonntäglich geputzten Bäuerinnen, Alles, Alles hätte ich vor Freude und Wonne umarmen mögen, ohne mir so recht eigentlich Rechenschaft darüber ablegen zu können; nicht zu gedenken, daß meine Arme zu solchen Zwecken viel zu kurz waren und eben nur weit genug reichten, um hier einer mit Gebetbuch und Rosenkranz sittsam zur Nachmittagsmesse eilenden Dorfschönen schäkernd unter das runde Kinn zu fassen, dort einem allen, in wollener Zipfelmütze, kattunener Jacke, Kniehosen und Schnallenschuhen prangenden »Bestevader« Großvater. freundschaftlich die Hand zu drücken und von allen Professoren der Universität auf das Angelegentlichste zu grüßen.

Die Mädchen schmollten, schauten sich aber – wie ich zu meiner Genugthuung mehrfach bemerkte – erröthend nach dem lustigen Burschen um; die Bestevaders schüttelten verwundert die Köpfe und kratzten sich hinter den Ohren, indem sie vergeblich darüber nachsannen, wo sie wohl die Bekanntschaft der gelehrten Herren gemacht haben könnten; ich dagegen schwang fröhlich meinen Ziegenhainer, und wie um die Lerchen, deren heitere Melodien die sonnige Luft erfüllten, zu beschämen, sang ich aus voller Brust:

»Am Rhein, am Rhein da wachsen unsre Reben!«

»Gesegnet sei der Rhein!« wiederholte ich noch einmal, als ich die tiefer gelegene Rotunde mit dem Mineralbrunnen vor mir sah, und in der nächsten Minute spiegelte ich mein geliebtes Ich in dem krystallklaren Born.

Nachdem ich aus der hohlen Hand getrunken – allerdings mehr aus Verehrung vor der aus tiefstem Erdenschooße hervorquellenden heilbringenden Ader, als weil mir das Wasser so gut geschmeckt hätte – sah ich um mich.

In weiterem Umkreise befanden sich wohl noch Menscher, die sich im Schatten der Bäume ergingen, an der Quelle selbst dagegen stand außer mir nur [] noch ein Mann. Ich würde denselben kaum beachtet haben, wenn er nicht durch eine höfliche aber kalte Verbeugung meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte.

»Ah, guten Tag Herr Bernhard,« rief ich in heiterm Tone, als ich einen jungen Theologen erkannte, der freilich schon seine Studien beendigt hatte, aber doch noch mit einzelnen der älteren Musensöhne verkehrte und dem ich bei einer solchen Gelegenheit vorgestellt worden war.

Auf mich hatte derselbe damals eben nicht den günstigsten Eindruck gemacht; denn abgesehen davon, daß sein gelblich bleiches, hageres Gesicht mit den tief liegenden aber klugen Augen, den vorstehenden Backenknochen und den schmalen, farblosen Lippen, dem schlichten schwarzen Haar und dem blau schimmernden, glatt geschorenen Kinn eine nichts weniger als vortheilhafte Zusammenstellung bildete, lag auch in seinem ganzen Benehmen, in seinem Lächeln wie in seiner Sprache, etwas eigentümlich Gemessenes, Lauerndes und Berechnendes, was durch eine süßlich verbindliche Miene zu verbergen er sich vergeblich bemühte.

Woher er stammte und was er zunächst bezweckte, wußte Niemand von uns. Wir wußten nur, daß er vor zwei Jahren in Bonn erschienen war, dort die theologischen Collegien noch anderthalb Jahre mit großer Regelmäßigkeit besucht hatte, trotz seiner stets rechtzeitig einlaufenden Wechsel sich nie an einem Commers betheiligte, was sich freilich durch den von ihm gewählten Beruf entschuldigen ließ, und daß er endlich ein ganz ausgezeichneter Schläger war.

Letzterer Umstand diente dazu, ihm, wenn auch keine freundliche Zuneigung, so doch einen gewissen Grad von Achtung unter seinen Commilitonen zu verschaffen, obwohl sich Niemand zu erinnern wußte, daß er jemals im ernsten Kampfe sich mit einem Andern gemessen oder auch nur die leiseste Veranlassung zu einem Touch und darauf folgender scharfer Paukerei gegeben hätte.

Er war immer derselbe höfliche, süßlich lächelnde und doch auch wieder ein hohes Uebergewicht verrathende Denker, der zwar keine erklärten Feinde unter seinen Mitstudirenden besaß, aber auch weit entfernt davon war, sich eines wirklichen Freundes rühmen zu können.

Auf mich machte er stets den Eindruck eines verkappten Jesuiten, so wie ich mir dieselben in meinen Schuljahren vorgestellt hatte, und ich konnte ihn nie ansehen, ohne eine tiefe, an Widerwillen grenzende Scheu vor ihm zu empfinden.

Als ich seiner nun so plötzlich auf der andern Seite des Brunnens ansichtig wurde, hegte ich die redliche Absicht, meinen Widerwillen durch ein herzliches Entgegenkommen niederzukämpfen und zu besiegen, und mit einer Freimüthigkeit, welche meiner glücklichen Stimmung in jeder Beziehung entsprach, schloß ich an meinen Gruß die Bemerkung, wie sehr ich mich freue, ihn, den ernsten Denker, einem reinen Naturgenuß so gänzlich hingegeben, zu überraschen.

»Gerade die Denker sind oft am meisten geneigt, die Natur zum Gegenstande ihrer Betrachtungen zu wählen,« entgegnete er mit einem verbindlichen Lächeln, wählend aus seinen Augen verstohlen das [] Mißvergnügen leuchtete, welches er über unser Zusammentreffen empfand.

»Gewiß,« versetzte ich schnell, »doch glaube ich fast, behaupten zu dürfen, daß der eigentliche Genuß der Natur darin besteht, daß man sich liebevoll zu ihr hinneigt und sich an dem uns sichtbaren, verständlichen und begreiflichen Theil derselben ergötzt, anstatt mit Gewalt in ihre verborgensten und unerklärlichen Geheimnisse eindringen zu wollen, indem ungelöste, ich sage mehr: unlösbare Räthsel stets ein Gefühl der Nichtbefriedigung oder gar der Unzufriedenheit hinterlassen.«

Ueber Bernhard's Züge flog das mir so unangenehme Lächeln geistiger Ueberlegenheit, und nachdem er einen halb ängstlichen, halb gespannten Blick nach der Allee hinüber gesandt, wendete er sich mir wieder zu.

»Und sollte die von Ihnen eben ausgesprochene Ansicht für sich betrachtet nicht schon genug Stoff zum Denken bieten?« begann er zögernd, »ich will indessen damit nicht sagen, daß dieses bei mir gerade jetzt der Fall gewesen wäre. Auch ich bewundere die Natur im Großen und Ganzen mit andächtigen Gefühlen und dankbarem Herzen, wie ich mich beim Anblick einer schönen Blume oder über den Gesang der Nachtigall innig freue. Tiefer in die Geheimnisse der Schöpfungswerke eindringen zu wollen, liegt mir dagegen fern; schon des Beispiels wegen möchte ich es nicht. Erhalten wir doch täglich immer neue Beweise, daß die Erfolge ernsten Forschens im Reiche der Natur entsittlichend auf die Menschheit einwirken, ganz abgesehen davon, daß die Forscher selbst sich sehr bald und leicht daran gewöhnen, alles Göttliche abzuleugnen und die größten Wunderwerke der Schöpfung auf irgend eine ihnen passend erscheinende Ursache, zum Beispiel auf den ewigen natürlichen Kreislauf im Weltall zurückzuführen.«

»Nur bis zu einer gewissen Grenze kann ich Ihnen beistimmen,« erwiderte ich, obwohl ich einsah, daß es mir nie gelingen würde, meinen Ansichten bei ihm Eingang zu verschaffen, »der beschränktere Geist, oder vielleicht richtiger bezeichnet: der wenig vorbereitete Geist, der einen Blick in das verborgene Wirken und Walten der Natur gethan, kann nur in der von Ihnen angedeuteten Weise abirren. Der Forscher dagegen, der sich über den Bereich oberflächlicher Beobachtungen und unreifer Schlüsse hinauswagt, liebevoll den Sinn der Natur zu errathen strebt und Gottes erhabenes Reich lernend und belehrend durchwandert, wird, ähnlich dem Kinde, welches ahnungsvoll über die Farbenpracht einer Blume, über den Glanz des unzählbaren Sternenheers staunt, sich fromm vor einer schöpferischen, Alles umfassenden Macht beugen und selbst in dieser, über mineralische Lager hinrieselnden Quelle die Gottheit verehren, ohne dabei den Mangel systematisch geordneter Formeln zu empfinden.«

Im Eifer hatte ich meine Stimme immer mehr erhoben, und als ich schloß, tauchte ich, von Enthusiasmus hingerissen, meinen Ziegenhainer bis zur Hälfte in den runden, glänzenden Wasserspiegel. Indem ich dann aber meine Blicke auf Bernhard richtete und einen spöttischen Ausdruck in seinen düster glühenden Augen entdeckte, gereute es mich, so weit [] gegangen zu sein und meine Ansichten so offen vor ihm dargelegt zu haben. Ich fühlte, daß ich ihn durch mei nen Widerspruch und gerade durch die in demselben enthaltene Wahrheit verletzt hatte.

»Dann haben Sie die Grenze, welche den Atheismus von der Religion scheidet, Wohl schon überschritten?« fragte er mit einer sarkastischen Freundlichkeit, welche mir das Blut des aufflammenden Zorns bis in die Schläfen hinauftrieb.

Ich wollte eine heftige Antwort ertheilen, bemerkte indessen, daß, indem Bernhard abermals nach der Allee hinüberschaute, seine Züge sich plötzlich wie durch Zauber glätteten und einen mir an ihm fremden Ausdruck bescheidener Anspruchslosigkeit erhielten.

Natürlich folgte ich mit den Äugen der Richtung seiner Blicke und nicht wenig überraschte es mich, in einer jungen Dame die Veranlassung zu der unerwarteten Aenderung seines Wesens zu entdecken.

Dieselbe ritt auf einem nach dortiger Sitte scharlachfarbig gesattelten Esel, der von einem bejahrten Treiber sehr behutsam am Zügel geführt wurde. Offenbar wollte der alte Mann das vorsichtige Thier die wenigen Stufen hinunter und bis an den Brunnen vortreten lassen; auf eine leise ausgesprochene Bitte der jugendlichen Reiterin stand er indessen von seinem Vorhaben ab, dagegen half er ihr aus dem Sattel, worauf sie sich zögernden Schrittes der Quelle näherte.

Wenn nun die junge Fremde durch ihr Erscheinen einen besänftigenden Eindruck auf Bernhard ausübte, so war ich einem derartigen Einfluß in nicht geringerem Grade unterworfen; denn der erste Anblick derselben genügte schon, mich nicht nur die eben geführte Unterhaltung, sondern auch denjenigen, mit dem ich sie geführt, vollständig vergessen zu lassen. War mir doch, als sei eine Heilige aus einem raphaelschen Madonnenbilde niedergestiegen, um in frommer Weise die Heil spendende Quelle zu segnen. Es ruhte wenigstens auf den holden jungfräulichen Zügen ein solcher Schimmer tiefer Frömmigkeit, daß dadurch ein derartiger Gedanke sehr nahe gelegt wurde.

Ihre Gestalt war schlank, vielleicht noch etwas unter der gewöhnlichen Mittelgröße, und zeigte sie auch nicht die üppigen Formen einer reiferen Jungfrau, so entdeckte man doch leicht, daß sie, obwohl erst auf der äußersten Grenze der Kindheit angekommen, bereits den höchsten Grad ihres Wachsthums erreicht hatte.

Ihre schwarzen Haare fielen in dichten, seidenweichen Locken auf ihre Schultern nieder, ebenso schmückten schwarze Brauen und Wimpern ihre Weiße Stirne und die niedergeschlagenen Augenlider, einen reizenden Contrast zu der zarten, fast durchsichtigen Farbe des lieben Antlitzes bildend. Die Nase war sanft gebogen und erinnerte entfernt an das Profil der Südländerinnen, der Mund fein geschnitten, einer sich erschließenden Rosenknospe ähnlich, und auf den nicht ganz vollen aber classisch abgerundeten Wangen bis zu den reinen Schläfen hinauf thronte ein lieblicher, rosenfarbiger Hauch, der sich indessen mehr als die Folge mädchenhafter Verlegenheit, als strotzender Gesundheit bekundete. Ueberhaupt schien eine äußerst zarte Gesundheit in dem ätherischen, sylphenartigen Körper zu wohnen, was indessen weniger hervortrat, weil ihre Haltung eine aufrechte, dabei aber natürliche [] war, und in ihren anmuthigen Bewegungen sich eine gewisse jugendliche Kraft verrieth.

So trat die junge Fremde zu uns heran, den runden italienischen Strohhut, der ihr beim Absteigen wahrscheinlich hinderlich gewesen, vor sich tragend, und nicht eher schlug sie die Augen zu uns auf, als bis sie sich dicht vor dem ausgemauerten Brunnenkessel befand.

Sie schlug die Augen empor, und nur mit Mühe hielt ich einen Ausruf des Erstaunens zurück, als ich, anstatt in zwei dunkle, den schwarzen Haaren und Brauen entsprechende Augen zu blicken, zwei milde blaue Sterne auf mich gerichtet sah.

Die Anwesenheit zweier ihr fremden Männer an der Quelle, die sie offenbar zu so früher Nachmittagsstunde vereinsamt geglaubt hatte, vergrößerte sichtbar ihre Verlegenheit, und daß Bernhard sowohl als ich sie mit bewundernder Neugierde betrachteten, diente am wenigsten dazu, sie wieder zu beruhigen.

Erst als sie sich, zu Bernhard gewandt, kaum merklich verneigte, gewahrte ich, daß dieser höflich grüßend seinen Hut gezogen hatte, aber um keinen Preis hätte ich seinem Beispiel folgen mögen; ich hegte eine zu große Abneigung gegen ihn, um, wenn auch nur scheinbar, eine Lehre oder Zurechtweisung von ihm anzunehmen.

»Mein Fräulein, Sie wollen trinken,« sagte er mit gütiger, einschmeichelnder Stimme, als er bemerkte, daß die junge Fremde, vor Befangenheit bald erbleichend, bald erröthend, nach dem gewöhnlich auf dem Rande der Quelle liegenden Becher spähte, den er ohne Zweifel bereits vor meiner Ankunft entfernt hatte.

»Ich suche den Becher,« stammelte die Angeredete leise, »er ist nicht hier, ich werde mir ein Glas aus dem nächsten Hause holen.«

»Hier ist eins,« versetzte Bernhard, ein kunstvoll geschliffenes Krystallglas hervorziehend und aus der Quelle füllend, »nehmen Sie hin, mein Fräulein, und leeren Sie es zur Ehre desjenigen, der diese Quelle der leidenden Menschheit zum Heile schuf.«

Der salbungsvolle, innige Ton, in welchem Bernhard sprach, empörte mich dermaßen, daß ich ihm den Becher hätte entreißen und in den Brünnen schleudern mögen, wenn ich nicht befürchtet hätte, durch einen derartigen Auftritt das arglose Kind zu erschrecken. Ebenso widerwärtig wäre es mir aber auch gewesen, das holde Wesen den Becher aus den Händen des scheinheiligen Menschen nehmen zu sehen. Schnell entschlossen riß ich daher die kleine silbergestickte Mütze von meinem Kopfe, und dieselbe hastig umkehrend und mit Wasser füllend, reichte ich der jungen Fremden die improvisirte Schale dar.

»Trinken Sie, mein Fräulein,« rief ich enthusiastisch aus, in meinem gewagten Spiel gegen Bernhard Alles auf einen Wurf setzend, »trinken Sie, und verschmähen Sie nicht die Gabe eines fahrenden Ritters; trinken Sie und gedenken Sie dabei aller Derjenigen, denen Sie in Liebe zugethan sind!«

Das arme Mädchen befand sich in einer peinlichen Lage; die wunderbar schönen Augen wanderten mit einem rührend stehenden Ausdruck von dem Einen zum Andern hinüber; die zarte Röthe wich aus ihren Wangen, doch kehrte sie schnell in der Form von zwei [] runden, tiefrothen Maalen zurück, welche die Reize des schönen Antlitzes wo möglich noch erhöhten. Ich empfand das innigste Mitleiden, und dennoch hätte ich nicht vermocht, um ihr die Entscheidung zu erleichtern, zurückzutreten und meinem zufälligen Nebenbuhler den Vorrang zu lassen, um so mehr, da dieser, im sichern Bewußtsein seines Sieges, mit einem mitleidigen Lächeln meine triefende Mütze flüchtig betrachtete.

Diese Scene dauerte keine Minute, denn die junge Fremde überwand ihre Verlegenheit schneller, als ich erwartet hätte. Sie bückte sich nämlich zu der Quelle nieder, und ihre kleine wohlgeformte Hand in das klare Wasser tauchend, sagte sie, die Augen verschämt niederschlagend: »Diogenes, von einem Hirtenknaben belehrt, verschmähte den Becher und trank aus der hohlen Hand; dem Andenken meiner Lieben,« fügte sie dann kaum verständlich hinzu, indem sie einige Tropfen schlürfte, »und zur Ehre Gottes,« sprach sie etwas lauter, worauf sie die Hand zum zweitenmal in die Quelle tauchte und gefüllt an ihre frischen rochen Lippen führte.

»Auf das Wohl der schönen Wanderin, die mit sicherem Scharfblick und überraschender Geistesgegenwart die richtige Mittelstraße zu finden wußte!« rief ich aus, einige tiefe Züge aus meiner Mütze trinkend und demnächst den Rest, wie einen Sprühregen, rückwärts schleudernd.

Die junge Fremde dankte durch ein leichtes Neigen ihres Hauptes und wendete sich ab, um sich zu ihrem Reitthier zu begeben. Sie hatte indessen noch keine zwei Schnitte gethan, als das laute Klirren, mit welchem Bernhard seinen Becher auf den Fliesen zertrümmerte, sie veranlaßte, noch einmal zurückzuschauen und sich dann mit beschleunigter Eile zu entfernen.

Es war dies das erste, aber auch das letzte Mal, daß meines Wissens Bernhard sich von seinen Gefühlen hinreißen ließ und übereilt und unüberlegt handelte. Ich folgerte daraus den hohen Grad seiner Enttäuschung und daß er vielleicht schon seit Stunden an dieser Stelle auf die Gelegenheit gewartet habe, sich dem jungen Mädchen zu nähern. Weniger erklärlich war mir dagegen der Blick des giftigsten Hasses, der mich ganz flüchtig aus seinen düsteren Augen traf, und der Wohl kaum durch mein an sich harmloses Durchkreuzen seiner Pläne allein hervorgerufen sein konnte.

Den Blick hätte ich ihm wohl vergeben, das absichtliche Erschrecken des jungen Mädchens dagegen erschien mir als ein unverzeihliches Verbrechen, welches die härteste Strafe verdiente. Meiner ersten Regung folgend, schritt ich daher um den Brunnen herum, und nachdem ich Bernhard mit unterdrückter Stimme einen nur mit Blut zu sühnenden Namen beigelegt, eilte ich, ohne ihn weiter meiner Beachtung zu würdigen, der Fremden nach.

Ich traf bei ihr ein, als sie ihr Reitthier eben wieder bestiegen hatte und der Führer den Zügel ergriff, um den Weg nach der Ruine Godesberg hinauf einzuschlagen. Der Ausdruck des Schreckens war noch nicht aus ihrem lieben Antlitz gewichen, doch dankte sie freundlich und unbefangen, als ich sie bat, mir zu verzeihen, durch mein unzeitiges Dazwischentreten[] Veranlassung zu der so wenig ergötzlichen Scene gegeben und sie in eine so unangenehme Lage gebracht zu haben.

Der Führer hatte sich unterdessen in Bewegung gesetzt, und da ich in ihren Augen zu lesen glaubte, daß ich eine Antwort von ihr zu erwarten habe, so nahm ich dies für die Erlaubniß, neben ihren, Thier herschreitend, sie begleiten zu dürfen.

Drittes Capitel.
Die Weissagung.

Ich las also in ihren holden Zügen eine freundliche Gewährung meines noch nicht ausgesprochenen Wunsches, doch bemerkte ich zugleich, daß sie, so lange die Quelle noch in unserm Gesichtskreise lag, zuweilen besorgt nach Bernhard zurückschaute, der, gesenkten Hauptes, wie in tiefen Betrachtungen, auf derselben Stelle stehen geblieben war.

Wie bei ihm Alles auf schlauer Berechnung beruhte, war auch seine Stellung unstreitig eine mit Vorbedacht gewählte. Er setzte eben voraus, daß die junge Fremde, welche man mit einer schüchternen, geängstigten Taube hätte vergleichen mögen, sich nach ihm umsehen würde.

Erst als die nächsten Hecken und Baumgruppen uns den Anblick Bernhard's entzogen, schien sie freier aufzuathmen, und sich mir mit einem fast kindlichen, aber etwas erzwungenen holdseligen Lächeln zuwendend, ging sie auf eine Unterhaltung mit mir ein.

»Ich sollte es vielleicht nicht sagen,« begann sie, und ihre Wangen färbten sich vor einem letzten Anflug von Befangenheit etwas dunkler, »und doch darf ich auch wieder nicht ungerecht sein. Ich muß nämlich einräumen, daß Ihr zufälliges Dazwischentreten keineswegs die Bezeichnung eines unzeitigen verdient. Es war mir willkommen, dem nähern Verkehr mit dem fremden Herrn ausweichen zu können; ich erkannte ihn nur zu spät, oder ich würde, anstatt anzuhalten, geraden Weges nach dem Godesberg hinaufgeritten sein und erst auf dem Heimwege die Quelle besucht haben.«

»So war dies wohl nicht die erste Begegnung?« fragte ich, weniger aus Neugierde, als um meine holde Gefährtin sprechen zu machen und noch länger den Ton ihrer süßen melodischen Stimme zu hören.

»Die erste Begegnung nicht, denn ich bemerkte ihn schon heute Vormittag,« lautete die mit lieblicher Offenheit gegebene Antwort, »seine Blicke schienen mich förmlich durchbohren zu wollen, so fest hafteten sie auf mir. In meiner frühsten Jugend habe ich einmal ähnliche Augen gesehen, die mich im wachenden Zustande sowohl, als in meinen Träumen noch lange nachher ängstigten und verfolgten, und daher rührt auch wohl meine kindische Furcht vor dem fremden Herrn, der mir sonst doch nichts zu Leide gethan hat.«

»Haben sie denn oft Gelegenheit jenem Herrn zu begegnen?«

»Oft nicht, denn er muß doch wohl in Bonn wohnen, aber mehrfach schon, im Siebengebirge wie auch hier, traf ich ihn, als ob ihm jedesmal die Richtung unserer Vergnügungsfahrten mitgetheilt worden wäre und er mich in Folge dessen erwartet habe.« [] »Dann wohnen Sie selbst also nicht in Bonn? aber verzeihen Sie, meine zudringlichen Fragen und legen Sie denselben kein schwereres Gewicht bei, als daß ich die einmal begonnene Unterhaltung gern weiterspinnen möchte. Offenbar haben wir ein und dasselbe Ziel, und worum sollte man sich nicht der Sprache bedienen, um die Zeit zu verkürzen?«

»Bonn kenne ich noch nicht; ich habe die so reizend gelegene Stadt Wohl von den Höhen des Siebengebirges aus gesehen, auch schon von hier aus, allein dort gewesen bin ich noch nicht. Ich befinde mich überhaupt erst seit sechs Wochen in dieser Gegend.«

»Aus Ihrem Mitteilungen läßt sich entnehmen, daß Sie im Siebengebirge ihren Aufenthalt gewählt haben?«

»An einem der reizendsten Punkte des Siebengebirges. Ein Onkel von mir, der dort den Posten eines Oberförsters bekleidet, hat mich zu sich in's Haus genommen. O, es ist so schön auf dem stillen, einsam gelegenen Gehöft, und die guten alten Leute –«

»Meines Wissens lebt nur ein Oberförster im Siebengebirge,« unterbrach ich meine jetzt unbefangen plaudernde Gefährtin hastig, denn ich erschrak fast bei dem Gedanken, daß die anmuthige Erscheinung vielleicht gar die Nichte meines alten verehrten Vormundes sei, »ja, nur ein Oberförster,« wiederholte ich sinnend, indem ich den Plan faßte, im Fall sich meine Vermuthung bestätigen sollte, mich vorläufig nicht zu erkennen zu geben, »und irre ich nicht, so ist es der Oberstlieutenant Werker, der nach Beendigung des Krieges für seine treuen Dienste und schweren Wunden, in dieser Weise mit einem ihm zusagenden halben Ruheposten bedacht worden ist.«

»Der Oberstlieutenant Werker ist ja mein Onkel!« rief das junge Mädchen vor Freude erröthend aus, und ihr ganzes Wesen bekundete, daß durch meine Bekanntschaft mit ihrem Onkel ihr Vertrauen zu mir eine bedeutende Stütze erhalten habe.

»Wunderbar, und mir ist nichts davon mitgetheilt worden,« bemerkte ich unbedachtsam, denn die Freude, ein so schönes Mädchen als die nächste Verwandte meines Vormundes begrüßen zu dürfen, erfüllte mich in so hohem Grade, daß ich darüber alle Vorsicht vergaß und mich beinah verrathen hätte. Glücklicher Weise hatte sie mich nur halb verstanden, und ihre blauen strahlenden Augen auf mich heftend, fragte sie, wem ich die Mittheilung machen wolle?

»Einem Studiengenossen,« antwortete ich, nunmehr vollständig bereit, meine Rolle ohne Fehler zu Ende zu spielen, »einem gewissen Gustav Wandel, der die Ehre hat, den Herrn Oberstlieutenant Werker seinen Vormund zu nennen.«

»Auch den Herrn Gustav Wandel kennen Sie?« fragte das liebe Mädchen mit einer so herzlichen Theilnahme, daß ich ihr dafür auf jedes ihrer beiden seelenvollen Augen einen Kuß hätte drücken mögen.

»Den Gustav Wandel?« fragte ich lachend zurück, »o, den Schlingel kenne ich so genau, wie mich selbst, und genau muß ich ihn Wohl kennen, indem wir seit unserer frühsten Kindheit gewöhnlich auf derselben Bank gesessen haben. Uebrigens ist er, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben wollen, ein arger [] Windbeutel; man nimmt allgemein an, daß sein Vormund ihm die Zügel etwas zu schlaff gehalten habe. Er schwärmt für den Fechtboden, betheiligt sich an jedem Commers und betrachtet die Collegien mehr als Nebensache.«

»Das begreife ich nicht,« entgegnete die junge Dame ernst, »Sie sind sein Freund und Gefährte und fällen ein so hartes Urtheil über ihn? Nein Onkel spricht sich ganz anders über ihn aus. Er nennt ihn stets einen braven, pflichttreuen Menschen, einen wahren Musterstudenten. Zwar räumt er ein, daß derselbe eine ausgezeichnete Klinge schlage – ich gebrauche meines lieben Onkels eigene Worte,« – schaltete sie lächelnd ein, »und sich ebenso gut zum Kavallerie-Offizier, wie zum Rechtsgelehrten eigne, doch vergißt er dann nie, hinzuzufügen, daß dergleichen sich sehr gut mit Latein und Griechisch vertrage und Herrn Wandel nicht hindere, dereinst Minister zu werden.«

»Also eine so gute Meinung hat der alte Herr von dem Gustav? Nun, Freund Gustav wird sich freuen, dies von mir zu hören. Aber merkwürdig bleibt es doch, daß der Schlingel mir, seinem ältesten und besten Freunde nicht mittheilte, daß sich Besuch im Hause seines Vormundes befände; und ich sollte denken, die Ankunft einer jungen liebenswürdigen Verwandten wäre doch ein Ereigniß, wichtig genug, es auch in weiteren Kreisen bekannt zu machen.«

Bei dieser Schmeichelei trieb meine Gefährtin ihr Thier an, als ob sie aus meiner Nähe hätte eilen wollen; doch der Esel sowohl, wie der Führer schienen nicht geneigt, ihre Wünsche zu berücksichtigen, und so war sie gezwungen, sich in's Unabänderliche zu fügen.

»Herr Gustav Wandel ist kein Verwandter von mir,« sagte sie endlich, nachdem sie das erste Mißvergnügen über meine ihr unpassend erscheinende Bemerkung niedergekämpft hatte.

»Was ich auch nicht behaupte mein Fräulein; ich erlaubte mir nur anzudeuten, daß bei der hohen Verehrung, mit welcher Wandel stets seines Vormundes gedenkt, die nächsten Verwandten desselben ihm ebenfalls nicht ganz gleichgültig sein dürften. Ich setze übrigens voraus, daß er um Ihre Anwesenheit im Hause des Herrn Oberstlieutenant weiß und irgend ein geheimer Grund ihn zurückgehalten hat, darüber zu sprechen.«

»Nein, er weiß nichts von mir und wird auch nicht früher etwas über mich erfahren, als bis er sich einmal wieder zum Besuch auf der Oberförsterei einstellt. Er hat nämlich seinen Vormund in letzter Zeit sehr vernachlässigt – der einzige Vorwurf, welchen ihm derselbe macht – und sich seit zwei Monaten nicht sehen lassen. Mein guter Onkel hat in Folge dessen beschlossen, ihn dadurch zu strafen, daß er ihm nicht ein Sterbenswörtchen über mich oder meine Aufnahme in seine Familie mittheilt; nicht wahr?« fügte sie sodann holdselig erröthend und schalkhaft lächelnd hinzu, »alte Leute haben manchmal ihre eigenen Ideen; als ob Herr Gustav Wandel bei seinen Studien Zeit hätte, sich um kleinliche Familienangelegenheiten zu kümmern, oder sich durch meines Onkels Verfahren sonderlich gestraft fühlen würde.«

»Ah, mein Fräulein, ich kenne den Herrn Gustav[] Wandel genügend, um Ihnen versichern zu dürfen, daß sein Vormund keine härtere Strafe für die unverzeihliche Vernachlässigung hätte ersinnen können. Gedulden Sie sich nur, er selbst wird bald genug diese meine Worte vor Ihnen wiederholen und bekräftigen. Ich für meine Person finde es wenigstens unverantwortlich von ihm, daß er verabsäumt, seinem verehrungswürdigen Vormunde hin und wieder einen Besuch abzustatten und sich nach dem Befinden seiner liebenswürdigen Gattin zu erkundigen; gewiß, dafür kann er nicht zu strenge bestraft werden. Aber es verhält sich genau so, wie ich sagte, er ist ein Windbeutel durch und durch und verdient die freundliche Theilnahme nicht, die ihm von allen Seiten gezollt wird.«

»Sie tadeln den Abwesenden so scharf,« entgegnete das junge Mädchen mit einem leisen Vorwurf im Ton, »sollte man da nicht den Verdacht fassen können, des Herrn Gustav's ältester Freund und Gefährte verdiene wenigstens ebenso viel Tadel?«

Meine Lage kam mir jetzt so komisch vor, daß es mich Mühe kostete, ein lautes Lachen zu unterdrücken, was von meiner arglosen Gefährtin unbedingt zu meinem Nachtheil gedeutet worden wäre und mich gezwungen hätte, die ganze Wahrheit einzugestehen.

»Es mag unpassend erscheinen, mich zu meinem eigenen Lobredner auszuwerfen,« sagte ich, sobald ich die erforderliche Fassung gewonnen, indem ich eine bemüthig bescheidene Miene annahm, die sogar dem hinterlistigen Bernhard Ehre gemacht haben würde, »allein Ihr Vorwurf ist so bitter, daß ich ihn unmöglich stillschweigend hinnehmen kann«. Keineswegs gebe ich mich für einen Halbgott aus, allein wenn mein Freund Gustav nur die Hälfte der Rathschläge befolgte, welche ich ihm oft in stillen Stunden, namentlich nach einer lustig durchschwärmten Nacht ertheile, so würde er ganz gewiß mit vollem Recht auf seines ehrwürdigen Herrn Vormundes Bezeichnung: »Musterstudent« Anspruch machen können. So aber siegt sein Leichtsinn leider zu oft über meine Vernunftgründe und ich werde, eh' ich mich dessen versehe, mit in den wilden Strudel hineingerissen.

»Was allerdings nicht zu sehr für Herrn Wandel's ältesten Freund und Gefährten spräche,« bemerkte meine Begleiterin schalkhaft, doch in demselben Augenblick, als wenn sie befürchtet hätte, zu viel gesagt zu haben, wendete sie sich erröthend ab.

»Befindet sich der Herr Oberstlieutenant ebenfalls hier?« fragte ich, nachdem ich mich eine Weile an der bezaubernden Verlegenheit des lieblichen Kindes geweidet hatte.

»Mein Onkel und meine Tante sind beide hier; wir sind in Fuchs' Hotel abgestiegen. Ich bat sie dringend, mich nach dem Godesberg hinauf zu begleiten, allein alle meine Bitten, selbst meine Versicherung, nicht ohne ihren Schutz reiten zu wollen, waren vergeblich. Es genügte, den Wunsch die Ruinen zu besuchen, ausgesprochen zu haben, um meinen Onkel zu bewegen, selbst ein Reitthier und einen verständigen Führer herbeizuholen, und mir fast ebenso schnell auf den Sattel zu helfen und glückliche Reise zu wünschen.«

»Seine Kräfte reichen Wohl nicht mehr zu einem so weiten Spaziergange aus?«

[] »Leider nicht, der liebe alte Herr will es aber nicht zugestehen und schiebt Alles auf die gute Tante, die nicht mehr Berge ersteigen könne.«

»Aber es halten doch überall Reitthiere im Ueberfluß, um den Gästen den Besuch entfernterer Punkte zu erleichtern.«

»O, Reitthiere genug, aber ich glaube, mein Onkel bliebe lieber ein ganzes Jahr auf ein und derselben Stelle sitzen, eh' er einen Esel bestiege. Sie müssen nämlich wissen, er ist Kavallerie-Offizier gewesen, und da kann ich ihm in seinem Vorurtheil gegen alle andere Arten, als auf einem Pferde zu reiten, nur vollkommen recht geben.«

»Das heißt die Vorurtheile doch etwas zu weit ausdehnen,« versetzte ich auf's innigste ergötzt, daß sie die Sache ihres Onkels zu der ihrigen machte und seine mir bereits seit meiner Kindheit bekannte Schwäche beschönigte.

»Wenn Sie so alt wären wie mein Onkel, und wie er, in den Freiheitskriegen eine Armee, oder wer weiß was commandirt hätten, wurde Ihr Urtheil anders lauten,« gab sie schnell zur Antwort, »aber sagen Sie ihm das lieber selbst, vielleicht gelingt es ihm leichter, wie mir, Sie zu überzeugen. Ich mache Sie indessen vorher darauf aufmerksam, daß er sehr leicht in Eifer geräth,« fügte sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu.

»Wenn ich Gelegenheit finde, mit ihm zusammenzutreffen, möchte ich es wirklich einmal darauf ankommen lassen.«

»O, eine solche Gelegenheit wird sich bald genug bieten. Die beiden guten Alten wollen mir bis zum Mineralbrunnen entgegengehen, und wenn Sie –«

»Und wenn Sie mir gestatten wollen, so lange Ihr Begleiter zu sein,« fuhr ich fort, als sie verlegen stockte, »so könnte ich vielleicht die Ehre haben, durch Sie Ihrem Herrn Onkel vorgestellt zu werden?«

»Nun – ja – und ich bezweifle nicht, daß Sie ihm sehr willkommen sein werden, zumal Sie ihm die neuesten Nachrichten über seinen lieben Gustav Wandel bringen.«

»Die allerneusten Nachrichten über das Wohlbefinden des leichtsinnigen Patrons,« pflichtete ich bei, nachdem ich mich einen Augenblick abgewendet hatte, um einen drohenden Ausbruch verrätherischer Heiterkeit niederzukämpfen und meine Züge wieder in ernstere Falten zu legen.

»Einen Rath muß ich Ihnen aber doch ertheilen,« fügte sie nach kurzem Sinnen zögernd hinzu, »alte Leute verdienen stets die größte Rücksicht, namentlich aber ein so tapferer Krieger und liebevoller Onkel; ich bitte Sie daher, wenn Sie mit ihm über Herrn Wandel sprechen, nicht – ich meine –«

»Ihn nicht Schlingel und leichtsinnigen Patron zu nennen?«

»Ja, das meinte ich; ich bin überzeugt, Sie denken sich nichts Böses dabei, denn Sie nennen ihn ja Ihren Freund, allein mein Onkel kann nicht leiden, wenn man auch nur im Scherz schlecht von seinem Schützling spricht – ich denke, die Zusammenkunft wird jedenfalls eine angenehmere Färbung tragen, wenn Sie« –

»Wenn ich mich befleißige, einen gewissen, seinen Vormund auf unverantwortliche Weise vernachlässigenden [] Gustav Wandel als einen Engel im Studentenkleide darzustellen,« unterbrach ich meine anmuthige Vertheidigerin.

»Ja, aber auch darin dürfen Sie nicht zu weit gehen, denn mein Onkel ist sehr leicht zu erzürnen und weiß Ernst und Ironie genau von einander zu unterscheiden.«

»Bauen Sie darauf, mein Fräulein, ich werde mich ganz in dem von Ihnen gewünschten Sinne benehmen, wenn auch nur, um Ihnen gefällig zu sein –«

»O, meinetwegen nicht,« fiel das reizende Kind mir stotternd in die Rede, »nur meines Onkels und Ihrer selbst wegen; ich kenne den Herrn Wandel ja nicht einmal.«

»Dann soll er sich Ihnen in nächster Zeit vorstellen, ich werde ihn mit Vorwürfen überhäufen und ihm sagen –«

»Nein, sagen Sie ihm lieber nichts, es sei denn, mein Onkel ermächtigte Sie dazu. Wenn er sich so lange nicht hat sehen lassen, ist jetzt erst recht kein Grund vorhanden, daß er sich plötzlich, durch fremde Menschen darauf aufmerksam gemacht, der Oberförsterei im Siebengebirge erinnert.«

»Auch das verspreche ich Ihnen, mein Fräulein, ich verspreche Ihnen bei meiner Ehre, keine Silbe von Ihnen oder der Oberförsterei zu erwähnen.«

»Meines Onkels wegen, der schon ungeduldig wird, möchte ich wohl, daß er seinen Besuch nicht zu weit hinausschöbe,« versetzte sie, offenbar nicht ganz einverstanden damit, daß ich es förmlich abgelobte, dem Erwarteten auch nur einen Wink zu geben.

»Sind Sie selbst denn nicht neugierig, den leichtsinnigen Menschen kennen zu lernen?« fragte ich darauf mit einem heimlichen Seitenblick auf die junge Reiterin, die mit bezaubernder mädchenhafter Schüchternheit zu mir herüberschaute.

»Meines Onkels wegen bin ich allerdings sehr neugierig, aber auch für mich bin ich auf sein erstes Erscheinen gespannt, und ich muß es wohl sein, indem kein Tag vergebt, an welchem der Onkel oder die Tante nicht von dem Herrn Gustav sprechen. Er ist wohl sehr groß?«

»Beinah so groß, wie der Herr Oberstlieutenant.«

»Ich glaube verstanden zu haben, daß Sie meinen Onkel nicht kennen?«

»Persönlich nicht«, entgegnete ich, meine Unbedachtsamkeit wieder verbessernd, »aber ich habe die beiden Herren mehrfach in den Straßen Bonn's neben einander gesehen.«

Eine kurze Strecke legten wir jetzt auf dem stark ansteigenden Wege schweigend zurück. Der Führer trieb seinen Esel mit Worten und einzelnen wohlgemeinten Schlägen an; meine Gefährtin betrachtete sinnend die struppige Mähne und die langen beweglichen Ohren des geduldigen Thiers, und ich weidete mich wieder an dem Anblick ihrer schlanken jungfräulichen Gestalt, die so anmuthig und geschmeidig allen Bewegungen des Reitthiers nachgab.

Sie hatte mir ihr edel geschnittenes Profil zugekehrt; die langen Wimpern ruhten über den gesenkten Augen beinah auf den rosigen Wangen, und ihre rabenschwarzen Locken, welche tief auf ihren Busen hinabfielen, verlängerten und verkürzten sich [] bei jedem Schritt, als hätten sie spielend ihre Federkraft versuchen und es sich gegenseitig zuvorthun wollen.

Lange noch hätte ich neben ihr herschreiten können, ohne die Stockung in unserm Gespräch zu empfinden; ich hatte nur Gedanken für das liebliche Bild, welches sie mir bot, und mit einem Gemisch von Entzücken und Bedauern über meine Hinterlist, vergegenwärtigte ich mir ihr verlegenes Erstaunen, wenn ich sie plötzlich als eine liebe Bekannte vertraulich begrüßen würde.

Nach einer Weile hob sie ihr Haupt wieder empor. »Ist der Herr Wandel eine stattliche Erscheinung?« fragte sie naiv, mich mit ihren großen blauen Augen so recht offen und redlich anblickend.

»Im Gegentheil, er ist außerordentlich häßlich,« entgegnete ich, wiederum gegen ein krampfhaftes Lachen ankämpfend.

»Sie scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, Alles, was mein Onkel sagt, zu bestreiten,« versetzte sie, durch meine Antwort offenbar unangenehm überrascht.

»Mein Fräulein, verzeihen Sie mir, ich befinde mich aber in der Lage, wiederholen zu müssen: Gustav Wandel ist schauderhaft häßlich.«

»Sie halten ihn vielleicht dafür, weil Ihr Geschmack ein – ein – «

»Ein verdorbener ist?« schaltete ich ein.

»Das wollte ich gerade nicht sagen, sondern daß er von dem meines Onkels so sehr abweicht; übrigens soll es mich nicht kümmern, ob Herr Wandel schön oder häßlich ist, ich wünschte nur zu wissen, wie er aussieht, um ihn, wenn er plötzlich einmal auf der Oberförstern eintrifft, zu erkennen und meinem Onkel zurufen zu können: Da ist endlich der lang erwartete Herr Wandel!«

»Ah, das ist etwas Anderes, und mache ich mir daher ein Vergnügen daraus. Ihnen den leichtsinnigen Patron so genau zu beschreiben, daß Sie gar nicht irren können. Also zuerst ist er hoch und kräftig gewachsen, ungefähr so, wie ich; ferner trägt er eben solche lange braune Mähnen wie ich, und eine ähnliche Gesichtsverzierung, wie ich mir erlaubt habe, um meine eigenen Lippen anzulegen. Dann erfreut er sich großer blauer Augen, ebenfalls wie die meinigen, nur daß er für gewöhnlich etwas unverschämter in die Welt hineinschaut, als ich es jetzt thue; genug, mein Fräulein, wir sehen einander sehr ähnlich – was Ihr Herr Onkel ohne Zweifel bezeugen wird – so ähnlich, daß wir schon häufig verwechselt worden sind, und deshalb wiederhole ich noch einmal, Gustav Wandel ist schrecklich häßlich.«

So lange ich sprach, hafteten meiner Gefährtin Blicke jedesmal mit sichtbarem Interesse an dem Theil meines Gesichtes, den ich gerade bezeichnete, und als ich geendigt, rief sie lächelnd aus:

»O, dann kann er doch nicht so –« darauf aber verlegen abbrechend, schaute sie nach der andern Seite hinüber, wo sich eben eine wunderbar schöne Aussicht über das Rheinthal eröffnete.

Wiederum stand ich auf dem Punkt, ihre Hand zu ergreifen, mich als den Mündel Ihres Onkels vorzustellen und ihr mit innigen Worten für ihre freundliche Gesinnung zu danken, und wiederum gewannen meine jugendliche Eitelkeit und der Wunsch, [] meine seltsame Rolle mit Glanz bis zu Ende durchzuführen, die Oberhand über das Mitleid, welches mir ihre sie so reizend kleidende Verlegenheit einflößte. Doch gab ich dem Gefühl der plötzlich erwachenden Theilnahme in so weit nach, daß ich mich anstellte, als habe ich ihr Erschrecken über die ihr bereits zur Hälfte entschlüpfte Aeußerung nicht bemerkt, und den Führer auffordernd, halten zu bleiben, lenkte ich ihre Aufmerksamkeit auf das sich vor uns ausdehnende prachtvolle Panorama hin.

»Das ist Bonn,« begann ich, auf die ferne Stadt hinweisend, »und die fünf zusammenstehenden Thürme bezeichnen, weithin erkennbar, die stattliche Münsterkirche. Die Sage geht, daß sie auf Wasser gebaut sei; man soll in ihrem untersten Geschoß das Wasser sogar lauschen hören, wovon ich mich indessen noch nicht überzeugt habe. Verfolgen Sie nun mit den Blicken die Chaussee, so gelangen Sie zuerst an das Hochkreuz – «

»Die Herrschaften können das von oben weit besser sehen,« bemerkte hier der Führer, indem er sich wieder hinter sein Thier stellte.

Die junge Reiterin nickte zustimmend, und da mein Zweck, ihre Verlegenheit zu verscheuchen, erreicht war, so hatte ich durchaus keinen Grund, irgend welche Einwendungen zu erheben.

Als wir uns dann dem Gipfel des Berges wieder zuwendeten, nahm die schöne, wohl erhaltene Ruine unsere ungetheilte Aufmerksamkeit in Anspruch, und nachdem ich einige kurze Bemerkungen über deren Anlage und Architektur voraufgesendet, begann ich, die im Munde des Volkes noch immer frisch und klar fortlebende Sage über die Ritter von Godesberg zu erzählen.

Meine Gefährtin hörte mir gespannt zu, ihre Blicke hielt sie dabei beständig auf den grauen, ehrwürdigen Thurm und dessen mehr zerfallene Umgebung gerichtet. Aus ihren milden Augen leuchtete eine sanfte Schwärmerei, und es war nicht schwer zu errathen, daß sie sich, Angesichts der noch immer stolzen Trümmer des Alterthums, und angeregt durch meine Erzählung, im Geist in jene Zeiten zurückversetzte, in welchen von einer derartigen Burg aus eine drückende Herrschaft über das ganze Land ringsum ausgeübt werden konnte. Auch ich gelangte allmälig unter den Einfluß solcher Betrachtungen, der sich dann wieder in der enthusiastischen Wärme meines Vortrages äußerte.

Der Berg war noch vereinsamt; die gewöhnlichen Sonntage-Nachmittags-Gäste hatten sich noch nicht eingestellt. Ein warmer, fast drückender Sonnenschein lagerte auf der weiten, reich gesegneten Landschaft; kein Lüftchen rührte sich, und während nahe dem Erdboden zwischen Brombeerranken und Mauertrümmern der Zaunkönig lustig zirpend umherschlüpfte, beschrieben hoch oben die Schwalben ihre tausendfältig verschlungenen Linien, und jubelten die Lerchen ihre süßen, heiteren Triller in die stille, gleichsam feiernde Atmosphäre hinaus.

Ich hatte meine Blicke der äußersten Zinne des mächtigen Wartthurmes zugewendet. Zwei Krähen flogen daselbst mit schwerfälligen Bewegungen vorüber; kaum befanden sich dieselben aber in gleicher Linie mit dem alten Gemäuer, da verließen mehrere[] leicht beschwingte Falken ihre zwischen den morschen Wänden versteckten Horste. In kurzen Kreisen emporschnellend schossen sie mit schrillem Ruf auf die verdrießlich krächzenden Wanderer nieder, als ob sie dieselben hätten im heftigen Anprall auf die Erde hinabstoßen wollen, im nächsten Augenblick wieder zum erneuerten Angriff emporsausend.

»Blicken Sie hinauf,« fuhr ich, in meiner Erzählung auf die eben beobachtete Thierscene übergehend, fort; »dort haben Sie ein Bild, welches an die alten Feudalzeiten, an daß Faustrecht erinnert. Die armen Krähen hegten gewiß nichts weniger, als feindliche Gefühle gegen die Falken; sie zogen vorüber, weil es ihr nächster Weg war, und dennoch können die besser bewaffneten und gewandteren Räuber es sich nicht versagen, wenn auch nur, um ihnen ihre Ueberlegenheit zu beweisen, sie mit hinterlistigen Angriffen zu verfolgen.«

Der Führer hielt das Thier jetzt wieder an.

»Wenn es den Herrschaften beliebt, können sie auf dem Fußpfade nach der Ruine hinauf steigen, es sind nur wenig Schritte bis dahin, ich werde mit dem Esel etwas später dort oben eintreffen,« sagte er, auf einen schmalen Seitenpfad deutend, der, wie ich bemerkte, steil, aber gerade nach dem alten Schloßhof hinaufführte.

Wir befanden uns vor der äußersten Ringmauer der Burg, deren vereinzelte Thürmchen malerisch zu der in dem einen Winkel errichteten kleinen Kapelle contrastirten. Träumerisch ließ meine Gefährtin ihre Blicke über die mit wildwachsenden Bäumen und einigen dorthin verpflanzten italienischen Pappeln anmuthig geschmückten umfangreichen Ruinen hinschweifen. Eine feierliche Stille ruhte auf dem ganzen Bilde; Gäste hatten sich noch nicht eingefunden, und erhielt der verwitternde, ehemalige Sitz stolzer, privilegirter Wegelagerer durch den Mangel jeglichen an die Jetztzeit erinnernden Geräusches den Charakter einer überaus melancholischen, dabei aber verlockenden Einsamkeit.

Ich glaubte in den Augen des jungen Mädchens zu lesen, daß ihr Gemüth vorzugsweise empfänglich für ungewöhnliche, an's Romantische streifende Eindrücke sei, und namentlich aber, wenn durch äußere Beeinflussung darauf hingelenkt, zur Schwärmerei hinneige. Sie bekundete dies auch, indem sie, wie aus einem Traume, plötzlich leicht emporschreckte und mich fragend ansah.

»Der Mann hat recht,« antwortete ich auf die stumme Frage, »es ist eine kurze Strecke bis dort hinauf, und wenn Sie sich meiner Führung anvertrauen wollten, würden nicht nur Sie einen besonders schönen Anblick der Burg gewinnen, sondern auch ich dürfte hoffen, von Ihrem Herrn Onkel für meine Dienste als Führer belobt zu werden.«

Die wohlberechnete Erwähnung des Oberstlieutenants verfehlte ihre Wirkung nicht; der Ausdruck von Schüchternheit wich aus ihren freundlichen Zügen, und sich mit der einen Hand auf des neben sie hintretenden Mannes Schulter stützend, die andere dagegen mir reichend, sprang sie gewandt aus dem stuhlartigen Sattel zur Erde.

»Furchtlos vertraue ich mich dem besten und ältesten Freunde des Herrn Gustav an,« sagte sie [] lächelnd, »und ich hoffe, daß er mich mit seinem Leben gegen die uns etwa den Weg vertretenden ruhelosen Burggeister vertheidigen und wohlbehalten zu mei nem Onkel zurückbringen wird.«

»Mit meinem Leben, und wenn ich deren tausend besäße,« antwortete ich begeistert und wahrhaft beglückt, daß der unbekannte Gustav wenigstens keine unbedeutende Rolle in ihren Gedanken spielte; »ja, und besäße ich deren zehntausend,« wiederholte ich, »ich würde sie mit Freuden opfern, wenn auch nur, damit der leichtsinnige Gustav, der mehr Glück hat, als er verdient, Ehre mit mir einlegt. Uebrigens sollen die Burggeister doch auch mit der Zeit fortgeschritten sein und sich den Sterblichen nicht mehr so feindlich gesinnt zeigen, wie ehemals.«

»Wenn die Burggeister auch verschwunden sind, so leben sie doch in den Sagen fort,« entgegnete meine Begleiterin, »und unwillkürlich ruft man sich in's Gedächtnis daß zwischen den zerfallenden Mauern frohe Menschen sich einst heimisch und behaglich fühlten, und wenig daran dachten, daß nach einigen Jahrhunderten ihr Leben und Wirken in das Gewand der Sage gekleidet werden würde.«

»Es läßt sich nicht leugnen,« versetzte ich, »daß die alten Sagen viel dazu beitragen, die zerfallenden Bauwerke des Mittelalters mit einem eigenthümlichen, geheimnißvollen Schimmer zu umgeben, die Phantasie des Wanderers und Beschauers dagegen zu den bizarrsten Zusammenstellungen anzuregen. Aber gerade darin liegt auch wieder ein hoher Reiz, und ich bilde mir ein, daß die schönen Balladen, welche uns das Alterthum gleichsam verbildlichen, eben nur zwischen solchen Trümmerhaufen, oder doch unmittelbar nach einem Besuch derselben, entstanden sein können.«

Der Eseltreiber war um diese Zeit bereits aus unserm Gesichtskreis entschwunden, nur noch gedämpft drang der klappernde Hufschlag seines Thiers zu uns herüber. Durch eine Oeffnung in der Mauer waren wir in den äußersten Schloßhof getreten und langsam wanden wir uns auf einem grünen Abhange nach der Ruine hinauf.

Mir selbst war diese Wanderung ein doppelter Genuß, und so sehr hatte ich mich den Betrachtungen über den Ideengang meiner lieblichen Gefährtin hingegeben, daß ich der mir von einem neckischen Zufall an die Hand gegebenen Rolle kaum noch gedachte, und mich bestrebte, ihrer offenbar in der grauen Vorzeit umherirrenden Phantasie immer neue Nahrung zu bieten.

»Und dennoch sind die Sagen und die sich an dieselben knüpfenden Erinnerungen nur ein geringer Ersatz für das heimliche Grauen, welches man früher empfand, wenn man sich einer, nach damaligen Begriffen, von Gespenstern heimgesuchten Stelle näherte,« warf ich ein, indem ich auf eine Thoröffnung in der sich vor uns erhebenden hohen Giebelmauer zu lenkte. Wie ganz anders wäre es zum Beispiel, träte uns aus diesem Gemäuer ein steinerner Gast entgegen, mit der Frage: »Wer wagt es mein stilles Reich zu entweihen und mich in meiner Ruhe zu stören?«

»Oder ein bleiches Burgfräulein im Weißen Gewände,« fügte das junge Mädchen mit schwärmerischem Ausdruck hinzu, »nein, lieber eine rosige Dame mit langer Sammetschleppe, den Falken auf der Hand und [] zwei muntere Windspiele zur Seite, ja, das wären Gespenster, von denen ich die Burg belebt sehen möchte; aber es ist ja heller Tag, und die Burggeister verlassen, wie die Sage lehrt, nur um Mitternacht ihre längst überwucherten Ruhestätten.«

»O, es müßte ein Geist des niedersten Ranges sein, der nicht die Macht besäße, sich auch im Sonnenschein etwas ergehen zu können!« rief ich heiter aus, indem ich meiner Begleiterin den Vortritt in die erste, nur noch an den Mauerüberresten kenntliche Halle ließ.

Eine Antwort schwebte ihr auf den Lippen; plötzlich aber prallte sie erschreckt zurück, ihr Antlitz erbleichte, auf ihren Wangen erschienen wieder die beiden rothen Maale, und ihre Blicke starr auf einen mir noch nicht sichtbaren Punkt geheftet, flüsterte sie kaum vernehmbar: »Mein Gott, was ist das?«

Gleich darauf befand ich mich an ihrer Seite, und als ich nach der Ursache ihres Entsetzens umherspähte, gewahrte ich eine Persönlichkeit, die wohl geeignet war, ein leicht erregbares jugendliches Gemüth, namentlich nach der vorhergegangenen Unterhaltung, mit Schrecken zu erfüllen.

Im Schatten der Mauer und unter einer laubenartig niederhängenden Epheuverzweigung stand nämlich, als wenn sie sich eben erhoben hätte, eine weibliche Gestalt, die für mich, der ich sie bereits seit vielen Jahren kannte, zwar nichts Befremdendes hatte, durch ihren unerwarteten Anblick mich aber dennoch in nicht geringem Grade überraschte.

Dieselbe Der hier geschilderten Person erinnere ich mich sehr wohl. Sie war in ihren jüngeren Jahren Kammerjungfer in einem gräflichen Hause gewesen und, nach ihren Aeußerungen zu schließen, hatte unglückliche Liebe ihren Geist unheilbar zerrüttet. Sie war vollständig harmlos, wanderte in der Umgebung Bonn's von Dorf zu Dorf, hier auf einem Bauerhofe den Mägden helfend, dort die ihr übertragenen feinen Handarbeiten sauber und gewissenhaft vollendend. Ueberall erhielt sie Speise, Trank und Obdach, doch brachte sie die Nächte, wenn das Wetter es gestattete, am liebsten unter grünen Bäumen zu; nirgends weilte sie indessen länger, als höchstens vierzehn Tage. Wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder geheimnißvoll und ohne Abschied zu nehmen, in vielen Fällen aber einen in den schwülstigsten Ausdrücken verfaßten Brief hinterlassend. Manche Bewohner dortiger Gegend werden sich, gleich mir, jener seltsamen Erscheinung erinnern. Daß sie jetzt noch lebt, ist kaum anzunehmen, indem sie ein Alter von wenigstens achtzig Jahren erreicht haben mußte. Der Vers. war hoch und kräftig gewachsen, sogar zur Corpulenz hinneigend; ihre breiten Gesichtszüge trugen den Ausdruck leichtfertiger Gutmüthigkeit und schienen aus einem freundlichen Lächeln gar nicht herauskommen zu können. Wenn man indessen tiefer in ihre graublauen Augen schaute, dann entdeckte man leicht ein unstetes Leuchten, welches auf eine Gestörtheit des Geistes hindeutete und zugleich ihren seltsamen Aufzug rechtfertigte.

Ihren von wirren, nur nothdürftig aufgesteckten Haaren umgebenen Kopf bedeckte ein großes grünes Barett, wie man solche häufig auf Bildern den Knappen und Rittern beigegeben findet. Ein grellfarbiges Tuch schlang sich um ihren Hals, ein dunkeles Kleid von leichtem Stoff verhüllte, ziemlich unordentlich angelegt, ihren Körper, doch hatte sie den Rock des selben festonartig so aufgenommen, daß ein dunkelblaues Unterkleid sichtbar blieb, auf dessen unterem Rande mit weißen Fäden ein breiter Besatz höchst kunstvoll [] eingestickt war. Die Stickerei bestand aus einer fortlaufenden Reihe großer Figuren und Gruppen, und man brauchte nur einen Blick auf dieselben zu werfen, um sich zu überzeugen, daß sie, aus einer krankhaften Phantasie hervorgegangen, von der Eigentümerin selbst sehr sorgfältig ausgenäht worden waren. An ihrer Seite hing eine große Tasche, in welcher sie die ihr unentbehrlich erscheinenden Gegenstände mit sich führte, während sie einen kleinen Arbeitsbeutel an ihren Gürtel befestigt hatte. Ihre Bekleidung, überhaupt ihr ganzes Aeußere trug reichliche Spuren ihres unsteten Wanderlebens und ihrer Vorliebe für den Aufenthalt im Freien, und beim Hinblick auf den Figurenkreis und den altmodischen Kopfputz konnte man nicht umhin, sie in Gedanken mit den Beschreibungen längstverschollener Wahrsagerinnen oder Zauberinnen zu vergleichen.

So stand sie denn vor uns; ein gutmüthiges Lächeln schwebte auf ihren alternden Zügen, und weder in Miene noch Haltung äußerte sie Ueberraschung oder Mißmuth über unsere Störung. Und gestört hatten wir sie, das bewiesen die noch mit Dinte befeuchtete Feder und ein zur Hälfte beschriebenes Blatt Papier in der einen Hand, und ein Dintenfläschchen in der an dern, welches sie im Begriff stand, zuzukorken.

»Ah, Fräulein Brüsselbach,« rief ich mit zutraulicher Freundlichkeit aus, denn ich glaubte dadurch am schnellsten den beängstigenden Eindruck zu verscheuchen, welchen der unvermuthete Anblick einer Geisteskranken auf meine Gefährtin ausübte, »wie geht es Ihnen und was verschafft mir die Ehre, mit Ihnen zwischen den Ruinen des Godesberg zusammenzutreffen?«

Die Angeredete verpackte mit unerschütterlicher Ruhe ihr Dintenfläschchen, und dann zuerst mich und demnächst das junge Mädchen flüchtig betrachtend, schritt sie uns langsam entgegen.

»Excellenz belieben zu scherzen, indem Sie sich nach dem Befinden Ihrer gehorsamen Dienerin erkundigen,« begann sie mit ihrem tiefen, aber nicht unangenehm klingenden Organ, »ich erlaubte mir, wie Sie, die Gräber Ihrer Vorfahren zu besuchen und der Zeiten zu gedenken, in welchen in diesen Hallen die edlen Ritter die edlen Fräulein zum Tanze führten.«

»Entfernen wir uns, ich fürchte mich,« flüsterte meine bebende Gefährtin, dichter zu mir herantretend.

»Fürchten Sie sich nicht, gnädigste Comtesse,« versetzte Fräulein Brüsselbach, eh' ich irgend etwas zur Beruhigung des jungen Mädchens erwidern konnte; »die Mauern stehen noch fest, und die Verstorbenen verlassen ihre Gräber nicht wieder. Wenn Sie aber die Liebe fürchten und ihr auszuweichen wünschen, so hilft alle Vorsicht Ihnen nicht. Sie kommt, wo und wann es ihr gefällt, gleichviel, ob im Palast, in der Hütte des Armen oder zwischen den Ruinen von Godesberg.«

»An wen haben Sie geschrieben?« fragte ich, um der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben.

»An wen ich schrieb, Ihro Gnaden?« fragte Fräulein Brüsselbach, die Augen verschämt niederschlagend, zurück, »der Herr Graf und auch die gnädigste Comtesse sollten doch wohl zu wissen geruhen, [] daß meine Briefe an denjenigen gerichtet sind, dem das Geschick sie in die Hände spielt.«

»So lassen Sie mich durch Zufall den Empfänger Ihres Schreibens werden,« versetzte ich, die Hand nach dem Papier ausstreckend.

»Nichts in der Welt ist Zufall, Herr Graf,« antwortete Fräulein Brüsselbach mit derselben Verschämtheit, während sie das Papier in Briefform zusammenfaltete, »oder wollen Ew. Excellenz es etwa dem Zufall verdanken, daß Sie sich augenblicklich in der Gesellschaft des edlen Fräuleins an dieser geweihten Stätte befinden? Indem ich diesen Brief schrieb, folgte ich einer Bestimmung des Schicksals; eine ähnliche Bestimmmig führte Ihro Gnaden hierher, und derselben Bestimmung folgend, habe ich die Ehre, Ihnen, Herr Graf, mein unterthänigstes Schreiben zu Füßen zu legen.«

Mit diesen Worten und einer etwas linkischen Verbeugung überreichte sie mir den Brief, und wiederum flogen ihre gutmüthig verschmitzten Blicke prüfend zwischen meiner Begleiterin und mir hin und her.

Die vertrauliche Weise, in welcher ich zu der armen Geisteskranken sprach, war in der That nicht ohne die beabsichtigte Wirkung auf meine Gefährtin geblieben. Die Furcht war von ihr gewichen; dagegen betrachtete sie die ihr fremde und geheimnißvolle Erscheinung mit einem Gemisch von Scheu und Theilnahme, doch bemerkte ich, daß ihre Blicke, sobald ich mit einem schwülstigen Titel angeredet wurde, mich jedesmal mit dem Ausdruck neugieriger Verlegenheit flüchtig streiften.

Ihre Phantasie war unstreitig durch das merkwürdige Zusammentreffen mächtig aufgeregt worden und unbewußt bestrebte sie sich, die Worte der Wahnsinnigen, denselben gleichsam einen höhern Werth beilegend, zu deuten. Letzteres geschah ganz gegen meine Wünsche und Berechnung, weshalb ich, um einen derartigen nachteiligen Einfluß abzuschwächen, dem Gespräch eine scherzhafte Wendung zu geben suchte.

»Muß ich den Brief in gleicher Weise beantworten?« fragte ich lachend, das Papier entfaltend.

»Handeln der gnädige Herr, wie das Geschick es Ihnen befehlen wird; aber lesen Ihro Gnaden meine Worte nicht hier,« entgegnete Fräulein Brüsselbach mit einer abwehrenden Bewegung, »schreiben Sie und lassen Sie Ihre Antwort demjenigen zugehen, den das Geschick Ihro Gnaden im entscheidenden Augenblick zuführen wird, und irre ich nicht, so wird der Empfänger Ihre Frau Gemahlin sein.« So sprechend, deutete sie freundlich auf meine Begleiterin.

Ich erschrak, doch beruhigte ich mich schnell wieder, als ich bemerkte, daß das junge Mädchen, weit entfernt davon, in Verlegenheit zu gerathen, lächelnd die mädchenhafte Scheu überwand und sich anschickte, selbst zu antworten.

»Sie irren,« sagte sie unbefangen, obwohl ihre Wangen sich etwas höher färbten, »der Zufall hat uns vor einer Stunde erst zusammengeführt« –

»In den Augen liegt das Herz,« unterbrach Fräulein Brüsselbach sie schnell, sie wohlgefällig und sogar theilnahmvoll betrachtend, »und glauben Sie mir, mein gnädigstes Fräulein, wenn das Geschick es ernstlich bestimmt hat, dann wird selbst das Unmögliche [] zur Wahrheit. Sie nennen es Zufall, was Sie mit dem Herrn Grafen zusammenführte, ich erkenne darin eine höhere Fügung; es leuchtet aus Ihren Augen, ich lese es in seinen Blicken:

Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte, wer er war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar.«

Diese Verse, welche sie mit theatralischem Pathos hersagte, begleitete sie mit so bezeichnenden Bewegungen, daß kein Zweifel darüber obwalten konnte, wen sie eigentlich meine. Betrachtete ich nun dieselben auch als gehaltlose Ergüsse eines kranken Gemüthes, die sie an jeden ihr zufällig Begegnenden gerichtet haben würde, so war ich doch überrascht durch das Zusammentreffen von Umständen, die, unter sich fremd, dennoch in so naher Beziehung zu einander zu stehen schienen: Neben mir befand sich ein junges Mädchen, mit welchem ich voraussichtlich bereits in den nächsten Stunden in ein gewisses verwandtschaftliches Verhältniß treten sollte; sie war die Nichte meines mich in so hohem Grade liebenden Vormundes; ich sollte zeitweise mit ihr unter demselben Dache leben und täglich mit ihr verkehren; sie war mir erschienen wie ein holdes Traumgebilde; sie kannte mich nicht und dennoch sprach sie in einer Weise von mir, die darlegte, daß sie sich in Gedanken viel mit mir beschäftigte, und nun trat noch die Irrsinnige mit ihrer Weissagung vor mich hin. Kein Wunder also, daß ich, der ich in jugendlichem Uebermuthe nur zu gern romantischen Ideen huldigte, hier mehr, als einen alltäglichen Zufall zu entdecken suchte und mit Entzücken der Möglichkeit, ja noch mehr, der Wahrscheinlichkeit gedachte, das liebe Engelsbild an mei ner Seite dereinst die Meinige nennen zu dürfen.

Blitzschnell folgten alle diese Gedanken auf einander und ebenso schnell bildete sich auch der für meine Jahre gewiß natürliche Wunsch, von der armen überspannten Person noch mehr zu vernehmen, was in Beziehung zu meiner Zukunft gebracht werden könne.

Zu meiner Gefährtin wagte ich kaum aufzublicken; ich hegte die unbestimmte Furcht, von ihr errathen zu werden. Zu dergleichen Besorgnissen war indessen am allerwenigsten ein Grund vorhanden; denn Gedanken, wie sie mich erfüllten, lagen dem kindlich unschuldigen Gemüthe unerreichbar fern, und zeugte auch die scharf begrenzte, tiefe, aber schnell wieder schwindende Nöthe auf ihren zarten Wangen abermals von einer innern Erregung, so war diese doch nur eine Folge der Befremdung über das seltsame Benehmen der Wahnsinnigen.

»Fräulein Brüsselbach, Sie dichten ja ausnehmend schon,« brach ich endlich wieder das Schweigen. »Nehmen der Herr Graf dies nicht so leicht,« erhielt ich zur Antwort; »ich spreche und schreibe nur, was ich empfinde. Ich habe bittere Erfahrungen gemacht; die Liebe ist wie eine glatte Eisfläche, und wenn Sie meine Verse verachten, so will ich Ihnen noch einmal mit klaren Worten wiederholen: das Bild der Tochter Ihres Vaters, mein gnädiges Fräulein, wird sich dem Herzen des Herrn Grafen mit unauslöschlichen Zügen einprägen und viel Kummer und Schmerz, aber auch endlose Seligkeit für Sie Beide daraus hervorgehen.«

[] »Wenn doch der Führer erschiene,« flüsterte meine Begleiterin mir jetzt wieder mit wachsender Besorgniß zu.

»Er muß gleich eintreffen,« erwiderte ich beruhigend, und dann haben wir ja auch die Räumlichkeiten der Ruine noch nicht in Augenschein genommen.

»Die arme Frau, wollen Sie ihr nicht etwas schenken? ich habe kein Geld bei mir,« sagte sie gleich darauf mit bezaubernder Verlegenheit.

Ich zog die Börse und reichte Fräulein Brüsselbach ein Geldstück. »Im Auftrage der jungen Dame,« sagte ich, ihr dasselbe in die Tasche schiebend, denn ich wußte aus Erfahrung, daß sie zuweilen derartige Gaben stolz zurückwies.

Sie dankte nicht, betrachtete meine Gefährtin aber noch einmal freundlich und wohlwollend, und dann ein zerknittertes Sträußchen aus derselben Tasche hervorsuchend, bot sie ihr die welken Blumen dar. »Es sind Vergißmeinnicht, mein edles Fräulein,« sagte sie ausdrucksvoll; »vergessen Sie nicht den Godesberg, und möge die Tochter Ihres Vaters glücklich mit ihm sein.«

Darauf wendete sie sich ohne weitern Gruß ab, und eine melancholische Melodie vor sich hinsummend, schritt Sie durch die Maueröffnung davon.

Meine Begleiterin seufzte tief auf. »Die arme Frau,« begann sie, indem sie die in ihrer Hand befindlichen Blumen sinnend betrachtete, »ich fürchtete mich vor ihr, und doch scheint das bemitleidenswerthe Geschöpf viel Gutmüthigkeit zu besitzen.«

»Sehr viel Gutmüthigkeit,« entgegnete ich, die Richtung nach dem innern Schloßhofe einschlagend; wo ich den bereits eingetroffenen Führer zu seinem Thier sprechen hörte; »ich kenne sie schon seit Jahren und scheint es mir, als ob sie sich in dem langen Zeitraum auch nicht im Geringsten verändert habe.«

»Besitzt sie denn gar keine Heimath?«

»Sie will keine haben; sie ist am glücklichsten, wenn sie frei umherstreifen und ungestört ihren verworrenen Träumen nachhängen kann. Am liebsten denkt sie sich in die Rolle eines Ritterfräuleins oder einer Hofdame hinein und gefällt sich darin, je nach ihrer augenblicklichen Neigung, den Einen oder den Andern als eine hochgestellte Persönlichkeit zu begrüßen.«

»Dann sind auch Sie wohl kein Graf und keine Excellenz?« fragte das liebe Mädchen mit einem Lächeln, welches mir bis zum Heizen drang.

»Weder Graf, noch Excellenz,« antwortete ich heiter, durch die Frage daran erinnert, daß ich vorläufig noch der Freund des Herrn Gustav sei, »Fräulein Brüsselbach hat mich zu solchen Würden erhoben, gerade wie außer mir noch viele Andere, und da sie so eigensinnig bei diesen Bezeichnungen beharrt, würde es vergebliche Mühe sein, sie über ihren Irrthum aufklären zu wollen.«

»Tritt sie auch als Wahrsagerin auf? ihre äußere Erscheinung ist wenigstens die einer solchen.«

»Eigentlich nicht, doch glaubt sie zuweilen in der Zukunft lesen zu können, und ungern giebt sie in solchen Fällen die einmal gefaßte Idee auf.«

Unter solchen Gesprächen waren wir über den alten Burghof und demnächst um die ganze Ruine herumgegangen. Das verwitterte Gestein erregte wohl unsere Aufmerksamkeit und wir sprachen auch in warmen[] Worten unsere Bewunderung über die Lage der Ruine und die festen Mauerwerk aus, welche dem zerstörenden Einfluß der Jahrhunderte auch ohne die schützende Hand des Menschen getrotzt hatten, aber immer wieder kam meine Gefährtin auf die Irrsinnige zurück, worin sie natürlich meinen Gedanken, die sich fast unablässig mit der mir so viel Glück verheißenden Prophezeihung beschäftigten, stets begegnete.

»Ein eigenthümlicher Vers war es, den sie hersagte,« begann sie wieder, als wir uns nach Besichtigung der Burg dem Schloßhofe, wo der Führer unser harrte, wieder zuwendeten, »ob sie ihn selbst gelichtet haben mag?«

»Ohne Zweifel, denn schon früher hatte ich Gelegenheit, Gedichte von ihr zu hören und zu lesen. Dieselben bestehen gewöhnlich aus einer verwirrten Anhäufung von Gedanken, welche alten Ritter, Räuber-und Geistergeschichten entnommen sind. Ueberhaupt scheint eine übel gewählte Lectüre nicht wenig zu ihrer Ueberspanntheit beigetragen zu haben.«

»Ob sie wohl mit Vorbedacht die Prophezeiung in den Vers verwebt hat, um uns gegenüber als Wahrsagerin zu erscheinen?«

»Es sollte mich nicht Wundern, wäre es der letzte Vers, den sie heute gedichtet und hier niedergeschrieben hat,« antwortete ich, den Brief, den ich beinahe vergessen hatte, entfaltend, »nein, ich täusche mich nicht,« fuhr ich fort, als ich, einen Blick auf das Papier werfend, wirklich den Schlußvers wiedererkannte.

»O, lesen Sie,« versetzte meine Gefährtin hastig, und aus ihren schönen Augen sprach ein unvergleichliches Gemisch von kindlicher Neugierde und jungfräulicher Befangenheit.

Obwohl bereits auf dem Vorplatz vor dem großen Thurm und Angesichts des Führers, befanden wir uns doch weit genug von Letzterem entfernt, um nicht verstanden zu werden. Wir setzten uns daher im Schatten eines uralten Holunders, unter welchem eine einfache Bank angebracht worden war, nieder, und nachdem ich die nicht allzudeutliche Schrift vorher mit den Blicken durchflogen, las ich dieselbe laut vor:

»Sie sah den stolzen Ritter,

Im stählernen Gewand,

Er grüßte sie so freundlich

Und reichte ihr die Hand.

Und als er ritt von dannen,

Da Lehnte sie ihn zurück,

Ihr Herz es war gebrochen,

Gebrochen ihr Lebensglück.

Drauf weinte sie heiße Thränen,

Der Thränen weinte sie viel,

Die wurden endlich zum Büchlein,

Das von den Bergen fiel.

Zum Bache kam der Ritter,

Er sah sein Spiegelbild.

Sein Spiegelbild in Thränen,

Mit Lanze, Schwert und Schild.

Schnell zäumt er auf den Renner,

Er reitet Tag und Nacht,

Und als er kam zu dem Hüttlein,

Da rief er: aufgemacht!

Ihr Vater hört das Klopfen,

Und greift zu seinem Speer

Und macht zum Kampf sich fertig,

Sich und die treue Wehr.

Die Tochter Ihres Vaters,

Sie ahnte wer es war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar.«

[] »Welch wilde Phantasien,« sagte meine Gefährtin, als ich geendigt, »aber in der That, die letzten Strophen sind dieselben, mit welchen die Unglückliche uns begrüßte. Nur klingen sie aus Ihrem Munde natürlicher, während ich vorhin wirklich eine Wahrsagerin zu hören glaubte.«

Ich sprach mich in ähnlicher Weise aus, doch vermochte ich nicht, mich gänzlich von dem mir bereits liebgewordenen Gedanken, daß das Geschick mir durch die Irrsinnige seinen Beschluß habe kundthun wollen, loszusagen. Mit ganz anderen Augen und Gefühlen betrachtete ich daher jetzt die Nichte meines Vormundes, und nichts kommt der Sorgfalt gleich, mit welcher ich ihr wieder in den Sattel half und das Thier auf den besten Pfaden den Berg hinunterführte, dem Treiber es anheimstellend, nach Willkür seinen eigenen Weg zu wählen.

Meine Aufmerksamkeiten nahm sie als etwas Selbstverständliches hin. Es schien ihr sogar lieb zu sein, dadurch Gelegenheit zu finden, ihren Gedanken mehr nachhängen zu können; denn wenn die seltsame Weissagung meinen Geist noch immer ernsthaft beschäftigte und mich fast bereuen ließ, das nichts ahnende und zugleich vertrauensvolle herzige Wesen über meine Person getäuscht zu haben, so befand sie sich wieder unter dem Druck der durch meine Erzählungen muthwillig heraufbeschworenen phantastischen Bilder, welche zu verscheuchen sie sich vergeblich bemühte.

So verfolgten wir unfern Weg in das Thal hinab; die Blicke schweiften mechanisch in die Ferne, und nur gelegentlich, wie um den Schein eines drückenden Schweigens abzuwälzen, fielen kurze Bemerkungen über die schöne Naturumgebung und die größeren und kleineren heiteren Gesellschaften, welche uns nunmehr bald beritten, bald zu Fuße begegneten. Unsere Stimmung war seit einer Stunde vollständig umgewandelt worden; der Sonnenschein dagegen war, wenn die Schatten sich auch etwas verlängert hatten, derselbe geblieben; ebenso sangen und jubelten die Lerchen in ihrer alten Weise, und dazu erklang aus dem Dickicht hin und wieder der glockenreine Schlag einer Nachtigall.

Erst als wir in das Thal hinabgelangten, schien der Bann, der auf meiner anmuthigen Gefährtin lastete, wieder von ihr zu weichen und ihre erregte Phantasie sich zu beruhigen, während die Aussicht, nun bald meinem Vormunde gegenüber zu treten, meine buntschillernden Luftschlösser weit in den Hintergrund drängte und mich fast nur des allseitigen Erstaunens bei dem unerwarteten Zusammentreffen gedenken ließ.

Auf meiner Gefährtin Züge lehrte das sinnige Lächeln zurück; ich dagegen wählte den tollen Gustav Wandel sammt seinem ehrwürdigen Vormunde auf's Neue zum Gegenstand scherzhafter Bemerkungen, um dafür die süßesten Vorwürfe, mit welchen je ein Mensch überhäuft wurde, einzuernten. Und so vertieften wir uns denn allmälig wieder so sehr in eine heitere Unterhaltung, daß es uns förmlich überraschte, die Mineralquelle plötzlich vor uns zu sehen.

Viertes Capitel.
Der Oberstlieutenant.

Die Nähe des Mineralbrunnens erinnerte uns wieder an die Gegenwart und daß wir unser vorläufiges Ziel erreicht hatten.

[] Schweigend spähte meine Gefährtin nach der schattigen Umgebung der Quelle hinüber. Sie suchte ihren Onkel, den ich schon längst auf einer Bank ganz im Hintergrunde mit seiner trauten Lisette – wie seine Gattin hieß – zur Seite, entdeckt hatte.

»Sie versprachen mir doch, um diese Zeit hier sein zu wollen,« tönte es leise und mit dem Ausdruck der Enttäuschung von den jugendfrischen rothen Lippen.

»Sollten es nicht die Herrschaften dort drüben in dem Winkel sein?« fragte ich, indem ich, um nicht sogleich bemerkt zu werden, etwas zurücktrat; »ich erkenne wenigstens einen mächtigen weißen Schnurrbart –«

»Ja, ja, das sind sie –« unterbrach das junge Mädchen mich lebhaft, aber flüsternd, »ich will hier absteigen und mich ihnen heimlich nähern; bis jetzt haben sie mich noch nicht gesehen.«

In ihrem Eifer, die guten Alten zu überraschen, duldete sie es unbefangen, daß ich sie wie ein Kind aus dem Sattel hob; sie nahm sogar meinen Arm an, als ich ihr versprach, sie auf einem Umwege unbemerkt bis dicht vor ihren Onkel hinzuführen, und nachdem sie den Besitzer des Thieres angewiesen, auf weitere Befehle zu harren, traten wir unfern Weg an.

Wenn ich von einem Umwege gesprochen hatte, so war ich in meiner Versicherung zu weit gegangen. Einen Umweg kannte ich nicht, es war mir eben nur darum zu thun, überhaupt mit seiner Nichte am Arm von meinem Vormunde gesehen zu werden. Zwar hielt ich so viel wie möglich die äußerste Grenze des freien Platzes, doch schritt ich so wenig vorsichtig einher, daß meine liebliche Begleiterin sich nicht enthalten konnte, im Eifer mich mehrfach zurückzuziehen und mir warnend: »leise, leise!« zuzuflüstern.

So gelangten wir denn auch bis auf etwa fünfundzwanzig Schritte unentdeckt an die beiden alten Leute heran, jedoch weniger in Folge unserer behutsamen Bewegungen, als weil jene nicht auf die sich ihnen nähernden Personen achteten.

Die Tante hatte nämlich ihre Blicke auf den in ihren Händen befindlichen Strickstrumpf gerichtet und lauschte, anscheinend sehr aufmerksam, den Worten ihres Gatten, während dieser mit seinem Krückstock ein Kanonenrohr und darüber einen Kavalleriesäbel vor sich in den Sand zeichnete, dabei abwechselnd sprach und einige Züge aus seiner schweren, silberbeschlagenen Meerschaumpfeife that.

Der laute Schall meiner Schritte veranlaßte ihn endlich aufzuschauen, und zugleich schlug auch seine Gattin die Augen empor.

Eine Sekunde lang starrte er uns erstaunt an. Wahrscheinlich glaubte er seinem einzigen Auge nicht trauen zu dürfen, als er seine Nichte an meinem Arme sah, denn er hob mit einer hastigen Bewegung die dunkelgrüne Klappe, welche über sein blindes Auge niederhing, empor, dann über dieselbe wieder sinken lassend und seinen Stock heftig auf die Erde stoßend, brach er in ein lautes, herzliches Lachen aus.

»Johann!« rief er aus – in welche Form er den Namen seiner Nichte Johanna abgekürzt hatte – »Johann! Blitzmädel! Bei allen Graben und Bomben, die jemals ein preußisches Geschützrohr verließen, wo in aller Welt hast Du den da aufgegabelt?«

[] »Lieber Onkel,« stotterte Johanna, ihre Hand von meinem Arm zurückziehend und vor Verlegenheit tief erröthend, »der fremde Herr war so gütig – er ist ein Freund Deines vortrefflichen Gustav – und er wünschte – ich glaubte – «

Was sie weiter sagen wollte, erstarb in einem erschütternden Gelächter ihres Onkels, der sogleich irgend einen meiner hinterlistigen Streiche vermuthete und durch seine ausgelassene Heiterkeit sogar seine ehrsame Gattin so weit fortriß, daß dieser der Strickstrumpf entfiel und sie, die Hände zusammenschlagend, mit in das Lachen einstimmte.

»Blitzmädel! – Junge! – Donnerwetter! – Sieht Dir ganz ähnlich!« waren die nächsten Worte, welche zwischen dem Ausbruch der Fröhlichkeit des alten Herrn hervorklangen, während Johanna vor Verwirrung glaubte, in die Erde sinken zu müssen und es ängstlich vermied, mir in die Augen zu schauen, wo sie sogleich eine Lösung des Räthsels gefunden hätte.

»Also der saubere Musje, den Du mir da bringst, ist ein Freund meines vortrefflichen Gustav?« fragte der Oberstlieutenant endlich, als wir vor ihm stehen blieben; »hast Du's gehört, Lisette?« wendete er sich sodann an seine Gattin, »der beste Freund meines vortrefflichen Gustav, der lieber zehnmal commerschirt, als daß er sich einmal nach seinem Taugenichts von Vormund umsieht! Lisette! Frau! Ist Dir je so etwas vorgekommen? Ein Freund meines vortrefflichen Gustav! hahaha!«

»Vergeben Sie mir meine kleine Unredlichkeit,« wendete ich mich jetzt an Johanna, um die peinliche Lage, in welcher sie sich befand, zum Abschluß zu bringen, »ich konnte nicht widerstehen, es lag ein so außerordentlicher Reiz – «

»Das war grausam, ungroßmüthig von Ihnen, Herr Wandel,« unterbrach mich Johanna stotternd, während ihre Wangen sich wieder mit der kreisförmigen brennenden Röthe bedeckten. Im nächsten Augenblick aber saß sie neben ihrer Tante, ihr holdes Gesichtchen verschämt auf deren Schulter verbergend.

»Ist es denn wahr, hat sie Dich nicht erkannt?« fragte der Oberstlieutenant, als ich, die Pause benutzend, zuerst ihm und demnächst seiner Frau grüßend die Hand reichte.

»Bitte, lieber Herr Oberstlieutenant,« sagte ich in stehendem Tone, mit einem verstohlenen Wink auf Johanna, »lassen Sie es jetzt ruhen, es war ein leichtsinniger Streich von mir, der Strafe verdient.«

»Ach was, leichtsinniger Streich;« fiel mir der alte Herr wieder lachend in die Rede, indem er mich neben sich auf die Bank zog, »der beste Streich, den Du hättest ausführen können; aber ich muß Alles wissen, wo, wann und wie Ihr Euch getroffen habt und wie es Dir gelungen ist, sie zu erkennen, ohne Dich selbst zu verrathen – aber Johann! hierher! Kopf in die Höh'! Brust heraus, zum Donnerwetter! Augen rechts!« commandirte er zu Johanna gewendet, die, gehorsam den an sie ergehenden Befehlen, aufgestanden und vor ihn hingetreten war, und nur dem Commando: Augen rechts! nicht Folge gab, weil sie mich dann hätte ansehen müssen.

»Augen rechts!« donnerte abermals der Oberstlieutenant.

[] Johanna sah mich an, senkte aber eben so schnell ihre Blicke wieder, und ich hätte ihr zu Füßen fallen und sie um Verzeihung bitten mögen, als ich gewahrte, daß zwei große Thränen ihr über die Wangen rollten.

»Hast Du ihn Dir angesehen, Schätzchen?« fragte der Oberstlieutenant mit unverkennbarer Zärtlichkeit im Ton seiner Stimme, »hast Du ihn aber auch ordentlich angesehen, den besten Freund meines vortrefflichen Gustav?«

Johanna nickte mit einem verzeihenden Lächeln.

»Gut, mein Schätzchen, dann ärgere Dich nicht Weiler, es war ja kein Fremder, sondern unser Gustav, der Dir den Streich gespielt hat, und nun begrüße ihn, wie es sich gehört.«

»Herr Wandel,« sagte das liebe Mädchen, mir die kleine Hand reichend, »seien Sie uns herzlich willkommen.«

Ich war aufgesprungen und hielt ihre Hand in der meinigen, eh' ich aber ein Wort zu meiner Entschuldigung hervorbrachte, erschallte schon wieder des Oberstlieutenants derbe Stimme.

»Johanna, Mädel, Tausendsapperment, was soll das heißen? Herr Wandel und Sie? Gleich gieb ihm einen Kuß, aber nur einen, denn mehr verdient er nicht für seine Saumseligkeit, und dann sage: Guten Tag, lieber Gustav.«

»Vor allen Leuten?« fragte Johanna, mit einer bezaubernden Verwirrung um sich schauend.

»Vor der ganzen Welt, Schatzchen, er ist in meinem Hause so gut wie ausgewachsen, was so viel sagen will, er ist mein halbes Kind; Du bist meine Nichte, was eben so viel heißt, wie mein halbes Kind, und so will ich denn, daß Ihr Euch einander nicht fremd gegenübersteht; nicht wahr Lisette?«

Die Frau Oberstlieutenant gab lächelnd ein zustimmendes Zeichen und »Guten Tag, lieber Gustav!« sagte Johanna mit holder Befangenheit, worauf sie sich mir zuneigte und mir gestattete, ihre jungfräulichen Lippen im Kuß zu berühren.

»Und nun setzt Euch Kinder,« fuhr der Oberstlieutenant in seiner gütigen, heiteren Weise fort, »setzt Euch und erzählt mir vor allen Dingen, wo Ihr Euch gefunden habt; paß auf, Lisette, der Junge hat dem armen Mädchen gewiß gut mitgespielt, hahaha! Ich hätte Euch belauschen mögen!«

»Mitgespielt hat Herr Wandel's bester Freund mir arg genug,« versetzte Johanna mit einem lieben Schmollen; »es ist nur schade, daß ich so kurzsichtig gewesen bin; hätte ich geahnt, wer es war, der sich herausnahm, Alles zu bekritteln, was ich sagte, so würde ich den abwesenden Gustav gewiß nicht so in Schutz genommen haben und in meinem Urtheil über ihn bei weitem nicht so nachsichtig gewesen sein.«

»Schade, schade, mein Schätzchen, daß Du's nicht gewußt hast,« bemerkte der alte Herr behaglich schmunzelnd, »hättest ihn sonst einen Vagabunden, einen Schlingel, einen Taugenichts, einen – einen –«

»Brandfuchs,« ergänzte die Frau Oberförsterin schalkhaft.

»Richtig, Lisette, Brandfuchs ist ja die Bezeichnung, die ihm als ehrenrührig gilt, ja, Brandfuchs hättest Du ihn nennen müssen, um Dich demnächst an seinem langgezogenen Gesicht zu ergötzen – «

»Anstatt daß Herr Wandel – «

[] »Gustav, Schätzchen, Gustav, Potztausendsapperment!« ermahnte der Oberstlieutenant.

»Anstatt daß Gustav sich über mich belustigt hat,« verbesserte Johanna sich, ihrem Onkel einen freundlichen Blick zusendend.

»Liebe Johanna, nicht belustigt habe ich mich über Dich,« rief ich dazwischen, und aufspringend und um meinen Onkel herumtretend reichte ich dem herzigen Mädchen die Hand, »aber versetze Dich in meine Lage und frage Dich, ob nicht ein unwiderstehlicher Reiz für mich darin liegen mußte, unerkannt über mich selbst sprechen zu können – «

»Und eine solche Menge unverdienter Schmeicheleien zu vernehmen,« fügte Johanna, ihre milden Augen zutraulich zu mir emporschlagend, hinzu.

»Nun ja, unverdient genug mögen sie gewesen sein, aber sie klangen doch so schön aus Deinem Munde, und der Eifer, mit welchem Du den leichtsinnigen Patron gegen meine Angriffe vertheidigtest –«

»Ja, aber warum habe ich ihn vertheidigt?« unterbrach mich Johanna, ihre plötzlich wieder erwachende Verlegenheit hinter ein fröhliches Lachen verbergend, »doch wohl nur, weil es meinem Rechtlichkeitssinn widerstrebte, den vermeintlich abwesenden, Herrn Gustav von seinem falschen Freunde so geschmäht zu hören. Uebrigens,« fuhr sie mit wachsender Verwirrung fort, »wissen Sie – mußt Du nicht vergessen, daß ich Dich nicht kannte, mein nachsichtiges Urtheil also nicht in Betracht kommt, zumal sich dasselbe ursprünglich auf meines lieben, theuern Onkels scherzhafte und partheiische Aussagen stützte.«

»Hast recht, Schätzchen,« versetzte der alte Herr, entzückt über die Art, in welcher Johanna sich auszureden suchte, »laß kein gutes Haar an dem Schlingel. Jetzt, da Du ihn kennst, wirst Du Dein eigenes Urtheil fällen können, sage ihm daher, daß er Dir Entsetzen einflößt mit seiner langen, reglementswidrigen Mähne und seinem gestickten Kapsel!«

»Entsetzen, will ich gerade nicht behaupten, aber meine Verwunderung muß ich darüber aussprechen, daß er es für einen Kavallerie-Offizier angemessen hält, sich von einem langohrigen Esel die Berge hinaufschleppen zu lassen,« entgegnete Johanna, nun ihrerseits zum Angriff übergehend.

»Was, Junge? So etwas hast Du Dir zu Schulden kommen lassen?« fragte der Oberstlieutenant mit erheucheltem Grimm, »Lisette, Sapperment! Der Junge muß Rekrut werden, für ein derartiges Majestätsverbrechen, und drei Jahre dienen! Sein Vater Kavallerie-Offizier, sein alter Vormund ein dito, und er? hahaha! ein Federfuchser, der kaum ein Pferd von einem Esel zu unterscheiden versteht!«

»Ja, ich bin schuldig,« gab ich zur Antwort, »ich habe es indessen so ernstlich nicht gemeint, und bitte allerseits um allergnädigste Absolution« –

»Parlire deutsch, Junge!« unterbrach mich mein Vormund, aus Furcht, daß seine Lisette in dem Wort Absolution eine Anspielung auf ihre Religion finden könne.

»Also, ich bitte allerseits demüthig um Vergebung, und verspreche namentlich meiner lieben Freundin auf mein heiliges Ehrenwort, in meinem ganzen Leben nie wieder unter einer falschen Maske vor sie hintreten zu wollen.«

[] »Wie großmüthig,« entgegnete Johanna, dann aber stockte sie erschreckt, und ich gewahrte wieder die eigenthümlichen tiefrothen Maale auf ihren Wangen.

Ich folgte mit den Augen der Richtung ihrer Blicke und entdeckte leicht die Ursache ihrer innern Erregtheit, denn auf der Landstraße, auf der andern Seite der Rotunde schritt eben Bernhard vorüber. Die Hände hatte er auf dem Rücken zusammengeschlagen, das Haupt sinnend auf die Brust geneigt. So bewegte er sich langsam dahin, als ob er in tiefe Gedanken versunken gewesen wäre, am allerwenigsten aber uns bemerkt hätte. Daß er uns aber längst gesehen, unterlag keinem Zweifel, ebenso, daß seine Haltung eine durchaus berechnete und erkünstelte war.

Ich darf nicht leugnen, Bernhard's Einfluß auf Johanna's Gemüthsstimmung, der sich so deutlich in ihrem ganzen Wesen bekundete, schnitt mir tief in die Seele. Eifersucht war es eigentlich nicht, was ich empfand, aber meinen Haß gegen ihn fühlte ich wachsen, und eine wilde Freude gewährte mir in jenem Augenblick die Hoffnung, voraussichtlich in nächster Zeit ihm im Duell, womöglich auf Tod und Leben zu begegnen. Es waren dies eben die Gefühle eines jungen, selbstbewußten Studenten, der sich in der Seele des kaum gefundenen Gegenstandes seiner romantischen, schnell aufflammenden Liebe aufs Tiefste beleidigt fühlte.

Blitzschnell folgten diese Gedanken auf einander, so schnell in der That, daß weder der Oberstlieutenant, noch seine Gattin etwas von dem in mir vorgehenden Kampfe gewahr wurden. Das flüchtige Erröthen Johanna's entging ihnen indessen nicht, und der alte Herr, dasselbe für einen Beweis ihrer Verlegenheit haltend, suchte ihrer peinlichen Lage dadurch ein Ende zu machen, daß er eine mächtige Dampfwolle von sich hauchte, mit seinem Krückstock heftig auf die Erde stieß und uns aufforderte, Frieden zu schließen.

»Zanken sich die Kinder herum, als wenn Gott weiß, was für Verbrechen begangen worden wären,« rief er heiter aus, indem er Johanna's glänzende Locken spielend durch seine Hand gleiten ließ, welchem Beispiel ich für mein Leben gern gefolgt wäre, »Sapperment! und doch handelt es sich nur darum, zu bemänteln, daß sie Eins an dem Andern Gefallen finden, nicht wahr Lisette?«

»Alterchen, wie kannst Du hier von Zank sprechen,« entgegnete die würdige Dame, ihren geschäftig spielenden Stricknadeln geheimnißvoll zulächelnd; »ich finde es sehr natürlich, daß Johanna dem muthwilligen Jungen zürnt.«

»Ich zürne ihm ja nicht,« bemerkte Johanna, mich freundlich anschauend.

»Und noch weniger bemäntele ich, daß ich ganz unbeschreiblich großes Gefallen an meiner neuen Freundin finde,« fügte ich zu meinem Vormunde gewendet, hinzu.

»Ruhig im Gliede,« fiel dieser mit seiner Commandostimme jetzt ein, »Johann! gerade gesessen, Brust heraus, Sapperment noch einmal, Schätzchen, denke an Deine Lungen! Und Du, Junge, keine Neckereien mehr, und die ganze Geschichte von Anfang an erzählt; aber Alles, und nichts ausgelassen! Lisette, paß auf; nachher wird die Luft sich etwas [] abgekühlt haben und dann wandern wir gemeinschaftlich nach dem Hotel zurück, um bei einer Flasche Mosel das Weitere zu verabreden.«

Ich kannte meinen Vormund zu genau, als daß ich hätte wagen mögen, seinem Befehl Widerspruch entgegenzustellen; denn wenn er auf der einen Seite, Alles zu umgehen wünschte, was seiner schüchternen Nichte im Geringsten unangenehm sein konnte, so bestand er auf der anderen Seite wieder eigensinnig darauf, gerade das, was Johanna's Verlegenheit auf's Neue hervorrufen mußte, bis in die kleinsten Nebenumstände geschildert zu hören.

Ich begann also damit, daß ich Johanna am Brunnen getroffen und von ihr die Erlaubniß erhalten habe, sie auf ihrem Ausfluge zu begleiten, doch erwähnte ich Bernhard's mit keiner Silbe. Indem ich vorsichtig vermied, sie an den Gegenstand ihrer heimlichen Scheu zu erinnern, glaubte ich ihren Wünschen entgegenzukommen. Ich täuschte mich nicht, denn ihre Züge nahmen sehr bald einen freieren Ausdruck an, der dadurch noch bis zu den der größten Heiterkeit gesteigert wurde, daß ich an Stellen, wo ich ihre Fragen betreffs meiner Person hätte wiederholen müssen, sie bat, mich in meiner Erzählung zu unterstützen. Sie that dies in einer offenen, liebenswürdigen Weise, und ihre Dankbarkeit für meine rücksichtsvolle Theilnahme hätte sie nicht sprechender an den Tag legen können, als daß sie, zum Ergötzen der beiden alten Leute, mit neckischer Schonungslosigkeit gegen sich selbst verfuhr.

So gelangten wir denn, gemeinschaftlich erzählend, bis zu dem Zusammentreffen mit Fräulein Brüsselbach. Aber auch hier begegneten sich unsere Gedanken wieder, indem keiner von uns der seltsamen Weissagung erwähnte, obwohl der phantastische Glaube an eine Offenbarung meiner Zukunft immer tiefer Wurzel in mir faßte, sich befestigte und schnell in die festeste Ueberzeugung verwandelte.

Indem wir aber erzählten, uns gegenseitig aushalfen und bei dieser oder jener Scene bald mit scherzhaften, bald mit ernsteren Ausschmückungen länger verweilten, und der Tante sinnige Bemerkungen und des Onkels derbe Commandoworte und herzliches Lachen uns vielfach unterbrachen, bildete sich bald ein so freundschaftliches Verhältniß zwischen Johanna und mir, daß, wären wir in demselben Hause aufgewachsen, wir uns nicht vertraulicher gegen einander hätten benehmen können. Immer seltener trat das fremde Sie an Stelle des geschwisterlichen Du, und als wir unsere Erzählung schon längst beendigt hatten, glaubten wir noch immer einzelne, besonders erwähnenswerthe Nebenumstände vergessen zu haben, die dann natürlich noch einmal bedächtig hervorgehoben und geschildert wurden.

O, es war eine glückliche, eine mir bis an mein Lebensende unvergeßlich bleibende Stunde, eine Stunde, wie sie den Sterblichen nur selten geboten wird, die aber dem Geist, selbst in den trübsten Zeiten, gleichsam eine Ruhestätte bietet, auf welcher er sich einer wohlthätigen Rast zu erfreuen, sich gewissermaßen zu erfrischen vermag. Und als dann der Oberstlieutenant endlich zur Heimkehr mahnte, und wir, nur noch spärlich von den schrägen Strahlen der Sonne getroffen, in der alten Allee nach dem [] andern Ende des Dorfes hinunterwandelten, wie da beim Hinblick auf das liebe Mädchen an meiner Seite freudige Hoffnung meine Brust erfüllte! Der Gesang der Nachtigallen erschien mir so süß, wie noch nie in meinem Leben, in ihren Melodien, in dem Gejubel der Lerchen, ja in dem Lispeln der vor einem leisen Lufthauch zitternden Blätter glaubte ich einen freundlichen Gruß zu erkennen, auf den lachenden Gesichtern der uns begegnenden Landbewohner ein wohlgemeintes »Glückauf« zu lesen. –

Wir erreichten das Gasthaus schneller, als ich es wünschte, und doch waren wir so langsam einher, geschritten. Gemeinschaftlich nahmen wir ein einfaches ländliches Mahl ein, bei welchem es nicht an dem versprochenen Wein fehlte, aber auch dieses verstrich, wie auf den Flügeln des Windes, und vergeblich bat ich den Oberstlieutenant, noch ein Stündchen zuzugeben und nicht so frühzeitig den genußreichen Abend abzubrechen.

Der alte Herr blieb unerbittlich.

»Laß Dich nur bald auf der Oberförsterei sehen!« rief er mir noch zu, die beiden Damen winkten mit ihren Taschentüchern, und dahin rollte der Wagen auf der staubigen Straße dem Siebengebirge zu.

Sinnend schaute ich ihm nach, so lange ich ihn zu unterscheiden vermochte.

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte wer er war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar,«

wiederholte ich in Gedanken.

Da weckte mich ein kräftiger Schlag auf die Schulter aus meinen Träumen.

»Nun, altes Haus? willst Du uns Deine Gesellschaft ganz und gar entziehen?!« schallte es mir von einem Commilitonen entgegen.

Fast mechanisch schritt ich mit diesem nach einer Reihe von Tischen hin, um welche sich eine große[] Gesellschaft Bonner Musensöhne zum heiteren Gelage vereinigt hatte.

»Wohlauf noch getrunken, den funkelnden Wein,

Ade nun, Ihr Lieben, geschieden muß's sein,«

ertönte es im harmonischen Chor.

Bald darauf saß ich in der Reihe der frohen Zecher, ich stimmte mit in das Lied ein, ich hielt die Melodie, ich sprach die Worte; mein Herz aber folgte dem Wagen meines Vormundes nach dem Siebengebirge, und in meinen Gedanken vibrirte es fort und fort:

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar.« –

Spät erst brachen wir auf; der Mond leuchtete uns freundlich auf unserm Wege durch die liebliche Landschaft; Reiter und Wagen mit Godesberger Gästen überholten uns in großer Anzahl, die muntern Signale eines Posthorns tönten lustig durch die schöne Sommernacht, und ebenso lustig drangen von den benachbarten Dörfern die nationalen Lieder der lustwandelnden Bauerburschen und Dirnen zu uns herüber.

Das feste Bewußtsein, diejenige gefunden zu haben, deren Geschick unauflöslich mit dem meinigen verbunden, die heitere Gesellschaft, die mich umgab, vielleicht auch das Feuer des unverfälschten Rebensaftes, begannen allmälig ihre Wirkung auf mich auszuüben. Zuerst leise und nur pausenweise stimmte ich mit in die fröhlichen Lieder meiner Gefährten ein; heitere Weisen wechselten mit ernsten und wehmüthigen ab, und je näher unserm lieben Bonn, in um so rosenfarbigerem Lichte erschien mir die Zukunft.

Als wir dann endlich, unsere Ziegenhainer schwingend, durch das gewölbte Coblenzer Thor gingen, da erschallte es aus voller Brust durch die nächtlich beleuchteten und vereinsamten Straßen:

»Frei ist der Bursch, –Frei ist der Bursch!«

[] []Fünftes Capitel.
Die geheime Verbindung.

»Mein lieber Gustav, es liegt außer allem Zweifel, Du bist verliebt, ernstlich verliebt, und es wäre wohl Zeit, daß Du Dich befleißigtest, etwas verständiger zu werden.«

Mit diesem Selbstgespräch begrüßte ich am Morgen nach jenem unvergeßlichen Pfingstmontage die Sonne, die gar holdselig, als ob sie sich über meine Trägheit habe belustigen wollen, durch das Fensterchen meines kleinen Schlafgemaches zu mir hereinlugte.

»Ich werde also anfangen länger zu leben,« fuhr ich fort zu philosophiren, »mit andern Worten, mich früher den Armen des trauten Schlummergottes zu entwinden und heute schon – aber nein – denn abgesehen davon, daß es bereits zu spät ist, um noch früh aufzustehen, gehören auch mancherlei Vorbereitungen dazu, einen so kühnen Entschluß wirklich auszuführen.«

»Weil aber gerade heute die Sonne mir so holdselig zulächelt und so schöne Lichtstreifen um mich herum wirft, daß die gebenedeite und unbefleckte Jungfrau Maria in höchsteigener Person sich eines solchen Strahlenkranzes nicht zu schämen brauchte, so will ich den heutigen Morgen, dieweil die Morgenstunde, statt leerer Phrasen, eitel Gold und Schätze im Munde führen soll – was manche hochgelahrte, hochgestellte und einflußreiche Persönlichkeit gerade nicht von sich behaupten könnte – vorzugsweise dazu verwenden, einen festen Plan für die Zukunft zu entwerfen.«

»Ich studire Jura, ohne Frage ein sehr langweiliges Studium – wie merkwürdig, ich glaube kaum, daß ich, seit ich mein Lager mit meinem höchst achtungswerthen und hoffnungsvollen. Ich belastete, mich auch nur ein einziges Mal gerührt habe, und dennoch spielen in den glänzenden Lichtstreifen hunderttausende von Sonnenstäubchen so lustig und harmlos umher, als ob man wer weiß wie viele alte [] Perrücken und Uniformen, während ich das holde Reich der Träume mit den Siebenmeilenstiefeln einer geistreichen Phantasie durchwanderte, in diesen heiligen Hallen ausgeklopft und von dem Staube vergangener Jahrhunderte gereinigt hätte. Wenn nun jedes Sonnenstäubchen sich als ein doppelter Friedrichsd'or gnädiglichst in meine Kisten und Kasten niederlassen wollte, dann studirte ich – nun – ich studirte wohl gar nicht. Da indessen statt der allmächtigen Goldstücke eben nur Staubatome, so klein, daß sie meines Athems Raub werden, den scheinbar leeren Raum meines Gemachs anfüllen, so bleibt mir weiter nichts übrig, als mit verdoppeltem Fleiß – wie glücklich die großen blauen Fliegen sich fühlen müssen, wenn sie summend die Lichtstrahlen umkreisen, und wie es blitzt, wenn sie dieselben in raschem Fluge durchschneiden – aber ernstlich, mein lieber Gustav, Du mußt an die Zukunft denken und nicht, wie die dummen Fliegen, leichtsinnig in den Tag hineinleben. Die Jurisprudenz ist ein ganz schönes Studium, und wenn mich das Glück begünstigt, kann ich bereits nach fünfzehn bis achtzehn Jahren mich zu einer Stellung emporgeschwungen haben, die, zu einträglich, um dabei zu verhungern, bei weitem nicht genug abwirft, um eine Familie standesgemäß ernähren zu können. Achtzehn Jahre! ein Sonnenstäubchen in der Ewigkeit, aber achtzehn Jahre auf die Verwirklichung süßer Hoffnungen harren zu müssen, ist kein Spaß. Und Johanna –«

Sonst, wenn ich den Namen eines weiblichen Wesens, welches einen flüchtigen Eindruck auf mich gemacht hatte, in Gedanken wiederholte, folgte ganz gewiß die Aufzählung der am meisten in die Augen fallenden äußern Vorzüge. Indem ich aber Johanna's gedachte, wurde ich plötzlich ernst. Im Geiste sah ich sie mit all' ihrem Liebreiz umflossen vor mir stehen; ich fühlte, daß, um sie zu gewinnen, gute Vorsätze nicht hinreichend seien; und sie zu gewinnen war ja die Aufgabe meines Lebens, wenn ich nicht, abgesehen von meiner wachsenden Leidenschaft, dem [] Geschick, welches durch den Mund der Wahnsinnigen zu mir gesprochen, blindlings trotzen und seinen Zorn herausfordern wollte.

Ja, eine schöne, eine verlockende Aufgabe lag vor mir, und aufjauchzen hätte ich mögen vor Entzücken, so oft ich mir Johanna mit ihrem sinnigen, zu holder Schwärmerei hinneigenden Wesen vergegenwärtigte, Johanna, die einen so entscheidenden Einfluß auf mein ganzes Leben auszuüben bestimmt war, Johanna mit den dunklen Locken und den seelenvollen blauen Augen, Johanna, die ich einst meine eigene, meine einzige Johanna nennen sollte.

Wenn nun die erregte Phantasie des zwanzigjährigen Burschen in dem unbegrenzten Reiche romantischer Jugendträume, gleichsam trunken von Siegesbewußtsein, umherflatterte und in kühner Vermessenheit die Zukunft ganz nach dem eigenen Geschmack glaubte lenken und modeln zu können, so sprach auf der andern Seite wieder für den Ernst und die Nachhaltigkeit meiner so plötzlich erwachten Neigung, daß ich mich in Betrachtungen über den gewählten Lebensberuf versenkte und die Zeit zu berechnen suchte, welche mich noch von meinem Ziele trennte.

Wie erschienen mir da die Jahre so lang, so endlos, das Studium der Rechtswissenschaft so undankbar! Johanna konnte freilich kaum mehr als fünfzehn Sommer zählen, aber anderthalb Jahrzehnte hinzugerechnet, und der schillernde Frühling unseres Lebens war dahin, dahin, unwiederbringlich für uns verloren.

Sinnend schaute ich auf den Sonnenstaub, der so lustig in den schmalen Lichtstreifen durcheinander wirbelte. Nach Hunderttausenden zählten die feinen Atome, und dennoch fanden sie alle Platz und jedes wanderte friedlich seiner Wege, ohne daß es durch einen Kameraden gehindert worden wäre oder seinen Nächsten gehindert hätte, während in der menschlichen Gesellschaft die verschiedenen Fächer gar nicht so sehr überfüllt zu sein brauchten, um die Saat des Neides, des Hasses und des Haders üppig aufgehen und gedeihen zu lassen. Ich blickte auf den Sonnenstaub, ich beobachtete die sorglos umherschwärmenden Goldfliegen, wie sie, unbekümmert darum, ob ihr Dasein nach Stunden oder nach Jahren zähle, hier den warmen Sonnenschein aufsuchten, dort wieder mit außerordentlich selbstbewußter Haltung auf dem äußersten Rande meiner blechernen Zuckerdose spazieren gingen, sich behaglich die Füßchen rieben, ihre Gazeflügel sorgfältig putzten und gelegentlich durch die schmalen Ritzen einen Blick auf den wohlverwahrten süßen Inhalt zu erhaschen strebten.

»Und dennoch fühle ich die Kraft in mir, Welten zu erstürmen,« dachte ich weiter, »und ich werde Welten erstürmen, wenn ich meinem Ziele dadurch auch nur um einige Jahre näher gerückt werde. Aber wie?« fuhr ich fort, indem ich heftig in den nächsten Lichtstreifen hineinhauchte, daß der Sonnenstaub wie toll durcheinander wirbelte und sogar die Fliegen erschreckt von dem Zuckerkasten flohen; »ja, das Wie, das ist der Felsen, an welchem meine Willenskraft scheitert, oder es müßte denn eine Umwälzung in allen socialen Verhältnissen stattfinden, so daß weniger nach Connexion und der Dauer der Dienstzeit gefragt würde, sondern nach Dem, was der [] Mensch wirklich zu leisten vermag. Und ob ich etwas zu leisten vermag? Bah, zeigt mir ein entsprechendes Feld und, um die Verwirklichung des Ideals meiner Träume herbeizuführen, werde ich Unglaubliches leisten. Ja, ein entsprechendes Feld,« rief ich begeistert aus, »und die Weissagung erfüllt sich schneller, als Fräulein Brüsselbach selbst gedacht hat.«

Ein höfliches Klopfen an der Thür meiner Wohnstube störte mich in meinen Betrachtungen.

Ich sah nach der Uhr.

»Sollte es schon der Stiefelfuchs sein?« fragte ich in Gedanken.

Es klopfte zum zweiten Male.

»Oder ein Manichäer oder ein Kartelträger?«

Es klopfte zum dritten Male.

»Herein!« rief ich laut.

Die Thür öffnete sich leise. Ich vernahm, daß Je mand eintrat und die Thür hinter sich zudrückte, doch lag ich so, daß ich nur einen kleinen Theil der Nebenstube zu überblicken vermochte.

»Kann ich die Ehre haben, Herrn Wandel auf ein halbes Stündchen zu sprechen?« ertönte eine Stimme, welche mir sehr bekannt erschien, die ich aber im ersten Augenblick mit keiner Persönlichkeit in Verbindung zu bringen vermochte.

»In zwei Minuten!« antwortete ich, hastig emporspringend, und wenn auch nicht gerade in zwei Minuten, so waren deren doch keine fünf verstrichen, als ich die Schwelle meiner Schlafkammer überschritt.

Befremdet, fast erschreckt blieb ich in der Thür stehen, als ich Bernhard erblickte, der sich am Fenster auf einen Stuhl niedergelassen hatte, sich indessen bei meinem Eintritt sogleich freundlich grüßend erhob.

»Wenn ich auch einer kurzen und bündigen Nachricht von Ihnen entgegensah, so erwartete ich doch am allerwenigsten, von Ihnen selbst aufgesucht zu werden,« sagte ich mit aller mir zu Gebot stehenden Kälte, ohne seinen Gruß zu erwidern.

»Ich glaube es wohl, Herr Wandel,« lautete die mit dem Anstande eines fein gebildeten Mannes ertheilte Antwort; »Sie erwarteten von mir eine Herausforderung, und statt dieser erscheine ich selbst, um mich mit Ihnen über die zwischen uns schwebenden Differenzen zu verständigen.«

»Es ist sonst nicht Sitte« – begann ich, und zugleich spähte ich vergeblich in seinen Augen nach einem auf versteckte Absichten hindeutenden hämischen Ausdruck.

»Es ist sonst nicht Sitte,« wiederholte er, mir in die Rede fallend, »ich weiß es, Sie werden meine Handlungsweise aber billigen, nachdem Sie meinen Worten freundlich Gehör geschenkt haben. Obwohl mir mein Stand verbietet, jetzt noch einem Mitmenschen im tödtlichen Kampfe zu begegnen, würde ich mich zur Rettung meiner Ehre dennoch mit Freuden über diesen Zwang hinwegsetzen, hätte ich nicht die Möglichkeit erkannt, die zwischen uns schwebende unangenehme Frage auf friedlichere und uns Beide nichts weniger als erniedrigende Art zu erledigen. Unterbrechen Sie mich nicht, hören Sie mich zu Ende, eh' Sie entscheiden, ich bitte Sie darum,« fuhr er fort, sobald er bemerkte, daß ich im Begriff stand, etwas zu erwidern, »wir hatten bei unserem Zusammentreffen keine weitern Zeugen als die junge Dame« – [] »Was nach meinem Dafürhalten hinlänglich gewesen wäre, Ihnen Mäßigung aufzuerlegen,« warf ich kalt ein.

»Ganz gewiß, aber da Sie, wenn ich nicht irre, in näheren, oder gar verwandtschaftlichen Beziehungen zu der jungen Dame stehen, so dürfte es Ihnen nicht schwer werden, ihr eine entsprechende und vielleicht auch nachsichtig und gütig aufgenommene Erklärung zukommen zu lassen. Ich hege nämlich die Ansicht, daß, wie wir gestern bei der Mineralquelle keine Zeugen hatten, wir auch keiner Zeugen bedürfen, wenn ich Ihnen eingestehe, daß ich mich übereilte und Ihre Entrüstung über mein Benehmen durchaus natürlich finde. Indem ich nun bereitwillig und unaufgefordert meinen Fehler einräume, hoffe ich, daß Sie ebenso bereitwillig Ihre beleidigende Aeußerung zurücknehmen, und noch mehr, bei der jungen, mir nur von Ansehen bekannten Dame um Verzeihung für mich nachsuchen.«

Erstaunt blickte ich auf Bernhard hin; seine Worte klangen offen und ehrlich, und in seinem Wesen entdeckte ich nichts, was Johanna's unüberwindliche Scheu vor ihm gerechtfertigt hätte. Zwar ruhte in seinen Augen eine verborgene, unheimliche Gluth, doch ebenso wenig, wie ich in diesem Falle die zur Versöhnung dargebotene Hand zurückweisen durfte, fühlte ich die Verpflichtung und Neigung, mir über seine Denkungsweise und seinen ganzen Charakter genauern Aufschluß zu verschaffen.

Ich erklärte mich daher mit seinem Entgegenkommen zufriedengestellt, nahm meine Beleidigung zurück, und theilweise dadurch geschmeichelt, daß er mir einen so großen Einfluß bei Johanna zuschrieb, versicherte ich sogar, bei dieser gelegentlich zu seinen Gunsten sprechen zu wollen.

»Was würden Sie sagen?« fragte er darauf, und die Gluth in seinen Augen schien sich zu verstärken, »was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen bewiese, daß ich gestern nur die Gelegenheit suchte, mich Ihnen, zum Zweck einer höchst wichtigen Mittheilung, zu nähern?«

»Ich würde meiner Verwunderung darüber Raum geben, daß Sie, zur Erreichung Ihres Zweckes, nicht einen einfacheren und geeigneteren Weg einschlugen.«

»Und dennoch durfte ich nicht anders handeln; ich muß auf alle Fälle den Schein bewahren, als gehöre eine vertrauliche Annäherung zwischen uns zu den Unmöglichkeiten.«

Mit wachsender Spannung suchte ich abermals flüchtig in seinen Augen zu lesen, worauf ich ihn bat, Platz zu nehmen.

»Ich bin älter, als Sie,« fuhr er in überzeugender Weise fort, »hatte also auch mehr Gelegenheit, Lebenserfahrungen zu sammeln und mich in der Beurtheilung anderer Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu üben. Deuten Sie mir es daher nicht falsch, wenn ich jetzt mein Urtheil über Sie in ungeschminkter Form ausspreche; es ist nothwendig zur Erläuterung meines Verhaltens Ihnen gegenüber.«

»Sie sind ausgerüstet mit einem Herzen, welches warm für alles Gute und Edle schlägt; Sie besitzen den jugendlichen Muth und jenen zündenden Enthusiasmus, welche unabweisbar erforderlich sind, andere Menschen nicht nur für sich zu gewinnen, sondern[] auch mit sich fortzureißen. Sie besitzen, mit einem Wort, Alles, was Sie dazu befähigt, dereinst eine hervorragende Stellung unter Ihren Mitbürgern einzunehmen, vor Allein aber einen so klaren Begriff von Ehre, daß ich mich nicht scheue, die Unterhaltung auf ein gefährliches Feld hinüberzuleiten und mich dadurch gewissermaßen auf Gnade und Ungnade in Ihre Gewalt zu geben.«

Hier schwieg Bernhard, und wenn er auch anblickte, um zu erforschen, welchen Eindruck seine Worte bei mir hinterließen, so geschah dies in einer Weise, die selbst ein erfahrenerer und romantischen Träumen weniger zugänglicher Mann nicht durchschaut haben würde.

»Ich, eine hervorragende Stellung?« fragte ich endlich, und vor meine Seele trat Johanna's liebliches Bild.

»Unter den jetzigen Verhältnissen allerdings nicht,« lautete die mit tiefem Ernst gegebene Antwort, »wir aber, ich meine die jetzige Generation, find dazu berufen, eine Umwälzung herbeizuführen, durch welche es demnächst in jedes einzelnen Menschen Hände gelegt wird, seine Fähigkeiten entsprechend zu verwerthen, anstatt sich von einer pedantischen Büreaukratie an's Gängelband nehmen zu lassen, die köstliche, unersetzliche Jugendzeit in erfolglosen Bestrebungen hinzuopfern und endlich, wenn die Kraft erlahmte und die Jahre, Kummer und Sorgen das Haar bleichten, sich glücklich zu schätzen, nach endlosen Täuschungen in irgend einem staubigen Winkel eine dürftige Ruhestätte gefunden zu haben.«

»Sie sprechen von Umwälzungen, ohne Zweifel von politischen Umwälzungen,« entgegnete ich, meine Blicke auf den Fußboden gesenkt, denn wenn Bernhard's Eröffnungen auf der einen Seite mich mit unwiderstehlicher Gewalt ergriffen und einen lauten Widerhall in meiner Brust erweckten, so erschien mir aus der andern Seite wieder die drohende Gestalt meines Vormundes, der vorwurfsvoll auf sein eisernes Kreuz deutete und mich vor einer verborgenen Gefahr warnte.

»Von politischen Umwälzungen,« antwortete Bernhard feierlich, seine Hand mit festem Druck auf meinen Arm legend. »Wer vermöchte um die Jetztzeit von andern Umwälzungen, als politischen zu sprechen?«

»Freiheit!« ertönt es von den fränkischen Gauen zu uns herüber; ›Freiheit!‹ ruft es, wenn auch noch umhüllt, aus den Gesängen unserer gepriesensten Dichter; ›Freiheit!‹ ruft jeder Pulsschlag in den Adern eines wahren Mannes, der nach mehr strebt, als pflanzenähnlich, mit verschnittenen Zweigen und nach Vorschrift gezogenem und eingezwängtem Stamm dahinvegetiren zu dürfen. Ja, der Ruf nach Freiheit dringt durch die ganze Welt, und Zeit ist es, daß Diejenigen, deren Geist noch nicht unter dem schweren Druck verkrüppelte, sich emporraffen, das Joch abschütteln und als leuchtende Beispiele mit kühn entfaltetem Banner ihren zaghafteren Mitmenschen voranschreiten!

Noch immer blickte ich vor mich nieder; ich wagte nicht, meine Augen zu Bernhard aufzuschlagen, fühlte aber, daß das Blut stürmischer in meinen Adern kreiste, seine Worte nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen waren. Seine Vorschläge, obwohl [] erst allgemein gehalten, flößten mir zwar Besorgniß ein, doch erweckten sie zugleich den unbestimmten Wunsch, mehr zu hören, und nicht länger befremdete es mich, daß er, den ich sonst mit einem gewissen Widerwillen zu betrachten gewohnt war, mir so urplötzlich in einem ganz andern Licht erschien. Ich vergaß sogar die Scene des vorhergegangenen Tages, und indem ich Johanna's gedachte, entstanden vor meiner Phantasie wirre, nebelhafte Bilder, in welchen das holde Mädchen sich mir, einem sieggekrönten Vorkämpfer der Freiheit mit süßem, verheißenden Lächeln, mit dem unverkennbaren Ausdruck des Stolzes zuneigte, bis das eiserne Kreuz meines greisen Vormundes da zwischen auftauchte und dieselben mit einem Schlage wieder vernichtete.

»Dann beabsichtigt man, wie in Frankreich, so auch hier die Regierungen zu stürzen?« fragte ich nach längerem Sinnen.

»Lassen wir die Regierungen noch unerwähnt,« entgegnete Bernhard hastig, »durch einen heiligen Eid bin ich gebunden; meine Eröffnungen dürfen eine bestimmte Grenze nicht überschreiten, es sei denn, Sie – doch so viel kann ich Ihnen mittheilen, es handelt sich darum, ein freies, einiges Deutschland herzustellen, ein Deutschland, wie es unsern Sängern vorschwebt, wenn sie in heiliger Begeisterung ihren Gedanken Worte verleihen; ein Deutschland, wie es jeder Bürger mit Stolz sein Vaterland nennen würde, anstatt daß es jetzt dem Spotte fremder Nationen preisgegeben ist. O, unser großes, gemeinsames Vaterland! Es ist so unermeßlich reich, so reich an materiellen Hülfequellen, so reich an Intelligenz, daß es verdient unter allen Ländern der Erde den ersten Rang einzunehmen. Und dennoch müssen wir dulden, daß es, in sich zerfahren und zerfallen, sich im Staube windet; daß seine Söhne in sklavischer Unterwürfigkeit, um des lieben täglichen, kärglichen Brodes willen, ihr Leben vertrauren, anstatt mit kühner Stirn und im Bewußtsein der eigenen Kraft dem Geschick zu begegnen und in der selbstgeschaffenen glücklichen Lebensstellung einen schönen Lohn für die redlichen Bestrebungen, und gewissermaßen einen freundlichen Abschluß der phantastischen, oft so beseligenden Jugendträume, zu finden.«

»Hat er in meinem Herzen gelesen?« fragte ich mich in Gedanken, indem ich meine Augen langsam zu Bernhard aufschlug.

Eine Beantwortung meiner Frage lag in seinem Aeußern nicht; sein Antlitz war hochgeröthet, und aus der Art, in welcher sich seine Brust hob und senkte, ging hervor, daß er sich allmälig in eine Begeisterung hineingeredet hatte, die ich vorher an dem kalten, berechnenden Menschen für unmöglich gehalten hätte.

Aber gerade dieser Gegensatz zu seinem frühern Wesen trug am meisten dazu bei, mich für seine Auseinandersetzungen empfänglicher zu machen und ihn von einem ganz andern Standpunkte aus zu betrachten. Seine Worte schienen aus der heiligsten, reinsten Ueberzeugung zu entspringen, und bei der Aufregung, welche damals alle Gemüther ergriffen hatte, war es nicht zu verwundern, daß ich seinen Offenbarungen einen viel höheren Werth beimaß, wie ich Wohl zu andern Zeiten gethan haben würde.

»Ueberschätzen Sie aber nicht die Ihnen und [] Ihren Gleichgesinnten zu Gebote stehenden Mittel und Kräfte?« fragte ich nach längerem Schweigen mit einer Schüchternheit, die besser als alles Andere bewies, in wie hohem Grade ich bereits in seine Gewalt gefallen war; »bedenken Sie, eine staatliche Umwälzung –«

»Sie unterschätzen unsere Kräfte, weil Sie noch keine Ahnung von der Organisation derselben haben,« antwortete Bernhard, seine glühenden Blicke gleichsam in meine Seele einbohrend, »vorläufig ist es nur der edelste Theil der deutschen Jugend, der sich, einen hohen und erhabenen Zweck verfolgend, zu einem unerschütterlichen, unauflösbaren Ganzen vereinigt hat. Lassen Sie dieses verhältnißmäßig nur kleine Häuflein erst losgebrochen sein, und es wird, wie der Schnee der Alpengletscher im Niederrollen, durch das Heranziehen und Mitfortreißen aller gleichgesinnten und auch nur zu seinen Grundsätzen hinneigenden Kräfte lawinenartig anwachsen, alle feindlichen Elemente dagegen im furchtbaren, unwiderstehlichen Anprall erdrücken und zerschmettern. Aber wir müssen sicher gehen, wir müssen noch manche Kräfte anwerben, und glauben Sie mir, es ist dies nicht die leichteste Aufgabe; denn nur wenige sind es, verhältnißmäßig nur sehr wenige, denen wir uns anvertrauen dürfen und die Umsicht und Kühnheit genug besitzen, gerade zu Vorkämpfern der Freiheit auserkoren und den Führern des Volkes eingereiht zu werden.«

»Und hegen Sie die Absicht, mich für Ihre Pläne zu gewinnen?« fragte ich mit erkünstelter Ruhe, denn jugendliche Eitelkeit und eine unbestimmte Ahnung, daß ich am Wendepunkt meines Geschickes stehe, begannen schon, alle übrigen Rücksichten zu überwuchern und weit in den Hintergrund zurückzudrängen.

»Ich hege die Ueberzeugung, daß Sie alle diejenigen Eigenschaften in sich vereinigen, welche einen Führer des Volkes auszeichnen sollen, und wünsche daher, Sie zu den Unsrigen zu zählen.« Fern sei es indessen von mir. Sie zu einem so gefahrvollen Unternehmen, und lächelte uns das Endziel tausendmal so goldig entgegen, überreden zu wollen. Dagegen will ich Ihnen einen Blick in unsere geheime Verbindung verschaffen. Ihnen Gelegenheit geben, sich mit unsern Bedingungen, Hoffnungen und Aussichten vertraut zu machen, und es Ihnen demnächst anheimstellen, sich zu entscheiden.

»Wollen Sie ein Glied in unserer Kette werden, wohlan, so heißen wir Sie als Bruder und Mitarbeiter an dem großen Werke aus überströmendem Herzen willkommen; entgegengesetzten Falls habe ich nur die Bitte an Sie, Alles, was ich Ihnen so eben mittheilte, auf ewig dem Grabe, der Vergessenheit zu überantworten.«

»Das Bild, welches Sie vor meinem geistigen Auge aufrollen, ist in der That verlockend und wohl werth, daß man ihm Opfer bringt,« versetzte ich mit fester Stimme, »doch werden Sie mir es nicht als Mangel an Muth oder wahrer Vaterlandsliebe auslegen, wenn ich, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffe, noch mit anderen Mitgliedern Ihrer Verbindung bekannt zu werden wünsche.«

»Sie sollen, Sie dürfen sich nicht binden, ehe Sie nicht einen klaren Begriff von dem bereits seit Jahren vorbereiteten Unternehmen gewonnen haben – [] und sollten Sie in nächster Zeit wieder einen Ausflug nach Godesberg beabsichtigen,« fuhr er, plötzlich in seinen gewöhnlichen gemessenen Ton verfallend, fort, denn er hörte, daß sich Jemand der Thür näherte, »so rechne ich darauf, daß Sie mich benachrichtigen. Obwohl nicht in dieser Gegend geboren, glaube ich doch, Ihnen manche interessante Aufschlüsse über die älteste Geschichte dieses Theils des Rheinthales geben zu können.«

Mein Aufwärter war unterdessen eingetreten, wodurch ich der Notwendigkeit überhoben wurde, sogleich antworten zu müssen. Dagegen fand ich Zeit, meine Erregung niederzukämpfen, denn mit Aufbietung meiner ganzen Willenskraft wäre ich nicht im Stande gewesen, den Ausdruck meines Gesichtes so schnell zu ändern, wie Bernhard gethan. Seine Geistesgegenwart und seine Fähigkeit, urplötzlich von einer ernsten Unterhaltung zu einem gleichgültigen Alltagsgespräch gewandt abzuspringen, flößten mir eine gewisse scheue Achtung vor seiner Überlegenheit ein, ohne daß ich dabei in Betracht gezogen hätte, wie gefährlich mir der nähere Verkehr mit einem solchen Charakter werden könne.

Der Gedanke, gerade mit einem derartigen Menschen in Verbindung zu treten, der Gedanke, an einem furchtbaren Geheimniß betheiligt zu sein, hatte sogar einen eigenthümlichen Reiz für mich, obwohl es mich in jenem Augenblick verdroß, daß ich meinen possierlichen Stiefelfuchs, einen harmlosen Gesellen, mit dem ich gewöhnlich einige unschuldige Scherzreden austauschte, zum ersten Mal in meinem Leben mit besorgnißvollem Mißtrauen beobachtete und nur mit vieler Mühe das stereotype »Morjen Herr Fischer« hervorzubringen vermochte.

Als der Aufwärter sich mit den zu reinigenden Kleidungsstücken entfernt hatte, berührte Bernhard sogleich wieder den eigentlichen Zweck seines frühen Besuches.

»Es ist Zeit, mich zu empfehlen,« sagte er hastig, »ich möchte ungern von dem zurückkehrenden Aufwärter noch hier gefunden weiden. Ist er auch nicht mit allzu hervorragenden Geisteskräften begabt, so kann man doch nicht zu vorsichtig sein. Ich hoffe, Sie einigermaßen vorbereitet zu haben; fernere Mittheilungen werden Ihnen brieflich zugehen, das heißt in einer für jeden Nichteingeweihten unauflösbaren Chiffreschrift. Ich gebe Ihnen hier den Schlüssel zu derselben,« fuhr er fort, mir ein zusammengefaltetes Blatt Papier reichend, »die Regeln sind sehr einfach; lernen Sie dieselben auswendig und verbrennen Sie das Papier; das Leben und die Freiheit von Tausenden hangen vielleicht davon ab. Ebenso verfahren Sie mit allen Ihnen übermittelten schriftlichen Nachrichten, und mögen dieselben dem Uneingeweihten noch so unverständlich sein.«

»Seien Sie ferner zu jeder Stunde, zu jeder Minute bereit, geheime Nachrichten entgegen zu nehmen. Auf dem Ball wie beim Commers, in der Kirche wie im Collegiensaal, überall können Sie wichtige Anordnungen erwarten; empfangen Sie dieselben, ohne Ueberraschung zu verrathen. Wenn wir uns begegnen, benehmen Sie sich kalt und fremd gegen mich; ein höflicher Gruß von beiden Seiten ist genügend, uns an unsere geheime Verbindung zu erinnern, [] und hüten Sie sich, selbst unter Commilitonen, welche Sie als Eingeweihte erkennen, zuerst das Wort zu ergreifen oder Fragen zu stellen; denn selbst in unsern Reihen befinden sich Mitglieder, die nur theilweise mit unsern Plänen vertraut gemacht werden dürfen. – Und nun leben Sie wohl, Herr Wandel, vergessen Sie die unangenehme Scene von gestern, und gelingt es Ihnen nicht, meiner fortan freundlicher zu gedenken, so betrachten Sie mich einfach als ein Glied der ehernen Kette von Brüdern, welche innerhalb nicht allzu langer Frist als die Verkünder der Freiheit aufzutreten bestimmt sind.«

Bei diesen Worten erhob Bernhard sich, um zu gehen.

»Nur noch einen Augenblick,« sagte ich mit unterdrückter Stimme, indem ich seine Hand ergriff, »ich habe Sie vielleicht verkannt, Ihre Verschlossenheit, Ihr – verzeihen Sie mir – fast abstoßendes Wesen andern Ursachen zugeschrieben und für eine wenig freundliche Seite Ihres Charakters gehalten, aber ich sehe ein: beschäftigt mit so ernsten Aufgaben, muß auch in dem äußern Menschen der Ernst mehr zum Durchbruch kommen – doch wie soll ich mir erklären, daß Sie, ein angehender Geistlicher, nicht zaudern, sich an einem Unternehmen zu betheiligen, welches den Grundsätzen Ihrer Kirche so stracks zuwiderläuft?«

»Beruhigen Sie sich,« antwortete Bernhard, mir die Hand drückend und abermals einen seiner glühenden Blicke in meine Augen senkend, »Sie werden noch ganz andere Leute als Brüder begrüßen, Leute, von denen sich annehmen läßt, daß die Zeiten der romantischen, unausführbaren Jugendträume weit hinter ihnen liegen. Leben Sie wohl, Herr Wandel, wenn die Stubenthür sich hinter mir geschlossen haben wird, sind wir, vor Zeugen wenigstens, wieder die Alten, ich meine, daß wir uns gegenseitig scheinbar mit sehr wenig Sympathie betrachten.«

»Ich verstehe.«

Noch einmal reichten wir uns die Hände, und in der nächsten Minute vernahm ich den Schall der Klingel, welche bezeichnete, daß er das Haus verlassen habe.

Kaum sah ich mich allein, so begann ich das Gemach mit langsamen Schritten zu durchmessen. Ich befand mich in einer fieberhaften Aufregung und wie ein wüster Traum erschien es mir, daß ich mit dem, den ich von allen Menschen der Erde mit der größten Abneigung zu betrachten gewohnt war, mich in ein so enges Bündniß eingelassen hatte. Doch indem ich Bernhard's gedachte, wiederholte ich mir auch seine begeisternden Worte, und schnell beschwichtigte ich dadurch alle Bedenklichkeiten, welche theils schon erwacht waren, theils zu erwachen drohten. Das Bewußtsein, auf gefährlichem Boden zu wandeln, stählte meinen Muth; die Hoffnung, daß Johanna dereinst, beseelt von Stolz und Bewunderung, zu mir empor blicken würde, erhob meine Lebensgeister bis über die Wolken, und sogar das Bild meines Vormundes hatte seine Schrecken für mich verloren, seit ich mich zu überreden suchte, daß er, wenn auch anfänglich von tiefem Zorn gegen mich erfüllt, sich dennoch sehr bald an die neuen Zustände gewöhnen und, wie er selbst einst als Held und Befreier des Vaterlandes begrüßt worden war, wich endlich ebenfalls [] als einen solchen betrachten und auf's Neue und noch inniger in sein Herz schließen würde.

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar.«

sprach ich leise vor mich hin, als der Aufwärter wieder hereintrat und mit einem scheuen Seitenblick an mir vorbei in das Schlafkabinet hineinschlüpfte.

Ich beachtete ihn nicht, bemerkte daher kaum den Ausdruck der Verwunderung in seinen einfältig verschmitzten Zügen. Erst als er sich wieder zum Gehen anschickte, sah ich ihn an, ein Zeichen für ihn, einige Worte an mich richten zu dürfen.

»Ein feiner Herr, der Herr Bernhard,« begann er, mit den Augen blinzelnd, »schade, daß er die Collegien so fleißig besuchte, hätte ein prächtiges bemoostes Haupt abgegeben.«

»Wirtlich ein feiner Herr?« fragte ich, um überhaupt etwas zu sagen, »ich hätte gedacht, er sei zu ernst, um von einem heitern Stiefelfuchs sehr bevorzugt zu werden.«

»Nicht so ernst, wie er aussieht; hat immer ein freundliches Wort und ein Kastemännchen Zwei und ein halber Silbergroschen. für seinen gehorsamen Diener in Bereitschaft.«

»So,« entgegnete ich gedehnt, was für den alten Patron die Bedeutung hatte, sich zu empfehlen.

»Morjen, Herr Wandel.«

»Morjen, Herr Fischer,« ertönte es, und ich war wieder allein und mir selbst überlassen.

Sechstes Capitel.
Der arme Anton.

Die Woche verging mir langsamer als gewöhnlich, trotzdem ich die Collegien regelmäßig besuchte und mich sogar in den müßigen Stunden ernstlich mit meinen Studien beschäftigte.

Ich sehnte den Sonntag herbei, welchen ich, wie verabredet, auf der Oberförsterei zubringen sollte; nebenbei erwartete ich ungeduldig neue Nachrichten über die geheime Verbindung und deren Zwecke, doch wurde die Zeit dadurch nicht beflügelt; im Gegentheil, sie schien immer träger zu entrinnen.

Mehrfach begegnete ich Bernhard; sein Antlitz war stets ernst und undurchdringlich; er grüßte höflich, aber förmlich und keine Muskel seines Gesichts verrieth, daß er sich unseres Uebereinkommens erinnere.

Anders war es mit mir; ich fühlte, daß bei seinem Anblick das Herz mir schneller schlug und der Wunsch rege wurde, entweder gar nicht an die Pforten des gefährlichen Geheimnisses geführt, oder vollständig in dasselbe eingeweiht zu sein. Mein Geist befand sich in einer ununterbrochenen Spannung und wahrhaft feenhafte Bilder umgaukelten mich, wenn ich, berauscht durch die Aussicht auf das sich mir darbietende Feld für eine ruhmvolle politische Thätigkeit, mir in Gedanken meine unzweifelhafte Vereinigung mit Johanna ausmalte. –

Der Sonntag war endlich angebrochen. In unbeschreiblicher Pracht entstieg die Sonne dem Siebengebirge; ihre Strahlen bildeten blendende Reflexe auf den kreisenden und wirbelnden Fluthen des Rheinströmen, [] auf den Dächern der Häuser, auf den Kirchthurmspitzen und auf den Lichtseiten der Bäume, wie um alle in ihrem Bereich befindlichen Gegenstände zur Feier des Tages nach ihren besten Kräften festlich zu schmücken. Es war eben ein Morgen, welchen man, auch ohne den Kalender zu Hülfe zu nehmen, als einen Sonntagmorgen hätte erkennen müssen.

Schon vor Tagesanbruch hatte ich mich auf den Weg begeben. Der Wunsch, so bald als möglich in Johanna's liebe blaue Augen zu schauen, beflügelte meine Schritte, und so fröhlich und leichten Herzens wanderte ich auf dem Ufer des Rheines dahin, als wären Kummer und Sorgen für mich auf ewig aus der Welt verbannt gewesen.

Als ich die Stadt verließ, herrschte noch überall die tiefste Stille; nur hin und wieder stimmte ein befiederter Säuger sein Morgenlieb an, oder es begegneten mir auch vereinzelte Fischer, welche die Erfolge ihrer nächtlichen nassen Arbeit mühsam heimwärts schleppten. Je weiter ich aber wanderte, um so lebhafter wurde es ringsum. Die Menschen erwachten mit der Natur, und das Nachdenken, welchem ich mich anfänglich hingegeben hatte, verwandelte sich allmälig in jene heitere Sorglosigkeit, in welcher man so gern geneigt ist, Alles in rosenfarbigem Lichte zu betrachten, mit versöhnlichen Gefühlen über die Mängel und Gebrechen der menschlichen Gesellschaft hinwegzusehen und nur das für möglich und wahrscheinlich zu halten, was man am meisten wünscht.

Wäre auf diesem Spaziergang Bernhard mit seinen Vorschlägen vor mich hingetreten, dann würde ich schwerlich ohne Widerrede auf dieselben eingegangen sein. Ich befand mich eben in einer Stimmung, in welcher mir der Friede als der höchste Segen erschien und ich es für ein Verbrechen hielt, denselben leichtsinnig zu unterbrechen.

Um daher meine Heiterkeit nicht zu trüben, vermied ich es, über das nachzudenken, was mir von Bernhard anvertraut worden war. Ungestört und unbeeinträchtigt durch ernste Bilder wollte ich den herrlichen Morgen genießen, und nach allen Richtungen hin schweiften meine Blicke unablässig, um immer neue Eindrücke in mich aufzunehmen, immer neue Gegenstände zu entdecken, an welchen sich mein von jugendlichem Frohsinn überfließendes Herz erfreuen konnte. Ich ergötzte mich innig an dem munteren Treiben der kleinen Thierwelt, welche nach einer lustig durchschwärmten oder auch behaglich verträumten Nacht das Ufer des Stromes so anmuthig belebte, hier um sich, nach einem letzten Scheideblick auf das lachende Strahlenantlitz der Sonne, in einem geeigneten Winkelchen in trägen Schlummer zu versenken, dort durch einen herzhaften Trunk aus den kühlen Fluthen sich zu den Tages Mühen und Freuden zu stärken und zu rüsten.

Ich ergötzte mich an den Hasen, die eh' sie ihr Versteck aufsuchten, noch einmal auf der staubigen Straße mit dem Ausdruck der Müdigkeit rasteten und dann bei meiner Annäherung mit scheinbar schwer, fälligen Bewegungen seitwärts im dichten Kraut verschwanden; ich ergötzte mich an den mancherlei Vögeln, die familienweise bald zu dem Strom hinabflogen, bald schwirrend sich erhoben und laut jubelnd nach allen Richtungen hin über das Land vertheilten;[] an den Schmetterlingen und den Libellen, die, an Halmen und Blumen hängend, ihre ausgespannten Schwingen den warmen Sonnenstrahlen darboten, um den sie in ihren Bewegungen hindernden Thau von denselben forttrinken zu lassen.

Dazu schallte von beiden Seiten des Rheins aus Dörfern nah und fern, das Geläute, welches zu den Frühmetten rief, gar feierlich zu mir herüber; und wo mein Weg an Gehöften vorüberführte, da gewahrte ich, daß sonntäglich geputzte Kirchgänger dem Ruf des bekannten Glöckleins Folge leisteten, oder die Pferde nach der Schwemme geritten wurden. Ferner bemerkte ich kleine Bauerjungen, die kaum wagten, sich zu rühren, aus Furcht, daß die neue Jacke mit dem hohen Kragen oder die Schleife des rothgeblümten Halstuches, mittels dessen ihr Genick steif gebunden worden war, Schaden leiden könnten, während die kleinen Mädchen coquet ihre gefältelten Schürzchen glatt strichen, die kattunenen Aermel in Puffen emporzupften und dabei vielleicht der Zeit gedachten, in welcher sie, wie jetzt die erwachsenen Dorfschönen, von den mit bunten seidenen Bändern im Knopfloch geschmückten Burschen zum Tanz geführt werden würden.

Die mir begegnenden Bauerburschen, zwischen den Lippen eine recht grellfarbige Blume oder auch eine mit prächtigen Quasten behangene kurze Pfeife haltend, boten mir stets einen »schönen guten Morgen« und fragten mich auch Wohl, als Antwort auf eine scherzhafte Anrede, was ein Pfund Kienruß koste, womit sie die um meine Schultern wallenden dunkeln Locken meinten, wogegen die sie begleitenden Mädchen ihre Blicke mit dem Ausdruck des Wohlgefallens etwas länger auf mir haften ließen und zweifelsohne dabei dachten, wie viel schöner ihr Herzallerliebster sich mit langen Haaren, einem verwegenen Zwickelbart und einem Sammetröckchen ausnehmen würde.

Ja, so schweben mir jener Morgen und meine Fußreise in der Erinnerung noch immer lebhaft vor. Sonntäglich lachte die Sonne, sonntäglich prangten die Menschen, und sonntäglich waren auch die Gedanken, welche sie erfüllten. Ich aber fühlte meinen Frohsinn durch solche Eindrücke immer mehr gehoben; im Fluge enteilte mir die Zeit, im Fluge schien die Straße unter mir fortzugleiten, und als ich endlich vor Plittersdorf zu der Ueberfahrtsstelle hinabschritt, war mir, wie wenn erst Minuten seit meinem Aufbruch von Bonn verstrichen wären.

Auf meinen Ruf kam der Fährmann mit den Rudern herbei. Ich stieg in das Boot, setzte mich nieder und tauchte, um mich zu erfrischen, meine Hände in die gegen das Fahrzeug tändelnden Wellen, als meine Aufmerksamkeit plötzlich auf den Schifter hingelenkt wurde, der, während er die Kette löste, Jemand mit barschen Worten zurückwies.

»Zweimal habe ich Dich schon mitgenommen, ohne einen Pfennig dafür erhalten zu haben,« rief er aus, »jetzt magst Du zusehen, wie Du hinübergelangst. Wenn Du kein Fährgeld hast, dann bleibe ein ander Mal zu Hause.«

»Meinen letzten Groschen gab ich für Brod hin,« lautete die mit heiserer, unmelodisch klingender Stimme ertheilte Antwort, »nehmt mich doch mit hinüber, ich bitte Euch darum. Gestern mußte ich den ganzen Tag [] an der Straße liegen bleiben, ich war krank, könnte den Reisenden nicht folgen, um sie um eine Gabe anzusprechen, und die paar Pfennige, welche mir mitleidige Menschen zuwarfen, verwendete ich dazu, meinen Hunger zu stillen.«

Ich blickte zu dem Bittenden hinüber; schon früher hatte ich denselben gesehen, ihm auch wohl ein Almosen gereicht, mich indessen nie weiter um ihn gekümmert. Indem ich ihn jetzt aber näher betrachtete und seine traurige Lage mit meiner eigenen glücklichen Lebensstellung verglich, wurde ich vom tiefsten Mitleid ergriffen. Und Mitleid verdiente er in der That, wenn überhaupt ein verkrüppeltes Menschenbild ein fühlendes Herz zu rühren im Stande ist; denn nicht nur, daß schielende Augen dem durch eine krampfhafte Verzerrung entstellten Antlitz einen trüben Ausdruck verliehen, war seine rechte Hand, und offenbar auch der rechte Fuß, dergestalt im Gelenk verwachsen und gelähmt, daß beide Theile dadurch vollständig unbrauchbar für ihn wurden.

Sein Alter zu errathen hielt, bei der schrecklichen Entstellung seines Aeußeren, schwer, doch konnte er das zwanzigste Jahr kaum erreicht haben. Seine Kleidung war sehr ärmlich, ohne indessen unsauber und zerlumpt zu sein; kurz geschorene, hellblonde Haare bedeckten, außer einer alten Soldatenmütze, sein unförmliches Haupt, während seine Füße in sehr abgetragenen und durch den unbeholfenen Gang schief getretenen Schuhen steckten.

In der gesunden Hand führte er einen sehr starken, mit einer Krücke versehenen Kreuzdornstock, dessen er sich, indem er die Hüfte auf denselben stützte, zum Fortbewegen bediente, worin er im Lauf der Zeit eine große Gewandtheit erlangt zu haben schien.

So stand der Unglückliche da, seine trüben, schielenden Augen stehend auf den hartherzigen Schiffer gerichtet und besorgnißvoll dessen endgültigem Bescheid entgegen sehend.

»So bleibe noch einen Tag länger auf dieser Seite,« antwortete der Fährmann unfreundlich, »es ist heute Sonntag, die Fremden strömen nach Godesberg und es kann nicht fehlen, daß Du gute Geschäfte machst; morgen wirst Du auch noch zur rechten Zeit nach Hause kommen und ebenem das Fährgeld erlegen können.«

»Aber ich muß nach Hause,« flehte der Unglückliche.

»Dann kann ich Dir nicht helfen,« erwiderte der Schiffer, die Kette in's Boot werfend und dieses vom Ufer aus abschiebend.

»Halt!« rief ich aus, »nehmt den armen Menschen mit hinüber, ich werde für ihn bezahlen!«

Ein dankbarer Blick aus den Augen des Krüppels traf mich, der Schiffer zog sein Fahrzeug wieder heran, und da ich ihn unterstützte, gelangte der unglückliche Wanderer mit verhältnißmäßig geringer Mühe in das Boot.

»Der Herr scheint viel Geld zu haben,« bemerkte der Schiffer nach längerem Schweigen, während er das Fahrzeug dicht am Ufer stromaufwärts stieß, um später, beim Uebersetzen, von der starken Strömung nicht zu weit hinabgeführt zu werden.

»Wenn auch nicht zu viel, so besitze ich doch hinlänglich, um einem hilfsbedürftigen Mitmenschen einen [] kleinen Liebesdienst zu erweisen;« entgegnete ich in vorwurfsvollem Tone.

Der Schiffer hustete, um seinen Verdruß zu verbergen, der Krüppel dagegen räusperte sich und wendete sich von nur ab.

Die ganze Scene, überhaupt schon der bloße Anblick des so schrecklich entstellten Menschen, war nicht ohne Einfluß auf meine frohe Laune geblieben, und da ich während der Ueberfahrt nicht, wie ich sonst wohl zu thun pflegte, mit dem mir bereits seit Jahren bekannten Fährmann eine Unterhaltung eröffnete, so schwieg auch er selbstverständlich.

Wie ich dem Krüppel in das Boot hineingeholfen hatte, half ich ihm auch wieder hinaus. Ich bezahlte sodann den Schiffer, und nach kurzem Abschied begab ich mich nach der nach Königswinter führen den Straße hinauf, wo der mir vorausgeeilte unglückliche Reisegefährte, wie es schien, meiner harrte.

»Ich wollte dem Herrn für seine Güte danken,« begann er, als ich mich ihm gegenüber befand, indem er mit seiner verstümmelten Hand die Mütze von seinem Haupte entfernte, »der Schiffer glaubte, ich habe Geld und wolle es nur nicht herausgeben; ich versichere dem Herrn aber, daß ich nichts, als dieses Stück Brod besitze, und warten konnte ich nicht länger, ich muß nach Hause, um nach meinem Jakob zu sehen. Jakob wird Hunger haben, und die Hälfte dieses Brodes ist für ihn bestimmt.«

»So ist Jakob wohl Dein Bruder?« fragte ich, mich langsam in Bewegung setzend.

»Ach, wenn Jakob mein Bruder wäre!« rief der Unglückliche mit vor Lachen röchelnder Stimme aus, »nein, mein Bruder ist nicht so gut, mein Bruder schlüge am liebsten zuerst mich und dann Jakob todt. Ich habe es ihm aber versprochen, thut er meinem Jakob etwas zu Leide, so lege ich Feuer an unser Haus; mich mag er schlagen, so viel er will. Aber gehen der Herr nur schneller, sein Weg ist der meinige, und wenn es dem Herrn nicht zu gering ist und er es mir erlauben wollte, an seiner Seite zu gehen –?«

»Keineswegs ist es mir zu gering,« antwortete ich, meine Schritte beschleunigend, »ich liebe Gesellschaft, und wenn ich Dir armen Burschen eine Freude damit bereite, will ich meine Eile ganz nach Deiner Kraft bemessen.«

»Wie gut der Herr ist, und wie ich ihm für feine Güte danke,« erwiderte der Krüppel, sich jetzt so schnell vorwärts bewegend, daß ich Mühe hatte, gleichen Schritt mit ihm zu halten, »ich höre nicht oft solch freundliche Worte, wenn ich sie aber einmal gehört habe, dann vergesse ich sie nie wieder. Ich heiße Anton.«

»Anton? ei, das ist ein hübscher Name.«

»Viel zu hübsch für ein Geschöpf, welches dazu geschaffen ist, andern Menschen Abscheu einzuflößen,« lautete die mit Bitterkeit gegebene Antwort.

»Nicht doch, Anton, Du mußt nicht ungerecht sein, Mitleid solltest Du sagen, Mitleid und Bedauern.«

»Ja, ich will es sagen, dem lieben freundlichen Herrn zu Gefallen, aber ich weiß doch, warum die Leute mir aus dem Wege gehen und die Blicke abwenden, wenn ich sie um ein Almosen bitte. O, wenn[] ich nur arbeiten könnte! Wie herrlich muß es sein, die Axt schwingen, den Spaten handhaben und die Pferde vor dem Pflug antreiben zu können. Doch der Anton ist dumm, und wer dumm ist, der ist auch schlecht, und wer schlecht ist, den treten die Menschen mit Füßen.«

»Du hast mir noch nicht gesagt, wer Dein Jakob ist, jedenfalls ein braver Bursche, der Dir immer freundlich begegnet,« bemerkte ich, um des armen Menschen Gedanken von seiner eigenen bedauernswerthen Lage abzulenken.

»Ein braver Bursche,« versetzte Anton und ein Ausdruck der Heiterkeit flog über sein Gesicht, »und wenn mein Jakob stirbt, will ich mit ihm sterben.«

»Aber so sage doch, wer ist denn eigentlich der Jakob?«

»Jakob ist mein Kind, Jakob ist mein Freund und Spielgefährte, Jakob ist ein Rabe, so schön groß und schwarz, wie kein zweiter in der ganzen Welt zu finden ist. Und sprechen kann er, ich selbst habe es ihn gelehrt; er spricht wie ein Buch, er lacht und schimpft die Menschen, die den dummen Anton nicht leiden mögen. Auch meinen Bruder schimpft er, und der verdient es, denn er schlägt mich und stiehlt Holz und stiehlt mir die Pfennige, welche mir die Leute geben; und meine Mutter sieht zu und sagt: Anton verdient, mit einem Stein am Halse in den Rhein geworfen zu weiden.«

»Du mußt das nicht so wörtlich nehmen, Anton, die Leute sprechen manchmal etwas im Zorn und meinen es dabei gar nicht so böse. Wo wohnt Deine Mutter?«

»Meine Mutter und mein Bruder wohnen in einer Seitenschlucht auf dem Wege nach der Löwenburg. Sie haben ein kleines Häuschen, einen Galten und zwei Ziegen.«

»Das kann ja nicht weit von der Oberförstern sein?«

»Auf der Landstraße gebraucht man von uns bis zur Oberförsterei eine gute halbe Stunde, auf dem Waldpfade dagegen nur die Hälfte dieser Zeit. Mein Bruder haßt den Oberförster, weil er ihn nicht will Holz stehlen lassen. Ich aber nicht, ich hole mir dort manches Mittagbrod, habe den jungen Herrn auch schon mehrfach daselbst gesehen.«

»Ich Dich aber noch nie.«

»Weil ich immer heimlich komme und nicht will, daß mein Bruder es erfährt; er denkt, ich will ihn verrathen und anzeigen.«

»Bist Du in dieser Woche auf der Oberförstern gewesen?«

»In dieser Woche noch nicht, aber morgen gehe ich wieder hin; es ist jetzt so schön dort, daß ich immer da bleiben möchte.«

»War es denn sonst nicht ebenso schön auf der Oberförsterei?«

»Es war immer schön dort, denn der Herr Oberstlieutenant schenkte mir oft einen Groschen und die Frau Oberförsterin gab mir ein Butterbrod; jetzt aber ist Jemand bei ihnen eingezogen, so gut und so schön, schöner noch als die Muttergottesbilder in der Kirche zu Königswinter.«

»Ei, ei, mein lieber Anton, wer mag es denn wohl sein, der Dir so außerordentlich wohlgefällt?«

[] fragte ich, obwohl ich wußte, daß er Niemand anders als Johanna meinen könne.

»Eine junge, sehr vornehme Dame und Johanna heißt sie. O, sie ist so freundlich und gut gegen den armen Anton; sie leibet nicht, daß Jemand über den häßlichen Anton lacht, und wenn sie mich sieht, dann sagt sie jedes Mal: ›Armer Anton, wie geht es Dir? bist Du auch hungrig?‹ und schnell eilt sie in's Haus zurück, um mir ein Butterbrod zu schneiden, so dick wie meine Faust.«

»Das muß ja ein wahrer Engel sein,« bemerkte ich, innerlich ergötzt über die Art, in welcher er den Werth des jungen Mädchens veranschaulichte, »gewiß liebst Du die freundliche Dame sehr?«

»Die Leute lieben mich nicht, weil ich ein unglücklicher Krüppel bin, ich liebe daher auch die Menschen nicht. Warum sollte ich auch? Ich habe mein Unglück ja nicht verschuldet. Aber das Fräulein liebe ich mehr, als mich selbst, mehr noch, als meinen Jakob, und ihr zu Gefallen möchte ich mich alle Tage von meinem Bruder blutig schlagen lassen. Jakob kennt das Fräulein auch schon; ich habe ihm ihren Namen so oft vorgesagt, bis er ihn endlich gelernt hat. ›Tag Johanna, koch Kaffee, Johanna!‹ ruft er Hundertmal hintereinander, der gute Jakob.«

Während dieser Unterhaltung waren wir wacker vorwärts geschritten. Die schnelle Bewegung schien Anton gar keine Beschwerden zu verursachen, obgleich es sich ausnahm, als wenn er bei jedem Schritt über den als Stütze dienenden Krückstock zusammenbrechen müsse. Theilnahmvoll betrachtete ich ihn von der Seite; die Art, in welcher er sich über Johanna aussprach, hatte meinem Herzen wohlgethan, und wenn er auch hin und wieder eine bittere Bemerkung über seine traurige Lage mit einflocht, so mußte ich mir doch gestehen, daß gar manche gute Regungen in seiner Brust lebten. Dieselben äußerten sich nur leider in einer kindischen und manche, ja die meisten Menschen unangenehm berührenden Weise, und reizten hier zum Spott, während sie dort wieder eine gewisse Furcht vor dem ungestaltenen Geschöpf hervorriefen. Für mich dagegen verlor der arme Bursche, je länger ich mit ihm sprach, immer mehr von seiner Häßlichkeit, und der dankbare Ausdruck, mit welchem er zeitweise seine trüben Augen auf mich richtete, rührte mich dergestalt, daß ich fast unwillkürlich das Gefühl der Dankbarkeit in noch höherem Grade in ihm wachzurufen mich bestrebte. Und für ihn, der von seiner Geburt an dazu bestimmt gewesen, wie ein unnützes Stück, wie ein widerwärtiges Hinderniß herumgestoßen und mißhandelt zu weiden, genügten ja wenige wohlmeinende Worte, um ihm den ganzen Tag in ein heiteres, unvergeßliches Fest zu verwandeln.

Wir erreichten bald ein ländliches Gasthaus, vor welchem der Weg sich theilte, indem die eine Straße geradeaus nach dem nahe gelegenen Königswinter führte, die andere dagegen um den Fuß des Petersberges herum in das Siebengebirge hineinbog. Letztere war unser Weg, und wohl noch anderthalb Stunden hatte ich bis zur Oberförsterei zu wandern.

»Komm, Anton,« sagte ich zu meinem Reisegefährten, indem ich auf den mit Tischen und Bänken besetzten Platz vor der Schänke zuschritt, »komm, ich[] habe Hunger und Durst, ein Schoppen Drachenfelser wird mir dienlich sein.«

Anton folgte mir bis an den Gartenzaun, dort aber zog er sein schwarzes Brod aus der Tasche, und nachdem er derb in dasselbe hineingebissen, traf er Anstalt sich niederzulegen, um meine Rückkehr abzuwarten.

»Nein, Anton, so war es nicht gemeint,« wendete ich mich zu dem überraschten Burschen, »spare das Schwarzbrote für Deinen Jakob. Bin ich auch kein reicher Mann, wie der Schiffer meinte, so kann ich doch noch etwas weißes Brod, ein Stück Schinken und einen Schoppen Wein für Dich bezahlen.«

Erstaunt blickte Anton zu mir empor. »Wein will der liebe junge Herr mir geben?« fragte er mit vor innerer Bewegung heiserer Stimme.

»Ja, Anton, und so guten Drachenfelser, wie der Wirth ihn nur im Keller hat.«

»Ich danke dem lieben jungen Herrn viel tausendmal; werden der junge Herr mir den Wein und das schöne Weißbrod hierherschicken?«

»Bewahre, Anton, ich will in Deiner Gesellschaft essen.«

»Aber der Wirth, er erlaubt es nicht; ich verjage ihm die Gäste, und dann möchte es auch dem Herrn selber nicht in meiner Gesellschaft schmecken.«

»Ach was, Anton, mir verdirbst Du den Appetit weniger, als mancher schlank gewachsene, vornehme Narr mit gesteiften Vatermördern und Lorgnette, dem vor lauter Hochmuth das Gehirn verkrüppelte; wer keinen Gefallen an Dir findet, braucht Dich ja nicht zu beachten. Du setzest Dich zu mir an den Tisch, und den möchte ich sehen, der es wagte, mich auch nur mit einer Miene zu tadeln oder Dich schief anzusehen. Mußt wissen, Anton, ein Student ist ein großes Thier, welches sich von Niemand etwas befehlen läßt.«

Anton's trübe Augen wurden noch trüber; seine breite Brust hob und senkte sich schwer. Hätte ich ihm einen blanken Thaler geschenkt, seine Freude und seine Dankbarkeit hätten nicht größer sein kennen. Geschah es doch vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, daß ein anderer Mensch ihm als einem gleich berechtigten Wesen begegnete und sich seiner nicht schämte.

Jetzt, wo jene Zeiten so weit hinter mir liegen und ich mit ruhiger Ueberlegung zurückdenke, gestehe ich gern ein, daß neben meiner angeborenen Weichherzigkeit mich auch die unwiderstehliche Lust an bizarren Einfällen und der geheime Wunsch, Anton möge, wie er zu mir von Johanna gesprochen, dieser auch von mir erzählen, in meinem Benehmen gegen ihn leiteten. Als ich aber des armen Schelms unbegrenzte Dankbarkeit gewahrte und sogar eine Thräne in seinen Augen entdeckte, da wichen die jugendlich leichtfertigen Gedanken von mir und ich schämte mich vor mir selbst, so wenig, und dazu noch aus so unedlen Beweggründen gethan zu haben, um eine solche Dankbarkeit zu verdienen.

»Ist ein Student ein noch größeres Thier, als ein Wallfisch?« fragte Anton, indem er höflich seine Mütze zog und bescheiden auf der äußersten Ecke einer Bank mir gegenüber Platz nahm.

»Viel, viel größer, mein lieber Anton, so groß, [] in der That,« fügte ich mit erhobener Stimme hinzu, als ich bemerkte, daß ein hinzugetretener Aufwärter meinen Gast mit unfreundlichen Blicken betrachtete, »daß er mit Bequemlichkeit ein halbes Dutzend Kellner sammt ihrem Wirth zur Thür hinauswerfen würde, wenn Dir damit ein Gefallen geschähe.«

Der unverschämte Aufwärter entfernte sich mit einem sehr langen Gesicht, ein anderer stellte die geforderten Speisen und den Wein vor uns hin, und von Niemand weiter belästigt, begannen wir sogleich dem frugalen Mahle zuzusprechen.

Anton, obwohl er sich in meiner Gegenwart Zwang auferlegte, aß und trank, wie sich nicht anders erwarten ließ, mit wahrem Heißhunger; ich gönnte ihm den seltenen Genuß von ganzem Herzen, und nicht eher gab ich, das Zeichen zum Aufbruch, als bis er mit komischer Verlegenheit versicherte, daß er vollständig befriedigt sei.

Nach der kurzen Rast setzten wir, wo möglich noch mit beschleunigter Eile, unsere Reise in das Gebirge hinein fort. Anton war schweigsam geworden; ich glaube, er sann darüber nach, wie er mir auf seine Art eine Freude bereiten könne. Er fragte wenigstens mehrfach, ob ich Weidenflöten liebe oder schöne Steine und Blumen. Ich bejahte natürlich Alles, und nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es mir endlich, ihn wieder aus die Oberförsterei und namentlich auf Johanna zu sprechen zu bringen, und eine freundliche Unterhaltung gewährte es mir, zu hören, wie er in seiner kindischen und dabei doch so aufrichtigen Weise Johanna bis über die Wolken erhob und zuletzt sogar den Heiligen gleichstellte. So floh die Zeit mir schnell dahin und überrascht blickte ich empor, als Anton mir erklärte, daß wir nunmehr bei dem Nichtsteig angekommen seien, auf welchem ich in einer guten halben Stunde die Oberförsterei zu erreichen vermöge.

»Dann berühren wir wohl Deine heimathliche Hütte?« fragte ich, vergeblich nach einem Eingang in das dichte Buschwerk spähend.

»Nein, junger Herr,« lautete die mit triumphirendem Ausdruck gegebene Antwort, »um zu meiner Mutter Hütte zu gelangen, hätten wir schon früher abbiegen müssen. Diesen Pfad kennt, außer Anton, kein Mensch. Er ist auch schwer zu finden, denn schleiche ich in dieser Richtung durch den Wald, nehme ich mich stets in Acht, dieselbe Spur nicht zweimal zu betreten. O, es ist ein schöner Pfad, er führt über Felsen und durch Schluchten, aber der lahme Anton ist nicht so einfältig, ich kann klettern und kriechen und komme hin, wohin andere Leute nicht gern gehen.«

So sprechend bog er auf der rechten Seite des Weges die Haselbüsche auseinander, und gleich darauf schlossen sich dieselben wieder hinter uns. »So, lieber Herr, jetzt befinden wir uns auf dem Pfade,« sagte er nach einer Weile, als das Buschwerk sich etwas lichtete und zerstreut stehende verkrüppelte Eichen das Vordringen weniger erschwerten.

»Ich erkenne keinen Pfad, Anton, es sieht hier so aus, wie dort, ich meine, als wenn noch nie ein Mensch in dieser Richtung gewandert wäre.«

»Es sollen auch keine Menschen hier wandern, es ist Anton's eigner Weg und dann –«

[] »Und dann?«

Anton blieb stehen und wendete sich nach mir um, mich halb mißtrauisch, halb freundlich betrachtend.

»Der liebe junge Herr hat dem verachteten häßlichen Anton eine große Wohlthat erwiesen; er hat den schlechten Krüppel bei sich am Tisch sitzen lassen, mit mir gegessen und getrunken. Andere Leute schlagen und stoßen mich, daß ich davonlaufe und mich im Walde verberge, wo mich Niemand finden kann. Selbst Jakob kennt mein Versteck nicht; Jakob ist dumm, er würde mich verrathen und die Menschen zu mir führen. Der junge Herr dagegen ist ein gelernter Student und wird des armen Anton's heimliche Zufluchtsstätte nicht meinem Bruder zeigen.«

»Gewiß nicht, Anton, Dein Geheimniß soll bei mir gut aufbewahrt sein.«

»Nun ja, junger Herr, dieser Weg führt an meinem Schloß vorbei, ein stilles, schönes Schloß, und Ihnen will ich es zeigen, nur Ihnen allein, denn Sie haben den armen Krüppel bei sich am Tisch sitzen lassen und sich seiner nicht geschämt.«

Bei diesen Worten kehrte er sich kurz um, und wie um das Versäumniß einzuholen, hinkte er mit verdoppelter Eile immer tiefer in den Wald hinein.

Der Weg, oder vielmehr der pfadlose Boden wurde jetzt so hindernißreich und unwegsam, daß die Unterhaltung sich schon von selbst verbot, und nur nothdürftig prägte sich die von uns inne gehaltene Richtung meinem Gedächtniß ein. So gelangten wir allmälig in eine bewaldete Schlucht, die nicht nur stellenweise durch niedergebrochene Felstrümmer und schweres Gerölle fast unzugänglich erschien, sondern deren Einfassung auch auf kurze Strecken, bald auf der einen, bald auf der andern Seite, sich als schroffe Uferwände erhob und daher nur für Kräuter- und Beerensammler Anziehungskraft haben konnte.

Anton kannte indessen seinen Weg ganz genau, denn kein einziges Mal schaute er rückwärts oder äußerte er Zweifel über die eingeschlagene Richtung. Hier folgten wir dem Lauf einer spärlich durch das Moos hinsickernden Quelle, dort glitten und kletterten wir behutsam von Stein zu Stein, und machte sich auch in den oberen Luftschichten die Wirkung der höher steigenden Sonne fühlbar, so wurden wir bei unserer mühevollen Wanderung doch nicht durch die Hitze belästigt; denn die Schatten und die von dem Gestein ausströmende nächtliche Kühle vereinigten sich, unsern Weg in einen überaus angenehmen zu verwandeln.

Und angenehm war er unstreitig, denn die feierliche Stille, welche in der Schlucht herrschte, stand im vollsten Einklänge mit der wilden, malerischen Umgebung, und wenn hier, durch unsere Annäherung aufgescheucht, ein schlankes Wieset zwischen dem Gerölle hervorschlüpfte, dort ein Eichhörnchen munter von Zweig zu Zweig sprang, oder ein schillernd beschwingter Häher uns mit mißtönendem Schrei begrüßte, so trug das nur dazu bei, den Reiz der einsamen Wanderung noch zu erhöhen.

Etwa eine Viertelstunde hatten wir uns in der Schlucht fortbewegt, da blieb Anton plötzlich stehen, und nachdem er eine Weile in die Ferne gelauscht, flüsterte er mit geheimnißvollem Wesen: »Hier liegt das Schloß des verachteten Krüppels, es liegt sicher[] und schön, sogar die Hunde der Jäger sind schon vielfach dicht an meiner Thür vorübergegangen, ohne den armen Anton in seinem Vorsteck auszuwittern.«

»Ja, Anton, Dein Versteck, muß sehr sicher liegen, da ich es, trotz Deiner Andeutungen, nicht zu entdecken vermag,« entgegnete ich ihm zu Liebe ebenfalls in flüsterndem Tone.

Anton lachte, und mit seiner verstümmelten Hand auf eine steil aufstrebende Felswand weisend, sagte er kaum verständlich: »dort ist es; aber folgen mir nur der junge Herr,« fuhr er fort, sich der bezeichneten Felsenmauer nähernd, »der liebe Herr müssen hinein, um es zu glauben.«

Er hatte Recht, denn selbst als wir am Fuß der Wand angekommen waren, sah ich nichts, als eine Anhäufung von Felstrümmern, welche vom obersten Rande des Plateaus niedergestürzt waren und nunmehr bis zu einer Höhe von ungefähr zwanzig Fuß an der Wand hinaufreichten.

Vorsichtig folgte ich Anton nach, als er die wallartige Geröllanhäufung erkletterte und sich oben auf derselben rastend niederließ.

»Hier ist des armen Anton's Schloß,« sagte er, auf einen mäßig großen Felsblock deutend, dessen eine Hälfte von einer umfangreichen Stechpalme und verworrenen Brombeerranken vollständig verdeckt wurde; »die Hunde kommen hier nicht herauf, und kamen sie herauf, um mich zu beißen, so würden sie sich stechen und an den Dornen ihre Haut zerreißen.«

»Aber von dort unten kann Dich Jeder sehen, guter Anton,« versetzte ich, über die Einfalt des unglücklichen Menschen lächelnd.

»Ja, wenn ich hier sitze, aber nicht wenn ich mich verborgen habe,« und indem er noch sprach, glitt er nach der freien Seite des Felsblockes herum, wo er sich sogleich niederlegte.

Ich folgte ihm nach, und mit Verwunderung gewahrte ich, daß er zwischen dem Felsblock und der Wand, nachdem er einige die Oeffnung verdeckende Ranken zurückgebogen, in letztere hineinkroch.

Meine Neugier wurde rege, und von jeher dazu geneigt, jeden ungewöhnlichen, wenn auch sonst geringfügigen Umstand, mit jugendlich kühner Phantasie zu den wunderbarsten Gebilden umzuwandeln, glaubte ich auch hier die halb verschüttete Pforte eines aus dem Mittelalter herrührenden und nach einer der benachbarten Burgen hinaufführenden heimlichen Kellerganges vor mir zu sehen.

Obgleich ein Blick auf die Felsformation mich von der Unmöglichkeit eines solchen unterirdischen Baues hätte überzeugen müssen, stand ich doch nicht an, mich meinem Führer anzuschließen.

Nicht ohne Mühe und von den Dornen verletzt, gelangte ich in den Felsen hinein. Der Durchgang erweiterte sich nämlich schon nach einer kurzen, kaum zwei Fuß langen Strecke, und als sich meine Augen einigermaßen an die in dem abgeschlossenen Raum herrschende tiefe Dämmerung gewöhnt hatten, überzeugte ich mich leicht, daß der Eingang zu dem vermeintlichen schauerlichen Burgverließ eben nur eine, theils durch vulkanische Erschütterungen, theils durch atmosphärische Einflüsse entstandene Aushöhlung sei, welche durch die von dem Plateau niedergebrochenen Gesteinstrümmer von der freien Luft abgeschlossen wurde.

[] Wie nun die Trümmer niederwärts gerollt waren, senkte sich auch der Weg nach innen, jedoch nur wenige Fuß, indem der Boden der Aushöhlung, wahrscheinlich erst von Anton, durch das Nebeneinanderschichten der einzelnen Blöcke und Steine geebnet worden war.

Der Raum mochte, einige Unregelmäßigkeiten abgerechnet, ungefähr sechs Fuß nach allen Richtungen im Durchmesser halten, was Anton allerdings für mehr als genügend erachtete, um die enge Höhle, in welcher er zeitweise als alleiniger Selbstherrscher residirte, mit dem prahlenden Namen: »Schloß« zu belegen. Wie lieb ihm aber dies Plätzchen geworden, ging daraus hervor, daß er die Hälfte der Bodenfläche mit einer tiefen Lage Haidekraut bedeckt hatte, außerdem in dem einen Winkel ein großer steinerner Wassertrug stand, und in einer andern Ecke ein beträchtlicher Vorrath von Haselnüssen lag. Sonst bemerkte ich nichts, was noch einer eingehenderen Prüfung werth gewesen wäre; wo hätte der arme, oftmals gewiß darbende Bursche auch etwas hernehmen sollen, um seine verborgene Häuslichkeit mit größeren Bequemlichkeiten auszustatten? Ich bereitete ihm indessen die große Freude, mich lobend über seine Einrichtungen auszusprechen, woran ich meinen Dank für das unbedingte Vertrauen schloß, welches er mir durch Eröffnung seines heiligsten Geheimnisses erwiesen habe.

Nach kurzem Aufenthalt krochen wir wieder in's Freie hinaus; Anton reinigte meinen Sammetrock von den Spuren, die, wie er sich ausdrückte, das Geheimniß seines Schlosses verrathen konnten, und rüstig verfolgten wir dann wieder unsern hindernißreichen Weg.

Nach einer weiteren Viertelstunde öffnete sich die Schlucht, hin und wieder schimmerte eine Lichtung zwischen den Eichen- und Haselnußdickichten hindurch und bald darauf bogen wir in einen schmalen, mehr betretenen Pfad ein.

»Dort liegt die Hütte meiner Mutter,« sagte Anton, auf dem Pfade rückwärts deutend, »und dort die Oberförsterei,« fügte er hinzu, in entgegengesetzte Richtung weisend.

»Dann gehe nur nach Hause, guter Anton,« versetzte ich, ihm ein Silberstück als Belohnung für seine Dienste darreichend, »geht nur heim; dieser Pfad muß in die Landstraße münden, und bin ich erst dort, so befinde ich mich auf bekanntem Boden; übrigens glaube ich, diesen Pfad bei meinem frühem Umherstreifen schon betreten zu haben.«

»Jakob wartet noch etwas, und die Schläge von meinem Bruder werde ich noch früh genug erhalten,« erwiderte Anton bitter, indem er schnell vor mir her hinkte, »ich begleite den lieben, jungen Herrn bis an die Straße – o, lieber, junger Herr, hörten Sie nichts?« unterbrach er sich plötzlich, mit dem Ausdruck des Entsetzens stehen bleibend und zu mir zurückschauend.

»Ja, Anton, ich höre das Bellen eines Hundes.«

»Noch mehr, lieber, junger Herr, noch viel, viel mehr, o, der Hund, der Hund!«

»Es wird ein Hund des Herrn Oberförsters sein, der thut Dir nichts, ich stehe dafür ein.«

»Aber Jakob, ich höre Jakob! Sie thun meinem Jakob ein Leid an! Jakob! Jakob!« und so [] ausrufend stürmte er mit aller ihm nur möglichen Eile vorwärts.

Besorgt, daß die einzige Freude des armen verlassenen Menschen wirklich durch irgend einen Unglücklichen Zufall unwiederbringlich verloren gehen könne, eilte ich nunmehr ebenfalls vollen Laufs nach der Richtung hin, aus welcher daß zornige Bellen eines Hundes zu uns herüberschallte, und sich zwischendurch daß mißtönende Krächzen eines offenbar geängstigten Raben, welches Anton, begabt mit einem außerordentlich scharfen Gehör, bereits längst unterschieben hatte, deutlicher vernehmen ließ.

Schnell überholte ich den jammernden und keuchenden Krüppel, und von dem Pfade in den Wald einbiegend, gewahrte ich nach Zurücklegung von einigen Hundert Schritten den weiß- und braungefleckten Lieblingshund meines Vormundes, wie derselbe grimmig bellend einen vor ihm im hohen Grase einherschlüpfenden schwarzen Gegenstand bald eifrig verfolgte, bald, wenn derselbe sich in einen Strauch festgesetzt hatte, diesen mit allen Anzeichen der feindseligsten Absichten eilfertig umkreiste.

»Diana! hier heran! Diana! Diana!« rief ich fast athemlos. Der Hund erkannte meine Stimme, blickte zu mir herüber, aber meine Eile für eine ihm geltende Aufmunterung haltend, sprang er mit verdoppelter Wuth auf den Raben ein, und im nächsten Augenblick sah ich eine kleine Wolke schwarzer Federn emporwirbeln.

Der geängstigte Vogel mußte sich indessen nachdrücklich zur Wehre gesetzt haben, denn ebenso schnell sprang der Hund wieder zurück, einen kurzen, durchdringenden Schmerzensschrei ausstoßend.

Ehe dieser dann seinen Angriff erneuern konnte, war ich heran, ein leichter Hieb mit meinem Ziegenhainer trieb den bellenden und geifernden Hund zurück, und schnell näherte ich mich dem Raben, um mich zu überzeugen, in wie weit derselbe Schaden genommen und Verletzungen davongetragen habe. Anfangs glaubte ich, es sei um ihn geschehen; denn er saß in einem Grasbusch da, als ob beide nach oben gerichteten Flügel gelähmt gewesen wären, und erst als ich mich zu ihm niederneigte und er Miene machte, mich die Wucht seines mächtigen Schnabels fühlen zu lassen, schwand meine Besorgniß wieder.

In dem Aeußern des ergrimmten Vogels lag übrigens etwas merkwürdig Dämonisches; den Hals hatte er in die gesträubten Federn zurückgezogen, den Schnabel zur Hälfte geöffnet, und indem er den Kopf bald mir, bald dem abwärts stehenden Hunde zuwendete, blitzten seine runden schwarzen Augen so feindselig, als hätte er uns Beide mit seinen Blicken durchbohren mögen.

In der nächsten Minute kam Anton herbeigehinkt. »Jakob, Jakob!« rief er laut klagend aus, während Thränen über seine Wettergebräunten Wangen rollten; »Jakob, ich komme, Jakob! Jakob!«

»Johanna, koch' Kaffee!« antwortete Jakob mit einer Stimme, die sich kaum von der Anton's unterschied, und dann seine Federn glättend und den Hals ausreckend hüpfte er furchtlos an mir und dem Hunde vorüber auf seinen jammernden Gebieter zu.

»Jakob, was haben sie Dir gethan!« schrie Anton, als der Vogel, anstatt, wie gewöhnlich, auf [] seine Schulter zu stiegen, sich mit empor gehaltenen Schwingen vor ihm niederkauerte.

»Spitzbube! Spitzbube!« sprach der Rabe, seine klugen Augen auf Anton richtend.

Anton hatte unterdessen seine Furcht: das Schlimmste zu entdecken, überwunden, und bitterlich schluchzend kniete er neben seinen einzigen Freund nieder, ihn mit rührender Sorgfalt von allen Seiten betastend.

»O, sie haben ihm die Flügel gebunden!« rief er gleich darauf schmerzlich aus, »die Flügel gebunden, damit die Hunde ihn zerreißen sollen! Das hat mein Bruder gethan und meine Mutter hat zugesehen! Aber unser Haus verbrenne ich, wenn Jakob stirbt. Armer Jakob, sei nur ruhig, ich habe Dir Brod mitgebracht, auch ein Stückchen Fleisch; der junge Herr gab es mir, und ich habe bei ihm am Tische gesessen, ich, der arme, verachtete Krüppel!«

Der Rabe, als hätte er seines Herrn Trostesworte verstanden, warf mir einen flüchtigen Blick zu, worauf er ein häßliches Lachen ausstieß, welches dem Anton's so ähnlich war, daß ich, wäre meine Aufmerksamkeit ihm nicht gerade zugewendet gewesen, dadurch hätte getäuscht werden können und ich unwillkürlich mitlachen mußte.

Endlich war es Anton gelungen, die fesselnde Schnur von seines Lieblings Flügeln zu entfernen, und athemlos vor Furcht und Spannung richtete er sich auf, um zu sehen, wie der Rabe sich nunmehr geberden würde. Dieser, sobald er sich befreit fühlte, reckte zuerst den einen und dann den andern Flügel prüfend aus, schlug seinen Schnabel mehrere Male mit lautem Geräusch zusammen, ging einige Schritte zurück, wie um einen Anlauf zu nehmen, und im nächsten Augen blick saß er zu Anton's unaussprechlicher Freude auf dessen Schulter, seinen Kopf schmeichelnd an dessen rauher Wange reibend.

»Er ist noch gesund, er lebt noch und der liebe, junge Herr hat ihn gerettet,« sagte der arme Bursche, mit Thränen der Dankbarkeit in seinen Augen.

»Mich freut nur, daß wir zur rechten Zeit gekommen sind,« entgegnete ich, den Raben streichelnd, was dieser mit einem heisern Lachen geschehen ließ, mir sogar seinen Scheitel hinhaltend, als die Stelle, auf welcher ihm Liebkosungen am angenehmsten seien. »Der liebe, junge Herr weiß nicht, welche Wohlthat er mir erwiesen hat – «

»Laß nur Anton, ich habe Dir den kleinen Dienst mehr als gern erwiesen; geh nur nach Hause, auch ich muß mich jetzt beeilen, man wird mich auf der Oberförsterei bereits erwarten.«

»Wenn ich nicht ein so unglücklicher Krüppel wäre, fände ich vielleicht Gelegenheit, dem Herrn Studenten wieder zu dienen.«

»Danke, danke, mein lieber Anton, ich bin schon vollständig mit Deinem guten Willen zufrieden, laß Dich nur öfter einmal auf der Oberförsterei sehen, Fräulein Johanna – «

»Johanna, koch' Kaffee!« unterbrach mich der Rabe krächzend.

»Gewiß Jakob, sie wird Euch einen guten Kaffee kochen,« fuhr ich fort, und dann Anton zum Abschied die Hand reichend und den Hund an mich lockend.[] schritt ich quer durch das Gebüsch der nahen Landstraße zu.

Einmal noch schaute ich zurück; Anton hatte sich auf den Rasen niedergelassen; auf seinen Knieen saß der Rabe, mit dem Wesen eines Feinschmeckers die Brocken verzehrend, welche sein Gebieter und Freund ihm darreichte.

»Wenn Anton einen Kalender hätte und schreiben und lesen könnte, würde er den heutigen Tag gewiß dreimal unterstreichen,« dachte ich, indem ich frohen Herzens meinen Weg verfolgte; »armer Kerl, ich möchte Deinen Bruder wirklich einmal überraschen, wenn er seine Fäuste an Dir versucht. Beim Vater Homer und allen schönen Göttinnen des Olymps! wie würde ich ihm das Leder gerben!«

»Im Wald und auf der Haide

Da such' ich meine Freude – «

begann ich zu singen, während ich den Hund beobachtete, wie derselbe kunstgerecht vor mir her suchte.

Ein Pfiff ertönte aus nicht allzu großer Ferne zu mir herüber. Der Hund hob den Kopf und lauschte.

»Diana! Diana! Wo steckt der Satan!? Hier herum!« erschallte gleich darauf meines Vormundes Kommandostimme.

Diana stob spornstreichs davon, ich setzte über den Graben aus dem Walde auf die Straße, und als ich mich dann der Oberförsterei zuwendete, erblickte ich einen Herrn und eine Dame, die mir langsamen und gemächlichen Schrittes entgegen kamen.

Hätte ich sie wirklich nicht sogleich erkannt, Diana, die mit stürmischer Zärtlichkeit abwechselnd an beiden Spaziergängern emporsprang, würde mich bald genug über sie aufgeklärt haben.

Siebentes Capitel.
Die Botschaft.

»Tausend Donnerwetter, Junge, das nenne ich pünktlich!« rief mir mein Vormund zu, als ich mich ihm auf bequeme Hörweite genähert hatte. »Johann wollte schon vor einer Stunde hinaus, um zu sehen, ob Du noch nicht zu sehen seist, nicht wahr Schätzchen?«

Johanna reichte mir mit einem holden Lächeln die Hand; »wenn auch nicht ganz vor einer Stunde, so kann doch beinah' eine halbe Stunde seitdem verflössen sein,« sagte sie, schalkhaft zu dem alten Herrn emporblickend, »und da Gustav selbst die Zeit bestimmt hatte, so dachte ich – «

»So dachtest Du, er müsse unbedingt eine Stunde vor der verabredeten Zeit eintreffen,« fiel ihr der Oberstlieutenant lachend in die Rede; »o ich kenne meinen vortrefflichen Gustav,« fuhr er fort, die Klappe auf seinem blinden Auge etwas lüftend, wie um mich genauer zu betrachten, und mir demnächst die Hand schüttelnd, als hätte er mir den Arm aus dem Gelenk reißen wollen; »bricht allerdings früh genug auf, muß aber unterwegs oft anhalten, hier um einen Schoppen zu trinken, dort um ein niedliches Bauermadchen etwas genauer zu betrachten« –

»Wofür er gewiß zu entschuldigen ist, lieber Onkel, denn ich kann mir kaum etwas Niedlicheres denken, als ein sonntäglich geputztes Bauermädchen mit dem zierlichen Spitzenhäubchen und der dasselbe[] steif haltenden silbernen Spange,« versetzte Johanna in naiv überzeugender Weise.

»Bravo Johann!« rief der Oberstlieutenant, mir einen verschmitzten Seitenblick zuwerfend aus, »das nenne ich verständig geurtheilt; 's gab eine Zeit, in welcher ich selbst – doch das ist nichts für Dich, und zudem ist es schon zu lange her« –

»Es war damals und zwar lange vorher, eh' der Herr Rittmeister Werker sich das eiserne Kreuz verdienten,« schaltete ich ein, mich zwischen Onkel und Nichte drängend und mit ihnen den Rückweg nach der Oberförsters einschlagend.

»Hm, ja!« brummte der alle Krieger, indem er die Brust etwas weiter herausdrückte und behaglich seinen langen weißen Schnurrbart strich.

»Damals, als eine gewisse Lisette, das schönste Mädchen im weiten Umkreise, erklärte, nicht ohne einen gewissen Rittmeister Werker leben zu können« –

»Richtig, Junge, richtig, sie war das schönste Mädchen weit und breit.«

»Damals, als der unvorsichtige Granatsplitter« –

»Mir das Auge ausgeschlagen hatte« –

»Und ein gewisser Rittmeister Werker von sich behaupten durfte, daß die schöne Lisette lieber in sein einziges Auge, als in die zwei Augen anderer Offiziere schaute.«

»Ganz richtig, Junge, der aber mit seinem einen Auge heute noch mehr sieht, als Du, naseweiser Patron, mit Deinen beiden.«

»Quod demonstrandum erit.«

»Nein, Junge, was schon längst bewiesen ist, indem ich Deine beiden Augen sehe, während Du von mir nur eins siehst.«

»Ja, Herr Oberstlieutenant, das läßt sich nicht ableugnen, aber ich glaube, Sie gäben Ihre Kriegserfahrungen noch lange nicht für ein neues Auge hin.«

»Nein, Junge, bei Gott nicht; schabe, daß Du Anno 14 noch keine Hosen trugst, hätte Dich gerade noch in meiner Schwadron gebrauchen können.«

»Müssen aber doch schöne Zeiten gewesen sein!«

»Zeiten, wie sie noch nie dagewesen sind und auch nie wiederkehren werden. Ha, Kinder, das war ein Drang nach Freiheit, ein Geist, der alle Schichten der Bevölkerung wie mit Zaubergewalt durchfuhr! Donnerwetter! ich war damals ältester Rittmeister; hatten schlechtes Avancement gehabt; mußte meine Schwadron vollzählig machen oder vielmehr eine neue bilden; wie sie herbeigerannt kamen, um« –

»Um bei des Herrn Rittmeisters Werker Schwadron einzutreten,« unterbrach ich meinen Vormund, um ihn allmälig in seine angenehmste Stimmung gleichsam hineinzudrängen.

»Ruhig im Gliede! Keine Insubordination! Johann, Brustkasten heraus! Schultern zurück! Also, bei welcher Schwadron war einerlei, um überhaupt die Franzosen dreschen zu helfen. Ja, wie sie kamen, Leute mit grauen Haaren und Jungens, die eben erst das A B C hinter sich hatten! Schade, schade, Gustav, daß Du damals nicht so alt warst wie heute, hätte wirklich aus Dir etwas werden können. Diesen Ruhm, den wir ernteten, und diese Hiebe, die wir austheilten! Aber etwas freut mich an Dir, Junge,« rief er plötzlich aus, indem er mich mit vollster Kraft auf die Schulter schlug, »trägst wenigstens ein schwarz [] und weißes Käppchen, während so viele andere Studenten an ihren Mützen und Uhrbändern alle zwölf Regenbogenfarben zeigen. Lauter dumme Jungen, werden aber mit den Jahren gescheidter werden und richtig beten lernen.«

»Beten lernen, lieber Onkel?« fragte Johanna, die im ersten Augenblick glaubte, der Oberstlieutenant wolle den Studenten im Allgemeinen den Vorwurf der Gottlosigkeit machen.

»Ja, Mädchen, beten, ich meine richtig beten, so wie der alte Dessauer; zum Beispiel: Unser Vater im Himmel, hilf uns die verfluchten Franzosen zusammenhauen, und wenn Du uns nicht helfen willst, so hilf ihnen wenigstens auch nicht; wir wollen's dann schon allein ausfechten – oder das Donnerwetter soll drein schlagen! Ja, Schätzchen, so beteten wir damals und das hat geholfen!«

»Und Ihre junge Schwadron schlug sich wie lauter alle gediente Leute?« fragte ich, während ich etwas wie leise Vorwürfe darüber empfand, durch meine Verbindung mit Bernhard die Erwartungen meines Vormundes in so hohem Grade zu täuschen, und zugleich wünschte, daß der Versucher mich, wie es fast schien, vergessen haben möge oder auch seine Offenherzigkeit gegen mich bereue.

»Wie lauter Veteranen,« wiederholte der Oberstlieutenant stolz, abermals seine Augenklappe lüftend und demnächst wieder seinen Schnurrbart martialisch empordrehend, »o ja, Kinder, wie lauter Veteranen, die beim alten Fritz selber in der Schule gewesen; aber die eine Geschichte muß ich Euch erzählen, und bitte ich Euch daher, mich nicht mit naseweisen und der Gelegenheit nicht angemessenen Bemerkungen zu unterbrechen,« und nun begann der alte Herr zu erzählen von Kanonendonner und Attaquen, daß es eine wahre Freude war. Sein Auge leuchtete dabei wie das eines Jünglings, der Schnurrbart sträubte sich empor, wie die Rückenhaare einer boshaften Katze, die Augenklappe stand mehr nach oben, als nach unten gerichtet, und wenn er einen unglücklichen Stein vor sich im Wege liegen sah, dann schickte er ihn vor Kampfeslust durch eine geschickte Prime mit seinem Krückstock wirbelnd in's Gebüsch, daß ich glaubte, der braun gebeizte feste Kreuzdornzweig müsse von der Wucht des Hiebes zersplittern.

Ich aber, nachdem ich den alten Herrn auf sein Lieblingsthema gebracht, schritt schweigend an seiner Seite dahin. Johanna hatte mit bezaubernder Zutraulichkeit ihren Arm in den meinigen gelegt; ihre schönen Augen Hafteten bald auf der zwischen hohen Bäumen auftauchenden Oberförstern, bald mit gespannten, Ausdruck auf dem leidenschaftlich erregten Antlitz ihres Onkels. Die Geschichten waren ihr noch neu und indem sie theilnahmvoll auf jedes Wort lauschte, zweifelte sie offenbar, wem die meiste Bewunderung gebühre, ob nun den damaligen, alle Herzen erhebenden Zeiten, oder dem nach ihren Begriffen tapfersten und unübertrefflichsten aller Krieger und Onkels.

Ich kannte die alten lieben Geschichten schon längst in- und auswendig und war nie um eine Antwort oder einen Ausdruck des Beifalls verlegen; ich durfte daher mit Muße das süße Engelsbild an meiner Seite betrachten, dessen Arm so weich und so warm[] auf dem meinigen ruhte, daß ich mitunter sogar glaubte, den regelmäßigen, aber schnellen Pulsschlag zu fühlen. Und wenn ihre Locken durch eine hastige Bewegung ihres Hauptes die meinigen berührten, wenn ihr Athem mein Gesicht so warm streifte und wenn ihre kleine zarte Hand bei der Schilderung irgend einer drohenden Gefahr unwillkürlich meinen Arm etwas fester drückte, o wie mir dann das Blut zum Herzen drang und ich in Gedanken aufjauchzte vor nie geahnter Glückseligkeit! Ich hätte ihr zu Füßen sinken, ihr in wilder Freude beweisen und beschwören mögen, daß das Geschick uns Einen für den Andern bestimmt habe, wir uns jetzt schon als mit einander auf ewig und unauflöslich verbunden betrachten dürften.

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar;«

recitirte ich immer und immer wieder in Gedanken, während mein alter würdiger Vormund Batterien auf Batterien auffahren ließ, hier ganze Regimenter mit Kartätschen niederschmetterte, dort im geschlossenen Reiterangriff die furchtbarsten, von Bayonnetten starrenden Carré's sprengte, oder auch einem sterbenden Kameraden zum letzten Mal die fast leere Feldflasche darreichte.

»Himmel Sapperment, Junge, das sage ich Dir!« wendete er sich plötzlich in der Hitze des Gefechts mit kühn blitzendem Auge mir zu, »das sage ich Dir, ich bin jetzt ein Mann des Friedens, aber Dir zu Gefallen wünsche ich von ganzem Herzen, daß morgen der Krieg wieder ausbräche – und in Frankreich spukt es ja schon wieder, – wenn auch nur, um Dir den Genuß zu gönnen, mit geschwungenem Säbel als der Erste in ein feindliches Carré einzubrechen, und sollte Dich im nächsten Augenblick der Teufel holen!«

»Onkel!« rief Johanna mit so unbeschreiblich holdem Erschrecken aus, daß ich sie dafür an meine Brust hätte drücken und ihre lieben, schwärmerischen Augen mit tausend Küssen bedecken mögen.

»Was ist da zu onkeln?« fragte der in kriegerisches Feuer gerathene alte Krieger zurück, »Du mußt nur nicht Alles gleich wörtlich nehmen, Schätzchen, denn auch ich mag den Jungen leiden; und wenn ich vom Teufelholen spreche, so handelt es sich nicht gleich um Pferdefuß und Schwanz. Eigentlich wollte ich damit nur sagen: und wenn er im nächsten Augenblick in tausend Millionen Granatstücke zerhackt würde.«

»Dann wäre er ja todt,« versetzte Johanna, zuerst mir und demnächst dem Oberstlieutenant schelmisch zulächelnd.

»Das verstehst Du nicht, Schätzchen,« entgegnete Letzterer ernst, und wiederum flog die grüne Augenklappe empor, wiederum erhielt der Schnurrbart eine heftige, spiralförmige Drehung und wiederum erweiterte sich die mit dem Kreuz geschmückte Brust um einige Zoll nach vorn, »nein, mein Kind, das verstehst Du nicht, gleichst darin Deiner Tante, meiner alten Lisette, auf ein Haar. Die sprach auch immer von Todtschießen und dergleichen. Der Tod auf dem Schlachtfelde ist ein Heldentod, und ein Heldentod ist das Schönste, was es auf der Welt giebt, und wer als Held stirbt, dem wird ein Denkmal gesetzt, um kommenden Geschlechtern von den Thaten ihrer Vorfahren zu erzählen. Ja, mein lieber Johann, lieber [] zehnmal hinter einander auf dem Felde der Ehre durch alle nur denkbaren Geschosse in's Jenseit befördert, als einmal im Bette gestorben!«

Johanna lächelte, als ob sie das Sterben, in welcher Form es auch immer sei, überhaupt nicht für etwas so sehr Schönes und Wünschenswerthes halte. Eine solchen Ansichten entsprechende schalkhafte Antwort schwebte unstreitig auf ihren Lippen, doch wurde dieselbe dadurch zurückgehalten, daß ein etwas wüst darein schauender Mann sich uns näherte und mit einem sehr höflichen: »Guten Morgen, Herr Oberstlieutenant« vorüberschritt.

Mein Vormund berührte mit dem Zeigefinger der rechten Hand militairisch grüßend den breiten Schirm seiner Jagdmütze, während Diana dem Fremden einige Schritte mit gesträubten Rückenhaaren folgte. »Diana, hier heran!« kommandirte der Oberstlieutenant; »der Hund kennt den Patron,« wendete er sich darauf uns zu, »er ist einer der verwegensten Forstfrevler, sonst aber nicht ohne Bildung, denn er hat in Köln bei den Achtundzwanzigern gestanden.«

Auf diese Bemerkung schaute ich zurück, um den Bezeichneten, der mich durch einzelne Züge seines Gesichts an Anton erinnerte, genauer in's Auge zu fassen, als ich ihn auch schon, die Mütze in der Hand, auf mich zuschreiten sah.

»Der junge Herr haben etwas verloren,« sagte er, mir einen unregelmäßig gefalteten Zettel darreichend.

»Ich glaube nicht,« gab ich zur Antwort, indem ich meine Taschen flüchtig betastete.

»Excüsiren der Herr Student, aber ich sah es aus Ihrer Tasche fallen,« entgegnete der Fremde, der dem Arbeiterstande anzugehören schien, und mit einem eigenthümlichen, halb verschmitzten, halb unterthänigen Lächeln unter seinen weißen Wimpern und Brauen hervorblinzelte.

»So nimm ihm doch den Zettel ab,« bemerkte mein Vormund unfreundlich, und im nächsten Augenblick befand sich das Papier in seinen Händen.

»Wahrhaftig, Du mußt es verloren haben,« fügte er gleich darauf hinzu, »hier steht es groß und breit: Herr Gustav Wandel, für die Fahrt mit der Schnell Post von Bonn nach Köln entrichtet, und so weiter; er kann gehen, mein Freund, der alte Postschein ist kein Trinkgeld werth, und laß er sich nicht wieder beim Holzdiebstahl erwischen.«

»Zu Befehl, Herr Oberstlieutenant,« entgegnete der Fremde, die Hacken seiner plumpen Stiefel mit lautem Schall zusammenschlagend; »excüsiren der Herr Oberstlieutenant,« fuhr er fort, »that nur meine Schuldigkeit als ehrlicher Mann und dachte nicht an Trinkgeld.«

Mein Vormund berührte leicht seinen Mützenschirm; der Fremde machte geräuschvoll Kehrt, bedeckte sein Haupt und schritt davon, und wir bewegten uns wieder langsam der nur noch einige hundert Schritte entfernten Oberförstern zu.

Den Zettel hielt mein Vormund noch immer in der Hand. Er wollte ihn eben, weil ich an wichtigere Dinge, als an einen alten Postschein dachte – den ich übrigens wirtlich meiner Tasche entfallen glaubte – wegwerfen, als er ihn plötzlich aufmerksamer betrachtete.

[] »Das ist wohl ein Register Deiner Schulden oder ein gelehrtes Rechenexempel?« fragte er, mir den Schein hinhaltend.

Mechanisch nahm ich das Papier; kaum aber hatte ich einen Blick auf einige auf der Rückseite desselben mit Bleistift geschriebene Zahlenreihen geworfen, so fühlte ich, daß ich erbleichte. Ich erkannte nämlich eine in Chiffreschrift an mich gerichtete Botschaft, doch wirbelten die einzelnen Zeichen vor meinen Augen so durcheinander, daß an ein schnelles Deuten derselben gar nicht zu denken war, zumal ich im Lesen derartiger Briefe noch nicht die rechte Uebung erlangt hatte.

»In der That ein wichtiges Exempel,« antwortete ich, mit verstellter Sorglosigkeit das Papier zusammenknitternd und in die Tasche schiebend, »dasselbe zu verlieren, wäre mir wirklich unlieb gewesen.«

Hätte der Oberstlieutnant, anstatt noch immer in der Erinnerung an seine Kriegsjahre zu schweigen, mich schärfer beobachtet, oder wäre Johanna's Aufmerksamkeit weniger der romantisch gelegenen Oberförsterei zugewendet gewesen, so hätte ihnen unmöglich die Verwirrung entgehen können, welche sich ohne Zweifel auf meinen Zügen ausprägte.

Daß Bernhard, oder überhaupt die Anführer der geheimen Verbindung mich gerade da, wo ich es am wenigsten erwartete, zu finden wußten, daß sie einen dem Anschein nach moralisch ziemlich werthlosen Menschen zum Ueberbringer ihrer Botschaft gewählt hatten und mich dadurch bis zu einem gewissen Grade von diesem abhängig machten, daß ich ferner gezwungen war, nicht nur meinen alten ehrenwerthen Vormund, sondern auch Johanna, der Ich bereits mein ganzes Herz zugewendet hatte, in so grober Weise zu täuschen, Alles dieses stürmte mit einer so erdrückenden Wucht auf mein Gewissen ein, daß ich unfähig war, die Unterhaltung wieder in der frühern, sorglosen heitern Weise zu eröffnen oder auch nur einem zwischen dem Oberstlieutenant und seiner Nichte geführten Gespräch mit Aufmerksamkeit zu folgen. Der seltsame Bote schwebte mir wie ein drohendes Gespenst vor, und als ich, um mein Gesicht vor meiner lieblichen Gefährtin auf Augenblicke zu verbergen, noch einmal zurückschaute, gewahrte ich, daß derselbe stehen geblieben war, offenbar in der Absicht, sich zu überzeugen, ob der geheinmißvolle Brief in meinen Besitz übergehen oder fortgeworfen werden würde.

Als er meine Bewegung bemerkte, lüftete er, wie zum Zeichen des Einverständnisses, unverschämt seine Mütze, worauf er sich eiligst entfernte, was natürlich nicht dazu beitrug, meine Verwirrung und Verlegenheit zu verringern. Dabei fühlte ich, daß ich nothgedrungen das so plötzlich eingetretene Schweigen brechen müsse, wenn ich nicht mit Gewalt Onkel und Nichte auf meine veränderte Gemüthsstimmung hinweisen wollte.

»Der Mensch, der uns eben begrüßte, hat sehr wenig Empfehlenswertes in seinem Aeußeren,« bemerkte ich, um überhaupt etwas zu sagen, fast wie zu mir selbst sprechend.

»Nicht viel,« antwortete der Oberstlieutenant, einen Doppelhieb nach einem dicht am Wege hoch emporgeschossenen Diestelkopf führend, »ich würde mich blitzwenig darüber grämen, wenn er mein Revier auf Nimmerwiedersehen verließe, trotzdem er drei Jahre bei den Achtundzwanzigern gestanden hat.«

[] »Dann wohnt er wohl im Bereich Ihrer Forstverwaltung?«

»Allerdings thut er das; er, seine Mutter und sein Bruder, der unglückliche Anton – wenn Du Dich des armen lahmen Krüppels erinnerst – leben eine Viertelstunde von hier auf einer kleinen Lichtung. Eine saubere Gesellschaft; sie besitzen etwas Gartenland, gerade genug, um nicht zu verhungern, doch habe ich noch nie gesehen, daß sie auf Arbeit gegangen wären; muß daher nicht recht geheuer bei ihnen sein. Habe ihn im Verdacht, daß er weiß, wer die Hasenschlingen stellt, die zuweilen im Walde gefunden werden.«

»Also Anton's Bruder,« dachte ich mit wachsendem Unmuth, »was habe ich von einem Menschen und Mitwisser meiner Geheimnisse zu erwarten, der seinen lahmen Bruder ans so schonungslose Art mißhandelt?«

»Trifft den Anton denn ebenfalls Ihr Vorwurf?« fragte ich gleich darauf zerstreut.

»Nein, wenigstens nicht, daß ich es wüßte,« entgegnete der Oberstlieutenant, »der arme Teufel ist überhaupt unzurechnungsfähig und bei seiner Mutter gerade nicht am besten aufgehoben. Jedenfalls schmeichelt er sich, der erträglichste in dem Kleeblatt zu sein.«

»Von Plittersdorf aus war er mein Reisegefährte.«

»Gewiß ein interessanter Gesellschafter?« lachte mein Vormund. »Aber hast Recht, Junge, man muß Mitleid mit derartigen Leuten haben; wäre er im Kriege krumm und lahm geschossen worden, würde er allerdings nicht zu betteln brauchen.«

»Man hat indessen Beispiele, daß Krieger, deren Arme oder Beine auf Leipzig's Feldern zu Staub wurden, sich noch glücklich schätzen, gegen baare Bezahlung einen Gewerbeschein ausgefertigt zu erhalten, kraft dessen es ihnen gestattet ist, durch die Töne einer verstimmten Drehorgel die Herzen ihrer Mitbürger, für die sie ihr bestes Herzblut Hingaben, zu rühren,« versetzte ich nicht ohne Bitterkeit; doch bereute ich meinen Ausspruch im nächsten Augenblick wieder, als ich gewahrte, daß der rechtlich denkende alte Herr leicht erröthete und sich verlegen abwendete, scheinbar, um den Flug einiger wilden Tauben zu beobachten. Dieses indirecte Anerkennen und Billigen meines Vorwurfs gewahrte mir indessen auch wieder eine Art von Genugthuung, und ruhiger dachte ich über die Ungewisse und gefährliche Lage, in welche mich zu stürzen ich im Begriff stand.

Nachdem mein Vormund ein kurzes Kavalleriesignal gepfiffen, kehrte er sich mir wieder zu:

»Junge, Du magst ein ganz gescheidter Jurist sein,« begann er sehr ernst und gemessen, »Du magst auch eine Schulbank von einem Remontepferd unterscheiden können; allein das sage ich Dir, von Militairangelegenheiten verstehst Du ebenso wenig, wie meine Lisette sich zum Professor der Philosophie eignet. Merke Dir daher, was Deines Amtes nicht ist, laß Deinen Vorwitz bleiben, oder ein Donnerwetter soll gleich drein schlagen!«

Ich fühlte, daß bei diesem Vorwurf, der gegen andere Strafpredigten, die mir schon in meinem Leben von dem treuherzigen alten Haudegen zu Theil geworden, eine reine Schmeichelei war, Johanna mich erschreckt und verstohlen von der Seite betrachtete, um zu errathen, wie die barschen Worte wohl gemeint seien und wie ich sie aufnehmen würde.

[] Um daher das liebe Mädchen zu beruhigen, lächelte ich vergnügt vor mich hin, worauf ich mit erheuchelter Sorglosigkeit entgegnete:

»Ist mir schon genug, einen Vormund zu besitzen, auf den ich mit Recht stolz sein darf, und da aus mir doch nie ein Oberstlieutenant Werker hätte werden können, selbst wenn ich, wie er, bei Jena und Leipzig mitgefochten hätte und sogar ein unvorsichtiger Granatsplitter etwas zu dicht an meinem Auge vorübergeflogen wäre, so ist es mir nicht zu verargen, daß ich die Militairkarriere nicht einschlug. Aut Caesar, aut nihil, was auf Deutsch heißt, entweder ein Oberstlieutenant Werker, oder nicht einmal der jüngste Rekrut in der ganzen königlich preußischen Armee.«

»Johann, hast Du's gehört, wie der Schlingel sich über Deinen Onkel lustig macht?« rief der Oberstlieutenant mit verstelltem Grimme aus, »aber wir wollen ihn strafen, und Du sollst dabei helfen. Laß Dir nur den Kellerschlüssel gleich geben, und dann hole eine mit gelbem Siegel herauf, Du weißt schon, Mädel; und wenn Du sie schleppen kannst, dann nimm in jede Hand eine.«

»O, lieber Onkel, ich bin stark, ich könnte deren vier tragen,« entgegnete Johanna lachend.

»Zwei, und dabei bleibt's; abgemacht, nicht raisonirt!«

»Es war ein glücklicher Zufall, der mich mit Anton zusammenführte,« warf ich jetzt wieder ein, »denn nicht genug, daß er mich auf einem nähern Wege durch den Wald führte, fand ich auch Gelegenheit, seinen gezähmten Raben zu retten, der sonst ganz gewiß von Diana zerrissen worden wäre.«

»Was? an einem Raben hast Du Dich vergriffen?« rief der Oberstlieutenant barsch, indem er sich nach dem Hunde umkehrte, der, als hatte er die Frage verstanden, demüthig wedelnd herbeischlich, »und noch dazu an des armen Anton's Raben? Pfui, schäme Dich! Die Bestie hat doch wohl keinen Schaden genommen?« fragte er mich darauf theilnehmend.

»Noch nicht, kam ich aber eine Minute später, so war es um das arme Thier geschehen.«

»Das ist mir lieb, das ist mir lieb; Johann, wenn Anton sich wieder sehen läßt, dann sorge dafür, daß er satt gemacht wird. Gieb dem armen Teufel auch noch Etwas mit auf den Weg, um ihn für seine ausgestandene Angst zu entschädigen.«

»Mit Freuden, lieber Onkel,« antwortete Johanna schnell, und dann ihren Arm aus dem meinigen zurückziehend, eilte sie uns über den Hof voraus der Hausthüre zu, in welcher wir von der Frau Oberförsterin erwartet wurden.

Die würdige Dame prangte in ihrem schönsten sonntäglichen Kleide; sie war schon im nächsten Dorfe, wohin ihr »Alter« sie hatte fahren lassen, zur Messe gewesen, und auf ihren freundlichen Zügen stand geschrieben, daß das Bewußtsein, für sich, für den Oberstlieutenant und für uns Alle gebetet zu haben, sie in die zufriedenste Stimmung versetzte.

Der Empfang, welcher uns von Seiten der ehrsamen Hausfrau zu Theil wurde, war ihrer Stimmung entsprechend, und wie eine freundliche Mutter warf sie mir vor, daß ich die Oberförsterei seit undenklichen Zeiten nicht besucht habe.

[] Wie eine freundliche Mutter nahm sie aber auch meine Entschuldigungen entgegen, und ein gewisser dankbarer Stolz leuchtete aus ihren Augen, als sie gewahrte, daß ich, gleich nach meinem Eintritt, einen kleinen grünen Zweig, den ich besonders zu diesem Zweck im Walde gebrochen und auf meine Mütze gesteckt hatte, zu Häupten ihres Lieblings-Mutergottesbildchens befestigte.

Johanna Halle unterdessen die gelbgesiegelten Flaschen heraufgeholt, und eine glücklichere und heiterere Gesellschaft hat die Sonne Wohl selten beschienen, als wir bildeten, nachdem wir uns um den einfachen, aber wohlbesetzten Frühstückstisch gereiht hatten. Zwar brannte mir der Zettel mit der geheimnisvollen Botschaft wie Feuer in der Tasche, doch hatte ich fest beschlossen, mich während meines Zusammenseins mit Johanna und den beiden guten alten Leuten durch nichts verstimmen zu lassen; und wenn auch anfangs unter heimlichen Seelenkämpfen, so gelang es mir doch allmälig, alle Gedanken an meine Lage und die daraus entspringenden Verwickelungen vollständig zu besiegen und die schöne Gegenwart mit vollen Zügen zu genießen.

Erst des Nachmittags, als die beiden alten Leute sich auf ein Stündchen zur Ruhe begeben hatten und Johanna ihren häuslichen Beschäftigungen nachgegangen war, fand ich die Gelegenheit, mir unbemerkt Kenntniß von dem Inhalte des gefährlichen Schreibens zu verschaffen.

Es enthielt nur wenige Worte; dieselben waren in dessen wohl dazu geeignet, meine leicht erregbare Phantasie zu berauschen und mich in einen hohen Grab von Spannung zu versehen.

»Dem Bruder Gustav Wandel,« lautete die Überschrift. »Ein feierliches, geheimnißvolles Rauschen durchzieht die von Giftpflanzen umwucherten deutschen Eichen; das alternde Mark der heiligen Bäume fühlt sich durchdrungen von neuen frischen Lebenssäften, fühlt sich wieder stark genug, den Kampf gegen den unvermeidlichen Orkan zu bestehen. Auf der ersten Höhe hinter der Ruine Rolandseck tagt die Freiheit in den Strahlen der untergehenden Sonne. Starke Arme und muthige Heizen huldigen ihr am Montage.«

Nicht ohne Mühe entzifferte ich die seltsame Weisung. Ich las sie mehrere Male aufmerksam durch, doch nichts Anderes vermochte ich zu enträthseln, als daß man mich aufforderte, am folgenden Tage, also am Montage gegen Abend, mich auf der bezeichneten Höhe einzustellen.

Ursprünglich beabsichtigte ich, schon am Montag Morgen nach Bonn zurückzukehren. In Folge des Schreibens änderte ich indessen meinen Plan, und fester, denn je, war ich entschlossen, auf dem einmal eingeschlagenen Wege fortzuschreiten, dem Geschick muthig und ohne zu zittern die Stirn zu bieten, um mich dereinst mit Stolz einen Befreier des Vaterlandes nennen zu dürfen.

Der Eindruck, welchen meines Vormundes glühender Patriotismus am Vormittage auf mich ausgeübt, hatte durch die Botschaft Plötzlich einen ganz anderen Charakter erhalten. Es regte sich in mir das unbesiegbare Verlangen, mich auszuzeichnen, eine hervorragende Rolle in der Geschichte zu spielen, um – ja, um Johanna, dem lieben, angebeteten Mädchen [] etwas Höheres, als eine alltägliche, philisterhafte Existenz zu Füßen legen zu können. O, wie mir bei diesem Gedanken das Blut stürmisch in den Adern, wallte, und wie ich mich berufen fühlte, in die geweihte Schaar der Retter des Vaterlandes einzutreten! Ich glaubte das unwillige Rauschen in den Wipfeln der heiligen Eichen zu vernehmen, und vergessen war das Drohbild meines greisen Vormundes, vergessen die Fährlichkeiten des trügerischen Bodens, über welchen ich von nun ab hinwandeln sollte. Das Rauschen der Eichen drang mir mit unwiderstehlicher Gewalt zum Herzen; die Lieder der deutschen Sänger erhielten für mich eine andere Bedeutung, Johanna's Bild schwebte mir, wie mit einem Strahlenkranz umgeben vor, und zu den kühnen Luftschlössern, welche ich mit erhitzter Einbildungskraft schuf, wiederholte ich immer und immer wieder den meinen jugendlich überspannten Hoffnungen und Wünschen neue Nahrung bietenden Spruch der Wahnsinnigen.

Achtes Capitel.
Aus vergangenen Tagen.

O, die liebe, freundliche Oberförsterei! wie sie so romantisch zwischen den alten Bäumen hervorlugte.

Das Wohnhaus war nur sehr einfach, und moosbewachsene Strohdächer bedeckten die Ställe und Wirtschaftsgebäude, doch schien sie gerade dadurch ihren Hauptreiz, einen gewissen Schimmer der Behaglichkeit, des Einladenden zu erhalten.

Oft fragte ich mich wohl, warum das blutroth angestrichene Fachwerk und die zwischen demselben liegenden geweißten Felder der verschiedenen, wenig umfangreichen Baulichkeiten, trotz der geschmacklosen Farbenzusammenstellung, mir so sehr gefielen, warum ich so gern den reich belebten Hühnerhof beobachtete und die wohlgenährten Pferde, wenn sie friedlich mit den Halfterketten rasselten, oder die Rinder, wenn sie mit trägem Schritt von der Weide heimkehrten, oder endlich die Knechte und Mägde, wenn sie geschäftig ihren entsprechenden Arbeiten oblagen; ja, oft richtete ich diese Frage an mich, ohne sogleich eine Antwort darauf zu finden.

Daß ich nicht für das Leben in Städten geschaffen sei, fiel mir dabei nicht ein; ich schob Alles auf die wunderbar schöne Naturumgebung, auf die stattlichen Berge, welche sich ringsum erhoben, auf den süßen Waldesduft, den ich so wollüstig einathmete, und vor allen Dingen auf die guten, guten alten Leute, die mir das einfache Gehöft in eine Heimath verwandelten.

Erschien mir die Oberförsterei von je her als eine liebliche Idylle, so erhielt sie, seit ich Johanna dort wußte, in meinen Augen einen erhöhten Zauber. Ich fühlte dies so recht an jenem unvergeßlichen Sonntag Abend, als wir uns in einer Laube hinter dem Wohnhause wieder zusammengefunden hatten und bei heiterem, harmlosem Geplauder die Zeit unmerklich verrann.

Ich war weich, sogar wehmüthig gestimmt, ohne zu wissen warum, und jetzt noch, nach langen Jahren, wenn ich jenes Abends gedenke, vermag ich mich kaum der Thränen zu erwehren.

War es das Schicksal, welches mich vor der Zukunft warnte, oder nahm meine glückliche, sorglose [] Jugendzeit Abschied von mir? Ich weiß es nicht; nur das ist mir klar, daß seit jener Zeit ein tieferer Ernst in meine Brust einzog, ein festerer, und endlich ein unumstößlicher Wille mich in allen meinen Handlungen leitete, daß ich begann – vielleicht zu frühzeitig begann – mich als Mann, als Lenker meines eigenen Geschickes zu fühlen und zu betrachten und in Folge dessen, wie ich jetzt erkenne, meine Kraft und meine Einsicht weit zu überschätzen, –

Die Nacht war weit vorgerückt; tiefe Stille ruhte auf der im Licht des abnehmenden Mondes bläulich schimmernden Landschaft. Die Lieder der lustwandelnden Dorfbewohner waren längst verstummt, und lauter tönten dafür die süßen Melodien der Nachtigallen pausenweise aus dem nahen Walde zu uns herüber.

Die ruhige, friedliche Stimmung der Natur hatte sich uns Allen unbewußt mehr oder minder mitgetheilt, weßhalb auch wohl unsere Unterhaltung einsilbiger wurde. Mein Vormund nahm dies für ein Zeichen von Müdigkeit, und nachdem er seiner guten Lisette und Johanna, um sie an die Nachtruhe zu mahnen, eine herzliche Gutenacht gewünscht, forderte er mich auf, ihn noch auf einem Spaziergange durch den angrenzenden Forst zu begleiten.

»Morgen zur rechten Zeit Reveille!« rief er den seinen Befehlen gehorsamen Damen noch zu, als diese in der Hausthüre verschwanden, und einige Minuten später befanden wir uns auf der Landstraße.

»Nicht durch den Wald wollen wir gehen,« sagte der Oberstlieutenant, als ich meine Verwunderung über die von ihm eingeschlagene Richtung aussprach, »nicht durch den Wald, sondern auf der Straße wollen wir bleiben. Ich habe mit Dir über wichtige Dinge zu reden, und da stört es nur, wenn man zu sehr auf den Weg achten muß.«

Im Ton seiner Stimme lag ein an ihm sonst nicht gewöhnlicher Ernst, und ein eigenthümliches Gefühl von Trotz und Besorgniß beschlich mich, als ich der Möglichkeit gedachte, daß er in meinem Herzen gelesen haben könne, oder ihm vielleicht von irgend einer Seite meine beabsichtigte Vetheiligung an den demagogischen Umtrieben verrathen worden sei.

Meine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos; ich hätte es mir denken können, denn ein derartiger Zweifel an meinen loyalen Gesinnungen wäre meinem Vormunde gewiß wie ein Verbrechen, nicht nur an mir, sondern auch an dem Andenken meines Vaters vorgekommen. –

»Nun sage mir einmal aufrichtig, mein lieber Junge,« begann er, nachdem wir eine kurze Strecke schweigend neben einander zurückgelegt hatten, »wie gefällt Dir meine Nichte Johanna?«

»Ich dachte, es wäre gerade nicht schwer zu entdecken, daß Johanna mir besser, als irgend ein anderes Mädchen meiner Bekanntschaft gefällt,« antwortete ich möglichst ruhig.

»Brav und offen gesprochen; nicht mehr, als ich von Dir erwartet habe.«

»Gewiß, Herr Oberstlieutenant, ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß ich Ihre schöne und brave Nichte außerordentlich lieb gewonnen habe,« wiederholte ich mit wärmerem und daher noch wahrerem Ausdruck.

»Und ist anzunehmen, daß Du von jetzt ab Deinen[] alten griesgrämigen Vormund weniger vernachlässigest, ich meine, daß Du nicht zwei Monate darüber hingehen lassest, bis Du ihn einmal honoribus causibus, wie Ihr Lateiner sagt, besuchst.«

»Ich will abermals aufrichtig sein und mit einem rückhaltlosen Ja antworten. Aber wie geht es zu, wenn ich mir die Frage erlauben darf, daß ich plötzlich eine Nichte von Ihnen in Ihrem Hause finde, während ich früher glaubte, daß Sie ohne nähere Angehörige wären?«

»Sapperment, das ist es ja gerade, worüber ich mit Dir sprechen will. Erstens wünsche ich nämlich vorzubeugen, daß Du vielleicht einmal unbedachtsamer Weise Dich mit Johanna in ein Gespräch über ihr Herkommen und ihre Eltern einlassest und Fragen stellst, welche zu beantworten außer dem Bereich der Macht des armen Kindes liegt, dann aber auch will ich Dich überhaupt mit ihrer Geschichte bekannt machen, eh' Du Dich in sie verliebt hast. Geschähe dies, nachdem Du Galgenstrick das Herz des braven Mädchens vielleicht gewonnen, und Du wolltest Dich dann, in Folge meiner inhaltschweren Mittheilungen, zurückziehen, so könnte das sehr, sehr traurige Folgen für Johanna haben. Ich bin zwar ein alter Soldat, ein Herz habe ich deswegen aber doch, und ich sage Dir, Junge, es wäre ein harter Schlag für mich, würde das Kind meines Bruders, sie, die letzte unseres Stammes, durch Dich unglücklich. Du bist ein junger, leichtsinniger Patron, sie ein zartes, unschuldiges Wesen; Ihr werdet voraussichtlich viel mit einander verkehren, und überraschen sollte es mich nicht, wenn Ihr genug Gefallen an einander fändet, um Einer nicht ohne den Andern leben zu können, etwa so, wie ich und meine Lisette.

Ein Unglück wäre ein solches Endresultat gerade nicht; im Gegentheil, ich würde mich freuen und auch wohl noch erleben, daß Du, nachdem Du in sicheres Brod gekommen, meine Nichte heimführtest. Ich halte es aber nicht nur für meine Pflicht, sondern ich folge auch dem Drange meines Herzens, wenn ich einem möglichen Unglück vorzubeugen wünsche. Kennst Du Johanna's Lebensgeschichte, oder vielmehr die Geschichte ihrer Eltern, so darf ich von Dir, als einem Ehrenmanne erwarten, daß Du, im Falle die kalte Vernunft Dir riethe, zurückzustehen, bei ihr keine Hoffnungen zu erwecken suchst, welche zu verwirklichen Deinen Begriffen von Würde, Ehre und Stolz widerspräche. Und glaube mir, mein Sohn, Johanna's Gesundheit ist, wie die ihrer Mutter in den letzten Jahren, wie ein Hauch. Auf ihren Wangen glühen schon jetzt zuweilen die dunkeln Rosen, welche durch ein zufriedenes, glückliches Loos auf Lebenszeit festgebannt, aber auch eben so leicht, ja, noch leichter auf immer entblättert werden können.«

Indem mein Vormund dies sagte, bebte seine rauhe Stimme leise. Ich erkannte ihn kaum wieder, denn mit einer so innigen und wehmüthigen Theilnahme hatte ich den alten vernarbten Krieger noch nie sprechen hören. Um so tiefer war aber auch dafür der Eindruck, welchen seine Worte in meiner Seele zurückließen, und auf's Aeußerste gespannt harrte ich Dem entgegen, was er mir über Johanna's Vergangenheit zu eröffnen im Begriffe stand.

»Herr Oberstlieutenant,« sagte ich daher, sobald [] er schwieg, und ich drückte seine Hand aus aufrichtigem, überströmendem Herzen, »Sie sind so lange mein lieber, treuer Vormund, und mehr als zu nachsichtiger väterlicher Freund gewesen, Sie werden am besten beurtheilen können, welcher Werth meinen ernsten und heiligen Versicherungen beigemessen werden darf. Sie sprechen von Ihrer lieblichen Nichte, als von einem Wesen, au dessen Name ein Makel hafte; ich vermeide es, Ihnen jetzt schon zu schildern, welche Hoffnungen und Wünsche Johanna's Erscheinung bereits am Tage unserer ersten Bekanntschaft in mir wach gerufen hat. Wenn es mir aber beschieden sein sollte, das noch von keinem trüben oder unedlen Hauch berührte Herz Johanna's zu gewinnen, dann gäbe es nichts, und enthielten Ihre Enthüllungen die furchtbarsten Geheimnisse, was mich in dem einmal gefaßten Entschluß wankend zu machen im Stande wäre. Johanna sollte mein Stolz, mein ganzes Lebensglück sein, und je trüber die Umstände, welche sich an ihr Dasein knüpfen, um so höher wollte ich sie nicht nur in den Augen der Welt, sondern auch in ihrer wirklichen Lebensstellung zu erheben suchen. Ja, ich wollte wirken und schaffen, ich wollte – nein, noch mehr, ich werde mich von Stufe zu Stufe emporschwingen, so hoch, ja so hoch, daß sogar mein verehrter Herr Vormund meinen Namen mit Stolz nennt, und der Erfolge wegen, welche ich erzielte, gern seine Vorurtheile« –

»Vorurtheile?« unterbrach mich der Oberstlieutenant hoch aufhorchend.

»Nicht gerade Vorurtheile wollte ich sagen,« verbesserte ich mich schnell, verlegen darüber, daß ich mich von meiner Begeisterung für eine mir noch ziemlich unbekannte Sache zu unbedachtsamen Aeußerungen hatte fortreißen lassen, »ich wollte eben nur Ihre geringe Vorliebe für die Juristenkarriere andeuten, nur darlegen, daß ich eine unüberwindliche Kraft in mir fühle und meine Blicke kühn und ohne zu zittern oder zu zagen auf die höchsten und einflußreichsten Stellen richte.«

»Gratulire zum Minister,« versetzte mein Vormund lachend; im nächsten Augenblick war er indessen wieder ernst und ich erriech aus der Bewegung seines Armes, daß er, ein sicheres Zeichen seiner Erregtheit, die Augenklappe lüftete. »Aber Scherz bei Seite,« fuhr ei gleich darauf fort, indem er meine Hand ergriff und dieselbe heftig drückte; »Du hast gesprochen, wie ich es von Dir erwartete und wie es einem Ehrenmanne geziemt; doch versteh' mich recht, mein Junge, ich betrachte Deine Erklärung nicht als eine übernommene Verpflichtung; es ist überhaupt noch zu früh, so weit in die Zukunft zu denken, obwohl es nicht schadet, wenn wir uns gegenseitig ausgesprochen haben. Und so höre mir denn aufmerksam zu, präge Alles Deinem Gedächtnis; Wohl ein und nimm Dir vollkommen Zeit, Dich zu prüfen. Hat dann endlich Derjenige, der mich mit meiner Lisette zusammenführte, ein Aehnliches über Euch beschlossen, so will ich – na – Du weißt ja schon.«

Hier wurde der buschige Schnurrbart wieder etwas länger, als gewöhnlich, geschraubt und gedreht, und nachdem der alte Herr sich noch einmal recht ordentlich geräuspert, begann er:

»Wir waren drei Brüder, nämlich der älteste, [] der bei Jena den Heldentod starb, dann ich, von dem nur noch ein paar dürre, morsche Knochen übrig geblieben sind, und endlich mein Bruder Johann, der bedeutend jünger, als ich, seine Vorliebe für zweifarbiges Tuch dadurch bekundete, daß er ebenfalls in die Armee eintrat.«

»Von diesem Letzteren nun, der, wie schon der Name besagt, Johanna's Vater wurde, will ich Dir erzählen.«

»Obgleich mein Bruder Johann im Freiheitskriege tapfer mitgefochten hatte, begünstigte das Glück ihn doch nicht sonderlich. Er war Lieutenant und blieb Lieutenant, was wohl mit am meisten dazu beitrug, daß er bereits im Jahre 1816 seinen Abschied nahm und sich mit seiner geringen Pension und den Zinsen eines gerade nicht sehr erheblichen väterlichen Erbtheils begnügte. Alles ging ganz gut, und es würde heute noch gut gehen, wenn er nicht auf den unheilvollen Gedanken gekommen wäre, zu heirathen.«

»Heirathen ist sehr schön, aber die Sache muß auch Hand und Fuß haben, und nicht, wie bei meinem Bruder, eine Art von Zusammenlaufen aus verliebter Laune sein.«

»Kurz nachdem er seinen Abschied genommen, begab sich mein Bruder also eines Tages nach Köln, und wie sich bei einem Junggesellen fast von selbst versteht, besuchte er des Abends in Gesellschaft von ehemaligen Kameraden das Theater. An jenem Abend trat gerade eine Tänzerin, eine Italienerin, zum ersten Mal dort auf. Dir Tänzerin sehen und sich in dieselbe verlieben, war für meinen Bruder Eins, und zwar that er dies mit einem solchen Feuer, wie man ihm bei seinen dreißig und einigen Jahren kaum zugetraut hätte. Er suchte Zutritt bei seiner Angebeteten zu erhalten; derselbe wurde ihm auch gewährt, und da er ein auffallend schöner Mann war, konnte es nicht fehlen, daß er einen günstigen Eindruck auf dieselbe machte.«

»Dem ersten Besuch folgte bald der zweite, dem zweiten der dritte, und noch keine vier Wochen waren in dieser Weise verstrichen, da kündigte er mir an, daß er sich mit der Italienerin zu verheirathen gedenke.«

»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, dachte ich, und obwohl mir die ganze Geschichte nicht behagte, ging ich dennoch nach Frankfurt, um als guter Bruder der dort stattfindenden Vermählung beizuwohnen. Ich kann nicht leugnen, daß der Anblick des jungen Mädchens mich fast gänzlich mit ihrem Herkommen und ihrer ursprünglichen Bestimmung aussöhnte. Ihr Aeußeres war schön, ihr Wesen und Benehmen bescheiden und anspruchslos; mit einem Wort, die neue Schwägerin gefiel mir ausnehmend und ich verzieh meinem Bruder aus vollem Herzen, daß er sich zu dem dummen Streich hatte fortreißen lassen.«

»Die Hochzeit wurde also in gehöriger Form gefeiert, betreffs der etwanigen Nachkommenschaft – mein Bruder war Protestant, seine Frau Katholikin – die Vereinbarung getroffen, daß alle Kinder in die Stammrolle des Vaters eingetragen, was so viel heißt, wie: in dessen Religion erzogen werden sollten, wie das auch ganz in der Ordnung, und vollständig beruhigt über die Zukunft der jungen Eheleute, reiste ich hierher zurück. Und beruhigt konnte ich sein, denn außerdem, daß seine Frau ihm einige tausend Thaler[] einbrachte, war es meinem Bruder auch gelungen, eine seinen Fähigkeiten entsprechende Anstellung in einem Bureau zu finden, wodurch ihr Einkommen so weit erhöht wurde, daß sie ein mehr, als behagliches und bequemes Leben führen konnten.«

»Ein Jahr mochte ungefähr verstrichen sein, als ich die Nachricht von der Geburt einer Tochter erhielt. Da mir selbst keine Kinder beschieden gewesen sind, so kannst Du die Freude begreifen, welche ich darüber empfand, zum ersten Mal in meinem Leben Onkel geworden zu sein. Ja, ich liebte das Kind schon damals, ohne es zu kennen, und jetzt, da es in meinem Hause, lebt, ist es mir noch viel theurer geworden. Hoffentlich wirst Du es mir nicht verargen, wenn ich gestehe, daß Johanna mir, nächst meiner Lisette, daß Liebste auf der Welt ist; aber beruhig Dich nur, gleich hinter Johanna stehst Du auf der Rangliste.«

»Mit der Geburt des Kindes schien indessen das Glück der beiden Eheleute ihr Ende erreicht zu haben; ich glaubte dies wenigstens aus den Briefen meines Bruders zu errathen, die immer kälter und geschäftsmäßiger abgefaßt waren und sehr bald die letzte Spur von jenem Humor verloren, der sie vordem stets ausgezeichnet hatte, und daher mehr dem trocknen Rapport eines gewissenhaften Wachtmeisters glichen.«

»Die Sache war folgende: Die Natur der Italienerin hatte wohl eine Zeit lang verleugnet, jedoch nicht ganz umgewandelt werden können, und mußte es meine Bruder selbstverständlich niederdrücken, zu gewahren, daß seine Gattin, nachdem sie Mutter geworden, nicht nur weniger haushälterisch mit ihrem Einkommen verfuhr, sondern sich auch, gegen seinen ausdrücklichen Wunsch und Willen, einen Umgang wählte, den er von seinem Standpunkte aus nie gut heißen konnte.«

»Unter denjenigen, die in Abwesenheit meines Bruders sein Haus am häufigsten besuchten, befand sich auch ein katholischer Priester.«

»Den religiösen Glauben seiner Frau berücksichtigend, duldete mein Bruder längere Zeit hindurch diese Besuche, obwohl es ihn tief verletzte, daß der Priester, ebenfalls ein Italiener, sogar in seiner Gegenwart sich nicht scheute, in seinem Verkehr mit der jungen Frau sich der italienischen Sprache zu bedienen, von der mein Bruder kein einziges Wort verstand. Auch erschien es ihm oft, als wenn das Verhältniß zwischen dem Kaplan und seinem Beichtkinde fast ein zu zärtliches sei, aber seiner kleinen Tochter zu Liebe, wel che er vergötterte, ertrug er Manches, was ihn früher in die grenzenloseste Wuth versetzt haben würde.«

»Doch Alles hat sein Ende, sogar meines Bruders Geduld mußte zuletzt reißen.«

»Der erste ärgerliche Auftritt erfolgte, als die junge Frau den dringenden Wunsch aussprach, ihre Tochter in der katholischen Religion erziehen, und mehr noch, sie sogleich nach katholischem Ritus taufen zu lassen.«

»Als mein Bruder sodann auf ihren bindenden Vertrag hinwies, überhäufte sie ihn, gegen alle Subordination, mit Vorwürfen und Klagen, daß man sich damals ihre Unerfahrenheit zu Nutze gemacht und sie auf eine schändliche Weise hintergangen habe. Ein[] Wort gab das andere, Thränen wechselten mit Ohnmachten ab, und das Ende vom Liede war, daß mein Bruder, der in dem ganzen rechtswidrigen und unnatürlichen Begehren das Werk des fremden Priesters erkannte, diesen, mit dürren Worten das Haus verbot.«

»Anscheinend wurde das Verbot mit Gleichgültigkeit hingenommen. Der Priester ließ sich zwar nicht mehr im Hause blicken, doch vermochte mein Bruder nicht zu verhindern, daß seine Frau den hinterlistigen Betrüger außer dem Hause sah, er selbst aber von dem treulosen Weibe mit kalter Verachtung gestraft wurde, was seinen sonst so frischen Lebensmuth vollends untergrub.«

»Wiederum verstrichen einige Monate, ohne daß in seinen häuslichen Verhältnissen eine Aenderung zum Guten erfolgt wäre; im Gegentheil, der Bruch schien immer schärfer hervortretend, unheilbar zu werden. Kein Wunder also, daß mein Bruder viel abwesend war und sich anderweitig zu zerstreuen suchte; hm, ich wurde es ganz ebenso gemacht haben.«

»Eines Abends, Johanna mochte damals vielleicht ein Jahr alt sein, kehrte er auch wieder zur späten Stunde nach Hause zurück. Gewohnt, daß weder ein Dienstbote noch seine Frau auf dem Posten waren und irgendwelche Notiz von ihm nahmen, begab er sich in sein Schlafgemach. Er zündete Licht an, und das Erste, was ihm beim Schein desselben in die Augen fiel, war ein an ihn gerichtetes Schreiben seiner Gattin. Mit zitternden Händen und nichts Gutes ahnend erbrach er dasselbe; es enthielt nur wenig Worte, in welchen seine Frau ihm erklärte, daß sie, da sie nicht glücklich mit ihm leben könne, ihr Kind aber in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurückzufühlen beabsichtige, es vorziehe, sich von ihm zu trennen und ihm mit Freuden seine volle Freiheit zurückgebe. Schließlich rieth sie ihm noch, nicht nach ihr zu forschen, da alle seine Mühe sich als vergeblich ausweisen würde.«

»Wäre sie allein davon gegangen und hätte sie ihm das Kind gelassen, dann würde er sich möglicher Weise getröstet haben, so aber war es ein Schlag für ihn, der ihn bis in's innerste Lebensmark traf. Zu dem unsäglichen Schmerz über den Verlust des Kindes und dem heißen Verlangen, dasselbe wieder zu sehen, gesellte sich aber auch noch die grimmigste Wuth über das verbrecherische Treiben der Flüchtlinge, und obwohl mit zermalmtem Herzen, versäumte er doch Nichts, was dazu dienen konnte, ihn auf deren Spur zu leiten. Wie es ihm glückte, so schnell die Richtung ihrer Flucht auszukundschaften, weiß ich nicht, wohl aber weiß ich, daß er bereits am folgenden Morgen, als eben der Tag zu grauen begann, mit Extrapost und Courierpferden über die Mainbrücke jagte.«

So sprechend schob der Oberstlieutenant, als ob die Erinnerung an die Schmach seines Bruders ihn übermannt habe, die Augenklappe zähneknirschend einigemal hin und her, und nachdem er, wie um sich zu beruhigen, mit seinem Krückstock einen Doppelhieb nach den am Wege wuchernden Gräsern gefühlt, nahm er den Faden seiner Erzählung wieder auf:

»Er holte die Flüchtlinge ein, Sapperment! Er holte sie ein, in einer Stadt Rheinbayerns, als sie eben in einem Gasthofe zweiter Klasse Quartier gemacht [] hatten. Seine Gattin und den Priester traf er in traulichem Gespräch bei einander; sie befürchteten nicht mehr, verfolgt zu werden. Seine Tochter da, gegen lag bereits in einem gesunden Schlaf.«

»Wie ein rächender Gott trat er vor das verbrecherische Paar hin. Er sprach kein Wort, aber den Pfaffen peitschte er unbarmherzig auf die Straße hinaus, und dann erst nahm er das Kind in seine Arme, um es zu herzen und zu küssen.«

»Eine Stunde später rollte er mit Weib und Kind und sogar mit dem Gelde, welches die treulose Frau mitzunehmen nicht vergessen hatte, Frankfurt wieder zu. Das Kind hielt er selbst auf den Knieen, mit seiner Frau dagegen sprach er keine Silbe; weder Thränen, noch Bitten, noch Drohungen fruchteten; er blieb unbeweglich, ungerührt und behandelte sie, als hätte sie für ihn gar nicht mehr existirt, und wie sie es auch nicht anders verdiente.«

»So kam er in seiner Wohnung an. Aber selbst da gelang es seiner Frau nicht, ihm auch nur ein Wort des Vorwurfs zu entlocken oder das arme unschuldige Kind zur alleinigen Pflege und Bewachung überantwortet zu erhalten. Wie sein Herz, schien auch sein Antlitz sich versteinert zu haben; er sprach nur das Allernothwendigste zu den Dienstboten, er weinte bittere Thränen über der kleinen Johanna, weiter aber gingen die Aeußerungen seines Kummers nicht.«

»Das Haus verließ er nicht mehr; er hatte nämlich seine Stelle bereits am ersten Tage nach seiner Rückkehr aufgegeben, dagegen schrieb er sehr viel, und zu weilen sah man auch wohl eine Gerichtsperson sich zu ihm begeben, um bei verschlossenen Thüren längere Zeit mit ihm zu berathen.«

»Die schuldbelastete Frau, obgleich ihr persönlich nicht der geringste Zwang auferlegt wurde, verlebte unterdessen eine schreckliche Zeit. Aber nicht lange sollte sie über ihr Loos im Dunkeln bleiben, denn schon am achten Tage wurde, trotz ihres Handeringens, trotz ihres Flehens um Erbarmen, das Kind von ihr genommen und einer protestantischen Familie zur Erziehung übergeben. Sie selbst erhielt nur die Erlaubniß, ihre Tochter einmal wöchentlich besuchen und in Gegenwart von Zeugen sehen zu dürfen. Gleichzeitig war mir die gerichtliche und von einem dringenden Schreiben meines Bruders begleitete Ausforderung zugegangen, die Vormundschaft über das Kind zu übernehmen und nach besten Kräften über dessen Zukunft zu wachen.«

»Dieses Ansinnen wies ich natürlich nicht zurück, doch konnte ich nicht umhin, noch besonders an meinen Bruder zu schreiben und ihn zu ermahnen, sich aufzurichten und sich nicht allzusehr von den widerwärtigen Verhältnissen niederdrücken zu lassen.«

»Mein Brief erreichte ihn nicht mehr, dagegen ging mir einige Tage später eine Abschrift seines Testamentes zu, und ein anderer Brief, in welchem der arme Kerl auf ewig von mir Abschied nahm, mich beschwor, sein Kind zu lieben, dafür zu sorgen, daß es nicht verkomme, und das kleine von ihm hinterlassene Vermögen zu dessen Bestem zu verwalten.«

»Von den bösesten Ahnungen gefoltert, reiste ich augenblicklich nach Frankfurt ab; ich wollte meinen Bruder trösten, ihn warnen vor bösen, unmännlichen Entschlüssen, auf welche seine Worte hinzudeuten[] schienen, allein ich kam zu spät. Seine Gattin, die sein ganzes Unglück verschuldet hatte, traf ich in Verzweiflung, er selbst aber war, unter Hinterlassung seiner sämmtlichen Sachen und seines für Johanna sicher untergebrachten Geldes, spurlos verschwunden.«

»Es unterlag keinem Zweifel, der arme Kerl, durch den Verrath seiner Gattin zum Aeußersten getrieben, halte sich das Leben genommen,« fuhr der Oberstlieutenant fort, nachdem er, um seine Bewegung zu bekämpfen, ein kurzes, aber scharf klingendes Kavalleriesignal in den Wald gepfiffen.

»Ich tadle seinen Entschluß und die Alt, in welcher er seine Seele von der ihn schwer bedrückenden Last befreite, allein ein Ehrenmann ist er trotzdem bis zum letzten Athemzuge geblieben; denn wie er auch seinen Tod herbeigeführt haben mag, es geschah nicht, daß der Selbstmord erwiesen werden konnte. Es wurde im Main, im Rhein nach seiner Leiche geforscht, die Umgebung Frankfurt's ist nach ihm gleichsam durch wühlt worden, allein Alles vergeblich; er war und blieb verschwunden, und mag auch der Verdacht der schrecklichen That, der auf ihm lastet, vollkommen gerechtfertigt sein, Johanna kann nicht, darf nicht die Tochter eines Selbstmörders genannt werden. Mag aber Gott verhüten, daß sie jemals eine Ahnung von diesem Verdacht erhält; ich bin überzeugt, das zarte Kind würde unter der Wucht dieses Bewußtseins zusammenknicken, wie eine vom Nachtfrost getödtete Blume. –«

»Leider ist es nur zu gewiß, daß mein unglücklicher Bruder in einem Anfall von Schwermuth Hand an sich selbst legte. Hätte der Umstand, daß man nie eine Spur von ihm entdeckte, noch irgend welche Zweifel gestattet, durch den Brief, welchen er an Johanna's Mutter richtete, wären sie bis auf den letzten beseitigt worden.«

»Ja, auch an seine Frau hatte er einen Brief hinterlassen und ich habe ihn selbst gelesen. In demselben sprach er die Hoffnung aus, sie dereinst im Jenseits wiederzufinden. Er beschwor sie, wenigstens sein Andenken, wenn auch nur Johanna's wegen, zu ehren und das Unrecht, welches sie ihm angethan, dadurch zu sühnen, daß sie nie den Versuch mache, sein und ihr Kind der Religion zu entfremden, in welcher es getauft worden, im Gegentheil, streng aus die Erfüllung seines letzten Willens halte. Daß sie sich an ihm versündigt, vergab er ihr; er vergab ihr in der festen Hoffnung, daß sie in der von ihm angedeuteten Weise handeln werde.«

»Du hast frei sein wollen, und Du bist es, schloß er seinen Brief, aber ich habe Dir die gewünschte Freiheit in einer Weise zurückgegeben, daß nicht Dich, sondern mich allein der Vorwurf trifft. Thue Du nun das Deinige, erfülle die letzte Bitte, welche ich in diesem Leben an Dich richte, und erhalte unser Kind, meine einzige Johanna, über die Gott seinen reichsten Segen ausschütten möge, in Ungewißheit über das Ende ihres Vaters.«

»Das waren die Worte, die er an seine Gattin richtete; ich habe sie nicht vergessen, und in meiner letzten Stunde werden dieselben mir noch in den Ohren klingen, in meiner letzten Stunde, wenn ich um Gnade und Erbarmen für meinen armen unglücklichen Bruder zu Gott flehe.«

[] So sprechend ließ der Oberstlieutenant das Haupt aus die Brust sinken und längere Zeit schritten wir schweigend neben einander hin. Er war zu tief ergriffen, als daß er noch im Stande gewesen wäre, zu seinen eigenthümlichen äußern beruhigenden Hülfsmitteln seine Zuflucht zu nehmen, und ich wieder vermochte vor innerer Bewegung nicht, irgend eine Frage an ihn zu richten und die Gefühle meiner aufrichtigsten Theilnahme in Worte zu kleiden.

»Es wird Zeit, daß wir umkehren,« sagte er endlich, wie aus einem Traum emporschreckend; »was mir noch zu berichten bleibt, ist nicht mehr viel; ich werde damit zu Ende kommen, lange bevor wir die Oberförstern erreichen.«

Nachdem wir eine kurze Strecke des Heimweges zurückgelegt hatten, richtete er sich wieder kräftig empor, seine Hand fuhr zuerst nach seinem blinden Auge, demnächst einigemal nach beiden Seiten ordnend über den Schnurrbart hin, und dann begann er: »Mein Bruder, der arme Kerl, hat also, weil ihm die Last, die ihm auferlegt worden war, zu schwer zu ertragen schien, der Vorsehung vorgegriffen und gleichsam sterbend seiner Gattin ihr Verhalten seiner Tochter gegenüber genau vorgeschrieben. –«

»Was ich nie für möglich gehalten hätte, geschah. Das durch ihre Schuld herbeigeführte frühzeitige Ende meines Bruders, mehr aber noch seine Worte der Vergebung hatten Johanna's Mutter tief erschüttert und sie vollständig umgewandelt. Niemand hat sie seit jener Zeit wieder lächeln gesehen. Sie trotzte den Gerüchten, welche über sie im Umlauf waren, und beachtete nicht, daß vielfach Blicke einer heimlichen Scheu sie trafen und daß man sie mied. Die Nahe ihrer Tochter, für welche sie jetzt nur noch allein lebte, ließ sie Alles mit Gleichgültigkeit ertragen, und sie blieb in Frankfurt. Zu den festgesetzten Stunden, welche später durch meine Vermittelung sich häufiger wiederholten, besuchte sie Johanna, sonst aber lebte sie zurückgezogen in einem kleinen Hause, in welchem sie nur in den schwereren Arbeiten von einer Aufwärterin unterstützt wurde. Sie sparte sogar noch etwas von dem geringen Einkommen, welches sich auf die Zinsen ihrer eigenen paar tausend Thaler beschränkte, was sie mir regelmäßig für Johanna einsendete, und verbrachte sie daher ihre Zeit, wie eine aufrichtige Büßerin, in Arbeit und Gebet.«

»Bei einer solchen Lebensweise, und gefoltert von endlosen Gewissensbissen, konnte es nicht fehlen, daß der Keim zu einer tödtlichen Krankheit, welcher wohl schon immer in ihrer Brust gelegen haben mag, allmälig mehr hervortrat und sie endlich ganz an ihr Lager fesselte.«

»Es war im vierten Jahre nach dem Tode meines Bruders, als sie Johanna zum letzten Mal besuchte, doch wurde sie dadurch des Verkehrs mit ihrer Tochter keineswegs beraubt; im Gegentheil, diese durfte ganze Tage bei ihr zubringen und um sie sein. Von einer Aenderung der Religion des Kindes sprach sie nie wieder; der letzte Wille ihres Gatten war ihr ein göttliches Gesetz. Obwohl sie es hätte verlangen können, ihre Tochter, wenn auch unter fremder Aufsicht, beständig bei sich zu haben, machte sie doch leinen Versuch dazu; sie befürchtete dadurch den Wünschen ihres verstorbenen Gatten zuwider zu handeln.«

[] »Ob der Verkehr mit ihrer Mutter für Johanna von großem Segen gewesen ist, will ich dahingestellt sein lassen. Von einem alten ausgedienten Kriegs knecht ist wohl kaum zu erwarten, daß er, was Kindererziehung anbetrifft, ein sehr richtiges Urtheil fällt, doch bezweifle ich, daß das regelmäßige Erscheinen der bleichen, schwarzgekleideten Frau, und die unzähligen Thränen, welche sie über ihre Tochter weinte, vorübergegangen sind, ohne schwer zu verwischende Spuren bei dem noch im zartesten Jugendalter stehenden, damals sehr schwächlichen Mädchen zurückzulassen. Mir erscheint es wenigstens oft, als wenn die Erregbarkeit ihres Gemüthes ursprünglich nicht in ihrem Charakter gelegen habe, und nur durch die eben erwähnten äußeren Einflüsse erzeugt worden sei. Doch wer hätte damals wagen mögen, auf eine solche ungewisse Befürchtung hin, der sterbenden Mutter ihr Kind vorzuenthalten? Und sterbend war die unglückliche Frau von dem Augenblick an, in welchem sie die erste Nachricht von dem Tode und der Vergebung meines Bruders erhielt, mir daß der Tod sich ihr ganz langsam näherte und es Jahre bedurfte, ehe der Gram und die ihr innewohnende Krankheit ihre Lebenskraft vollständig aufzehrten.«

»Im fünften Jahre nach ihrer Vereinsamung starb sie endlich, nachdem sie ihr Kind in ihrem und ihres vorangegangenen Gatten Namen noch einmal gesegnet, noch einmal dessen letzten Willen, betreffs Johanna's, rechtsgültig bekräftigt hatte. Sie starb als eine reuige Sünderin, und mag Gott ihr vergeben, wie ich ihr von ganzem Herzen, schon um ihrer ausgestandenen Leiden willen, vergeben habe. –«

»Aus Allem, was ich Dir mittheilte, kannst Du also entnehmen, daß ich die triftigsten Gründe hatte, weder zu Dir, noch zu sonst Jemand von meinem Bruder und dessen Familienverhältnissen zu sprechen. Johanna's wegen wünschte ich die Vergangenheit ihrer Eltern vergessen zu machen, und mit einem solchen Zweck vor Augen nahm ich sie auch nach dem Tode ihrer Mutter von Frankfurt fort, um sie in ein Landstädtchen zu bekannten braven Leuten in Pension zu bringen. Dort nun ist sie bis vor sieben Wochen geblieben. Den Hoffnungen und Erwartungen, welche ich hegte, hat sie mehr als vollkommen entsprochen, und mit Stolz erfüllt es mich, wenn ich das liebe freundliche Kind jetzt betrachte und mir sage, daß auch ich mit zu Denjenigen gehöre, welche einen guten Einfluß ans ihr Geschick ausübten.«

»Nur etwas kräftiger müßte sie sein, und etwas weniger leicht erregbar; denn wenn ich sehe, wie durch die geringfügigsten Umstände die flammende Röthe auf ihre Wangen getrieben wird, dann kann ich nicht anders, ich muß ihrer Mutter gedenken, wie dieselbe in ihren letzten Lebensjahren aussah, und wie ein fürchterliches Urtheil schallt mir in die Ohren der Spruch – ich glaube er steht im Gesangbuch oder im Katechismus oder sonst wo – die Sünden der Eltern sollen an ihren Kindern heimgesucht werden, bis in's dritte und vierte Glied.«

»Aber das wäre ja schrecklich, schrecklich!« sagte ich bebenden Herzens, und vor meine Seele trat Johanna's holdes Bild, mit der brennenden, flüchtigen Röthe auf den zarten Wangen, die ich bisher als einen sie so wohlkleidenden Schmuck betrachtet hatte.

[] »Ja, es wäre schrecklich!« wiederholte mein Vormund, seinen Ausspruch durch heftiges Zupfen und Drehen an seinem im Mondlicht silbern glänzenden Schnurrbart bekräftigend; »aber gerade daß mich dergleichen Befürchtungen verfolgen, ist vielleicht ein Segen für sie, indem ich um so sorgfältiger über sie wache und alles in meinen schwachen Kräften Liegende aufbiete, die Folgen der in ihrer frühsten Jugend empfangenen Eindrücke abzuschwächen und endlich ganz zu verwischen.«

»Es ist meine Aufgabe, es ist die Aufgabe meiner Lisette, und es muß auch Deine Aufgabe sein, immer mehr die Heiterkeit ihres Gemüthes zu wecken und dadurch die Gesundheit ihres Körpers zu stählen. Je heiterer ihre Umgebung, um so heiterer ist sie selbst und um so frischer noch erscheint ihr ganzes Aeußeres, und da ich den Aberglauben, von wegen der Sünden der Eltern, nicht los werden kann, so haben wir, Lisette und ich, beschlossen, Johanna in aller Form des Rechts zu adoptiren und uns später als ihre rechtmäßigen Eltern Vater und Mutter nennen zu lassen. Sind wir erst ihre Eltern, dann giebt es nichts mehr an ihr heimzusuchen.«

»So, mein Sohn, jetzt weißt Du Alles; Du bist nachgerade ein Mann und wirst Dein Benehmen, ja sogar Deine Worte nach den Umständen und Verhältnissen bemessen und abwägen können, vor Allem aber wirst Du einsehen, daß ich wohl Ursache hatte, Dich mit Johanna's Lebensgeschichte bekannt und vertraut zu machen.«

»Und halten Sie für möglich,« fragte ich, sobald der Oberstlieutenant schwieg, »daß dasjenige, was Sie mir eben mittheilten, mich in meinen Gefühlen, doch ich will kälter sprechen, in meinen Ansichten über Johanna in einer andern Weise bestimmen könnte, als mit noch innigerer Theilnahme auf sie hinzublicken, noch sehnlicher zu wünschen, mit zu ihrem Lebensglück beitragen zu dürfen?«

»Nein, mein Sohn, ich halte es nicht für möglich,« antwortete mein Vormund, mir die Hand drückend, »doch wie ich schon andeutete, laß Dich nicht zu früh zum Bauen von studentenhaften Luftschlössern hinreißen. Auch will ich nicht, daß die eben gemachten Eröffnungen jemals wieder zwischen uns zur Sprache kommen oder Du Dich gegen irgend eine sterbliche Seele darüber auslassest; dagegen erwäge Du selbst Alles wohl, und wenn einst die Zeit kommt, in welcher Du, ohne zu erröthen, unter den Töchtern des Landes wählen darfst, und Ihr tretet dann vor mich hin, mit der Erklärung, daß Ihr einig seid, so will ich Euch meinen Segen nicht vorenthalten und mit wahrer Herzenslust Euch Beide meine Kinder nennen.«

Gern hätte ich geantwortet, daß in meinen Gefühlen für Johanna schon gar keine Aenderung mehr möglich sei, daß ich sie liebe, mit der ganzen Kraft meiner Seele liebe und mir nur noch die Aufgabe bleibe, mir ihre Gegenliebe zu erwerben; allein die Feierlichkeit im Wesen des sonst so jovialen alten Herrn, und der bestimmt ausgesprochene Wunsch, mich vorläufig noch nicht in irgend welche Erörterungen über meine und Johanna's Zukunft einzulassen, flößten mir eine gewisse achtungsvolle Scheu ein. Schweigend verfolgten wir daher längere Zeit unsern Weg; mein Vormund schien sich in tiefe Betrachtungen versenkt zu[] haben, und nur selten gab er in der ihm eigenthümlichen Weise äußerliche Zeichen seiner wehmüthigen inneren Erregung.

Sein Schweigen war mir willkommen, denn ich befand mich in einer Stimmung, die mich für eine ernste Unterhaltung fast untauglich machte. Das so eben Vernommene schwirrte mir wild im Kopfe herum, bald bei dieser, bald bei jener Begebenheit weilten die rastlos umherirrenden Gedanken auf Momente. Seltsam und bedauernswürdig, ja entsetzlich, wie mir auch Manches erscheinen mochte, Johanna's Bild strahlte mir aus dem wilden Chaos doppelt lieblich entgegen, und je häufiger ich mir ihre holden Züge, ihr trautes Lächeln vergegenwärtigte, um so mehr gewann sie für mich den Charakter einer Heiligen, deren irdisches Glück zu begründen mir als beseligende, den ganzen innern Menschen veredelnde Aufgabe zugefallen.

Schweigend schritten wir dahin, hier im Schatten, dort im vollen Mondschein, je nachdem hohe Bäume ihre reich belaubten Zweige weit über die Straße fortsendeten, oder niedriges Unterholz dieselbe einfaßte. Die Frösche sangen im Chor ihr eintöniges Lied, und dazwischen fielen, wie kostbare Perlen, die einzelnen tiefen Noten einer Nachtigall. Nirgends ein Mißton, überall tiefer Friede; nur mein Herz klopfte stürmisch und wildbewegt im Vollgefühl meiner jugendlichen unbesiegbaren Kraft. »Alles, Alles für Johanna, nichts für mich,« jubelte es dabei in meiner Brust, »Alles für Johanna, für den holden Stern meines Lebens!«

Schweigend schritten wir dahin. Da sprang Diana uns lustig entgegen. Ich schrak empor, mein Vormund rückte an seiner Augenklappe und salutirte mit sei nem Krückstock.

»Sapperment Junge, da ist ja der Hof,« sagte er in seiner gewöhnlichen lieben, rauhen Weise, ein Zeichen, daß er sich nach der vorhergegangenen heftigen Gemüthsbewegung wieder ermannt habe, »weiß ich doch kaum, wie wir hierhergekommen sind; daran ist das Aufrühren alter Geschichten schuld. Aber es ist besser so; Du wirst es zu schätzen wissen, daß der alte Freund Deines Vaters Dich zu seinem Vertrauten wählte. Und nun zu Bett, Junge, es ist nicht mehr lauge bis zum Tagesanbruch hin, und uns Beiden thut ein Stündchen Ruhe noch.«

Wir waren bei der Hausthür angekommen, und mit einem herzlichen Gute Nacht trennten wir uns.

Ob mein Vormund bald einschlief, weiß ich nicht; von mir aber weiß ich, daß ich von meinem Lager aus bereits in das Licht des jungen Tages hineingeschaut hatte, als die Uebermüdung mir endlich die Augen schloß und mich sogar für Träume unzugänglich machte.

Neuntes Capitel.
Der Schwur.

Wie während eines Gewitters der Kampf der Elemente den Einen niederdrückt und banges Zagen in ihm erweckt, so wird der Andere zu enthusiastischer Bewunderung fortgerissen. Scheint es doch zuweilen, als ob der Anblick der wild empörten Natur den Muth des schwachen Sterblichen stähle und ihn aufmuntere, sich wild und verwegen in den Kampf des Lebens hineinzustürzen und mit keckem Muthe an irgend[] eine, oft in tollem Leichtsinn übernommene schwierige Aufgabe sich heranzuwagen.

So erging es auch mir, als ich, nachdem ich mich bei Königswinter über den Rhein hatte setzen lassen, dem mir auf so geheimnißvolle Weise bezeichneten Versammlungsort zuwanderte.

Die Sonne hatte längst die Mittagslinie überschritten, und die Schatten begannen schon, sich nach Osten hin erheblich zu verlängern, als das leichte duftige Gewölk, welches den größten Theil des Tages hindurch den südlichen Horizont bedeckt hatte, sich zu schweren, wetterleuchtenden Massen verdichtete und schnell heraufzog.

Die Aussicht, durchnäßt zu werden, hatte für mich nichts Schrecklichen, und mehr mit fröhlicher Theilnahme, als mit einem Gefühl der Unbehaglichkeit, betrachtete ich die schwarzgrauen Wolken, wie sie, mit rasender Eile unausgesetzt ihre äußeren Formen verändernd, sich dräuend über einander thürmten und endlich das Strahlenantlitz der Sonne vollständig verschleierten.

Ich betrachtete die Wolken, ich lauschte dein fernen Rollen des Donners und beobachtete zugleich die Menschen und Thiere, wie dieselben, Jedes auf seine Art, den Schutz eines sichern Obdachs zu erreichen trachteten.

Als dann endlich ein dem Ungewitter vorauseilender Sturmwind durch das Rheinthal sauste, hier die eilenden Fluthen des Stromes in unzählige kleine Wellen aufrührte, dort in den Straßen den Staub in dichten gelben Säulen emporwirbelte und sich sogar an den nur einigermaßen lose haftenden Halmen eines schwer beladenen und im Trabe der Tenne zugeführten Heuwagens vergriff, wie da die Vögel des Waldes ängstlich ihren verborgenen Schlupfwinkeln zuflogen, die Krähen so besorgt krächzten, die Rinder so verstört brüllten und ihren Ställen und Schuppen zueilten; und wie die Bauerburschen so lustig lachten, wenn ein heimtückischer, unverschämter Windstoß hier ein weißes Kopftuch, dort eine lose um die Schultern geschlungene Schürze entführte und die züchtig anschließenden Röckchen neckisch aufbauschte! Und als dann endlich der erste Wetterschlag das Echo ringsum in den Bergen wachrief und gleich darauf schwere Regentropfen klatschend auf die Erde schlugen, wie da Alles seine Eile verdoppelte und die auf der Zunge schwebenden Scherzreden schnell verstummten! Ich aber, im vermessenen Bewußtsein meiner unüberwindlichen Kraft, schloß meine Faust fester um den glatten Knopf meines Ziegenhainers, und so wohlgemuth, wenn auch im Grunde erfüllt von ernsten Gedanken, bog ich in den nach der Höhe hinaufführenden Pfad ein, als hätte ich, sowohl gegen den Regen, als auch gegen den zischenden Wetterstrahl, die Unverwundbarkeit eines Achilles besessen.

Daß ich eine derartige Unverletzlichkeit nicht besaß, erfuhr ich indessen nur zu bald, denn erst wenige hundert Schritte hatte ich an dem Abhange hinauf zurückgelegt, da brach der Regen mit einer Wolkenbruchartigen Heftigkeit los, so daß nach kurzer Frist durch das auf dem Pfade niederströmende Wasser meine Schritte gehemmt wurden und ich mich auf dem schlüpfrig gewordenen Boden kaum noch vorwärts zu bewegen vermochte.

[] »Ein Römer würde diesen Regen als eine von den Göttern ausgehende Warnung betrachten und umkehren, anstatt sich tiefer in ein gefährliches Unternehmen einzulassen,« dachte ich, indem ich nach einem Schutz umherspähte.

»Weil ich aber kein Römer bin,« fuhr ich fort zu philosophiren, »will ich das böse Omen nicht weiter berücksichtigen und nur so lange irgendwo untertreten, bis der Regen vorüber ist.«

Da fielen meine Blicke auf einen alten verlassenen Basaltsteinbruch, dessen Grenze bis auf wenige Schritte au die Straße heranreichte, und hoffend, daselbst ein nothdürftiges Obdach zu finden, begab ich mich schnell dahin.

In meinen Erwartungen fand ich mich nicht getäuscht, denn indem man in den Abhang hineingearbeitet hatte, war die Erdoberfläche auf eine kurze Strecke unterminirt worden, und da der Boden dieser Aushöhlung sich ebenfalls nach Außen senkte, so war ich nicht nur von oben gegen den Regen geschützt, sondern das Wasser strömte zu meinen Füßen auch ebenso schnell wieder ab, wie es sich ansammelte.

In zwei Sprüngen befand ich mich im Trocknen, und das Wasser von mir abschüttelnd, setzte ich mich auf einen Felsblock so hin, daß ich die volle Aussicht auf den Rhein und das hinter demselben sich erhebende, aber dicht verschleierte Siebengebirge genoß.

Meine nähere Umgebung hatte ich in der Hast nicht beachtet, es mußte mich daher auf's Aeußerste überraschen, plötzlich ganz in der Nähe den Ton einer menschlichen Stimme zu vernehmen, ohne daß ich auch zu gleicher Zeit des Menschen selber ansichtig geworden wäre.

Die Rückwand des Steinbruchs zog sich nämlich in einem weiten Bogen herum, aber keineswegs in einer ununterbrochenen Fläche, sondern, je nachdem das Gestein schichtweise nachgiebiger und loser haftend befunden worden war, halten die Arbeiter, gleichsam Nischen bildend, sich mehr oder minder tief in den harten Basaltfelsen hineingearbeitet.

Ohne mich umzuschauen war ich also in die erste beste Nische hineingetreten, und wenn auch einer in der nächsten Aushöhlung verborgenen Person meine Annäherung nicht entgehen konnte, so hätte ich doch um den mich von ihr trennenden Pfeiler herumblicken müssen, um überhaupt eine Ahnung von ihrer Anwesenheit zu erhalten.

Beim ersten Ton, welchen ich vernahm, war ich im Begriff aufzuspringen, um mich von dem äußeren Charakter meines Nachbars zu überzeugen, doch änderte ich ebenso schnell meinen Entschluß, sobald ich die Stimme erkannte und erwarten durfte, daß die Worte ausdrücklich, wenn auch mittelbar, mir gelten sollten. Ich verhielt mich daher ruhig, und mit einer eigenthümlichen Spannung, die meinen bizarren Jugendträumen vollständig entsprach, lauschte ich.

»Die Blitze sprüh'n, der Donner kracht,

Vom Himmel strömt der Regen,

Ich hatte aus dem Berge Wacht,

Umtobt von Wetterschlägen,«

sang die unsichtbare Wandrerin die selbstgedichteten Verse nach einer wilden, offenbar selbstcomponirten Melodie, worauf sie wieder eine Weile schwieg.

Obwohl ich der unglücklichen Brüsselbach schon[] vielfach auf meinen Spaziergängen und Fußreisen begegnet war, und zwar meist dann und an solchen Orten, wo und wann ich sie am allerwenigsten zu finden erwartete, so erschien mir ihre Anwesenheit in dem Steinbruch doch als etwas ganz Ungewöhnliches und Unbegreifliches.

Zu jeder andern Zeit würde ich, auf die Entdeckung ihrer Nähe, ganz gewiß sogleich vor sie hingetreten sein, um mit dem armen Geschöpf das Gewitter und den Regensturm zu verplaudern; an jenem Tage dagegen war mir mehr um ihre wilden Poesien zu thun, welche ich als ebenso viele Orakelsprüche betrachten und auf die bequemste und mir angenehmste Art deuten konnte.

Ihre Orakelsprüche erhielten aber in meinen Augen gerade dadurch einen erhöhten Werth, weil ich mir sagen durfte, daß sie mich gesehen habe und daher ihr Geist sich ausschließlich mit mir beschäftige.

Nach einigen Minuten, und nachdem ein furchtbarer Wetterschlag die Felsen ringsum erbeben gemacht hatte, der dichter niederströmende Regen aber sogar die unten am Fuße des Berges befindlichen Häuser und Baumgruppen nur noch als dunklere Schatten in der bleigrauen Atmosphäre hervortreten ließ, sang Fräulein Brüsselbach mit verändertem Rhythmus und noch trüberem Ausdruck weiter.

»Was wollt Ihr auf dem Berge,

Ihr frisches, junges Blut?

Wollt Ihr zum Himmel steigen,

Wo Blitz und Donner ruht?«

Ich war betroffen; wußte sie um meinen Plan und die an mich ergangene Aufforderung, oder war es nur Zufall, daß der Sinn ihrer Worte auf meine heimlich eingegangenen Verpflichtungen anspielte? so fragte ich mich mit wachsender Spannung.

Nach einer längeren Pause, welche die Irrsinnige offenbar zur Bildung eines neuen Verses verwendete, hob sie wieder an:

»Was wir lieben, geht verloren,

Tritt oft an des Grabes Rand,

Gerade dann, wenn wir es glaubten

Sicher schon in unserer Hand.«

»Welch' schauerliche Phantasien,« sprach ich in Gedanken, und mein Herz bebte, indem ich mir Johanna, namentlich aber die brennende, flüchtige Röthe auf ihren Wangen vergegenwärtigte. Fast bereute ich, schon so viel vernommen zu haben, und dennoch vermochte ich es nicht über mich zu gewinnen, die unheimliche Sängerin zu unterbrechen.

»Und so saß er eines Morgens,

Eine Leiche da;

Nach dem Fenster noch das bleiche,

Stille Antlitz sah.«

Recitirte sie im nächsten Augenblick, und ich glaubte zu errathen, daß die Insel Nonnenwerth, die jetzt allmälig aus dem nachlassenden Regen hervortauchte, ihr Schiller's schöne Ballade in's Gedächtniß gerufen habe.

»Auf Sonnenschein folgt Regen,

Auf Regen Sonnenschein,

Dort oben auf dem Berge

Blüht Dir verbot'ner Wein,«

hieß es jetzt weiter.

Die wiederholte Warnung vor dem Berge mußte[] mich natürlich sehr befremden, und mit meinem besten Willen war ich nicht mehr im Stande, Fräulein Brüsselbach's Poesien für das zu halten, was sie eigentlich waren, nämlich Ergüsse eines kranken Gemüthes.

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte, wer es war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar!«

sprach sie darauf mit lautem Pathos und weniger feierlichem Ausdruck, als ob der Streifen Sonnenlicht, welcher dem davoneilenden schwarzen Gewölk auf dem Fuße nachfolgte, sie heiterer gestimmt habe.

»Excellenz,« fügte sie dann in ihrer gewöhnlichen zutraulichen Weise hinzu, welche Bezeichnung sich nur auf mich beziehen konnte, »Excellenz hätten etwas früher kommen müssen, Ihro Gnaden Sammetröckchen würde alsdann keinen Schaden gelitten haben.«

»Fräulein Brüsselbach, ich begrüße Sie und mache Ihnen mein Compliment über die gefällige Art, in welcher Sie den Pegasus zu tummeln verstehen,« rief ich mit erkünstelter Heiterkeit aus, indem ich um die Felsenecke herumsprang und zu ihr in die Nische trat, denn ich wollte mit Gewalt die Eindrücke verscheuchen, welche sie mit ihren wirren Dichtungen auf mich ausgeübt hatte.

Sie bot in ihrem Aeußern ganz dasselbe Bild, wie damals auf dem Godesberg, und wie damals, schien sie auch hier mit Schreiben beschäftigt gewesen zu sein. Ich bemerkte wenigstens, daß ihr geöffnetes Dintenfläschchen auf einem schmalen Vorsprung der Basaltmauer stand, und sie eben ihre Feder trocknete. Von Papier sah ich indessen nichts, vermochte also auch nicht zu errathen, ob sie das Geschriebene in die Tasche gesteckt oder, wie sie häufig zu thun pflegte, in eine Felsritze verborgen habe.

Bei meinem Eintreten in die Nische erhob Fräulein Brüsselbach sich mit überaus komisch verschämtem Wesen von dem Felsblock, auf welchen: sie so lange gesessen hatte; ihre Hände fuhren ordnend über ihr grünes Baret und zupften demnächst das gestickte Unterkleid in malerische Falten, worauf sie eine kunstgerechte tiefe Verbeugung ausführte.

»Den Herrn Grafen habe ich die Ehre willkommen zu heißen,« sagte sie mit einem gutmüthigen Lächeln auf den breiten ausdrucklosen Zügen.

»Behalten Sie Platz, Fräulein Brüsselbach,« entgegnete ich, mich ebenso förmlich verbeugend, »es freut mich, Sie einmal wiederzusehen, hat es doch fast den Anschein, als ob wir uns hier ein Rendez-vous gegeben hätten.«

»Und das bezweifeln der Herr Graf noch?« fragte die Irrsinnige in vorwurfsvollem Tone, indem sie sich etwas höher aufrichtete, ohne daß indessen das gutmüthige Lächeln aus ihrem Antlitz gewichen wäre; »und das bezweifeln der Herr Graf?« wiederholte sie, ihre graublauen Augen voll auf mich heftend und eine theatralische Haltung annehmend; »doch ich begreife: Eure Excellenz belieben nur mit Ihrer unterthänigen Dienerin zu scherzen, indem Euer Gnaden unser wohlverabredetes Zusammentreffen dem Zufall zuschreiben. Nichts in der Welt ist Zufall. Alles ist Bestimmung, und schon seit zwei Stunden harre ich auf den Herrn Grafen.«

[] »Was? aus mich gewartet haben Sie?« rief ich, lachend aus, trotzdem der Irrsinnigen geheimnißvolles Wesen nicht ohne Einfluß auf meine Stimmung blieb und ich nichts sehnlicher wünschte, als einen Beweis für ihre Behauptung zu erhalten, »wie wollen Sie das erklären? Hege ich selbst doch erst seit gestern die Absicht hierherzukommen.«

»Erklären, Herr Graf?« fragte Fräulein Brüsselbach, indem sie ihr Dintenfläschchen zukorkte und in die Tasche schob, »erklären Eure Excellenz mir vorher, warum es eben noch über uns donnerte und blitzte, während jetzt der Himmel sich wieder öffnet und die Sonnenstrahlen nach allen Richtungen hin den Regen auszutrinken sich bemühen, und ich will dem Herrn Grafen erklären, warum ich hier bin.

Ich folge meinem Sterne,

Getrost und ohne Scheu,

und darum bin ich hier, und darum habe ich Ihre Gnaden bereits seit zwei Stunden erwartet.«

»Und so hätten Sie denn wirklich um mein Kommen gewußt?« fragte ich mit verstellter Verwunderung, »wohlan, ich will es glauben; dann müssen Sie mir aber auch sagen können, wohin ich gehe.«

»Der Herr Graf gehen hin, wohin die anderen gestreiften Käppchen gingen, immer hinauf, immer den Berg hinan; aber hüten sich der Herr Graf, auf dem Berge wächst verbotener Wein.«

»Ah, das läßt sich hören, ich gehe allerdings dahin, wo ich Kameraden zu finden hoffe; aber noch Eins, Fräulein Brüsselbach, hatten Sie einen Zweck, als Sie mich erwarteten?«

»Einen Zweck?« fragte die Wahnsinnige zurück, mich erstaunt aber immer lächelnd von oben bis unten betrachtend, »ich hatte einen Zweck, einen sehr triftigen Zweck, warum ich hier einkehrte: ich wollte nicht naß werden, wie der Herr Graf, der Zeug genug zum Wechseln besitzt; und als ich Ihro Gnaden dann bemerkte, wie Sie den Berg heraufkamen, da durfte ich doch wohl darauf rechnen, daß Sie nicht ohne einzukehren hier vorbeigehen würden.«

»Also dennoch Alles Zufall,« murmelte ich verdrossen vor mich hin, indem ich abwechselnd das Herverbrechen der Sonnenstrahlen und das schnelle Verlaufen des Wassers beobachtete.

»Wie befehlen der Herr Graf?« fragte Fräulein Brüsselbach zuvorkommend.

»Ich befehle nichts, ich habe nur laut gedacht.«

»Ah, der Herr Graf gedachten ihrer, mit dem Rabenhaar und den Azuraugen. Glück auf, Herr Graf; die Augen sind der Spiegel der Seele, und in ihren Augen stand mit flammender Schrift geschrieben das holde Lied von der jungfräulichen Liebe, dem Brautkranz und dem Altar.«

Nicht ohne Wohlgefallen hörte ich zu, wie sie abermals meiner Liebe zu Johanna einen so glücklichen Erfolg verhieß, ohne daß ich sie darum befragt oder sie auch nur eine Ahnung von meinen geheimen Wünschen gehabt hätte. Zugleich beschlich mich aber die unbestimmte Besorgniß, daß durch eine Verlängerung des Gespräches das vor mir aufgerollte heitere Bild eine düstere Färbung erhallen könne; und hätte ich, um mich zu beruhigen, ihre trüben Weissagungen als wirre Gedanken einer Geisteskranken in das Reich der Thorheiten zurückgewiesen, so wären selbstverständlich [] auch die mir zusagenden Prophezeiungen mit demselben Schlage vernichtet gewesen.

Letzteres wollte ich aber nicht gern, und da der heftige Regenguß sich allmälig in einen schillernden Sonnenregen verwandelt hatte und, nach den Aeußerungen der Irrsinnigen zu schließen, die mir noch unbekannten Verschworenen bereits oben eingetroffen waren, so bereitete ich mich zum Aufbruch vor.

»Wollen der Herr Graf nicht das Ende des Regens abwarten?« fragte Fräulein Brüsselbach, sobald sie mein Vorhaben bemerkte.

»Ich muß fort, mein liebes Fräulein,« entgegnete ich heiter, um ihr jede Gelegenheit zu düsteren Prophezeiungen und Unheil verheißenden Sprüchen abzuschneiden, »ja, ich muß fort; nachdem ich durchnäßt wurde, kümmern mich die paar Tropfen nicht mehr. Das Wasser in den Wegen hat sich verlaufen, und so wünsche ich Ihnen eine glückliche Reise, wohin Sie auch immer Ihre Schritte lenken mögen.«

So sprechend, steckte ich ihr ein kleines Geldstück zu, worauf ich mich umwendete, um zu gehen.

»Ich danke, Herr Graf!« rief Fräulein Brüsselbach mir nach, »reifen auch Sie glücklich und hüten Eure Excellenz sich vor dem Schwarzen.«

»Was meinen Sie mit dem Schwarzen?« fragte ich hastig, noch einmal zurückschauend.

»Schwarze Haare, schwarze Augen, schwarze Kleidung und schwarze Seele.«

Unwillkürlich gedachte ich Bernhard's, auf den diese Beschreibung möglichen Falls hätte passen können, doch vermied ich weiter zu forschen, aus Furcht, daß dadurch neue Zweifel in meiner Brust wach gerufen werden würden. Dagegen faßte ich den Vorsatz, Bernhard bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, ob er jemals mit der Wahnsinnigen zusammen getroffen sei.

»Ich werde vor dem Schwarzen auf meiner Huth sein!« rief ich lachend zurück, worauf ich hastig aus dem Steinbruch kletterte und auf dem rein gewaschenen Pfade meinen Weg aufwärts verfolgte.

Die ganze Gegend schwamm jetzt wieder im glänzendsten Sonnenschein; nur einzelne transparente Wolken segelten noch an dem aufgeklärten Himmel dahin, strichweise leichte Schauer blitzender Tropfen, wie Peilen und Diamanten aus einem Füllhorn des Segens auf die erquickte Erde niedersendend.

Gegen Norden und Nordosten verfinsterten wetterleuchtende Wolkenmassen noch immer den Horizont; dumpf grollte der Donner in der Ferne, als ob er darüber gemurrt habe, nur der ihm streng angewiesenen Straße folgen zu dürfen, während ein wunderbar schöner Doppelregenbogen scheinbar das Thor bildete, durch welches das Unwetter abgezogen.

Die Atmosphäre hatte sich aber gereinigt; ein erfrischender Luftzug wehte zwischen den Bergen hindurch; Bäume, Sträucher und Pflanzen prangten in ihrem schönsten, saftigsten Grün, und hoch oben im sonnigen Aether jubelten die dankbaren Leichen so innig, so zum Heizen dringend, daß man in ihre heiteren Melodien hätte mit einstimmen mögen.

O, es war eine entzückende Wanderung den Berg hinauf! Wollüstig athmete ich die mit süßen Wohlgerüchen erfüllte Luft ein, und wie berauscht von so [] viel Schönheit ließ ich meine Blicke weit, weit in die Ferne schweifen.

In mächtigen Windungen verfolgte der majestätische Strom seine tausendjährige Bahn gen Norden, gerade da am Horizont verschwindend, wo seitwärts von den Gewitterwolken, mit einem duftigen Schleier verhangen, aber dennoch deutlich erkennbar, die Thürme und Zinnen des altehrwürdigen Cöln emportauchten. Bewaldete Hügelreihen, hier gekrönt mit einer alterthümlichen Kapelle, dort geschmückt mit den malerischen Ueberresten zerfallender Burgen, wechselten anmuthig mit grünen Saatfeldern und Weingärten ab. Strohgedeckte Dörfer erzählten von der Betriebsamkeit der Menschen, stattliche Villen von deren Reichthum; weiß übertünchte Häuser erinnerten an die Neuzeit, graue unregelmäßig angelegte Baulichkeiten an das Ehemals; und während der morsche Mauerbogen von Rolandseck und der zerbröckelnde Thurm der Ruine Drachenfels von der Vergänglichkeit alles Irdischen zeugten, boten die stattlichen Bauwerke der Natur, das Siebengebirge mit seinen pittoresken Außenlinien und der alte Vater Rhein noch immer dasselbe unveränderliche Bild, wie einst vor Jahrtausenden.

Ich blickte bewundernd über die herrliche Landschaft hin und jubelte in Gedanken mit den Lerchen um die Wette; mir war, als ob der wachsende frische Lebensmuth mir die Brust hätte zersprengen müssen, als ob wirklich die Kraft einer Armee in meine Faust übergegangen wäre. Hatte sich aber meine Phantasie im jugendlichen Rausch so hoch emporgeschwungen, daß ich glaubte, wie aus den Wolken auf die kleine Erde niederblicken zu können, und schaute ich darauf rückwärts nach der Löwenburg hinüber, nach der Richtung, in welcher die traute Oberförsterei lag, o wie friedlich und doch auch wieder so stürmisch klopfte mir dann das Herz. Gefühle der mildesten und freundlichsten Art erfüllten meine Brust, und indem alle meine Gedanken sich um eine einzige Hoffnung vereinigten, sprach ich wie unbewußt vor mich hin: »Johanna!« –

Nach ziemlich mühevoller Wanderung auf dem noch schlüpfrigen Pfade erreichte ich endlich den Gipfel des Berges. Die Sonne neigte sich stark den Westlichen Höhen zu, als ich oben eintraf und vergeblich nach Denjenigen spähte, die mich dorthin gefordert hatten.

Ich dachte schon daran, meine Anwesenheit durch einen lauten Ruf zu verkünden, in der Hoffnung, in gleicher Weise eine Antwort zu erhalten, als meine Blicke auf einen Stab fielen, welcher auf der Mitte des kleinen den Berggipfel bildenden Plateaus in die Erde gesteckt worden war und auf dem obern Ende einen Streifen Papier, wie ein Fähnchen, lustig in ein leisen Abendwinde flattern ließ.

»Das Papier muß unstreitig erst nach dem Regenguß dort befestigt worden sein,« dachte ich, mich demselben nähernd und es von dem Stäbchen lösend, Ein Blick belehrte mich, daß ich mich nicht täuschte, denn ich enträthselte sogleich meinen in Chiffern geschriebenen Namen, dem noch mehrere Reihen mit Bleifeder geschriebener Zahlen beigefügt waren.

»Sei uns willkommen als Bruder und Mitkämpfer. Die Vorsicht gebietet uns, nicht eher von [] Angesicht zu Angesicht bekannt mit Dir zu werden, als bis Du durch einen heiligen Eid bekräftigt, daß Du fest entschlossen bist, unserm Bunde beizutreten, und Deinen Entschluß nicht bereust. Noch ist es Zeit zum Umkehr; wir wandeln auf gefährlichen Wegen; prüfe Dich daher, und fühlst Du den leisesten Zweifel, so laß diesen Zweifel maßgebend für Dein ferneres Verhalten sein. Kehre um; vergieß, was Du erfahren hast, bringe dieses Schreiben an dieselbe Stelle, von welcher Du es fortnahmst, und trachte nicht danach, Einen von uns kennen zu lernen; es würde vergebliche Mühe sein. Bist Du indessen bereit, Dein Leben auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen, dann zerbrich, als Beweis, daß Du mit allen andern, Dich in Deinem Thun und Lassen möglichen Falls beeinflussenden Rücksichten gebrochen, den Stab vor Deinem Knie und hebe, Gott zum Zeugen Deines Willens und Deines Versprechens anrufend, Deine Hand empor.«

So lautete das Schreiben. Aufmerksam las ich es zu Ende, als ich aber den Inhalt schon längst kannte, blickte ich noch immer, wie lesend, auf dasselbe hin.

Ich ahnte, daß von allen Seiten prüfende Augen auf mich gerichtet seien, und schämte mich, die in meiner Seele wühlenden Zweifel vor diesen zu verrathen. Bei dem Satz, daß ich mit allen andern Rücksichten zu brechen habe, gedachte ich meines greisen, wohlwollenden Vormundes und ich zögerte mit meiner Entscheidung; sobald ich mir aber Johanna's holdes Bild vergegenwärtigte, mir in's Gedächtniß zurückrief die traurige Geschickte, welche sich an ihre Kindheit knüpfte, und daß sie wohl verdiene, nicht nur der geliebte und gesegnete Mittelpunkt einer glücklichen Häuslichkeit, sondern auch ein hochgeachteter und verehrter, leuchtender Stern im höchsten, geselligen Verkehr zu werden, da fühlte ich alle Bedenken plötzlich von mir weichen.

Um den unbekannten Beobachtern darzulegen, daß für den Muthigen Nichts zu gefährlich sei, zerriß ich das Papier schnell in kleine Stücke, und nachdem ich diese in die Luft geschleudert, daß sie, ähnlich einer kleinen Heerde verirrter Schneeflocken, um mich herumwirbelten und der Richtung der Luftströmung eine Strecke nachfolgten, legte ich meine Hand mit festem Griff an den Stab. Ein kurzes Rütteln und er befand sich in meinem Besitz, mit ebenso entschiedenen Bewegungen zerbrach ich ihn darauf in der mir vorgeschriebenen Weise, und meine Hand feierlich emporhebend rief ich aus: »ich schwöre!«

Alsbald begann es sich hinter den Stechpalmengruppen und den durch Brombeerranken fast undurchdringlich gemachten Wachholderbüschen zu regen. Farbige Mützen tauchten ringsum empor und treue Hände streckten sich mir von allen Seiten zum brüderlichen Gruß entgegen.

Das Erscheinen von fünfzehn oder sechszehn Studenten hatte ich erwartet, es überraschte mich daher nicht. Aber einen Ausruf des Erstaunens vermochte ich nicht zu unterdrücken, als ich in die vertrauten Gesichter von Commilitonen schaute, mit denen ich so manches liebe Mal beim heitern Zechgelage vereinigt gewesen, so manches liebe Mal bei der ernsten Melodie des »Landesvater« die spitze Rappierklinge,[] zum Zeichen ewiger Treue, durch die hochgehaltene Corpsmütze gestoßen.

»Also auch Du!?« rief ich erstaunt aus, als meine Blicke zuerst einen alten Schulfreund von mir trafen, »und auch Du?« fuhr ich fort, einem flotten Burschen, dem ich einst im ernsten Duell gegenübergestanden, die Hand drückend, »und Du und Du?« rief ich jedesmal, sobald ich in ein anderes befreundetes Antlitz sah und in demselben den Ausdruck ungeheuchelter Freude entdeckte.

»Und vor allen Dingen Du selber,« hieß es von allen Seiten zurück, »Du, unser Bruder auf Leben und Tod, Du, unser treuer Gefährte bei dem ernsten Werke, welches wir vorbereiten.«

Wäre ich über die von mir einzuschlagende Handlungsweise noch von Zweifeln befangen gewesen, in diesem Augenblick hätten sie gewiß ihr Ende erreicht. Denn fühlte ich mich schon gehoben durch den warmen Empfang, der mir zu Theil wurde, so empfand ich eine doppelte Befriedigung, mich nur von Freunden und Studiengenossen umgeben zu sehen, die ich, ihrer ehrenhaften Führung wegen, stets mit Achtung zu betrachten gewohnt war, und die, hochgestellten wie auch bescheidenen Familien entsprossen, nicht nur den Unterschied in ihrem Herkommen, sondern auch die oft maßgebende Dauer ihrer Studienzeit bis auf die letzte Spur vergessen hatten. Da zeigte sich nichts von finsterem Fanatismus oder überspannter Schwärmerei, dagegen sprach deutlich aus den enthusiastisch leuchtenden Augen die heilige Ueberzeugung, daß man sich ein edles, ein erhabenes Ziel gesteckt habe und mit Freuden bereit sei, zur Erreichung desselben, Alles, selbst Leben und Freiheit in die Wagschale zu werfen. Ich blickte im Kreise herum, überall gewahrte ich denselben Ausdruck, an welchem sich mein Herz erwärmte und meine leicht erregbare Phantasie sich entzündete, und nachdem die erste Begrüßung beendigt, da rief ich, von wildem Entzücken ergriffen, noch einmal laut aus, indem ich die Mütze von meinem Haupte zog: »Treue bis zum Tode! Treue über das Grab hinaus, und mag Gottes Segen auf unserm Beginnenn ruhen!«

»Mag Gottes Segen auf unserm Beginnen ruhen!« antwortete im Chor die Schaar der Brüder; die Häupter entblößten sich, wie zum Gebet, und die Augen erhoben sich andächtig zum Himmel, an welchem eine Heerde rosig-glühender Wölkchen einherzog.

Die Sonne, bereits ihres blendenden Strahlenkranzes beraubt, beleuchtete magisch die mittelalterlich geschmückten Gipfel der Berge, die Lerchen, zum letzten Mal für diesen Tag emporgestiegen, schmetterten ihr Abendlied, und tief unten, in der Mitte des Rheines auf der grünen Insel, da rief nach alter gewohnter Weise vom Thurm der Klosterkapelle das Vesperglöcklein zum gemeinsamen Ave Maria.

Wie aus den Wogen des Rheines selbst tönten die feierlichen Klänge zu uns herauf; mochten sie auch in den leeren, längst für andere Zwecke eingerichteten, gespenstischen Klosterräumen ungehört verhallen, so erweckten sie doch manches Gemüth zu frommen Betrachtungen. Mir war es wenigstens, als ob die Natur vor dem Entschlummern noch einmal das Hochamt abgehalten und der liebe Gott selber als Meßner das Glöcklein dazu geläutet habe.

[] Aehnliche Gefühle mußten meine Kameraden bestürmen, denn alle erschienen von demselben Ernst, von demselben festen, heiligen Willen erfüllt, und lange dauerte es, eh' Einer daran dachte, das Wort zu ergreifen und in einer begeisternden Rede des uns zu einem mächtigen Ganzen vereinigenden Zweckes zu gedenken.

Zu weiteren Berathungen und Beschlüssen kam es an diesem Abend nicht. Es handelte sich vornehmlich darum, mich in die Geheimnisse der durch alle deutsche Gaue reichenden Verbindung einzuweihen und mir es zu ermöglichen, mich ohne Gefahr fremden Gesinnungsgenossen zu erkennen zu geben, aber auch solche zu erkennen.

Ueber den Plan der Ausführung des Unternehmens, welches eine so vollständige, staatliche Umwälzung, die Vereinigung aller deutschen Lande zu einem einzigen, untheilbaren, unüberwindlich starken Ganzen im Gefolge haben sollte, ließ man mich im Dunkeln, doch bin ich geneigt anzunehmen, daß die wenigsten meiner Kameraden damals schon Kenntniß davon besaßen, die meisten aber, wie ich, vorläufig nur zu Werkzeugen in den leitenden Händen bestimmt waren, oder gewissermaßen eine Art von Prüfungszeit durchzumachen hatten. –

Es dämmerte, als wir unsere geheime Versammlung aufhoben und uns zur Heimwanderung nach Bonn rüsteten, und jetzt erst fiel mir auf, daß Bernhard sich nicht unter den Anwesenden befand.

Da ich keinen Grund mehr hatte, meinen Verkehr mit ihm als ein Geheimniß vor meinen Mitverschworenen – wie ich damals mit Stolz meine Commilitonen nannte – zu betrachten, so erkundigte ich mich offen nach ihm.

Es befremdete mich, zu vernehmen, daß er sich nur in den seltensten Fällen an den Zusammenkünften betheilige, deshalb aber nicht minder thätig für den glücklichen Erfolg des großen Wertes sei. Da er keine Collegien mehr besuchte, so konnte, namentlich weil er Geistlicher war, sein zu häufiger Verkehr mit den Studenten leicht auffallen und zu Argwohn Veranlassung geben. Er hatte daher, seine Unabhängigkeit benutzend, die schwierigere Rolle eines Vermittlers zwischen den verschiedenen Universitäten übernommen, und ging bald hierhin, bald dorthin, um zu berichten und zu erfahren, was man, selbst in Chiffreschrift, dem Papier anzuvertrauen sich scheute.

So hatte er auch an diesem Tage erst einen unten vorbeifahrenden Wagen dazu benutzt, um nach Heidelberg und Frankfurt zu gelangen, wo er die nächste Zeit zuzubringen beabsichtigte.

»Ist er denn hier oben gewesen?« fragte ich im Laufe des Gesprächs, während wir langsam in's Thal niederstiegen.

»Er begleitete uns bis hinauf,« erhielt ich von mehreren Seiten zur Antwort, »dann lehrte er zurück, um den Wagen nicht warten zu lassen. Es hat sich nämlich ein Onkel von ihm, der, wie er selbst, ursprünglich aus Italien stammt, zu ihm gesellt, und um sich des ihm gleichgültigen, wahrscheinlich auch etwas zudringlichen Verwandten auf wenig auffällige Art zu entledigen, war er gewissermaßen gezwungen, bis Koblenz in dessen Gesellschaft zu reisen und seinen Wagen zu benutzen.«

»Habt Ihr den Herrn Onkel gesehen?« fragte [] ich gespannt, denn ich dachte in diesem Augenblick an Fräulein Brüsselbach und die versteckte Warnung, welche sie mir ertheilt hatte.

»Ein echter Pfaffe mit feinem, glattem Wesen,« antwortete Einer aus der Gesellschaft, »und ich verdeute es Bernhard nicht, daß er sich so wenig zu ihm hingezogen fühlt.«

»Hüten Sie sich vor dem Schwarzen,« summte, mir die Warnung der Wahnsinnigen in den Ohren, doch vergaß ich dieselbe schnell wieder, indem ich überlegte, daß sie wohl schwerlich den fremden Geistlichen jemals gesehen und daher gemeint haben könne, und die letzten Bedenken, welche ich über Bernhard's Charakter noch hätte hegen können, erstarben schnell, als ich vernahm, mit welcher Wärme man seine Opferwilligkeit und Umsicht pries, die er namentlich auf seinen Reisen an den Tag lege.

»Wer hätte gedacht, daß sein verschlossenes, sogar abstoßendes Wesen nur eine klug gewählte Maske sei,« sagte ich sinnend zu dem an meiner Seite hinschreitenden Gefährten.

»Und dennoch gehören gerade solche Leute, die, wie Bernhard, von geheimen, ehrgeizigen Plänen geleitet werden, mit zu den festesten Stützen unserer Verbindung. Ihr Ehrgeiz ist die sicherste Bürgschaft ebensowohl für ihre Treue, wie dafür, daß sie vor keinen Opfern und Anstrengungen zurückbeben, wenn es gilt, dem allgemeinen Besten zu dienen.« –

In dem Gasthofe von Rolandseck verweilten wir nur lange genug, um uns durch einen Becher Wein zu erfrischen, und rüstig wanderten wir darauf dem in nächtliche Schatten gehüllten Bonn zu. Wie bei frühern Gelegenheiten heiterer Gesang dazu diente, uns die Zeit zu verkürzen, so gaben wir uns an diesem Abend, da nur Gleichgesinnte uns hörten, ausschließlich tief-ernsten Gesprächen und Berathungen hin.

Dieselben wirkten förmlich berauschend auf mich ein, denn als ich gegen Morgen endlich mein Schlafgemach betrat, da war ich wie umgewandelt. Des Oberstlieutenants ehrwürdige Gestalt hatte nichts Drohendes, nichts Schreckenerregendes mehr für mich; ich fühlte mich erhaben über alle Vorurtheile der bevorzugten Stände, und heiß ersehnte ich die Zeit herbei, in welcher ich stolzerfüllt vor meinen Vormund winde hintreten und ihm Rechenschaft über mein Thun und Lassen ablegen können, die Zeit, in welcher ich die goldigen Früchte meines kühnen Entschlusses, gewonnen unter Gefahren und im furchtbaren Kampfe um die höchsten Güter der Völker, Johanna zu Füßen legen durfte.

Zehntes Capitel.
Die Entscheidung.

Der Sommer entschwand; seine späten heißen Tage reiften die schwellenden Trauben auf den Abhängen der Berge und begünstigten den Ackerbauer beim Einbringen der letzten Getreidegarben; herbstliche Nebel begleiteten den Aufgang und den Untergang der Sonne, und immer größer und immer umfangreicher [] wurden die gelben und braunen Schätzungen in den Laubmassen der Waldungen.

Der Sommer entschwand, der Herbst trat an seine Stelle. Weißer Reif stahl sich unter dem Schutze der Dunkelheit auf die abgeernteten Felder und die grünen Herbstsaaten; in den Scheunen klapperten im lustigsten Takt die Dreschflegel, in den dunkeln Kellern, eng eingeschlossen in schwere Fässer, gährte ungeduldig der Feuer bergende Most; die Lieder der Lerchen wurden kürzer, und statt des melancholischen Gesanges der Nachtigallen ertönte das Zirpen, Schnarren und Zwitschern der Staare und Weinvögel durch die Wälder und über die Fluren. Der Rauch der zahllosen mit dürrem Kartoffelkraut genährten Feuer der Feldarbeiter stieg träge in den stillen Aether empor, träge, wie die weißen Spinnegewebe, die, zu formlosen Flocken und Bändern zusammengeballt, sich unbekümmert um das Wohin, den sanften Lüftströmungen zur Eintagsreise anvertraut hatten.

Kürzer wurden die Tage, schärfer die tödtenden Nachtfröste, rauher die oftmals von Regen begleiteten Stürme, und in dichteren Massen schüttelten die Bäume ihre abgestorbenen Blätter auf den feuchten Boden nieder, während die Vögel in langen Reihen hoch oben, den Wolken nahe, jauchzend über sie hinzogen. Die befiederten Wanderer aber hatten im Gefolge ihre kräftig herangewachsenen Familien, und aus ihren Stimmen klang ein trautes »auf Wiedersehen«, während die Blätter sich niederlegten, um in Staub zu zerfallen, und ihr leises Rauschen und Lispeln einer letzten sanften Todtenklage glich.

Alles erinnerte an den erstarrenden Winter, an die Vergänglichkeit des Irdischen. In meiner Brust dagegen herrschte der schönste Frühlingsonnenschein, ein Sonnenschein, den ich für so unvergänglich hielt, wie den ewigen Kreislauf der Gestirne, so unvergänglich, wie die treue Liebe, die in meinem Herzen wohnte.

War es doch zur Zeit der rauhen Herbststürme, als der schöne Traum der letzten Monate, aus dem ich immer neue Lebenskraft trank, sich verwirklichte, als Johanna, die gute herzige Johanna, mir mit einem unbeschreiblich holden Erröthen gestand, daß meine Liebe sie beglücke, daß sie mir für das ganze, ganze Leben angehören, fortan Leid und Freude mit mir theilen wolle. Dann weinte sie an meiner Brust, aber nicht Thränen des Schmerzes waren es, die ihr über die zarten Wangen rollten, nein, gewiß nicht; aus ihren großen, mildstrahlenden Augen, mit denen sie holdselig zu mir emporschaute, leuchtete es mir verständlich entgegen, daß nunmehr ihr ganzes Hoffen in mir allein liege, sie nur noch in mir ihr Lebensglück finde. Ich küßte ihr liebes gutes Antlitz, die rosigen Lippen, die treuen Augen und schwur, sie zu lieben, so lange mir der Athem vergönnt sei, sie zu lieben in alle Ewigkeit. Ich schwur, daß meine Liebe zu ihr mich zu übermenschlichen Anstrengungen antreiben, und die Erfolge meines redlichen Strebens nur ihr eigenstes Verdienst sein würden.

Was ich dabei dachte und wie hoch meine ehrgeizigen Pläne hinausliefen, das ahnte sie nicht. Sie mochte sich aber wohl einzelner Neckereien ihres Onkels erinnern, der zeitweise wenigstens einen Regierungspräsidenten in mir zu entdecken vorgab, denn sie lächelte [] mir unschuldig zu, und sich fester an mich schmiegend, bat sie mich, keine zu vornehme Dame aus ihr machen zu wollen, woran sie die eifrige Versicherung schloß, daß das bescheidenste Loos an meiner Seite sie hinreichend beglücke, so sehr beglücke, daß Glanz und Reichthum sie nie glücklicher machen könnten.

Doch je anspruchsloser das heißgeliebte engelgleiche Wesen sich zeigte, um so mehr empfand ich schon im Voraus den Triumph, dereinst, und zwar in nicht allzuferner Zeit, als sieggekrönter Vorkämpfer der Freiheit vor sie hinzutreten.

Dann gedachten wir unseres ersten Zusammentreffens in Godesberg und des seltsamen Zufalls, der den Ausspruch der Irrsinnigen als eine Weissagung erscheinen ließ.

Bernhard's, vor dem sie, obwohl sie ihn nicht wieder gesehen hatte, eine unerklärliche Scheu hegte, erwähnte ich mit keiner Silbe; ebenso vermied ich zu gestehen, daß ich selbst seit jener Zeit kindischer Weise das festeste Vertrauen in die merkwürdige Prophezeiung gesetzt habe, aus Besorgniß, dadurch nachtheilig auf ihr leicht erregbares Gemüth einzuwirken.

Aber immer und immer wieder erneuerte ich meine Versicherung, sie schon damals geliebt zu haben, als sie den ihr unbekannten Gustav Wandel so warm gegen meine Angriffe vertheidigte, welcher Versicherung stets das Geständniß folgte, daß sie zu derselben Zeit eine heimliche Freude über die vorgespiegelte Aehnlichkeit des abwesenden Gustav Wandel mit seinem besten Freunde empfunden habe. Und indem sie dies sagte, schaute sie mir so offen, so vertrauensvoll in die Augen, als wenn sie in meinem Innern hätte lesen wollen; dabei spielte ein sinniger Ernst auf ihrem guten Antlitz, und jedes Wort, welches sie sprach, kam aus einem kindlich frommen, aus einem aufrichtigen Gemüth, ans einem Gemüth, welches keine Falschheit kannte.

Rings um uns her fielen die gestorbenen und dürren Blätter geheimnisvoll lispelnd zur Erde, gleichsam warnend vor allzu zuversichtlichem Hoffen; in unseren Herzen dagegen wohnte der Frühling, der ewige, frische Frühling mit seiner unvergänglichen Lebenswärme und den beseligenden, berauschenden Hoffnungen, ein Frühling, dessen mögliche Unterbrechung oder Abkürzung weit, weit außerhalb der Grenzen unseres Denkens lag.

Daß es unfern jugendlich vermessenen Hoffnungen so ergehen könne, wie den Blättern, daß eine nach der andern erbleichen, absterben und demnächst unwiederbringlich dahinsinken könne, das kam uns kein einziges Mal in den Sinn. –

Wie der Frühling in unfern Herzen wohnte, so schien dessen belebende Wärme auch auf diejenigen überzugehen, mit welchen wir im nächsten Verkehr standen.

Mein Vormund äußerte wenigstens unverhohlen seine Zufriedenheit über unfern Entschluß, und es entging mir nicht, daß er uns nur anzuschauen brannte, um sogleich in seine etwas derbe geräuschvolle Fröhlichkeit zu verfallen, in welche einzustimmen er sogar seine gute fromme Lisette zwang.

O, es waren schöne, glückliche Zeiten, wahrlich, zu schön, als daß sie von langer Dauer hätten sein können.

[] Die Hand bebt mir, während ich dieses niederschreibe und mir dabei jene goldenen Zeiten so recht lebhaft vergegenwärtige; das Blut, obgleich durch des Lebens bittere Täuschungen erkaltet, kreist mir rascher in den Adern, fast ebenso, wie damals, wenn Johanna mir verstohlen die Hand drückte, scheinbar aber darüber schmolle, daß ihr Onkel sie beständig zum Stichblatt seiner Scherzreden machte und Kanonendonner und eheliches Gluck, Rekruten und Traualtar, Schwärmattaquen und Brautjungfern, Trompetengeschmetter und Wiegenlieder und wer weiß, was sonst noch, in seinen Abhandlungen über die Zukunft bunt durcheinander mischte.

Auch Trostesworte hatte der alte gütige Herr für mich, wenn er mich zuweilen in tiefernstes Nachdenken versunken sah und meine Stimmung für Ungeduld hielt, welche ich über die lange Zeit empfände, die mich noch von meinem holden Ziel trennte, während ich doch nur über die geheimen demagogischen Umtriebe nachdachte, in welche ich mich immer tiefer und tiefer verwickelt hatte. Wie munterte er mich dann auf, bei meinem Studium tapfer auszuharren, und wie kurz waren in seinen Augen die Jahre, die ich im rastlosen Ringen und Kämpfen um eine sichere Lebensstellung vergeuden sollte!

Fielen seine väterliche Güte und Fürsorge mir auch centnerschwer auf die Seele, und war ich in solchen Augenblicken nicht weit entfernt davon, Reue über mein Thun zu empfinden, so hatte sein Hinweisen auf die lange Reihe von Jahren, welche unumgänglich erforderlich, um in eine Carriere hineinzugelangen, eine ganz entgegengesetzte Wirkung. Ein an Trotz streifender Muth durchströmte mich bei seinen Worten, und über meine Zukunft sprach ich mich dann so vertrauensvoll und mit so felsenfester Zuversicht aus, daß selbst er, der doch Alles so gern im rosigsten Licht darstellte, zuweilen den Kopf über meine jugendliche, an Leichtsinn streifende Kühnheit schüttelte. –

Die Herbststürme hatten die letzten Blätter von den Bäumen gestreift und der Winter deckte die Millionen von kleinen Leichen mit seinen kalten Flocken zu.

Ueber Bäche und Quellen bildeten sich krystallene Ueberbrückungen und unermüdlich trug der Rhein seine schweren Eislasten dem Meere zu.

Alles hatte sich in der freien Natur verändert; in meiner Lebensweise dagegen war keine Veränderung eingetreten. Bald in Bonn, bald auf der Oberförsterei brachte ich meine Tage hin; bald beschäftigt mit Studien, bald im Kreise von Mitverschworenen, bald an der Seite meiner holden Braut.

Wohl beschlich mich zuweilen ein gewisses Bangen, wenn ich berechnete, über wie geringe Mittel die Umsturzpartei zu verfügen habe, mein frischer Lebensmuth gewann indessen stets sehr schnell wieder die Oberhand, und um leinen Preis hätte ich aus der Schaar derjenigen austreten mögen, die ich im Geiste bereits, nach glücklicher Beendigung unseres gewagten Unternehmens, lorbeergekrönt zu den Ihrigen heimkehren sah.

Bernhard begegnete ich nur äußerst selten; selbst wenn er sich in Bonn befand, beobachtete er die Vorsicht, sich nie an unsern heimlichen Zusammenkünften zu betheiligen. Er schien mir fast zu vorsichtig zu sein, doch erklärte ich mir sein Verfahren dadurch,[] daß die Aufmerksamkeit der Späher und Spione viel leichter auf ihn, der so anhaltend umherreiste, als auf Einen von uns gelenkt werden könne. Dagegen sah ich ihn mehrfach des Abends in meiner Wohnung, und verfehlte er dann nie, den in meiner Brust glühenden Funken durch seine charakteristischen Vergleiche und begeisternden Ermuthigungen zur hellen Flamme anzufachen.

Wohl erinnerte ich mich zuweilen, wenn ich in seine düstern schwarzen Augen schaute, der Warnung der Irrsinnigen, deren erste Weissagung sich ja theilweise schon erfüllt hatte. Da ich Letztere indessen nicht wiedersah, mithin auch nicht fragen konnte, wen sie mit dem »Schwarzen« gemeint habe, so traten die unbestimmten Zweifel und Befürchtungen immer weiter in den Hintergrund zurück.

War mein Geist nun auf der einen Seite mit schwer wiegenden und mich vielfach beunruhigenden Dingen beschäftigt, so genoß ich auf der andern Seite in vollen Zügen das Glück, welches mir an Johanna's Seite erblühte. Und ein Glück war es, wenn ich in ihre sanften freundlichen Augen schaute, den Ton ihrer lieben Stimme vernahm und immer und immer wieder die Betheuerungen gegenseitiger Liebe und Treue mit ihr austauschte.

Die flammende Röthe kam, wie ich sorgfältig beobachtete, seltner auf ihren Wangen zum Durchbruch, und indem ihr sinniger Ernst sich allmälig in eine bezaubernde kindliche Heiterkeit verwandelte, wies ich den gespenstisch drohenden Ausspruch meines Vormundes, »daß die Sünden der Eltern an den Kindern und Kindeskindern heimgesucht würden,« so oft der Gedanke daran mich beschlich, fast mit Hohn von mir. –

Zwischen Anton, seinem Raben und mir hatte sich eine Art freundschaftliches Verhältniß gebildet, welches sich vorzugsweise dadurch verrieth, daß der arme unglückliche Mensch sich jedesmal, wenn ich auf der Oberförsterei weilte, einstellte, um, wie er vorgab, »den feinen jungen Herrn, der mit ihm an einem und demselben Tisch gegessen und seinen Jakob gerettet habe,« zu begrüßen und Johanna durch den Raben zum Kaffeekochen auffordern zu lassen.

Der arme Bursche entfernte sich dann nie, ohne daß er gesättigt und auch noch auf andere Weise beschenkt worden wäre, und wir Alle ergötzten uns an dem sprechenden Ausdruck rührender Dankbarkeit, der aus seinen trüben Augen hervorleuchtete.

Seine Mutter, eine böse Frau mit hinterlistigem Blick, sah ich nur einige Male aus der Ferne; dagegen begegnete ich seinem hartherzigen Bruder mehrfach, in der That so oft, daß es den Anschein gewann, als ob er mir absichtlich in den Weg trete. Er begrüßte mich jedesmal sehr höflich und keine Miene seines brutalen Gesichts verrieth, daß er sich erinnere, einst mit einer geheimen Botschaft an mich betraut gewesen zu sein.

Ich betrachtete den Menschen stets mit einem unüberwindlichen Mißtrauen, welches darin neue Nahrung fand, daß Bernhard, von dem damals die Botschaft ausgegangen war, ihn nicht kennen wollte und mit allen Zeichen ernster Besorgniß behauptete, das Papier einem andern, ihm als zuverlässig empfohlenen Manne zur Besorgung übergeben zu haben.

[] Schimmernd in Schnee und Eis, schimmernd im Lichterglanz der in der Sylvesternacht zum letzten Mal angezündeten Weihnachtsbäume rollte das Jahr 1832 von der Erde.

»Was wird uns das neue Jahr bringen?« fragte sich Mancher, gleichviel, ob erfüllt von frohen Hoffnungen oder hart bedrängt von Kummer und Betrübniß.

»Was wird uns das neue Jahr bringen?« fragten sich Eltern in der zwölften Stunde, indem sie ihre friedlich schlummernden Kleinen mit frommen Wünschen im Herzen zärtlich beobachteten. »Was wird uns das neue Jahr bringen?« fragten sich theure Angehörige, die thränenschweren Blicke auf das kalte, todesstarre Antlitz eines im Sarge ruhenden Familienhauptes gerichtet, fragte die Braut den Bräutigam, der Gatte die Gattin, der Bruder die Schwester. Draußen aber ertönte von den Kirchthürmen feierliches Glockengeläute und auf den freien Plätzen lustiges Schießen, während in festlich erleuchteten Hallen fröhliche Paare sich in rauschendem Reigen drehten, geröthete Gesichter sich in dampfenden, berauschenden Fluchen spiegelten und dem neuen Jahr ein geräuschvolles Willkommen entgegen jubelten, als ob dergleichen Feierlichkeiten einen besondern Einfluß auf den Lauf der Zeiten auszuüben vermocht hätten.

»Was wird das neue Jahr bringen?« fragte auch ich mich nach einem heiter und glücklich verlebten Abende auf der Oberförsterei, »Glück, Ehre und Ruhm bringt es mir,« beantwortete ich meine Frage mit der Bestimmtheit einer Schicksalsgöttin, »den Völkern aber Freiheit; Freiheit nach langem Schmachten in sklavischen Fesseln; Freiheit des Geistes und des Körpers, und Erlösung aus einem schwer drückenden Joch!«

Mit dem Rufe der Freiheit auf den Lippen war ich aus dem alten Jahr in das neue hinübergetreten; mit dem Rufe der Freiheit im Heizen begann ich im neuen Jahre meine Tage, und wenn ich wirklich auf Stunden die Sorgen, welche ein, nach meiner Ueberzeugung, Welt erschütterndes Unternehmen im Gefolge hatte, von mir abzustreifen suchte, dann trafen gewiß geheime Nachrichten bei mir ein, welche mir schnell wieder den ganzen Ernst meiner Lage vor Augen führten.

Geheimnißvoll trafen sie bei mir ein und in gleicher Weise gingen sie von mir aus. Ich lebte in einer beständigen fieberhaften Aufregung, und je naher der so heiß ersehnte entscheidende Zeitpunkt heranrückte, in um so höherem Grade wurde ich von dem wilden Freiheitstaumel ergriffen, in welchen theils die Verhältnisse, theils meine eignen hochfliegenden Pläne mich hineingedrängt hatten.

Die starren Fesseln des Winters waren gebrochen, der Schnee schmolz auf den Bergen und rieselte in Bächen dem Rheinstrom zu. In der feuchten, jetzt wieder geöffneten Erde regte sich nach langem Scheintod wieder organisches Leben und ungeduldig harrten die noch verborgenen Keime darauf, durch einige warme Tage an's Licht gerufen zu werden, als ich eines Morgens ernster, wie ich gewöhnlich zu thun Pflegte, auf der Oberförsterei Abschied nahm.

Meine Stimmung blieb nicht unbemerkt, doch[] schrieb Johanna dieselbe dem Umstande zu, daß ich, dringender Studien halber, in den nächsten drei Wochen Bonn nicht verlassen könne. In ihren milden Augen perlten Thränen, über welche sie, wie sie sagte, keine Rechenschaft abzulegen wußte. Sie versuchte dieselben zurückzudrängen und demnächst fortzulächeln, allein vergeblich. Es war, als ob der Ernst, der mich erfüllte, auch auf sie übergegangen sei, als ob sie, indem ich sie inniger umarmte, herausgefühlt halte, daß ich auf gefährlichen Wegen wandle und ihr irgend etwas verheimliche.

»Komme bald, recht bald zu Deiner Johanna,« sagte sie, als wir uns endlich von einander trennten; »komme bald!« rief sie mir in süßem Schmeichelten nach, als ich mich bei der nächsten Biegung der Straße, bevor mich der Wald ihren Blicken entzog, zum letzten Mal nach ihr umwendete.

»Segne Dich Gott, Du gute, treue Seele, Du meine einzige Herzensfreude!« rief ich zurück, meine Mütze in der Luft schwenkend. »Aus baldiges Wiedersehen!« fügte ich noch hinzu, indem ich endlich um die Ecke herumbog und rüstig auf Königswinter zu schritt. »Ja, auf baldiges, glückliches Wiedersehen,« sprach ich nach einiger Zeit laut zu mir selbst, »auf ein Wiedersehen, welches mich Dir noch theurer machen wird. Auf ein Wiedersehen, daß alle Mädchen Deutschlands Dich um Deine Wahl beneiden und selbst Dein alter, ehrenwerther Onkel Lust verspürt, trotz seiner angestammten und tief gewurzelten Vorurtheile das Kreuz von seiner Brust zu nehmen und es mir, wenn auch nur auf einige Stunden, anzuheften. Denn länger wird er sich wohl nicht gern von demselben trennen,« schloß ich mein Selbstgespräch.

»Was ist des Deutschen Vaterland?« sang ich aus überströmendem Herzen, daß es ringsum zwischen den bewaldeten Hohen wiederhallte.

Mein Herz war plötzlich so fröhlich, so leicht; noch brannten ja die heißen Küsse Johanna's auf meinen Lippen, noch glaubte ich ihre innige Umarmung zu fühlen, und wie im Bewußtsein, daß ihre reine, treue Liebe mich als schützender Engel umschwebe, um mich vor drohendem Unheil zu bewahren, richtete ich mich stolz und mit hochwallender Brust empor.

»Doch die mir vor Allen

Am besten gefallen,

Ist Hannchen, mein Hannchen, schön Hannchen vor Allen,

Ist Hannchen allein!«

jubelte ich die alte liebe Weise in den Wald hinein.

»Hannchen allein!« antwortete das ferne Echo leise, als habe es andeuten wollen, daß Johanna nun wirklich vereinsamt sei.

»Nicht Hannchen allein!« verbesserte ich unwillig das Echo, das »Nicht« besonders laut betonend.

»Hannchen allein!« schallte es abermals, wie um mich zu necken zurück; denn das »Nicht« war wieder mit meiner eigenen Stimme zusammengefallen.

»Hannchen – nicht – allein!« rief ich noch einmal, nach jedem Wort eine Weile innehaltend.

»Hannchen – nicht – allein!« tönte es deutlich vom Abhange des Berges zu mir herüber, und jetzt erst war ich zufrieden. –

Anstatt nach Bonn zu gehen, ließ ich mich bei Königswinter über den Rhein setzen, und nach halbstündiger [] Wanderung stromaufwärts erreichte ich daß Dorf Rolandseck, wo ich von einem Mitverschworenen, der zugleich mein nothdürftigstes Gepäck mitgebracht hatte, erwartet wurde.

Unser Ziel war Frankfurt, die alte Kaiserstadt. Andere Kameraden waren uns bereits vorausgeeilt, noch andere folgten uns auf Umwegen nach; doch in keiner größeren Zahl als zu Dreien begaben sich die verschiedenen Mitglieder unserer Verbindung nach dem verabredeten Ort unserer Bestimmung, wo der erste Schlag gegen die Unterdrückung geführt, der erste Ruf der Freiheit ertönen und, weithin schallend durch die deutschen Gaue, das Volt zum Bewußtsein seiner Erniedrigung, aber auch seiner Kraft erwecken sollte.

Wir trafen in Frankfurt ein, ob unerkannt oder nicht, ich weiß es nicht; dagegen wurde ich daselbst sehr bald zu meiner größten Ueberraschung inne, daß ich keineswegs zu den Leitern der Bewegung gehörte, was ich so lange geglaubt hatte, und am allerwenigsten auf mich als auf einen Führer des Volles gerechnet worden war. Ich tröstete mich indessen damit, daß es Andern, die mit nicht weniger kühnen Hoffnungen und ehrgeizigen Plänen sich der Verbindung angeschlossen hatten, nicht besser erging.

Ein Gefühl des Zagens folgte dem einer bittern Enttäuschung nach, als ich die uns zu Gebote stehende Macht mit den zu überwindenden Schwierigkeiten verglich. Doch zur Umkehr war es zu spät, und hätte mir wirklich ein Ausweg offen gestanden, ich würde, meinem Eide getreu, nicht zurückgetreten sein, und hätte ich in der nächsten Minute dem Tode gerade in die Augen schauen müssen. Nur inniges, festes Zusammenhalten und genaue Befolgung der an die einzelnen Mitglieder ergehenden Anforderungen konnten uns schließlich dennoch den ersehnten Erfolg sichern, und unbekümmert um die Rolle, welche Jedem von uns zuerkannt wurde, waren wir Alle bereit, unser Leben im Kampfe für die Freiheit auf den Altar unseres gemeinsamen großen Vaterlandes niederzulegen.

Am Abend des 20sten März erschreckte plötzlich das Läuten der Sturmglocken die friedlichen Bewohner Frankfurts. In den Straßen rotteten sich Menschen zusammen, Schwerter rasselten, Schüsse donnerten und wie durch Zauber erschienen schwarz-roth-goldene Fahnen und Abzeichen.

Ach, sie erschienen, um fast ebenso schnell und wer weiß, auf wie lange, wieder vor den Augen der Menschen zu verschwinden.

Nur während einer halben Stunde lächelte uns und unsern riesenhaften Anstrengungen ein leiser Schimmer von Hoffnung; dann aber bezweifelte Niemand mehr, daß einer, wenn auch nur mittelmäßig organisieren militairischen Macht gegenüber, unser Unternehmen ein vollständig verfehltes sei. Wir hatten ja nicht einmal die Genugthuung, dasselbe eine Revolution, eine Volksbewegung nennen zu hören, sondern als Emeute und Krawall bezeichnete man Das, für was wir, erfüllt von erhabenen, edlen Zwecken, jede Aussicht auf eine Stellung in der menschlichen Gesellschaft hingegeben hatten.

Als lorbeergekrönte Freiheitshelden hofften wir aus dem schweren und erbitterten Kampfe hervorzugehen, [] und zu einer Rotte Hochverräther und Störer der öffentlichen Ordnung waren wir herabgesunken. –

In dem dichten Gewühl von Leuten, die theils mit in unsern Ruf einstimmten, theils nur von Neugierde auf die Straßen hinausgetrieben worden waren, wurden wir bald von einander getrennt.

Viele, den unglücklichen Ausgang vor Augen, begaben sich an demselben Abend noch auf die Flucht; Andere fanden in bekannten Häusern ein vorläufiges Unterkommen, und wieder Andere fielen den Behörden in die Hände und sahen einer lebenslänglichen Haft und, als mit den Waffen in der Hand ergriffene Hochverräther, vielleicht einer noch schwereren Strafe entgegen.

Zu den Letzteren gehörte auch ich.

In der Nähe der Hauptwache, welche in unsere Gewalt zu bringen unsere erste Aufgabe sein sollte, hatte mich ein schwerer Schlag, ob mit einem Knüttel, oder mit einer Muskete, ich entsinne mich dessen nicht, betäubt niedergeworfen. Als ich wieder einigermaßen zur Besinnung gelangte, befand ich mich in einem verschlossenen Wagen, der in schnellem Trabe eine lange Straße hinunterfuhr. Neben mir saßen ein Polizist und ein Soldat. Ich nahm mir nicht die Mühe, zu fragen, was man mit mir beabsichtige, ich errieth es leicht, und außerdem würde man mir schwerlich eine Antwort ertheilt haben.

Die Folgen des Schlages hinderten mich anfangs, klar zu denken. Erst als der Wagen hielt und ich unter militairischer Bedeckung in ein großes, düsteres Gebäude geführt und demnächst in ein enges dunkles Gemach, dessen einziges kleines Fenster mit eisernen Stäben vergittert war, eingesperrt wurde, erwachte ich zum vollen Bewußtsein meiner Lage.

»Gefangen, auf lange Jahre, auf Lebenszeit im engen Kerker eingeschlossen,« stöhnte ich verzweiflungsvoll, indem ich in die Kniee sank. »Gefangen, der Freiheit beraubt; abgesperrt von der freien Luft, von dem Verkehr mit andern Menschen! Mörder meines Glücks! Mörder meiner Johanna!« rief ich zerknirscht aus, und Thränen ohnmächtiger Wuth über mich selbst und mein unüberlegtes Handeln entstürzten meinen Augen.

»Johanna! arme, unglückliche, meinen ehrgeizigen Plänen geopferte Johanna! Johanna, vergieb mir, daß ich noch lebe, nicht von einer mitleidigen Kugel tödtlich getroffen wurde, eh' man mich zu meiner und Deiner Schmach als Verbrecher brandmarkte und einem furchtbaren Loose entgegenführte!«

Alle meine kühnen Hoffnungen, alle meine phantastischen Pläne waren vergessen und vernichtet. Mit dem Fehlschlagen des tollen Unternehmens war auch mein Lebensglück zertrümmert worden; ich fühlte es; hatte ich doch die Folgen des Mißlingens vorherberechnet, jedoch in meiner Vermessenheit nicht an die schreckliche Möglichkeit geglaubt.

Verzweiflungsvoll und gemartert von den entsetzlichsten Gewissensbissen wälzte ich mich auf dem Boden meiner Zelle. Nicht an mich dachte ich mehr; aber an Johanna, deren Leben ich vergiftet; an Johanna, deren Liebe zu mir ihre Lebensfrage; an Johanna, die arme verlassene Waise, die so hingebend, so zuversichtlich erwartete, in mir ihr ganzes Lebensglück zu finden, und deren Hoffnungen ich so schmählich[] getäuscht, in meiner unverantwortlichen Verblendung gleichsam mit der Wurzel aus ihrer Brust herausgerissen hatte, um sie an den zurückgelassenen Wunden langsam verbluten zu lassen.

»Johanna, vergieb mir!« stöhnte ich dem Wahnsinn nahe.

Um mich her war es dunkel, aber indem ich den theuern Namen aussprach, glaubte ich die arme, um ihr irdisches Stück betrogene Braut vor mir zu sehen. Eine himmlische Glorie umgab ihre zarte Gestalt; ihre milden, blauen Augen hatte sie mit dem Ausdruck sanften Vorwurfs auf mich gerichtet und auf ihren Wangen brannte feuriger, denn je, die unheimliche Röthe.

»Johanna, vergieb mir!« keuchte ich angstvoll; meine Arme nach dem Gebilde meiner krankhaft aufgeregten Phantasie ausstreckend, und statt Ihrer erblickte ich meinen greisen Vormund, der sich, Kummer und Schmerz auf seinen gealterten Zügen, von mir abwendete.

Ich schloß die Augen, um die Erscheinungen, die jetzt zu lauter drohenden Schreckgestalten für mich wurden, fern von mir zu halten; allein vergeblich. Furchtbarer, verzerrter und dabei doch kenntlich stürmten sie auf mich ein. »Gefangen,« summte es mir in den Ohren, »gefangen auf Lebenszeit, gefangen bis an's Ende Deiner Tage!«

»Johanna!« seufzte ich noch einmal vor mich hin, wie um durch den mir heiligen Namen die Gespenster meiner Einbildungskraft zu verscheuchen, dann verließen mich wieder meine Sinne.

Elftes Capitel.
Im Kerker.

»Gefangen,« welch schreckliches Wort, welche vernichtende Gedanken reihen sich an diesen einzigen Begriff.

Gefangen, auf Lebenszeit der Freiheit beraubt, wie entsetzlich, ein solches Urtheil zu vernehmen.

Nur verstohlen lugt das Tageslicht durch das kleine vergitterte Fenster herein, und dumpf schlägt das summende Geräusch des lebhaften Verkehrs in den Straßen an das ängstlich lauschende Ohr.

Wie die Minuten so langsam verrinnen, wie die Stunden so endlos erscheinen!

Wie viel Minuten hat die Stunde? Nie viel Stunden der Tag, wie viel Tage das Jahr und wie viel Jahre zählt das Leben? Ist es denn möglich, solche Marter zu ertragen? Es kann nicht sein!

Nackte Wände umgeben mich; hier steht mein hartes Lager, dort der steinerne Wasserkrug; eiserne Stangen, kreuzweise miteinander verbunden, versperren die Fensteröffnung, und eiserne Schienen und schwere Riegel lassen kaum noch eine Probe von dem Holz der Thüre durchschimmern.

»Ach, welche Vorsichtsmaßregeln, um einen einzigen schwachen Sterblichen gefangen zu halten! Und dennoch, sie sind nicht zu stark; denn hinter den eisernen Stangen und hinter den schweren Schlössern liegt die Freiheit, die holde, süße Freiheit, und wer fühlte nicht Riesenkräfte in seinen Armen, wenn es gilt, die Freiheit zu erringen!

Solche Gedanken beschäftigten meinen Geist, als[] ich den ersten Schlag meiner Verhaftung überwunden und eine ruhigere Ueberlegung an Stelle des wahnsinnigen Schmerzes getreten war.

Traurig und langsamen Schrittes durchmaß ich meine düstere Zelle, und vergeblich versuchte ich eine letzte Spur von dem jugendlichen Muth wachzurufen, der mich vor Kurzem noch in so hohem Grade beseelte.

Mein Fenster lag nach der Straße hinaus; aus Besorgniß, daß ich oder Andere, die mein Schicksal theilten, sich durch Zeichen mit den vorüberwandelnden Menschen verständigen könnten, hatte man vor den eisernen Gittern hölzerne, grün angestrichene Jalousien angebracht, deren Oeffnungen aber nach oben wiesen. Man gönnte uns nicht den Anblick lebender Wesen; einige schmale Streifen des Himmels waren Alles, was man uns ließ. Wie wenig, und roch schöpfte ich daraus so manchen Trost, so manche Hoffnung.

Stundenlang stand ich vor den knapp zugemessenen Oeffnungen, die Blicke emporgerichtet. Andächtig betrachtete ich den bald blauen, bald verschleierten Himmel. Die dahinziehenden Wolken schienen in meinen Augen Leben zu erhalten und ich beneidete sie um die weite Fernsicht, welche ihnen dort oben offen stand. Erblickte ich aber gar eine Schwalbe, die fröhlich und sorglos meinen so neidisch begrenzten Gesichtskreis durchsegelte, dann hatte ich weinen mögen vor bitterem Weh und Herzeleid.

Als die Schwalben zum letzten Mal beim Herannahen des Winters schieden, da zog in meine Brust der Frühling ein, und jetzt, da die Verkünderinnen des Frühlings wieder eingetroffen, durchbebte winterliche Kälte meine Seele. Ich war gealtert, mein Lebensmuth gebrochen, und an den schönsten Traum meines Lebens durfte ich nicht denken, wenn ich nicht dem Wahnsinn anheimfallen wollte.

Welchen Begriff hatte ich ehemals von der Freiheit, und welchen jetzt? Und wie erniedrigt erschien ich mir, der ich, einem leeren Phantom nachjagend, ein irdisches Paradies leichtsinnig von mir gestoßen hatte!

Ich wollte an Johanna schreiben, in einem Briefe an sie Trost suchen, ihr mein Verhalten, so gut es in meinen Kräften stand, erklären und ihre Verzeihung erflehen, allein ich wurde als Hochverräther behandelt, der sogar nicht einmal in brieflichen Verkehr mit der Außenwelt treten durfte. Ebenso wurden auch alle Briefe zurückgewiesen, welche an die Gefangenen einliefen. Es war ein grausames Verfahren, welches man gegen uns einschlug, ich ertrug es aber mit verhältnißmäßig ruhiger Ergebung, denn nachdem ich Alles, Alles verloren, gab es ja nichts mehr, das mich noch tiefer zu beugen vermocht hätte.

So verstrich die erste Zeit meiner Haft; mich kümmerten weder Verhöre noch Verurtheilung. Ich gab mir nicht einmal die Mühe, darauf hinzuweisen, daß ich eigentlich und ursprünglich wider meinen Willen in die demagogischen Umtriebe hineingerissen worden sei und mich erst später mit leicht entzündlichem, jugendlichem Enthusiasmus denselben rücksichtslos in die Arme geworfen habe. Ich war ja ein Mann, der wissen mußte, was er thun und lassen durfte und daher für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden konnte; und selbst um den Preis [] meines Lebens oder, was mir gleichbedeutend war, der Freiheit, hätte ich Keinen meiner Mitschuldigen genannt, obwohl die Zweifel, welche über Bernhard's Redlichkeit in mir erwacht waren, sich allmälig immer mehr befestigten und klarere Formen erhielten.

Meine Verurtheilung zu lebenslänglicher Einschließung vernahm ich ohne zu beben; ich zuckte höhnisch die Achseln, in der Ueberzeugung, daß mein Leben unter der Last der an meiner Seele nagenden Selbstvorwürfe von keiner großen Dauer sein könne. Ich war auf das Urtheil gefaßt und suchte einen gewissen Stolz darin, auch nicht den leisesten Anflug von unmännlicher Schwäche zu verrathen.

In meinen Kerker zurückgekehrt, gab ich mich indessen wieder ganz meinem Brüten hin, welches so weit ging, daß ich endlich nur noch wie ein Schlaftrunkener dahinvegetirte und weder den Schließer, noch den Gefängnißwärter eines Wortes oder eines Blickes würdigte.

Ob der Schließer Mitleid mit meiner Jugend und mit meiner hoffnungslosen Lage empfand, oder ob er nach den Eingebungen Anderer handelte, gab ich mir nicht die Mühe zu ergründen; ich bin aber geneigt, Ersteres anzunehmen, denn vier Monate mochte ich in meiner Haft zugebracht haben, als er eines Morgens zur ungewöhnlichen Stunde bei mir eintrat und mir zwei Briefe überreichte.«

»Sie werden mich nicht verlachen,« sagte er in gleichgültigem Tone, »der eine Brief traf vierzehn Tage nach ihrer Verhaftung ein, der andere vor zwei Monaten. Ich unterschlug sie, anstatt sie zurückzusenden, und da nicht weiter nach dem Verbleib derselben geforscht wurde, stelle ich sie Ihnen jetzt zu.« Dankend nahm ich die Briefe entgegen, ich hatte die Handschrift meines Vormundes erkannt, und kaum noch fähig, meine tiefe Bewegung zu verbergen, leistete ich das feierliche Versprechen, nie ein Wort über den Empfang derselben verlauten zu lassen.

Sobald ich wieder allein war, setzte ich mich auf mein Lager nieder. Lange und aufmerksam betrachtete ich die Aufschrift; ich fürchtete mich, den Inhalt kennen zu lernen, denn was konnte mein Vormund mir anders mitzutheilen haben, als die Versicherungen seines Zornes und seiner Verachtung? Da trat Johanna's trauerndes Bild mir vor die Seele, und hoffend von ihr oder über sie etwas zu erfahren, riß ich den älteren Brief schnell auf.

Das Schreiben war nur eine halbe Seite lang und ebenfalls von der Hand des Oberstlieutenants. Etwas enttäuscht wendete ich mich dem durch die Fugen der Jalousien hereinfallenden Lichtstrahl zu und las:

»Der Würfel ist gefallen; Du bist abtrünnig geworden und ich kann, ohne meinem Könige die Treue zu brechen, keine Gemeinschaft mehr mit einem Hochverräther halten. Einen Mord hätte ich Dir verziehen, allein daß Du mit zu den Häuptern der Umsturzparthei gehörst, verzeihe ich Dir niemals. Hinter meinem Rücken, während ich Dir vielleicht mit väterlicher Zuneigung die Hand drückte, hast Du gegen unsere hohe Landesregierung conspirirt. Du erleidest jetzt die Strafe für Deinen Verrath, für welchen Dein Leichtsinn nicht einmal eine Entschuldigung ist. Meiner Vormundschaft über Dich, die [] ohnehin nächstens abläuft, werde ich mich baldmöglichst entledigen und Dir den Rest Deines Vermögens zur Verfügung stellen. Es soll mich freuen, wenn die paar hundert Thaler dazu dienen, Dir die wohlverdiente Strafe zu erleichtern.

Werker, Oberstlieutenant und Oberförster.«

»Kein Wort über Johanna,« sagte ich erschüttert, indem ich den Brief, dessen Inhalt mich übrigens nicht im Mindesten überraschte, wieder zusammenfaltete. Da fiel ein schmaler Papierstreisen, der zwischen den beiden Blättern des Bogens verborgen gewesen, lustig um sich selbst herumwirbelnd, vor mir auf die Erde. Hastig griff ich nach demselben, und ich glaubte meinen Äugen nicht trauen zu dürfen, als ich Johanna's zierliche Schriftzüge erkannte. Offenbar hatte sie, da ihr das Schreiben untersagt worden war, den Papierstreifen heimlich in den schon versiegelten Brief hineingeschoben, um mir wenigstens ein Lebenszeichen von sich zu geben.

Meine Hand bebte bei dieser Entdeckung, und längere Zeit dauerte es, bis ich die vor meinem umflorten Augen in einander verschwimmenden Buchstaben von einander zu trennen vermochte.

»Gustav, ewig und innig geliebter Gustav, habe Vertrauen zu Deiner Johanna! Sage mir, wie ich Dir helfen kann, und sollte es mich das Leben kosten, beglückt gebe ich es hin, wenn es zu Deiner Rettung dient. Ich fühle mich stark und gesund, ich weine nicht mehr, aber Tag und Nacht sinne ich auf Mittel, Dich wiederzusehen, an Deinem treuen Herzen zu ruhen. Gott segne und beschütze Dich! ewig, ewig unveränderlich Deine Johanna.«

»Nicht einmal den leisesten Vorwurf hast Du edles Mädchen für mich,« seufzte ich, und von wildem Schmerz überwältigt sank ich auf mein Lager hin. Thränen entstürzten meinen Augen; obwohl ein Mann, weinte ich, wie in meinen ersten Kinderjahren, ich weinte so lange, bis ich leine Thräne mehr hatte und die Erschöpfung meine Geisteskräfte förmlich lähmte.

»Keinen Vorwurf, keine Klage, sondern nur Liebe, reine, rücksichtslose, hingebende Liebe,« wiederholte ich unablässig. »O, es ist die härteste Strafe, die mich hätte treffen können,« fuhr ich in Gedanken fort, ›ich fühle mich stark und gesund, ich weine nicht mehr,‹ »ach, welche Welt voll Jammer und Schmerz liegt in diesen Worten! Und ich, ich allein habe Alles verschuldet, habe das arme vertrauensvolle Mädchen mit mir in das Verderben hinabgerissen!«

Dann gedachte ich der Unglück verheißenden Worte meines Vormundes: »Die Sünden der Eltern werden heimgesucht an den Kindern bis in's dritte und vierte Glied,« dann wieder der Weissagung der Irrsinnigen, um den Eindruck des Vorhergegangenen abzuschwächen; aber es gelang mir nicht. Ich vergegenwärtigte mir die krankhafte Röche auf Johanna's Wangen, ihren zarten Körper, ihr leicht erregbares Gemüth, und immer schwärzere Ahnungen tauchten vor meiner Seele auf. Ich kannte sie ja hinlänglich, um zu befürchten, daß ein so schwerer Schlag ihre Gesundheit vollständig untergraben, sie an den Rand des Grabes bringen könne. Doch der Leidensbecher, der mir an diesem Tage dargereicht worden, war noch nicht bis auf die Hefe geleert. –

Lange dauerte es, bis ich es über mich gewann,[] auch den zweiten Brief zu erbrechen. Derselbe war ebenfalls von meinem Vormunde aber zwei Monate später geschrieben. Vorsichtig faltete ich ihn auseinander, ihn erwartungsvoll von allen Seiten betrachtend; kein freundlich tröstender und doch auch wieder so viel Jammer erzeugender Papierstreifen fiel mir entgegen. Johanna hatte also keine Gelegenheit gefunden, mir ein Wort der Liebe zukommen zu lassen.

Mechanisch richtete ich meine Blicke auf die bekannten Schriftzüge, aber nach Lesung der ersten Worte fühlte ich bereits, daß ich erbleichte und mir das Blut in den Adern stockte.

»Unglücklicher,« begann der Brief, »nicht genug, daß Du schwarzen Verrath an König und Vaterland begingst und dadurch Deinen Vater im Grabe entehrtest, hast Du auch als Schurke an mir und meiner armen Johanna gehandelt! Im Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit Deines Charakters machte ich Dir über Johanna's Eltern die umfassendsten und genauesten Mittheilungen. Anstatt, Deinem gegebenen Worte getreu, das tiefste Stillschweigen über Alles, was Johanna's Vergangenheit betrifft, zu bewahren, hast Du Mittel und Wege gefunden, ihr nicht nur das traurige Ende ihres Vaters bis in die kleinsten Einzelheiten zu schildern, sondern sie auch über den Lebenswandel ihrer Mutter aufzuklären! Wahnsinniger, weißt Du, was Du gethan hast?! Du hast den ersten Nagel in den Sarg meiner armen Nichte geschlagen! Versuche es nicht, Dich zu entschuldigen; außer Dir und meiner Lisette wußte hier Niemand um die Geschichte. Du hast den Frevel vielleicht mit der guten Absicht begangen, ihren schnellen Tod herbeizuführen und dadurch ihren Jammer um Dich Elenden abzukürzen. Freue Dich, triumphire, Du hast Deinen Zweck erreicht! Niemand wird bei Johanna die Stelle des zu lebenslänglicher Kerkerhaft verurtheilten Hochverräthers vertreten.«

Ich war wie erstarrt; ich las den Brief noch einmal langsam durch; meine Augen brannten in ihren Höhlen, wie glühende Kugeln, und keine mitleidige Thräne war da, den furchtbaren Brand zu kühlen, kein Seufzer stand mir zu Gebote, die auf meine Brust gewalzte Last zu erleichtern. In mich gekehrt und taumelnd, wie ein Berauschter, ging ich in meiner Zelle auf und ab. Die schweren Anklagen meines Vormundes kränkten mich nicht, ich fand sie gerechtfertigt und natürlich; denn er konnte nicht anders glauben, als daß ich das Verbrechen an Johanna begangen habe; aber daß dieses Unglück mit seinen unberechenbaren Folgen überhaupt hereingebrochen, das war es, was mir fast die Sinne raubte. Und dennoch dachte ich in jener entsetzlichen Stunde weniger an die muthmaßlichen Folgen, als an Denjenigen, der durch die schändlichste Verrätherei das Unheil heraufbeschworen haben konnte.

»Wer hat es gethan?« murmelte ich vor mich hin, indem ich ununterbrochen meinen Spaziergang in der engen Zelle von dem einen nach dem andern Ende fortsetzte. »Wer hat es gethan? Wer hat das furchtbare Verbrechen begangen,« fragte ich noch immer halblaut, als man mir mein kärgliches Mittagmahl brachte. »Wer hat es gethan? Der Schwarze; vielleicht Bernhard. Hüte Dich vor dem Schwarzen,« sprach ich, als der Gefängnißwärter die unangerührten [] Speisen wieder hinaustrug. »Hüte Dich vor dem Schwarzen; Bernhard war mein Feind, mein böser Geist,« flüsterte ich mit trockenen Lippen, als die Sonne sich senkte. »Arme Johanna, hüte Dich vor dem Schwarzen,« keuchte ich noch mit letzter Kraft, als die Dämmerung die wenigen Gegenstände in meinem Gemach entstellte und unkenntlich zu machen begann; und dann warf ich mich auf die harten Planken des Fußbodens nieder, meine brennende Stirn gegen das dicke Eisenblech der Thür pressend.

Was in nächster Zeit mit mir vorging, weiß ich nicht; ich gelangte in den Lazarethräumen des Gefängnisses nach langer schwerer Krankheit zum Bewußtsein. Ein hitziges Nervenfieber hatte mich an die Pforten des Jenseits geführt, mein kräftiger Körper dagegen dem Tode fast noch im letzten Augenblick seine Beute streitig gemacht.

O, wäre ich damals gestorben, wie viel Kummer und Herzeleid wäre mir erspart geblieben! Aber es sollte nicht sein.

Langsam und allmälig erwachte ich wieder zum Leben, zu einem Dasein zwischen düstern Gefängnißmauern, und als einen gräßlichen Hohn betrachtete ich es, daß man mich so sorgfältig pflegte, sich so viel Mühe mit einem zu lebenslänglicher Haft Verdammten gab; doch ich mußte es geschehen lassen. –

In dem Maaße, wie meine Kräfte zunahmen, traten auch die Bilder der Vergangenheit wieder deutlicher hervor. Anfangs erschien mir Alles wie ein wüster Traum, in welchem zwei Briefe die Hauptrolle gespielt. Erst der Schließer klärte mich über meine Zweifel auf und erzählte mir, daß er mich bereits vor vier Wochen mit den zusammengeknitterten Briefen in den Händen bewußtlos auf der Erde liegend in meiner Zelle vorgefunden habe. Die Briefe hatte er so dann, bevor er Hülfe herbeiholte, an sich genommen, um einer etwanigen Entdeckung und demnächstiger Strafe für das Dienstvergehen vorzubeugen. Seine Besorgniß war indessen damit noch nicht beseitigt gewesen, denn in meinen Fieberphantasien hatte ich so viel von Briefen, von Johanna und dem Oberstlieutenant, von Fräulein Brüsselbach, dem Schwarzen und von Bernhard gesprochen, daß der Arzt sich mehrfach dadurch bewegen fand, nachzuforschen ob auch wohl äußere Einflüsse mit dazu beigetragen hätten, mich in meinen hoffnungslosen Zustand zu versetzen.

Als ich wieder ruhiger und zusammenhängender zu denken vermochte, überredete ich mich leicht, daß die Krankheit im Grunde eine Wohlthat für meinen Gemüthszustand gewesen. Den heftigsten Paroxismus des Schmerzes hatte ich gewissermaßen im bewußtlosen Zustande überwunden. Die vollständige Entkräftung hinderte mich demnächst, mich anhaltend mit der mir von meinem Vormunde entgegengeschleuderten Beschuldigung zu beschäftigen, und als meine Kräfte und die Thätigkeit meines Geistes endlich wieder zurückkehrten, da suchte ich, ohne Hast und Uebereilung, indem ich die Erlebnisse des letzten Jahres gleichsam noch einmal durchlebte und in die kleinsten Einzelheiten zerlegte, zu ergründen, von wem wohl ein so verderblicher Einfluß auf mein und Johanna's Lebensglück ausgeübt sein möge.

Mein Mißtrauen und Argwohn gegen Bernhard erhielten dadurch immer neue Nahrung, und zum [] ersten Male fragte ich mich, ob die Nachschläge eines Mannes aufrichtig und redlich gemeint gewesen sein könnten, eines Mannes, der, wie Bernhard damals am Godesberger Mineralbrunnen, seine Blicke mit einem so sprechenden Ausdruck unversöhnlichen Hasses in meine Augen senkte.

Damals, als mich nur rosige Hoffnungen erfüllten, als ich alle Menschen wie Freunde hätte umarmen mögen und nur gute Seiten in ihnen zu entdecken suchte, hatte ich jenen Blick des Hasses schnell wieder vergessen oder legte ihm auch eine augenblickliche heftige Gemüthsbewegung als verzeihlichen Grund unter. Jetzt aber dachte ich anders darüber; es wollte mir scheinen, als ob Bernhard, dem er mit seiner ungewöhnlichen Ueberredungsgabe mich in die demagogischen Umtriebe verwickelte und schließlich dafür Sorge trug, daß ich mich öffentlich compromittirte, ein mit vieler Ueberlegung und schlau eingefädeltes Verfahren gegen mich, muthmaßlich auch noch gegen Andere, beobachtete, um einem, vielleicht aus Religionseifer entspringenden Gefühl der Rache und des Hasses zu fröhnen. Hatte er selbst sich doch stets den Rücken frei gehalten und nie eine Blöße gezeigt, die als Handhabe zur Anklage gegen ihn hätte dienen können.

War der Zweck, der ihn in seinem Verkehr mit mir leitete, solcher Art, so hatte er denselben doppelt und dreifach erreicht. Unerklärlich war es mir dagegen, daß er, indem er mich unglücklich machte, auch Johanna mit kaltem Blute mit in das Verderben hinabriß; Johanna, diese unschuldige, reine Seele, diese Heilige, die als halbe Landsmännin von ihm weit eher auf seine warme Theilnahme den gerechtesten Anspruch gehabt hätte.

»Johanna's Mutter stammte aus Italien, Bernhard ist ein Italiener,« grübelte ich, »sollte da nicht eine Verkettung mit frühern Zeiten und Umständen möglich sein?« Weiter drang ich mit meinen Muthmaßungen nicht durch; an diesem Punkte scheiterte mein Scharfsinn, und vergeblich trachtete ich, das hinter demselben in chaotischem Durcheinander Liegende zu enträthseln. Das Mißtrauen, welches in meiner Brust Wurzel geschlagen hatte, war indessen genug, meine Gedanken immer und immer wieder auf diese Frage zurückzulenken. –

So schlichen mir die Tage in dumpfem, unheimlichem Brüten dabin. Die Außenwelt gewann für mich in der Erinnerung eine trübere, nebelhaftere Färbung. Sogar die schmalen Streifen des Himmels, auf welche sich früher meine Augen so oft und so sehnsuchtsvoll richteten, verloren allmälig ihren Reiz für mich. Nur wenn sommerliche Gewitter sich über der Stadt entluden, krachendes Gewölk am Tage die Sonne verfinsterte, oder züngelnde Blitze die schwarze Nacht flüchtig erhellten und ihren bleichen Schein sogar bis in meine einsame Zelle hineinsandten, erwachte in mir auf Stunden das Gefühl, daß ich noch lebe, sogar noch mit instinctartiger Liebe am Leben hänge und mich sehne, den grausamen Verrucht, welchen mein Vormund gegen mich hegte, zu verscheuchen und, vor meinem Scheiden aus dieser Welt, nur noch ein einziges Mal in Johanna's liebe, blaue Augen zu schauen. Denn daß sie gestorben sein könne, ohne daß ich sie wieder gesehen und den süßen Klang ihrer trauten Stimme vernommen habe, das hielt ich für unmöglich.

[] []Nur einmal hatte ich es versucht, in brieflichen Verkehr mit dem Oberstlieutenant zu treten und ihn angefleht, mir Nachricht über Johanna zu geben. Als ich aber meinen Brief unerbrochen zurück erhielt, begriff ich, daß alle meine ferneren Versuche sich als ebenso nutzlos ausweisen würden.

Meinen Kummer mit einem Gemisch von Grimm und Ergebung in meine Brust verschließend, lebte ich von da ab, ohne die Zeit zu berechnen oder irgend eine schwache Hoffnung für die Zukunft zu nähren, ich lebte gewissermaßen wie ein vernunftloses Geschöpf in den Tag hinein. Dabei befremdete mich aber doch, daß mein Vormund noch immer zögerte, mir den Rest meines kleinen Kapitals zur freien Verfügung zu stellen, um mich wenigstens, wie er sich früher geäußert, mit einigen Bequemlichkeiten umgeben zu können. Da ich indessen leine Bequemlichkeiten, die mir nicht aus freien Stücken geboten wurden, vermißte und mit der vorgeschriebenen Gefangenkost zufrieden war, so dachte ich nicht weiter über diese scheinbare Vernachlässigung nach. –

Wiederum hatte der Herbst den sommerlichen Schmuck an Baum und Strauch gebleicht, und wiederum begann der Wind mit den fallenden Blättern zu spielen.

Sechs Monate meiner lebenslänglichen Haft waren bereits verstrichen; beim Rückblick eine kurze Zeit, nach meinem Gefühl viel kürzer, wie jeder einzelne Tag, den ich noch verleben sollte.

Es war in der Dämmerungsstunde; ich hatte mich auf mein Lager gesetzt und den Kopf schwer auf beide Hände stützend, versuchte ich, wie ich um diese Zeit häufig that, mich in einen Mittelzustand zwischen Wachen und Schlafen hineinzudenken. In meinen Betrachtungen störte mich das Geräusch, mit welchem man zuerst die Riegel von der Thür entfernte und demnächst der Schlüssel in dem Schloß umgedreht wurde. Vermuthend, daß der Störung zu so ungewöhnlicher Zeit irgend ein gleichgültiger Einfall des Schließers zu Grunde liege, beabsichtigte ich, ihn nicht weiter zu beachten und mich schlafend zu stellen.

Die Thür öffnete sich, ein heller Lichtstrahl drang zu mir herein und gleichzeitig vernahm ich des Schließers höfliches »dort sitzt er«.

Ich war im Begriff, zu dem fremden Besucher empor zu schauen, doch besann ich mich schnell eines Andern, und ohne meine Stellung zu verändern blieb ich ruhig sitzen.

Gleich darauf trat ein Mann mit festen Schritten zu mir heran und erfaßte mit prüfendem Griff meiner, rechten Arm oberhalb des Handgelenkes, während seine andere Hand sich in die meinige legte und dieselbe heftig und bezeichnend drückte.

[] Ich wollte emporspringen, doch wurde ich niedergehalten, und als ich meine Bücke auf den seltsamen Ruhestörer richtete, sah ich in das mir vollständig unbekannte Gesicht eines ältlichen Herrn, der wieder mit dem Ausdruck wohlwollender Theilnahme zu mir niederschaute.

»Was verschafft mit die Ehre –?« fragte ich verwirrt.

»Nur ruhig, nur ganz ruhig,« unterbrach mich der Fremde in freundlichem Tone, und wiederum fühlte ich den heftigen Händedruck, »Sie dürfen sich unter keiner Bedingung aufregen, jede Aufregung kann Ihrer Krankheit eine tödtliche Wendung geben.«

»Aber ich bitte Sie,« entgegnete ich noch verwirrter, denn ich vermuthete eine Verwechselung, »es muß ein Irrthum obwalten –«

»Schließer, haben Sie die Güte und leuchten Sie hierher,« wendete er sich zu seinem an der Thür stehenden Begleiter, meine Worte offenbar absichtlich überhörend.

Der Schließer kam und leuchtete mir in's Gesicht, während der Arzt, denn ein solcher konnte es nur sein, noch immer meinen Puls prüfte und zum dritten Male meine Hand drückte.

»Aber ich begreife nicht,« stammelte ich, bald den Arzt, bald den Schließer fragend anblickend.

»Ruhig, ich bitte Sie dringend,« versetzte der Arzt, mir jetzt seine Hand auf die Schulter legend, »leider ein Rückfall,« wendete er sich dann mit unterdrückter Stimme an den Schließer, »sehen Sie diesen verstörten, leeren Blick, diese fieberhafte Röthe; ein wahres Glück, daß ich, indem ich unten vorbei ging, sein Toben vernahm. Blieb er diese Nacht hülflos hier liegen, so war er verloren. Fühlen Sie sich noch stark genug, ohne fremde Hülfe die kurze Strecke nach dem Lazareth zurückzulegen?« fragte er darauf, indem er sich zu mir niederneigte, »nein, gut, ich dachte mir es schon,« fuhr er fort, ohne meine Antwort abzuwarten; »Schließer, gehen Sie doch und holen Sie Hülfe, damit wir ihn sogleich fortbringen können, wir haben keine Minute zu verlieren.«

Der Angeredete stellte den Leuchter auf den alten Bretterstuhl und entfernte sich schleunigst; kaum aber war er aus der Thüre getreten, so neigte der Arzt sich wieder zu mir nieder.

»Herr Wandel,« flüsterte er geheimnißvoll und dringend, »es handelt sich um ihre Freiheit; Sie müssen mehrere Tage sehr krank sein; unbekannte Freunde wollen Ihnen zur Flucht verhelfen.«

»Wer?« fragte ich leise, und mein Puls schlug jetzt wirklich, wie im stärksten Fieberparoxismus.

»Fragen Hie nicht, um Gotteswillen! Wollen Sie uns Alle unglücklich machen? Ich werde Sie [] an Stelle des auf kurze Zeit und auf Ihrer Freunde Veranlassung verreisten Gefängnißarztes behandeln. Wenn Ihnen um Ihre Freiheit zu thun ist, so sprechen Sie nichts Anderes, als was ich Ihnen in den Mund lege, und handeln Sie pünktlich so, wie ich es Ihnen in Form von ärztlichen Anordnungen vorschreiben werde. Rasen Sie, toben und Phantasiren oder schlafen Sie ununterbrochen; thun Sie, was Sie wollen, nur schwer krank müssen Sie sein und über die furchtbarsten Kopfschmerzen und unerträgliches Gliederreißen klagen – und nun versuchen Sie noch einmal aufzustehen,« fuhr er in plötzlich verändertem Tone fort, als der Schlicher sich mit zwei Männern und einer Tragbahre näherte; »so – so – es geht schon besser, nun stützen Sie sich fest auf meine Schulter, hier herum, Ihr Leute; aber recht vorsichtig, wenn ich bitten darf.«

Die Leute folgten dem an sie ergangenen Befehl, und ganz in die Zelle eintretend, stellten sie die mit einer Malratze bedeckte Bahre neben mich hin, worauf der Arzt mich, scheinbar mit großer Besorgniß, auf dieselbe niedergleiten ließ.

Nachdem er sodann meinen Kopf etwas höher gelegt und meine Fuße nach der Bahre hinaufgehoben hatte, fragte er, ob ich bequem liege.

»Vollständig bequem,« antwortete ich mit einer Stimme, die sich, in Folge der furchtbaren Aufregung, kaum von der eines mit dem Tode Ringenden unterschied.

»Wo haben Sie die größten Schmerzen?« fragte der Arzt weiter.

»Im Kopf und in den Gelenken,« versetzte ich flüsternd und zugleich vor Verwirrung und Angst die Augen schließend.

»Hm, hm, gerade wie ich vermuthete,« murmelte der Arzt, indem er den Kopf bedenklich schüttelte und wieder nach meinem Puls griff. »Ja ja, eine schwere Krisis ist im Anzuge, keine Minute dürfen wir verlieren,« und dann den Leuten ein Zeichen gebend, ihre Last aufzuheben und nach der bestimmten Räumlichkeit zu tragen, schritt er, meine Hand fortwährend in der seinigen haltend, neben der Bahre her.

Nachdem man mich in ein für erkrankte Gefangene eingerichtetes Zimmer gebracht und demnächst den in solchen Fällen üblichen Formen und Vorschriften genügt hatte, untersuchte der Arzt mich noch einmal sehr aufmerksam. Den beiden für mich bestimmten Wächtern schärfte er die größte Gewissenhaftigkeit bei der Verabreichung der von ihm selbst angefertigten Arznei ein, die, wie ich herauszuschmecken glaubte, aus dem vorzüglichsten und ganz unvermischten Madeira bestand. Auch befahl er ihnen, sobald ich in Raserei verfallen sollte, nach ihm zu schicken, und als er dann noch einmal sein Ohr an meine Lippen gelegt, wie um auf meinen Athem zu lauschen, in der Thal aber, um mir das Wort »Muth« zuzuflüstern, entfernte er sich mit dem Versprechen, mich am folgenden Morgen in aller Frühe besuchen zu wollen.

Während dieser ganzen Zeit hatte ich kaum die Augen zu öffnen gewagt, aus Furcht, daß man der Betrug aus denselben herauslesen würde; und so viel errieth ich wohl, daß vorläufig der Arzt die einzige Persönlichkeit in meiner Umgebung sei, welche um meine beabsichtigte Flucht wisse.

[] Wie die Flucht aus so festen und wohlbewachten Räumen möglich gemacht werden könne, war mehr, als ich mir zu erklären vermochte; denn außerdem, daß die beiden handfesten Wärter zugleich das Amt von Wächtern bei mir vertraten, hatte man mir auch meine Kleider fortgenommen, und nicht nur auf den Hauptgängen des Gebäudes, sondern sogar auch vor meiner Thüre standen besondere Schildwachen, welche den ausdrücklichen Befehl hatten, keinen unbekannten Menschen vorbei zu lassen. Das sichere und entschiedene Wesen des Arztes flößte mir indessen Vertrauen ein und machte ganz den Eindruck, als ob er seiner Sache vollständig gewiß sei und nach einem bestimmt vorgeschriebenen Plane handle. –

Erst als ich mich mit meinen beiden Wächtern in dem Gemach, in welchem außer meinem Lager noch drei unbesetzte Betten standen, allein befand, gelang es mir, meine Gedanken wieder nothdürftig zu sammeln. Die Verwirrung, in welcher ich so lange geschwebt hatte, war mir insoweit zu statten gekommen, daß ich mich anfangs nur mechanisch und wie ein Trunkener bewegte. Die darauf folgende Ruhe und der Umstand, daß ich wie betäubt, mit geschlossenen Augen dalag, dienten nicht minder dazu, meine Wärter in ihrem Glauben an meinen bedenklichen Zustand zu bestärken. Doch fühlte ich, daß, um den Absichten meiner unbekannten, wohlwollenden Freunde entgegenzukommen und meine Aufnahme in den Lazarethräumen zu rechtfertigen, ich mich ganz anders geberden müsse.

Mit der Aussicht, noch einmal meine volle Freiheit zu genießen, trat auch die Sehnsucht nach derselben wieder in ihrem ganzen Umfange in den Vordergrund. Von ihr hoffte ich Alles, was mein Herz am meisten bewegte, und in dem Grade, in welchem wein Geist zu arbeiten begann, schien auch mein Scharfsinn zu wachsen, die physische Kraft sich aber gewissermaßen zu dem mir noch unbekannten Unternehmen vorzubereiten.

Wohl eine Stunde mochte ich zwischen meinen beiden Wärtern mit geschlossenen Augen dagelegen haben, aufmerksam lauschend ihrer Unterhaltung, die sie sehr frei führten, weil sie mich für vollständig unzurechnungsfähig hielten. Aus ihrem Gespräch ging hervor, daß sie nicht zu den Vertrauten des Arztes gehörten, ein doppelter Grund für mich, sie in ihrer Täuschung zu bestärken. Ich ermannte mich daher, und mich in meinem Bett aufrichtend und zuerst den einen und dann den andern verwunderungsvoll anschauend, fragte ich im heimlichen Flüsterton, ob noch keine Depeschen für mich eingelaufen seien.

Die Wärter nickten sich gegenseitig mit dem Ausdruck des Verständnisses zu, als ob sie hätten sagen wollen, wie zutreffend der Ausspruch des Arztes gewesen, worauf sie mich mit sehr wenig Förmlichkeit in mein Bett niederdrückten.

»Wer wagt es, mich anzurühren?« redete ich sie scharf an, »wer wagt es, mich anzurühren, mich, einen freien Mann? Hütet Euch! hütet Euch vor dem Schwarzen!«

Die Wärter, offenbar an dergleichen Scenen gewöhnt, betrachteten mich ruhig, ohne wir eine Antwort zu ertheilen. Sie gingen ohne Zweifel mit sich zu Rathe, wann wohl die richtige Zeit sei, den Doctor herbeizurufen. Diesen wünschte ich indessen nicht zu[] belästigen, weßhalb ich mit meinem erheuchelten Delirium eben nur so weit ging, wie nöthig war, um die Wärter in gehöriger Spannung zu erhalten. Dies gelang mir denn auch so gut, daß beide, als ich mich gegen Mitternacht beruhigte, sich mit einem »Gott sei Dank« auf ihren Stühlen ausreckten und ebenfalls ein Stündchen zu schlafen suchten.

Mich selbst ließ die Aufregung nicht zum Schlafe kommen; ich verhielt mich indessen still bis zum Morgen, und eine unbeschreibliche Beruhigung gewährte es mir, als endlich der Arzt eintrat und sich bei den Wärtern in geschäftsmäßiger Weise erkundigte, wie ich die Nacht verbracht habe.

Die Antwort schien ihn zufrieden zu stellen, und mit einem wohlwollenden Lächeln meinen Puls prüfend, setzte er sich neben mein Lager hin. Theilnehmend fragte er nach Diesem und Jenem, mehrfach zustimmend nickend, und dann wieder bedenklich die Achseln zuckend.

»Ich finde Sie besser,« sagte er dann so laut, daß die Wärter seine Worte verstanden, viel besser, als ich Sie zu finden erwartete. »In den nächsten vier Tagen werden Sie aber das Bett unbedingt nicht verlassen dürfen; denn fühlen Sie den Tag über Ihren Kopf auch freier, so bezweifle ich doch kaum, daß gegen Abend das Fieber sich wieder einstellt. Am Tage wird daher nur ein Aufwärter bei Ihnen genügen; sprechen Sie aber so wenig wie möglich, am besten ist es, Sie sprechen gar nicht, und bemühen Sie sich, alle aufregenden Gedanken von sich fern zu halten. Suchen Sie die Vergangenheit zu vergessen; geschehene Dinge lassen sich nicht ungeschehen machen, und was die Zukunft anbetrifft, da rathe ich Ihnen, nicht so schwarz zu sehen; es kommt ja doch Alles so, wie ein weiser Wille es vorherbestimmt hat.«

Bei diesen Worten drückte er mir bezeichnend die Hand, ich dankte mit leiser Stimme für seine Güte und Theilnahme und dann empfahl er sich mit einem freundlichen Kopfnicken.

Mein am Tage und in der kommenden Nacht zu beobachtendes Benehmen hatte der Arzt mir also vorgeschrieben und zum Ueberfluß noch eine Erneuerung der schon erwähnten Arznei hinzugefügt.

Selbstverständlich leistete ich pünktlich Folge. Ich schlief, ich fieberte, ich phantasirte und schlief wieder, und als es dann auf's Neue Tag wurde, erhielt ich abermals meine Verhaltungsiegeln für die nächsten vierundzwanzig Stunden.

Und so ging es fort, ein Tag verrann nach dem andern, die eine Verordnung lautete wie die andere, und meine Krankheit blieb dieselbe, nur daß die strenge Diät und das ununterbrochene Liegen mich wirklich schwächten, die entsetzliche Spannung, in der ich beständig lebte, mich in der That fast krank machte.

Am neunten Tage endlich erhielt ich die Andeutung, daß die Stunde der Entscheidung nahe und ich mich bereit zu halten habe.

Nachdem nämlich der Arzt in der Frühe sich von den Wärtern den gewöhnlichen Bericht hatte erstatten lassen und sich sehr zufrieden über den Verlauf der Krankheit ausgesprochen, wendete er sich mir zu.

»Ich gratulire zur baldigen Genesung,« sagte er, bei welchen Worten ich fühlte, wie mir das Blut bis in die Schläfen hinaufstieg.

[] Die stumme Aeußerung meiner Freude mußte ihm aber gefährlich scheinen, denn er mahnte mich durch einen Blick zur Vorsicht, und mir mit dem Ausdruck des Bedauerns die Hand auf die Brust legend, rief er mitleidig aus: »Armer junger Mann, ich gratulire, und wozu? Ach, leider nur zum Uebersiedeln aus der Krankenstube in's Gefängniß. Doch wir müssen daß Unsrige jederzeit auf Pflicht und Gewissen leisten und uns nie unmännlich weich finden lassen. Ja, Sie sind jetzt außer Gefahr; nur behutsam und vorsichtig müssen Sie sein. Ein Rückfall, und Sie sind, nach menschlicher Berechnung, verloren. Ich werde Ihnen noch eine leichte Medicin verordnen, nehmen Sie dieselbe nach Vorschrift. Das Fieber wird heute Abend ganz fortbleiben, Sie aber dafür in einen festen und ruhigen Schlaf verfallen, der voraussichtlich bis gegen ein Uhr dauern wird. Sollten Sie wirklich während des Restes der Nacht einige Unruhe empfinden, so suchen Sie dieselbe niederzukämpfen und seien Sie überzeugt, daß Sie sich morgen sehr gekräftigt von Ihrem Lager erheben.«

Ich dankte dem wohlwollenden Freunde durch einen Blick, er drückte mir noch einmal herzlich die Hand, worauf er mit seinem eigenthümlichen herablassenden Kopfnicken gegen die beiden Wärter schied.

Zwölftes Capitel.
Die Flucht.

Ohne weitere Zwischenfälle verstrich der Tag; die beiden Wärter wurden durch einen einzelnen abgelöst, und erst gegen Abend übernahmen wieder zwei Leute die Wache, die bereits mehrere Nächte bei mir zugebracht hatten.

Dieselben hatten indeß nie eine Ahnung in mir erweckt, daß sie vielleicht um meine beabsichtigte Befreiung wüßten oder gar zur Betheiligung an derselben auserloren gewesen wären. Ich benahm mich daher mit unverminderter Vorsicht; nur hin und wieder richtete ich Fragen über gleichgültige Gegenstände an sie, und dann auch mehr, um meine Unruhe und Spannung zu besiegen, als daß ich das Bedürfniß gefühlt hätte zu sprechen. Um acht Uhr erklärte ich endlich, daß ich eine unüberwindliche Müdigkeit empfinde und zu schlafen wünsche; nachdem ich meine Wärter gebeten, mich auf keinen Fall zu stören und, wenn ich auch bis zum hellen Tage schlafen sollte, mich nicht mit Arzneien zu quälen, was außerdem noch gegen die Vorschrift des Arztes sei, drehte ich mich auf die Seite, und gleich darauf athmete ich so tief und regelmäßig, als ob ich den jüngsten Tag habe verschlafen wollen.

Eine Viertelstunde verraun in tiefem Schweig Die Wärter dehnten und reckten sich auf ihren knarrenden Stühlen; offenbar langweilten sie sich, aber erst nachdem der Schließer seinen gewöhnlichen Abendbesuch gemacht, sich von meiner Sicherheit überzeugt und ihnen die größte Wachsamkeit anempfohlen hatte, fiel ihnen ein, sich durch ein Gespräch die Zeit zu verkürzen.

»Es ist doch ganz anders, wenn reicher Leute Kinder bestraft werden, als wenn unsereins in's Gefängniß gesteckt wird,« begann der Eine, der mir zu Häupten faß, mit etwas gedehnter Stimme.

[] »Wie so?« fragte der Andere ebenso gedehnt.

»Hm, mit einem Lumpen, der nicht ein paar Kreuzer zuzusetzen hat, würden sie wahrhaftig nicht so viel Umstände machen und ihn hier wie einen vornehmen Herrn bedienen lassen.«

»Mir ganz gleichgültig, so lange ich keinen Profit von seiner Vornehmheit habe.«

»Ich habe meinen Profit schon davon gehabt,« versetzte der Erste wieder, indem er meine Decke etwas zurückschob und mich prüfend betrachtete; »aber schlafe Du und der Teufel, ich glaube ein Kanonenschuß wurde ihn nicht wecken; wir werden eine ruhige Nacht haben.«

»Profit?« fragte der zu meinen Füßen Sitzende. »Ja, Profit, sieh nur her, diesen blanken Thaler hat mir ein fremder Herr geschenkt, mit der Bitte, den jungen Mann recht sorgfältig zu pflegen.«

»Wovon mir von Rechtswegen die Hälfte gebührt.«

»Hahaha! wäre ich doch ein Narr, wollte ich mit Dir theilen! Aber tröste Dick, Du sollst nicht ganz leer ausgehen, und schaffst Du nur etwas zu trinken herbei, so wollen wir eine lustige Nacht feiern.«

»Wenn Du das Geld dazu hergiebst, wird sich das Andere schon finden.«

Nach dieser Einleitung flüsterten und lachten die beiden Gefährten eine Weile; ich vernahm das Klingen von kleinen Geldmünzen, und nachdem sie mir, um sich von der Festigkeit meines Schlafes zu überzeugen, das Licht ganz dicht vor die Augen gehalten, entfernte sich der Eine auf den Zehenspitzen.

Die Thür knarrte leise, ich hörte, daß der sich Entfernende, bevor er die Thür hinter sich zuzog, mit dem auf der Vorflur patrouillirenden Wachtposten murmelnd einige Worte wechselte, und dann war Alles still.

Nach zehn Minuten trat der Bote wieder ebenso leise ein, und ich errieth aus dem Geräusch, daß er eine gefüllte Flasche lustig in der Luft schwenkte. Gleich darauf knirschte der Pfropfen, und nach einem herzlichen: »Profit Bruder« ertönte das eigenthümliche Gurgeln, mit welchem von dem Inhalt der Flasche in eine durstige Kehle hinabrieselte.

»Ha, das thut wohl,« sagte der Trinker sodann, die Flasche dem Gefährten darreichend, »möchten wir unfern Patienten noch recht lange zu bewachen haben.«

»Du hast wohl schon unterwegs getrunken, denn das ist doch nicht für einen halben Gulden?« grollte der neben meinem Bett sitzende Wärter.

»Für einen halben Gulden, nicht mehr und nicht weniger, habe nur die Qualität geprüft und dann dem Posten ans der Straße und dem auf der Hausflur n'en Schluck gegeben.«

»Um so besser,« versetzte der Andere, nachdem er einen mäßigen Zug aus der Flasche gethan, »haben sie mitgetrunken, werden sie sich hüten, uns zu verrathen, und der da?« fuhr er lachend fort und, wie ich vermuthete, auf meine regungslose Gestalt weisend, »der da? schlafe Du und der Teufel!«

»Bis an den jüngsten Tag und möge die Flasche nie leer werden,« ergänzte der zweite Wärter, sich seinerseits wieder durch einen gehörigen Trunk stärkend.

Die beiden Freunde rückten nunmehr dichter zusammen; der Genuß des Branntweins, oder vielmehr[] vorläufig erst der Geschmack desselben hatte sie gesprächiger gemacht, und indem die Flasche munter zwischen ihnen hin und her wanderte, führten sie eine so heitere, harmlose Unterhaltung, wie in einer Krankenstube, in welcher der Genuß einer Pfeife Tabak auf's Strengste untersagt ist, nur immer möglich.

Sie sprachen vom Wetter und von ihren Frauen, die, nach ihren Aeußerungen zu schließen, nicht zu den friedfertigsten Naturen gehörten; sie sprachen von der Güte des Branntweins und in wie hohem Grade derselbe dem herben Wein vorzuziehen sei. Auch erwähnten sie, daß die Zeiten recht schwer und der Verdienst geringe, daß sie wohl reich sein möchten, um sich von ihren Ehehälften scheiden zu lassen und dann ein so recht lustiges Leben führen zu können. Doch welcher Art die Betrachtungen, die sie anstellten, auch immer sein mochten, sie kamen stets darauf zurück, daß der Branntwein eine vorzügliche Erfindung sei und nicht wenig zur irdischen Glückseligkeit der Männerwelt beitrage.

Ich lag unterdessen schwer athmend und mit geschlossenen Augen da. Das Blut pulsirte mir in den Schläfen und Ohren, wie das Rauschen und Brausen rasch aufeinander gegen das Ufer brandender Wellen. Der Schweiß perlte mir von der Stirn, die Zunge klebte mir am Gaumen, und besorgt lauschte ich aus das Benehmen der beiden Trinker, die mir gerade nicht die rechten Persönlichkeiten zu sein schienen, einen Fluchtversuch zu begünstigen,

»Wenn es nicht die rechten wären?« fragte ich mich mit wachsender Angst; »wenn Alles schon entdeckt wäre!« marterte ich mich weiter, und nur schwer beruhigte ich mich dadurch einigermaßen wieder, daß ich mir das zutrauenerweckende Benehmen des Arztes und seine ermuthigenden Worte in's Gedächtniß zurückrief.

So verrann eine Stunde und noch eine, und die Uhr schlug zehn, als die beiden Zecher noch immer gemüthlich bei einander saßen. Aber ihre Stimmen waren lebhaft geworden und in geräuschvollerer Weise sprachen sie ihren Unmuth über das schnelle Leerwerden der Flasche aus.

Nach einigem Hin- und Herrechnen kamen sie endlich überein, das zweite Drittel des Thalers, der doch so leicht verdient war, zu vertrinken, und abermals brach derselbe, der die erste Flasche hatte füllen lassen, auf, um noch schnell, eh' die Läden geschlossen wurden, eine neue Auflage zu erstehen.

Er ging, jedoch nicht mehr leise und auf den Zehenspitzen, sondern hart auftretend und sich an Stühlen und Wänden stützend.

Auf der Hausflur wurde er mit schadenfrohem aber unterdrücktem Gelächter empfangen, doch ließ man ihn ungehindert passiren, wahrscheinlich weil man errieth, zu welchem Zwecke er nach der Straße hinausschwankte.

Noch unbeholfener und schwerfälliger, als er gegangen war, kehrte er zurück. Es war ersichtlich, daß er sich mit Mühe aufrecht erhielt und nur noch ein geringes Maaß des berauschenden Trankes dazu gehörte, ihn vollständig zu betäuben. Sein Gefährte schien ihm kaum noch etwas nachzugeben, und eine für mich weniger ergötzliche Unterhaltung ist kaum denkbar, als die beiden Menschen führten, indem sie sich gegenseitig zum Trinken nöthigten.

[] Meine Person und den Zweck, zu welchem sie sich bei mir befanden, hatten sie vergessen; sie tranken und tranken, bis sie zuletzt nicht mehr konnten und der Mann, der den Branntwein herbeigeschafft hatte, zuerst auf seinem Stuhl laut zu schnarchen begann und demnächst polternd auf die Erde sank, wo er sich lang ausstreckte und ruhig weiter schlief.

Der Anblick seines betäubten Gefährten schien den ersten Wärter wieder etwas zu ernüchtern und an die Strafe zu erinnern, die seiner als des Anstifters im Entdeckungsfalle harrte. Ich schloß es wenigstens daraus, daß er leise zur Thür schlich, dieselbe öffnete und die Schildwache herbeirief.

»Da liegt das unmäßige Vieh,« sagte er trotz seiner Trunkenheit in unverkennbar besorgnißvollem Tone, »da liegt er, und wenn ich meinen Posten verliere, ist es seine Schuld.«

»Könnt Ihr ihn nicht heimlich fortschaffen und hinterher melden, er sei krank geworden?« fragte der Soldat lachend.

»Ja, wollt Ihr ihn vielleicht nach seiner Wohnung tragen?« lautete die Gegenfrage.

»Ich nicht,« lachte der Soldat wieder.

»Wenn er nur auf der Straße wäre, möchte meinetwegen aus ihm werden, was da wolle. Aber hört, Freund, Ihr könnt mich retten; wir lassen ihn nämlich eine Stunde schlafen, – denn vor Mitternacht ist keine Gefahr, daß der Patient erwacht, – und dann suche ich ihn so weit zu ermuntern, daß ich ihn wenigstens aus der Thür bringe. Es bleibt Euch dann weiter nichts zu thun übrig, als ihn, im Falle er sich verlaufen sollte, etwas in den rechten Weg hineinzustoßen, so daß er die Hausthür nicht verfehlt.«

Der Soldat gab lachend seine Zustimmung, bat sich als Belohnung für feine Dienste im Voraus einen wärmenden Trunk aus, der ihm auch bereitwillig verabreicht wurde, worauf er langsam davonschritt.

Der Wärter schloß die Thür und lauschte eine Weile. Als das Geräusch des sich entfernenden Soldaten endlich auf dem andern Ende der Flur verhallte, schob er den Riegel des Schlosses vor und hastig aber leise trat er zu mir an's Lager.

»Herr Wandel,« flüsterte er mir dringend zu und zwar mit dem Ausdruck eines vollkommen nüchternen Menschen.

Blitzschnell richtete ich mich empor, den Wärter fragend anstarrend.

»Schnell, schnell,« fuhr dieser dringend fort, »wir haben keine Minute Zeit zu verlieren; stehen Sie auf und helfen Sie mir.«

»Aber ich bin ja ohne Kleider,« bemerkte ich, von einem jähen Schrecken befallen.

»Richtig, damit Sie nicht entlaufen sollen; aber warum zögern Sie? Vollen Sie mich und sich selbst in's Unglück stürzen? Hier, fassen Sie an; Sie brauchen nicht zart mit ihm umzugehen; er hat nicht mehr Gefühl, als der Pfosten Ihres Bettes.«

So sprechend lichtete er den betrunkenen Wächter auf, und indem ich nach besten Kräften Beistand leistete, gelang es uns, wenn auch nicht ohne Mühe, ihn zu entkleiden. Aber ebenso schnell, wie wir ein Stück von seinen schlaffen Gliedern streiften, zog ich dasselbe an, und kaum zehn Minuten waren nach unserm ersten Beginnen verronnen, da lag der Trunkenbold[] sorgfältig zugedeckt in dem Bett, während ich noch Dieses und Jenes an dem mir ziemlich passenden, aber unbequemen Anzug ordnete.

»So weit wären wir fertig,« sagte der Wärter, mich zufrieden von allen Seiten musternd, »aber nun Haare und Bart; setzen Sie sich und halten Sie eine Minute still.«

Mit klopfendem Herzen und vor Aufregung keines Wortes mächtig setzte ich mich auf den nächsten Stuhl nieder, der Wärter trat hinter mich, eine Scheere knirschte nach allen Richtungen über meinen Kopf hin, und bald darauf lagen meine braunen, verwirrten Locken auf einem über das Bett ausgebreiteten Taschentuch.

»Sie müssen die ganze Geschickte mitnehmen,« sagte er, indem er auch meinen Bart, so gut es eben gehen wollte, abschor und zu dem Haupthaar warf; »hier dienen sie nur als Mittel, Ihnen auf die Spur zu kommen. Schade, daß lein Spiegel bei der Hand ist, Sie würden sich selbst kaum wiedererkennen; Jesus. Maria Joseph! wie ist es möglich, daß der Mensch sich so verändern kann!«

Dergleichen Bemerkungen vor sich hinmurmelnd, beeilte sich der brave Mann, die auf den Fußboden gefallenen Haare zu entfernen, und nachdem er sodann das meine Locken enthaltende Bündel in die Brusttasche meiner weiten wollenen Jacke geschoben und eine alte, gerade nicht sehr einladende Mütze tief über meinen Kopf gezogen, erklärte er, daß ich nunmehr zur Flucht fertig sei.

»Noch haben wir eine Viertelstunde Zeit,« sagte er, auf das Schlagen der Thurmuhren lauschend, »Sie dürfen ebenso wenig zu früh, wie zu spät von hier aufbrechen; aber hören Sie, sind Sie jemals in Ihrem Leben betrunken gewesen? Ich meine, was man so recht ordentlich betrunken nennt?«

»Das dürfte ich gerade nicht behaupten, doch bezweifle ich nicht, daß ich einen schwer Betrunkenen sehr täuschend nachahmen kann.«

»Das meine ich eben, das sollen Sie auch nur – aber Maria Joseph! was ist das?« fragte er plötzlich erbleichend, indem er nach der Thür hinlauschte.

Sein Schlecken theilte sich mir augenblicklich mit, und ein ohnmachtähnliches Wehgefühl ergriff mich, als ich auf der Hausflur die Tritte von mehreren Männern vernahm, die sich langsam der Thür näherten und vor derselben stehen blieben.

»Also nur ein Kranker?« fragte eine befehlende Stimme.

»Der wachhabende Offizier,« flüsterte der Wärter bebend, und Todesangst prägte sich auf seinen Zügen aus.

»Nur einer, und der schläft,« lautete die Antwort der Schildwache.

»So wollen wir ihn nicht weiter stören,« hieß es, und ich glaubte vom Rande des Grabes zurückgerissen zu sein, als Schritte und Stimmen, nach einer erneuerten Warnung, scharfe Wache zu halten, sich entfernten.

Meine Besorgniß begann wieder zu schwinden, aber noch hatten wir es nicht gewagt, miteinander zu sprechen, da klopfte es leise an die Thür.

»Legen Sie sich genau so hin, wie mein Kamerad[] gelegen hat,« rieth der Wärter und zugleich ergriff er eine Decke, »um sie nachlässig über mich hinzuwerfen, worauf er laut fluchend nach der Thür hintaumelte, den Riegel zurückschob und öffnete.«

»Was ist los?« fragte er rauh und mit dem Benehmen eines Berauschten.

»Dankt Eurem Schöpfer, daß es mir gelang, die Ronde von Euch fern zu halten,« antwortete der Wachposten vertraulich. »Und was nun?«

»Na, ich denke der Dienst, den ich Euch leistete, wäre wohl einen Trunk werth.«

»Bei allen Teufeln, den sollt Ihr haben,« entgegnete der Wärter, schwankenden Schrittes die Flasche herbeiholend und sie mit unsichern Bewegungen dem Soldaten einhändigend.

Er hatte die Thür weit aufgelassen, so daß der Soldat mich sehen konnte.

»Der ist gut,« bemerkte dieser, indem er mit der entkorkten Flasche auf mich wies.

»Hol ihn der Teufel,« grollte mein Freund schluchzend.

»Aber auch Ihr scheint etwas schief geladen zu haben,« fuhr der Soldat spöttisch fort; »übrigens will ich Euch den guten Rath ertheilen, Eurem Kameraden recht bald auf die Strümpfe zu helfen, wenn er überhaupt während meiner Wache fort soll. Noch eine halbe Stunde und ich werde abgelöst.«

»Ja ja ja,« antwortete der Wärter, die Thür hinter dem Davonschreitenden zudrückend.

Bei diesem Geräusch sprang ich empor, aber bevor ich noch eine Frage an meinen Freund richtete, zog dieser mich neben sich auf den Rand der Bettstelle. Nachdem er mich noch einmal dringend zur größten Vorsicht ermahnt, bezeichnete er mir nicht nur aufs Genaueste den einzuschlagenden Weg, sondern er schrieb mir auch ebenso genau das den mir etwa begegnenden Leuten gegenüber zu beobachtende Verfahren vor. Sobald er mich dann hinlänglich instruirt und auf alle Fälle vorbereitet glaubte, begleitete er mich noch bis an die Thür.

»Möge Gottes und aller Heiligen Segen Sie begleiten,« sagte er mitleidig, »ich hoffe das Glück wird Ihnen günstig sein; ein junges Blut, wie Sie, paßt schlecht in die Gefängnißräume.«

Tief ergriffen preßte ich die Hand meines Retters, meinen Dank aber wies er zurück.

»Mir gebührt lein Dank,« versetzte er ausweichend, »ich werde für meine Dienstleistung hoch bezahlt; denn hätte ich auch Neigung verspürt, Ihnen zu helfen, mir allein wäre es nicht möglich gewesen, und ohne für meine Zukunft einigermaßen sicher gestellt zu sein, durfte ich es nicht darauf ankommen lassen, für grobe Versehen im Dienst meines Postens enthoben zu werden.«

Noch wollte ich fragen, von wem meine Befreiung ausginge, da öffnete er schon die Thür, und mit einem leise geflüsterten: »Gott geleite Sie,« gab er mir einen Stoß, daß ich wohl fünf Schritte weit in den vor mir liegenden Gang hineintaumelte.

Der Weg, den ich zu verfolgen hatte, war nur spärlich erleuchtet, dabei aber breit und bequem. Eingedenk meiner Aufgabe, stellte ich mich aber, als ob für mich daselbst die undurchdringlichste Finsterniß [] herrsche und meine Füße bei jedem Schritt an ein schwer zu besiegendes Hinderniß stießen. Bald aus der einen, bald auf der andern Seite mich an den Wanden hintastend, aber jederzeit die Augen unter der tief über die Stirne gezogenen Nütze offen, gelangte ich langsam weiter. Da bei jeder Biegung des Ganges eine düstere Laterne brannte, so wurde mir das Auffinden des mir so genau bezeichneten Weges erleichtert, und nur einmal, als ich über einen kleinen dunkeln Hof kam, war ich zweifelhaft, in welche der gegenüberliegenden, stets von selbst wieder zufallenden Thüren ich einzutreten habe.

Aber gerade hier in der Dunkelheit war es, wo mir die bekannte und zufällig in der Nähe befindliche Schildwache Hülfe leistete. Mit einem schadenfrohen Lachen mich im Genick fassend, stieß der Mann mich nämlich mit solcher Gewalt gegen die rechte Thür, daß ich mit derselben in's Haus hineinflog und auf der andern Seite zu Boden stürzte.

»Immer geradeaus!« rief er mir zu, »immer gerade aus der Nase nach. Hahaha! so'n Vergnügen! Bin Viehtreiber geworden! Warte, Freundchen, Mutter wird Dir den Kopf so lange waschen, bis Dir vor Verwunderung die Augen übergehen, Hahaha!«

Was ich empfand, als der durch den Genuß des Branntweins aufgeheiterte Soldat in den düsteren Gängen seine brutalen Scherze gelegentlich mit einem nicht allzu fünften Stoß begleitete und mich gleichsam der Hausthür zutrieb, vermag keine Feder zu schildern. Doch bei aller Scham und aller Furcht vor einer Entdeckung, vergaß ich keinen Augenblick, der übernommenen Rolle treu zu bleiben. Den Kragen meiner Jacke zog ich mir, wie fröstelnd, bis über die Ohren hinauf, und indem ich die wenig ehrenvolle Behandlung ohne zu murren hinnahm, taumelte und stolperte ich meines Weges, vorsichtig darauf achtend, daß ich nicht in den vollen Schein der matt brennenden Laternen gelangte.

Endlich lag die Hausthür vor mir. Auf der Straße war es dunkel, denn die beiden nächsten Laternen vermochten in der nebeligen Atmosphäre leine große Helligkeit zu verbreiten. Gereichte mir dies zum Trost, so erfüllte es mich auf der andern Seite wieder mit wahrem Entsetzen, eine Schildwache zu bemerken, die mit geschulterter Muskete kaum zwei Schritte weit vom Hause gerade mitten vor der offenen Doppelthür stand.

Meine Lage wurde nämlich dadurch besonders gefährlich, daß der Posten auf der Straße, wenn er sich nach mir umwendete, sehr leicht einen Blick auf mein Gesicht erhaschen konnte. War derjenige aber, dessen Stelle ich vertrat, ihm nicht ganz fremd, was kaum anzunehmen war, indem er doch aus dessen Flasche getrunken hatte, so mußte ich befürchten, noch auf der Schwelle der Freiheit entdeckt und augenblicklich in meinen Kerker zurückgebracht zu werden.

Während ich langsam taumelnd mich der Thür näherte, fuhren diese Gedanken mir mit Blitzesschnelligkeit im Kopfe herum. In meiner Verzweiflung dachte ich schon daran, im Fall einer Entdeckung hinauszustürzen und der Schnelligkeit meiner Füße zu vertrauen, was mich indessen schwerlich vor dem Verderben bewahrt hätte, indem ich in den Straßen vollständig fremd war, als der Posten, der mir nachfolgte, [] in seiner unbesiegbaren Neigung, sich über einen Betrunkenen zu belustigen, mich abermals rettete.

In demselben Augenblick nämlich, in welchem sein Kamerad auf der Straße sich umlehrte, setzte der Mann hinter mir, den Kolben seiner Muskete zwischen meine Schulterblätter, und mich dann vor sich herschiebend, rief er jenem lachend zu, sich nicht überfahren zu lassen.

Letzterer ging auf den Scherz ein, um so mehr, als er in mir den einen Wärter zu erkennen glaubte, und ebenfalls in ein unterdrücktes Lachen ausbrechend, trat er bis fast an sein Schilderhaus heran.

Ich mußte jetzt dicht bei ihm vorüber, und mehr einem unbestimmten Instinkt, als einem überlegten Plane folgend, strauchelte ich, wie dem auf mich ausgeübten gewaltsamen Drucke nachgebend, und in der nächsten Sekunde lag ich stöhnend auf der Straße.

»Verdammt!« rief mein Retter wider Villen mir nach, »in seiner Haut möchte ich nicht stecken, wird wohl nicht ohne Strafe davonkommen!«

»Ist ihm gesund, warum macht er solche Streiche,« antwortete der andere Soldat; »willst Du ihm nicht auf die Beine helfen?«

»Oder ihn gar nach Hause begleiten!« rief der Erstere höhnisch, »laß ihn nur liegen, er wird sich schon selbst emporhelfen« –

Was die Beiden noch weiter sprachen, entging mir, denn aus Furcht, daß der Eine oder der Andere von ihnen sich dennoch menschenfreundlicher zeigen würde, als ich es wünschen konnte, raffte ich mich, anscheinend sehr mühsam empor, und bald nach der linken, bald nach der rechten Seite der Straße hinüberschießend, gelangte ich schnell aus dem Bereich ihrer Stimmen.

Ehe ich die nächste Straßenecke erreichte, begegnete mir die Ablösung. Es war also die höchste Zeit gewesen.

Ohne weiteren Unfall traf ich auf der mir durch den Wärter bezeichneten Stelle ein. Ein in einen Mantel gehüllter Mann erwartete mich daselbst.

»Sind Sie es?« fragte mich derselbe, sobald ich mich ihm gegenüber befand.

»Doktor, ich bin frei!« war das Einzige, was ich hervorzubringen vermochte, indem ich ihm aus überströmendem Herzen beide Hände drückte.

»Ruhig, junger Mann,« entgegnete mein wohlwollender Freund, den ich sogleich an der Stimme erkannt hatte, jeden weiteren Ausdruck der Dankbarkeit von meiner Seite abschneidend; »noch dürfen Sie nicht triumphiren; folgen Sie mir in einiger Entfernung, die Straßen sind noch belebt,« und so sprechend, trennte er sich von mir, in die nächste Querstraße einbiegend.

Nachdem wir ungefähr eine Viertelstunde in dieser Weise fortgewandert waren, blieb mein Führer plötzlich vor einem großen und anscheinend sehr schönen Hause stehen, um mich zu erwarten. Sobald ich bei ihm eintraf, blickte er noch einmal scheu die Straße hinauf, hinunter, und dann schweigend meinen Arm ergreifend, zog er mich nach der Hausthür hin, die sich auf ein leises Klopfen mit dem Knopf seines Stockes geräuschlos öffnete. Wir schritten über eine dunkle, mit Decken belegte Hausflur und demnächst eine breite bequeme Treppe hinauf, auf deren oberster [] Stufe wir von einer älteren Dame, der Gattin des Arztes, mit Licht empfangen wurden.

»Außer meiner Frau und meinem Sohne, der uns die Thür öffnete, weiß Niemand in diesem Hause um Ihre Anwesenheit und Ihre Flucht,« sagte der Arzt, nachdem er mir Zeit gelassen, der freundlichen Dame, die mich mit einem Ausdruck unaussprechlich trauriger Theilnahme betrachtete, statt jeder weitern Begrüßung die Hand zu küssen; »auch ich muß auf meiner Hut sein,« fuhr er fort, seiner voranleuchtenden Gattin nach dem Hinterhause hin nachfolgend, »und ebenso heimlich, wie Sie in mein Haus gekommen sind, müssen Sie dasselbe wieder verlassen. Bis dahin sind Sie selbstverständlich mein Gast, und ich stelle Ihnen nur die einzige Bedingung, deren genaue Beobachtung ich von Ihrer Ehre erwarte, nämlich nie nach Denjenigen zu forschen, welchen Sie Ihre Befreiung verdanken.«

»Es ist eine schwere Bedingung, nicht einmal den Namen meiner Wohlthäter wissen zu dürfen,« versetzte ich seufzend, indem ich mit meinen Gastfreunden in ein reich ausgestattetes Wohnzimmer trat. »Ich glaube es Ihnen,« versetzte der Arzt freundlich, »man muß sich indessen in das Unvermeidliche fügen; sprechen Sie daher nicht weiter von Dank. Dadurch, daß Sie der Kerkerhaft entrissen wurden, ist andern Leuten ein fast ebenso großer Dienst, wie Ihnen geleistet worden –«

»Mein Vormund vielleicht,« unterbrach ich den Arzt hastig.

»Fragen Sie nicht,« antwortete dieser mit milder Strenge, »hegen Sie Dankbarkeit, so viel Sie wollen und gegen die ganze Welt, aber verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen die einzelnen Persönlichkeiten noch besonders bezeichnen soll. Sie haben ausschließlich nur noch mit mir zu thun; sogar die Sie betreffenden Vormundschaftsangelegenheiten sind in meine Hände niedergelegt worden, so daß, nachdem sie mein Haus verlassen haben, Sie nirgends anzukehren oder Erkundigungen einzuziehen brauchen, wodurch jedenfalls für Sie wie für uns Alle neue Gefahren heraufbeschworen würden.«

Begierig, Näheres über die mir eröffnete Zukunft zu erfahren, stand ich im Begriff, neue Fragen an meinen Wohlthäter zu richten, doch wurde ich durch seine Gattin daran verhindert, indem dieselbe' uns bat, uns zu dem in einem Nebengemach bereit gehaltenen Mahl niederzusetzen. Wir folgten der Einladung, worauf die Dame des Hauses sich leise zurückzog, im Scheiden mir aber wieder einen ihrer mir unvergeßlichen mitleidigen Blicke zusendend. –

Bis zu den eisten Morgenstunden saß ich mit dem Arzt in seiner Arbeitsstube, vertieft in die ernstesten Gespräche; und als er mir dann ein kleines Kabinet dicht neben seinem Schlafgemach zu meinem vorläufigen Aufenthalt anwies, war ich vertraut mit Allem, was nur im Entferntesten Bezug auf die Fortsetzung meiner Flucht hatte.

Demnach war das Endziel derselben Amerika, und zwar sollte ich, ohne mich unterwegs aufzuhalten, nach Havre gehen, um mich daselbst einzuschiffen.

Ueber Johanna erfuhr ich keine Silbe; ebenso von meinem Vormunde nur, daß er die Vormundschaft dem Arzte übertragen und diesem anheimgestellt habe, [] den Rest meines kleinen Vermögens zur Erleichterung meiner Lage im Gefängniß zu verwenden. Danach mußte ich annehmen, daß der Oberstlieutenant nichts von der beabsichtigten Flucht wisse.

Als Grund der Niederlegung der Vormundschaft hatte er angegeben, mit einem Hochverräther keine Gemeinschaft mehr haben zu wollen, wodurch mein edler Gastfreund sich wieder veranlaßt fühlte, meinen Besuch auf der Oberförstern nicht nur als gefährlich darzustellen, sondern mir auch zu rathen, den Gefühlen meines Vormundes, wenn auch nicht meinetwegen, so doch seinetwegen Rechnung zu tragen und ihn nicht noch tiefer niederzubeugen.

Um Johanna's willen bat er mich ebenfalls, nicht von der mir vorgeschriebenen Reiseroute abzuweichen; und raubte er mir auch nicht die letzte Hoffnung, so bezeichnete er doch jeden Gedanken an eine Vereinigung mit ihr in den nächsten zehn Jahren als thöricht und unstatthaft.

»Sie sind ein Mann,« sagte er mit Entschiedenheit aber freundlich, »und werden den Schicksalsschlag, welcher Sie so hart betroffen, zu tragen wissen. Die Nichte Ihres Vormundes dagegen ist eine hinfällige, zarte Natur. Bedenken Sie, wenn sie eben begonnen hätte ihre Seelenruhe einigermaßen wieder zu gewinnen, welche nachtheilige Wirkung könnte Ihr unverhofftes und plötzliches Erscheinen auf sie haben? Und daß Sie sich nicht anmelden dürfen, wenn Sie, bei dem ausgebreiteten Polizeiwesen, nicht sehr bald zurückgebracht werden wollen, versteht sich Wohl ganz von selbst. Ich spreche als Arzt, und als Arzt rathe ich Ihnen,« schloß er, »vermeiden Sie, sich auf der Oberförsterei im Siebengebirge zu zeigen. Später, und wenn Jahre darüber hingehen sollten, werden Sie einsehen, wie recht ich hatte. Um des Oberstlieutenants willen, um seiner Nichte, ja, um Ihrer selbst willen, befolgen Sie meinen Rath; bedenken Sie, daß nicht persönliche Vortheile mich, wie die meisten unserer Helfershelfer, bestimmten, Ihre Befreiung zu erwirken, sondern andere, tiefer liegende Gründe. Meine Bekanntschaft mit Ihnen hat am allerwenigsten dazu gedient, Reue über mein Thun in mir zu erwecken, im Gegentheil, mich in meinem Vorsatz, Ihnen Beistand zu leisten, bestärkt; gönnen sie mir daher das wohlthuende Bewußtsein, meine Mühe nicht nutzlos verschwendet zu haben, und ziehen Sie hin in Frieden, um sich eine neue Heimath zu begründen.«

Nach dieser Erklärung verließ er mich; seine Worte schienen ein Geheimniß zu enthalten. Daß der Oberstlieutenant mit seinem starren Sinn mich nicht wiederzusehen wünschte, befremdete mich nicht; aber daß es mir nicht vergönnt sein sollte, von Johanna Abschied zu nehmen, aus ihrem Munde zu erfahren, wer durch die schrecklichen Mittheilungen über ihre Eltern das nie zu sühnende Unrecht an ihr, an mir und meinem greisen Vormund begangen habe, das war mehr, als ich zu enträthseln, zu begreifen vermochte.

Unter dem Druck solcher Gefühle suchte ich mein Lager; die ununterbrochene geistige Spannung der letzten Tage hatte mich erschöpft, doch der Schlaf blieb mir fern; ob wachend oder träumend, überall und zu jeder Zeit trauerte ich um meine Jugend, um mein verlorenes Paradies. –

Vier Tage später, als die erste Aufregung über [] die unerklärliche Flucht des gefährlichen Demagogen sich bereits etwas gelegt hatte und man mich an jedem andern Punkte der Erbe eher vermuthet hätte, als in Frankfurt's Mauern, wanderte ich am hellen Tage frei und offen durch das Eschenheimer Thor, um auf einem Umwege in die nach Mainz führende Straße zu gelangen.

Auf meinen kurz geschorenen Haaren ruhte ein verbogener, weißer Filzhut; ein olivenfarbiger, sehr verschossener und mit mancherlei Flicken geschmückter Jagdrock umschloß meinen Oberkörper, alte gelbe Nankingbeinkleider und ein Paar schiefgetretener Stiefel bildeten den übrigen Theil meines Anzuges. Auf meinem Rücken hing ein alter Ranzen, der im Innern etwas grobe Wäsche und einen nicht mehr ganz modischen Anzug barg, während auf seiner Außenseite, in Nebentäschchen und unter den Riemen, eine Kleiderbürste, eine Stiefelbürste, ein Paar gestickte Morgenschuhe und ein Reservepaar von Stiefeln angebracht waren.

In meinem linken Mundwinkel hing eine kurze Pfeife mit langen Quasten und zusammengekittetem Porzellankopf, auf welchem ein in Dolche und Pistolen förmlich eingehüllter Rinaldo sehr gemächlich in den etwas zu feuerroth gerathenen Armen seiner schielenden Rosa ruhte, die aber für die Mängel an den Augen von des Künstlers Hand durch einen so kleinen Mund entschädigt worden war, daß derselbe sich nur als ein rothes Pünktchen auszeichnete. Am rechten Handgelenk hing an einem zähen Riemen ein keulenartiger Stock, der in seiner Jugend durch das Einwachsen einer Ranke eine seltsame Schraubenform erhalten hatte, und von dem einzigen noch nicht ausgerissenen Knopfloch meines Jagdrockes baumelte an fettig glänzenden, einst grün gewesenen seidenen Schnürchen eine mit rauchbarem Taback wohlgefüllte Schweinsblase nieder.

Mein Bart war, bis auf ein Streifchen unterhalb der Ohren glatt abgeschoren, ein durch Höllenstein hergestelltes Muttermaal schmückte meinen rechten Nasenflügel, und zum Ueberfluß waren meine Hände durch ätzende Mittel so braun gefärbt worden, daß ich auf den allerschwierigsten und wählerischsten Gerbermeister, der um einen Gehülfen verlegen, den Eindruck eines fleißigen und sehr arbeitsamen Gesellen hätte machen müssen.

Wenn ich nun in meinem Aeußern das Urbild eines wandernden Handwerksburschen zeigte, so waren meine Taschen nicht minder vorsichtig mit allen Emblemen des edlen Gerbergewerkes versehen worden.

Ein abgegriffenes Wanderbuch, auf den schönen Namen Peter Herpenhof lautend, ragte zur Hälfte aus der äußern Brustlasche meines Jagdrockes hervor, wie um den auf Legitimationen abgerichteten Gensdarmen das gestrenge Ausfragen zu ersparen. Eine kalbslederne Börse mit ungefähr fünf Thalern in Pfennigen, Silbergroschen, vereinzelten Kreuzern und Fünfgroschenstücken blähte meine linke Westentasche auf, während eine große Schnupftabacksdose, deren präparirter Inhalt meine Geruchswerkzeuge in einer beständigen aber schmerzlosen, meine Mäßigkeit sehr in Frage stellenden Entzündung erhielt, das Ebenmaß und Gleichgewicht der andern Westentasche wieder einigermaßen herstellte.

Ich reiste also als Handwerksbursche, als Peter Herpenhof, als derselbe Peter Herpenhof, der im Hause meines edlen Wohlthäters, des Arztes, so lange bleiben sollte, bis ich ihm sein Wanderbuch und seine [] Pfeife – das Geschenk einer untreuen Geliebten, – wieder zurückgesendet haben würde; denn auf den Ranzen, sammt seinem Inhalt, und auf seine Reisekleider hatte er sich gegen eine angemessene Summe willig finden lassen, allen ferneren Ansprüchen zu entsagen.

Er selbst war im Entdeckungsfalle ebenso straffällig, wie wir andern Beide, was am sichersten für seine Verschwiegenheit bürgte; ich durfte daher so ruhig und unbesorgt der Grenze meines Vaterlandes zuwandern, als ob ich wirklich in Nürnberg beim Meister Hildebrand gelernt, in vierzehn verschiedenen Städten als Gesell gearbeitet hätte und nunmehr im Begriff stände, mein Heil in Brüssel zu versuchen und mich dort von einem reichen Onkel zu den Anverwandten von dessen ehrsamer Ehehälfte nach Paris empfehlen zu lassen.

So trat ich meine Wanderung an, und wenn nur der hundertste Theil der Segenswünsche, welche der Arzt und seine Gattin mir mit auf den Weg gaben, in Erfüllung gegangen wäre, dann hätte binnen kurzer Frist der Friede in meine Seele zurückkehren müssen.

Die Segenswünsche nahm ich hin, als einen Beweis ihrer edlen, menschenfreundlichen Gesinnungen; einen tiefern Eindruck aber hatten die trauernden, mitleidvollen Blicke meiner Wohlthäterin auf mich ausgeübt, die mehr zu sagen schienen, als mir in Worten mitgetheilt wurde, und an den Ausdruck erinnerten, mit welchem man wohl einen zum Tode Verurtheilten zum Richtplatz führen sieht.

Außerdem, daß ich vollständig als Handwerksbursche ausgerüstet wurde, hatte mir der Arzt auch noch achthundert Thaler in Gold eingehändigt. Es war dies eine erheblich größere Summe, als ich zu empfangen erwartet hatte, zumal ich wußte, daß der Wärter, der mir zur Flucht verhalf, seines Postens enthoben worden war und daher verabredeter Maßen für seinen Verlust entschädigt werden mußte.

Das Gold trug ich in einem festen Gurt unter meinen Kleidern; es war die größte Summe, welche ich jemals in meinem Leben auf ein Mal besessen, und wer mich in dem dürftigen Aufzuge meiner Wege ziehen sah, der vermuthete gewiß nicht, daß der arme abgerissene Handwerksbursche sehr Wohl im Stande gewesen wäre, seine Reise mit Extrapost und Courierpferden fortzusetzen.

Doch welchen Reiz hatten jetzt noch blinkende Schätze für mich? Ich wanderte dahin, äußerlich das Bild eines leichtsinnigen, unordentlichen Gesellen, während ich innerlich mich zu verbluten meinte und zagend und erfüllt von den schwärzesten Ahnungen Johanna's gedachte.

Obgleich der Arzt mir bis zum letzten Augenblick dringend abgerathen hatte, meinen Weg durch das Siebengebirge zu nehmen, obgleich seine Gattin, während Thränen in ihren wohlwollenden Augen perlten, ihre Bitten mit denen des Doktors vereinigte und ich sogar versprochen hatte, ihre Rathschläge zu beherzigen, beschloß ich dennoch, Alles, selbst Freiheit und Leben daran zu wagen, noch einmal mit Johanna zusammenzutreffen. Ich mußte sie wiedersehen, und wenn mir auch weiter nichts vergönnnt sein sollte, als heimlich einen Blick auf ihr liebes, treues Antlitz zu erhaschen, und dann auf ewig von ihr zu scheiden.

Einestheils hoffte ich Alles von einer Zusammenkunft mit ihr, die mir so oft und so feierlich ewige Treue [] gelobte, anderntheils hätte ich es nicht vermocht, mein Vaterland zu verlassen, ohne aus ihren Augen ihre Gemüthsstimmung herausgelesen zu haben. Mir auch in der Ferne ein wahres, ungeschminktes Bild von ihr entwerfen zu können, von ihr, die dereinst zu besitzen ich die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben hatte, war der tröstende Gedanke, der meine Schritte lenkte.

Und so wanderte ich denn dahin durch die herbstliche Landschaft dem Rhein zu und endlich an dem stolzen Strom hinunter. Die Sehnsucht trieb mich zur Eile, die Meilen schienen unter mir fort zu fliegen und wie ein wunderbar schönes Panorama glitten zu beiden Seiten die rebengeschmückten Ufer mit ihrem mittelalterlichen Schmuck an mir vorüber.

Mit jeder Strecke von wenig hundert Schrillen veränderte sich die Scenerie, hier den Charakter einer lieblichen Idylle annehmend, dort gleichsam in das graue sagenhafte Alterthum versetzend; doch was mich früher mit namenlosem Entzücken erfüllt hätte, das ließ mich jetzt kalt und theilnahmlos.

Das Laub der Reben und in den Waldungen war schon zum größten Theil gestorben und zum Abfallen bereit, die langen Ketten der Zugvögel wanderten dem wärmeren Süden zu. Allein der Anblick des allmäligen Entschlummerns der Natur war es nicht, was meinen Geist niederdrückte, nicht das Mißtrauen, mit welchem ich jeden mir Begegnenden betrachtete und nur in abgelegenen Schänken und Herbergen ein Obdach suchte, was mich blind für alles Schöne und Anmuthige machte. Meine unbesiegbare Schwermuth entsprang in meinem Herzen, in den trüben, schwarzen Ahnungen, die in demselben Maße, in welchem ich stromabwärts zog, den letzten schwachen Hoffnungsschimmer grausam erbleichten und endlich ganz verdrängten.

Wie war es anders früher, wenn ich der Oberförsterei zuwanderte und frischer Jugendmuth mir die Brust schwellte!

Jetzt war ich geächtet, verbannt und verfolgt; für mich gab es keinen Freund mehr, vor den ich unbesorgt hätte hintreten dürfen; und Johanna? O, ich durfte nicht daran denken – – –

Dreizehntes Capitel.
Ein freund in der Noth.

Das war eine lustige Nacht in dem Dorfe, welches gleich oberhalb des Drachenfels am Ufer des Rheins liegt.

Zwei Violinen, eine schrille Klarinette, ein Waldhorn und eine mächtige Baßgeige sendeten ihre heiteren Klänge durch die geöffneten Fenster in's Freie hinaus, so laut und durchdringend, daß die Kinder auf der Straße nach dem Takt der Musik bequem tanzen konnten, und sogar auf der andern Seite des Stromes ein tanzlustiges Paar vermocht hätte, nach den über die glatten Fluthen hinrollenden Klängen sich recht müde zu walzen.

Ja, es war eine lustige Nacht. Vier Lampen mit blechernen Reflectoren, und dazu noch die Talglichter der Musikanten verbreiteten in dem niedrigen Saal eine ungewöhnliche Helligkeit, und wenn Tabaksdampf die Atmosphäre auch etwas verdichtete, und der unter schweren Schuhen aufwirbelnde Staub das[] Seinige mit zu der Verdichtung beitrug, so glühten die Gesichter der Tanzenden deßhalb nicht weniger enthusiastisch, nicht weniger zündend waren die Blitze, die aus fröhlichen Augen von dem einen Ende des Saales nach dem andern hinüberzuckten und schossen und in andern, ebenso fröhlichen Augen stets den gesuchten und ersehnten Ableiter fanden.

»Heute ist Kirmeß!« klang es aus Geigen, Klarinette und Waldhorn so deutlich hervor, daß der Dorfschulmeister selber es nicht deutlicher und eindringlicher zu buchstabiren vermocht hatte. »Heute ist Kirmeß,« stand geschrieben auf den runzeligen Gesichtern der Bestevaders, die in frisch gewaschenen Zipfelmützen, funkelnagelneuen kattunenen Jacken, schwarzen Kniehosen, wollenen blauen Strümpfen und mächtigen Schnallenschuhen an den Wänden herum saßen und gravitätisch ihren Sonntags-Nachmittags-Maserkopf rauchten. »Heute ist Kirmeß,« lachte es nicht minder verständlich aus den Augen der Bestemoders, wenn Vater selbst oder ein Uehmchen, Oheim, welche Bezeichnung, alten Männern beigelegt, keineswegs immer eine Verwandtschaft voraussetzt. in Erinnerung der weit zurückliegenden eigenen glücklichen Jugend, sie mit dem Ellenbogen bezeichnend in die Seite stieß oder ihnen mit der schwieligen Hand das Kinn und die eingefallenen Wangen schäkernd streichelte. »Heute ist Kirmeß,« leuchtete es aus den runden Gesichtern der festlich geputzten Kinder, indem sie sich verstohlen in die Winkel hineindrängten, um dort, Angesichts der tanzenden Paare, mit Ruhe ihre riesenhaften, üppig mit Butter bestrichenen und mit Rosinen und Korinthen reich durchwachsenen Kirmeßweck-Brückstücken Butterbrod. zu verzehren.

»Kirmeß ist heute,« jubelten laut die vierschrötigen Burschen, ihre Worte mit einem fürchterlichen Luftsprung begleitend und mit den Absätzen krachend den Takt auf den dröhnenden Bohlen schlagend. »Kirmeß ist heute,« antworteten dann wohl die Mädchen, wenn sie sich von den kräftigen Armen ihrer Tänzer fester umfangen fühlten und männliche Lippen ihre vollen, von Gesundheit strotzenden Wangen in dem Gewirre flüchtig und verstohlen streiften.

Sogar die grünen und lochen seidenen Bänder in den Knopflöchern der schwarzen Jacken der jungen Männer und die mit Knistergold und blitzenden Glaskorallen verschwenderisch verzierten Sträuße auf den wogenden Busen der erhitzten Dorfschönen schienen in den lustigen Ruf einzustimmen; und dieselben Worte schrieben die heute ausnahmsweise hoch geschraubten Lampendochte mit schwarzen Rußringen an die weiß-getünchte Decke, und klingelten heimlich die auf dem um den ganzen Saal herumlaufenden Gesims in Reihe und Glied aufgestellten angeschenkten Flaschen und leeren Gläser, sobald eine Pause eintrat und die Arme sich nach ihnen ausstreckten, um mit dem selbstgewonnenen rothen Wein den Staub aus den durstigen Kehlen zu spülen.

»Heute ist Kirmeß!« rief auch mir eine behagliche männliche Stimme in's Ohr, und zugleich traf mich ein heftiger, wohlgemeinter Schlag auf die Schulter, als ich, auf meinen Wanderstab gestützt, von der Straße aus einen Blick in den so geräuschvoll belebten Saal warf.

[] »Ja, Kirmeß ist heute,« wiederholte dieselbe Stimme, und mich umschauend erblickte ich einen Mann, der, nach seinem Aeußern zu schlichen, nur der Gastwirth sein konnte.

»Ich sehe es,« antwortete ich ernst, »es ist auch nicht meine Absicht, irgendwie zu stören; ich wollte nur fragen, ob ich für Geld und gute Worte etwas zu essen und vielleicht ein Winkelchen, und wäre es auf dem Heuboden, für die Nacht erhalten kann?«

»Weder für Gelb, noch für gute Worte, Freund, heute ist Kirmeß, und wo Kirmeß ist, da kann ein lustiger Handwerksbursche auch noch satt werden, ohne daß er dafür zu bezahlen oder darum zu bitten braucht. Könnt Eure paar Pfennige ruhig behalten; kommt herein, und wenn Ihr Euch vernüchtert habt, sollt Ihr mittanzen, und den Musikanten möchte ich sehen, der einem armen Wanderburschen nicht für umsonst aufspielen wollte!«

»Aber lieber Mann, ich bin von der Reise erschöpft und dann betrachtet nur meinen Aufzug –«

»Ach was, Aufzug hin, Aufzug her! Ihr kommt aus Städten, wo man besser tanzt, als auf dem Lande, und tanzen müßt Ihr, und wenn die Stiefel Euch drücken, dann hopst Ihr auf den Strümpfen herum! Abgemacht! Vorwärts! Handwerker und Bauern brauchen sich Einer vor dem Andern nicht zu schämen und nicht viel Umstände mit einander zu machen!«

»Mit hineingehen will ich wohl, wenn Ihr mir ein unbeachtetes Winkelchen anweisen wollt, aber tanzen kann ich gewiß nicht, meine Füße sind wund und kaum vermag ich mich vor Erschöpfung aufrecht zu erhalten,« bat ich dringend.

Der Wirth schüttelte ungläubig den Kopf, in demselben Augenblick erreichte aber auch im Saal die Pause ihr Ende.

»Juuuch –hu –hu –hu!«

gellte ein landesüblicher Jauchzer, daß das ganze Haus bebte. Neue Jauchzer, einer immer lauter, als der andere, folgten nach und übertäubten die Musik, die bereits einen Walzer, angestimmt hatte; der Gastwirth aber ergriff mich am Arm und mich in das Haus hineinziehend, dessen Flur der Sammelplatz für die ganze Dorfjugend zu sein schien, siel er lustig in die Walzermelodie ein:

»Bald gras ich am Acker, bald gras ich am Rhein,

Bald hab' ich ein Schätzchen, bald bin ich allein!«

sang er, indem er sich ziemlich rücksichtslos mit den Ellenbogen nach rechts und links Platz verschaffte.

»Dort oben auf dem Berge, da steht 'ne Kapell',

Da tanzen die Kapuziner mit ihrer Mamsell!

Juuuch–hu–hu–hu!«

erschallte es als Antwort aus dem Saale zu uns herüber und wuchtiger stampften die schweren Stiefel auf den Fußboden.

Ohne eigentlich zu wissen, wie mir geschah, und die rauhen aber wohlgemeinten Willkommrufe und Püffe, die von allen Seiten auf mich einregneten, mit einem erzwungenen Lächeln erwidernd, gelangte ich endlich in ein Nebengemach, in welchem sich die stillen Zecher und Kartenspieler häuslich niedergelassen hatten.

Meine Umgebung nicht weiter beachtend, begab ich mich nach dem mir angewiesenen langen Tische hin, und nachdem ich meinen Ranzen abgelegt, setzte[] ich mich so nieder, daß ich eine an demselben Tische spielende Gesellschaft nicht störte.

Die Gesellschaft der Kartenspieler war mir in so weit willkommen, als ich daraus rechnete, von ihnen nicht in's Gespräch gezogen zu werden; der Wirth aber hatte alle Hände voll zu thun und war selbst ein Freund vom Tanzen, weßhalb ich hoffen durfte, fernerhin unbeachtet zu bleiben.

Eine Flasche Wein und ein tüchtiger Imbiß waren unterdeß vor mich hingestellt worden, und da ich seit dem frühen Morgen keine Gelegenheit gefunden hatte, mich durch warme Speisen zu kräftigen, so zögerte ich nicht, der an mich ergangenen wenig förmlichen jedoch wohlgemeinten Einladung Folge zu leisten.

Allmälig verfiel ich indessen wieder in so hohem Grade in mein gewohntes trübes Brüten, daß die Musik und der wilde Jubel für mich ungehört verhallten und ich noch weniger die forschenden Blicke bemerkte, mit welchen ich von einem andern, seitwärts von mir stehenden Tische aus beobachtet wurde. Ich dachte eben an den folgenden Tag, an welchem ich in der Nähe der nur noch eine gute Meile weit entfernten Oberförstern eintreffen sollte, und überlegte zugleich, auf welche Weise es mir wohl gelingen werde, Johanna von meiner Anwesenheit heimlich zu benachrichtigen und sie unentdeckt zu sehen.

»Johanna, loch' Kaffee,« ertönte es plötzlich heiser krächzend von dem andern Tisch zu mir herüber.

Ein unbeschreiblicher Schrecken bemächtigte sich meiner, ich fühlte, daß ich erbleichte, und um das Zittern meiner Hände weniger bemerklich zu machen, ließ ich Messer und Gabel vor mich auf den Teller sinken.

Ich glaubte Anton's Raben gehört zu haben, und um mich von der Wahrheit meiner Muthmaßung zu überzeugen, wendete ich meine Augen langsam nach der Richtung hinüber, aus welcher ich die Stimme vernommen.

Von Anton oder seinem Raben sah ich nichts, dagegen gewahrte ich, daß drei Männer, die vielgebrauchten Karten in der Hand, aus vollem Herzen über ihren vierten Mitspieler lachten, der den Raben des weit und breit bekannten Anton so täuschend nachgeahmt hatte. Der vierte nun stimmte mit in das Lachen ein, doch glaubte ich auf seinem halb abgewandten Gesicht den Ausdruck eines höhnischen Triumphes zu entdecken, den er darüber empfand, durch ein so schlau gewähltes Mittel sich über meine Person Gewißheit verschafft zu haben.

Daß ich mich nicht täuschte, begriff ich, sobald ich Anton's vagabundirenden Bruder erkannte, und das Herz sank mir in der Brust, indem ich mir vergegenwärtigte, was ich von einem derartigen Charakter, im Falle mein Verdacht sich bestätigte, zu fürchten haben würde.

Während ich noch auf den abstoßenden Menschen hinstarrte, als ob ich in seinem Innern hätte lesen mögen, wendete er sich wieder nach mir um, wodurch meine Verwirrung natürlich noch gesteigert wurde. Seine Blicke blieben diesmal aber nicht auf mir haften, sondern glitten, wie über einen ihm vollständig fremden und gleichgültigen Gegenstand über mich hin, worauf er, in die geräuschvollen Scherze seiner Kameraden [] einstimmend, die Karten wieder zur Hand nahm.

Hatte er mich wirtlich nicht erkannt? War sein Ruf nur zufällig gewesen oder suchte er mich nach dem ersten Schrecken wieder zu beruhigen und meinen Argwohn einzuschläfern? Das waren Fragen, die ich mir damals nicht gleich zu beantworten vermochte. Der Schrecken hatte aber so lähmend auf mich eine gewirkt, daß ich die Speisen unberührt stehen lassen mußte; und indessen um vor dem Gastwirth nicht durch meine ungerechtfertigte Mäßigkeit aufzufallen, sprach ich von Zeit zu Zeit der Flasche zu, wobei ich das Benehmen von Anton's Bruder scharf bewachte.

Doch weder durch Blicke noch durch Mienen verrieth derselbe, was in seinem Innern vorging; trotzdem fühlte ich mich so beängstigt in der Nähe des unheimlichen, verrufenen Menschen, daß ich mich weit, weit fort wünschte und mir die bittersten Vorwürfe darüber machte, nicht in irgend einem Stall oder Schuppen, oder gar unter dem freien Himmel übernachtet zu haben.

Wie nun der wilde Andres mich durch seine verstellte Stimme mit unüberwindlicher Besorgniß erfüllt hatte, so war auf der andern Seite wieder meine Erinnerung an den armen Krüppel und seinen Raben auf's Lebhafteste wachgerufen worden. Unwillkürlich gedachte ich Anton's tiefer Dankbarkeit und seiner genauen Ortskenntniß in der Umgebung der Oberförsterei, und wie ein Blitz leuchtete es in meinem Geiste auf, daß er der Einzige, dem ich mich anvertrauen könne, der Einzige, der im Stande' sei, mir in meiner bedrängten Lage beizustehen.

Doch wie sollte ich fortgelangen, ohne erst recht die Aufmerksamkeit der Leute, wenigstens des Gastwirths und des wilden Andres, auf mich zu ziehen? Wäre es doch etwas zu Ungewöhnliches gewesen, wenn ein fahrender Handwerksbursche verschmäht hätte, sich an den Lustbarkeiten einer Kirmeß und dazu noch kostenfrei zu betheiligen.

Indem ich noch hin und her überlegte, trat der Wirth strahlenden Antlitzes, die beiden Hände tief in die Seitentaschen seiner Jacke gesenkt, die Zipfelmütze verwegen auf ein Ohr gedrückt, zu uns in das Gemach, sich dann aber kurz umkehrend und so stehen bleibend, weidete er sich offenbar mit ganzer Seele an dem heitern Bilde, welches ihm der fast bis zum Erbrücken angefüllte Saat bot.

Mein Entschluß war schnell gefaßt; bescheiden und aus beiden Füßen hinkend trat ich an seine Seite.

»Herr Wirth,« redete ich ihn an, meinen weißen Filzhut zum Zeichen meiner Ehrerbietung etwas lüftend, »ich bin recht unglücklich daran, ich möchte mich wohl mit Eurer Erlaubniß unter die Tänzer mischen« –

»Immer zu, immer zu,« unterbrach mich der Wirth, mich so derb auf die Schulter schlagend, daß ich meinte zusammensinken zu müssen.

»Aber lieber Herr Wirth, ich bin ja unfähig dazu, mein Körper ist wie zerschlagen, meine Füße sind wund, und da wollte ich Euch bitten, mir eine Stelle anzuweisen, wo ich nur eine Stunde ruhen und mich umkleiden kann, damit ich Eurem Hause zur Ehre wenigstens mit Anstand auf dem Tanzplatz erscheine.«

[] []Etwa eine Minute lang betrachtete der Wirth mich mit schalkhaftem Ausdruck von oben bis unten. Eine lustige Antwort schwebte ihm auf den Lippen; mein klägliches und zugleich ehrerbietiges Wesen mußte dagegen seine Theilnahme erwecken, denn er nickte mir gutmüthig zu, und nachdem er mich aufgefordert, mein Ranzel zu holen, bugsirte er mich nicht ohne Mühe durch den Saal nach der Flur hinaus.

Zagend schlich ich meinem Gastfreunde nach, doch führte ich meine Bewegungen mit äußerlicher Ruhe aus, und um keinen Preis hätte ich rückwärts schauen mögen. Ich fühlte, daß die Blicke des wilden Andres spähend auf mir hafteten, und wären meine Blicke den seinigen begegnet, würde ich mich unwillkürlich jedenfalls noch mehr verrathen haben.

Wunderbar erschien es mir freilich, daß er, wenn er über meine Person im Klaren war, mich überhaupt aus den Augen ließ, da es doch in seiner Macht lag,[] kraft der hinter mir hergeschickten Steckbriefe, meine Verhaftung durch die Dorfbehörde zu bewirken. Wahrscheinlich aber befürchtete er, die jungen Burschen würden, um in ihrem Vergnügen nicht durch unangenehme Auftritte gestört zu werden, auf meine Seite treten.

Auf der Hausflur angekommen, wo nur Kinder uns umgaben, wendete ich mich noch einmal in dringendster Weise an den Wirth. Ich bat ihn, mich, der ich selbst ein Bauersohn sei, nicht für stolz zu halten, wenn ich nicht mehr in die Mitte der frohen, Menschen zurückkehre; ich setzte ihm auseinander, daß mir vor einigen Tagen erst die Nachricht von dem Tode meiner Mutter zugegangen und der Schmerz über deren Verlust noch zu frisch sei, um einen solchen Gesellschafter abzugeben, wie er es wünsche. Ich zeigte ihm daraus mein Wanderbuch, welches er in aller Ordnung fand, und nachdem ich ihm auf's Herzlichste [] für sein? Gastfreundschaft gedankt, bat ich um Erlaubniß, da es mir im Hause zu geräuschvoll sei, im Stall oder in der Scheune die Nacht zubringen zu dürfen.

O wie ich mich vor mir selbst schämte, zu groben Unwahrheiten meine Zuflucht nehmen und den so freundlich gesinnten Mann täuschen zu müssen! Allein was sollte ich beginnen? Vor mir lag die Freiheit, winkte mir Johanna's trauerndes Bild, und hinter mir drohte wie ein furchtbar gähnender Abgrund, lebenslängliche Kerkerhaft! –

Der Wirth, von Natur ein gutmüthiger Mensch, durch den Genuß des Weines vielleicht noch gutmüthiger gemacht, würdigte meine Einwände nach Gebühr, da aber das durchdringende Jauchzen ihn wilder nach dem Tanzplatz rief, so nahm er sich nicht die Zeit, mich zu begleiten. Er gab mir daher nur flüchtig die Richtung an, in welcher ich die Thür des im tiefsten Schatten liegenden Heustalles finden würde, worauf er in's Haus zurückeilte, mir es anheim stellend, nach besten Kräften mir meinen Weg selbst zu suchen.

An den Stall gelangte ich schnell genug heran, auch die bezeichnete Thür entdeckte ich nach einigem Umherlasten, und vertraut mit den ländlichen Einrichtungen, kostete es mich keine Mühe, den hölzernen Keil aus der eisernen Ueberfallkrampe herauszuziehen, in Folge dessen die Thür knarrend aus ihren Fugen wich.

Im Begriff einzutreten, blickte ich noch einmal mechanisch nach der mir nur von der Seite sichtbaren erleuchteten Hausthür zurück, als der Schalten eines Mannes in derselben mich veranlaßte, genauer hinzuschauen.

Eine böse Ahnung durchzuckte mich und ein eiskalter Schauer machte mir das Blut in den Adern gerinnen, als ich des wilden Andres' Gestalt erkannte, wie derselbe vornüber geneigt dastand und offenbar zu mir herüber lauschte.

»Ich bin verloren,« dachte ich bebenden Herzens; schnell aber, als habe die Todesangst meine geistigen Kräfte verschärft, faßte ich mich wieder, und die Thür mehrere Male heftig zuschlagend, erzeugte ich ein Gelausch, als wenn ich dieselbe vom Innern des Stalles aus zu befestigen versucht hätte. Leise und den wilden Andres beständig im Auge behaltend, schlich ich sodann bis an die äußerste Ecke des kleinen Gebautes, wo ich mich, da eine offene Flucht der umherstöbernden Hirtenhunde wegen mir in diesem Augenblick zu gefährlich erschien, dicht an der Mauer niederkauerte. Andres, unstreitig überzeugt, daß ich mich im Stall befinde, glaubte nicht mehr nöthig zu haben, seinen Bewegungen noch länger Zwang aufzuerlegen, und um besser lauschen zu können, trat er einige Schritte von der Thüre fort, und gerade in den aus dem nächsten Fenster fallenden Lichtschimmer hinein. Ich unterschied daher die Umrisse seiner Gestalt ganz genau, und hätte ich mich nach seinem ersten Erscheinen wirklich über seine Absichten getäuscht und einer übergroßen Besorgniß Raum gegeben, so wären jetzt keine Zweifel mehr möglich gewesen.

Immer nach dem Stalle hinüberspähend, blieb der Verräther mehrere Minuten auf derselben Stelle stehen, und als er dann endlich vermuthen durfte, [] daß ich mich in das Heu verkrochen habe, schlich er leise nach der angelehnten Thür hin.

Anfänglich glaubte ich, er beabsichtige, mich ohne Zeugen zu sprechen, um mit mir zu unterhandeln, und mit Freuden hätte ich einen beträchtlichen Theil meiner Habe, ja das Ganze hingegeben, um mir dadurch auf kurze Zeit sein unverbrüchliches Schweigen zu erlaufen, doch wurde ich bereits in der nächsten Minute eines Andern belehrt. Ich errieth nämlich aus dem Geräusch, welches er erzeugte, daß er mit den Händen über die Thür hintastete, wie um den Verschluß derselben kennen zu lernen. Dem Tasten folgte denn auch sehr bald das bekannte Klingen der eisernen Krampe und das leise Knirschen, mit welchem er den an einem Riemen niederhängenden Keil durch den mit der Krampe vereinigten Ring zwängte und dadurch beide Theile fest miteinander verband. Er hatte mich also, um sich meiner Person zu versichern, nur einsperren wollen, der sicherste Beweis, daß er durch seinen hinterlistigen Verrath erhebliche Vortheile zu erringen hoffte.

Mit einem Gefühl der grenzenlosesten Verlassenheit sah ich ihn dann wieder nach dem Hause zurückschleichen. Nie in meinem Leben hatte ich Andres auch nur mit einer Miene beleidigt, und dennoch mußte ich es erleben, daß er alles in seinen Kräften Stehende aufbot, mich meinen Verfolgern zu überantworten und mir dadurch einen schrecklichen Untergang zu bereiten. »Wer hätte geahnt, daß in diesem Menschen, neben seiner thierischen Roheit, zugleich so viel überlegende Bosheit wohne?« dachte ich, als ich ihn mit selbstbewußter Haltung in der Hausthür verschwinden sah; »wer hätte ihm zugetraut, daß er sich eine so genaue Kenntniß meiner Lage verschaffen würbe, er, der vielleicht kaum Lesen und Schreiben gelernt hat? Woher weiß er, daß ich entfloh und, geächtet und steckbrieflich verfolgt, keinen Flecken kenne, auf welchen ich mein Haupt ohne Besorgniß niederlegen dürfte?« Ich seufzte tief auf, meine Augen brannten, als ob sich Thränen in dieselben hätten drängen wollen, und vergeblich blickte ich zum schwarz bewölkten Himmel empor, um einen freundlichen Stern zu entdecken, der wie ein Schimmer von Hoffnung auf mich niedergefunkelt hätte!

»Juuuch – hu – hu – hu!« schallte es gellend vom Tanzplatz zu mir herüber; lauter stampften die derben Füße im raschen Walzer auf den dröhnenden Fußboden, durchdringender kreischte die Klarinette und mit boshaftem Ausdruck schrammte der Bogen auf den straffen Saiten der Baßgeige herum:

»Hab' Erbsen gegessen, hab' Linsen gesäet,

Hab' manchem schönen Mädchen das Köpfchen verdreht!«

»Juuuch – hu – hu – hu!« Hei, wie das so lustig in die schwarze Herbstnacht hinausschallte! Es schallte so laut und so lustig, daß ich bei jedem neuen Ausbruch wilden Entzückens einen Stich in's Herz zu empfangen meinte.

Zuletzt hielt ich es nicht mehr aus, auch entrann ja die kostbare Zeit, die mir zur Flucht blieb.

Leise schnallte ich den Ranzen auf meinen Rücken, leise und von Niemand bemerkt schlich ich vom Hofe hinunter, und gleich in die Landstraße einbiegend, verfolgte ich meinen Weg um die schwarzen Massen des steil emporstrebenden Drachenfels herum. –

[] Nach Verlauf einer halben Stunde, als ich Königswinter erst hinter mir hatte, befand ich mich wieder in einer Umgebung, mit welcher ich schon seit vielen Jahren auf's innigste vertraut gewesen; auf einem Boden, über den ich einst, fast noch ein Kind, mit wilder Ausgelassenheit hinlobte, und an welchen sich die süßesten Erinnerungen meines Lebens knüpften. Die Erfahrungen, welche der sorglose Knabe und später der glückliche, lebensmuthige Jüngling sammelte, sie kamen jetzt dem geachteten Flüchtling zu statten. Ich war nicht mehr an die Landstraße gebunden, und obwohl die Einsamkeit und die Dunkelheit der Nackt mich davor schützten, von Jemandem wieder erkannt zu werden, wählte ich doch, wo es nur immer anging, die gewundenen Waldpfade, auf welchen ich mich meinem Ziele nur langsam näherte.

Ich rastete oft, jedoch weniger aus Müdigkeit, – denn die hatte mich seit meinem Zusammentreffen mit Andres bis auf die letzte Spur verlassen, – als um die Zeit hinzubringen.

Trotz der mannigfachen Zögerungen zeigte sich im Osten erst ein schwacher Schimmer des heraufdämmernden Tages, als ich einige Hundert Schritte von Anton's Heimath meinen Ranzen in einem Dickicht ablegte und demnächst nach der Hütte hinschlich, um mich zu überzeugen, ob der arme Bursche sich nicht außerhalb auf einem seiner planlosen Streifzüge befinde.

Zweimal wanderte ich um das Haus herum; kein anderes Lebenszeichen vernahm ich, als das behagliche Meckern der beiden Ziegen in dem kleinen Stall, »Was bliebe mir zu thun übrig, wenn ich ihn verfehlte?« fragte ich mich zagenden Herzens, als ich zum zweiten Male vor die Hausthür hintrat, um mein Ohr an dieselbe zu legen.

»Spitzbube – Jakob – Johanna – Johanna koch' Kasse!« rief eine krächzende Stimme von dem über der Thür angebrachten Brett zu mir nieder.

Ich erschrak, doch war mein Schrecken anderer Art, wie am vorhergehenden Abend, als Andres diesen Ruf dazu benutzte, mich zum Verrath an mir selber zu zwingen.

»Spitzbube – Spitzbube – Spitzbube – Jakob!« wiederholte der Rabe zorniger und lauter, als er bemerkte, daß ich, eine Entdeckung befürchtend, mich behutsam zurückzog.

»Johanna koch' Kaffe! – Frau koch' Kaffe!« krächzte das wachsame Thier grimmiger.

»Anton! Anton!« kreischte gleich darauf die Stimme eines Weibes im Innern der Hütte, »Anton, will das faule Geschöpf bis Mittag schlafen? Anton. Du Strafe Gottes, steh' auf, oder ich helfe Dir mit dem Besenstiel auf die Beinstumpfen! Hörst Du denn nicht? Jakob ruft; die Ziegen müssen aus dem Stalle gebrochen sein!«

»Er ist zu Hause,« seufzte ich mit erleichtertem Herzen auf, indem ich bis hinter den Ziegenstall zurückschlich.

»Anton! Hund! Kommt der Wechselbalg denn noch nicht herunter?!« keifte das Weib, als immer noch keine Antwort erfolgte.

»Schon lange unten,« antwortete Anton endlich, und zugleich vernahm ich, daß er an der zugeleiteten Thür klapperte, »schon lange unten, hahaha! Ich ein[] Wechselbalg! Wechselbalg gut genug zum Arbeiten, wenn andere Menschen schlafen; arbeite gern für meine Mutter, aber nicht für den schlechten Andres!«

»Schweige, bis ich Dich frage, und füttere die Ziegen,« schrie die unnatürliche Mutter hinter ihrem verkrüppelten Kinde her.

»Spitzbube – Spitzbube – Frau – Anton – Kaffe!« rief der Rabe zornig dazwischen, die Thür öffnete sich ganz, und auf seinen Stab gestützt hinkte der arme Anton in's Freie.

Es war bereits so hell geworden, daß man die in der nähern Umgebung befindlichen Gegenstände einigermaßen zu unterscheiden vermochte. Ich gewahrte daher, indem ich um die Stallecke herumlugte, daß der Rabe, sobald Anton aus der Thür getreten war, von seinem Brett herunterflog und, sich vor seinem Herrn niederlassend, sogleich sehr gravitätisch auf die Stallecke zuschritt, hinter welcher ich mich verborgen hatte.

»Spitzbube – Spitzbube – Frau – Jakob – koch' Kaffe,« sprach er sehr ernst vor sich hin, indem er bald nach rechts, bald nach links zurückschallte, ob ihm sein Herr auch nachfolge.

»Ja, ich komme,« versetzte dieser fast ebenso heiser, »Jakob hat geträumt und den armen Wechselbalg eine Stunde zu früh geweckt.«

»Kikeriki!« krähte der Rabe, seinen Hals ausreckend und behutsam um die Ecke herumschielend. »Spitzbube,« fügte er bann in seinem tiefsten Baß hinzu, als er mich nicht sah, denn ich hatte mich, die Nähe des alten Weibes und Anton's geräuschvolle Überraschung fürchtend, wohl um zwanzig Schritte weiter von dem Stall entfernt und hinter einen Johannisbeerbusch niedergekauert.

»Jakob hat geträumt,« wiederholte Anton verdrießlich und wackle Miene, in's Haus zurückzukehren, doch fesselte des Naben Benehmen in demselben Augenblick seine Aufmerksamkeit wieder.

Derselbe begann nämlich von neuem in seiner komischen Weise zu schelten, und womöglich noch behutsamer, als er bisher gethan, bewegte er sich im Zickzack auf den mich verbergenden Strauch zu.

Da ich, um Anton nicht zu erschrecken und zu einem Ausruf zu veranlassen, mich nicht plötzlich zeigen wollte, so wartete ich bis er etwa auf zehn Schritte herangekommen war, worauf ich ihn freundlich anredete. »Anton,« sagte ich leise bittend, »komm und hilf Deinem Freunde, aber wenn Dir mein Leben lieb ist, dann sprich leise.«

Beim eisten Ton meiner Stimme, stand der arme Bursche wie vom Blitz getroffen da, während der Rabe mit Wichtiger Miene vor ihm auf- und abging und alle Schmähworte, die nur je in seinem Gedächtniß haften geblieben waren, vorwärts und rückwärts aufsagte. Endlich aber schien es in seinem Geiste aufzudämmern, und nachdem er einen mißtrauischen Blick auf die Hütte zurückgeworfen, hinkte er mit unbegreiflicher Schnelligkeit zu mir heran.

»Mein lieber junger Herr,« sagte er flüsternd und zwei mächtige Thränen entquollen seinen trüben Augen, »mein lieber junger Herr, der den Jakob gerettet und mit mir an einem Tisch gesessen hat! Sie suchen meinen lieben jungen Herrn Studenten, und wenn sie ihn finden, machen sie ihn todt.«

[] »Beruhige Dich Anton,« sagte ich aufstehend und ihm die Hand herzlich drückend, »tobt machen sie mich gerade nicht, aber was noch schlimmer ist, sie sperren mich auf Lebenszeit ein. Doch sage Anton, Du bist jetzt mein einziger Freund, willst Du mich retten?«

»Seinen einzigen Freund nennt mich der liebe junge Herr, und er fragt mich, ob der lahme Anton ihn retten will?« antwortete der treue Mensch schluchzend.

»Gut, gut Anton, ich verstehe Dich, begleite mich eine kurze Strecke von der Hütte fort; Deine Mutter könnte mich sehen, und dann wäre ich verloren« – »Ja ja lieber junger Herr,« unterbrach mich Anton, auf das nächste Dickicht zueilend, es dem Raben anheimstellend zurückzubleiben oder uns zu folgen.

Dieser flog uns voraus, kaum aber hatte er sich in dem Gehölz niedergelassen, so begann er wieder zu schimpfen und zwischendurch wie ein ergrimmter Hund zu knurren.

»Da ist Jemand, vielleicht mein Bruder,« sagte Anton bestürzt, indem er sich, wie um sich vor dem Umsinken zu bewahren, auf seinen Stab stützte, »lieber junger Herr laufen Sie« –

»Es ist nichts,« tröstete ich den entsetzten Burschen, ihm meine Hand ermuthigend auf die Schulter legend, denn ich errieth, was dem Raben neue Ursache zum Zorn gegeben; »komme nur dorthin, ich habe daselbst mein Ränzel abgelegt« –

»Ränzel?« fragte Anton befremdet, worauf er sich schnell wieder in Bewegung setzte.

»Ja, Anton, mein Ränzel, ich reise nämlich, um nicht gefangen zu werden, als Handwerksbursche; aber laß jetzt das Fragen, ich werde schon Gelegenheit finden, Dir Alles mitzutheilen. Wir haben keine Zeit, zu verlieren, Du siehst, es wird Tag, und in jedem Augenblick kann Dein Bruder heimkehren.«

»Mein Bruder ist weit fort gegangen.«

»In dieser Nacht habe ich ihn auf der Kirmeß gesehen und er hat mich erkannt.«

»O, der schlechte, schlechte Andres –«

»Beruhige Dich, Anton, geschehene Dinge lassen sich nicht ändern, wir müssen auf Mittel sinnen, durch welche ich aus dieser verzweifelten Lage komme; beantworte mir daher vorläufig nur einige Fragen.«

»Lieber junger Herr, ich weiß ja Alles; ich habe Alles gehört und gesehen; Niemand kehrt sich an den armen Krüppel, weil er nichts versteht. Aber ich habe sie verstanden, die Menschen mit den schwarzen Röcken, was sie zu dem Andres sagten, und was sie zu dem lieben Fräulein sagten.«

»Johanna,« krächzte der Rabe dicht vor uns, indem er mit feinem mächtigen Schnabel wüthend auf meinen Ranzen einhieb.

»Du wirst mir Alles erzählen, Anton,« versetzte ich, und eiskalt überlief es mich bei den Unglück verheißenden Worten des Krüppels, »vor allen Dingen sage mir, kennt außer Dir noch Jemand Dein Schloß?«

»Jakob – Jakob – Jakob!« schrie der Rabe, auf das Ränzel hinaufspringend und mit selbstbewußter Haltung seinen Kopf zurücklehnend und die Federn sträubend.

»New, lieber junger Herr Student, Jakob lügt,«[] sagte Anton mit Heftigkeit, als ob er den Raben wirklich als drittes Mitglied bei unserer Berathung betrachtet habe, »Jakob kennt mein Schloß nicht, er ist noch nie in demselben gewesen; er kann nicht schweigen und hätte es schon längst andern Menschen verrathen. Aber auch andere Menschen kennen es nicht. Nur ich und der junge Herr wissen es aufzufinden.«

»Das ist ein glücklicher Umstand –«

»Ja, ja,« rief Anton hier plötzlich aus, und sein breites, von der Natur so grausam entstelltes Antlitz leuchtete vor Entzücken, »ja, das ist der Ort, den lieben jungen Herrn zu verbergen, den lieben jungen Herrn, der mit mir an demselben Tisch gesessen und den armen Jakob gerettet hat! Kommen Sie, kommen Sie, ich werde den jungen Herrn hinführen!«

»Halt Anton, halt; den Weg weiß ich allein zu finden und werde ich auch sogleich dahin aufbrechen; aber merke Dir, wenn Du mir Deine Hülfe zuwenden willst, ohne mich meinen Feinden zu verrathen, so mußt Du viel, viel vorsichtiger sein, mußt meinen Anweisungen auf's Genaueste Folge leisten.«

»Lieber – junger – Herr –« stotterte Anton verstört, denn er befürchtete, bereits ein Verbrechen gegen mich begangen zu haben.

»Spitzbube – Spitzbube – koch Kaffee,« fügte der Rabe hinzu, sich geräuschvoll schüttelnd.

»Erschrecke nur nicht gleich, Anton,« sagte ich ermuthigend, »ich wollte damit nur andeuten, wie nothwendig es ist, daß Du auf Deiner Hut bist. Geh jetzt nach Hause, damit Deine Mutter sich nicht über Deine lange Abwesenheit wundert, und wenn Du glaubst, ohne Verdacht zu erregen, Dich von Hause entfernen zu dürfen, dann eile zu mir. Aber Anton, noch eins; ich fühle zwar augenblicklich keinen Hunger, allein er wird sich allmälig einstellen. Hier hast Du etwas Geld, geh vorher hin und kaufe Lebensmittel, aber merke Dir, nicht auf ein und derselben Stelle; Deine großen Einkäufe möchten befremden; hier für einen Groschen, dort für ein paar Pfennige, je nach dem es Dir angemessen erscheint, und nun Anton, lebe wohl, auf Wiedersehens beeile Dich nach Hause zu kommen, ich höre Deine Mutter nach Dir rufen.«

»Ich habe sie bereits lange gehört,« bemerkte Anton sinnend und noch immer auf's Ernsteste damit beschäftigt, meine Rathschläge seinem Gedächtniß fest einzuprägen; »ich fürchte mich nicht; sie ist gewohnt, vergeblich nach dem Wechselbalg zu rufen. Mag sie mich stoßen, mag Andres mich schlagen und meinem Jakob den Hals umdrehen, so sage ich dennoch nicht, wo mein lieber junger Herr Student sich verborgen hält.«

Mit diesen Worten kehrte er sich kurz um und eilfertig hinkte er der heimathlichen Hütte zu.

Der Rabe dagegen ließ sich mehr Zeit. Zuerst sprach er durch heiseres Hundegeknurre seinen Verdruß darüber aus, daß ich ein so häßliches Ding, wie das Ränzel, auf meinen Rücken schwinge, und nachdem er mich mit einigen, gerade nicht sehr schmeichelhaften Ehrentiteln belegt, ferner, zum Zeichen, daß er trotzdem wohlwollende Gefühle für mich hege, noch einmal recht herzlich und unverkennbar in[] Anton's Weise gelacht hatte, schritt er mit sehr reservirter Haltung und hin und wieder ein in seinem Wege liegendes Reis verächtlich zur Seite schleudernd, seinem Herrn nach.

»Was wird er mir mitzutheilen haben?« dachte ich, indem ich Anton so lange nachblickte, wie er mir sichtbar war, »was wird er mir zu sagen haben? Er sprach von Menschen in schwarzen Röcken. Auch Fräulein Brüsselbach warnte mich vor den Schwarzen. Unseliges Verhängniß, welches mich verfolgt; warum konnte die Irrsinnige sich nicht deutlicher aussprechen und ihre unbestimmte Warnung zugleich mit einer Erklärung begleiten? Ach, und wohin ist es mit mir gekommen und welchen Wechsel des Schicksals habe ich in dem kurzen Zeitraum von achtzehn Monaten erfahren!« murmelte ich vor mich hin, meinen rastlos umherirrenden Gedanken Worte verleihend, indem ich durch den noch in Dämmerung gehüllten Wald sinnend und grübelnd meinem Versteck zuwanderte.

Vierzehntes Kapitel.
Die Entdeckungen.

Die Gipfel der Berge erglänzten bereits im Gold der aufgehenden Sonne, während der Boden der Schlucht, durch welche mein Weg führte, noch im tiefen Schatten lag, als ich die Geröllanhäufung erreichte, die mir die Lage von Anton's Schloß bezeichnete.

Eh ich mich nach dem Versteck hinaufbegab, durchspähte ich die Schlucht nach beiden Richtungen hin. Alles war still; eine dicke Schicht dürrer Blätter bedeckte den Boden; ein Nachspüren wäre also selbst für den gediegensten und erfahrensten Waidmann unmöglich gewesen, also auch für den wilden Andres, den ich zur Zeit für meinen erbittertsten Feind und Verfolger hielt.

Auch die nächste Umgebung war so beschaffen, daß man nicht erwarten durfte, daselbst mit Erfolg nach einem Flüchtling zu forschen; denn wo nicht massives Gestein die Aussicht begrenzte, da vermochte man weit zwischen dem entlaubten Unterholz hindurchzublicken, und die wenigen, pyramidenartig gewachsenen Tannen standen zu zerstreut, um unter ihren bis auf die Erde niederhangenden, grünen Zweigen einem Menschen ein sicheres Versteck zu gewahren.

Kahl und wenig anmuthig reckten die meisten Bäume ihre Zweige empor, als ob sie, ihres schönen Sommerkleides beraubt, fröstelnd den warmen Sonnenschein zu sich hätten niederziehen wollen, und während einzelne Sträuche und die über das Gestein hinkletternden Brombeerranken, die dem Winde weniger ausgesetzt gewesen, nur noch mit Mühe ihre hochroth und braun gefärbten, aber durch den Thau erschlafften Blätter an sich hielten, brüsteten die Eichen, Alt und Jung, sich noch immer mit ihrem vollen Schmuck. Ihr Laub war freilich herbstlich braun und abgestorben, um so mehr aber verlieh es ihnen dafür das Aussehen von überlegenden Wesen, welche sich, zum Schutz gegen Schnee und winterliche Kälte, so recht behaglich in einen warmen, von zusammengeschrumpften Blättern künstlich hergestellten Mantel eingehüllt hatten.

[] Und zwischen diesen Blättern lispelte und rauschte es leise, wenn ein Lufthauch auf sie niederfuhr, daß es sich anhörte, wie verstohlenes Hohnlachen und wunderbare Geschichten, die von den bereits in Halbschlummer versenkten Bäumen in abgebrochenen Pausen flüsternd erzählt wurden. Dann sielen auch wohl Eicheln zur Erde und Buchnüsse, hier überreif von den zierlichen Näpfchen abgestoßen, um unten im feuchten Moos Keime zu treiben, dort den kralligen Pfötchen munterer Eichhörnchen entgleitend. Indem sie aber auf die Blätterlage niedersanken, klang es wie der Schall von leichten, unregelmäßigen Schritten, wie wenn ein lustiges, unsichtbares Völkchen zwischen dem raschelnden Laub getanzt und eine ebenfalls mit lautem Schall einherhüpfende Drossel, oder ein in weiten Sprüngen sich tummelndes Eichhorn den Reigen geführt hatten. Und die Tannen mit ihrem dunkelgrünen Nadelschmuck, und das ebenso grüne Moos an den knorrigen Stammen und auf dem verwitternden Gestein bildeten die ernsten bewegungslosen Zuschauer; denn die fleißigen Spechte, die an der morschen Rinde umherhämmerten, die stinken Baumläufer, die bald um die eine, bald um die andere Seite der Stämme neugierig herumlugten und den langen gebogenen Schnabel prüfend in jede von Würmern gefressene Röhre steckten, die Häher, die sich gegenseitig schmähten und ausschalten, und die Zaunschlüpfer, die zwischen Ranken und Gestein Verstecken und Suchen spielten, die hatten Alle keine Muße, sich um das Rascheln im Laub zu kümmern, so lange es noch harmlos klang. Sie hatten Wichtigeres zu thun und zu bedenken; die Einen mußten für ihr tägliches Brod arbeiten, die Andern die Zeit vertändeln, denn wer konnte wissen, wie lange das gute, so recht zum Spielen geschaffene Wetter noch anhalten würde, und gar zu oft schon wurde der liebliche Sonnen schein der Frühstunden vor Einbruch der Nacht von neidischen Wollenmassen verdrängt.

Wehmüthig blickte ich noch einmal um mich. Alles schien mir entgegenzulächeln, aber es war ein Lächeln, wie es oft das Antlitz eines Sterbenden schmückt, ein Lächeln, zu heilig, als daß der erstarrende Tod es zu verdrängen wagte. Auch ich versuchte zu lächeln, allein es gelang mir nicht – kaum zweitausend Schritte weit von mir entfernt lag die Oberförsterei, und hart neben mir Anton's Schloß – o, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, zwischen diesen beiden Punkten zu wählen! – »Aber ich darf ja nicht,« seufzte ich vor mich hin, und langsam kletterte ich die Geröllanhäufung hinauf.

Mittelst der Kleidungsstücke und namentlich einer wollenen Decke, welche mein Ränzel enthielt, gelang es mir leicht, auf dem duftigen Heidekraut ein erträgliches Lager herzustellen. Etwas Speisen führte ich noch bei mir, einen Trunk bot mir Anton's alter Wasserkrug, und nachdem ich mich auf diese Weise gestärkt, warf ich mich auf das Lager hin.

Ich versuchte über meine Lage, über den Wechsel des Schicksals nachzudenken, ich versuchte mir tröstliche Bilder von Johanna zu entwerfen, diese geistige Beschäftigung dauerte indessen nicht lange. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte ich mich zu übermäßig angestrengt; die Erschöpfung schloß mir bald die Augen und ich schlief so fest, als wenn ich[] von einer schweren Betäubung heimgesucht gewesen wäre.

Fünf oder sechs Stunden hatte ich Wohl in diesem für mich so glücklichen Zustande der Bewußtlosigkeit zugebracht, als eine warme Hand sich mit leichtem Druck auf meine Stirn legte.

Erschreckt fuhr ich empor; das mich umgebende Halbdunkel befremdete mich, und längere Zeit dauerte es, bis ich mich erinnerte, wo ich mich befand.

Anton saß neben meinem Lager auf einem Bündel Heidekraut, und vor ihm im Halbkreise standen und lagen auf der Erde die Lebensmittel, welche der brave Mensch aus allen Richtungen für mich zusammengeschleppt hatte.

»Schon da, alter Freund?« fragte ich, mich aufrichtend und ihm zum Gruß die Hand reichend.

»Der junge Herr nennt mich seinen Freund,« erwiderte Anton herzlich lachend, »bis jetzt hatte ich außer Jakob keinen Freund; ja, ich bin schon lange hier, länger als eine Stunde.«

»So lange schon, und Du hast mich nicht geweckt?«

»Der junge Herr schlief so schön; es geht nichts über den Schlaf; wenn ich schlafe, weiß ich nicht, daß ich ein armer, verachteter Krüppel bin.«

»Du hast Recht, Anton, im Schlaf vergißt man Kummer und Trauer. Aber dennoch hättest Du mich wecken sollen, indem Du weißt, wie ungeduldig ich auf Nachricht von der Oberförsterei harre.«

»Mein Bruder ist heimgekommen und hat mich geschlagen.«

»Heimgekommen?« fragte ich überrascht. »Ja, er war zornig, es hat aber nicht wehe gethan; es war gut, denn ich bin fortgelaufen und brauche in den nächsten Tagen nicht zurückzukehren. Dem Jakob thun sie nichts zu Leide, er muß das Haus bewachen. Ich bleibe bei dem jungen Herrn und kann ihm erzählen Tag und Nacht, Alles, was ich weiß.«

»Johanna, Anton, sage mir vor allen Dingen, wie geht es Fräulein Johanna, Du weißt, die junge Dame auf der Oberförsterei?«

»Ich weiß, junger Herr, das arme, arme Fräulein ist krank, sehr trank, und die Leute sagen –«

»Was sagen die Leute?« rief ich aus, indem ich, erfüllt von namenlosem Entsetzen, Anton heftig am Arm ergriff.

»Lieber junger Herr,« antwortete der Krüppel, mit dem Aermel seiner Jacke über seine Augen hinfahrend, »die Leute sagen, das arme liebe Fräulein muß sterben, und es ist wahr, ich sehe das arme Fräulein oft und dann betet es immer.«

»Sterben?« fragte ich wieder, denn in meiner Todesangst klammerte ich mich verzweiflungsvoll an die Hoffnung an, falsch gehört zu haben oder daß Anton nicht genau zu unterscheiden verstanden habe; »und Du sagst, Du hast sie gesehen? Wie ist es möglich, daß Du zu Johanna gelangst, wenn sie auf dem Sterbebett liegt!?«

»Das Fräulein liegt nicht, es sitzt, und zu ihm gelange ich auch nicht; aber ich liebe das Fräulein, weil es stets gut gegen den armen Anton gewesen ist, und des Abends gehe ich häufig hinüber, um es zu betrachten. Die Hunde kennen den armen Anton, sie[] thun ihm nichts, wenn er durch den Garten an des Fräuleins Fenster schleicht und in das Gemach hineinschaut. Ich sehe dann, wie sie auf einem großen Stuhl dasitzt und betet, ich sehe, wie ein schwarzgekleideter Mann, ein Kaplan, mit ihr betet und so fromme Worte zu ihr spricht, daß ich darüber weinen muß. Der Kaplan ist ein frommer Mann, er will auch meinen Bruder bekehren, denn ich habe Beide mehrfach gesehen, wenn sie im Walde spazieren gingen und viel mit einander sprachen. Aber es wird ihm nicht helfen, der Andres ist noch nicht besser geworden, er flucht und schlägt mich jetzt noch mehr, als er früher gethan hat.«

»Ein Kaplan bei Johanna?« stieß ich, von den schwärzesten Befürchtungen ergriffen, mit schmerzlichem Erstaunen aus, denn ich wußte ja, daß Johanna Protestantin war.

»Ein Kaplan mit langen Strümpfen und schwarzem Rock,« bekräftigte Anton, »auch sah ich, daß er mitten auf dem Kopf seine Haare abgeschnitten hat.«

»Aber um Gotteswillen, Anton, was sagt denn der Oberstlieutenant dazu.«

»Der Herr Oberstlieutenant sagt nichts, denn er kommt so spät nicht oft zu dem Fräulein, und wenn er kommt, ist der Kaplan nicht da. Dann küßt er das Fräulein, und das Fräulein sagt, er solle auf dem Wege der Sünde umkehren, und er wendet sich ab und geht wieder hinaus.«

»Und was sagt die Frau Oberstlieutenant!?«

»Ach, die alte, freundliche Frau betet immer mit und liest dem armen Fräulein schöne Litaneien vor, und das Fräulein spricht dieselben nach.«

Ich hatte jetzt genug gehört. Entsetzt legte ich die Hände an meine Stirne, um mich zu überzeugen, daß ich noch unter den Lebenden weile, noch meinen ungeschwächten Verstand besitze. Ein furchtbares Geheimniß schien in Anton's Berichten verborgen zu sein. Seine Worte, obwohl ich sie ihm einzeln entlocken mußte, ließen eine Täuschung nicht zu; der arme Mensch war zu einfältig, zu wenig begabt, um dergleichen zu ersinnen und, bei seiner Freundschaft für mich, zu krassen Unwahrheiten seine Zuflucht zu nehmen. Verzweiflungsvoll warf ich mich auf mein Lager zurück, in meinem Kopfe wirbelte Alles wild durch einander, wie damals im Gefängniß, als ich von der schrecklichen Krankheit heimgesucht wurde. Und dennoch, was war jene Krankheit im Vergleich mit meinem jetzigen Zustande? Gefoltert von namenloser Seelenqual wand ich mich stöhnend auf meinem Lager, daß selbst Anton dadurch von Angst und Schrecken ergriffen wurde.

»Mein lieber, junger Herr Student!« rief er ächzend vor innerer Bewegung aus, indem er meine Hand küßte und mit Thränen benetzte, »seien Sie doch gut mit dem armen Anton; ich habe Sie ja nicht kränken wollen! Nur die Wahrheit habe ich gesprochen; hören Sie auf mich, schlagen Sie mich, aber sterben Sie nicht. O heilige Muttergottes, was soll ich anfangen, wenn mein einziger Wohlthäter stirbt!« und dann seine verstümmelte Hand auf meine Brust legend, strich er mit der gesunden schmeichelnd meine Wangen.

Armer, ehrlicher Anton, wie schön erschienst Du mir damals, trotz Deiner Verunstaltung, und wie redlich [] und treu blickten Deine trüben, in Thränen schwimmenden Augen auf mich nieder! Du dachtest vielleicht in Deiner Einfalt, ich würdige Dich keiner Antwort, weil Du häßlich und verkrüppelt seist. Das war der Grund aber nicht, ehrlicher Anton, weßhalb ich zuletzt ruhig dalag, mit stieren Blicken zu der massiven Bedachung Deines Schlosses emporschaute und, scheinbar ohne darauf zu achten, Dich weiter reden, klagen und stehen ließ. Nein, ehrlicher Anton, gewiß nicht, aber Deine aufrichtige Freundschaft, Deine Opferwilligkeit, Dein ungeheuchelter Kummer und die lauten Aeußerungen desselben thaten meinem Herzen wohl, so unendlich wohl, daß ich Dir, meinem einzigen Freund, noch lange hätte zuhören können, ohne Dich zu unterbrechen. Du wußtest das freilich nicht und ahntest es nicht; wäre es Dir aber gesagt worden, so hättest Du es nicht für möglich gehalten, und je länger ich schwieg, um so trauriger wurdest Du, und um so bitterer waren die Vorwürfe, welche Du gegen Dich selbst, als die mittelbare Ursache meines Schmerzes erhobst. Wie klang es so rührend, als Du mich auffordertest, Dich für die traurigen Mittheilungen zu strafen und zu schlagen, und wie löste sich die starre Rinde, welche sich um meine Brust gelegt hatte, als Du Dich auf die Erde warfst, mit Deiner lahmen Hand zwischen dem Heidekraut wühltest und schluchzend die heilige Muttergottes batest, Dich, den nichtsnutzigen, verachteten Wechselbalg, an meiner Statt von der Erde zu nehmen und den vereinsamten Jakob einen guten Herrn in mir finden zu lassen.

»Armer, lieber Anton,« sagte ich endlich, nachdem ich mich einigermaßen gefaßt hatte, »ich muß Johanna sehen, und sollte es mich das Leben kosten; ich muß einen klaren Blick in das verderbliche Gewebe gewinnen, mit welchem man sie umstrickt hat, und an Dir ist es, mir beizustehen. Antworte mir, Anton, glaubst Du wohl, daß es Dir möglich sein wird, mich unbemerkt an das Fenster zu führen, durch welches Du Alles, was Du mir geschildert, beobachtet hast?«

»Gewiß, lieber junger Herr, aber nicht bei Tage,« Antwortete Anton, sich blitzschnell emporrichtend und mir gespannt in die Augen schauend.

»Das versteht sich von selbst, Anton; würden wir aber schon heute Abend hingehen können?«

»Ja, lieber Herr Student, verlassen Sie sich auf den Anton; ich gehe im Dunkeln so sicher, als am Tage, und kann ich auch nicht weit um mich sehen, so höre ich dafür desto schärfer. Ich werde den jungen Herrn an das Fenster führen, daß er das liebe Fräulein sieht und vielleicht auch den Herrn Kaplan und den Herrn Oberstlieutenant.«

Ich erklärte mich mit Anton's Plan einverstanden; prägte ihm nochmals ein, daß ich in nächster Zeit die Gegend verlassen würde, um vielleicht erst nach vielen Jahren wieder zurückzukehren, daß ich aber, um überhaupt zu entkommen, unentdeckt bleiben müsse. Dann versuchte ich durch geschickt gestellte Fragen, ihm Alles zu entlocken, was er auf der Oberforsterei beobachtet und seitdem noch nicht wieder vergessen hatte.

Viel mehr, als er mir bereits mitgetheilt, erfuhr ich nicht; er wiederholte in seiner kindischen, aufrichtigen Weise mehrfach, was er schon erzählt hatte, doch genügte dies für mich, zu errathen, daß es sich [] hier um einen tief angelegten Plan zur Erreichung eines schändlichen Zweckes handle. –

Der Abend rückte heran; ich unterhielt mich zeitweise mit Anton, zeitweise versank ich in trauriges Brüten, und mehr um den armen Schelm zufrieden zu stellen, als daß ich das Bedürfniß gefühlt hätte, ließ ich mich willig finden, einige Speisen zu mir zu nehmen. Als es dann endlich vollständig Nacht geworden war, brachen mir auf.

Wir folgten demselben Pfade, auf welchem Anton mich zum ersten Male, unmittelbar nachdem ich nähere Bekanntschaft mit ihm geschlossen, geführt hatte, doch gebrauchten wir die Vorsicht, daß nur Anton in dem Pfade selbst blieb, während ich etwas seitwärts in der lichten Waldung gleichen Schritt mit ihm hielt.

Die Besorgniß, dem wilden Andres, der sich häufig wilddiebend zur nächtlichen Stunde in dem Forst umhertrieb, zu begegnen, ließ diese Vorsichtsmaßregel für gerathen erscheinen, und daß er in der Nähe weilte und den Tag über schlafend in der heimathlichen Hütte zugebracht hatte, stellte Anton ja außer Frage. –

Wir waren in geringer Entfernung an der bezeichneten Hütte vorbeigekommen und schnell, wenn auch mit behutsamen Bewegungen, näherten wir uns der Landstraße, als Anton plötzlich stehen blieb und mich durch ein verabredetes Zeichen zu sich heranrief. »Jemand geht vor uns,« sagte er ängstlich flüsternd, »ich höre langsame Schritte.«

Ich strengte mich auf's Aeußerste an, irgend etwas zu unterscheiden, aber vergeblich. Nur das Geräusch vernahm ich, mit welchem die Waldmäuse in dem dürren Laub umhersprangen.

»Anton, Du hast Dich wohl getäuscht,« unterbrach ich endlich wieder die Stille.

»Nein, nein, lieber Herr Student, Anton hört noch schärfer, als Jacob; es geht Jemand vor uns, er ist gleich an der Landstraße, ich höre es, ja ich höre es ganz gewiß.«

Wiederum lauschten wir, ohne daß ich etwas Auffälliges vernommen hätte, doch setzte ich keinen Zweifel in Anton's Ausspruch, indem ich mir erklärte, daß die Natur ihn, für die vielen Mängel und Vernachlässigungen in seinem Aeußeren, wahrscheinlich durch ganz ungewöhnlich scharf ausgebildete Hörorgane entschädigt habe.

Plötzlich unterschied ich einen fernen dumpfen Fall, und dann war Alles wieder still.

»Er ist über den Graben in die Straße gesprungen,« sagte Anton mit überzeugender Entschiedenheit. »Wir können ohne Gefahr weitergehen, aber ganz leise, lieber junger Herr, denn ist es mein Bruder, der dort geht, so ist es schlimm. Er hört ebenfalls sehr gut und hat scharfe Augen. Er steht in der Nacht Schlingen, um Hafen und Kaninchen zu fangen.«

Lautlos, jetzt aber nicht mehr von einander getrennt, setzten wir darauf unfern Weg fort, und Schritt für Schritt und auf's Sorgfältigste in die Ferne horchend, näherten wir uns der Landstraße. Als wir dieselbe erreichten, sprangen wir indessen nicht, wie der späte Wanderer vor uns gethan hatte, in den Weg hinein, sondern uns beständig auf [] dem Ufer des Grabens haltend, schlichen wir im Waldessaum selbst langsam auf die Oberförstern zu.

Etwa hundert Schritte mochten wir in dieser Weise zurückgelegt haben, als Anton mich wiederum durch seine vorgehaltene Hand zum Stillstehen veranlaßte und, seinen Mund meinem Ohr nähernd, mit vor Angst bebender Stimme flüsterte: »Wir sind verloren, er kommt zurück, der wilde Andres, ich hörte ihn husten.«

»Verbergen wir uns Anton, und lassen wir ihn vorbeigehen,« sagte ich beruhigend zu dem armen Menschen, der über die Entdeckung, daß es sein Bruder war, den Kopf vollständig verloren hatte.

Indem ich noch sprach, glitt ich behutsam in den Graben hinein, den fast willenlos geworbenen Gefährten mir nachziehend. Erst als Anton errieth, was ich bezweckte, fand er seine Fassung wieder, und es bedurfte keines weiteren Zuredens mehr, sich, gleich mir, auf dem Boden des Grabens lang auszustrecken. Der Graben war ungefähr drei Fuß tief, wohl ebenso breit und weniger abzuleitender Feuchtigkeit wegen angelegt worden, als um ein Grenze zwischen Straße und Forst, zum Schuh des letzteren gegen den Andrang vorbeigetriebener Viehheerden zu ziehen. Wir lagen daher nicht nur trocken, sondern die auf den Ufern üppig wuchernden harten Gräser verbargen uns auch dergestalt, daß am hellen Mittage wer weiß, wie viel Leute hätten vorübergehen können, ohne uns zu entdecken oder auch nur eine Ahnung von der Nähe von Menschen zu erhalten. Bei der tiefen Dunkelheit, welche durch die überhängenden Bäume noch verdichtet wurde, durfte ich mich als doppelt gesichert betrachten, und obschon Anton, der für seine Person im Grunde gar nichts zu fürchten hatte, mich heftig am Rock zupfte, nahm ich doch keinen Anstand, meinen Kopf bis zum Rande des Grabens zu erheben, um zwischen den Halmen hindurch einen freien Ueberblick über die Straße zu gewinnen.

Es befremdete mich nämlich im höchsten Grade, daß Anton's Bruder, anscheinend nur, um auf- und abzuwandeln, sich hierher begeben haben sollte, und erwachte in Folge dessen in mir die unwiderstehliche Neigung, Näheres über seine, ohne Zweifel mich betreffenden Absichten auszuforschen.

Nicht lange hatten wir uns in dem Graben befunden, als ich den Beweis erhielt, daß Anton's Gehör ihn nicht getäuscht hatte, denn ich vernahm das Geräusch von Schritten eines sich langsam nähernden Mannes, und bald darauf traten auch die äußeren Formen seiner Gestalt vor meinen ängstlich spähenden Blicken deutlicher hervor.

Er ging in der Mitte des Weges, blieb mehrfach stehen, offenbar um zu lauschen, und als er uns gegenüber angekommen war, hörte ich sogar, daß er murmelnd einen bösen Fluch ausstieß und alle Pfaffen zum Teufel wünschte.

Anton, der mich noch immer festhielt, zitterte so sehr, daß ich das Schlimmste befürchtete, doch beruhigte er sich wieder, sobald Andres vorbei war und seine Schritte allmälig gedämpfter zu uns herüber schallten.

»Er kommt zurück,« flüsterte Anton nach einer Weile wieder angstvoll.

Ich legte, um ihn zu ermuthigen und zur Vorsicht[] zu mahnen, meine Hand auf sein Haupt, er drückte sich in Folge dessen fester auf den Boden, und bald darauf sah ich Andres' schwarze, schattenähnliche Gestalt abermals vor mir vorüberschreiten. Er schien noch ungeduldiger geworden zu sein, denn länger wurden die Flüche, die er vor sich hinmurmelte, und grimmiger der Ausdruck, mit welchem er auf die Pfaffen schmähte.

Ging er nun dieses Mal nicht so weit, oder waren meine Ohren geübter geworden, genug, ohne daß Anton mich darauf aufmerksam zu machen brauchte, entdeckte ich, daß er umkehrte und abermals auf demselben Wege zurückkam. Fast gleichzeitig vernahm ich aber auch den Schall von Schritten, die sich aus der entgegengesetzten Richtung schnell näherten.

Als Andres wohl noch dreißig Schritte weit entfernt war, hustete er leise; der Wanderer, der auf der andern Seite von uns bis auf fast ebenso weit herangekommen war, antwortete in ähnlicher Weise und in der nächsten Minute bot Andres ihm gerade vor uns einen höflichen »Guten Abend.«

»Der Segen der heiligen Jungfrau sei mit Euch, mein Freund,« antwortete eine Stimme, die mir das Blut in den Adern gleichsam zu Eis erstarrte, denn an seiner Redeweise und seinem Organ hätte ich Bernhard unter Tausenden herauserkannt.

»Ich glaubte schon, der Herr Kaplan hätten mein Zeichen nicht bemerkt, und in's Haus hineinzugehen, haben der Herr Kaplan mir untersagt,« versetzte Andres in vertraulichem Tone.

»Etwas Wichtiges muß es jedenfalls sein, guter Freund,« bemerkte Bernhard, den in Andres' Worten enthaltenen Vorwurf nicht beachtend, »oder Ihr würdet Euch und mir die späte Störung erspart haben. Aber es schadet nicht; es war ohnehin meine Absicht, heute Abend noch in Eurer Hütte vorzusprechen.«

»Wichtig genug, Herr Kaplan, um den Lohn für meine Dienste noch um ein gutes Stückchen zu erhöhen,« erwiderte Anders zuversichtlich.

»Und wollt Ihr, ein so guter Katholik, jeden der Kirche geleisteten Dienst noch besonders bezahlt haben?« fragte Bernhard vorwurfsvoll, »denkt Ihr nicht daran, daß Ihr durch dergleichen gute Handlungen Euren Schutzpatron dazu bewegt, Fürbitte für Euch einzulegen und dadurch der Euch zuerkannte Aufenthalt im Fegefeuer beträchtlich ermäßigt wird?«

»Das ist Alles recht gut, Herr Kaplan, was helfen mir aber Fürbitten, wenn ich auf Erden wie ein Hund leben muß? Die Zeiten sind schlecht, die Lebensmittel theuer, und ich habe eine alte Mutter und einen armen unglücklichen Bruder zu ernähren.«

»Beruhigt Euch, mein Freund,« lenkte Bernhard ein, »jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth, und Ihr sollt keinen Grund haben, Euch über die Undankbarkeit der Kirche zu beklagen; aber sagt jetzt, was ist es, das Ihr mir mitzutheilen habt?«

»Was sollte es sein, Herr Kaplan? Er ist wieder los.«

»Wer ist los, mein guter Freund?«

»Nun, wer anders, als der Student Wandel, der abgesetzte Bräutigam vom Fräulein auf der Oberförster.«

»O, darum hättet Ihr Euch nicht hierher zu [] bemühen brauchen, mein lieber Freund, ich wußte es bereits vor vierzehn Tagen aus den Zeitungen. Er wird steckbrieflich verfolgt, und hoffentlich gelingt es den Behörden, den gefährlichen Menschen wieder einzusaugen, oder es gelingt ihm, die Grenze zu erreichen und das Vaterland von seiner gefährlichen Person zu befreien.«

»Das mögen der Herr Kaplan freilich gewußt haben,« entgegnete Andres höhnisch, »aber daß er hier ist, haben Sie ganz gewiß noch nicht erfahren.«

»Er ist hier?« fragte Bernhard verwundert, obgleich er diese Nachricht schon längst errathen haben mußte.

»Ja er ist hier und ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen –«

Was die Beiden weiter sprachen, ging mir verloren, denn bei dem letzten Theil ihrer Unterhaltung hatten sie sich, um sich der Kälte zu erwehren, bereits wieder auf die Oberförstern zu in Bewegung gesetzt, und nur noch, als undeutliches Murmeln drangen ihre Stimmen zu mir herüber.

Ich hatte indessen genug gehört; meine Sinne schienen mich verlassen zu wollen, und erfüllt von grenzenloser Wuth und Verachtung und von Furcht für Johanna preßte ich mein Antlitz in den Rasen.

»Mein Gott, mein Gott, ist es denn möglich, kannst Du es zugeben, daß unter dem Mantel des Allerheiligsten die gräßlichsten Schandthaten ausgeübt weiden?« stöhnte ich verzweiflungsvoll. Da brachte Anton mich wieder zur Besinnung, indem er mir zuraunte, daß sie umgekehrt seien und zurück kämen.

Mein Schmerz verstummte bei dieser Kunde fast augenblicklich, und mit den Gefühlen eines Tigers, wenn er auf seine Beute lauert, lehnte ich mich noch weiter über den Rand des Grabens, um so viel, wie nur irgend möglich, von der Unterhaltung der beiden schurkischen Genossen zu erfahren.

Längere Zeit dauerte es, bis mir ihre Worte verständlich wurden, denn sie gingen nicht nur langsam, sondern im Eifer des Gesprächs blieben sie zuweilen auch ganz stehen.

»Ein schönerer Lohn, als das Geld, ist das Bewußtsein, eine der ewigen Verdammniß anheimgefallene Seele gerettet zu haben,« unterschied ich endlich wieder, »und Ihr, mein Freund, dürft Euch rühmen, daß Ihr das Eurige redlich mit zu dem Gott gefälligen Werke beitrugt; glaubt mir, manche andere Sünde wird Euch deshalb nicht angerechnet werden.«

»Und wäre der Lohn noch zehnmal schöner, Herr Kaplan, es ist gegen meine Natur, mich zu einer Arbeit herzugeben, ohne dafür in klingender Münze bezahlt zu weiden. Gebt mir Etwas auf Abschlag, und ich verspreche Euch, der Student soll sich nicht auf eine halbe Meile im Umkreis blicken lassen, ohne von mir gefaßt und nach dem nächsten Gericht transportirt zu werden.«

»Die Nachbarschaft der Oberförsterei muß am schärfsten bewacht weiden,« mein guter Freund, »denn es steht zu erwarten, daß er Alles aufbieten wird, eine Zusammenkunft mit dem Herrn Oberstlieutenant zu erlangen.«

»Ich denke, der Oberförster will nichts mehr mit ihm zu thun haben?«

»Das bietet keine genügende Sicherheit. Fragt [] indessen nicht weiter, lieber Freund, sondern gewöhnt Euch daran, vertrauensvoll nur das zu thun, was Euch Gott und die Heiligen durch den Mund ihrer geweihten Diener zu thun heißen, und schon in dieser Well dürft Ihr auf einen entsprechend glänzenden Lohn rechnen.«

»Hm, das ließe sich eher hören,« erwiderte Andres brutal.

»Euer unglücklicher Bruder ist also nicht zu Hause?« fragte Bernhard darauf sinnend.

»Nein, das arme Geschöpf hat keine Ruhe zu Hause; heute schon in aller Frühe hat er sich wieder davon gemacht; es ist nicht seine Schuld, aber er bereitet meiner Mutter und mir doch sehr viel Kummer und Sorgen. Doch warum meinen der Herr Kaplan?«

»Weil ich heute Abend noch von einem Amtsbruder in Eurer Hülle erwartet werde und nicht wünsche, daß Euer armer Bruder in seiner Einsalt darüber spricht.«

»Vielleicht der ehrwürdige Vater Sebastian?«

»Derselbe; wir wollen noch gemeinschaftlich einen Besuch auf der Oberförsterei machen, und um auch mit Euch über – «

Was weiter folgte, erstarb wieder in einem undeutlichen Gemurmel. Ich verhielt mich so lange ruhig, bis ich die beiden Verbündeten weiter unterhalb über den Graben springen hörte, und dann Anton ein Zeichen gebend, forderte ich ihn auf, mir nach der Oberförstern hin voranzugehen.

Wir wechselten kein Wort mehr mit einander; ich bewegte mich wie ein Schlaftrunkener dahin, jeder Gedanke an eine Gefahr für mich war verschwunden; ich hegte nur noch den einen heißen Wunsch, die einzige Hoffnung, Johanna zu sehen, zu sprechen und zu warnen, und hätte ich dafür in der nächsten Stunde in den Kerker zurückgeschleppt werden sollen.

Auch Anton beobachtete ein dumpfes Schweigen. Einige Aeußerungen seines Bruders und Bernhard's hatte er, trotzdem er so tief lag, verstanden, und instinctartig herausfühlend, daß es sich um verderbliche Anschläge handle, bemühte er sich, das, was er gehört, in Zusammenhang zu bringen und auf seine Art zu deuten.

Kurz vor der Oberförsterei bogen wir von der Straße ab und auf einem Umweg gelangten wir in den Garten.

Wohl hatten uns die Hunde bemerkt, wohl hatten sie laut angeschlagen und wohl eilten sie freudig auf uns zu, sobald sie uns erkannten, allein enttäuscht begaben sie sich auf ihre warmen Lager zurück, als ihnen kein Wort des Willkommens, keine einzige Liebkosung zu Theil wurde.

Meine Blicke waren auf das Haus gerichtet; ich betrachtete das erleuchtete Fenster, hinter welchem ich meinen alten, würdigen Vormund wußte, und das Herz klopfte mir, als ob es hätte zerspringen wollen. Er ahnte nicht, wie nah ich ihm sei. Als aber endlich die Rückseite des Hauses vor mir lag und Anton, auf zwei matt erhellte Fenster deutend, mir leise sagte, daß dort Johanna sich aufhalte, mußte ich mich auf den feuchten Boden niedersehen, um nach Fassung zu ringen und mir heilig zu geloben, mich nicht von meinen Gefühlen fortreißen zu lassen und durch eine[] plötzliche Störung das Leben des armen duldenden Engels zu gefährden.

Leise schlichen wir an das nächste Fenster heran. Eine Lampe brannte matt im Innern, und um einen Einblick von Außen zu erschweren, hatte man die durchsichtigen Gardinen niedergelassen. Es war dies ein Glück, denn ich durfte nunmehr, ohne Gefahr bemerkt zu werden, meine Stirne beinah an die Glasscheiben legen.

Nach kurzem Zögern faßte ich mir ein Her; und mich auf die Brüstung lehnend, blickte ich in das Gemach hinein. Todtenstille herrschte in demselben. Anfangs sah ich nur den Lichtschimmer; denn alles Uebrige erschien durch die Gardinen wie mit einem Nebel überzogen; doch je länger ich hinüber schaute, um so deutlicher traten die Formen der einzelnen Gegenstände hervor, bis endlich Alles, zwar verschleiert, aber erkennbar vor mir lag.

Die Gattin meines Vormundes bemerkte ich zuerst; sie saß auf einem niedrigen, rohrgeflochtenen Stuhl vor einem Tischchen, auf welchem eine grün verhangene Lampe brannte. In ihren Händen hielt sie ein Buch, in welchem sie eifrig las; ihr Antlitz hatte sie halb abgewendet, doch wie ehemals thronte auch jetzt noch immer der freundliche, wohlwollende Ausdruck auf demselben, der sich so ansprechend mit einer tiefen, hingebenden Frömmigkeit paarte. Meine Augen rasteten indessen nicht lange auf ihr, unruhig forschte ich weiter, und mit den Blicken der Richtung folgend, in welcher die alte Dame von Zeit zu Zeit ihr etwas gesenktes Haupt emporhob, entdeckte ich endlich Johanna. –

Der Athem stockte mir; ein tiefes, unbeschreibliches Wehgefühl ergriff mich, und indem ich regungslos auf sie hinstarrte, fühlte ich, daß Thräne auf Thräne meinen Augen entrollte.

»Ist das Johanna, oder ist es ein künstliches Gebilde aus Alabaster?« fragte ich mich, indem meine Blicke, wie gebannt, auf der noch immer lieblichen Erscheinung hafteten. »Ist das meine Johanna? Meine treue, jugendfrische Johanna, die vor zwölf Monaten ihr liebes Antlitz holdselig erröthend an meiner Brust verbarg und mit beseligendem Ausdruck mir ihre Gegenliebe gestand?«

Nein, das war nicht die Johanna von früher, und dennoch, dennoch war sie es, aber verändert, entsetzlich verändert.

In einem Stuhl mit hoher Lehne saß sie da; ein weißes Nachtkleid verhüllte ihren Oberkörper, während eine Decke über ihren Schooß ausgebreitet war. Das Haupt hatte sie zurückgelehnt, die milden, freundlichen Augen geschlossen, als ob sie schlummere. Keine Muskel des bleichen Antlitzes regte sich, und scharf hoben sich die schwarzen Wimpern und Brauen von der weihen Haut ab. Die dunklen, seidenen Locken hatten sich lang ausgereckt und sielen in Wellenlinien zu beiden Seilen von den Schläfen und den eingefallenen Wangen über ihre Brust hernieder, und ihre um ein kleines Crucifix gefalteten Hände ruhten nachlässig in ihrem Schooß. So saß sie regungslos da und ebenso regungslos starrte ich auf sie hin. Die leichten Tüllvorhänge hinderten mich nicht mehr, ich sah sie so deutlich, als ob ich vor ihr auf den Knieen gelegen hätte, und unbewußt, [] wie um sie nicht zu wecken, hielt ich den Athem an.

Plötzlich hustete sie leise, die Oberförsterin blickte erschreckt zu ihr empor.

»Johanna, mein Kind, wachst Du?« fragte sie mit halblauter Stimme.

Ein süßes Lächeln flog über die marmorbleichen Hüge der Angeredeten, dann schlug sie als Antwort die Augen auf, schloß sie aber gleich wieder.

»Ich habe geträumt, meine liebe Tante,« sagte sie dann mit matter, aber noch immer melodischer Stimme, »ich sah meine Mutter und meinen Vater, meinen Vater, den ich im Leben nicht kennen gelernt habe. Sie winkten mich zu sich und sagten, daß Gott ihnen um meinetwillen vergeben habe. Der Geist meiner Mutter hat seine Gebeine aus den Fluchen des Rheins hervorgeholt, und ich habe Beide von der ewigen Verdammniß gerettet.«

»Das hast Du, mein liebes, theures Kind, und Gott wird es Dir lohnen,« versetzte die Oberförstern, lief bewegt.

»Ach, wenn mein guter Onkel doch ebenfalls zur Erkenntniß kommen und aus dem Pfade der Sünde umkehren wollte; wie glücklich, wie selig wollte ich sein, mit all' meinen Lieben dort oben zusammenzutreffen!«

»Bete für ihn, mein Kind, bete für ihn inbrünstig, wie ich schon seit vielen Jahren gethan, und glaube, Gott wird mit seiner Seele Erbarmen haben und, seiner übrigen vortrefflichen Eigenschaften wegen, ihm seine religiöse Verirrung nicht so hoch anrechnen.«

Johanna's Lippen bewegten sich, offenbar im Gebet, worauf sie das Crucifix emporhob und es andächtig küßte.

»Heilige Maria, Du schmerzensreiche Mutter des am Kreuze Gestorbenen, stehe mir bei!« sagte sie dann laut und klar, jedoch ersichtlich mit großer Anstrengung, »stehe mir bei, in meinem Bestreben, die sündhaften Gedanken an das Irdische zu verscheuchen! Heilige Jungfrau, sein Bild, so treu, so schön, so verführerisch, tritt mir immer wieder vor die Seele. Erbarme Dich meiner; ich sehe ihn mit schweren Fesseln an den Händen, seine Augen wehmüthig auf mich gerichtet! Heilige Jungfrau, Königin der heiligen Heerscharen, erweiche seinen Sinn, sein Herz! Lenke ihn in seinen Handlungen, daß er in sich gehe und sich bekehre und mir die Hoffnung bleibt, ihn wenigstens im Himmel wieder zu sehen – der Gedanke an meine Vereinigung mit ihm, war ja so süß – so beseligend – «

Ein heftiger Hustenanfall erstickte ihre Stimme. Die Oberförsterin stand auf und ordnete sorgfältig die Kissen, welche der armen Kranken hinter die Schultern geschoben worden waren; ich aber rang die Hände verzweiflungsvoll, und wenn ich jemals in meinem Leben aus tiefstem Herzensgründe gebetet, dann geschah es in jenem Augenblick, als ich Gottes Strafgericht auf Diejenigen herabflehte, welche zu fluchwürdigen Zwecken kaltblütig einen Engel geopfert hatten.

Wohl fragte ich mich, indem ich meine Blicke fest auf das theure, tief leidende Antlitz richtete, ob ich den Jammer verschuldet, doch mein Gewissen blieb ruhig, es klagte mich nicht an. Ich war leichtgläubig[] gewesen, mein aufflammender Enthusiasmus, mein Sinn für hochfliegende, phantastische Pläne, Alles war mit berechnender Bosheit schändlich mißbraucht worden, um zuerst mich und demnächst Johanna zu verderben, uns Beiden einen schrecklichen Untergang zu bereiten.

O, wie brannte mir der Blick Bernhard's, den er mir einst an dem Mineralbrunnen zuschleuderte, jetzt plötzlich wieder in die Seele. Und ich hatte ihm getraut, dem Heuchler, der nur darauf ausging, mich aus dem Wege zu räumen, um desto leichteres Spiel bei der armen, schutzlosen Waise zu haben. Ja, ich fühlte es, er, nur er hatte Johanna die traurige Geschichte ihrer Eltern mitgetheilt; er hatte sich als elendes Werkzeug des verbrecherischsten Fanatismus und persönlicher Rache, mit andern Worten, von Denjenigen benutzen lassen, die einst Johanna's Eltern in's Verderben stürzten. Indem er aber durch ein teuflisches Gewaltmittel Johanna's Gemüth für seine Lehren zugänglich machte und demnächst die Seelen längst Gestorbener angeblich aus der ewigen Verdammniß rettete, hatte er seine Aufgabe meisterhaft gelöst. So dachte ich, indem es immer klarer vor meinem Geiste wurde, und das Gebet, mein Flehen um Gnade für die heißgeliebte Dulderin verwandelte sich in den entsetzlichsten Fluch über ihre Verderber! –

Der Husten hatte nachgelassen, Johanna war erschöpft zurückgesunken, und vor ihr faß wieder die trauernde Pflegemutter, mit ergebungsvoller Theilnahme ihre zarte, hinfällige Schutzbefohlene betrachtend. Meine Augen waren jetzt trocken, aber sie brannten mir im Kopfe und der Schweiß rieselte mir von der Stirn; ich achtete weder auf Anton, der mich geängstigt und entsetzt anstarrte, noch auf meines Vormundes Lieblingshund, der mir nachgeschlichen war und sich zutraulich zu meinen Füßen niederkauerte. Meine Blicke hafteten fest an dem lieben Engelsbilde, an den geschlossenen Augen, an den eingefallenen Wangen, welche die tödtliche Krankheit mit einem flüchtigen, dunkeln Purpur unheimlich geschmückt hatte.

Ihre Lippen öffneten sich wieder, und noch dichter brachte ich meine heiße Stirn an die Fensterscheiben, um mir leinen Laut ihrer trauten Stimme entschlüpfen zu lassen.

»Die Tochter ihres Vaters – o, wie sündhaft, an irdische Weissagungen zu glauben – er wird in sich gehen und sein Spiel nicht mehr mit der Vorsehung treiben. Ich war nicht dazu bestimmt, ihn glücklich zu machen, sondern die Sünden meiner Eltern zu sühnen. Welch beseligendes Gefühl: für Andere leiden zu dürfen! Ach, wäre es mir doch vergönnt, auch seine Schuld auf mich zu nehmen und abzubüßen! Tante, liebe theure Tante, was kann ich für ihn thun, um ihn auf den Weg des Seelenheils zurückzuführen? Was in meinen Kräften lag, das ist geschehen; ich gab meine geringe Habe hin, um ihn aus dem Kerker zu befreien, doch habe ich durch diese irdische Fürsorge die Ruhe meiner Seele noch nicht gewonnen. O, Tante, wenn es mir gelänge, ihn zu belehren, wie sollte die Hoffnung auf ein Wiedersehen vor Gottes Thron mein Gemüth erheben! Aber er ist fern, er kennt meine Wünsche nicht, nicht mein heißes, inniges [] Flehen zu Gott und allen Heiligen. Er wird in der Welt umherirren freundlos und liebeleer, und endlich unvorbereitet in seinen Sünden dahinfahren. Armer, armer Gustav, was kann ich für Dich thun!?«

»Bete für ihn, mein Kind; vertraue auf die Gnade Gottes und die Fürsprache der Heiligen und bete für ihn und für Dich. Aber mein Kind, schütte im Stillen Dein Herz vor dem Allmächtigen aus und sprich nicht so viel und so laut. Du hast auch Pflichten gegen Dich zu erfüllen.«

Ein mehrere Minuten langes Schweigen folgte jetzt.

»Wie viel Uhr ist es?« fragte Johanna, ihre Augen aufschlagend.

»Halb zehn, meine Tochter.«

»Um zehn Uhr wollte er mit dem ehrwürdigen Vater Sebastian eintreffen, um mich von ihm segnen zu lassen.«

»Er wird kommen, baue fest darauf, meine Tochter, denn er sehnt sich nicht minder danach, Dir geistlichen Trost zu gewähren, wie Du, ihn entgegenzunehmen. Seine frommen, erhebenden Worte werden Dich trösten und Gott Dir einen kräftigenden Schlummer senden.«

Nach diesen Worten schaute die Oberförsterin mit einer kurzen Bewegung nach der Thür hinüber. Es mußte geklopft haben, denn auf ihr »Herein« öffnete sich dieselbe, und in das Gemach trat mit vorsichtigen Schritten der alte Oberstlieutenant.

Ein Lächeln des Willkommens belebte Johanna's bleiche Züge, während die Oberförsterin ihrem Gatten die Hand reichte und traurig auf ihren geliebten Schützling deutete.

Ja, es war mein Vormund selbst; er zeigte noch immer die aufrechte, straffe Haltung von früher, allein in seinem Gesicht war eine große Veränderung vor sich gegangen. Der freundliche, joviale Ausdruck, der den alten Krieger so wohl kleidete, war verschwunden und an dessen Stelle ein so tiefer, schweren Gram bekundender Ernst getreten, daß sogar ein unbetheiligter Beobachter nicht auf ihn hätte Hinsehen können, ohne die innigste Theilnahme zu empfinden.

Nach der ersten Begrüßung betrachtete er Johanna eine Weile sinnend; sein langer, weißer Schnurrbart zuckte heftig hin und her und mehrfach fuhr seine Hand nach der Augenklappe, um seine schmerzliche Bewegung dadurch zu verbergen. Dann aber trat er dicht neben Johanna hin und seine Hand behutsam auf ihr Haupt legend, fragte er äußerlich ruhig, wie sie sich befinde.

»Viel, viel besser, lieber Onkel,« lautete die mit rührendem Ausdruck gegebene Antwort, »indem meine Seele sich mehr zu Gott hinneigt, schwinden meine körperlichen Schmerzen; Du glaubst nicht, lieber Onkel, welche treue Stütze die katholische Religion gewährt; legt sie es doch in die Hand der Menschen, nicht nur für ihr eigenes Seelenheil, sondern auch für das längst Verstorbener Sorge zu tragen. Denke nur an meine armen Eltern, wie glücklich für sie, daß ich ihre Sünden auf meine Schultern nehmen darf.«

Der Oberstlieutenant warf einen leeren Blick durch das ganze Gemach, räusperte sich mehrere Male und zupfte an seiner Augenklappe, als wenn er sie [] hätte abreißen wollen, und dann legte er seine Hand wieder auf Johanna's Haupt.

»Armes liebes Kind,« sagte er sanft, »laß die Verstorbenen, sie befinden sich bei unserm lieben Herrgott, und da sie ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, so ist es ihre eigene Schuld, wenn sie ihm keine guten Worte geben. Kümmere Dich mehr um Deine Krankheit, und nicht um der Pfaffen werd – ich wollte sagen, um die Religion in: Allgemeinen.«

Johanna schaute ernst zu ihrem Onkel empor, während ein Blick milden Vorwurfs aus den Augen seiner Gattin ihn streifte.

»Onkel, zürnst Du mir?« fragte Johanna endlich nach Minuten langem Schweigen.

»Wie könnte ich Dir zürnen, mein Kind? Ich zürne Dir nicht, und kämest Du auf den Gedanken, mich auch noch um mein letztes Auge zu bringen.«

»Ach, Onkel, wenn Du mich so sehr liebst, dann wirst Du auch auf meine Worte hören, aus meine Worte, die vielleicht die letzten Wünsche einer Sterbenden enthalten. Onkel, Du bist in Deinem Leben vielleicht nie in der Lage gewesen, über die Zukunft nachdenken zu müssen, so wie ich jetzt; höre daher meine warnende Stimme, kehre um auf dem sündigen Wege, auf welchem Du wandelst, geh' in Dich, bedenke, Du stehst am Abend Deiner Tage; aber noch ist es Zeit, und die Freude über einen reuigen Sünder wird im Himmel größer sein, als die über hundert Selige –«

»Sprich nicht so viel, mein Kind, ich bitte Dich darum,« unterbrach sie der Oberstlieutenant, vor verhaltenem Grimm und vor Trauer seinen weißen Schnurrbart rücksichtslos zerzausend, »nein, Johanna, Du darfst nicht so viel sprechen, es schadet Dir. Damit Du aber ungestörter bist, werde ich jetzt gehen. Gute Nacht, Schätzchen, sich mich nur nicht so trübe an, ich will mir ja Deine Worte überlegen, über nun sei auch zufrieden.« Und ohne eine Erwiderung abzuwarten, küßte er sie auf die Stirn, und sich dann kurz umwendend, entfernte er sich mit dem ihm eigenthümlichen festen Schritt.

Die Oberförsterin weinte still vor sich hin; Johanna aber hielt ihre verklärten Blicke auf die Thür gerichtet, durch welche der Oberstlieutenant verschwunden war.

»Tante, hast Du es gehört?« sagte sie heiter, »er will sich meine Worte überlegen, und ich weiß, die Folge davon wird sein, daß er sich bekehrt.«

»Ich hörte es, meine Tochter,« entgegnete die Oberförsterin kaum vernehmbar und zweifelnd, denn sie kannte ihren Gatten genugsam, um zu wissen, wie seine Worte gemeint gewesen. –

Die letzte Scene schien wieder besonders erschöpfend auf Johanna eingewirkt zu Haben, denn sie lehnte sich zurück und schloß die Augen, wie zum Schlaf.

Die Oberförsterin trocknete ihre Thränen, und nachdem sie sich überzeugt, daß das Licht Johanna nicht blende, vertiefte sie sich in ihr Gebetbuch, und in dem Gemach wurde es wieder still.

»Anton, ich ertrage es nicht länger,« sagte ich leise, indem ich einen Schritt zurücktrat und mich [] schwer auf meinen treuen Begleiter stützte; »ich muß Ruhe haben, ich muß meine Gedanken sammeln, irgend einen Plan entwerfen, um den bösen Einfluß der schurkischen Priester zu brechen, oder sie – sie findet ein frühzeitiges, unverdientes, schreckliches Ende.«, »Ja, lieber junger Herr, wir wollen gehen,« versetzte Anton, der mir aufmerksam zugehört, aber den eigentlichen Sinn meiner Worte nicht begriffen hatte.

In demselben Augenblick knurrte der Hund, und um das Haus herumeilend, stürmte er gemeinschaftlich mit den andern Hunden bellend und lärmend dem Hofthor zu.

»Jemand kommt,« bemerkte Anton ängstlich. »Es werden die beiden Priester sein,« entgegnete ich, mich tiefer in den Schatten der entlaubten Apfelbäume zurückziehend, denn ich erinnerte mich, verstanden zu haben, daß Johanna deren Besuch noch erwartete.

»Sie gehen in's Haus,« flüsterte Anton weiter, »der Weg ist frei, kommen der junge Herr, wir wollen in mein Schloß zurückkehren.«

»Noch nicht, noch nicht,« erwiderte ich, sobald ich hörte, daß die Hausthür geöffnet und wieder geschlossen wurde, »ich muß die beiden Menschen erst sehen, die meine arme, treue Johanna, Anton verstehe mich recht, das liebe, engelgleiche Fräulein an den Rand des Grabes gebracht haben;« und so sprechend zog ich ihn nach dem Fenster hin, wo sich auch der Hund bereits wieder eingefunden hatte.

Anton, in seiner Besorgniß um mich, folgte nur ungern, er erhob indessen keinen ernstlichen Widerspruch, und gleich darauf befand ich mich auf meiner alten Stelle, durch scharfes Hineinsehen in's Fenster meine Augen an die matte Beleuchtung gewöhnend.

Es dauerte nicht lange, bis die Thür geöffnet wurde, und leise, wie das Verbrechen unter dem Schütze der Nacht, schritt Bernhard, gefolgt von einem älteren, ebenfalls dem geistlichen Stande angehörenden Herrn, in das Gemach hinein.

»Gesegnet sei Euer Eingang und Euer Ausgang,« sagte die Oberförsterin, indem sie sich erhob und den beiden Herren die Hand entgegenreichte.

»Friede sei mit Euch, nun und immerdar,« antwortete Bernhard, seine schwarzen, siechenden Augen mit den Lidern halb verschleiernd.

»Und mögen Gott und die heilige Jungfrau Maria Euch auf Euren Wegen leiten, halten und beschirmen,« fügte der andere Priester hinzu, indem er zuerst gegen die Oberförsterin und demnächst gegen Johanna das Zeichen des Kreuzes schlug.

Die Oberförsterin verneigte sich fromm, Johanna dagegen blieb regungslos sitzen; aber aus ihren seltsam verzückten Blicken und aus der Art, in welcher ihre um das Crucifix gefalteten Hände krampfhaft zuckten, ging hervor, wie tief das Erscheinen der beiden Geistlichen sie ergriff, und wie schwer die Fesseln waren, in welche diese ihr leicht empfängliches Gemüth zu schlagen und ihren Geist zu verwirren verstanden hatten.

[] []»Endlich,« sagte sie kaum verständlich, als Bernhard zu ihr herantrat und ihr mit scheinheiliger Geberde die Hand reichte, »o, wie meine Seele nach Ihnen und Ihren göttlichen Offenbarungen gedürstet hat,« fuhr sie fort, seine Hand andächtig an ihre Lippen führend.

Bei diesem Anblick hätte ich vor ohnmächtiger Wuth und unsäglichem Weh laut aufschreien, ihr zurufen mögen, sich nicht durch die Berührung des schwarzen Verbrechers zu beflecken. Doch ich war ja ein Geächteter; der Ton meiner Stimme hätte sie vielleicht getödtet und mich zum Mörder gemacht. Aber meine Finger umklammerten vor namenloser Qual das Fensterbrett, daß es laut knackte, und Anton, von Entsetzen ergriffen, mir zu Füßen sank und, meine Kniee umklammernd, mich anflehte, doch nicht absichtlich mein Verderben herbeizuführen.

Meine Besinnung kehrte bald wieder zurück und zugleich durchströmte mich eine eisige Ruhe. Bis auf den letzten Tropfen hatte ich den Giftbecher geleert; es gab nichts, gar nichts mehr in der Welt, was mich noch tiefer zu erschüttern vermocht hätte. Aber mein Geist arbeitete schwer, meine Zähne knirschten heftig aufeinander, und Alles, was ich dachte, hoffte und wünschte, wurde zum Nothschrei, zu einem Schrei der Rache und des Fluches, den ich aus tiefstem Herzensgrunde zum Himmel emporsendete.

»Theure, überglückliche Tochter, die Sie Gnade gefunden haben vor dem Erlöser, die Sie in der gebenedeiten Jungfrau Maria eine so treue und warme Fürsprecherin vor dem Throne des Allmächtigen gewonnen, auf meinen Knieen und im Staube danke ich es Gott und Ihrem Schutzheiligen, daß ich elender Sterblicher zum Werkzeug auserkoren worden bin, Ihren Geist zu erleuchten und Ihnen den dornenvollen, aber einzigen Pfad zur ewigen Seligkeit zu zeigen und zu ebnen,« sprach Bernhard nach kurzem Sinnen, mit heuchlerisch bebender Stimme zu dem armen, ehrfurchtsvoll lauschenden Opfer. »Ja, meine Tochter, Sie, eine der beneidenswerthesten [] Ihres Geschlechtes, die Sie fortan immer mächtiger an der kräftigen Hand Ihrer treuen und von Gott gesegneten Beschützerin im wahren Glauben erstarken werden, Sie, dreifach beneidenswerth, weil es Ihnen vergönnt wurde, die Sünden Ihrer Eltern zu sühnen, Sie sollen von einer höheren, würdigeren Hand, als die meinige ist, gesegnet werden und bringe ich Ihnen daher Jemand, den ich und alle meine Brüder mit Stolz unser edles Vorbild nennen.«

Nach dieser Rede, welche nicht nur darauf berechnet war, Johanna auf's Aeußerste aufzuregen, sondern auch in der Seele der Oberförsterin alle Rücksichten für das irdische Wohlergehen ihrer Pflegebefohlenen zu ersticken, trat Bernhard einen Schritt zur Seite, und als Johanna schüchtern emporschaute, blickte sie in die mild und salbungsvoll gesenkten Augen des andern Geistlichen.

Ich glaubte zu bemerken, daß sie leicht zusammenzuckte; ob nun in Folge eines körperlichen Schmerzes, oder weil die schwarzen Augen des Fremden, wie einst die Bernhard's, einen unheimlichen Eindruck auf sie ausübten, vermochte ich nicht zu unterscheiden. Wohl aber gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß ein unbefangener Beobachter nur in das gelbe Antlitz mit den halbversteckten, glühenden Blicken und den herabhängenden Mundwinkeln zu schauen brauchte, um sogleich ein Mitglied jener selbstsüchtigen, scheinheiligen Gesellschaft zu errathen, für welche, zur Erreichung ihrer Zwecke, lein Mittel zu niedrig, zu frevelhaft ist.

Ich selbst betrachtete ihn mit Abscheu, und eine innere Stimme sagte mir, daß ich denselben Geistlichen vor mir sehe, der bereits vor Jahren seine gierigen Krallen nach dem noch hülflosen Kinde ausstreckte; schon damals vor den Menschen beweisen wollte, daß die alleinseligmachende Kirche, ohne nach den Wünschen und dem Willen der Eltern fragen zu brauchen, nie ihre Ansprüche an Jemand aufgebe, der auch nur im Entferntesten in Beziehung zu ihren Lehren gebracht werden könne.

[] Mißglückte der Versuch bei dem Kinde, so war er bei der Jungfrau von um so besserem Erfolg begleitet gewesen; die Mittel, deren man sich dazu bedient hatte, kamen ja nicht weiter in Betracht, wenn man nur den Triumph feierte, das reuige, verirrte Schaf nach dem ihren Lehren entsprechenden Ritus beerdigen und dem Volke ein neues schlagendes Zeugniß von der Allmacht und der Allwissenheit der Kirche liefern zu können.

»Die heilige, unbefleckte Jungfrau Maria stärke Dich im Glauben; der heilige Johannes von Nepomuk, Dein Schutzheiliger, sei Dein Vertreter vor dem Richterstuhl des Herrn,« sagte der fremde Geistliche, seine Hand segnend auf Johanna's Haupt legend; »durch meinen theuren Amtsbruder erfuhr ich, daß Sie, meine Tochter, auch noch aus einem andern Munde, als dem seinigen, geistlichen Trost und Rath zu empfangen, durch einen andern Mund, als den seinigen, die Bedenken und Zweifel gelöst zu haben wünschten, welche Sie aus Ihrem frühern Zustande religiöser Hülflosigkeit mit herübergebracht haben. Sie befürchten eine zu große Nachsicht von Seiten meines an Jahren so viel jüngeren Bruders; es ist dies natürlich und verzeihlich; aber meine Tochter, wem der Herr ein Amt verliehen hat, dem verleiht er auch gnädig die entsprechenden Fähigkeiten. Die Wahrheit, von welchen Lippen sie strömen mag, bleibt immer dieselbe. Doch mit Freuden bin ich hierher geeilt, und einen himmlischen Genuß soll es mir gewähren, wenn Sie, meine theure und vielgeliebte Tochter, aus meinen Worten ein neues Scherflein Zuversicht auf die Barmherzigkeit Gottes schöpfen. Sprechen Sie daher, sprechen Sie offen und frei, wie es den reuigen Sündern vor den Sendboten und Dienern des Herrn geziemt.«

»O mein Vater, verzeihen Sie, wenn ich einen neuen Beweis meines schwankenden Vertrauens ablege,« sagte Johanna mit fester Stimme, und die Anstrengung und geistige Spannung prägten sich in der flammenden Röche auf ihren Wangen aus, »indem man mir, Gott sei dafür gepriesen, die traurige Geschichte meiner armen, irregeleiteten Eltern mittheilte und es in meine Macht legte, die Theuren zu retten, hat man eine schwere, aber dafür um so süßere Verantwortlichkeit auf meine Seele gewälzt. Ich kämpfe mit aller Kraft, meine heiligen Pflichten, als Kind sowohl, wie auch als rechtgläubige Christin, gewissenhaft zu erfüllen; ich bete Tag und Nacht, ich strebe redlich, alle irdischen Gedanken von mir zu bannen, und dennoch schwebt mir sein Bild, das Bild meines frühern Freundes beständig vor. O, mein Vater, ich weiß es, es ist der Versucher, der mir in lieblicher Gestalt naht; helfen Sie mir, helfen Sie mir ihn verscheuchen, oder ich sinke unter der Wucht der mir auferlegten Prüfung zusammen!« Nachdem der Priester so lange gewartet, bis ein neuer Hustenanfall, der den Aeußerungen ihrer traurigen Gemüthsstimmung auf dem Fuße nachfolgte, sich gelegt hatte, zog er einen Stuhl zu Johanna heran, und sich niedersetzend und das in des armen Schlachtopfers gefalteten Händen befindliche Crucifix wie segnend berührend, hob er in sanfter eindringlicher Weise an:

»Warum soll ich, warum wollen Sie selbst die[] freundlichen Bilder aus Ihrer Erinnerung streichen? Der Versucher ist es nicht, der Ihnen erscheint, sondern es lebt in Ihnen der unbestimmte Wunsch, Denjenigen, der Ihnen einst das Theuerste auf Erdenge wesen, ebenfalls auf den Weg des Heils zurückzuführen. Beten Sie für ihn und fahren Sie fort, seiner zu gedenken, aber gedenken Sie seiner, wie eines Verstorbenen. Abgesehen von seiner unglücklichen, religiösen Richtung, abgesehen von seinen politischen Verirrungen, war er stets ein achtbarer Charakter, der die freundliche Theilnahme seiner Mitmenschen wohl verdiente. Eine Versündigung ist es daher nicht, wenn Sie, selbst in Ihren Gebeten und frommen Betrachtungen seiner gedenken, aber er ist todt für Sie. Sie haben mit edler christlicher Aufopferung Alles für seine Befreiung hingegeben. Sie haben mit der rechten Hand hingegeben, ohne daß die linke darum wußte; selbst vor Ihrem Beichtvater und Ihrer hochherzigen Frau Tante verheimlichten Sie die gute That. Gott lohnte Ihren Edelmuth, indem er das Unternehmen gelingen ließ: Ihr armer, bedauernswerther Freund befindet sich zur Zeit auf der Reise nach fernen fremden Ländern, bis wohin der Arm der hiesigen Gerechtigkeit nicht reicht. Trübsal, Kummer und Elend werden auf ihn einstürmen und, so Gott will, sein Gemüth erweichen; beten Sie daher für ihn, daß er siegreich aus dem Kampfe hervorgehe, und sei es auch erst in der letzten Stunde seines Lebens, sich in die Arme der alleinseligmachenden Kirche werfe, um einst im Jenseit ein Wiedersehen zu ermöglichen. Er ist todt für Sie, aber ohne Zweifel und Beängstigungen zu empfinden, dürfen Sie seiner gedenken, für ihn beten.«

»Mein Vater,« bat Johanna, ihre vor Entzücken strahlenden Augen mit stehendem Ausdruck auf den Geistlichen heftend, »dann gewähren Sie mir den Trost, gemeinschaftlich mit mir für das Wohl meines armen, verlassenen Freundes zu beten.«

»Sie nehmen mir das Wort von den Lippen,« versetzte der Priester, sich erhebend, und zugleich Wechselte er heimlich mit Bernhard Blicke des Mißmuthes und auch wieder triumphirender Zufriedenheit, »vereinigt wollen wir für ihn beten, vereinigt zu dem Allmächtigen flehen, daß er ihn erleuchte und von der ewigen Verdammniß errette.«

Es folgte jetzt das Rücken von Stühlen, die beiden Geistlichen und die Oberförsterin bewegten sich mehrfach in stiller Geschäftigkeit aneinander vorbei, die Lampe wurde auf einen Stuhl gerade vor Johanna hingestellt, und als dann wieder Ruhe eintrat, da kniete der ältere Geistliche mit einem aufgeschlagenen Buche grade vor der Lampe, und zu beiden Seiten von ihm knieten, mit gleich andächtiger Miene, der schurkische, heuchelnde Bernhard, und die von der unumstößlichen Wahrheit ihrer Religion tief durchdrungene alte Dame.

Johanna hielt das Crucifix inbrünstig an ihre Brust gedrückt; ihren vor Mattigkeit halb geschlossenen Augen entströmten Thränen der Freude, und auf ihren eingefallenen Wangen wechselte wieder die krankhafte Röthe mit der tödtlichen Marmorfarbe.

Der Priester begann mit murmelnder Stimme ein lateinisches Gebet abzulesen. Es war dies das Letzte, was ich hörte und sah. Ich glaubte von [] Wahnsinn befallen zu sein, denn nur mit der größten Anstrengung und durch den Gedanken an die etwanigen Folgen für die bis zum Tode erschöpfte Kranke, vermochte ich mich in so weit zu beruhigen, daß ich nicht durch das Fenster in die Stube brach, um die beiden Verräther, welche in ihrem Gebet das Allerheiligste auf verbrecherische Weise schändeten, vor Johanna's, meiner armen gemordeten Johanna Augen in den Staub zu treten.

»Anton komm,« sagte ich laut zu meinem erschreckten Begleiter, denn erfüllt von Abscheu, und dem namenlosesten Schmerz wäre mir in jenem Augenblick eine Entdeckung vollständig gleichgültig gewesen.

Ebenso schritt ich, trotz Anton's dringender Warnungen, mitten auf der Landstraße offen einher; eine Begegnung mit dem wilden Andres hätte ich willkommen geheißen, und mit wildem Entzücken würde ich ihn, um an ihm mit meiner Rache zu beginnen, mit meinem schweren Wanderstabc erschlagen haben.

Doch mein guter Stern wachte über mich, daß ich nicht mit ihm zusammentraf, und nachdem wir in unsere Höhle zurückgekehrt waren, stellte sich auch die Ueberlegung wieder ein, welche mir gestattete, die Verhältnisse genauer zu prüfen und auf einen Plan zur Rettung Johanna's aus der Gewalt der grausamen Feinde zu sinnen. –

Am folgenden Morgen, gleich nach Tagesanbruch, wanderte der getreue Anton nach der Oberförstern. Er war beauftragt, einen kleinen, mit Bleistift geschriebenen Zettel dem Oberstlieutenant persönlich einzuhändigen. Auf dem Zettel standen folgende Worte: »Nicht um seinetwillen, sondern um den unglücklichen Zustand Ihrer Nichte mit Ihnen zu berathen, wünscht ein Geächteter Sie zu sehen und zu sprechen. Der Bote ist sicher, der Aufenthaltsort des Verstoßenen nur ihm bekannt. Jeder Versuch, durch ihn das Versteck kennen zu lernen, wird sich als erfolglos ausweisen.«

Nach zwei Stunden brachte Anton mir die Antwort. Er halte den Oberstlieutenant in seiner Stube allein angetroffen und ihm die Nachricht unverzüglich zugestellt. Nach seiner Mittheilung zu schließen, mußte dieselbe wie ein Donnerschlag auf meinen Vormund eingewirkt haben, denn nachdem er einige Male in der Stube mit Heftigkeit auf und abgegangen war, hatte er sich auf einen Stuhl geworfen und wohl eine halbe Stunde in tiefe Gedanken versunken dagesessen.

Dann war er plötzlich aufgesprungen, hatte schnell einige Worte auf einen Papierstreifen geschrieben und diesen, zusammen mit einem harten Thaler, als Belohnung für seinen Gang, dem überraschten Anton in die Hand gedrückt. Anton hatte darauf, meinem Rathe gemäß, dem Oberstlieutenant meine Lage geschildert und namentlich darauf hingewiesen, daß gerade in der Nähe der Oberförstern die größte Gefahr auf mich laure.

In Folge dessen waren Zeit und Ort der Zusammenkunft zwischen ihnen verabredet worden, und als Anton endlich ging, begleitete der alte, gütige Herr ihn noch durch die Küche, wo er den Leuten befahl, dem armen Jungen für sich und seine Mutter ein warmes und reichliches Frühstück mit auf den Weg zu geben.

[] Er wußte ja, wozu Anton die Speisen verwenden würde, denn als er mir dieselben vorsetzte, dampften sie noch, so sehr hatte er sich mit seinem Einherschleichen auf verborgenen Waldpfaden beeilt.

Das Papier enthielt nur wenige Worte: »Ich weiß Alles, und was ich nicht weiß, ahne ich. Der Anblick des armen Kindes sollte Dir erspart bleiben, und darum wurdest Du angewiesen, am Siebengebirge vorbeizureisen. Trotz der drohenden Gefahr bist Du gekommen; ich habe es fast erwartet. Ich will Dich sehen, um mit Dir über Johanna zu berathen und Dir meinen Segen mit auf den Weg zu geben. Sei vorsichtig um Deiner selbst willen.« –

»Also Du und Johanna, Ihr seid es, durch die ich den finstern Kerkermauern entrissen wurde,« seufzte ich vor mich hin, und die Gefühle der Rache und des Hasses wichen vor einer tiefen Wehmuth, welche ich bei dem Gedanken an so viel Liebe und Opferwilligkeit empfand.

Fünfzehntes Capitel.
Die Berathung.

Der Tag, an welchem ich mich nur eines schmalen Streifens gedämpften Sonnenlichtes erfreuen durfte, schien mir, trotz der rührenden Sorgfalt, mit welcher Anton sich unablässig um wich beschäftigte, endlos zu sein.

Langsam, langsam entrannen die Stunden, langsamer noch, als hinter den eisernen Gittern meines Gefängnisses. Ich hatte ja so viel auf dem Herzen, was ich meinem gütigen Vormunde mitzutheilen wünschte, daß es mich wie eine schwere Last bedrückte und ich sehnsuchtsvoll darauf harrte, ihn durch ein offenes Geständniß gleichsam zum Mitträger der mir auferlegten Bürde zu machen, um dafür von ihm in seiner herzlichen, rauhen Weise getröstet zu werden.

Aus seinem Benehmen gegen Anton und seinem Schreiben an mich ging ja hervor, daß er mir nicht mehr zürne, es nicht mehr für ein Verbrechen an feinem König halte, mit einem armen, durch das Land gehetzten politischen Flüchtling zu verkehren.

Ich hoffte auf Trost von ihm; doch wo wäre Trost für meinen gebrochenen Seelenzustand zu finden gewesen?

Die Stunden verrannen so langsam, so langsam bezeichnete der schmale, zwischen den Epheuranken im Ausgang der Höhle spielende Streifen Sonnenschein das Enteilen der Zeit; und als draußen das Licht endlich erlosch und die in der Höhle herrschende Dämmerung sich in schwarze Finsterniß verwandelt hatte, da erschienen mir die Minuten so lang, so endlos, wie kurz vorher noch die Stunden.

Doch ich durfte mein Versteck nicht vor der verabredeten Zeit verlassen; denn eines theils mußte ich vor Andres auf meiner Hut sein, anderntheils hatte der Oberstlieutenant zu dringend und bestimmt vor jeder Uebereilung gewarnt. –

Endlich war der Zeitpunkt da; mit Hülfe von Stahl und Stein überzeugte ich mich, daß meine Uhr halb zwölf zeigte, und behutsam krochen wir, Anton immer voran, in's Freie hinaus.

Ohne Unfall oder irgend Jemand zu begegnen erreichten wir die Oberförsterei. Auf dem Hofe war[] Alles still; das alterthümliche, einstöckige Haus lag wie in tiefem Schlummer da; auf der Vorderseite brannte nur noch in des Oberstlieutenants Stube Acht, aber auch dieses brannte nur trübe und düster, als wenn es ebenfalls, von seiner einförmigen Arbeit ermüdet, hätte einnicken mögen. Nach der Gartenseite des Hauses ging ich nicht herum, ich fürchtete mich vor einem Anblick, wie mir derselbe am vorhergehen den Abend zu Theil geworden.

Als wir in den Hof eintraten, sprangen mir die Hunde, die kurz vorher unsere Annäherung durch scharf abgebrochenes Gebelle gemeldet, freundlich winselnd entgegen und begleiteten uns bis zur Hausthür. Das Geräusch, welches sie erzeugten, mußte der Oberstlieutenant vernommen haben, denn gerade, als Anton an die Fensterscheiben klopfen wollte, öffnete sich die Thür und vor mir stand mein Vormund.

Er befand sich im Dunkeln, ich vermochte also seine Gestalt nicht zu unterscheiden, aber an der Art, in welcher seine Hand sich auf meine Schulter legte und mich mit festem Griff zu sich hereinzog, hätte ich ihn, und wäre ich von Tausenden von Menschen umgeben gewesen, sogleich erkannt.

»Anton soll mit hereinkommen,« sagte er leise, »er kann so lange am Ofen sitzen; selbst von meinen Leuten darf Niemand eine Ahnung davon erhalten, daß Du hier gewesen bist, und überdies versteht der arme Teufel nicht den zehnten Theil von dem, was wir zusammen sprechen.«

»Und wenn er es verstände, so würde die treue Seele lieber hundertmal das Leben verlieren, als nur ein einziges Wort wiederholen, welches Ihnen oder mir zum Nachtheil gereichen könnte,« entgegnete ich, nachdem ich Anton herbeigerufen, und schweigend begaben wir uns in das Gemach.

Nachdem wir eingetreten waren und der Oberstlieutenant sich noch einmal von der Sicherheit der nächsten Umgebung überzeugt hatte, ergriff er schmerzlich bewegt meine Hand. Sein einziges Auge bohrte sich förmlich in meine Seele ein, der weihe Schnurrbart zuckte, als ob er plötzlich eigenes Leben erhalten hätte, und längere Zeit dauerte es, bis der alte, würdige Krieger Worte fand.

»Junge, entschuldige Dich nicht,« begann er ernst, und feine rechte Hand drückte die meinige krampfhaft, »entschuldige Dich nicht, ich habe Dir unrecht gethan; ich hätte wissen müssen, daß Du Dich lieber in tausend Millionen Granatstücke würdest zerreißen lassen, eh Du zu Johanna eine Silbe über ihre Eltern verloren hättest.«

»So wahr mir Gott helfe,« antwortete ich, indem ich, überwältigt von so viel Herzensgüte, seine Hand küßte, was er, ganz gegen seine Gewohnheit, ruhig geschehen ließ; »ich bin – nein, Johanna und Ich find die Opfer einer furchtbaren Täuschung, eines tief angelegten verbrecherischen Plans geworden –«

»Ich habe es geahnt,« unterbrach mich der Oberstlieutenant, mich zum Sopha hinführend, »komm, setze Dich, ruhe Deine geschundenen Glieder, stärke Dich durch ein Glas Wem, und dann laß uns plaudern und erzählen. Hm, ich wollte Dich nicht wiedersehen, aber es ist besser so, diese Nacht und die Erinnerung an dieselbe wird uns Beiden ein Trost sein. Ja, ja mein Sohn, so recht aufrichtig wollen [] wir mit einander sprechen – es ist das letzte Mal, denn hoffentlich bist Du morgen um diese Zeit bereits weit fort von hier – ja Du mußt fort, so lange es noch Zeit ist, und dann – wenn es überhaupt einen Himmel giebt, treffen wir auch wohl noch einmal wieder zusammen.«

»So Gott will, noch in diesem Leben,« versetzte ich aus überwallendem Herzen, »denn Sie erfreuen sich noch immer einer jugendlichen Rüstigkeit, und Amerika liegt nicht außerhalb der Welt.«

»Scheinbar, ja scheinbar, mein lieber Junge, bin ich rüstig genug, aber glaube mir, alles Bivouakiren in meinem Leben zusammengenommen, und oft genug war der zum Bett bestimmte Erdboden verdammt naß und kalt, hat nicht halb so zerbröckelnd auf meine alten Knochen eingewirkt, wie meiner armen Nichte hoffnungsloser Zustand.«

»Ist ihr Zustand denn wirklich hoffnungslos?« fragte ich tonlos, den Oberstlieutenant starr anblickend. »Hoffnungslos, mein Sohn, leider nur zu hoffnungslos; der Arzt sagt es, und ich sehe es; oder glaubst Du etwa, ich würde das Pfaffengesindel auch nur einen Augenblick in meinem Hause dulden, wenn es nicht geschähe, um dem armen, überspannten Kinde die letzten paar Lebenstage nicht zu verbittern? Junge, es ist hart, so jung, so schön, so gut und so heiß geliebt, und zur großen Armee abmarschiren zu müssen. Du erinnerst Dich wohl noch, als ich einst zu Dir von den Sünden der Eltern sprach, die an den Kindern heimgesucht würden; damals dachte ich nur an eine erbliche Krankheit; jetzt aber sehe ich, daß jener Spruch wörtlich genommen werden muß.«

»Hätten nicht jene Menschen mit ihrem verderblichen Einfluß fern von Johanna gehalten werden können?«

»Halte sie fern!« rief der Oberstlieutenant grimmig aus, und die emporweisende Klappe sank durch einen leichten Stoß, das leere Auge bedeckend, nieder; »halte sie fern, wenn ein so liebes, braves Mädchen, erfüllt von schändlicher Weise hervorgerufenen fixen Ideen, Tag und Nacht jammert und nach dem geistlichen Tröste des ersten besten Kaplans verlangt! Halte sie fern, wenn das arme Kind Deine Kniee umklammert, wenn Deine Frau ihre Bitten und Thränen mit denen ihres Schützlings vereinigt und Dich auf Schritt und Tritt mit ihren närrischen, aber gut gemeinten Ansichten verfolgt. Halte sie endlich fern, wenn sich Dir ein Hoffnungsschimmer zeigt, daß durch das Gewähren ihrer Wünsche sie Dir erhalten bleiben könnte, und wenn Du es vermagst, dann will ich gern einräumen, daß Du wehr davon verstehst, als ich. Ich habe gedacht, wie Du an meiner Stellt gedacht haben würdest, und freute ich mich auch nicht, daß sie urplötzlich die Religion ihrer verstorbenen Mutter annehmen wollte, und noch obenein ganz gegen deren ausdrücklichen Wunsch und Villen, so wäre es mir im Grunde ganz gleich gewesen, ob ich eine Christin, Katholikin, Türkin oder Heidin zur Nichte gehabt hätte, wenn sie mir und Dir erhalten geblieben wäre. Was kümmert mich die Form der Gottesverehrung, so lange man mich für meine Person ungeschoren läßt!«

»Ich sah den jungen Geistlichen, den Johanna sich zum Lehrer gewählt hat.«

[] »Sonst ein sehr verständiger, umgänglicher Mensch,« schaltete der Oberstlieutenant ein.

»Mag wohl sein« entgegnete ich, »aber ich kenne ihn schon lange, und er ist gerade der Verräther, der mich in die politischen Wirren hineinzog, dann aber, als mir jede Umkehr abgeschnitten war, die Rolle eines Spions übernahm, um selber keinen Verdacht auf sich zu lenken.«

»Der Herr Bernhard?« fragte mein Vormund heftig emporschreckend.

»Ja, der Herr Bernhard, und ich habe allen Grund zu vermuthen, daß ihm nur darum zu thun war, mich aus dem Wege zu räumen, um bei Johanna desto leichteres Spiel zu haben.«

»Er gehörte also mit zu der Verbindung und spielte demnächst den Verräther?« rief mein Vormund aus, der sich über das Gehörte gar nicht wieder beruhigen konnte.

»Sein Benehmen läßt sich wenigstens nicht anders deuten.«

»O, dann verschaffe mir Beweise, und so wahr ein Gott lebt, für seine Theilnahme an der Verschwörung will ich ihn dahin bringen, wohin er Dich zu bringen gedachte!«

»Er war zu listig, zu vorsichtig, ich glaube kaum, daß sich Beweise gegen ihn beschaffen lassen würden, und gelänge dies auch wirklich, so würden wir sie trotzdem nicht gegen ihn benutzen dürfen. Durch mein Ehrenwort bin ich verpflichtet, nie als Zeuge gegen ihn aufzutreten. Ich würde mich desselben Verbrechens schuldig machen, welches wir ihm zur Last legen.«

»Du hast recht, Junge, es geht nicht, es geht nicht,« versetzte der Oberstlieutenant, indem er, wie entkräftet, auf feinen Platz zurücksank, »und dann Johanna, bedenke Johanna, die in ihrer unglücklichen, religiösen Ueberspanntheit ihr ganzes Heil allein von seinen verdammten Lehren erwartet. Welche Folgen könnte es für sie haben, erführe sie, daß er – daß er – «

»Sprechen Sie es aus, Herr Oberstlieutenant,« fügte ich zähneknirschend hinzu, »sprechen Sie es ohne Rückhalt aus: erführe Johanna, daß der Herr Bernhard ein Schurke, ein Gotteslästerer fei, der nur nach einem tief angelegten, verbrecherischen Plan handelte. Mein Lebensglück hat der Verräther zerstört, indem er Johanna an den Rand des Grabes brachte, und ich habe nichts mehr zu verlieren. Aber eine Aufgabe bleibt mir noch, eine heilige Aufgabe, nämlich meine Hand in das Blut des Schurken und seines Mitschuldigen zu tauchen, in ihren letzten Lebensaugenblicken ihre Verbrechen aufzuzählen und ihnen in die ersterbenden Ohren zu schreien.«

»Du wirst das nicht thun, mein Sohn,« sagte der Oberstlieutenant entschieden, »Du wirst das nicht thun, wenn Dir die letzten Wünsche Deines greisen Vormundes noch etwas gelten. Ziehe hin in Frieden, gründe Dir in fernen Landen eine neue Heimath und gönne mir den Trost, Deiner als eines braven, von keiner unedlen Handlung besudelten Mannes gedenken zu dürfen.«

Ich schwieg, aber mein Entschluß, blutige Vergeltung zu üben, war noch nicht erschüttert, und um einen klaren Blick in Bernhard's verderbliches Gewebe zu gewinnen, bat ich den Oberstlieutenant, mir zu erzählen, [] wie Johanna's trauriger Seelenzustand seinen Anfang genommen, und welchen Ursachen es vorzugsweise zuzuschreiben sei, daß die verheerende Krankheit mit so rasender Schnelligkeit um sich gegriffen und ihre Gesundheit unheilbar zerstört habe.

Der Oberstlieutenant, als ob es ihm lieb gewesen sei, sich ausschließlich mit der Vergangenheit beschäftigen zu können und dadurch andern auf ihn einstürmenden, peinigenden Gedanken zu entgehen, begann ohne zu zögern:

»Welch harter Schlag für uns Alle die Nachricht war, daß Du als Hochverräther verhaftet worden seift, um einem schmachvollen Loose entgegenzugehen, brauche ich Dir nicht zu schildern. Ich sah die schönsten Hoffnungen, die ich noch am späten Abend meines Lebens hegen durfte, durch Deinen unverantwortlichen Leichtsinn zerstört und betrachtete daher, wie es für einen Mann von loyalen Gesinnungen nicht anders möglich, jede fernere Verbindung zwischen uns auf ewig abgebrochen. Meine gute Lisette dachte ähnlich, doch hob sie Deine guten Eigenschaften hervor und behauptete, daß es nie so weit gekommen wäre, wenn Du über Religionssachen nicht so leichtfertig geurtheilt und Dir einen richtigen Begriff über das ewige Leben angeeignet hättest.«

»Du kennst ihre schwache Seite, sie hält viel auf Ohrenbeichte und Messen, und nur ihre hingebende Liebe zu mir war Ursache, daß es während unsers langen, glücklichen Ehestandes nie weiter, als zu einigen harmlosen Plänkeleien kam, bei welchen ich, da ich mich jedesmal festredete, stets den Kürzeren zog.«

»Anders, als wir Beide,« dachte Johanna. »Das liebe Kind, obwohl in tausend Aengsten, tadelte Dich und Deine Handlungen nicht nur nicht, sondern pries dieselben sogar als Beweise Deines edlen Charakters. Händeringend beschwor sie mich, Dir zur Flucht behülflich zu sein, und nicht eher beruhigte sie sich einigermaßen wieder, als bis ich, von ihrem Jammer überwältigt, heilig versprach, ihre paar Tausend Thaler zu Bestechungen und wer weiß was sonst noch zu verwenden und Dir aus den Weg nach Amerika zu helfen. Ursprünglich war meine Absicht, Dich zur Strafe für Dein Vergehen noch etwas länger warten zu lassen, dann die Gnade des Königs für Dich anzurufen, und erst wenn dies fehlschlagen sollte, zu andern Mitteln meine Zuflucht zu nehmen.«

»Eh' ich über das Wie und Wann der Erfüllung meines an Johanna gegebenen Versprechens mit mir im Reinen war, trat ein Umstand ein, der alle unsere Pläne wieder umstieß.«

»Zu den Plänen gehörte nämlich, daß Johanna mit Dir in irgend einer Hafenstadt zusammentreffen und als Deine Dir angetraute Frau Dich in's Ausland begleiten wollte. – Armes, armes Kind, nie hatte ich Dir so viel Muth zugetraut!«

»Eines Tages also, es mochte ungefähr acht Wochen nach Deiner Verhaftung sein, trat Johanna hastig in meine Stube. Ihre Augen waren verweint, ihre Locken zerrauft, ihr Gesicht glühte und dabei zitterte sie dergestalt, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte.«

»Onkel! rief sie laut aus und ihre Augen waren [] so starr auf mich gerichtet, daß es mich förmlich erschreckte, wie sind meine Eltern gestorben?«

»Deine Eltern? fragte ich verwirrt zurück, denn gerade diese Frage hätte ich am allerwenigsten erwartet; Deiner Mutter mußt Du Dich noch erinnern können, fügte ich dann hinzu, und Dein Vater starb, als Du noch ein ganz kleines Kind warst. Aber was soll das, wie kommst Du daraus?«

»Onkel, Du verschweigst mir etwas, wohlan, so will ich es Dir sagen! fuhr sie mit einer Heftigkeit fort, die ich noch nie an ihr bemerkte, noch für möglich gehalten hätte. Meine Mutter hat sich an meinen! Vater versündigt und mein Vater hat Hand an sich selbst gelegt! Ich bin die Tochter einer Sünderin und eines Selbstmörders, und meine Eltern schmachten in der ewigen Verdammniß, während ich, anstatt ihre Schuld durch ein Gott gefälliges Leben und aufrichtige Buße zu sühnen, fröhlich in den Tag hineinlebe!«

»Wer hat Dir das Geheimniß verrathen? rief ich entsetzt aus, und dabei dachte ich an Dich.«

»Gott hat es mir durch einen himmlischen Sendboten kund thun lassen und ich – ich will meine armen Eltern aus der ewigen Verdammniß retten! kreischte sie laut auf und dann sank sie besinnungslos zu Boden. –«

»Als sie endlich auf ihrem Lager aus einer tiefen Ohnmacht erwachte, redete sie irre. Eine schwere Krankheit hatte sie befallen, und während einer Woche glaubten wir täglich, daß es mit ihr zu Ende ginge. In meiner Angst und in der festen Ueberzeugung, daß nur Du allein ihr die furchtbaren Mittheilungen gemacht haben könntest, schrieb ich an Dich, Es waren harte Worte, welche ich Dir sagte, die aber durch den schweren Verdacht, der auf Dir lastete, vollkommen gerechtfertigt waren. Erst nach langer, ruhiger Ueberlegung begann ich zu bezweifeln, daß Du den Frevel an Johanna begangen habest, und ich wurde darin bestärkt, durch einzelne ihrer Dich betreffenden Worte und durch die im Delirium wiederholte Erwähnung eines von einem himmlischen Boten an sie gerichteten Briefes.«

»Johanna's vielfache Fragen, ob Du Dich bereits auf freiem Fuße befändest, und meine auf's Neue erwachende Zuneigung zu Dir, den ich schließlich nur für einen leichtsinnigen, verführten Patron hielt, veranlaßten mich nunmehr, mit aller Macht für Deine Befreiung zu wirken. Mir allein wäre es schwerlich gelungen, doch war ich glücklich genug, die Theilnahme einer höchst achtbaren Familie, in deren Hause Johanna ihre erste Jugend verlebte, für Dich zu erwecken. Jenen treuen Freunden verdankst Du hauptsächlich, daß die Mauern des Kerkers Dich nicht mehr umschließen.«

»Ich war von Allem unterrichtet, was dort in Frankfurt geschah, und unsere Freunde erhielten wieder durch mich regelmäßige Berichte über meine arme Johanna. Wir Alle hofften. Du würdest Dich durch die Besorgniß vor Deiner Wiederverhaftung und durch die ernsten Rathschläge wohlmeinender Leute bestimmen lassen, so schnell als möglich dem nächsten französischer Hafen zuzueilen. Du Haft in dieser Beziehung unsern Erwartungen nicht entsprochen und wirft in Folge dessen eine um so trübere Erinnerung von hier mit [] fortnehmen. Ich glaube wenigstens, daß Du, so wie ich Dich kenne, nicht von hier scheiden willst, ohne Johanna wenigstens heimlich gesehen zu haben.«

»Ich habe sie gesehen –«

»Du hast sie gesehen?« fragte der Oberstlieutenant erstaunt.

Ich erzählte darauf meine Erlebnisse vom vorhergehenden Abend bis in die kleinsten Einzelheiten, und fand einen gewissen schmerzlichen Genuß darin, nicht nur jedes Wort zu wiederholen, welches Johanna selbst gesprochen hatte, sondern auch der schmachvollen Reden der beiden Geistlichen Erwähnung zu thun. Dabei fiel mir auf, daß mein Vormund nur um die Besuche Bernhard's wußte, der andere Priester ihm dagegen vollständig fremd war. Ich erklärte mir daraus, daß dieser also wirklich zum ersten Male die Schwelle der Oberförsterei betreten habe.

»Du hast Johanna gesehen,« nahm der Oberstlieutenant wieder das Wort, sobald ich geendigt, »und damit den Zweck, der Dich hierherführte, erreicht; Du kannst daher schon morgen Deine Weiterreise antreten.«

Auf diese Zumuthung antwortete ich nichts; ich hatte zu fest beschlossen, jene Gegend nicht eher zu verlassen, als bis ich betreffs Johanna's Lage einen entscheidenden Schritt gethan. Der Oberstlieutenant, mein Schweigen für Zustimmung nehmend, fuhr darauf fort:

»Wie Du Johanna gestern gesehen hast, sitzt sie, mit kurzen Unterbrechungen, bereits seit Monaten, nur daß ihre Kräfte sie mit erschreckender Schnelligkeit verlassen und sie, nach dem Ausspruch des Arztes, ihrer baldigen Auflösung entgegengeht. O mein Gott, diejenigen, welche ihr die grausamen Enthüllungen machten, haben eine schwere, eine furchtbare Verantwortlichkeit auf sich geladen! Das zarte Wesen war noch zu jung, zu schwach, um das schreckliche Geheimniß ertragen zu können, überhaupt erfahren zu dürfen. Doch wer auch immer die Schuld trägt, nicht zufrieden damit, ihr ganzes Erdendasein vergiftet zu haben, benutzte er auch noch ihre krankhafte Aufregung dazu, sie zu überzeugen, daß es ihr obliege, die Sünden ihrer Eltern abzubüßen. Den verhängnißvollen Brief hatte sie in ihrer ersten Verzweiflung vernichtet, doch ließ sich der Inhalt desselben aus ihrem späteren Benehmen leicht errathen.«

»Als sie nämlich ihre Krankheit so weit überstanden hatte, daß sie wieder aufrecht im Bette sitzen konnte, verlangte sie fortwährend nach einem katholischen Geistlichen. Meine Lisette, Du kennst sie ja, glaubte darin einen Fingerzeig Gottes zu entdecken und riech mir dringend, ihren Bitten zu willfahren. Lange weigerte ich mich hartnäckig; ich suchte Johanna durch freundliche Worte zur Vernunft zu bringen, allein vergeblich; das arme Kind flehte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, ›was hilft mir meine Religion,‹ rief sie unter Thränen aus, ›die mir nur gestattet, für mein eigenes Seelenheil Sorge zu tragen? Verschafft mir einen rechtgläubigen katholischen Geistlichen, der mich lehrt, die Schuld meiner Eltern zu sühnen, oder ich sterbe in meinen Sünden, die doppelt schwer auf mir lasten, weil ich versäumte, eine mir auferlegte heilige Pflicht zu erfüllen.‹ O, mein Sohn, so manches liebe Mal habe ich dem [] Tode in die Augen geschaut, wenn die feindlichen Feuerschlünde Verderben in unsere Reihen schleuderten, und ich habe nicht gezittert oder gezagt, höchstens den Faustriemen etwas fester um mein Handgelenk gedreht, allein die Veränderung zu beobachten, die innerhalb kurzer Zeit mit Johanna vor sich ging, das war mehr, als ein ganzes Regiment zu ertragen vermocht hätte. Und dennoch wäre ich, trotz meiner Lisette und trotz Johanna's Flehen, unerschütterlich geblieben, hätte der Arzt nicht die letzte Möglichkeit einer Rettung von der Erfüllung ihrer Wünsche abhängig geglaubt.«

»Wo Herr Bernhard, der bewußte Kaplan, so schnell herkam, nachdem ich meine Zustimmung gegeben, weiß ich mir heute noch nicht zu erklären; jedenfalls aber hielt ich ihn, nach ein oder zwei Unterredungen, für einen verständigen Menschen, der seiner schwierigen Aufgabe wohl gewachsen sei. Er besuchte von da ab Johanna fast täglich; meine Lisette war stets zugegen und enthielt von der kindlichen Frömmigkeit und christlichen Geduld, mit welcher er Johanna tröstete und ihr wenigstens nicht zurieth, schon jetzt, und zwar ohne vorher reiflich überlegt zu haben, zum Katholicismus überzutreten.«

»Wenn es mich nun auf der einen Seite erfreute, daß Johanna durch den religiösen Verkehr mit Herrn Bernhard ruhiger und ihr schrecklich aufgeregter Seelenzustand gewissermaßen geordneter wurde, so erfüllte es mich andererseits mit einem schwer zu beschreibenden Entsetzen, zu gewahren, wie sie von Stunde an dahinsiechte und ihr Geist sich fast ausschließlich mit dem vermeintlich trostlosen Zustande ihrer verstorbenen Eltern beschäftigte.«

»Betrachtete sie doch zuletzt jeden irdischen Ge danken, ja sogar die Erinnerung an Dich, ihren verlobten Bräutigam, als eine schwere Sünde, wie sie heute noch damit umgeht, mich, einen alten, bald siebenzigjährigen Kriegsknecht, der allein seligmachenden Kirche in die Arme zu führen, was, wenn es ihr gelänge, meiner guten Lisette allerdings ein ganz ungeheures Vergnügen bereiten würde. Uebrigens, Junge, muß ich Dir gestehen, so wenig ich auch sonst davon halte, die Cocarde zu wechseln, wenn ich meine arme Johanna dadurch wieder zu dem heitern Kinde machen könnte, als welches sie im vorigen Jahre in mein Haus einzog, dann soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht zum Katholicismus oder jeder andern beliebigen Religion überträte.«

»So stehen also die Sachen; Du kannst daraus entnehmen, welch schwere Zeit ich hier verlebte. Dich noch einmal wiedergesehen zu haben, gereicht mir zum Trost und zur Beruhigung. Deinen leichtsinnigen Streich vergebe ich Dir, um des Kummers willen, welchen auch Du zu tragen bestimmt bist; ich verzeihe Dir doppelt gern, weil ich aus Deinem Munde vernommen habe, was mir auch Andere bereits versicherten, daß Du in üble Hände gerathen und gewissermaßen wider Deinen ursprünglichen Willen in den Strudel mit hineingerissen worden bist. Ich beiläge Dich innig und tief, ich beklage Dich, nächst Johanna, am meisten; aber Du bist ein Mann und wirft Dein Loos männlich zu ertragen wissen, und wohin das Geschick Dich verschlagen mag, und welche Wechselfalle des Lebens Dich treffen, erinnere Dich zuweilen Deines alten Vormundes und daß ich, wenn Dir [] etwas daran gelegen ist, noch in meiner letzten Stunde Dir meinen Segen, über Länder und Meere fort, zusenden werde.«

»So, mein Sohn, ich bin zu Ende; was ich Dir zu sagen wünschte, das habe ich Dir mitgetheilt; nun erzähle auch Du mir offen und ehrlich Deine Erlebnisse, und dann wollen wir von einander scheiden, – aber trinke, – trinke einmal, Du siehst so bleich ans, Du dauerst mich, trinke ein halbes Gläschen, mein Kind.«

Dem alten Mann zu Liebe führte ich das Glas an die Lippen, aber zu trinken vermochte ich nicht. Ich vergegenwärtigte mir Johanna, die, mir wenig Schritte von mir entfernt, vielleicht vergeblich den Schlummer herbeisehnte.

Nachdem ich sodann einen Blick auf Anton geworfen, der sich in der Nähe des mäßig geheizten Ofens niedergekauert hatte und eingeschlafen war, begann ich meinen Bericht. Ich schilderte nicht nur meinen Aufenthalt in Frankfurt, meine Flucht und meine Reise von dorther bis zur Oberförsterei, sondern auch Alles, was nur im Entferntesten in Beziehung zu Johanna oder mir gebracht werden konnte. Ich erwähnte unseres Zusammentreffens mit Bernhard bei dem Gesundbrunnen und der daselbst gewechselten Worte; dann Bernhard's ersten Besuchs bei mir und seiner Beredsamkeit, die damals mein ganzes Innerstes in wilde enthusiastische Flammen setzte. Ebenso gedachte ich Fräulein Brüsselbach's und ihrer Warnung, die sie auf dem Berge bei Rolandseck an mich ergehen ließ, woraus ich den Schluß zog, daß kurz vor mir Bernhard mit dem vorgeblichen Onkel an derselben Stelle gewesen und vielleicht von der Irrsinnigen belauscht worden sei. Des wilden Andres feindliche Gefühle gegen mich, und die Beweise dafür beschrieb ich, wie sie es verdienten, und vor allen Dingen vergaß ich nicht, die verdächtige Freundschaft zwischen Bernhard und Anton's Bruder hervorzuheben und die Unterredung zwischen denselben, welche ich am vorhergehenden Abend theilweise erlauscht hatte, zu wiederholen. Ueberhaupt ging ich mit größter Ueberlegung zu Werke, und wo es mir irgend von Wichtigkeit erschien, berichtete ich so ausführlich wie möglich. Ich hegte dabei die Absicht, meinem Vormunde, ohne offen als Kläger gegen Bernhard aufzutreten, ein so klares Bild von dem gegen uns gesponnenen Verrath zu verschaffen, wie es mir selbst vorschwebte.

Und es gelang mir; ich durfte es wenigstens aus den grimmigen Blicken entnehmen, mit denen er bald mich, bald Anton, bald die unangerührten vollen Gläser vor uns auf dem Tisch anstarrte, und aus der rücksichtslosen Heftigkeit, mit welcher er abwechselnd seine Augenklappe verschob und seinen ehrwürdigen Schnurrbart drehte, Heine Bewegung hier mit einem tiefen schmerzlichen Seufzer, dort mit einem langen rollenden Fluch begleitend. Und als ich dann geendigt, da richtete er sein unter der buschigen Braue fast verschwindendes Auge auf mich, als ob er mich mit demselben habe durchbohren wollen.

»Junge, merkst Du, was aus der ganzen Geschichte hervorgeht?« fragte er und zugleich legte er seine zitternde Hand auf meinen Arm, »wenn Du's nicht merkst, so will ich Dir's sagen, obwohl Du, [] als Gelehrter und obenein als Jurist, es längst errathen haben müßtest. Die Sünden der Eltern sind an meiner armen Johanna heimgesucht worden, und zwar auf Anstiften desjenigen, der einst von meinem seligen Bruder die wohlverdiente körperliche Züchtigung erhielt. Ja, mein Sohn, der Gefährte Bernhard's ist Niemand anders, als jener verfluchte Pfaffe, der einst das Familienglück meines Bruders grausam zerstörte, um, wie sich die Leute ausdrücken, die Seele des Kindes dem Teufel zu entreißen! Nur er, der jene unglücklichen Verhältnisse, nächst mir, am genausten kannte, war im Stande, vor Johanna die traurige Vergangenheit zu enthüllen oder durch den Herrn Bernhard enthüllen zu lassen und ihr Gemüth durch die frevelhafte Vorspiegelung: daß nur die katholische Religion ihr Gelegenheit biete, ihre Eltern aus dem Fegefeuer zu retten, unheilbar zu zerrütten! Hahaha! ein schöner Sendbote Gottes! Wie er und seine Helfershelfer den Charakter des armen Kindes studirt haben müssen, um einen so sichern und unfehlbaren Streich nach demselben zu führen! Und wie schlau haben sie es verstanden, Dich aus dem Wege zu räumen! Ha, sie fürchteten sich vor Dir, vor mir nicht, denn sie wußten, daß ich meiner guten Lisette gern zu Gefallen lebe und lieber ein Auge zudrücke, als mich in religiöse Scharmützel einlasse. Hahaha! sehr schlau, sehr überlegt haben sie es angefangen, und das Ziel, welches sie im Auge hatten, es ist erreicht, glanzvoll erreicht! Und doch, was ist es im Grunde, was sie zu so beträchtlichen Opfern an Zeit und Geld veranlaßte? Was ist es, Junge, frage ich Dich?« rief der Oberstlieutenant auf dem Gipfel seiner Wuth aus, indem er mich heftig schüttelte; »der Wunsch, sich an den Verstorbenen in ihren Nachkommen zu rächen, ist es nicht allein,« beantwortete er schnell seine eigene Frage, »nein, nicht allein die Rache, sondern ihr fluchwürdiger fanatischer Eifer, durch solche schlagende Beispiele aus das verdummte Volk einzuwirken! Hahaha! ich höre sie schon, wie sie hingehen und mit triumphirender Miene verkünden, daß es ihnen, mit Hülfe eines ganzen Armeekorps von Heiligen und nach schweren Kämpfen mit dem Satan, endlich gelungen ist, diesem ein Opfer, welches er schon sicher in seinen mörderischen Krallen zu halten meinte, zu entwinden! Als ob Johanna, das unschuldige, sanfte Wesen überhaupt schon eine Sünde begangen hätte! Aber achte nur darauf, sie werden dem Volke beweisen, daß die Krankheit meiner Nichte ein Werk des Teufels gewesen, weil ihre Eltern sie nicht haben katholisch taufen lassen! O, Fluch, tausendfacher Fluch über diejenigen schwarzröckigen Schurken, gleichviel, welcher Confession sie angehören, die sich mit scheinheiliger Miene in das engere Familienleben einschleichen, um das irdische Glück in demselben zu tödten, und die sich anmaßen, nach Willkür über das Wohl und Wehe, den Glauben und die ganze Zukunft der einzelnen Mitglieder ihre Bestimmungen treffen zu dürfen!«

Bei diesen Worten sprang der erbitterte alte Krieger so geräuschvoll empor, daß Anton erwachte, worauf er mit langen festen Schritten in der Stube auf und abzugehen begann.

So hatte ich ihn noch nie gesehen; sein Auge [] glühte unheimlich, seine Brust hob und senkte sich unter den übereinandergeschlagenen Armen, als ob er von Krämpfen befallen sei, während sein sonst farbloses Gesicht sich hoch röthete.

Nachdem er das Gemach einige Male durchmessen, blieb er plötzlich vor mir stehen. »Den Andres schieße ich todt, so wie er sich in dem Forst betreffen läßt,« sagte er mit einer Ruhe, welche nichts Gutes zu verkünden schien, und dann setzte er seinen Gang wieder fort, ohne zu beachten, daß Anton, von Todesangst ergriffen, zuerst ihm und dann mir einen flehenden Blick zusandte.

»Und die Pfaffen Hetze ich bei ihrem nächsten Besuch mit den Hunden vom Hofe,« fuhr er fort, abermals vor mir stehen bleibend.

»Aber Johanna, die sich so sehr an Bernhard's Besuche gewöhnt hat, würde sein plötzliches Fortbleiben keine nachtheiligen Folgen für sie haben können?« fragte ich besorgt.

»Das ist Alles wahr genug,« entgegnete der Oberstlieutenant, »aber wie soll ich es machen, um das Gesindel los zu werden?«

»Wenn man Johanna vielleicht Ersatz böte?«

»Ersatz ist leicht gesagt, mein Sohn, aber wo gäbe es Ersatz für sie, die von irdischen Dingen nichts mehr hören oder sehen will?«

»Man hat doch vielfach erlebt, daß ein Gemüth, welches durch eine heftige Aufregung gebrochen und verwirrt wurde, durch eine ähnliche, aber aus entgegengesetzten Ursachen entspringende Bewegung Heilung fand; was meinen Sie, wenn ich urplötzlich vor Johanna hinträte? Vergessen hat sie mich nicht, dafür sind mir gestern Abend die schlagendsten Beweise geworden, und es ist fast mit Sicherheit vorauszusehen, daß mein Erscheinen nicht ohne entscheidenden Einfluß auf ihren Geist bleiben wird.«

»Zu spät, mein Sohn, zu spät,« antwortete mein Vormund schmerzlich bewegt, denn es war ihm nicht entgangen, daß, während ich ruhig sprach, der namenloseste Schmerz meine Brust zerriß; »sei auf das Schlimmste gefaßt, mein Kind, Johanna's Leben zählt nur noch nach Tagen, obwohl ich zugebe, daß Dein plötzliches Erscheinen ihren Geist möglicher Weise beruhigen kann. Und dann denke auch an Dich; Feinde von Dir lauern ringsum, jede weitere Stunde Deines Verweilens in dieser Gegend, vergrößert die Gefahr, welche Dir droht.«

»Erreichte ich auch weiter nichts, als daß Johanna ihre letzten Lebenstage in stillem Frieden verbrächte und nicht mehr heimgesucht von den sie marternden Priestern – weiter nichts, als daß sich noch einmal ihr liebevolles Lächeln, zum Andenken für's ganze Leben, in meine Seele eingrübe, ich wollte diesen Erfolg ja so gern, so unbeschreiblich gern mit meiner Freiheit bezahlen. Was bleibt mir noch, wenn Johanna von uns scheidet? was bleibt mir, das meinem Leben auch nur noch den geringsten Reiz zu verleihen vermöchte?«

Wiederum durchmaß mein Vormund das Gemach mit festen Schritten, worauf er sich nach einer Weile mir wieder zuwendete.

»Gustav, Du kannst recht haben,« hob er an, »für Dich, für mich, für uns Alle wäre es eine Wohlthat, für Johanna selbst aber am meisten, erfreute [] sie sich vor ihrem Eure noch einiger lichten Tage. Sie soll Dich sehen, aber ich muß mir die Sache überlegen; es muß so geschehen, daß nicht, während Du Dich bei dem armen Kinde befindest, die Pfaffen hingegen und Dich verrathen. Laß mich daher allein; kehre in Dein Versteck zurück, wo Du am sichersten aufgehoben bist, und sende jeden Abend, sobald es dunkel geworden, den Anton zum Rapport. Nimm Dir auch noch diese Decken mit, denn die Nächte sind kalt, und dann dies Körbchen mit Wein und Speisen, ich habe Alles eigenhändig ans Speisekammer und Küche stehlen missen, um nicht mit Fragen belästigt zu werden. Nun gehe mein Kind, hoffe das Beste und sei vorsichtig. Deine Gefangennahme wäre ein Nagel mehr zu meinem Sarge, also auf Wiedersehen.«

So sprechend, begleitete er mich bis an die Hausthür; zu antworten vermochte ich nicht, nur die Hand drückte ich meinem alten theuern Wohlthäter, er aber wußte, was ich damit sagen wollte.

Wir waren schon längst vom Hofe herunter und dicht vor der ersten Biegung der Landstraße angekommen, da erkannte ich, rückwärts schauend, in der geöffneten Thür vor dem schwachen Lichtschimmer, der aus der Stube auf die Hausflur fiel, noch immer die hohe regungslose Gestalt meines Vormundes.

Sechzehntes Capitel.
Das Wiedersehen.

Am zweiten Abend nach meiner Zusammenkunft mit dem Oberstlieutenant brachte Anton mir die Nachricht, daß derselbe mich in kürzester Frist erwarte.

Die entscheidende Stunde war also da; ich sollte Johanna sehen und sprechen, um zugleich auf ewig Abschied von ihr zu nehmen.

Obgleich ich für meine Person aus das Wiedersehen vorbereitet war, obgleich eine schmerzliche Freude mich erfüllte, noch ein Mal Johanna's süße Stimme hören, noch ein Mal ihr für ihre unerschütterliche Liebe und Treue danken zu dürfen, schwebte ich doch in einer angstvollen Spannung, wie derjenige sie wohl empfinden mag, der auf seinem letzten Gange der nächsten Zukunft gedenkt?

»Wie wild das enden? Wird sie mich wiedererkennen?« fragte ich mich mit innerem Beben, und als Antwort darauf fühlte ich nur ein stärkeres, ängstlicheres Klopfen meines Heizens. Erst als ich mich wieder bei meinem Vormunde in der Stube befand und die ernste, feierliche Entschlossenheit in seinen Zügen gewahrte, gewann ich neue Fassung und die überlegende Ruhe, welche zu dem gewagten Schritt unumgänglich nothwendig war.

Keines Wortes mächtig reichte ich dem Oberstlieutenant die Hand.

»Es hat sich eher gemacht, wie ich glaubte,« sagte er, wie ein Vater mich umarmend; »Dein Versteck muß gut sein, denn selbst der argwöhnische Andres glaubt Dich fern, oder er würde die ihm von den Pfaffen gebotene Wachsamkeit nicht eingestellt haben. Ja, es hat sich schnell genug gemacht. Meine Lisette ist eben zur Abendmesse gefahren, das Hausgesinde habe ich ihr nachgeschickt, und außer mir befindet sich nur noch Johanna's Wärterin im Hause. [] Niemand ahnt unser Vorhaben, die beiden Priester sind in gewohnter Weise hier gewesen und sogar von mir im Vorbeigehen begrüßt worden, und wenn ich nicht irre, gedenken sie nach der Messe noch einmal hier vorzusprechen. Sie sind nicht blind dafür, daß meiner armen guten Johanna Auflösung in jeder Stunde erfolgen kann. Nun, nun, fasse Dich mein Junge, sei ein Mann,« fügte er mit bebender Stimme hinzu, als er gewahrte, daß ich erbleichte, »Du mußt Dich in's Unvermeidliche fügen, und dann bedenke, die Pfaffen haben, so Gott will, mein Haus zum letzten Mal betreten.«

Sobald er dann Anton angewiesen, wieder seinen alten Platz am Ofen einzunehmen, mir aber behilflich gewesen war, mein Aussehen durch einige von mir auf der Oberförsterei zurückgelassene Kleidungsstücke meiner früheren Erscheinung möglichst ähnlich zu machen, begab er sich in Johanna's Gemach, um die Wärterin zu entfernen. Nach einigen Minuten kehrte er zurück, und mich am Arm ergreifend, zog er mich schweigend mit sich fort.

Nachdem wir die beiden anstoßenden Gemäßer durchschritten hatten, gelangten wir auf einen schmalen, nach der Küche führenden Gang, den eine kleine Lampe matt erhellte.

»Hier ist sie,« sagte der Oberstlieutenant, auf eine geschlossene Thür weisend, »warte, bis ich Dich rufe, und fasse allen Muth zusammen, der Dir zu Gebote steht, Du wirst ihn gebrauchen.«

Gleich darauf trat er ein, die Thür nur anlehnend, so daß ich jedes in dem Gemach gewechselte Wort deutlich verstehen konnte. –

»Bringst Du mir den versprochenen Trost?« fragte Johanna ihren näher tretenden Onkel mit matter Stimme.

»Er wartet vor der Thür auf Dich,« entgegnete der Oberstlieutenant, »ich wollte Dich nur fragen, meine liebe Tochter, ob Du sonst noch Wünsche hat, damit ich Euch nachher nicht zu stören brauche.«

»Onkel, theuerster Onkel, wenn Du doch den göttlichen Lehren Dein Ohr nicht verschließen wolltest,« versetzte Johanna unbeschreiblich traurig, »hast Du nur einmal mit mir vereinigt gebetet, so wird Dein Herz sich erweichen. Du wirst Deine Irrthümer einsehen –«

»Schon gut, schon gut mein Kind, ich will mit Dir beten,« unterbrach sie der Oberstlieutenant, »mit Dir und mit dem, der vor der Thür auf die Erlaubniß zum Eintreten harrt, will ich gern beten.«

»O, Gott, wie gut Du bist,« rief Johanna inbrünstig aus, »Du hast es mir vergönnt, meinen theuren Onkel bekehren zu dürfen; o, lasse doch auch Deine Güte und, Gnade über meinen armen verlassenen Gustav walten!«

»Auch Dein Gustav soll mit Dir beten,« versetzte der Oberstlieutenant tief ergriffen. »Gustav Wandel? mein armer verlassener Gustav?« fragte Johanna, und ihr Athem schien zu stocken.

Der Oberstlieutenant antwortete nicht mehr, er war bereits aus der Thür getreten, und im nächsten Augenblick kniete ich vor Johanna, von meinen Gefühlen überwältigt mein Gesicht auf ihren Knieen verbergend. –

[] Todtenstille umgab uns; ich wagte nicht, aufzuschauen, weil ich das Schrecklichste befürchtete. Da fiel etwas neben mir auf die Erde, es war das Crucifix, und gleichzeitig fühlte ich, daß zwei zarte Hände schmeichelnd, wie sie so oft gethan, sich auf mein Haupt legten.

»Armer, armer Gustav, sogar Deine schönen Locken haben sie Dir geraubt,« hauchte sie über mich hin, indem sie sich mühsam zu mir niederneigte und einen Kuß auf meine Stirne drückte.

O, es war ein Augenblick, so unendlich süß, und auch doch wieder so namenlos bitter, daß ich glaubte, vor Schmerz und Wehmuth vergehen zu müssen.

Zögernd schaute ich endlich empor; Johanna blickte mir in die Augen, worauf sie ihre Hände zurückzog und mit denselben, wie um eine Vision zu verscheuchen, nach beiden Seiten über ihre fast durchsichtigen, blaugeaderten Schläfen strich.

»Gustav, bist Du es wirklich?« rief sie dann laut aus, »bist Du es wirklich, Du mein einziger, mein eigener Gustav?«

»Johanna, ich bin gekommen, um mit Dir zu leben und zu sterben!« sagte ich leise, noch immer knieend und meine Arme um ihre hinfällige Gestalt schlingend.

Da entstürzten Thränen ihren milden blauen Augen, ihre Arme legten sich um meine Schultern, und ihr Haupt sanft auf das meinige stützend, schluchzte sie heftig.

»Gustav, Du beiß und ewig Geliebter,« flüsterte sie mit tiefinnigem Ausdruck, »ach, wie habe ich gelitten; nun aber ist Alles gut; ich bin krank gewesen, ich bin es noch, aber tröste Dich mein guter Gustav, ich werde genesen und Du wirst nicht wieder von mir gehen, oder ich begleite Dich bis an der Welt Ende. O, Welch schreckliche Dinge haben sie mir erzählt, oder habe ich es geträumt? Ja, geträumt, – so gräßlich, – daß es alle Beschreibung übersteigt. Ich sah Männer mit schwarzen Augen und entsetzlichen Blicken, Du weißt ja, den Herrn Bernhard am Gesundbrunnen; und sie hatten eine eiserne Kette um meine Brust gelegt, und wenn sie sprachen, dann zog sich die Kette, mir namenlose Schmerzen bereitend, immer enger zusammen. Auch von Dir habe ich geträumt, von Dir, meinem Gustav; ich wußte, wo Du warst, wußte, daß Du Deine arme Johanna noch immer treu und aufrichtig liebtest, aber ich fürchtete mich, von Dir zu sprechen, mir war, als ob bei der Erwähnung Deines Namens, die sengenden Augen mich ins Herz getroffen hätten. Doch ich bin kindisch, ich vergesse, daß Alles nur ein Traum, ein krankhafter Zustand gewesen,« fügte sie unter Thränen lächelnd hinzu.

»Johanna, meine arme Johanna, schone Dich,« stotterte ich in meiner Besorgniß, ohne eigentlich zu wissen, was ich sagte, denn der Tod hatte den holden bleichen Zügen und den eingefallenen zarten Wangen sein Zeichen so deutlich aufgedrückt, daß mich bei ihrem Anblick eine schwer zu bemeisternde wilde Verzweiflung ergriff.

»Ich mich schonen, Geliebter?« fragte sie lächelnd, »jetzt brauche ich mich nicht mehr zu schonen. Bis vor wenigen Minuten noch wurde mir das Athmen schwer, aber jetzt, höre doch, wie laut und kräftig ich[] spreche, meine Brust ist frei, mit Wollust trinke ich die Luft ein, der Bann, der meine Brust so schmerzhaft einzwängte, ist gebrochen und ich werde mich bald, sehr bald wieder erholen. – Lieber, lieber Gustav, Du bist wein bester Arzt gewesen, ich fühle es, denn seit Deinem Eintritt befinde ich mich so Wohl, ach so wohl. O, mein Gott, niemals hatte ich geglaubt, daß mir des Lebens Freuden noch einmal lächeln würden!« rief sie entzückt aus, und dann mich zu sich emporziehend und krampfhaft umarmend, weinte sie lange an meiner Brust.

Auch ich weinte so bitterlich, wie ich es seit meiner Kindheit nicht gethan, doch während mir ein tiefer Seelenschmerz die Brust zusammenschnürte waren es Freudenthränen, die unaufhaltsam über Johanna's zarte Wangen rannen.

Nach einer Weile richtete sie sich wieder empor, und sich zurücklehnend, betrachtete sie mich lange sinnend.

»Bist Du es denn wirklich, mein einziger, mein eigener Gustav?« fragte sie, wie zu sich selbst sprechend, »ja, das sind Deine lieben treuen Augen, Deine hohe kluge Stirn; aber nicht so traurig darfst Du blicken, denn die Spuren, welche die schwere Kerkerhaft Dir aufgerrückt hat, werden unter meiner Pflege bald, sehr bald schwinden, und vor Allem der schmerzliche Zug um Deinen Mund. O, laß mich nur etwas gekräftigt sein, denn vorläufig bedarf ich ja selbst noch einiger Pflege,« fügte sie mit einem holden Lächeln hinzu, mit einem Lächeln, so süß, so innig und glücklich, wie damals, als sie nur erst des Lebens schönste Seite kennen gelernt hatte, mit einem Lächeln, so rührend und hoffnungsvoll, daß es mir in die Seele schnitt und mir vor unbeschreiblichem Weh auf's Neue unbewußt Thränen in die Augen drangen.

»Arme, schwer geprüfte Johanna!« sagte ich halblaut, ihre schmalen Hände mit heißen Küssen bedeckend.

In demselben Augenblick bemerkte sie den Oberstlieutenant, der leise in die Stube getreten war und mit schlaft niederhängenden Armen und gefalteten Händen, ein wahres Bild des Grames zu uns herüberschaute.

»Da ist der gute Onkel,« sagte sie freudig erregt, dem alten Herrn die Hand entgegenreichend. »Lieber theurer Onkel, Du und die Tante, Ihr seid so besorgt um mich gewesen,« fuhr sie in der ihr eigenthümlichen herzgewinnenden Weise fort, »so besorgt, daß ich es Euch nie genug danken kann.«

»Schone Dich, mein Herzchen, schone Dich und strenge Dich nicht zu sehr an, sprich nicht so viel,« entgegnete mein Vormund, mir heimlich einen bezeichnenden Blick zusendend.

»Latz mich doch sprechen; seit meine Brust freier ist und ich es, ohne Schmerz zu empfinden, thun kann, fühle ich die Neigung, immerwährend zu erzählen – nur müde bin ich noch; eine halbe Stunde möchte ich so recht ruhig und ungestört schlafen – an Deiner Brust ruhen, Gustav, setze Dich zu mir – und Onkel, gieb Du mir Deine Hand,« sagte sie plötzlich leise, fast flüsternd, und zugleich wich die letzte Spur von Röthe aus ihren Wangen.

Schnell holte ich einen Stuhl herbei, und als ich mich neben sie niederließ, lehnte sie mit einem glückseligen Lächeln ihr theures Haupt an meine Brust.

[] Ich schloß sie in meine Arme, der Oberstlieutenant, der vor ihr auf einem Schemel saß, hielt ihre Hand, und angstvoll hafteten unserer Beider Blicke an den lieben treuen Augen, die sich geschlossen hatten.

Nach einigen Minuten hoben sich ihre Lider mit den langen seidenen Wimpern noch einmal zur Hälfte empor, »nur eine halbe Stunde,« flüsterte sie, ihr schönes Lockenhaupt fester an meine Brust lehnend, »weckt mich nicht, ich bin so müde und Gustav – an Deinem Herzen ruht es sich so schön – so schön – so süß, daß ich ewig so schlafen möchte.«

Ihre Augen schlossen sich wieder; eine heiße Thräne rollte mir über die Wange und fiel ihr gerade auf die Stirn.

Johanna lächelte, wie im Schlaf; ihr Athem wurde leisen und leiser, bis ich ihn zuletzt nicht mehr hörte; das süße Lächeln thronte aber noch immer auf dem engel-schönen, bleichen Antlitz.

Minuten verrannen; die Lampe brannte trüber, ihr matter Schein spiegelte sich in einem Thautropfen, der an der äußersten Spitze von meines Vormundes Schnurrbart zitterte; ich sah es, als ich, nach Fassung ringend, ihn fragend und Trost von ihm erhoffend anschaute.

Ein kaum bemerkbares Neben erschütterte die zarte Gestalt in meinen Armen; ihr Haupt sank noch schwerer und tiefer auf meine Brust hinab, ihre Arme erschlafften und die zarten Finger, die in meiner und meines Vormundes Händen ruhten, verloren die letzte Probe von Spannkraft.

»Um Gottes willen, sie stirbt,« flüsterte ich, von grenzenloser Verzweiflung ergriffen, dem Oberstlieutenant zu.

»Mein Sohn,« antwortete dieser hohl und dabei doch mit eigenthümlicher Entschiedenheit, »ich kenne solche Zeichen, ermanne Dich und gedenke Deiner armen Johanna hinfort als eines dieser Welt entrückten Engels.« –

Ich wollte, ich konnte die schreckliche Kunde nicht glauben. Trotzdem ich auf das Schlimmste vorbereitet war, hielt ich es doch nicht für möglich, daß die guten, aufrichtigen Augen sich nicht mehr öffnen sollten, ihr treues Herz zu schlagen aufgehört habe. Schmückte doch noch immer das selig? Lächeln ihr marmor-bleiches Antlitz, das Lächeln, welches ihr meine Thräne entlockt und der Tod dann festgebannt hatte. Sogar als ich, der Aufforderung des Oberstlieutenants taumelnd Folge leistend, mit ihm die theure Torte nach ihrem seit Wochen nicht mehr berührten Lager hintrug, bezweifelte ich noch immer, daß sie wirtlich ihrem letzten Schlummer in die Arme gesunken sei.

Wie ich sie dann aber vor mir sah, so still, so bleich und dabei doch so himmlisch-schön, wie der lächelnde Zug sich gar nicht mehr verändern wollte und ihre lieben Hände regungslos so liegen blieben, wie wir sie hinlegten, da erst brach mein verhaltener Jammer über den unersetzlichen Verlust, den ich erlitten hatte, sich Bahn.

»Johanna!« rief ich, von namenloser Verzweiflung ergriffen, aus; »Johanna!« rief ich noch lauter, und mit unwiderstehlicher Gewalt zog es mich auf die Kniee nieder und mein Kopf sank auf die erkaltende Hand der geliebten Todten.

[] Doch Johanna hörte nicht mehr, sie fühlte nicht die Thränen, die sie benetzten. –

Düsterer brannte die Lampe, der Oberstlieutenant durchmaß das Gemach mit so festen Schritten, daß sie unheimlich widerhallten, ich aber betete inbrünstig zu Gott, daß er mich, Angesichts meines vernichteten irdischen Glückes, ebenfalls zu sich nehmen möge. – Längere Zeit verstrich; schwach kämpfte die Lampe um ihr Leben und laut dröhnten die festen Schritte auf dem Fußboden.

Plötzlich verstummte das Geräusch dicht hinter mir und des Oberstlieutenants Hand legte sich auf meine Schulter. Der alte Krieger mit seiner eisernen Natur war, nachdem der längst befürchtete und im Voraus beklagte Fall eingetreten, nieder vollständig Herr seiner selbst geworden, ohne indessen mit einem andern Gefühl, als dem der innigsten Theilnahme auf die Ausbrüche meines wilden Schmerzes niederzublicken.

»Mein Sohn, ich habe Dir Zeit gelassen, sie zu beweinen, jetzt aber ist es Zeit, auch an Dich selber zu denken,« sagte er mit seiner gewöhnlichen, rauhen, nur etwas heiserer klingenden Stimme.

Ich gab keine Antwort, ich war mir nicht einmal bewußt, daß er nur zu mir gesprochen haben könne.

Gleich darauf erschallte wieder das gemessene Geräusch, mit welchem der alte Herr hinter mir auf und ab wandelte.

Nach Verlauf einer weiteren Viertelstunde richtete er abermals die Aufforderung an mich, an meine Sicherheit zu denken.

Doch was galt mir jetzt noch meine Sicherheit? Was kümmerte es mich, daß die Hascher vielleicht auf meiner Spur waren? Ich hatte mit Allem abgeschlössen, denn meine Johanna war ja todt.

Der Oberstlieutenant, das Vergebliche seiner Bemühungen einsehend, setzte seinen Gang wieder fort. Er öffnete das Fenster und lauschte in die Nacht hinaus; er begab sich an die Hausthür und lehrte zurück; ich dagegen kniete noch immer vor meiner armen geopferten Johanna.

Abermals hatte ei sich an die Hausthür begeben, als er nach längerem Lauschen plötzlich mit hastigen Bewegungen in das Sterbegemach stürbe.

»Wenn auch nicht Deinetwegen, so muß Du Dich wenigstens um meinetwillen ermannen!« rief er mit gepreßter Stimme aus, indem er mich mit kräftigem Griff emporzog. »Ich höre den Wagen, der mir meine Lisette bringt, fort also, keine Minute ist zu verlieren, oder Dein alter Vormund hat auch noch den Kummer, sich Deiner nur als eines in Fesseln schmachtenden Verbrechers erinnern zu dürfen!«

Mechanisch und schwankend folgte ich ihm bis in die Mitte des Gemaches nach; dann aber riß ich mich wieder los, und noch einmal vor Johanna hintretend, legte ich, von unsäglicher Qual gefoltert, meine Hand auf ihre weiße Stirn.

»Schlafe wohl, mein guter Engel, meine Johanna,« seufzte ich aus gebrochenem Herzen, »schlafe wohl und verzeihe mir den Kummer, den Du um meinetwillen erduldet.«

Einen innigen Kuß drückte ich auf ihre bleichen, erkaltenden Lippen, ein letzter Blick traf das stille,[] selbst im Tode noch freundliche Antlitz, und dann trat ich an die Seite meines Vormundes.

»Ich bin bereit,« sagte ich ruhig, indem wir uns schnell auf den Hof begaben, wo Anton meiner harrte, »ich habe jetzt nur noch Ihre letzten Anordnungen und Rathschläge entgegen zu nehmen.«

»Mein Segen begleite Dich auf allen Deinen Wegen,« sagte der Oberstlieutenant, mich umarmend, »mein Rath und meine Wünsche sind, daß Du so schnell als möglich diese Gegend verlässest. Schreibe mir, sobald Du in Sicherheit bist, und vergiß nicht, mir die Adresse anzugeben, unter welcher ich Dir umgehend antworten kann. Fort, Junge, fort, sie kommen, Gott segne Dich und erhalte Dich auf den Pfaden der Ehre. Johanna ist in Deinen Armen gestorben, die größte Gnade, welche Dir unter den obwaltenden, traurigen Verhältnissen zu Theil werden konnte, vergiß das nie und nun fort!«

Ich küßte meinem alten, väterlichen Freunde inbrünstig die Hand, und fast in demselben Augenblick, in welchem der Wagen nach dem Hofe hinaufbog, verschwand ich auf der entgegengesetzten Seite der Landstraße mit Anton im Walde. Der treue Bursche hatte sich auf den Rath des Oberstlieutenants mit meinen zurückgelassenen Kleidungsstücken beladen, um dadurch jeglicher Möglichkeit einer Entdeckung vorzubeugen. –

Wie wir an jenem Abend in unser Versteck zurückgelangten, weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur, daß ich auf meinem dürftigen Lager zu dem Bewußtsein einer grenzenlosen Vereinsamung und Verlassenheit erwachte.

Mein Vormund hatte mir so dringend angerathen, zu fliehen, ich hatte es auch ernstlich versprochen, allein die Ausführung dieses Versprechens schien mir noch in weiter Ferne zu liegen. Wie mit unzerreißbaren Banden hielt es mich an die Oberförsterei gefesselt, an das Haus, in welchem mir einst des Lebens schönstes Glück erblühte, um nach kurzer Frist zu Grade getragen zu werden. –

Die Nacht wich dem Tage, die niedrig stehende Sonne beschrieb ihren weiten Bogen von Osten nach Westen, und noch immer dachte ich nicht an meinen Aufbruch.

Wohl bat mich Anton mit thränenfeuchten Augen, dem Rathe meines Vormundes zu folgen; wohl sprach er von der Verrätherei und der List seines Bruders, wohl wies er darauf hin, daß er sich endlich einmal nach seinem Jakob umsehen müsse, doch gelang es mir leicht, die Bedenken des armen Schelms zu beschwichtigen. Ich rühmte die Sicherheit und Verborgenheit seines Schlosses, und zu der Freude, welche er hierüber empfand, gesellte sich noch der Umstand, daß er mich über Alles liebte und jetzt, nachdem sein Schutzengel auf der Oberförsterei die freundlichen Augen auf ewig geschlossen, nur noch mit Angst und Schrecken an die bevorstehende, unumgänglich nothwendige Trennung dachte.

Daß seine lange Abwesenheit bei den Seinigen Mißtrauen erwecken müsse, begriff ich sehr Wohl, ebenso, daß mit jedem Tage die Sehnsucht nach seinem Raben wuchs, und so rieth ich ihm denn, sich noch an demselben Abend nach der Hütte seiner Mutter zu begeben, dort einige Erkundigungen einzuziehen [] und dann bei der ersten günstigen Gelegenheit zu mir zurückzukehren.

Er that, wie ich ihm rieth, doch bereits in der Mitte des folgenden Tages traf er wieder bei mir ein. Die Gelegenheit, das elterliche Obdach ohne Aufsehen zu verlassen, hatte sich nur zu schnell geboten. Trotzdem er seinem Bruder eine Anzahl, vorgeblich auf der Landstraße erbettelter, kleiner Münzen einhändigte, war er von diesem ungewöhnlich hart mißhandelt worden. Die Mißhandlungen hätte er wohl ertragen, als derselbe aber drohte, seinem Jakob den Hals umzudrehen, hatte er den Raben an sich genommen und den günstigen Augenblick erspähend, war er davongelaufen.

Der Vogel, der seine Zunge nicht zu zügeln verstand, war allerdings ein gefährlicher Gast für mich; um Alles in der Welt aber hätte ich es nicht vermocht, des braven, treuherzigen Burschen einzige Freude aus meiner Nähe zu bannen, um so mehr, da wählend meines Aufenthaltes in der Höhle kein fremder Mensch die abgelegene Schlucht betreten hatte, und Anton, die mir drohende Gefahr nicht unterschätzend, bereitwilligst seinen vorwitzigen Jakob mittelst einer an seinem Fuße befestigten Schnur im Hintergrunde der Höhle gefangen hielt.

Entdeckungen, die vielleicht in Beziehung zu meiner Lage zu bringen gewesen wären, hatte er nicht gemacht. Nur einmal war er von seinem Bruder gefragt worden, ob er mich gesehen habe, und als er dies verneinte, hatte jener die Bemerkung hingeworfen, daß der Oberstlieutenant schwerlich ohne fremde Hülfe das todte Fräulein von dem Stuhl auf das Bett getragen haben könne.

Anton fand in dieser Aeußerung nichts Verdächtiges, ich dagegen errieth sogleich, daß jener Umstand jedenfalls zwischen Bernhard und dem wilden Andres zur Sprache gekommen. Und noch mehr, es schien mir daraus hervorzugehen, daß die beiden Geistlichen kaum noch die zuvorkommende Aufnahme im Hause meines Vormundes gefunden, wie Bernhard vielleicht gewohnt gewesen, und daher in dem Verdacht bestärkt wurden, daß ich in der Nähe weilen müsse.

Auch die Stunde, in welcher die Beerdigung in dem nächsten Kirchdorf stattfinden sollte, hatte Anton sich gemerkt, und von ganzem Herzen billigte ich seinen Entschluß, derselben beiwohnen und mir demnächst einen Bericht, so gut es eben in seinen Kräften stand, über die Feierlichkeit abstatten zu wollen.

Wie gern, wie unendlich gern hätte ich meiner armen Johanna das letzte Geleite gegeben, wie gern zusammen mit meinem erkalteten Herzen auch noch einige Spätblumen zu ihr in's Grab gelegt; doch ich war ein Geächteter, der den Anblick anderer Menschen fliehen mußte. Aber Anton gab ich ein Sträußchen Blumen und grüne Farrenkräuter mit, das Einzige, was in dem Bereich meines Verstecks zwischen dem Gestein aufzufinden war, und ertheilte ihm den Auftrag, das Sträußchen auf den Sarg zu legen und die liebe, theure Todte von mir zu grüßen, aber leise, ganz leise, so daß seine Worte nicht von den Umstehenden vernommen weiden könnten.

Anton versprach, meinen Auftrag auszuführen, und seine trüben Augen schauten mich dabei so treuherzig, so theilnahmvoll und aufrichtig an, daß ich [] unwillkürlich einen Vergleich anstellte zwischen dem armen, von aller Well verlassenen und verachteten Krüppel und Denjenigen, die mit kalter Berechnung das irdische Glück einer Familie zerstörten, um ihren selbstsüchtigen, verächtlichen Zwecken zu genügen, und sich dabei stolz die Träger und Verbreiter des göttlichen Wortes und der göttlichen Lehre nannten.

Als Anton dann gegangen war, ich mir und meinen traurigen Betrachtungen allein überlassen blieb und der eigentlichen Urheber meines Unglücks gedachte und des unschuldigen Opfers, welches ihren finstern, fluchwürdigen Plänen gefallen war, o, wie sich da mein Herz zusammenschnürte. Ich war kein Mensch mehr, der milderen Gefühlen zugänglich; nein, eine wilde Wuth, ein unersättlicher Durst nach Rache erfüllte mich, und indem sich meine Zähne knirschend aufeinander rieben, sann ich darüber nach, wie es zu ermöglichen sei, Bernhard sammt seinem verrätherischen Genossen, und sollte mein Leben der Preis dafür sein, auf die qualvollste Art zu vernichten. Und hätte ich zehn Leben zu verlieren gehabt, damals erschienen sie mir ein geringer Preis für die blutige Vergeltung, welche ich an Johanna's und meinen Verderbern auszuüben hoffte.

Ich lag hart am Ausgange meines Verstecks; meine Blicke reichten zwischen den Brombeerranken hindurch eine kurze Strecke in die Schlucht hinein. Der Himmel spannte sich grau und eintönig über die stille Landschaft aus; die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit hatte Bäume, Zweige und Felswände dunkler gefärbt und die dürren Blätter durchnäßt und erschlafft, wie um ihnen, zur Feier des Tages, das Rauschen und Flüstern zu verbieten, doch der Anblick der gleichsam in Halbschlummer versenkten Natur vermochte den wilden Sturm nicht zu beschwichtigen, der in meiner Brust tobte. Thränen der Wuth drangen mir in die Augen und mit krampfhaftem Griff schälten meine Finger das graue Moos von den vor mir liegenden Felstrümmern.

»O, meine Rache wird Euch erreichen,« stöhnte ich in mich hinein, und verzweiflungsvoll griff ich in die dornenreichen Brombeerranken, daß das Blut an mehreren Stellen aus der aufgerissenen Haut meiner Hände hervorquoll, »ja, sie wird, sie muß Euch erreichen,« wiederholte ich in Gedanken, das Blut mit wilder Gier betrachtend und an meine Lippen führend.

Ein ferner gedämpfter Ton drang zu mir in mein Versteck.

Ich lauschte; derselbe Ton wiederholte sich wieder und wieder. Unwillkürlich faltete ich die Hände, und meine heiße Stirn auf einen kalten Stein pressend, horchte ich aufmerksam weiter.

Die Stunde war gekommen; sie trugen meine Johanna zu Grabe und feierlich lauteten dazu die Glocken in der abwärts gelegenen Kirche.

Was mich eben roch mit unauslöschlichem Haß und Rachedurst erfüllte, das war plötzlich vergessen; mir war, als habe Johanna durch die frommen Klänge zu mir gesprochen, mir ihren letzten Scheibegruß gesendet, mich gebeten, ihr Andenken heilig zu halten und nicht durch Verfolgen von Racheplanen zu verunglimpfen, sondern das Richten und Strafen allein der Vorsehung zu überlassen.

»Johanna!« krächzte der Rabe hinter mir, mehr[] sprach er nicht, er war erfüllt von Mißmuth über seine Gefangenschaft.

»Johann– Jo–han–na,« wiederholte er noch einmal kaum verständlich.

In der Ferne aber läuteten die Glocken fort und fort, so feierlich und friedlich, als ob sie empfunden hätten, daß ihre Klänge einem entschlafenen Engel das letzte Geleite gaben. Fester drückte ich meine fieberheiße Stirne auf den kalten Stein, heftiger rangen sich meine Hände ineinander und brennende Thränen entströmten meinen Augen.

Die Glocken läuteten fort und fort, so feierlich und friedlich, sie läuteten meine Johanna zu Grabe, und mit ihr auch meine Jugend. In tiefster Trauer, unter unsäglichen Schmerzen und Thränen überschritt ich die in meinem Leben so scharfgezeichnete Grenze zwischen dem leicht erregbaren und an frohen Hoffnungen so reichem Jünglinge und dem ernsten, überlegenden Manne.

Die Glocken läuteten feierlich und friedlich, gerade wie damals, als ich, noch ein Kind, mit dankbarem Herzen ihren Tönen lauschte, mit dankbarem Herzen, weil ich glaubte, die freundlichen Glocken wären von dem lieben Gott beauftragt, die schönen Sonntage und Festtage, und vor allen Dingen das liebe, liebe Christfest zu machen.

Sie läuteten wie an den milden Sommerabenden, wenn sie die Gemeinde zur frommen Abendandacht mahnten, während ich glücklich und selig Wald und Flur durchstreifte und mich in die Stelle eines Helden aus »Tausend und eine Nacht« hineindachte. Sie läuteten wie damals, als ich Hand in Hand mit Johanna auf der Rasenbank saß und wir in unserm heitern Gespräch über die Zukunft plötzlich durch die Glocken unterbrochen und zu ernsten Betrachtungen über unsere Zukunft veranlaßt wurden. Freundlich lächelnde Bilder schwebten damals meinem Geiste vor, und jetzt? Ich war ein geächteter Flüchtling, und meine Johanna – die Glocken verstummten – meine Johanna wurde in's Grab gesenkt. –

Ich schloß die Augen, und vor mir sah ich den bekränzten Sarg, der mein ganzes Glück, meine einzige Lebensfreude umschloß. Ich sah den blumengeschmückten Sarg und die Thränen, die Alt und Jung dem lieben, freundlichen und wohlthätigen Kinde nachweinten; ich hörte die frommen Worte, die von dem ehrwürdigen Dorfpfarrer über das noch offene Grab gesprochen wurden, das Schluchzen, als Kränze und Blumen in die letzte irdische Wohnung des holden Engels hineinfielen. Ich vernahm das herzerschütternde Rasseln der ersten Handvoll Erde – und dann ertönten die Glocken wieder, feierlich und friedlich, wie um das Schaufeln der Todtengräber zu übertauben.

Meine Thränen waren versiegt, versiegt auf lange, lange Zeit, versiegt, vielleicht auf ewig. –

»Jakob, Spitzbube, Spitzbube,« grollte der Rabe hinter mir.

Ich achtete nicht darauf. »Jakob, Anton koch Kaffee, Spitzbube,« rief der Rabe lauter und zorniger.

Ich erinnerte mich seiner Wachsamkeit und scharfen Gehörs, und um etwas weiter um mich zu schauen, hob ich den Kopf empor. Doch ebenso schnell ließ [] ich ihn wieder sinken; ich hatte dem wilden Andres, der unten in der Schlucht stand und argwöhnisch umherspähte, gerade in das Antlitz gesehen. Den Ruf des im Hintergründe der Höhle verborgenen Raben konnte er schwerlich vernommen haben, möglicher erschien mir dagegen, daß er trotz der mich verbergenden Ranken, meine Bewegung entdeckt habe. Jedenfalls war sein geräuschloses und behutsames Herbeischleichen der sicherste Beweis seiner feindlichen Absichten; würde mir doch im entgegengesetzten Fall seine Annäherung, obwohl die nassen Blätter den Schritt eines Menschen sehr dämpften, kaum entgangen sein. Daß er sich aber am hellen Tage nur zum heimlichen Schlingenstellen in den Wald begeben habe, ließ sich kaum annahmen.

Wie einst in der Dorfschänke, so gab er auch hier kein Zeichen von sich, aus welchem ich auf seine Absichten zu schließen vermocht hätte. Langsam und vorsichtig, wie er gekommen war, bewegte er sich in der eingeschlagenen Richtung weiter, hier das übereinandergethürmte Gerölle aufmerksam prüfend, dort einen Strauch auf die Seite biegend, wie um sich über die Lieblingspfade der Hasen und Kaninchen Gewißheit zu verschaffen.

Sein Benehmen, so natürlich es auch erschien, beruhigte mich indessen nicht; ich fetzte das Schlimmste voraus, und als er endlich aus meinem Gesichtskreis entschwunden war, begann ich sogleich meine geringen Habseligkeiten zusammenzupacken, um noch im Laufe der Nacht meine Flucht fortzusetzen.

Siebzehntes Capitel.
Der Abschied.

Erst in der Dämmerungsstunde kehrte Anton zurück. Die Eindrücke, welche er bei der Beerdigung empfangen hatte, waren durch die Besorgniß für meine Sicherheit längst wieder verwischt worden. Wie mir indessen aus seinen verworrenen Berichten klar wurde, vermutheten Diejenigen, die ich als meine Feinde betrachten mußte, mit vieler Bestimmtheit, daß ich mich in der Nähe verborgen halte. Ihr Verdacht war durch die rauhe Art, in welcher mein Vormund sie von Johanna's Leiche fortgewiesen und sich sogar, wenn auch vergeblich, gegen ein katholisches Leichenbegängniß gesträubt hatte, noch verstärkt worden. Zu welchem Zweck sie mich noch weiter verfolgten, ob aus Rache, oder weil sie befürchteten, daß ich, einmal in Sicherheit, ihr schändliches Getreide offenkundig machen würde, vermochte ich nicht zu ergründen; jedenfalls aber boten sie alles in ihren Kräften Stehende auf, mich wieder in die Hände der Obrigkeit zu liefern und, wie ich voraussetzen durfte, meine Stimme zwischen den Kerkermauern verstummen zu lassen.

Sogar der Oberstlieutenant wußte, daß ich nicht nur noch immer in der Nähe weile, sondern auch in der größten Gefahr schwebe, da man nunmehr meine Verkleidung bis in die kleinsten Einzelnheiten kannte, selbst auf der Landstraße ergriffen und verhaftet zu werden.

Der sicherste Beweis dafür war, daß er nach der Beerdigung Anton mit sich nach Haufe genommen hatte, vorgeblich um ihm einige Speisen zu verabreichen, [] in der That aber, um ihm beim Abschied einen Papierstreifen in die Hand zu drücken, mit der Weisung, denselben lieber zu verschlingen, als ihn in fremde Hände fallen zu lassen.

»Unglücklicher, nur ein Wunder kann Dich retten,« stand auf dem Zettel, »wenn Dir an Freiheit und Leben nichts mehr liegt, so solltest Du nicht vergessen, daß mir darum zu thun ist, Dich fern und sicher zu wissen. Man kennt Dein Versteck; Gerichtspersonen befinden sich bereits auf dem Wege zu Dir. Eile in nächster Richtung an den Rhein, nimm das erste beste Boot und fliehe stromabwärts. Für das Boot wird bezahlt werden.«

Diese Nachricht, welche mich zu jeder andern Zeit in Schrecken versetzt haben würde, überraschte mich kaum noch. Ich hatte plötzlich gelernt, meine Lage mit der größten Ruhe zu betrachten und mit kalter Ueberlegung über den einzuschlagenden Weg mit mir zu Rathe zu gehen.

Von der Zukunft hoffte ich freilich nichts mehr, sie hatte ihren Reiz für mich verloren, allein um in einen erbitterten Feinden nicht einen vollständigen Triumph über mich einzuräumen, wollte ich redlich das Meinige zu meiner Rettung versuchen.

Leicht gelang es mir, Anton zu überzeugen, daß die Höhle mir keinen Schutz mehr gewähre. Er bedauerte wohl, nun nicht mehr allein im Besitz des Geheimnisses seines Schlosses zu sein, doch war diese Regung nur vorübergehend. Im nächsten Augenblick half er mir, die Spuren meiner Anwesenheit in der Höhle so viel wie möglich zu verwischen, und als dann endlich die Dunkelheit eingetreten war, kletterten wir behutsam von der Geröllanhäufung in die Schlucht hinab. Unten angekommen, nahm ich mein Ränzel wieder auf den Rücken, Anton wies dem Raben eine Stelle auf seiner Schulter an, und leise schlichen wir sodann in der Schlucht aufwärts, um vor allen Dingen die freie Waldung und demnächst die Landstraße zu gewinnen.

Es war noch zu früh, die Flucht offen fortzusetzen, indem von der Arbeit heimkehrende Leute die Landstraße noch belebten; in wie weit aber der Wald der abgeschlossenen Schlucht und gar erst der Felsenhöhle vorzuziehen sei, erfuhren wir nach kurzer Wanderung, als wir eben im Begriff standen, aus dem Paß herauszubiegen.

Wir unterschieden nämlich Beide zu gleicher Zeit Tritte und murmelnde Stimmen von sich nähernden Männern, deren Ziel, nach der Richtung des Schalls zu schließen, eben nur unsere Schlucht sein konnte. Mein schreckhafter Gefährte blieb bei dieser Entdeckung wie vernichtet stehen und bat dringend, in die Schlucht zurückzugehen und auf deren anderem Ende einen Ausweg zu suchen. Da ich aber voraussetzte, daß, um einen gefährlichen Hochverräther aufzuheben, man nicht versäumt habe, beide Ausgänge zu besetzen, so beharrte ich darauf, lieber gleich der Gefahr zu begegnen, als möglichen Falls noch Stunden lang in dem abgeschlossenen Kessel herumgejagt und schließlich dennoch gefangen zu werden.

Die verdächtigen Leute schritten übrigens mit sehr wenig Vorsicht einher und sprachen sogar mit halblauter Stimme zu einander. Sie übertäubten dadurch das Geräusch, welches ich erzeugte, indem ich [] Anton mit Gewalt nach der uns zunächst liegenden Felswand hinüberzog und ihn dort zwang, sich zwischen den Felstrümmern an meine Seite niederzulegen. Ich hatte darauf nur noch so viel Zeit, ihm das Wort »Jakob« zuzuflüstern, als auch die Vordersten des Zuges in die Schlucht einbogen und mir zugleich ihre Absicht, mich in meinem Versteck zu überraschen, verriethen.

Ein eigenthümliches Klirren belehrte mich, daß sich zwei oder drei bewaffnete Gensd'armen bei der Gesellschaft befanden, man sich also längst auf meine Gefangennahme vorbereitet hatte und nur bis zu dem heutigen Tage nicht wußte, in welcher Richtung ich zu suchen sei.

Außer den Gensdarmen glaubte ich auch noch die Schatten von drei Männern zu erkennen, von welchen der eine den andern eine kurze Strecke weit vorausging. Alle aber bewegten sich so dicht an mir vorüber, daß wir uns gegenseitig die Hand hätten reichen können, ich also die zwischen ihnen gewechselten Worte deutlich verstand.

»Achtet auf den Boden,« sagte der Führer des Zuges, an dessen Stimme der wilde Andres gar nicht zu verkennen war, »es liegen hier viel Steine umher, und dabei ist es so verdammt dunkel, daß man die Hand vor den Augen nicht sieht.«

»Ist dies die bezeichnete Schlucht?« fragte eine andere Stimme, offenbar der commandirende Gensdarm, denn als derselbe anhielt, blieben auch die Uebrigen stehen.

Obwohl mit der Annäherung der Gefahr auch meine Kaltblütigkeit zugenommen Halle, und ich mit einer gewissen bittern Gleichgültigkeit jedes nur denk bare schreckliche Loos entgegengenommen hätte, kreiste das Blut mir doch schneller in den Adern, und ungestüm klopfte mir das Herz, sobald ich die Absicht der Häscher errieth, auf jenem Punkte etwas länger verweilen zu wollen. Es brauchte nur Einer auf den Gedanken zu kommen, um zu rasten, sich auf einen der uns bergenden Felsblöcke niederzusetzen, es brauchte nur der vor Angst halb leblose Anton einen Ton auszustoßen, und wir waren entdeckt. Namentlich aber beunruhigte mich die Anwesenheit des unwirschen Naben in so hohem Grade, daß mir, trotz der Kälte, vor Spannung der Schweiß von der Stirn perlte und der Pulsschlag des Blutes mir ein heftiges Sausen in den Ohren verursachte.

»Ja, dies ist die vermaledeite Schlucht,« antwortete Andres auf die an ihn gestellte Frage, »und weit sind wir nicht mehr von der Stelle entfernt, auf welcher mein verrückter Bruder den verdorbenen Studenten untergebracht hat.«

»Wißt Ihr das so gewiß?« fragte eine andere Stimme.

»Ich werde doch wohl den Studenten kennen, wenn ich ihm gerade in die Augen blicke, und den Raben meines Bruders, wenn ich sein Schimpfen auf hundert Schritte höre?« erwiderte Andres mit einem unterdrückten brutalen Lachen. »Aber worauf warten wir noch, Leute?« fragte er gleich darauf, »ich sollte meinen, es wäre kein Vergnügen, in der kalten Nacht lange auf einem Fleck zu stehen.«

»Wir müssen so lange warten, bis auch das andere Ende der Schlucht besetzt ist, oder wir finden [] den Vogel ausgeflogen und haben das leere Nachsehen,« hieß es zurück.

»Würde gerade nicht sehr weit stiegen,« versetzte Andres wieder höhnisch, »übrigens verlieren wir hier Zeit,« fuhr er ungeduldig fort, »die andere Abtheilung hat nicht weiter zu gehen, als wir, sie muß schon längst eingetroffen sein.«

»Wie viel Uhr mag es sein?«

»Halb acht wenigstens.«

»Ich muß es genau wissen, wer hat Stahl und Stein?«

»Ich,« antwortete Andres, und ich hörte das klingende Geräusch, mit welchem er in seiner Tasche nach den verlangten Gegenständen suchte, zugleich glaubte ich aber auch, an meiner Seite ein ganz leises, schmerzliches Stöhnen zu vernehmen. »Wird das Blitzen der Funken uns nicht verrathen?« fragte Derjenige wieder, in welchem ich den Befehlshaber der Gesellschaft vermuthete.

»Keine Gefahr,« entgegnete Andres, »die Schlucht hat eine Biegung, und der Student müßte verdammt viel studirt haben, verstände er es, um die Ecke zu sehen.«

»Vorwärts denn,« commandirte der Gensd'arm, »haltet dicht heran, aber schlagt mir nicht die Uhr entzwei.«

Der Stahl schlug drei- oder viermal kurz hinter einander klingend an den Stein, die hellen Funken sprühten umher, und wären nicht alle Augen auf die Uhr gerichtet gewesen, so hätte der Eine oder der Andere bei der flüchtigen Beleuchtung das geisterbleiche Gesicht Anton's bemerken müssen, welches mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Trostlosigkeit zu den fremden Männern hinüberstierte.

»Gut,« commandirte der Gensdarm jetzt wieder, »fünf Minuten nach halb acht Uhr. Punkt halb acht wollten wir von beiden Enden in die Schlucht eindringen; es ist also die höchste Zeit.«

Andres trat wieder an die Spitze, die Uebrigen folgten ihm in der alten Ordnung nach, und einige Minuten später verhallten ihre Schritte hinter der Biegung des Passes.

»Anton, mein Freund, auch wir haben keine Zeit zu verlieren,« wendete ich mich jetzt flüsternd an meinen getreuen Begleiter; »komm, ich habe noch einen schweren Gang vor mir, ehe ich mich an den Rhein begebe.«

Ich erhob mich darauf, doch von Anton, der liegen blieb, erhielt ich keine Antwort, dagegen vernahm ich, daß er heftig schluchzte, und zugleich ein heiseres schwaches Röcheln, welches von dem Raben ausging.

»Komm, Anton, beeile Dich,« sagte ich dringender, »wir müssen fort, denn finden sie Dein Schloß leer und sie gerathen auf meine Spur, so bin ich verloren. Komm, Anton, ermanne Dich, die Hauptgefahr ist jetzt vorüber, komm, oder ich muß allein gehen.«

»Nein, mein lieber, junger Herr, ich gehe mit,« entgegnete Anton schnell emporspringend, »ich gehe mit, aber mein armer, armer Jakob.«

»Was ist mit Deinem Jakob?« fragte ich, indem ich mich der Landstraße zu in Bewegung setzte.

»Lieber junger Herr, ich habe auf ihm gelegen [] und ihm den Schnabel und die Kehle zugedrückt, ich glaube, Jakob ist todt, mein armer, armer Jakob!«

»Was, Anton? Du wirst doch Deinen Raben nicht getödtet haben?« fragte ich erschrocken, denn ich wußte ja, mit welcher aufopfernden Liebe er an dem Vogel hing.

»Noch lebt er etwas, ich trage ihn auf dem Arm. O, ich habe ihn so sehr, so sehr gedrückt; er hätte sonst die schlechten Menschen ausgeschimpft und sie hätten den lieben jungen Herrn mit ihren Säbeln todtgeschlagen. Armer, armer Jakob, wenn er auch wieder auflebt, so wird er mich für schlecht halten und mir ewig zürnen.«

»Zeige doch her das Thier,« sagte ich, indem wir rüstig durch den dunklen Wald dahineilten, denn die treue Anhänglichkeit Anton's, welche sich so deutlich darin bekundete, daß er mir zu Liebe keinen Augenblick zögerte, seinen Raben zu opfern, rührte mich so tief, daß ich alles Andere darüber vergaß und nur an die Erhaltung des halberstickten Vogels dachte.

Er wollte mir denselben eben reichen, als dieser plötzlich seine Flügel geräuschvoll zusammenschlug und ein mürrisches »Spitz – Spitzbu – Spitzbube« sich seiner Kehle entrang.

»Er lebt, er lebt,« rief Anton entzückt aus, seinen Liebling zärtlich an seine Brust drückend.

»Frau– koch – Kaffe, Frau koch Kaffe, Jakob, Anton, Spitzbube, hahaha, Kikeriki!« recitirte der Rabe, wie um zu prüfen, ob sein Gedächtniß bei der rauhen Behandlung gelitten habe.

Anton sagte nichts weiter; in seinem verkrüppelten Arme hielt er den Vogel, und ohne die Geschwindigkeit seiner Bewegungen dabei zu mäßigen, herzte er ihn leise. Ich aber dachte darüber nach, wie ich dem braven Burschen einen Beweis meiner aufrichtigsten Dankbarkeit liefern könne.

»Anton,« begann ich nach einiger Zeit, »Du weißt, Fräulein Johanna, der Du heute in meinem Namen die Blumen auf den Sarg gelegt hast, war mir das Liebste, das ich auf der Welt besaß.«

»Ich weiß es, lieber, junger Herr; der arme Krüppel liebte das schöne, gute Fräulein ebenfalls viel mehr, als seinen Jakob. Ach, ich habe so viel geweint, als die Leute den Sand auf ihren Sarg warfen, so viel, so viel, und die Leute sahen mich an und hielten mich für einen schlechten, verrückten Krüppel. Sie wußten nicht, warum der häßliche Krüppel so weinte; aber ich wußte es; ich weinte, weil ich mit meinem Jakob nicht an des schönen, guten Fräuleins Stelle begraben wurde.«

»Johanna, Johanna, Johanna,« sagte der Rabe, der sich wieder erholt hatte, als ob er Anton's Worte habe bekräftigen wollen.

»Nächst der armen entschlafenen Johanna, liebe ich den Herrn Oberstlieutenant am meisten,« fuhr ich nach einer kurzen Pause fort, »er ist stets mein Wohlthäter gewesen und liebt mich, wie ein Vater nur seinen Sohn lieben kann. Seine Frau liebe ich auch, trotzdem sie im Uebermaß ihrer Frömmigkeit die von Gott selbst gebotenen irdischen Rücksichten vernachlässigte.«

[] »Ich verstehe den jungen Herrn nicht,« versetzte Anton leise.

»Ist auch nicht, nöthig, Anton, Du wirst mich aber verstehen, wenn ich Dir versichere, daß gleich nach dem Oberstlieutenant Du an die Reihe kommst. Ja, Anton, ich betrachte Dich als meinen besten und aufrichtigsten Freund, als meinen Bruder, den ich immer um mich haben möchte, um ihm das Leben zu erleichtern. Du nennst Dich häßlich und ungestalten; mag die Natur Dich auch vernachlässigt haben, magst Du nicht im freien Gebrauch gesunder Gliedmaßen sein und mögen andere Menschen sich von Dir abwenden, so schwinden alle diese Mängel doch in Nichts zu sammen, wenn man sie mit Deinem kindlichen Gemüth vergleicht. Ich liebe Dich, wie einen Bruder, und das, guter Anton, ist Alles, was ich, der arme, verfolgte Flüchtling, Dir in diesem Augenblick bieten kann. Laß Dich nicht gelüsten nach der Klugheit anderer Menschen, bleibe ein Kind Dein ganzes Leben hindurch, trage mit Geduld Dein trauriges Loos und gedenke meiner stets als Deines besten und aufrichtigsten Freundes.«

Ich hatte, während wir nebeneinander hinschritten, meine Hand auf Anton's Schulter gelegt und fühlte, daß er bei meinen Worten heftig zuckle, wie Jemand, der gegen eine in Schluchzen sich äußernde Gemüthsbewegung ankämpft. Als ich schwieg, besann er sich eine Weile.

»Hätte ich dem jungen Herrn zu Liebe doch meinen armen Jakob todt gedrückt,« sagte er endlich röchelnd, »der Anton wäre dann aber ganz allein und verlassen gewesen, wenn der liebe junge Herr Student erst von mir gegangen sein wird, – aber wo wollen der junge Herr hin?« fragte er plötzlich in anderm Tone, als ich, nachdem wir die Landstraße erreicht hatten, anstatt die Richtung nach dem Rhein einzuschlagen, auf die Oberförsterei zulenkte.

»Ich sagte es Dir bereits, ich habe noch einen schweren Gang vor mir, ich muß Abschied von meiner todten Braut, von dem sie deckenden Grabhügel nehmen. Aber Du bist müde, Anton, warte lieber hier auf mich, es ist ohnehin noch zu früh, um jetzt schon an den Rhein zu wandern, und mir thut das Gehen wohl.«

»Anton ist nicht müde,« versetzte der treue Bursche, indem er, um mir die Wahrheit seiner Aussage zu beweisen, einige Schritte voraushinkte; »Anton bleibt bei dem jungen Herrn, so lange er ihn noch sehen kann.«

Schweigend setzten wir darauf unsern Weg durch die stille, nächtliche Landschaft fort, schweigend zogen wir an der allen Oberförstern vorüber und wehmüthig betrachtete ich das liebe, jetzt so verödete Haus. Die Fenster des Gemachs, in welchem der Oberstlieutenant die Abende zuzubringen pflegte, waren zu meiner Verwunderung dunkel. Ebenso vermißte ich den fröhlichen Lärm, mit welchem mir sonst seine Lieblingshunde, nachdem sie mich angemeldet, entgegenstürmten, sie waren entweder eingesperrt oder mit ihrem Herrn abwesend. Nur ein alter Hofhund schlug verdrießlich an, beruhigte sich aber schnell wieder, sobald er merkte, daß wir vorübergingen.

[] []Nach einer weiteren halbstündigen Wanderung erreichten wir das Kirchdorf. Die Kirche mit dem Friedhofe und dem Pfarrhause lag auf dem entgegengesetzten Ende desselben; wir gebrauchten daher die Vorsicht, in weitem Bogen um das Dorf herumzuschleichen; denn so friedlich auch die kleinen, matt erleuchteten Fenster zu mir herüber schimmerten, ich konnte nicht wissen, ob nicht hinter jeder Ecke, in jedem dunklen Winkel der Verrath auf mich lauere.

Unbemerkt gelangten wir an die Kirchhofsmauer und, um dieselbe herumschreitend, in die Dorfstraße, auf welche sich das Thor öffnete. In meiner fieberhaften Aufregung hatte ich nicht darauf geachtet, daß kurz vorher die Thür des Pfarrhauses geöffnet und wieder geschlossen worden war, und noch weniger bemerkte ich, daß sich im Schatten der Mauer mir ein Mann näherte. Anton, der mir auf dem Fuße nachfolgte, war es ebenfalls entgangen. Erst der wachsame Rabe machte uns darauf aufmerksam, indem er ein ärgerliches »Spitzbube« ausstieß.

Zum Umkehren oder Ausweichen war es zu spät, denn der Mann befand sich kaum zwei Schritte weit von mir. Ich wollte höflich grüßend vorüberschreiten, als eine bekannte Stimme mir plötzlich das Blut in den Adern förmlich erstarren machte.

»Sieh da, sieh da, mein guter Anton, Dein Rabe hat Dich verlachen, was führt Dich noch so spät hierher? Wie befindet sich Deine brave Mutter?« ertönte es mit gleißnerischer Freundlichkeit von Bernhard's Lippen.

Im nächsten Augenblick aber hatte ich ihn am Arm ergriffen, und meinen Mund seinem Ohr nähernd flüsterte ich ihm zu: »Gustav Wandel ist hier, um Ihnen Lebewohl zu sagen.«

Ich fühlte, daß er unter meinem Griff und bei dem ersten Ton meiner Stimme heftig zusammenschrak, allem er war ein zu gediegener Bösewicht, um nicht schnell wieder Herr seiner selbst zu werden. Befürchtete er aber im ersten Augenblick wirklich von mir, dem Opfer seiner verrätherischen Anschläge, und [] von meinem Haß das Schlimmste, so mußte er doch zu der Ueberzeugung gelangen, daß ich nicht der Mann sei, auf öffentlicher Straße und geleitet von den Gefühlen der Rache, einen Mord zu begehen. Brauchte er doch nur seine Stimme etwas lauter zu erheben, um die Bewohner der nächsten Häuser zu seinem Beistand herbeizurufen.

»Armer, unglücklicher Freund, wohin ist es mit Ihnen gekommen?« sagte er mit erheuchelter Theilnahme, »meine fast im letzten Augenblick an Sie abgesendete Warnung hat Sie nicht mehr erreicht, oder es wäre anders geworden. O, es hat ein trauriges Mißgeschick über dem ganzen Unternehmen gewaltet, und leider zu spät sehen wir ein, daß es nicht immer Segen bringt, phantastischen Ideen und jugendlich hochfliegenden Plänen, ohne vorher reiflich überlegt zu haben, blindlings zu huldigen.«

»Haben Sie ausgesprochen?« fragte ich jetzt, bebend vor verhaltenem Zorn, und fester drückten sich die Nägel meiner Finger in sein Fleisch.

»Armer, armer Freund,« entgegnete der Schurke mit innigem Ton, »Ihre Aufregung ist natürlich, Sie haben mich verkannt, Sie mußten mich verkennen. Um so glücklicher macht es mich daher, noch Gelegenheit zu finden, mich vor Ihnen von einem schwarzen Verdacht reinigen zu können. In der That, ich täuschte mich nicht, als ich meine Schritte, um mit Ihnen zusammenzutreffen, nach dem Friedhofe lenkte; eine innere Stimme sagte mir, daß Sie am Grabe Ihrer Braut weilten.«

»Wohlan, treten wir vor das Grab meiner schändlich gemordeten Braut hin,« versetzte ich gefaßter, indem ich ihn mit Gewalt durch das Thor zog, »vor dem Grabe meiner Braut will ich Abschied von Ihnen nehmen, und dann mögen Sie hingehen und nach andern Opfern ausschauen.«

»Armer, armer Freund, möge Gott Ihnen gnädig sein, Sie beschützen und Ihren Geist wieder beruhigen,« antwortete Bernhard ergeben und geduldig.

»Spitzbube, Spitzbube, Spitzbube!« krächzte der[] Rabe auf Anton's Schulter, der, um mir den Weg zu weisen, voraushinkte.

Nach einigen Minuten trafen wir bei dem Grabhügel ein. Derselbe zeichnete sich nur durch seine schwärzere Färbung vor dem übrigen, mit gebleichtem Nasen bedeckten Boden aus.

Stumm blickte ich auf den Sand hin, der meine Johanna barg; meine Thräuen waren längst versiegt, aber in meinem Herren fühlte ich ein so unsägliches Weh, daß ich die ganze übrige Welt darüber vergaß. Erst das murmelnde Geräusch, mit welchem Bernhard betete, brachte mich wieder zum Bewußtsein meiner Lage!

»Stören Sie nicht durch Ihre Gebet? die Ruhe einer Heiligen,« hob ich an, indem ich dicht vor den Verräther hintrat, »versuchen Sie nicht, sich zu rechtfertigen und vor diesem Altar durch falsche Angaben und lügenhafte Erklärungen ihre schwarze Seele noch mehr zu belasten; versuchen Sie auch nicht, mir zu entschlüpfen und dadurch meinen schlummernden Durst nach Rache zu wecken. Hören Sie mich zu Ende, ohne mich zu unterbrechen, und meine Hände sollen sich nicht an Ihnen besudeln.«

»Vergieb ihm Allmächtiger – «

»Schweigen Sie,« versetzte ich, über diese Lasterung kaum noch meiner gährenden Leidenschaften mächtig, und zugleich schwang ich meinen schweren Wunderstab über seinem Haupte.

Bernhard's Zähne knirschten laut aufeinander, der Rabe lachte wie ein Teufel und stieß ein mißtönendes Krähen aus, Anton drängte sich zitternd an meine Seite, ich aber, meine Heftigkeit bereuend, hatte meine Ueberlegung im vollen Grade wieder gewonnen.

»Hier vor dem Grabe eines grausam gemordeten Engels rufe ich Gott zum Zeugen der Anklagen an, welche ich gegen Sie erhebe,« begann ich nach einer kurzen Pause. »Ich klage Sie an, mit nichtswürdiger Berechnung mich in die demagogischen Umtriebe verwickelt zu haben, um mich demnächst schändlich zu verrathen. Ich klage Sie an, die arme Waise, nachdem Sie dieselbe meines Schutzes beraubt hatten, durch Mittheilungen über das unglückliche Loos ihrer Eltern, in jenen traurigen Seelenzustand versetzt zu haben, der es Ihnen erleichterte, sie mit Ihren Lehren und falschen Vorspiegelungen heimzusuchen und sie der Religion zu entfremden, in welcher sie, nach dem ausdrücklichen Willen ihrer verstorbenen Eltern, erzogen wurde.«

»Nie machte ich dem armen Mädchen dergleichen Mittheilungen; ich rufe Gott und alle Heiligen zu Zeugen auf,« unterbrach mich Bernhard mit dem Ausdruck unumstößlicher Wahrheit.

»Schweigen Sie,« herrschte ich ihm zu, »und gedenken Sie meiner Drohung; was nicht durch Sie geschah, das geschah durch Ihren vorgeblichen Onkel, den Geistlichen, der drei Tage vor Johanna's Tode zum erstenmal auf der Oberförsterei erschien, denselben Geistlichen, der vor Jahren Johanna's Eltern in's Verderben trieb, um bereits damals das Hülflose Kind, als Tochter einer Katholikin, mit seinen Banden zu umstricken. Ja, schrecken Sie nur zusammen. Sie haben Ursache dazu, denn wie Sie sehen, bin ich von Allem genau unterrichtet. Vernehmen Sie aber auch, daß Ihr teuflisches Werk nur zum Theil gelang, denn[] Johanna starb bei vollem Bewußtsein in meinen Armen, Ihr Verkehr im Hause meines Vormundes erschien ihr als ein schrecklicher, krankhafter Traum, sie starb in meinen Armen als Protestantin. Doch was kümmert das Sie oder Ihren verbrecherischen Genossen? Johanna wurde nach katholischem Ritus auf einem katholischen Friedhose beerdigt, und Ihr Hauptzweck war erfüllt. Wie mir es gleichgültig sein kann, ob es rechtliche Katholiken oder brave Protestanten sind, in deren Mitte der Leib in Staub und Asche zerfällt, so ist es Ihnen gleichgültig, was aus der Seele wird, wenn nur vor den Leuten der Schein aufrecht erhalten bleibt.«

»Dies sind meine gerechten Anklagen,« fuhr ich fort, nachdem ich mich etwa eine Minute lang an der Angst und Wuth geweidet, welche ich, trotz der Dunkelheit, in Bernhard's Haltung deutlich ausgeprägt sah; »es wäre mir ein Leichtes, Sie hier auf der Stelle zu strafen, Ihre verbrecherische Seele vor den letzten Richter hinzusenden, denn mir, dem geächteten Flüchtling kann nichts daran liegen, ob mein Leben um einige Jahre früher oder später endet; doch fürchten Sie nichts, ich will das Rächeramt nicht übernehmen. Nicht einmal einen Fluch gebe ich Ihnen mit; der Boden, auf welchem wir stehen, ist zu heilig; ich würde nicht im Sinne Derjenigen handeln, deren Geist uns vielleicht in diesem Augenblicke umschwebt. Das Bewußtsein Ihrer That wird sich vielleicht dereinst selbst an ihnen rächen, und wenn es eine Gerechtigkeit unter dem Himmel giebt, so werden auch Sie Ihrer Strafe nicht entgehen. Fort jetzt von hier, Sie Auswurf der Hölle, fort von hier, nehmen Sie meine Verachtung mit sich und eilen Sie, Leute herbeizuholen, die sich meiner bemächtigen, denn in der nächsten Zeit werde ich noch an dieser geheiligten Stätte zu sinken sein.«

Bei diesen Worten wendete ich mich dem Grabhügel zu. Bernhard blieb noch eine Weile stehen; »Gott, mein Gott, vergieb ihm, er weiß nicht, was er sagt,« sprach er dann laut vor sich hin, indem er langsam davonschlich.

»Spitzbube, hahaha, Spitzbube,« krächzte der Rabe, als Anton dem Verräther in einiger Entfernung nachfolgte.

Ich achtete nicht weiter darauf; ich war zufrieden, allein zu sein, und überwältigt von meinem Schmerz um die Dahingeschiedene setzte ich mich auf den Grabhügel nieder.

»Johanna, Johanna!« rief ich leise, »warum bist Du von mir gegangen? Johanna, warum war es mir nicht vergönnt, Dich zu begleiten!?«

»Lieber, junger Herr,« flüsterte der zurückkehrende Anton mir zu, »der schlechte Mann ruft Leute, o, sie werden den lieben guten Herrn fangen! Er ging in ein Haus und in noch ein Haus, und zwei Männer waren bei ihm und dann gingen sie in ein anderes Haus.«

»Es sieht ihm ähnlich,« antwortete ich zerstreut; dann nahm ich eine Handvoll Erde von dem Grabhügel und verbarg sie in meine Brusttasche, das einzige und letzte Andenken von meiner Johanna, und bald darauf schlichen wir an der Kirchhofsmauer herum wieder in das Feld hinaus, Vom Dorf herüber ertönten die Stimmen berathender [] Männer. Es schien mir, als habe Bernhard mit seiner Aufforderung, den Hochverräter am Grabe seiner Braut zu ergreifen, bei den Leuten, die mich größtentheils kannten, gerade leine besondere Bereitwilligkeit gefunden. Im Herzen dankte ich ihnen für ihre freundlichen Gesinnungen, und allen Segen des Himmels wünschte ich auf das liebe Torf herab, dessen längst gestorbene Bewohner auf demselben Friedhofe mit Johanna schlummerten, und deren Nachkommen, durch viele Generationen hindurch, sich Alle, früh oder spät, um das theure Grab scharen sollten.

»Wo werde ich die ersehnte Ruhe finden?« fragte ich mich, als wir endlich wieder in die Landstraße einbogen. Eine Antwort darauf hatte ich nicht; stumm und in mich gekehrt schritt ich dahin, sogar die in tiefer Stille daliegende Oberförsterei, an welcher mein Weg vorüberführte, weckte mich nicht aus meinem dumpfen Brüten. Erst Anton ermunterte mich wieder, indem er mich fragte, in welcher Weise ich meine Flucht auf dem Rhein zu bewerkstelligen gedenke.

Obwohl Anton nur mit geringen geistigen Kraft ten ausgerüstet war, kam seine genaue Ortskenntnis; mir dennoch sehr zu Statten. So erfuhr ich auch durch ihn, daß an der Plittersdorfer Fähre sich mir wohl Gelegenheit bieten dürfe, mich eines Bootes zu bemächtigen und in demselben wenigstens einige Meilen stromabwärts zu gleiten. An einer geeignet erscheinenden Stelle wollte ich sodann an's Ufer schleichen und mein Heil zu Lande weiter versuchen. Da man mich aber noch immer im Siebengebilge verborgen glauben mußte, so hoffte ich, indem ich von Dorf zu Dorf wanderte, schneller, als die Nachricht meiner Entweichung und die auf meiner Spur nachgesendeten Steckbriefe, die Grenze zu erreichen.

Ich erwägte noch, welches Ufer des Rheins mir wohl die meiste Sicherheit biete, als der Hufschlag eines scharf trabenden Pferdes zu uns herüber schallte und fast gleichzeitig die Hühnerhunde meines Vormundes fröhlich an mir emporsprangen. Obwohl ich eine Begegnung mit dem Oberstlieutenant nicht zu fürchten brauchte, trat ich seitwärts in das Gebüsch, während Anton langsam weiterhinkte. Es war eben die Möglichkeit vorhanden, daß jemand meinen Vormund begleitete, und sollte Anton dies vorher auskundschaften.

Der Reiter kam unterdessen schnell näher und traf kaum zehn Schritte weit von mir mit Anton zusammen.

»Guten Abend Herr Oberstlieutenant,« sagte dieser laut genug, um von meinem Vormunde erkannt zu werden.

Das Pferd stand augenblicklich still und zugleich vernahm ich meines Vormundes Stimme.

»Anton, bist Du es?« rief er mit unverkennbarer Freude und Besorgniß.

»Ja, Herr Oberstlieutenant, es ist der arme Anton.«

»Um Gottes willen, Freund, sage mir, weißt Du etwa, wo Herr Wandel sich zur Zeit aufhält?« fragte der Oberstlieutenant heimlich, sein Pferd dicht zu Anton heranlenkend.

[] »Ja, Herr Oberstlieutenant, ich weiß es?«

»Dich sendet der Himmel selber, und es soll Dir nicht unbelohnt bleiben,« fuhr mein Vormund dringend fort, »wenn Du ihm eine Botschaft von mir überbringst, das heißt, ganz genau so, wie ich sie Dir vorsagen werde; denn es handelt sich um Leben und Tod, Schlingel, und ich weiß, Du hast eine treue Seele und läßt Dich für meinen armen Jungen in Stücke hacken.«

»Ja – ja – ja –« stotterte Anton, mehr brachte er nicht hervor, denn im nächsten Augenblick legte ich meine Hand aus meines Vormundes Knie.

»Ich bin selbst hier, um Ihre Botschaft in Empfang zu nehmen,« jagte ich, innigst gerührt über meines treuen väterlichen Freundes wahrhaft zärtliche Zuneigung, die in demselben Grade zu wachsen schien, in welchem die Ungewitter sich drohend über mir zusammenzogen.

»Habe ich es doch geahnt, daß ich Dich vor Deiner Abreise noch sehen würde,« versetzte der Oberstlieutenant sich zu mir niederneigend und seinen Arm um meinen Hals legend; »hättest mir viel Angst und Sorge ersparen können, wenn Du gleich aufgebrochen wärest,« fuhr er mit weicher Stimme fort, »aber laß nur gut sein, Junge ich zürne Dir deshalb nicht. So wie ich Dich kenne, sagte ich mir vorher, Du würdest die Heimath nicht verlassen, ohne das Grab unserer braven Johanna besucht zu haben. Hast ganz recht gehabt, mein Sohn; hätt' es an Deiner Stelle ebenso gemacht, und wenn mir eine Schwadron Chasseure auf den Pelz gerückt wäre. Mordelement! Junge, jetzt aber hält Dich nichts mehr zurück; Du mußt, und mußt und mußt fort, es ist der letzte Befehl, den ich Dir in diesem Leben ertheile, und im Himmel? hahaha! wer weiß, wenn wir uns dort wiedersehen, hast Du Dich vielleicht zu einer Stellung emporgeschwungen, die mir das Befehlen schon ganz von selbst verbietet, hahaha!«

Der alte Herr versuchte einen heiteren Ton anzunehmen, aber sein Lachen klang harsch und erzwungen, und auf meine Hand, die er fest in der seinigen hielt, fiel ein warmer Thautropfen, der nur in seinem einzigen guten, treuen Auge seinen Ursprung gehabt haben konnte. Ach, er wußte, er ahnte nicht, welche Wohlthat die Beweise seiner väterlichen Liebe für mich waren, wie sie mich aufrichteten und mich zuerst wieder ans Leben zu fesseln begannen.

»Ich bin bereits auf der Flucht,« antwortete ich dem Oberstlieutenant auf seine herzliche Anrede, »und wenn das Glück mir günstig ist, hoffe ich morgen um diese Zeit weit, weit fort von hier zu sein.«

»Es ist Dir günstig gewesen, oder Du ständest jetzt nicht frei vor mir, es ist Dir günstig gewesen, Mordelement! oder es wäre mir nicht gelungen, heute Abend noch ein Boot und zwei sichere Leute zu miethen, die Dich innerhalb weniger Stunden bis nach Cöln hinunterschaffen, wo Du dann Dein Heil auf eigene Hand weiter versuchen mußt. Ja, mein Junge, ich habe heute für Dich gezittert und zwar aus Furcht, was mir wählend meiner ganzen Dienstzeit nicht passirte, ausgenommen, wenn der Magen leer war und zehn Grad Kälte und noch mehr uns des Nachts zudeckten. Sapprement, das war damals, und heute helfe ich armer Sünder dafür einem Hoch- – na [] Junge, sei nur ruhig, weißt ja, wie ich's meine – bleibe ein ehrlicher Kerl und thu's meinen grauen Haaren zu Liebe, daß Du Dich nicht fangen lassest.« Ich drückte meinem edlen Wohlthäter die Hand; die Stimme versagte mir, mein Herz war zu voll.

»Gern begleitete ich Dich noch eine Strecke,« hob der Oberstlieutenant wieder an, »allein es geht Nicht, ich muh mich zu Hause zeigen, oder es entsteht eine neue Gefahr für Dich. Höre mir also aufmerksam zu; eine Wanderung von höchstens zwei Stunden bringt Dich an den Rhein; folge dem auf dem Ufer hinführenden Leinenpfad, bis Du Dich Plittersdorf beinahe gegenüber befindest. Dort warte, bis der Tag zu grauen beginnt, und Du wirst ein mit zwei Ruderern bemanntes Boot von Königswinter herunterkommen sehen. In dem Boot sitzt eine dritte Person; kümmere Dich nicht um dieselbe; die Männer haben sich verbindlich gemacht, die genannte Person nach Cöln zu schaffen, das heißt zum Schein, um Dich mit hinunter schmuggeln zu können.«

»Rufe also die beiden Männer und frage sie, ob sie nicht einen armen Handwerksburschen ein Stückchen mitnehmen wollen; das Weitere wird sich dann schon finden. Aber merke Dir wohl, Du bist und bleibst der Handwerksbursche für sie, und wenn Du sie verlassest, bezahle nichts. Ja, das wäre Alles, was ich Dir noch zu sagen hatte; wie ich sehe, wird der Anton Dich begleiten, das ist mir lieb, er kann mir Bescheid bringen, wie sich die Sache gemacht hat; und nun mein Sohn, müssen wir uns trennen–«

»Nur noch ein Wort, mein theuerster Wohlthäter,« fiel ich dem Oberstlieutenant in die Rede, »Sie sehen den armen Anton hier, ich verdanke ihm und seiner Treue meine Freiheit und also auch mein Leben; er hat sich als mein Freund gezeigt, unbekümmert darum, daß andere Menschen mich verfolgten und ihm selbst der größte Nachtheil daraus erwachsen konnte –«

»Ich verstehe Dich, mein Sohn, und verspreche Dir, der Anton soll nicht mehr betteln gehen, so lange es auf der Oberförsterei noch ein Stück Brod zu brechen giebt; sonst noch etwas?«

»Nein, nur die innigsten Grüße an Alle, die meiner freundlich gedenken« –

»Unter welchen meine Lisette obenan steht, ich werde es bestellen, ja, ja, ich werbe es zu seiner Feit bestellen, und nun, mein Sohn, die Zeit entflieht, machen wir daher nicht viel Worte, seien wir Männer und überlassen wir das Heulen den Weibern. Lebewohl, mein Sohn – ach was – zum Donnerwetter – küsse mir nicht die Hand – Gott – segne Dich und mögen wir uns dereinst dort oben bei der großen Armee wiederfinden.«

Das Pferd trat zuerst zwei Schritte zurück und bann in einen kurzen Galopp verfallend, eilte es mit feinem Reiter und umsprungen von den Hunden lustig der Oberförsterei zu, wo seiner der warme Stall harrte.

»Ueberlassen wir das Heulen den Weibern,« hatte mein alter Vormund mir zugerufen. O, wenn es nur Tag gewesen wäre, wie dann die Sonne sich wohl in den klaren Tropfen gespiegelt hätte, die in seinem weißen Bart zitterten! Aber es war Nacht, und das freute den alten gütigen Herrn, denn nun [] konnte doch Niemand seine Bewegung sehen. Daß seine tiefe, mir so wohlthuende, tröstliche Bewegung sich so deutlich im Ton seiner Stimme verrieth und sogar aus seinem barsch ausgestoßenen »Donnerwetter« sprach, das hätte er nie geglaubt, nicht für möglich gehalten.

Ich blieb so lange auf derselben Stelle stehen, wie ich den Hufschlag des davoneilenden Pferdes zu unterscheiden vermochte. Auch Anton war still und in sich gekehrt; offenbar dachte er darüber nach, daß er fortan nicht mehr betteln gehen, nicht mehr von seinem Bruder geschlagen werden sollte.

»Spitzbube, Frau koch Kaffee!« sagte der Rabe unwirsch, als ob er sich darüber geärgert habe, daß man ihn so rücksichtslos um seine Nachtruhe bringe. Anton setzte den Vogel zur Abwechselung auf seine andere Schulter, ich zog die Riemen meines Ränzels etwas fester an, und langsamen Schrittes wanderten wir dem Rhein zu.

Wir wandelten dahin durch die schwarze, feuchte Herbstnacht, und hinter mir zurück blieb die Umgebunst, in welcher ich den glücklichsten und schönsten Theil meiner Jugend verlebte, blieben zurück die einzigen Menschen, die mir in Liebe zugethan, blieb zurück das Grab meiner Johanna. –

Achtzehntes Capitel.
Auf dem Jesuitenhofe.

Eine Stunde mochte es noch bis zum Anbruch des Tages sein, als ich mich an dem mir bezeichneten Punkte auf dem Ufer des Rheins neben mein Ränzel in's Gras warf.

Anton hatte sich ebenfalls niedergesetzt, und schweigend blickten wir auf die dunkeln Fluthen, die mit leisem Rauschen die weidenbepflanzten Uservorsprünge streiften.

Um nicht gezwungen zu sein, so lange auf das Boot zu warten, hatten wir auf der Wanderung unsere Eile gemäßigt und mehrfach an geeigneten Stellen gerastet. Der Wald erschien mir sicherer, als das offene Stromesufer, doch hatte ich auch hin, umgeben von den sorgfältig angepflanzten Weidensträuchern, eine gegen den vorbeiführenden Weg hin geschützte Zufluchtsstätte gefunden.

Der sonst so gesprächige Anton war, wie sein Rabe, plötzlich stumm geworden, nur mit dem Unterschiede, daß Jakob sich zum Schlaf in seine gesträubten Federn zurückgezogen hatte, während Anton sich bemühte, sich mit dem Gedanken an unsere Trennung vertraut zu machen. Seine Betrachtungen galten nur mir, einer einzelnen Person; ich dagegen fühlte so recht aus tiefstem Herzensgrunde, was es heißt, dem Vaterlande, der süßen Heimath, ohne einen Schimmer von Hoffnung auf ein dereinstiges Wiedersehen, den Rücken zu kehren.

Meine Blicke hafteten auf dem jenseitigen Ufer, welches sich mit seinen fernen Höhenzügen nur als ein langgereckter, unregelmäßiger, schwarzer Streifen auszeichnete. Die Lage der Dorfschaften und vereinzelten Gehöfte war indessen leicht zu erkennen an den Lichtern, die hin und wieder auftauchten, und wie um den Eindruck des trauten Heimathlichen noch zu erhöhen, klang der lustige Dreischlag fleißiger [] Drescher über den breiten Wasserspiegel zu mit herüber, und der Ruf der Hähne, die ungeduldig dem ersten Tagesschimmer entgegenharrten.

Jeder Ton, der das Leben und Wirken der glücklichen Landbewohner verrieth, drang mir zum Herzen; unwillkürlich verglich ich in Gedanken ihr Loos mit dem meinigen, und wie mit höherer Kraft begabt, sendete ich meine geistigen Blicke bis in ihre Hütten, ihr innerstes Familienleben. Freilich verschwammen damals die friedlichen Bilder, meinem unsäglichen Schmerz gegenüber, in einander; heute aber, indem ich mich in jene fern liegenden Zeiten zurückversetze und eine im Laufe der Jahre gewonnene Ruhe mir zur Seite steht, vermag ich sie von einander zu scheiden und, wenn auch nur für mich, in einen freundlichen Blumenstrauß wehmüthiger Erinnerungen zu ordnen.

Ich saß am Rande des eilenden Wassers, meine Augen auf das jenseitige Ufer gerichtet. Glückliche Menschen erwachten dort Grüben zu frischem Leben, um sich gestärkt und erquickt an die gewöhnlichen Tagesbeschäftigungen zu begeben. Um die Lichter, die wie lauter Friedenssterne funkelten, versammelten sich Familien, hier zur gemeinsamen Morgenandacht, dort zum einfachen Früh-Mahl. In den warmen Ställen tasteten sich der Hausvater und seine ältesten Söhne umher, um, eh' sie sich selbst Speise gönnten, den Pferden und den Rindern ihren Morgenimbiß zu verabreichen; vor dem flackernden Feuer auf dem Küchenherd stand die Hausmutter, mit kundiger Hand den Inhalt eines dampfenden Kessels rührend und gelegentlich kostend. In der Stube aber balgten sich Kinder um den Preis, möglichst lange von der ältesten Schwester mit dem kalten Waschwasser verschont zu werden, während andere den Katechismus unter dem niedergedrückten Kopfkissen hervorholten, um zu prüfen, wie viel wohl während der Nacht von den weisen Sprüchen, ohne ihnen Mühe zu verursachen, in den Kopf hineingezogen sei; oder sie kratzten auch mit dem stumpfen Griffel auf der invaliden, rahmenlosen Tafel, daß es pfiff und kreischte, als ob das Einmaleins sich mit aller Kraft gegen sie gewehrt habe und bereits im Voraus darüber hohnlache, erst von dem Herrn Dorfküster, in Begleitung von einigen wohlgemeinten Stockschlägen auf die stäubende Jacke, berichtigt zu werden. Und dazu krähten die Hähne und klapperten die Drescher, daß es eine wahre Freude war und mir das Herz vor Wehmuth hätte zerspringen mögen. Doch diese Wehmuth, welche dem Abschiede von der Heimath galt, sie war wohlthuend im Vergleich mit dem Schmerz, der mich bei dem Gedanken an meinen unersetzlichen Verlust niederdrückte; und so suchte ich denn, während ich die Lichter auf dem jenseitigen Ufer betrachtete, immer neue traute Bilder zu schaffen und vor meine Seele hinzuzaubern. O, es war ein trüber, trauriger Genuß; aber ich wurde desselben nicht müde, und fort und fort wanderten weine Blicke von Hütte zu Hütte, von Licht zu Licht, bis diese endlich, eins nach dem andern erloschen und der anbrechende Tag die Gehöfte in allen ihren Formen klarer und deutlicher hervortreten ließ.

Da störte mich regelmäßiger Ruberschlag in meinen Betrachtungen.

[] »Es wird das für mich bestimmte Boot sein,« sagte ich leise zu Anton.

»Es war 'mal ein König über Rhein,

Der hatte verloren drei Töchterlein.

Die erste ging nach Oesterreich,

Die zweite trat in's Kloster ein,

Die dritte zog dem Spielmann nach,«

klang die alte Volksweise melancholisch zu dem Plätschein der Ruder.

»Welch seltsames Zusammentreffen,« dachte ich, sobald ich an der Stimme die Sängerin erkannte.

»Anton, wir müssen scheiden,« wendete ich mich darauf an meinen Gefährten, denn ich errieth, daß mein Vormund Fräulein Brüsselbach angetroffen und diese für die geeignetste Person gehalten habe, auf seine Kosten stromabwärts zu senden, um meine Flucht dadurch zu verdecken.

»Ja lieber, junger Herr,« antwortete Anton, erschreckt emporfahrend.

»Frau loch Kaffee,« fügte der Rabe ärgerlich hinzu, denn durch Anton's Bewegung war er aus seinem Schlummer gestört worden.

Sinnend betrachtete ich meinen treuen Freund, und zugleich lauschte ich nach dem sich nähernden Fahrzeug hinüber.

»Sie zog dem Spielmann sieben Jahr nach,

Und als die sieben Jahr um war'n,

Da ward das Mädchen sterbenskrank,«

erschallte dieselbe Stimme jetzt schon bedeutend näher.

»Anton, wenn es mir gelingt zu entkommen, so verdanke ich Dir meine Freiheit,« hob ich wieder an, gerührt in des armen Burschen thränende Augen schauend.

Anton blickte mich starr an; er schien mich nicht zu begreifen.

»Drauf zog sie in eine Mühle ein,

Die Müllerin gab ihr ein Kammerlein.

Ach Müllerin gieb mir ein Glas Wein,

Mein Vater ist König über Rhein,«

sang Fräulein Brüsselbach in ihrer eigenthümlichen Weise.

»Anton,« fuhr ich fort, »ich will Dir ein Andenken an Deinen besten Freund geben. Hier Haft Du meine Uhr; ich gebrauche sie nicht mehr; was kümmern mich jetzt noch die Stunden? Damit sie Dir aber nicht entwendet wird, gieb sie dem Herrn Oberstlieutenant in Verwahrung, und dann gieb ihm auch diesen Zettel, auf welchem geschrieben steht, daß ich sie Dir wirklich geschenkt habe.« Anton sprach noch immer nicht; er nahm die Uhr und legte sie neben sich auf einen Stein, und nur als der Rabe mit einem behaglichen: »Spitzbube!« seinen Schnabel nach der glänzenden Kette ausstreckte, bewies er durch einen leichten Schlag, welchen er dem Vogel ertheilte, in wie hohem Werthe er die Uhr hielt.

»Ach Tochter das kann nicht möglich sein,

Du hast von Gold lein Ringelein.

Von Gold hab ich ein Ringelein,

Ich hab's verborgen in einem Schrein,«

ertönte es jetzt dicht bei, und fast in demselben Augenblick glitt das Boot hinter dem nächsten zum Schutz gegen die starke Strömung tief in den Rhein hineingebauten Damm hervor.

[] Beim Anblick des Bootes, welches der mir von meinem Vormunde gegebenen Beschreibung so vollkommen entsprach, erhob ich mich.

»Leute, wollt Ihr nicht so gut sein und einen armen, ermüdeten Handwertsburschen ein Stückchen mit Euch nehmen?« fragte ich, als sich das Fahrzeug mir fast gegenüber befand.

»Warum nicht?« lautete die Antwort und gleich daraus stieß das Boot dicht vor mir an's Ufer. Ich reichte meinen Ranzen hinein und dann wendete ich mich noch einmal Anton zu.

»Lebe wohl, mein guter treuer Anton,« sagte ich, dem regungslos dasitzenden Freunde die Hand reichend; »lebe wohl, und mag Gott Dir Deine Treue lohnen, ich vermag es nicht.« Große helle Thränen rannen über Anton's Wangen; es war die einzige Antwort, die ich von ihm erhielt.

In der nächsten Minute ließ ich mich auf die Querbank neben Fräulein Brüsselbach nieder und die Ruderer lenkten sogleich der Mitte des Stromes zu.

»Meine Blicke hatte ich auf Anton gerichtet. Der arme Mensch schien förmlich vernichtet zu sein; er saß noch immer auf derselben Stelle, aber indem das Boot sich weiter von ihm entfernte, neigte er sich auch weiter vorn über. Er beachtete weder seinen scheltenden Raben, noch die bis jetzt unangerührt gebliebene Uhr; er hatte nur noch Gedanken für das Boot, welches ihm seinen Freund, für den er so gern sein Leben hingegeben hätte, grausam entführte.«

»Guter, braver Anton, mit Deinen verkrüppelten Gliedern, Deinen trüben Augen und Deiner Einfalt, wie wenig verdienst Du die Mißhandlungen Deiner nächsten Verwandten, die Verachtung Deiner schonungslosen Mitmenschen! Nie viel aber können Diejenigen von Dir lernen, die auf Dich, wie auf einen Aussätzigen niederblicken, im Bewußtsein ihrer bessern Geburt, ihrer größeren Reichthümer und ihrer klareren, tadellosen Begriffe von Nächstenliebe und Freundschaft, Dir ein Almosen zuwerfen und dabei ihrem Gott danken, daß er sie nicht gemacht hat, wie den ungücklichen, widerwärtigen Krüppel. Guter, braver Anton, habe Dank für die Thränen, die Du mir nachweinst; es sind wohl die letzten, die mir und meinem Andenken stießen.« So dachte ich, indem ich traurig rückwärts schaute. –

Die schnelle Strömung und die noch herrschende Dämmerung entzogen mir sehr bald die Aussicht auf Anton, und jetzt erst wendete ich den beiden Ruderern meine Aufmerksamkeit zu.

Es waren zwei ältere Männer mit ernsten, verschlossenen Physiognomien, doch schien dieser Ausdruck mehr in dem Bewußtsein zu entspringen, daß sie sich an einem gefährlichen Unternehmen betheiligten, als daß ihnen derselbe angeboren gewesen wäre. Ich vermuthete nämlich, daß sie wußten, wer ich sei, und dies ging auch zur Genüge daraus hervor, daß sie mir riethen, wenn ich doch so ermüdet sei, mich auf die in der Mitte des Fahrzeugs ausgebreiteten Decken niederzulegen.

»Sobald wir in Cöln ankommen, wollen wir Sie wecken,« sagte der ältere der beiden Männer, »aber auf drei bis vier Stunden Ruhe können Sie immer rechnen.«

[] Ich verstand den Wink, und obwohl ich so gern die lieben heimathlichen Gegenden, die trauten Scenen meiner Jugend noch einmal begrüßt hätte, legte ich mich doch nieder, so daß es von den Ufern aus erschien, als ob die beiden freundlichen Leute nur noch eine einzige weibliche Person als Mitreisende bei sich gehabt hätten.

Mein Kopf ruhte auf meinem Ränzel gerade vor der Bank, auf welcher Fräulein Brüsselbach saß. Da dieselbe ihre großen, graublauen Augen mit einem gewissen Ausdruck der Theilnahmlosigkeit nur gelegentlich auf mich richtete, so lebte ich der festen Ueberzeugung, daß sie mich nicht erkannt habe; sehr bald aber erhielt ich den Beweis vom Gegentheil.

Ich hatte mich nämlich noch keine Viertelstunde in dem Boot befunden, da heftete sie einen langen Blick auf mich, während das gewöhnliche freundliche Lächeln auf ihren breiten Fügen spielte.

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte, wer es war,

Beseligt und beglückend

Sie folgt ihm zum Altar,«

sagte sie, wie zu sich selbst sprechend, leise vor sich hin.

Ich legte, zum Zeichen des Schweigens, den Finger auf den Mund, indem ich mit der andern Hand verstohlen auf die Schiffer deutete.

»O, Herr Graf, wer nicht hören will, der hört nicht, und würde ihm mit den Posaunen des jüngsten Gerichts in die Ohren gerufen; wer aber hören und verrathen will, der versteht die Worte, welche das Herz schlägt,« entgegnete die Irrsinnige, einen lächelnden, aber leeren Blick um sich werfend.

Ich betrachtete die beiden Ruderer; sie sahen in der That wie Leute aus, die nichts hören wollten. Fräulein Brüsselbach, obgleich ihr Geist in unzerreißbaren Fesseln lag, hatte für Manches eine ganz außergewöhnliche Beobachtungsgabe, so hatte sie auch hier die Absicht der Ruderer richtig errathen. Die seltsame Weissagung aber, die einst einen so tiefen Eindruck auf mich ausübte, verfehle mich in jene Zeit zurück, in welcher ich in der Ruine von Gobesberg dieselben Worte von denselben Lippen vernahm.

»Fräulein Brüsselbach,« begann ich in Folge dessen mit halblauter Stimme, »die Tochter ihres Vaters gab ihm ihr ungetheiltes Herz und dann ging sie zur ewigen Ruhe ein; er irrt jetzt allein und verlassen in der Welt umher, zitternd, daß ein unüberlegtes Wort ihn seinen Verfolgern in die Hände liefere.«

»Meinen Sie mich. Herr Graf?« fragte die Irrsinnige, mich verschmitzt anschauend.

»Ich meine, daß es vielleicht besser gewesen wäre, Sie hätten mich nicht erkannt; ein einziges unüberlegtes Wort kann mich in's Unglück stürzen,« antwortete ich.

»Und meinen der Herr Graf, ich würde das unüberlegte Wort sprechen? O, das wäre nicht möglich. Sie haben von dem verbotenen Wein auf dem Berge getrunken, welchen die Schwarzen Ihnen mischten; der Zauber, der über Sie hereinbrach, hat indessen seine Kraft verloren. Sie sind frei und durchziehen als verkleideter Ritter die Gaue des Rheins. Unter elender Hülle haben Sie Ihren Glanz verborgen, doch das Glück haftet an Ihren [] Sohlen: Sie werden siegreich aus dem Kampfe hervorgehen und der Minne süßer Lohn Sie für die in Ihrer Prüfungszeit erduldeten Leiden tausendfach entschädigen; denn:

Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar.«

Daß Fräulein Brüsselbach meine traurige Lage mit irgend einer in ihrem Gedächtniß fortlebenden romantischen Rheinsage verwechselte und sich darin gefiel, dem irrenden Ritter gegenüber die Rolle einer Beschützerin zu übernehmen, war die sicherste Bürgschaft für ihre Verschwiegenheit und Vorsicht. Doch wenn auf der einen Seite ihre Worte mich beruhigten, so widerstrebte es auf der andern Seite meinem Gefühl, daß sie noch immerfort meine arme, todte Johanna zum Mittelpunkt ihrer bizarren Vergleiche wählte und rücksichtslos deren Geschick mit dem meinigen verflocht. Ich konnte es indessen nicht über mich gewinnen, dies der Unglücklichen zu verweisen, um so mehr, da ich nach ihrer wiederholten Erwähnung der mir feindlich gesinnten »Schwarzen« zu erfahren hoffte, was sie mit ihrer Warnung einst bezweckt habe.

»Ich sagte Ihnen bereits, mein liebes Fräulein, daß die Tochter ihres Vaters nicht mehr unter den Lebenden weilt,« hob ich nach kurzem Sinnen wieder an, »sie war ein Engel, zu gut, zu liebevoll für diese Welt. Vergessen Sie daher Ihre Weissagung, denn schien dieselbe auch einst zutreffen zu sollen, so ist sie doch jetzt zerstoben.«

»Der Herr Graf thun mir zu viel Ehre an, indem sie eine zufällige Kundgebung des Geschicks als meine Weissagung betrachten. Gedulden Sie sich aber; wenn das Geschick etwas verspricht, so weiß es auch Wort zu halten; das ›Wie‹ ist ja nicht unsere Sache. Und bietet das Warten und Hoffen allein nicht schon einen hohen Genuß? Warte ich doch seit mehr denn zwanzig Jahren auf Den, der mir einst Liebe und Treue gelobte. Die zwanzig Jahre vergeblichen Hoffens haben keine Veränderung in mir bewirkt; und sollte ich noch zwanzig Jahre harren müssen, so wird das meinem Hoffen und Sehnen keinen Abbruch thun oder Zweifel an seiner Treue in mir aufkommen lassen. So trösten und gedulden auch der Herr Graf sich; auf Regen folgt Sonnenschein; auf den Zauberschlaf das Erwachen und:

Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar.«

Indem Fräulein Brüsselbach so sprach, ließ sie ihre leeren Blicke mit einem seltsam verzückten Ausdruck nach allen Richtungen in die Ferne schweifen. Die alte Zufriedenheit spielte wieder auf ihren einstmals gewiß nicht unschön gewesenen Zügen, und leicht er rieth ich, daß sie nur ihre innigste und heiligste Ueberzeugung geäußert hatte. Ihre Stimmung offenbarte sie indessen noch deutlicher, als sie die schönen Rheinufer in der ihr eigenthümlichen Weise anredete.

»Ritter, treue Schwesterliebe.«

begann sie zu deklamiren, und langsam und mit theatralischem Pathos folgte Strophe auf Strophe. O, es war eine trübe, melancholische Musik, die halb singende Stimme der Irrsinnigen. Leichte Nebel lagerten auf den eilenden Fluthen; die über den Horizont emporsteigende Sonne strengte sich vergeblich an, den dichten, [] einfarbigen Wolkenschleier zu zerreißen; das Wasser gurgelte unter dem scharfen Bug des leichten Fahrzeugs und in regelmäßigem Takt sanken die von kräftigen Armen geführten Ruder in's Wasser.

»Jo–han–na, Jo–han–na!«

schienen die Ruder zu sagen, indem sie in drei Absätzen zwischen den Pflöcken klapperten und im Wassern plätscherten.

»Jo–han–na, Jo–han–na!«

Das Boot glitt so schnell und leise dahin, so schnell vorbei an Feld und Wald, an Gehöft und Dorf; vorbei an lang gebauten Kohlenschiffen und schwerfälligen Holländern, hier stromaufwärts geschleppt von langen Reihen von Pferden, dort von den Fluthen stromabwärts getragen; vorbei an dem alten römischen Thurm auf der rechten Seite, vorbei an anmuthig gelegenen Villen auf dem linken Ufer.

»Jo–han–na, Ja–han–na!«

Schneller folgten die Häuser auf einander und häufiger wurden die nur noch mit wenigen gelben Blättern geschmückten Weinberge von Obst- und Ziergärten unterbrochen. Die schlanken Thürme der altehrwürdigen Stadt Bonn traten mehr in den Vordergrund, die fliegende Brücke schien mit ihrer langen, von Booten getragenen eisernen Kette den Strom absperren zu wollen. Vom Ufer herüber, von den Zimmerplätzen erschallte der lustige Schlag der Art und daß Knirschen der langen Brettersäge, von einem mächtigen Holzfloß der Gesang der zahlreichen, die schweren Ruder führenden Arbeiter.

Ich aber sah von allem Diesem nichts; ich sah nur den einfarbigen trüben Himmel über mir, die Wände des Bootes zu beiden Seiten und vor mir die abenteuerliche Gestalt der deklamirenden und singenden Irrsinnigen.

Dock während das Boot eilfertig seine spiegelglatte Bahn verfolgte, vergegenwärtigte ich mir lebhaft alle die lieben Punkte und Gegenstände, an welchen ich zum letzten Mal vorübergetragen wurde, und indem die beiden Schiffer ihre Ruder tiefer in die Fluthen senkten, erklang es für mich lauter und deutlicher:

»Jo–han–na, Jo–han–na.«

»Wir befinden uns gleich vor der Stadt,« sagte plötzlich der ältere Schiffer, und vor dem Ton seiner Stimme verschwanden die Bilder, die meinen Geist so lange beschäftigt hatten, und das Geräusch des Ruderns bestand nur noch ans dem gewöhnlichen dreitacktigen Klappern und Plätschern, »schlafen Sie nur ruhig weiter, gerade vor der Stadt, wo so viele Menschen das Ufer beleben, schläft es sich am besten.« Ich nickte dem freundlichen Bootsmann bezeichnend zu und drückte mich noch fester an die Planken des Fahrzeugs.

»Und die Schwarzen sehen oftmals weiter, als die Weißen,« fügte Fräulein Brüsselbach, mit einem Blick in die Ferne hinzu, als ob sie zu den Ufern gesprochen habe.

»Fräulein Brüsselbach, wir werden bald von einander scheiden, auf Nimmerwiedersehen scheiden,« antwortete ich leise, »so erklären Sie mir denn endlich, was ist es mit den Schwarzen, vor welchen Sie mich schon damals bei Rolandseck warnten? Vielleicht erhalle ich dadurch einen klareren Bück in das [] Gewebe, welches zu meinem Verderben gesponnen wurde.«

»Haben Ihre Gnaden denn mein unterthäniges Schreiben nicht erhalten?« fragte die Irrsinnige überrascht zurück?

»Einen Brief von Ihnen? Ich erhielt keinen. Wem übergaben Sie die für mich bestimmte Nachricht.«

Fräulein Brüsselbach sann eine Weile nach. »Ich gab sie dem Bruder des armen Anton, desselben Anton, der heute früh an Ihro Gnaden Seite saß,« versetzte sie darauf entschieden. »Er versprach mir heilig, Ihnen den Brief einzuhändigen.«

»Wenn Sie den wilden Andres zu Ihrem Boten wählten, dann befremdet es mich nicht, Ihren Brief nicht empfangen zu haben.«

»So haben Sie ihn nicht erhalten sollen; das Geschick ist stärker, als menschlicher Wille,« entgegnete Fräulein Brüsselbach trocken.

»So sagen Sie mir wenigstens jetzt noch, was in dem Briefe stand.«

»Herr Graf, nachdem das Geschick uns seinen Willen kundgegeben, sollte ich Ihrem Wunsche eigentlich nicht willfahren; allein der Würfel ist gefallen, und wird es Ihnen daher nicht mehr zum Nachtheil gereichen. Ich schrieb Ihnen, was zwei schwarz gekleidete Männer am Rande des Steinbruchs zu einander sprachen, während ich in demselben saß. Es waren nur wenig Worte, die ich verstand, aber es waren böse, geheimnißvolle Worte. ›Wird Wandel hinaufgehen?‹ fragte der Eine; ›ohne Zweifel,‹ antwortete der Andere. ›Gut, so ist er in der Falle und wird er uns nicht weiter hindern,‹ versetzte der Erstere wieder; was sie dann noch weiter verhandelten, vermochte ich nicht mehr zu unterscheiden.«

»O, hätte ich das zur rechten Zeit gewußt, es wäre vielleicht anders gekommen!« seufzte ich zerknirscht vor mich hin.

»Excellenz, ich wiederhole: das Geschick ist stärker als die Menschen,« versetzte die Irrsinnige, mich theilnahmvoll betrachtend.

»Es kommt ein Dampfschiff den Rhein herunter, wir müssen uns näher am Ufer halten, oder sie können vom Des aus in unser Boot sehen,« bemerkte der eine Schiffer, und zugleich steuerte er, da die Stadt nunmehr schon hinter uns lag, auf das linke Ufer zu.

»Wir haben Zeit genug«, antwortete der andere gelassen, »erstens dauert es noch eine Weile, bis es die Stadt erreicht, und dann bleibt es auch wenigstens eine halbe Stunde vor der Landungsbrücke liegen, bis dahin können wir dreimal hinüber und herüber gerudert sein.«

Die nächsten zehn Minuten verstrichen darauf in tiefem Schwelgen, doch merkte ich, daß das Boot sich allmälig dem Ufer näherte und endlich in der Entfernung von kaum fünfundzwanzig Schritten an den tief in das Wasser hineingebauten Dämmen vorüberschoß. Ich erblickte nämlich in bestimmten Zwischen räumen die äußersten Spitzen der schlanken Weiden mit welchen die Dämme bepflanzt waren.

»Das Dampfboot hält nicht an,« rief plötzlich der eine Schiffer erbleichend aus, es muß Unheil im Winde sein!

[] »Jesus Maria! sich das rothe Fähnchen, welches vorn geschwungen wird, gilt das uns?« fragte sein Gefährte nicht weniger besorgt.

»Keinem Andern,« antwortete der erste, »wir sind verrathen worden, und zwar kann das nur in Königswinter geschehen sein. Heilige Maria Muttergottes, was fangen wir an!«

Bei diesem Ausruf richteten die beiden Leute, die nicht mehr ruderten und ihr Fahrzeug nur noch von der Strömung forttreiben ließen, ihre ängstlichen Blicke auf mich.

»Wie lange dauert's, bis das Dampfschiff heran ist?« fragte ich, von wahrem Entsetzen ergriffen, denn jetzt, nachdem ich die Freiheit gekostet und mich bereits so nahe am Ziel wähnte, erschien mir meine Wiederverhaftung doppelt furchtbar.

»Kaum noch fünf Minuten,« lautete die wenig trostreiche Antwort.

»Ich muß hinaus,« erwiderte ich dringend. »Wenn wir landen, verschlimmern wir unsere Lage,« wendeten die Schiffer ein.

»Ihr sollt nicht landen,« bat ich dringend, »Ihr sollt nur genau nach meiner Vorschrift handeln, und wir Alle mögen noch gerettet werden. Wendet das Boot so, daß es dem Dampfboot die breite Seite zukehrt. Seid Ihr fertig?«

»Wir sind fertig.«

»Fräulein Brüsselbach, stehen Sie auf und suchen Sie mich durch ihre Gestalt zu verdecken,« befahl ich weiter, denn die Nähe der Gefahr wirkte nicht nur, wie schon früher in ähnlicher Lage, auf meine Erfindungsgabe, sondern ließ mich auch das richtige Benehmen einschlagen, die oft störrische Irrsinnige fügsam zu machen.

Kaum hatte Letztere meiner Aufforderung Folge geleistet, so schob ich meinen Ranzen, an welchen ich Hut und Wanderstab befestigt hatte, hinter ihr empor, und ihn vorsichtig über Bord drängend, ließ ich ihn an den Riemen behutsam in's Wasser gleiten, wo er sogleich versank.

Fräulein Brüsselbach, nunmehr meine Absicht errathend, kam mir dadurch zu Hülfe, daß sie ihr gesticktes Kleid auseinanderbreitete und dicht an die dem Dampfboot zugekehrte Seite des Fahrzeugs herantrat, wodurch ich Raum genug gewann, in zusammengekauerter Stellung hinter sie zu gleiten. Aber auch die Bootsleute begriffen augenblicklich, was ich bezweckte, und wenn sie je in ihrem Leben mit Eifer ein Fahrzeug handhabten, so geschah es, als sie das Boot in der bestimmten Lage und im Gleichgewicht hielten.

Vom Ufer aus konnte ich nicht bemerkt werden, dazu befanden wir uns zu dicht unterhalb der Weidenanpflanzungen, welche den die Straße von dem Wasserspiegel trennenden Abhang bedeckten, und da ich es durch langjährige Uebung im Schwimmen und Tauchen zu einer außergewöhnlichen Fertigkeit gebracht hatte, so erschien es mir durchaus nicht als eine so sehr schwere Aufgabe, mich noch im letzten Augenblick meinen Verfolgern zu entziehen.

Zehn Schritte hatte das Boot noch zu treiben, eh es sich in gleicher Hohe mit dem nächsten Strombrecher befand, während auf der andern Seite daß Dampfboot bis auf etwa fünfhundert Schritte herangekommen[] war. Es blieb mir also noch gerade so viel Zeit, wie ich gebrauchte, meine Vorbereitungen zu treffen.

»Sehe sich Niemand nach mir um,« rief ich den Bootsleuten zu, »meine Brieftasche lasse ich liegen, Fräulein Brüsselbach, nehmen Sie dieselbe an sich, und stellen Sie mir dieselbe einige Stunden später auf dem Ufer zu. Ihr Landen wird keine Schwierigkeiten haben, nachdem das Dampfschiff sich entfernt hat. Sobald Sie mich in's Wasser gleiten hören setzen Sie sich nieder und schwanken Sie dabei, und Ihr, meine Freunde, rudert, sobald die Fluthen sich über mir schließen, gegen den Strom; rührt das Wasser auf, erzeugt Wellen, haltet Euch genau zwischen mir und dem Dampfschiff und nun – lebt wohl!«

Der Damm lag vor mir, ich neigte Kopf und Arme über Bord, und ähnlich einem Aal, der dem Netz entschlüpft, glitt ich in die kalten Fluthen hinab.

Nur auf einen Augenblick tauchte ich dicht an dem Boot noch einmal empor, um Luft zu schöpfen und mir die einzuschlagende Richtung zu merken, und dann verschwand ich unter den von den Schiffern erzeugten Wellen.

Ich hatte eine bedeutende Strecke unter der Oberfläche des Wassers zurückzulegen und zwar ganz in der Tiefe, um dem verrätherischen Auftauchen meines Rockes vorzubeugen, doch gelang mir dies vollkommen. Die Todesangst verlieh mir Kräfte, das auf meinem Körper befestigte Geld und die Stiefel zogen mich niederwärts, die heftige Strömung unterstützte mich in meinen Anstrengungen, und kaum eine halbe Minute, nachdem ich mich von dem Boot getrennt hatte, kroch ich behutsam von der Nordseite aus dem geschützten und daher stillen Wasser, den Damm selbst zwischen mir und meinen Verfolgern, nach diesem hinauf, wo mich die dichtbestandenen Weiden vollständig verbargen.

Das Boot war unterdessen eine kurze Strecke an dem Damm vorbeigetrieben. Um den Leuten auf dem Dampfboot ihren guten Willen zu beweisen, peitschten die beiden Ruderer das Wasser, daß es schäumte und die ringförmigen Willen, bis an's Ufer hinrollend, die letzte von mir zurückgelassene verrätherische Bewegung der Fluthen vernichteten. Fräulein Brüsselbach hatte wieder Platz genommen, ihr Haupt stützte sie auf beide Hände, und so schaute sie mit ihrem unveränderlichen Lächeln nach dem heranbrausenden Dampfboot hinüber, welches endlich seine Maschine anhielt und dann trage auf den von ihm selbst erzeugten Wellen schwankte.

Als das Boot neben dem Dampfschiff anlegte, befanden sich beide Theile schon zu weit von mir entfernt, um die daselbst gewechselten Worte verstehen zu können. Die Schiffer sowohl, als auch die Irrsinnige mußten indessen einem scharfen Verhör unterworfen weiden, denn erst weit, weit unterhalb setzten sich die Räder wieder in Bewegung und in großem Bogen dampfte das Schiff zurück, während das Boot hinter dem nächsten Ufervorsprung verschwand.

Erst nachdem auf dem Dampfboot mittelst eine, Glocke das Zeichen zum Anlegen an der Bonner Landungsbrücke gegeben worden war, fühlte ich, daß die Kälte und Nässe mich fieberhaft schüttelten. Die [] Auslegung und der Ernst meiner Lage hatten mich so lange die äußeren Einflüsse nicht empfinden lassen. Mit doppelter Wucht stürmte daher jetzt das Bewußt sein auf mich ein, daß ich ebenso wenig, wenn ich nicht vollständig erstarren wollte, auf derselben Stelle liegen bleiben, wie mich in meinem Aufzuge auf der Landstraße zeigen dürfe. Hierzu gesellte sich noch der mißliche Umstand, daß die Irrsinnige sich im Besitz meiner Papiere und des Wanderbuches befand und es zweifelhaft war, ob sie mir dieselben zurückerstatten würde. Verrath hatte ich von ihr nicht zu befürchten, das wußte ich wohl, allein sehr empfindlich wäre mir der Verlust meiner Brieftasche gewesen, welche das Einzige enthielt, wodurch ich in späteren Jahren vielleicht den verlangten Aufschluß über meine Person zu geben im Stande war.

Im Uebrigen bot mir das Weidendickicht ein sicheres Versteck, in welchem ich mich sogar den sorgfältigsten Nachforschungen mit Leichtigkeit entziehen konnte. Ich rührte mich daher nicht eher von der Stelle, als bis das Dampfboot, nachdem es in Bonn Passagiere gelandet und eingenommen hatte, seine Reise stromabwärts fortsetzte und in nördlicher Richtung aus meinem Gesichtskreis getreten war. Dann aber schlich ich behutsam von dem Damm nach dem weidenbewachsenen Uferabhange hinauf, um mich vor allen Dingen zu überzeugen, ob die Landstraße, oder vielmehr der für die Schiffe schleppenden Pferde bestimmte Leinpfad frei sei.

Vorsichtig lugte ich hinauf und hinunter; es war um die Mittagszeit und nur in der Ferne erblickte ich einige vereinzelte Gestalten, anscheinend Leute, die von der Feldarbeit heimkehrten. Vor mir, auf der andern Seite des Weges, dehnte sich ein umfangreicher, mit einer jungen Buchenhecke eingefaßter, englischer Garten aus. Obwohl der Herbst bereits die Blätter von den Ziersträuchern und Bäumen abgestreift hatte, verdeckten die mit Tannen und Kiefern anmuthig durchwachsenen Baumgruppen doch fast vollständig das auf einem sanft ansteigenden Abhange gelegene Wohnhaus nebst daranstoßendem, massiv aufgeführtem Gehöft. Ich durfte also hoffen, auch von dort oben aus nicht bemerkt zu werden, und da ich in dem dichten Buschwerk ein geschützteres und bequemeres Plätzchen zu finden erwartete, als mir die Weidenanpflanzung und das in derselben üppig wuchernde feuchte Gras boten, im Garten selbst aber Niemand zu hören oder zu sehen war, so entschloß ich mich schnell, und nachdem ich über den Weg hinübergeschlüpft war, kletterte ich über das zierliche Lattenthor in den Garten hinein.

Mein nächstes Ziel waren eine Edeltanne und eine Kiefer, die am Rande eines Rasenplatzes bis zur Erde hinab so dicht ineinander verwachsen waren, das ein Kaninchen Mühe gehabt hätte, ohne sich an die Erde zu schmiegen, unter denselben durchzukriechen.

Für mich gab es indessen kein Hinderniß, welches mir zu groß erschienen wäre, und wenn auch mit verletztem Gesicht und Händen, gelangte ich doch tief genug in das Versteck hinein, um von zufällig Vorrübergehenden nicht leicht entdeckt zu werden. Außerdem genoß ich auch den Vortheil der Aussicht auf den Leinpfad, was ich insoweit als einen glücklichen Zufall pries, als Fräulein Brüsselbach's Annäherung, [] im Falle sie mir meine Brieftasche wieder zuzustellen gedachte, mir nicht entgehen konnte.

Ueber mir die duftenden, dicht verschlungenen grünen Zweige und unter mir den trockenen, von umherstreifenden Hühnern zu Staub zerwühlten Boden, befand ich mich also verhältnißmäßig Wohl. Die Wärme des Körpers begann allmälig meine Kleider zu trocknen, und da ich für unvorhergesehene Fälle stets etwas Brod bei mir trug, welches allerdings durch das Wasser gelitten hatte, so beabsichtigte ich daselbst bis zum Abend auszuharren, demnächst einige Goldstücke aus meinem Gurt zu nehmen und mit Hülfe dieser meine Flucht immer weiter stromabwärts fortzusetzen.

Doch es war, als ob sich an diesem Tage Alles wider mich verschworen hätte, denn noch keine Viertelstunde hatte ich in meinem Versteck zugebracht, als die Zweige sich hinter mir leise auseinander theilten und ein ungefähr neunjähriger, flachsköpfiger Junge mich mit einer an Unverschämtheit grenzenden Neugierde betrachtete.

»Du denkst wohl, ich habe Dich nicht gesehen?« redete er mich an, und seine blauen Augen leuchteten vor Vergnügen über seine Entdeckung, »ich habe Dich gesehen und mochte wohl wissen, was Du in meinem Garten zu suchen hast. Willst wohl Nachtigallen fangen oder Aepfel stehlen?«

»Ist dies Dein Garten, mein Sohn?« fragte ich freundlich, um den kleinen ungeschlachten Patron zu besänftigen.

»Mein Garten und mein Hof, ich bin der Herr vom Jesuitenhofe und frage Dich nochmale, was Du hier willst?« wiederholte der Knabe mit unbeschreiblich komischem Selbstvertrauen.

»Mein lieber Herr vom Jesuitenhofe,« erwiderte ich noch freundlicher, wodurch der Knabe offenbar viel milder gestimmt wurde, die Nachtigallen sind längst fort, ich kann also keine mehr fangen, und um Aepfel zu stehlen, hätte ich vier Wochen früher kommen müssen; nur ausruhen will ich mich, mit Deiner gütigen Erlaubniß, denn ich bin sehr müde.

Der Knabe sah sich verlegen um; augenscheinlich sann er über ein anderes Verbrechen nach, welches er mir zur Last legen könne, und da ihm im ersten Augenblick nichts einfiel, so beschloß er, den Großmüthigen zu spielen.

»Bist Du müde, so hast Du auch wohl Hunger?« fragte er verschmitzt.

»Ich bin hungrig, daß ist wahr, aber Du siehst, mein lieber Herr vom Jesuitenhofe, daß ich auch etwas zu essen habe.«

»Trocknes Brod?« fragte der Knabe lachend, »trocknes Brod gebe ich nicht einmal meinen Hunden; wenn Du mir versprichst, mich nicht zu verrathen, so will ich Dir ein Stück Wurst und ein paar Taschen voll Aepfel holen, auch einen Käse, wenn Du ihn haben willst; die Käse sind für mich noch am leichtesten zu erreichen.«

»Gut, gut, mein liebes Herrchen, ich nehme mit Dank an, was es auch immer sei, und daß ich Dich nicht verrathe, darauf gebe ich Dir mein Ehrenwort.«

»Kannst mir auch ein paar Geschichten erzählen,« versetzte der Knabe, mich noch einmal aufmerksam betrachtend; »Du siehst gerade so aus, wie Einer, [] der recht tolle Streiche zu erzählen weiß. Ich lege mich dann zu Dir, und damit Du mir nichts zu Leide thust, bringe ich meinen Pandur mit.«

»Wer ist Dein Pandur?« fragte ich ängstlich, denn es war mir um nichts weniger, als um noch mehr Gesellschaft zu thun; ging ich doch schon mit mir darüber zu Rache, ob es nicht besser sei, die kurze Abwesenheit des jungen Wildfangs dazu zu benutzen, mich heimlich und schleunigst zu entfernen.

»Pandur ist mein Hund; er ist ebenso alt, wie ich, aber viel größer, als ich, daß heißt, wenn er sich auf die Hinterfüße aufrichtet; dabei ist er so stark, daß er Dich auf meinen Befehl nicht nur zerreißen, sondern sogar auffressen würde.«

»Gut, mein Herr vom Jesuitenhofe, bringe Deinen Pandur mit, und Geschichten will ich Dir erzählen, wie Du sie in Deinem Leben noch nickt schöner gehört hast.«

Der Knabe, wie im Bewußtsein seiner Würde, schlug die Arme über der Brust ineinander und schritt davon.

Neugierig blickte ich ihm nach. Daß er, um mir, als vorgeblicher Herr des Gartens und des Hofes, Speisen bringen zu können, unstreitig in die Speisekammer seiner Mutter einbrechen mußte, diente mir zur Beruhigung, indem er dadurch nicht weniger Verrath zu fürchten hatte, als ich, nur mit dem Unterschiebe, daß bei mir die Freiheit, bei ihm dagegen blos die unversehrte Haut seines auffallend breiten Rückens auf dem Spiele stand.

Eine halbe Stunde verstrich. Ungeduldig spähte ich bald nach dem Leinpfad hinüber, wo ich jeden Augenblick Fräulein Brüsselbach zu bemerken hoffte, bald nach dem alterthümlichen Gehöft hinauf, von woher ich den wilden Knaben erwartete, und immer mehr peinigte mich der Gedanke, daß mein Geschick nunmehr vollständig von der Laune eines anscheinend ziemlich unbändigen Kindes abhängig sei. Doch welch anderer Weg wäre mir offen geblieben? Ich mußte durchaus auf seine Rückkehr harren und in Frieden und Freundschaft von ihm scheiden, um nicht, in Folge meines heimlichen Entweichens, für einen Dieb gehalten und als muthmaßlicher Gartenfrevler mit allen Hunden und Arbeitern des Hofes gehetzt zu werden. Nach längerem Harren drohten meine schwärzesten Befürchtungen sich wirklich erfüllen zu wollen, denn als ich auf ein wildes Geschrei nach dem Hause zurückschaute, gewahrte ich meinen jungen Freund, wie er in Begleitung eines riesenhaften Hofhundes hastig die kleine, von dem hochgelegenen Hofe in den Garten führende Treppe heruntergesprungen kam, aber von drei oder vier, ebenfalls flachsköpfigen, kleinen Mädchen und Knaben verfolgt wurde.

Nachdem er einige Schritte in den Garten hineingethan hatte, blieb er plötzlich stehen, und sich nach seinen Geschwistern umwendend, befahl er ihnen, sich augenblicklich in's Haus zurückzuscheren.

»Wir haben ganz dasselbe Recht, wie Du,« hieß es im vierstimmigen, sopranen Chor zurück.

»So?« rief der Knabe aus, »habt Ihr? das wollen wir doch einmal sehen!« und dann auf die kleine Gesellschaft einspringend, hieb er unter dem lustigen Bellen Pandur's mit einer solchen Gewandtheil unter seinen Geschwistern herum, daß dieselben [] in der nächsten Minute jammernd und winselnd nach dem Hofe hinaufkletterten, wo sie von einem zu Hülfe eilenden Dienstboten in Empfang genommen wurden.

Mein junger Freund wartete nur so lange, bis Alle hinter der Ecke des Hauses verschwunden waren, worauf er spornstreichs den Abhang hinunterlief und von der dem Rhein zugekehrten Seite, wo er also vom Hofe aus nicht beobachtet werden konnte, sammt seinem Pandur zu mir in mein Versteck kroch.

Ueberhaupt schien zwischen dem Jungen und dem Hunde eine gewisse Aehnlichkeit der Gesinnungen zu herrschen, denn nicht nur, daß sie bei gleichem Alter einen gleich kräftigen Gliederbau zeigten, der auf eine gleiche Unempfindlichkeit gegen Schläge deutete, leuchteten auch aus ihren Augen dieselbe Schadenfreude, dieselbe Lust an tollen Streichen und dieselbe Gleichgültigkeit gegen ihre äußere Erscheinung, was namentlich dem Hunde verdacht werden durfte, der mit seinem achten oder gar neunten Jahr doch zum allermindesten in das Alter des Ernstes und der Gesetztheit getreten war.

»Ich habe Alles,« sagte der Knabe mit triumphirendem Ausdruck, indem er aus seinem, um die Hüften mittels eines Bindfadens zusammengewürgten blauen Staubhemde die versprochenen Speisen hervorholte und vor mir niederlegte, »gern hätte ich auch noch ein Stück Schinken gebracht, aber die Kinder störten mich und ich mußte fort.«

»Was sind denn das für Kinder, mein kleiner Herr?« fragte ich freundlich, denn der Anblick des unbändigen Jungen mit dem trotzigen Gesicht übte einen so eigenthümlichen Reiz auf mich aus, daß dadurch sogar die Gedanken an meine gefährliche Lage auf kurze Zeit zurückgedrängt wurden.

Das Wort »klein« behagte ihm offenbar nicht sehr, denn er steckte mit dem Ausdruck eines Thier bändigers seine Faust in Pandur's furchtbaren Rachen, und mich dabei fest anblickend sagte er: »Ich habe schon ein eigenes Federmesser und eine eigene Uhr.«

»Dann bist Du allerdings kein kleiner Herr mehr,« entgegnete ich lächelnd, »aber weißt Du auch, daß es sehr unrecht ist, der Mutter Speisen zu entwenden, um sie fremden Leuten zu schenken?«

»Ich bin Herr vom Jesuitenhofe,« antwortete der Wildfang, »und wären diese Sachen leicht zu erlangen gewesen, dann hätte es mir kein Vergnügen gemacht, sie Dir zu bringen; sage mir 'mal, kannst Du rauchen?«

»Ich kann wohl rauchen,« erwiderte ich, mit Wohlgefallen den mächtigen Hund betrachtend, der jedes Wort aus seines jungen Gebieters Augen herauszulesen schien; »allein ich muß gestehen, daß ich keine sonderliche Neigung dazu verspüre.«

»Na, rauche nur, ich habe Dir ein Paar Dinger mit gebracht,« versetzte der Knabe, indem er zwei Cigarren aus seinem Stiefel zog, bei welcher Gelegenheit ich bemerkte, daß er keine Strümpfe trug.

War es mir schon gleich zu Anfang aufgefallen, daß bei Junge, trotz der rauhen Witterung, nur einen ganz leichten leinenen Anzug trug und, der Bequemlichkeit halber, die das Hemd und den Kittel auf der Brust zusammenhaltenden Bänder und Knöpfe abgerissen hatte, so überraschte mich der Mangel [] eines der allernothwendigsten Kleidungsstücke in noch höherem Grade.

»Friert Dich nicht in Deinem leichten Anzug?« fragte ich, indem ich, mehr um den Knaben zu erfreuen, als aus wirklichem Hunger den vor mir liegenden Speisen zusprach.

»Im Sommer friert mich und dann lege ich mich in den Rhein, um mich zu wärmen, und im Winter schwitze ich.«

»Was sagt aber Deine Mutter dazu, daß Du ohne Strümpfe gehst?«

»Meine Mutter weiß es nicht,« antwortete der Knabe, sich behaglich ausstreckend und seine Füße auf des Hundes Rücken legend; »um allen Zank zu vermeiden, ziehe ich mir des Morgens die Strümpfe an, dann gehe ich in die Scheuer, um sie wieder abzulegen und im Stroh zu verbergen, und des Abends mache ich es umgekehrt.«

»Du bist ein braver Junge, aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß Du sehr viel Anlagen zu einem Vagabunden besitzest.«

»Das haben mir schon mehr Leute gesagt, und wenn ich erst etwas größer bin und das Vagabundiren gefällt mir, werde ich ein Vagabund. Ach, es ist fürchterlich, so mit Leinen gequält zu werden! Du bist wohl selbst ein Vagabund?«

Eh' ich antworten konnte, hörte ich, daß vom Hofe aus Jemand nach dem Knaben rief.

»Ich glaube, sie rufen Dich,« sagte ich leise, »es wäre doch Wohl besser, Du gingst, damit sie nicht kommen und entdecken, daß Du in Deiner Mutter Speisekammer eingebrochen bist.«

»Laß sie nur rufen,« entgegnete der kleine Taugenichts vollständig ruhig.

»Aber Du wirst kein Mittagbrod erhalten,« fuhr ich dringend fort, als das Rufen sich verstärkte.

»Dann esse ich heute Abend so viel mehr.«

»Man wird Dich bestrafe!', vielleicht hart bestrafen.«

»Hm, ich habe keine Angst und bleibe so lange fort, bis Alle glauben, ich sei in den Rhein gefallen; wenn ich dann Plötzlich wieder komme, thut mir kein Mensch etwas, vor lauter Freude, daß ich da bin.«

»Aber sie werden Dich und dann auch mich finden, darum gehe,« bat ich, besorgnißvoll.

»Ach was, sie finden uns nicht, und finden sie uns, so geht es Dir bei Weitem nicht so schlecht, als mir. Brauchst übrigens nicht bange zu sein, so lange ich bei Dir bin.«

Das Rufen war wieder verstummt, doch nur auf kurze Zeit, denn nach wenigen Minuten erblickte ich zu meinem Entsetzen einen Herrn und eine Dame, die eilfertig in den Garten niederstiegen und geraden Weges auf den Rhein zulenkten. Sie sprachen eifrig miteinander, und deutlich gewahrte ich in dem Wesen der jungen Frau die Anzeichen großer Besorgniß.

»Der Junge nimmt gewiß noch einmal ein unglückliches Ende,« unterschied ich endlich die ängstliche Stimme der Mutter, »ich kann ihn nicht mehr bändigen, er thut, was er will, und weder Güte noch Strenge helfen bei ihm.«

»Den trifft kein Unglück,« entgegnete der Herr, ein kleiner Mann mit militärischem Anstände, »er wird sich wieder in die Gesellschaft von Gassenbuben [] begeben haben und mit blau geschlagenen Augen heimkehren.«

Hier rief der Herr meinen kleinen Gefährten laut bei Namen, doch erlangte er dadurch weiter nichts, als daß dieser sein Gesicht zu einem lustigen schadenfrohen Lachen verzog und Pandur am Halsband ergriff.

»Hat er den Hund bei sich?« fragte darauf der Herr seine Gattin.

»Ich glaube es,« antwortete diese mit wachsender Angst.

In demselben Augenblick schritten sie um die nur Schutz gewährenden immergrünen Bäume herum, und zugleich gewahrte ich zu meinem Entsetzen, daß Pandur sich bestrebte, durch das Wedeln eines kleinen Ueberrestes von Schweif seine Freude an den Tag zu legen.

»Pandur!« rief der Herr jetzt laut aus, dem Ruf ein Helles Pfeifen nachsendend, und gleichzeitig erfolgte die Katastrophe, welche ich, ohne sie abwenden zu können, längst vorhergesehen hatte.

Pandur wälzte sich nämlich, trotzdem der Knabe sich verzweiflungsvoll an sein Halsband festgeklammert hatte, unter den niedrig Hangenden Zweigen herum, und die Last noch eine Strecke mit sich fortschleifend, kroch er ins Freie hinaus, wo er seinen Hauptgebieter mit bärenhaften Liebkosungen zu erdrücken drohte.

»Wo Pandur ist, befindet sich der Junge nicht weit,« sagte der Herr lachend, als der Knabe sich von den Zweigen losmachte und beschämt hinter seine Mutter schlich, die denn auch wirklich in der Freude des Wiedersehens die angekündigte Strafe vergaß. »Aber wen haben wir hier noch?« fuhr der eigentliche Besitzer des Jesuitenhofes fort, sobald er mich entdeckte.

»Seien Sie großmüthig, beachten Sie mich nicht; ich bin der in Frankfurt entsprungene Student, auf welchen auf allen Straßen und Wegen gefahndet wird,« sagte ich, um von dem Knaben nicht verstanden zu werden, mich der französischen Sprache bedienend; denn ich sah ein, daß mir als letztes Mittel zur Rettung nur noch übrig blieb, mit einer offenen Erklärung vorzutreten.

»Und Du hast einem fremden Menschen, der ohne Erlaubniß in unfern Garten eingedrungen ist, Speisen zugetragen?« wendete der Herr sich an seinen Sohn, während ich langsam aus meinem Versteck kroch.

»Er war hungrig,« antwortete der Knabe trotzig.

»So, also hungrig war er?« fuhr der Vater in strengem Tone fort, »ich verbiete Dir ein für alle Mal, ohne Erlaubniß fremden Menschen irgend etwas zuzustellen. Augenblicklich gehe in's Haus zurück, und laß Dich in den ersten zwei Stunden nicht mehr vor der Thüre sehen! Und Ihr, mein Freund,« wendete er sich sodann an mich, »seid so gut und verlaßt meinen Garten auf demselben Wege, auf welchem Ihr hereingekommen seid. Wenn Ihr hungrig waret und redliche Absichten hegtet, hättet Ihr frei in's Haus kommen können – aber heimlich eindringen und meine Kinder zum Unrecht verleiten –«

»Er hat mich nicht verleitet!« versetzte der Knabe trotzig, indem er sich umschaute.

[] »Fort in's Haus!« befahl der Vater zornig.

»Dein Mittagbrod ist warm gestellt worden!« rief die Mutter, und im nächsten Augenblick war der kleine Wildfang auf dem Hofe verschwunden.

Bei der grausamen Anrede des Herrn, die ebensowohl durch die Lage, in welcher er mich gefunden, als auch durch meine äußere Erscheinung vollkommen gerechtfertigt war, sank mir das Herz in der Brust. Trostlos blickte ich in die mitleidigen, blauen Augen der jungen, schönen Frau, und schon dachte ich daran, ob es nicht am besten für mich sei, um allem ferneren Ungemach zu entgehen, wich freiwillig den Gerichten zu stellen, als der Herr mich wieder anredete.

»Beruhigen Sie sich,« begann er wohlwollend, indem er mir die Hand reichte, »wenn Sie wirklich der Herr Wandel sind, von dessen Flucht alle Zeitungen erzählen, so will ich am allerwenigsten die Hand dazu bieten, daß man einen so jungen Mann auf's Neue verhaftet. Ich wünschte nur meinen Sohn über ihre Person zu täuschen. Kinder sind als Mitwisser von Geheimnissen gefährlich. Gelingt es mir. Sie unbemerkt in mein Haus zu schaffen, so dürfen Sie sich als gerettet betrachten – aber wie ist es, besitzen Sie Papiere? Sie sind ja ganz durchnäßt und ohne Hut?«

Ich beschrieb darauf mit kurzen Worten meine Flucht, meine Verfolgung und die Art, in welcher ich in den Garten gekommen und mit dem Knaben bekannt geworden war, und schloß damit, daß ich bat, so lange in meinem Versteck verweilen zu dürfen, bis die Irrsinnige mir meine Brieftasche wieder eingehändigt haben würde.

Meine Vorstellungen fanden bei den menschenfreundlichen Leuten die erhoffte Aufnahme. Mit keiner Miene verriethen sie Mißtrauen; im Gegentheil, ihre Worte waren die der aufrichtigsten Theilnahme, und als sie sich von mir entfernten, da beabsichtigten sie zunächst, den Weg durch eine Scheune in ein Kelterhaus, in welches sie mich hinein zu schmuggeln gedachten, von etwanigen unberufenen Zeugen frei zu halten.

Sie waren nicht lange gegangen und ich hatte mich wieder in mein Versteck zurückgezogen, da entdeckte ich endlich durch das Gebüsch hindurch Fräulein Brüsselbach, wie sie langsam auf dem Leinpfad einhergeschritten kam und von Zeit zu Zeit aufmerksam in das Weidendickicht hineinspähte. Zuweilen vernahm ich auch ihre unmelodische Stimme, mit welcher sie, durch das Absingen einiger Verse, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken suchte.

Erst als sie bei dem Gartenthor eingetroffen war und, wie um sich zu orientiren, rückwärts schaute, durfte ich es wagen, den Schutz der Bäume zu verlassen und mich ihr zu nähern.

Meine Flucht und ihre mittelbare Betheiligung an derselben hatten sie mächtig aufgeregt und alle ihr innewohnenden, verwirrten romantischen Ideen auf einmal wach gerufen. Es sprach wenigstens aus ihren leeren und dabei doch seltsam glühenden Blicken, daß etwas Ungewöhnliches in ihrem Geiste vorgehe. »Herr Graf, hier ist Ihre Brieftasche,« sagte sie feierlich, indem sie mir meine Papiere durch das Gitterthor darreichte, »betrachten Sie sich als gerettet« –

[] »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, mein liebes Fräulein,« unterbrach ich die Unglückliche, die sich mir gegenüber stets so treu und ausrichtig gezeigt hatte, und um ihr meine Dankbarkeit zu beweisen, versuchte ich es, ihr einen Thaler in die Hand zu drücken.

»Das Geschick läßt sich nicht bestechen, junger Mann,« versetzte die Irrsinnige, das Geld zurückweisend; es war das erste Mal, daß sie es unterließ, mir irgend einen schwülstigen Titel beizulegen; »bleiben Sie treu und beharrlich, verlieren Sie nicht die Geduld, und die Palme des Sieges wird Ihnen dereinst dennoch werden. Die Zukunft bleibt den Sterblichen verborgen; aber das Geschick gestattet uns freundlich, mit ganzer Seele an Ahnungen zu hängen und zufällige Aeußerungen, zur Linderung der aus einem gebrochenen Herzen entspringenden Qualen, als weise Orakelsprüche betrachten zu dürfen. Seit zwanzig Jahren und länger erfüllt mich dasselbe Sehnen, dasselbe Hoffen. Hoffen auch Sie, junger Mann, und gedenken Sie meiner;

Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt Dir zum Altar.«

Als Fräulein Brüsselbach das letzte Wort gesprochen hatte, wendete sie sich, ohne eine Entgegnung von mir abzuwarten, kurz um, und mit aufrechter Haltung, das grüne Baret kühn ausgepufft, den gestickten Rock in malerische Fallen gezogen, schritt sie schweigend davon.

Sinnend schaute ich dem armen Geschöpf nach, bis es weit oberhalb meinen Blicken entschwand.

Es war das letzte Mal, daß ich mit der Unglücklichen zusammentraf, ich hörte nie wieder von ihr. Im Geiste sehe ich sie aber noch vor mir, so klar und deutlich, mit ihrem gutmüthigen Lächeln, dem leeren, nichtssagenden Blick und dem phantastischen Kopfputz auf den wirren Haaren, daß ich sie zu malen vermöchte; und oft noch wiederhole ich mir in Gedanken die seltsamen Poesien, die Ergüsse ihres tranken Gemüthes, welche sie stets so gern mit ihrer näheren Umgebung in Verbindung zu bringen suchte. –

Mein Stranden auf dem Jesuitenhofe, welches ich anfangs für ein Unglück hielt, erwies sich als einen unvorgesehenen Glücksfall. Denn nicht genug, daß mir von dem Besitzer die Fortsetzung meiner Flucht möglich gemacht und erleichtert wurde, wirkte es auch wohlthätig auf meine gedrückte Stimmung, fast noch im letzten Augenblick meines Aufenthaltes im Heimathlande, meine Erinnerung um ein freundliches, tröstendes Bild bereichern zu können.

Der liebe Jesuitenhof, mit seinem alterthümlichen Aeußeren und der romantischen Lage, mit seinen umfangreichen Gärten und den geschmackvollen Parkanlagen, mit seinem menschenfreundliche Besitzer und der schönen, theilnahmvollen Gebieterin, mit den flachsköpfigen Kindern und vor Allem mit dem trotzigen neunjährigen Haustyrannen, wie schwebt er mir in der Erinnerung bis in die kleinsten Einzelheiten so lebhaft vor! Dahin, dahin, der Jesuitenhof sammt seinen glücklichen Bewohnern, ich sehe Beides wohl nimmer wieder! –

Wie der wohlwollende Herr mir versprochen hatte, geschah es auch. Unbemerkt gelangte ich in [] die Scheune, von dieser in das Kelterhaus und in eine alte unbewohnte Gärtnerstube, und zum erstenmal seit meiner Abreise von Frankfurt erstellte ich mich der Aussicht, in einem guten Bett schlafen zu dürfen.

Ich wurde mit der nothdürftigsten Kleidung und Wäsche versehen, und als ich mich dann gegen Abend mit einem Gefühl der Sicherheit auf mein Lager warf, da wurden meine trüben Gedanken schnell abgeschnitten, indem die Erschöpfung mich übermannte und ein fester, traumloser Schlaf mir die Augen schloß.

Lange vor Anbruch des Tages wurde ich indessen wieder geweckt. Erschreckt fuhr ich empor, allein nur der Besitzer des Jesuitenhofes stand vor mir, mich fragend, ob ich mit Pferden umzugehen verstehe.

»Ich habe meinem Kutscher die Erlaubniß ertheilt, sich auf einige Tage zu seiner Familie nach Rheindorf zu begeben,« sagte er, nachdem ich auf seine Frage bejahend geantwortet, »und da wollte ich Sie ersuchen, sich in den Rock meines Kutschers zu werfen und mich nach Köln und nach kurzem Aufenthalt daselbst, von dort nach Nachen zu fahren. Von Aachen aus können Sie sehr leicht über die nahe Grenze gelangen, und um Aufsetzen zu vermeiden, fahre ich eigenhändig wieder zurück.«

Natürlich ging ich auf dieses Anerbieten ein, und eine Stunde später saß ich im blauen Rock mit schwarzem Sammelwagen und silberner Tresse auf dem Kutschersitz einer leichten, offenen Droschke, in der einen Hand die Peitsche, in der andern die Zügel von zwei kräftigen Braunen, und in scharfem Trabe rollten wir von dem Hofe hinunter, durch einen großen Garten auf die nach Köln führende Chaussee zu.

In Köln rasteten wir nicht länger, als es die Sorge für die Pferde erheischte, und bereits am nächstfolgenden Abend trafen wir in Aachen ein.

Unangefochten, wie ich als Kutscher meines mit Wege- und Wasserbauten beschäftigten Gastfreundes geblieben, gelang es mir auch, die nahe Grenze zu erreichen, und als ich dieselbe überschritten hatte, genügten meine Papiere vollkommen, mich gegen jede Verfolgung sicher zu stellen.

Von Havre aus, und nachdem ich auf einem in den nächsten Tagen nach Amerika absegelnden Schiffe einen Platz für mich ausbedungen hatte, schrieb ich an meinen Vormund und nach Frankfurt, um Diejenigen, die meiner mit warmer Theilnahme gedachten, über mein Geschick zu beruhigen. Auch das Wanderbuch und die Pfeife sandte ich dem ursprünglichen Besitzer zurück.

Die Vorbereitungen zur Reise und das fremdartige Gewirre in der so reich belebten Hafenstadt, durch welches ich mich gleichsam hindurchwühlen mußte, hinderten mich, viel über meine Lage und meine Aussichten nachzudenken. Erst als die Meereswogen gegen die schwarzen Wanten des Schiffes, welches mich einer unbestimmten Zukunft entgegentrug, brandeten und sich schäumend überschlugen, und als in der Ferne das Festland wie ein schmaler Nebelstreifen vor meinen Blicken verschwand, da erst beschlich mich wieder [] das Gefühl einer gänzlichen Vereinsamung, welches mich seitdem auch nie wieder verlassen hat.

Traurig saß ich auf dem Verdeck, traurig betrachtete ich die tiefblaue, bewegliche Scheidewand, welche sich, mit jeder Minute mehr und mehr anwachsend, unbarmherzig, unübersteiglich zwischen mich und mein theures Heimathland drängte.

* * *

Der Schnee schmilzt auf den Höhen; unendliche Eislasten wälzt der Missouri dem Golf von Mexiko zu, und unter der Erdoberfläche regt sich organisches Leben, um sich von den ersten warmen Frühlingstagen an's Tageslicht locken zu lassen.

Der Winter ist zu Ente; nur noch einige Wochen, und ich breche mit meiner ganzen Habe auf, um auf dem nächsten Handelsposten die Erfolge meiner Winterjagden zu verwerthen und den Sommer und Herbst in den Prairien zu verbringen.

Wie ganz anders und um wie viel freundlicher ist mir dieser Winter, im Vergleich mit den früheren, verstrichen!

Das Niederschreiben des ersten Theils meiner Lebensgeschichte gereichte mir nicht nur zur Unterhaltung und zum Trost in meiner Einsamkeit, sondern es gewährte mir auch einen mit Freude und Wehmuth eng durchwehten Genuß.

Oft glaubte ich, jene Zeiten wirklich noch einmal zu durchleben; Menschen und Begebenheiten traten mir lebhaft vor die Seele, und die den jüngern Jahren entsprechenden Gefühle ergriffen sogar zeitweise wieder Besitz von mir.

Ich war gezwungen, hier zu lächeln, während dort Thränen meine Blicke verschleierten, Meine Jugend mit all ihren holden Träumen ist zerstoben, und dem mit dem Ernst des Lebens vertraut gewordenen Manne blieb Nichts, als die Erinnerung. Aber die Erinnerung hat einen milderen, weniger schmerzhaften Charakter angenommen, seit ich meine wechselvollen Erlebnisse in geordneter Weise niederzuschreiben vermochte. Mit viel Schwierigkeiten hatte ich oft zu kämpfen, um dem Tage einige Stunden abzugewinnen und die unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Doch es ist mir gelungen, und je größer die Hindernisse, welche sich mir entgegenstellten, um so lieber gewann ich meine Arbeit. Es ist ein umfangreiches Manuscript geworden, und um leinen Preis möchte ich es verlieren. Ich will es daher zurücklassen und, da ich den nächsten Winter ebenfalls wieder hier in meiner Abgeschiedenheit zu verleben gedenke, an einem sichern Ort vergraben.

Sollte der Tod mich auf meinen nicht ungefährlichen Jagdzügen ereilen, so weiß wenigstens meine arme Mandanenwaise, wo ich meinen Schatz aufbewahrt habe. Sie wird ihn zu finden wissen und ihn einem Missionair zur Verfügung stellen, zugleich aber [] auch die fehlenden Blätter, welche mein Ende betreffen, leicht durch mündliche Berichte ergänzen können. Und doch, wer wird sich um das mir zugefallene Loos kümmern, wenn ich erst verschollen bin? Niemand, Niemand; nur Schanhatta trauert vielleicht eine kurze Zeit um ihren Wohlthäter, um ihn dann ebenfalls zu vergessen.

Sei dem, wie ihm wolle; fließt meinem Andenken nur eine einzige Thräne, so habe ich nicht ganz umsonst gelebt – und Schanhatta wird gewiß an meinem Grabe weinen.

Armes Kind, es wäre vielleicht meine Pflicht, Dich im Laufe dieses Sommers auf einer Mission unterzubringen, um Dich der Segnungen der Civilisation theilhaftig werden zu lassen; ist aber auch die verfeinerte Civilisation wirtlich ein Segen für Dich? Und dann, wer sollte im nächsten Winter meine Einsamkeit mit mir theilen, wer sollte mir in meinen kleinen häuslichen Verrichtungen beistehen, mich auf meinen Ausflügen zu meinen Pferden und nach den Biberfallen begleiten? Wer sollte meine Mokassins so schon sticken, meine wildledernen Kleidungsstücke ergänzen und mir die Speisen bereiten? Wer endlich sollte mir in den Dämmerungsstunden oder vor dem flackernden Feuer, wenn's draußen stürmt und schneit, durch kindliches Geplauder die Zeit verkürzen, mit schüchterner, fast ängstlicher Aufmerksamkeit meine Nabenfeder beobachten, wenn sie über das Papier hinfliegt, und mir in späten Stunden, während ich arbeite, mit brennenden, in Fett getauchten Holzspänen und Rindenfasern leuchten? Nein, gute Schanhatta, ein Jahr kannst Du immerhin noch bei mir bleiben; Du zählst höchstens dreizehn Winter, außerdem lernst Du ja auch von mir. Hast Du aber erst Dein muthmaßlich vierzehntes Jahr zurückgelegt, dann, ja dann will ich mich gewiß von Dir trennen und Dich der väterlichen Fürsorge eines presbyterianischen Geistlichen übergeben, und die größte Freude soll es mir gewähren. Dich nach Jahren als die gebildete Gattin eines braven Grenzbewohners wiederzufinden.

So schließe ich denn meine Winterarbeit, um sie auf wenigstens sieben Monate dem Schooße der Erde anzuvertrauen. Mitten in meiner Hütte will ich sie vergraben, gerade da, wo jetzt das Feuer brennt, und die letzte Zeit meines Aufenthaltes hindurch über meinem Manuscript den glimmenden Kohlenhausen schüren. Auf einer alten Feuerstelle suchen Indianer und Wölfe nicht leicht nach vergrabenen Schätzen; selbst die bösen Geister der Eingeborenen verlieren vor einem Aschenhaufen die Witterung und werden sie daher mein »sprechendes Papier« unangetastet lassen.

Um aber auch in der Erde das Papier vor Vernichtung durch Feuchtigkeit und Insecten zu bewahren, werde ich es mit einer vierfachen Hülle von am Feuer gehärtetem Büffelleder und Moschus umgeben; und Moschus besitze ich ja in Fülle. Also auf Wiedersehen im Spätherbst!

Ende der ersten Abtheilung.

Zweite Abtheilung: Am Missouri

Erstes Capitel.
Die Mandanenwaise.

Da sitze ich wieder in meiner alten Hütte. Wer hätte es gedacht? Statt der sieben Monate bin ich deren nur vier fortgewesen; aber was habe ich in diesem kurzen Zeitraum erlebt? War es nur ein Traum? Waren es wirre Bilder einer aufgeregten Phantasie? Nein, nein und nochmals nein! Ich habe Alles erlebt, Alles war Wirklichkeit, und was mich jetzt umgiebt, ist ebenfalls Wirklichkeit!

Hier ist meine Hütte, dort, wo das Feuer brennt, Habe ich mein Manuscript unversehrt ausgegraben; nur einige Wölfe hatten in der Asche ihre Spuren abgedrückt, sonst ist Alles unverändert geblieben. Alles unverändert, nur ich nicht. –

Da liege ich mit wundem Knie vor dem bekannten, mir als Pult dienenden Felsblock; das Schreiben wird mir schwer, und oft frage ich mich: Werde ich noch einmal vollständig gehellt werden, oder sollen Schanhatta's Bemühungen sich als vergebliche ausweisen?

Das liebe Kind, mit welcher Sorgfalt und Gewandtheit es meine schwere Wunde behandelt, und wie es mich mit rührender Aufopferung pflegt.

Was könnte ich der armen Waise hinterlassen, im Falle ich stürbe? Nichts, nichts, als etwas Geld und Pelzwerk, und endlich die von mir verfaßte Geschichte meines Lebens.

Ach, es ist dies sehr, sehr wenig, und in meiner hülflosen Lage kann ich nur versuchen, mein Manuscript zu vervollständigen und dadurch dessen eingebildeten Werth zu erhöhen. Doch wo beginnen? In meinem Kopfe wirbeln die Erlebnisse der letzten Monate wild durcheinander; aber ich muß mich beruhigen ich will und muß da beginnen, wo ich kurz vor meinem Aufbruch im Frühling stehen blieb also mit der Zeit, in welcher ich als heimathloser Fremdling in New York landete.

Und dennoch, was haben mir die drei ersten [] Jahre meines Aufenthaltes auf dem amerikanischen Continent geboten? Im Grunde nichts, was der Erwähnung werth wäre. Nicht zum Kaufmann geboren, nicht dazu geschaffen, in der Erwerbung, und oft nicht ganz tadelfreien Erwerbung von Reichthümern meine irdische Glückseligkeit zu finden, machte das Treiben in der mächtigen Weltstadt nichts weniger, als einen freundlichen Eindruck auf mich. Verhältnisse und Menschen widerten mich an, und ohne erst Nachrichten aus der Heimath abzuwarten, begab ich mich gleich westlich, und zwar auf kürzestem Wege nach St. Louis, wo ich bei der Pelz-Compagnie eine Stelle zu erhalten hoffte.

Von jeher ein Verehrer der Jagd und in der Handhabung der Büchse nicht ungeübt, glaubte ich alle Fähigleiten und Eigenschaften zu besitzen, welche, neben einem kräftigen und abgehärteten Körper, zum Dienst in den fernen westlichen Wildnissen erforderlich feien.

Wie traurig wurde ich enttäuscht! Zwar erhielt ich eine Stelle, doch war dieselbe nur mit einem geringen Einkommen verbunden, nicht zu gedenken, daß ich als gewöhnlicher Arbeiter betrachtet wurde und in der Expedition, bei welcher ich eintrat, die allerniedrigsten Dienste leisten mußte.

Auf bessere Zeiten hoffend, fügte ich mich in das Unabänderliche. Ich tröstete mich damit, daß ich bei redlicher Pflichterfüllung, nach Verlauf einiger Jahre wohl im Stande sein würde, als freier unabhängiger Jäger den fernen Westen zu durchstreifen und nur da einen längeren Aufenthalt zu wählen, wo die Natur selbst mir eine Entschädigung für das biete, was ich die Einsamkeit aufsuchend, hinter mir zurückgelassen ich meine Kräfte nicht überschätzt hatte, denn nach Ablauf derselben war ich im Besitz solcher Erfahrungen, daß ich mich kühn zu den gediegensten und gewandtesten Jägern im Dienste der Compagnie zählen durfte.

[] Beim Stellen der Fallen kam mir zu Statten, daß ich mich nicht nur auf das Erlernen der praktischen Handgriffe beschränkte, sondern auch aufmerksam die Natur und Eigenthümlichkeiten der Biber, Moschusratten, Otter und sonstiger werthwollen Thiere beobachtete und erforschte, wie ich es in der Führung der Büchse durch eine kaum mit meinen Jahren aber, mir meinen traurigen Lebenserfahrungen im Einklange stehende Ruhe zu einer gewissen Meisterschaft brachte.

Diese Ruhe, oder vielmehr die Gleichgültigkeit gegen Alles, was meine eigene Person betraf, war ein Schatz, um welchen ich von Vielen meiner Kameraden und Gefährten beneidet wurde, ein Schatz, der mir oft aus schwierigen, ja bedenklichen Lagen half, in welchen alle übrigen guten Eigenschaften eines. Trappers sich als unzureichend ausgewiesen haben würden.

Die Häupter der Pelz-Compagnie erkannten diese Vorzüge sehr wohl an, denn wenn es bei meinem Eintritt in ihre Dienste von meiner Seite vieler guten. Worte bedurfte, um überhaupt der ausgewählten Schaar ihrer Voyageurs eingereiht zu werden, so machten sie mir nach Ablauf der ersten zwei Jahre wiederum ihrerseits die glänzendsten Anerbietungen, wenn ich den Posten eines Secretairs auf einer ihrer abgelegenen befestigten Handelsstationen übernehme wolle.

Geld konnte mich indessen nicht verlocken; die Gesellschaft der wilden, räuberähnlichen Gestalten des Westens, auf welche ich vorzugsweise angewiesen war, befriedigte mich nicht, die tiefe Einsamkeit in einer wenig besuchten Wildniß sagte mir mehr, zu, und trotz aller Anerbietungen von Seiten der Chefs, trotz aller, gewiß schwer wiegenden Bitten von alten treuen Jagdgefährten, erklärte ich zu Anfang des dritten Jahres meinen festen Entschluß, es nunmehr, einmal als unabhängiger Freitrapper versuchen zu wollen.

Ausgerüstet mit zwei kräftigen, abgehärteten und ausdauernden Pferden, dem entsprechenden Pulvervorrath, einigen Kalten, Decken, Salz und zwei Säcken Mehl, verließ ich beim ersten Beginn des Frühlings die westliche Colonie St. Joseph. Mein nächstes Ziel war der Zusammenfluß des Yellow-Stone-Flusses mit dem Missouri, von wo aus ich meine Jagdausflüge zu unternehmen gedachte. Wo ich den Winter zubringen würde, wußte ich noch nicht; es sollte dies eben davon abhängen, wo sich mir in der Nähe von fließenden Gewässern nicht nur ein gutes Jagdrevier, sondern auch eine meinen Neigungen entsprechende Gelegenheit zur Gründung einer zeitweiligen, und vor allen Dingen ungestörten Häuslichkeit bieten würde.

Mit solchen Absichten verließ ich also St. Joseph, und jagend und hin und wieder auch kleine Tauschgeschäfte mit den Indianern betreibend, zog ich auf dem rechten Ufer des Missouri stromaufwärts vollständige Abgeschiedenheit in der romantischen Wildniß gefiel mir besser, als ich eigentlich erwartet hatte; ich brauchte nicht mehr auf die Wünsche und Forderungen anderer Menschen Rücksicht zu nehmen; wo es mir behagte, blieb ich, und wo die Umgebung meinen Neigungen nicht entsprach, da ließ ich, mich [] sogar nicht einmal durch Wildreichthum zum längeren Verweilen bestimmen.

Gerade auf dieser Reise war es auch, auf welcher ich den Entschluß faßte, meine Lebensgeschichte, niederzuschreiben. Die erste Anregung dazu hatte ich bereits im vorhergehenden Winter erhalten, als ich auf einer kleinen Nebenstation auf Monate eingeschneit war und, inmitten meine rauhen Gefährten keine andere Beschäftigung fand, als die, daß ich mich vor das mächtige Kaminfeuer hinstreckte und meine Vergangenheit immer und immer wieder vor meinem geistigen Auge vorüberziehen ließ.

Damals befand ich mich in der Gesellschaft von mir wohlgesinnten Menschen, und dennoch peinigte mich zeitweise die schrecklichste, geisttödtende Langeweile. Wie ganz anders wäre es gewesen, hätte ich mich schon damals mit ausreichenden Schreibmaterialien versehen gehabt. Doch es war ja noch nicht zu spät; ich hatte vielleicht noch manchen Winter zu erwarten, und mit einer geheimen Freude vergegenwärtigte ich mir den Genuß, welchen es mir gewähren würde, in tiefer Einsamkeit, fern von jedem Geräusch der Welt, nur mir und meinen Gedanken leben zu können.

Das Geschick hatte es anders beschlossen, ich sollte nicht allein sein. –

In kurzen Märschen hatte ich mich allmälig der Stelle genähert, auf welcher die letzten Spuren des Dorfes des einstmals so mächtiges und schönen Stammes der Mandanen-Indianer noch sichtbar waren. Seit wenigen Jahren erst war das Dorf verödet, und dennoch sah es aus, als ob schon ein Jahrhundert über die zerfallenen Hütten fortgerollt wäre. Die Bauart war zu leicht, als daß sie den atmosphärischen Einflüssen lange Widerstand zu leisten vermocht hätte. Jetzt schlichen Wölfe über die mit Rasen bewachsene Stätte, auf welcher einst braune Kinder sich, in der Handhabung der Waffen übten, schwarzäugige Squaws Mocassins und Leggins mit den gefärbten Stacheln vom Stachelschwein und mit Riemenwerk sinnig schmückten, und furchtbar bemalte Krieger mit wildem Geheul ihren tollen Reigen um die rauchenden Kopfhäute erschlagener Feinde aufführten.

Wo waren, die tapfern Krieger, wo waren die Mütter von muthigen Herzen, wo die jungen Keime und Blätter des schönen Mandanen-Stammes geblieben? Sie waren dahin gegangen, wo keine Arbeit mehr den Rücken des Weibes beugt; wo die Jäger die Sehne mit dem befiederten Pfeil nur an's Ohr zu ziehen und zurückzuschnellen brauchen, um die junge Bisonkuh oder den Elkhirsch zu erlegen; wo die Kinder, ähnlich den Schmetterlingen, im ewigen Sonnenschein spielen, dahin, wo der große gute Maniton seine rothen Lieblingskinder ruft; sie waren nach den glückseligen Jagdgefilden gegangen. –

Maniton hatte ihnen gezürnt, jetzt aber war er versöhnt, und die Mandanen Weilten in seiner nächsten Nähe.

Er hatte ihnen gezürnt, oder er hätte nicht zugegeben, daß die vereinigten Stämme der Siouxs um sich für den Verlust vieler Pferde und Skalpe zu rächen, in dunkler Nacht das stark bevölkerte Dorf der Mandanen überfielen und Männer, Weiber und Kinder im Schlafe würgten. Er hatte ihnen gezürnt, [] oder er hätte nicht, nachdem die wenigen überlebenden Familien sich wieder auf ihrer alten Stätte gesammelt, jene furchtbare verheerende Krankheit gesendet, welche auch noch diesen letzten Rest dahinraffte und die einzelnen verschont gebliebenen Mitglieder in alle Winde zerstreut.

Der Stamm der Mandanen war seit jener Zeit verschwunden, und die wenigen, zum Theil nicht, mehr unvermischten Familien mieden die Stätte, auf welcher augenscheinlich ein schrecklicher Fluch lastete. Und der Fluch lebte ja noch fort, denn bald hier, bald dort, gleichviel bei welchem Stamme, tauchten die von den. Weißen eingeführten Blattern plötzlich wieder auf, um erst, nachdem sie unbarmherzig eine genügende Anzahl von Opfern gefordert, sich nach einer andern, bis dahin noch unberührten Richtung hinzuwenden. –

Es war in der Frühe eines klaren, lieblichen Sommertages, als ich, meine beiden schwer beladenen Pferde am Zügel führend, langsam durch das verödete Mandanendorf wanderte. Meine Aufmerksamkeit bald den das Missourithal einfassenden Hügelketten, bald dem gelben, um gebleichte Treibholzklippen herumschäumenden Strome selbst zuwendend, gedachte ich des traurigen Geschickes, welches die Eingeborenen des amerikanischen Kontinentes, im Allgemeinen verfolgt.

Auf den Sandbänken und den gestrandeten Treibholzstämmen saßen weiße und blaue Reiher; den gekrümmten Hals eingezögen und den einen Fuß erhoben, nahmen sie sich aus, als ob auch sie über den Wechsel des Schicksals grübelten und über das harte Loos, welches die Mandanen betroffen, trauerten.

Hin und wieder erblickte ich auch einen schillernden Königsfischer, der, ebenso regungslos, wie die Reiher, von einem über die Fluchen emporragenden Zweige aus nach seiner sich etwa der Oberfläche des Wassers nähernden Beute spähte. Auch Prairiewölfe bemerkte ich, die, gleich mir, stromaufwärts schlichen, und als ich mit den Augen der von ihnen inne gehaltenen Richtung folgte, gewahrte ich in der Ferne einen Schwärm Raben und Krähen, die unruhig über einem bestimmten Punkt umherflatterten, während hoch über ihnen gierige Aasgeier ihre regelmäßigen Kreise zogen oder sich auch träge senkten, um auf den zerstreut umherstehenden Bäumen zu rasten.

Anfangs beachtete ich diesen Umstand kaum; ich vermuthete daselbst eben nur die Ueberreste einen verunglückten Bisons, welche von den Wölfen den Vögeln streitig gemacht wurden.

Erst als ich von einer Bodenanschwellung aus im Schatten einiger dicht belaubten Cottonwood-Bäume mehrere indianische Zelt entdeckte, wurde ich aufmerksamer, und nicht ohne Argwohn beobachtete ich die Thiere, die, ganz gegen ihre Gewohnheit sich in die unmittelbarste Nähe von menschlichen Wohnungen wagten.

Bekannt mit allen Stämmen, welche jene Gegend nomadisirend durchstreiften, brauchte ich für meine Person kaum etwas zu fürchten, doch versäumte ich nicht, für unvorhergesehene Fälle mich vorzubereiten und meine Waffen zum schnellen Gebrauch zur Hand zu nehmen. [] Es hatte nämlich ganz den Anschein, als ob hier wieder einmal indianische Rache gewüthet habe und eine sorglos lagernde Jagdabtheilung von ihren tückischen Feinden hinterlistig überfallen und aufgerieben worden sei.

Leben war noch in den Zelten, darüber belehrte mich das scheue Wesen der Vögel und Wölfe; ob das Leben aber verborgenen Feinden, oder einzelnen noch mit dem Tode ringenden Opfern angehörte, hätte der erfahrenste Prairiejäger nicht zu errathen vermocht.

Jedenfalls schwankte ich keinen Augenblick, mich an Ort und Stelle von dem Vorgefallenen zu überzeugen, und hegte ich auch nicht Lust, mich mit den etwa noch anwesenden Räubern in ernstlichen Zwist einzulassen, so wollte ich doch wenigstens versuchen, ob dem Einen oder dem Andern der von dem Unglück Heimgesuchten noch Hülfe geleistet werden könne.

In weitem Bogen näherte ich mich den Zelten. Die Wölfe betrachteten mich Wohl mißtrauisch, allein in dem Glauben, daß ich vorüberziehe, wichen sie nicht von der Stelle, ein sicherer Beweis, daß das in dem stillen Lager athmende Leben nicht in kampffähigen Männern wohne.

Als ich endlich in geradester Richtung auf fit zulenkte, zogen sich die wilden Bestien auf, eine nahe Anhöhe zurück, von wo aus sie verdrossen zu mir herüberschauten, während die Krähen und Raben durch ängstlicheres Flattern und feindseliges Krächzen ihren Unmuth über die unverhoffte Störung an den Tag legten.

Das Geräusch der Thiere nahm bei meiner Annäherung so sehr zu, daß dadurch jeder andere Ton übertäubt wurde, und kaum noch fünfzig Schritte mochte ich von den Zelten entfernt sein, als ich plötzlich zu meiner nicht geringen Ueberraschung eine klagende menschliche Stimme unterschied.

Lauschend blieb ich stehen; die Stimme klang jugendlich und bestand ans jenen gesangartigen Klagelauten, die, wie ich aus Erfahrung wußte, bei den Indianern mehr von Seelenschmerz, als von körperlichen Qualen zeugen. Ich hielt daher jede fernere Vorsicht für überflüssig, und nachdem ich die mit, ankerähnlichen Haken versehenen Fangleinen der Pferde auf die Erbe geworfen, um mir dadurch deren Wiederergreifen zu erleichtern, schritt ich geradenwegs auf das Wigwam zu, aus welchem die Klagetöne ununterbrochen hervordrangen.

Bor den Zelten, deren vier in einem Halbkreise unter den Bäumen aufgeschlagen waren, spähte ich noch einmal um mich. Nichts in der nähern Umgebung beutete auf eine blutige Scene. Zwar lagen Waffen, Hausgeräthe, indianische Kleidungsstücke und Schmucksachen, die sonst mit der größten Sorgfalt aufbewahrt werden, unordentlich zerstreut auf der Erde umher, wie auch die Stützen des einen Zeltes zur hälfte umgebrochen waren, allein von einem stattgehabten Kampfe entdeckte ich ebenso wenig eine Spur, als von hinterlistigem Blutvergießen. Dagegen belehrte mich ein durchdringender Moderduft, daß ein anderes, nicht minder schweres Unglück die Eigenthümer der Zelte betroffen und diese entvölkert habe.

Auf eine traurige Scene vorbereitet, hob ich den Vorhang des einzigen noch belebten Wigwams empor, aber ebenso schnell ließ ich ihn wieder fallen, als die [] mir entgegenbringende Luft mir fast den Athem raubte. Ein lebendes Wesen hatte ich indessen flüchtig bemerkt, was für mich genügte, sogleich auf die Rettung desselben zu sinnen.

Schnell entschlossen zog ich mein Messer hervor und dasselbe in Mannshöhe in die straffe Zeltwand stoßend, ging ich, die scharfe Schneide nach außen gekehrt, ganz um das Zelt herum. Als ich wieder da eintraf, von wo ich ausgegangen war, führte ich noch einen Längsschnitt nach unten, und fast gleichzeitig sank die nun nicht mehr gehaltene untere Hälfte des Zeltleders auf den Boden nieder, mir einen unbeschränkten Anblick des bisher verborgen gewesenen Innern darbietend.

Entsetzt starrte ich auf das Bild vor mir hin, entsetzt und zugleich von dem tiefsten Mitleid ergriffen; und wohl war es ein Bild, welches ein Männerherz erschüttern, auf Augenblicke die ruhige Ueberlegung rauben konnte.

Auf einer großen Büffelhaut, nur theilweise verhüllt von einer farbigen Decke, lagen nebeneinander zwei regungslose Gestalten.

Ihre Züge waren durch die furchtbare Blatternkrankheit im Tode erstarrt; ihre halb offen stehenden, aber gebrochenen Augen stierten ausdruckslos in's Leere, und aus ihrem ganzen Aeußern ließ sich entnehmen, daß sie bereits vor mehrern Tagen aus dem Leben geschieden waren.

Vor den beiden Leichen und im schärfsten Gegensatz zu denselben, kniete eine junge Indianerin. Dieselbe, den Kinderjahren kaum entwachsen, war von der Krankheit verschont geblieben; allein wenn man ihre ganze Haltung, die fest ineinander verschränkten Hände und dazu den verzweiflungsvollen Blick beobachtete, mit welchem sie auf die beiden Leichen hinsah, während sich ihren halbgeöffneten Lippen der leise melancholische Gesang entwand, dann bezweifelte man nicht, daß sie die beiden Gestorbenen um ihr Loos beneidete und am liebsten kalt und starr zwischen ihnen gelegen hätte.

Nur noch mit Mühe hielt sie sich aufrecht; offenbar hatte sie längere Zeit in dieser Stellung und ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen, hingebracht, jeden Augenblick erwartend, daß die Blattern sich auch ihrer bemächtigen würden. Allein nach ihr hatte der Tod seine Hand nicht auszustrecken gewagt; es war, als habe er mit so viel Jugend und Schönheit Mitleid empfunden und das verwaiste Kind für spätere Tage, wenn der Schiller der Frühlingsblüthe erst vor dem Herbste des Lebens gewichen sein würde, aufsparen wollen.

Und Jugend und Schönheit schmückten das arme verwaiste Mädchen, und zwar Schönheit, nicht allein nach indianischen Begriffen, sondern sie erinnerte an jene anmuthigen, südlichen Erscheinungen, wie sie die Künstler oft zu Modellen ihrer Madonnenbilder wählen, oder sie auch als Mittelpunkt einer lieblichen, von dem Lenz des Lebens umflossenen Familiengruppe auf die Leinwand hinzaubern.

Als ich die junge Indianerin zuerst gewahrte, hatte sie mir ihr Profil zugekehrt, ein schönes, edel geschnittenes Profil, welches mich lebhaft an meine unvergeßliche Johanna erinnerte. Allerdings war sie kleiner und schmächtiger, allein die sanft gebogene[] Nase, die langen Wimpern an den gesenkten Lidern und die vollen Lippen waren die Johanna's, nur im verjüngten Maßstabe, und sogar das lange, rabenschwarze Haar, welches nicht schlicht, wie sonst stets bei den Eingebornen, sondern in Wellenlinien zu beiden Seiten des abgehärmten Antlitzes bis tief über die Schultern niederfiel, trug mit dazu bei, mir Johanna's Bild so recht klar in das Gedächtniß zurückzurufen.

Doch nur beim ersten Hinblick wurde ich von einer gewissen Aehnlichkeit betroffen; als ich erst vertrauter mit ihren Zügen geworden war, schwand auch die Aehnlichkeit, und ich sah eben nur eine junge verlassene Indianerin, zu welcher ein freundliches Geschick mich führte, um mich ihrer anzunehmen, sie zu beschützen und vor dem Untergang zu bewahren.

Ihr Oberkörper war unbekleidet, nicht einmal Spangen oder Perlenschnüre schmückten ihre zierlich, aber noch kindlich geformten Arme oder den schlanken Hals. Dagegen hatte sie, zum Zeichen der Trauer, ihre runden Schultern mit befeuchteter Asche bestrichen, und die Zierrathen, welche ursprünglich an ihrem feuerfarbigen, von den Hüften niederfallenden Rock befestigt gewesen, zum größten Theil abgerissen und den beiden Leichnamen auf die Brust gelegt.

Als die Zeitwände niedersanken und das volle Tageslicht zu der trauernden Waise hineindrang, blickte sie flüchtig zu mir empor; dann aber ihre großen, thränenlosen Augen wieder auf die entstellten Züge ihrer todten Angehörigen richtend, fuhr sie fort, ihre Klagen über dieselben hinzusingen.

»Ueberlasse meine Tochter die Todten den Todten, und begleite sie mich dahin, wo die böse Krankheit ihr nicht mehr droht,« redete ich das arme Kind endlich in der Sioux-Sprache an, nachdem ich es eine Weile mit dem innigsten Mitleiden betrachtet hatte.

Die Indianerin schüttelte statt der Antwort leise den Kopf, und dann die Hände zu mir erhebend, verdeutlichte sie mir durch Zeichen, ich möge mich entfernen, wenn ich nicht ebenfalls sterben wolle.

Anfänglich glaubte ich, sie habe mich nicht verstanden, und durch einen Stoß die Zeltstützen sammt dem Rest der Lederwände entfernend, trat ich dicht zu ihr heran. Freundlich und zutraulich legte ich meine Hand auf ihr Haupt, wodurch ich sie veranlaßte, zu mir emporzuschauen, und als ich dann annehmen durfte, daß sie mir die entsprechende Aufmerksamkeit zuwende, wiederholte ich meine Aufforderung noch einmal durch Zeichen.

»Meine Mutter, der Bruder meiner Mutter,« entgegnete sie nunmehr in der Sioux-Sprache, auf die beiden Leichen weisend, und dann setzte sie ihren schwermüthigen Gesang wieder fort.

Offenbar glaubte sie, es bedürfe nur dieser Worte, um mich zu überzeugen, daß sie sich nicht entfernen dürfe und an der Seite ihrer wahrscheinlich einzigen und letzten Angehörigen sterben wolle.

»Meine Tochter muß sich von ihrer Mutter trennen,« sagte ich jetzt wieder, »sie kann ihr nicht folgen auf dem Pfade nach den glückseligen Jagdgefilden. Ihre Mutter hat bereits einen Begleiter, ihr Bruder wird sie sicher führen.«

»Alle sind von mir gewichen, ich bin die Letzte,« erwiderte die junge Waise mit einer leichten Handbewegung [] nach den übrigen Zelten; »ich will ihnen folgen, ich will auf die Krankheit warten.«

»Meine Tochter kann warten, bis der Hunger ihr die Augen zudrückt, aber die Krankheit wird ihr fern bleiben,« fuhr ich fort; »die Krankheit wendet meiner Tochter den Rücken, meine Tochter ist ihr zu jung.«

»Sie nahm Kinder von den Annen der Mütter, sie nahm Leute mit Schnee in den Haaren,« sagte das Mädchen kaum verständlich vor sich hin.

»Hat sie denn alle Bewohner dieser Wigwams fortgerafft?« fragte ich weiter, um sie zum Erzählen zu bewegen und dadurch auf andere Gedanken zu bringen.

»Alle, Alle, nur ich bin zurückgeblieben.«

»Zu welchem Stamme gehört meine Tochter? Ihre Hautfarbe ist lichter, als die ihrer Mutter dort, und ihre Haare sind gelockt, wie die Schweiffedern der wilden Ente.«

»Dies sind die Wigwams der Mandanen, und ich bin die Letzte. Mein Vater war ein großer Zauberer; ich habe ihn nicht gesehen; sein haar war aber lockig, wie die Mähne des jungen Bisons, und seine Haut hell, wie Mondschein. Seine Feinde schleppten ihn fort zum Marterpfahl, als meine Füße noch zu schwach zum Gehen waren.«

»Armes Wesen,« sprach ich sinnend vor mich hin. Die Indianerin schaute fragend zu mir empor, sie hatte meine Aeußerung nicht begriffen.

Meine Blicke fielen wieder auf die grausigen Leichen und fast krampfhaft ergriff ich des Mädchens Hand, um es mit Gewalt aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen.

»Komm, meine Tochter,« sagte ich dringend und bedauernd, daß mir nur eine beschränkte Anzahl von Sioux-Worten zu Gebot stand, »komm mit mir, ich will Dein Vater und Deine Mutter sein, ich will Dich zu guten, weißen Menschen führen.«

»Tödte mich,« flehte das Mädchen mit unaussprechlich rührendem Ausdruck, »bleicher Mann tödte mich, daß ich sie einhole auf der weiten Wanderung; ich bin die Letzte der Mandanen und kann nicht zurückbleiben.«

Ich sah ein, daß, so langt ihre Angehörigen sich noch in ihrem Gesichtskreis befanden, alle meine Mühe, sie fortzubringen, sich als vergeblich ausweisen würde. Rathlos und zugleich besorgt blickte ich umher. Da fiel mir auf, daß die übrigen Opfer der Krankheit verschwunden waren; dieselben mußten also auf die eine oder andere Art entfernt worden sein.

»Weiß meine Tochter, wo die Leiber der Gestorbenen geblieben sind?« fragte ich sodann, indem ich auf die andern Zelte deutete.

»Dort,« antwortete das Mädchen, auf den nahen Strom weisend.

»Weiß meine Tochter, wer sie von dem Ufer in die Wellen hinabstieß? Meine Tochter ist schwach, sie kann es nicht gethan haben.«

Einen Augenblick sann das arme Kind darüber nach, was ich wohl mit meiner Frage gemeint haben könne. Dann aber erweiterten sich ihre schwarzen Augen, und große Thränen rollten ihr über die abgehärmten Wangen.

»Die Mutter gab dem Wasser ihr krankes Kind [] und sprang ihm nach; die Hanken Söhne stürzten sich mit ihrem tobten Vater hinab; Alle, Alle liegen sie auf dem Boden des großen Flusses; sie sind gesund; sie fühlen leine Schmerzen mehr. Ich bin schwach, ich vermag die Mutter nicht zu heben; aber der bleiche Mann wird mir helfen, sie auf das Ufer tragen, sie und ihren Bruder, daß ich mich mit ihnen hinabstürze.«

»Wir wollen ihnen eine Grube scharren und sie bestatten,« versetzte ich tröstend, »wir wollen sie tief in die Erbe senken und Steine über ihnen zusammentragen, damit die Wölfe ihre Gebeine nicht benagen.«

Ein Blitz des Verständnisses leuchtete aus ihren großen, schwarzen Augen. »Tief in die Erde,« wiederholte sie nachdenkend, »guter, bleicher Mann, willst Du mich neben sie legen?« fragte sie darauf, mich gespannt anblickend.

»Nein meine Tochter,« antwortete ich in strengem Tone, hoffend, daß ich auf diese Weise eher meinen Willen bei ihr durchsetzen würde; »meine Tochter wird jetzt thun, was ich ihr heiße. Ich habe einen guten Traum gehabt und darnach muß ich handeln. Ich werde eine Höhle scharren, breit und tief, ich werde die Gestorbenen in dieselbe legen, und meine Tochter soll mir helfen, sie mit Erde und Steinen bedecken. Meine Tochter wirb aber von hier fortgehen und zusehen, wie ich grabe; ich will es so, die Letzte der Mandanen soll noch länger leben und nicht die böse Krankheit von ihrer Mutter trinken.«

Etwa eine Minute lang blickte die junge Indianerin mich an, als ob sie noch schwankend gewesen wäre; dann aber stand sie auf, und gesenkten Hauptes vor mich hintretend, harrte sie der Befehlend die ich nunmehr an sie zu richten haben würde.

Leichter, als ich erwartet hatte, gelang es mir jetzt, sie fügsam zu machen. Hatte sie nun Vertrauen zu mir gefaßt, war sie plötzlich zum Bewußtsein ihrer gänzlichen Verlassenheit und daher auch ihrer Abhängigkeit von mir gelangt, oder gewann die sklavische Unterwürfigkeit, welche den indianischen Frauen schon von frühster Jugend an eigen, bei ihr die Oberhand, ich vermochte es nicht zu unterscheiden, doch leistete sie mir ohne Widerrede Folge, als ich sie aufforderte, eine Art und eine Hacke, wie sie von den Eingeborenen zum Pflanzen von Mais benutzt werden, herbei zu schaffen.

Nachdem ich meine Pferde abgesattelt und auf einer grasreichen Stelle gepflöckt hatte, begann ich an einer geeigneten Stelle die Erbe aufzuwühlen und eine Höhle, umfangreich genug, zwei Leichen zu bergen, auszuscharren.

Mit den unvollkommenen Geräthschaften ging die Arbeit nur langsam von Statten und oft mußte ich rasten; doch trug ich dann jedesmal Sorge, daß mein Schützling die unterbrochene Arbeit aufnahm und die lose Erde aus der Vertiefung entfernte. Meine Absicht, durch diese Beschäftigung ihre Gedanken von dem Verlust, den sie erlitten, wenn auch nur vorübergehend abzulenken, erreichte ich dadurch allmälig, und immer seltener und in größeren Zwischenpausen wurde sie von den an Fanatismus grenzenden Ausbrüchen ihres Schmerzes ergriffen, und [] sanfter und melodischer erklangen die gesangartigen Klagelaute, welche sie den Dahingeschiedenen nachsandte.

Sobald die Gruft endlich die erforderliche Größe hatte, befahl ich dem, mir jetzt mit eigenthümlicher Ergebung gehorchenden Mädchen, in einem nahen Gebüsch Zweige vom duftenden Sassafras-Strauch zu brechen und herbeizubringen; ich wollte sie nicht zum Zeugen haben, wenn ich dem Grab seine stillen Bewohner übergeben würde. Als sie nach Verlauf einer Viertelstunde mit den Zweigen zurückkehrte, da lagen ihre. Mutter und deren Bruder bereits unten in der Erbe friedlich nebeneinander gebettet.

»Bedecke sie mit dem grünen Laub, meine Tochter,« sagte ich ernst, während ich den auf ihrem Antlitz heftig zuckenden Schmerz beobachtete.

Einen Zweig ließ sie mechanisch in das Grab fallen, dann aber, als ob sie sich irgend eines wichtigen Umständes erinnere, legte sie ihre duftende Bürde auf den Rand der Grube nieder, worauf sie sich mit eiligen Schritten nach den Zelten hin entfernte.

Ich errieth was sie beabsichtigte und ließ sie gewähren.

Nach einigen Minuten kehrte sie zurück, aber beladen mit allen Gegenständen, welche sie in der Hast zusammenzuraffen vermocht hatte. Für den jungen Mann brachte sie dessen Waffen und seinen grellfarbigen Kriegsschmuck; für ihre Mutter dagegen einige Decken, Glasperlen, Nadeln und zu Fäden gespaltene Wildflechsen, und nachdem sie Alles vorsichtig zu den Todten in das Grab gelegt, warf sie auch noch ein Säckchen mit ausgehülstem Mais und ein Bündel gedörrtes Büffelfleisch zwischen Beide.

Jetzt erst, nachdem sie die Geister der Verstorbenen zu ihrer letzten Reise mit dem Allernothwendigsten ausgerüstet zu haben glaubte, bedeckte sie deren irdische Ueberreste behutsam mit den Zweigen, worauf ich schnell mit dem Zuschütten der Grube begann.

Was ich erwartet hatte, traf ein. Die junge Indianerin, nicht mehr die entstellten Leichen vor Augen, beruhigte sich, und als ob sie mich nunmehr als ihr Einziges und Alles betrachtet habe, hingen ihre schüchternen Blicke beständig an meinen Augen; wie um aus denselben meine Wünsche und Befehle herauszulesen.

Getreulich half sie mir Steine herbeitragen und wälzen, und als wir dann endlich das Grab durch eine feste Pyramide gegen die Angriffe der wilden Bestien gesichert hatten, da sank sie vor mir auf die Kniee.

»Bleicher Mann,« hob sie an, ihre großen, melancholischen Augen vertrauensvoll zu mir aufschlagend, »jetzt bin ich Deine Tochter; Du hast es gesagt; mache mit mir, was Du willst.«

»Du sollst meine Tochter sein,« antwortete ich gerührt, indem ich sie durch, ein Zeichen bedeutete, sich zu erheben, »Dein Manitou hat Dich mir in den Weg geführt und ich will dein Vater sein.«

Dies waren die einzigen Worte, welche wir betreffs der Zukunft miteinander wechselten; das arme verlassene Wesen schloß sich an mich an, wie das Kalb der erschossenen Büffelkuh dem Pferde des Jägers überall hin nachfolgt, der es seiner Mutter beraubte. –

[] Ehe ich mich von der traurigen Stätte trennte, gebrauchte ich, um weitern Ansteckungen vorzubeugen, die Vorsicht, Feuer an die vorher niedergebrochenen Zelte zu legen und alle Gegenstände, welche noch zerstreut umherlagen, in die Flammen zu werfen. Nur solche Sachen, die meine Adoptivtochter als die, ihrigen bezeichnete, oder die ich als werthvoll für sie erkannte, blieben verschont, doch verstumte ich nicht, dieselben vorher, ehe wir uns zur Abreise rüsteten, sorgfältig über einem zur Hälfte aus grünem saftreichen Holz bestehenden Scheiterhaufen zu räuchern. Selbst das Mädchen mußte sich dieser, Vorsichtsmaßregel unterwerfen, und als ich dann endlich die mir nothwendig erscheinenden Vorbereitungen beendigt hatte, da berührte die Sonne eben den westlichen Rand der Prairie. –

»Am folgenden Morgen, bereits in aller Frühe, traten wir unsere Reise stromaufwärts an. Statt der früheren zwei Pferde, besaß ich deren jetzt vier, Ich hatte mir nämlich aus der kleinen herrenlos gewordenen Heerde diejenigen beiden Thiere ausgesucht welche mein Schützling als die ihrer Mutter bezeichnete. Ich hätte mir deren noch mehr aneignen können, doch widersprach dies meinem Gefühl; auch meine Begleiterin zeigte zu meiner Freude keine Neigung, sich mit dem Eigenthum ihrer verstorbenen Stammesgenossen zu bereichern. Zwei Pferde benutzten wir zum Reiten, die andern beiden trugen unsere Habseligkeiten, und reisten wir daher mit so viel Bequemlichkeit, wie man in der Wildniß und unter den obwaltenden Umständen nur immer verlangen und wünschen konnte.

Wenn nun meine junge Gefährtin, mit dem allen Indianerinnen eigenthümlichen Geschick in schwereren Handarbeiten, mir das Leben auf alle mögliche Art zu erleichtern suchte und wirklich erleichterte, so gewährte mir auf der andern Seite die Gesellschaft, des noch von keinem verderblichen Hauch berührten, vollständig unverdorbenen Naturkindes einen wahren Genuß. Ich betrachtete mein Verhältniß zu ihr eben als eine mir von der Vorsehung auferlegte heilige Verpflichtung: sie gewissermaßen für eine spätere, höhere Stufe der Gesittung vorzubereiten und dem Missionair, welchem ich sie in nicht allzuferner Frist zu übergeben gedachte, die ihm dadurch zufallende edle Aufgabe zu erleichtern.

Die Erfüllung der Pflichten gegen meinen Schützling blieb indessen auch auf mich nicht ohne fegensreiche Wirkung. Der finstere Ernst, der seit Jahren Besitz von mir ergriffen, begann sich zu lösen, und mit wachsendem Wohlgefallen beobachtete ich die Erfolge meiner Bemühungen, welche bei der außergewöhnlichen Empfänglichkeit des Gemüthes und der überraschenden Fassungsgabe des aufmerksamen Kindes sehr bald sichtbar zu Tage traten. Indem ich die junge Indianerin aber Schritt für Schritt auf dem Wege der Bildung weiter führte, öffneten sich nur innig erfreuen konnten, so daß ich sie in Gedanken oft mit einem zarten Schlößling verglich, welcher, aus der erstickenden Wildniß in edleren Boden verpflanzt, die sorgfältige Pflege des Gärtners mit der, schönsten und tadellosesten Blüthe zu belohnen verspricht. [] Mit großer Leichtigkeit erlernte sie die englische Sprache, und wie sie sich unter meinen steten Bemühungen geistig unglaublich schnell entwickelte, so gewöhnte sie sich auch von Tag zu Tag mehr daran, einen höheren Werth auf ihre äußere Erscheinung zu legen. Nicht frei von der indianischen Vorliebe für grelle Farbenzusammenstellungen und glänzende Schmucksachen, suchte sie sich doch vor andern Indianerinnen, mit welchen wir gelegentlich auf den Handelsposten der Pelzcompagnie zusammentrafen, dadurch auszuzeichnen, daß sie es verschmähte, ihre Gesichtszüge durch Malereien zu entstellen, nicht zu gedenken, daß sie den Schnitt ihrer Kleidungsstücke nach meinen Angaben der in civilisirten Ländern herrschenden Sitte etwas näher brachte.

Und so bot denn die junge indianische Waise, nachdem sie sich vier oder fünf Monate bei mir befunden, ein wahrhaft, bezauberndes Bild noch schlummernder lieblicher Jungfräulichkeit. Ihre sammetweiche Gesichtsfarbe schien heller, ihr schwarzes Haar noch lockiger geworden zu sein, und wenn auch hin und wieder jugendlicher Frohsinn bei ihr zum Durchbruch kam und ein kindliches Lächeln um ihren zierlichen, mit unvergleichlich schönen Zähnen geschmückten Mund spielte, so thronte doch gewöhnlich ein sinnender Ernst auf ihren Zügen, welcher durch die großen melancholischen Augen einen noch charakteristischeren Ausdruck erhielt. Dabei war sie immer freundlich um mich besorgt, immer bereit, mir jede Arbeit abzunehmen oder mich nach meinen Fallen zu begleiten. Wenn ich sie aber gar belobte über die Geschicklichkeit, mit welcher sie eine Wildhaut gegerbt oder meine Mokassins gestickt hatte, oder wenn sie bemerkte, mit welchen Zufriedenheit ich die von ihr auf die einfachste Art bereiteten Speisen verzehrte, dann leuchteten ihre Augen vor Dankbarkeit, und deutlich sprach aus denselben das Entzücken, welches sie darüber empfand, mir mein Wohlwollen und meine Fürsorge einigermaßen vergelten zu können.

Ueber ihre, Vergangenheit wußte sie wenig oder gar nichts zu erzählen. Sie war noch ein hülfloses Kind, als ihr Stamm zum ersten Male durch die Blattern und den hinterlistigen Ueberfall seiner Erbfeinde fast ganz aufgerieben wurde. Ihr Vater gehörte damals mit zu denjenigen Kriegern, welche man entweder tödtete oder mit fortschleppte. Seit jener Zeit hatte sie sich bei ihrer Mutter und deren Bruder befunden, die mit mehreren andern, dem Verderben entronnenen Mandanenfamilien, bis zum abermaligen Ausbruch der verheerenden Krankheit, ein nomadisirendes Leben führten.

Es lebte also Niemand mehr, der ein Recht an meine freundliche Gefährtin besessen hätte; ich durfte sie als mein ausschließliches Eigenthum betrachten, und gedachte ich auch, ungern der Zeit, in welcher ich gezwungen sein würde, mich von ihr zu trennen, so fühlte ich mich doch reich belohnt durch das Bewußtsein: Eine der Letzten eines untergegangenen Stammes gerettet und sogar für ein freundliches Loos im Bereich der Civilisation aufbewahrt zu haben.

Dich sie die Tochter eines Weißen sei, wie deren viele bei den verschiedenen Stämmen eingebürgert als Jäger und Fallensteller lebten, bezweifelte ich nicht; ihr Aeußeres verrieth ja zu deutlich ihre Abstammung. [] Außerdem trug sie ein Zeichen, welches unstreitig den Zweck hatte, ihre Verwandtschaft auszuweisen, dem Vater aber, im Falle einer Trennung, die Mittel an die Hand zu geben, sein Kind, selbst nach vielen Jahren, wieder zu erkennen.

Anders vermochte ich mir wenigstens das rothe Herz nicht zu enträthseln, welches auf ihrer Schulter eintätowirt war, und in dessen Mitte ich noch die etwas verwischten Spuren eines blauen Kreuzes und die nicht mehr zu entziffernden Linien zweier oder mehrerer in einander verschlungenen Buchstaben zu entdecken glaubte. Natürlich legte ich auf diesen Umstand, der bei Trappern, wie bei den rauhen Seeleuten oft nur in einer augenblicklichen Laune, seinen Ursprung hat, einen geringen Werth und freute mich, daß ihre indianischen Verwandten nicht auf die absonderliche Idee gekommen waren, ihr Gesicht, wie so vielfach bei den Eingeborenen geschieht, durch unauslöschliche Linien und Figuren zu entstelle«. –

Den Namen ihres Vaters kannte sie nicht; sie wußte nur, daß man seiner zuweilen als eines Medicinmannes oder Zauberers gedacht und ihn mit dem allgemeinen, von den Seitengewehren der Weißen abgeleiteten Namen, »Waschitscho« oder langes Messer bezeichnet hatte. Sie selbst war Schanhatta genannt worden, ein Wort, welches sie mir nicht zu deuten wußte, weßhalb ich dasselbe als nicht der Mandanensprache entnommen betrachtete. –

»Beschäftigt mit der doppelten Aufgabe: durch Jagd und Tauschhandel etwas mehr, als zu unserm nothdürftigen Unterhalt erforderlich war, zu erwerben, ferner meine freundliche Schanhatta so viel, wie eben bei jeglichem Mangel an Hülfsmitteln möglich, zu unterweisen und zu belehren, verstrichen mir die Tage schneller als je, seit ich meine Heimath verlassen hatte. Wir gingen hinauf bis zum Jellow-Stone-Fluß; wir zogen den Missouri wieder hinunter bis weit an den verödeten Dörfern, der Mandanen-Indianer vorbei, und als ich dann endlich in einem abgeschiedenen District, von welchem ich wußte, daß er während des Winters weder von weißen noch von rothhäutigen Jägern besucht wurde, zum Schutz gegen Kälte und Schneestürme, von Erde und Baumstämmen eine höhlenartige Hütte errichtete, da erschien es mir, als ob die Sommer- und Herbstmonate ebenso viele Wochen gewesen wären. Mit ausreichenden Schreibmaterialien hatte ich mich versehen; ich sah daher dem strengen Winter, wenn auch aus andern Gründen, doch mit jener Ruhe entgegen, mit welcher ich wohl im fernen Heimathlande den ersten Schneefall beobachtete und dabei des warmen Ofens, der langen, behaglichen Abende und der Vergnügungen, auf dem Eise und in glänzend erleuchteten Hallen gedachte.

Die Mittel, meine Erinnerungen aus dem ersten Abschnitt meines Lebens niederschreiben zu können, waren eine große Wohlthat für mich, doch nicht minder der genußreich waren die Stunden, welche ich damit zu welchem ich sie bestimmt hatte, gleichsam vorzubereiten und für einen höheren Grad der Civilisation immer empfänglicher zu machen.

So verstrichen mir denn auch die Wintermonate im Fluge, und nur daran berechnete, ich die Länge der Zeit, daß mein Manuscript, trotz der andern [] Arbeiten, welchen ich nothgedrungen obliegen muhte, einen beträchtlichem Umfang erreicht hatte, und daß in der kleinen, der Wildniß entnommenen Indianerin eine so auffallende Veränderung vor sich gegangen war.

Am meisten bemerkte ich diese Veränderung, als ich beim ersten Erwachen des Frühlings mich zum Aufbruch rüstete und Schanhatta mir beim Verpacken des gewonnenen Pelzwerkes und beim Satteln der Pferde hülfreiche Hand leistete.

Beinah ein Jahr hatte sie nunmehr schon unter meinem Schutz verlebt und sich in diesem Zeitraum nicht nur geistig auf überraschende Weise entwickelt, sondern auch größer, stärker und schöner war sie geworden, so daß ich immer häufiger und mit wirklichem Bedauern daran dachte, sie bald verlieren zu müssen. Doch mein Wohlwollen für das dankbare Kind erwies sich bei derartigen gelegentlichen Betrachtungen als stärker, wie meine Eigenliebe; außerdem konnte ich ja nicht wissen, ob es mir nicht beschieden sei, dereinst im gebrechlichen Alter in ihrem Hause eine zweite Heimath, zu finden, wo dann der Anblick zufriedener Menschen, deren Glück ich ursprünglich begründet, einen freundlichen Schimmer über den Abend meines Lebens werfen würde.

Mit solchen Gedanken beschäftigte ich mich vorzugsweise, als wir, unsere vier schwer bepackten Pferde vor uns her treibend, am Missouri stromaufwärts der nächsten Pelztauscher-Station zuzogen, und Schanhatta in ihrer kindlichen, aber sinnigen Art mich auf Dieses oder Jenes aufmerksam machte und sich über Alles, was ihr fremdartig oder unerklärlich er schien, Belehrung erbat.

Zweites Capitel.
Eine neue Bekanntschaft.

Acht Wochen waren seit unserm Aufbruch verstrichen; meine Jagdbeute hatte ich theils zu Geld gemacht, theils für Stoffe, Kleidungsstücke, Munition und die für den Sommer erforderlichen Lebensbedürfnisse hingegeben, und so wohlgemuth zogen wir durch die romantische, den obern Missouri charakterisirende Wildniß dahin, als ob in unfern Herzen derselbe Sonnenschein gewohnt hätte, der vom Himmel auf die im heitersten Grün prangende Landschaft niederlachte.

Ich hatte den Lauf eines Nebenflüßchens zu meiner Richtung gewählt, und unbekümmert darum, wo oder wann ich den Missouri wieder zu Gesicht bekommen würde, dachte ich an weiter nichts, als daß ich, vom Glück begünstigt, wieder in Reviere gelangt sei, in welchen wir nicht nur gegen jede Noth gesichert waren, sondern auch Gelegenheit fanden, innerhalb kurzer Zeit unsere vier Pferde mit einem tüchtigen Vorrath von getrockneten Wildhäuten und gedörrtem Fleisch belasten zu können.

Am Fuße eines schroffen Felsenhügels und auf dem Ufer des frisch sprudelnden Baches hatten wir um die Mittagszeit die Pferde gepflöckt. Ein mächtiger Elkhirsch, den ich an jener Steile erlegte, war Ursache, daß wir halten blieben, und da die Umgebung so überaus lieblich, die Zubereitung der Wildhaut und da« Dörren des überflüssigen Fleisches einige Zeit erforderte, so beschloß ich, bis zum nächstfolgenden[] Tage daselbst zu verweilen, oder auch oder länger, je nachdem es mir gelingen würde, in der Nachbarschaft noch das eine oder andere Stück Wild meiner Beute hinzuzufügen.

Seil mehreren Wochen hatten wir keine Spuren von Jägern entdeckt, noch weniger waren wir Indianern begegnet. Unsere Sorglosigkeit war also gewissermaßen gerechtfertigt, und wie wir schon mehrfach gethan, hatten wir auch an diesem Tage verabsäumt, von einer der nächsten hervorragenden Höhen in die Ferne zu spähen und uns von der Sicherheit unserer weiteren Umgebung zu überzeugen.

Das Zerlegen des Hirsches und das Ausspannen der Haut nahm meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß ich Schanhatta kaum beachtete. Nur gelegentlich sandte ich einen Blick zu ihr hinüber, mich daran ergötzend, wie sie, unbekümmert um die hohe Sonnengluth, lange, dicht belaubte Zweige auf dem Ufer des Baches schnitt, dieselben auf einer weichen grasigen Stelle einander gegenüber in die Erde steckte und demnächst, deren Spitzen zusammenbiegend und mit einander verbindend, eine geräumige schattige Laube herstellte.

Einige Schritte weiter abwärts brannte ein kleines Feuer und über demselben hing an einem einfachen, aus zwei Gabelstäben und einer Querstange zusammengefügten Gerüst ein blecherner Kessel, in welchem das zu einem Hauptbestandtheile unseres Mahles bestimmte Wasser bereits siedete und dampfte.

Schanhatta überwachte Alles; ihre prüfenden Blicke hafteten bald auf einem grünen Zweige in ihrer Hand, bald wanderten sie zu dem Küchenfeuer hinüber, und dann wieder schaute sie mich fragend an, ob ich noch nicht das Zeichen zum Anrichten der einfachen Speisen geben würde. Dabei summte sie eine schwermüthige indianische Melodie leise vor sich hin, der untrüglichste Beweis ihrer überglücklichen Stimmung, und daß ihr, so lange ich in ihrer Nähe weilte, die Zukunft nicht mehr Sorge verursache, als den breitschwingigen Schmetterlingen, die in großer Zahl über dem schmalen blumenreichen Wiesenstreifen umherflatterten, oder dm zänkischen schillernden Kolibris, die untereinander grimmig um den Besitz irgend eines Honig bergenden Blüthenkelches kämpften.

»Schanhatta!« rief ich endlich nach langem Schweigen aus, »ich werde gleich fertig sein, Du magst immerhin die Speisen bereiten, vorher aber bringe mir einen Trunk Wasser.«

Schanhatta ließ einen Zweig, den sie eben niedergebogen, wieder emporschnellen, und nachdem sie mir zugenickt, daß sie mich verstanden habe, eilte sie zuerst nach ihrer Küche und von dort schnell mit einer leeren Kürbisflasche zu dem Bach hinab.

Sie war eben hinter dem hohen Ufer verschwunden, da fiel ein kleiner Stein, der offenbar von dem Gipfel der nahen Felswand aus nach mir geschleudert worden war, vor mir in's Gras nieder.

Es weilten also Menschen in der Nähe, und zwar Menschen, deren Absicht ich nicht kannte, die sich aber jedenfalls ihrer Uebermacht bewußt waren, oder sie hätten sich nicht so offenkundig angemeldet.

Ich gab mir daher das Ansehen, als ob ich den Stein nicht bemerkt habe, richtete aber meine Bewegungen, während ich mich noch mit der ausgespannten [] Wildhaut beschäftigte, so ein, daß ich dicht neben meine Büchse gelangte, also nur meine Hand nach derselben auszustrecken brauchte.

In demselben Augenblick siel ein zweiter Stein vor mir nieder, und zu gleicher Zeit erschallten die Worte: »Seid doch so höflich, Fremder, und haltet meine Steinwürfe der Beachtung werth!« im reinsten Englisch und von einer hellen Mädchenstimme gesprochen zu mir herüber.

Unmerklich zog ich die Hand, die sich bereits nach dem Gewehr ausgestreckt hatte, zurück, und dann mich aus meiner gebückten Stellung erhebend, blickte ich nach der Felswand hinauf. Ich gewann dadurch Zeit, meine Überraschung niederzukämpfen und einen möglichst ruhigen Ausdruck anzunehmen.

»So lange Ihr Euch nicht persönlich bei mir anmeldet, meine schöne junge Dame, kümmere ich mich nicht um Eure Steinwürfe,« entgegnete ich, kaum noch fähig, das Erstaunen zu unterdrücken, welches ich über den sich mir darbietenden Anblick empfand; »nein, gewiß nicht,« fuhr ich noch langsamer und ruhiger fort, »denn Ihr müßtet ganz andere Arme und Hände besitzen, wolltet Ihr mir von dort oben aus einen Stein zusenden, schwer genug, auch nur eine Falte in meinen Lederrock zu drücken.«

»Es ist zum Verzweifeln!« rief dieselbe Stimme, jetzt aber ungeduldig aus; »Monate lang durchstreift man Wald und Prairie, ohne auf ein einziges weißes menschliches Gesicht zu stoßen. Ist man dann endlich so glücklich, einen wohledlen Herrn Lebeistrumpf in seinem verborgenen Winkel zu überraschen, so thut er einer gelangweilten Abenteurerin nicht einmal den Gefallen, zu erschrecken, sondern spricht und geberdet sich so ruhig, als ob er sich im Mittelpunkt irgend einer Hauptstadt befände! Hahaha! wenigstens eine Seele, die mich nicht für etwas Alltägliches ansieht,« fuhr die ausgelassene Sprecherin fort, als sie Schan hatta's ansichtig wurde, die mit ihrer gefüllten Kürbisflasche schnell nach dem Ufer hinaufgesprungen war und von dort aus mit einer seltsamen Mischung von Schrecken und Verwunderung nach der Felswand hinüberstarrte, »wirklich eine fühlende Brust in dieser Wildniß, hahaha! Zwar nur einer Indianerin angehörend, aber einer Indianerin, die, nach ihrem Aeußeren zu schließen, mindestens eine Prinzessin sein muß!«

Wählend dieser langen Rede, die mit so viel jugendlichem Frohsinn und Muthwillen von der Felswand herab gehalten wurde, betrachtete ich die Fremde aufmerksamer; aber je länger ich auf sie hinsah, um so mehr erstaunte ich. Schien sich in ihr doch Alles vereinigt zu haben, einen armen, seit Jahren fast ausschließlich in der Wildniß lebenden Streifschützen zu verwirren und ihm Zweifel zu erwecken, ob er sich wirklich noch auf dem alten Erdball befinde, oder plötzlich in den Olympos versetzt worden sei und dort von Frau Diana selbst begrüßt werde.

In der Entfernung von ungefähr dreißig bis vierzig Ellen in gerader Linie gerechnet, halb verborgen von einem Felsblock, stand nämlich ein junges Mädchen, welches man bei einem oberflächlichen Hinblick sehr leicht hätte für einen früh entwickelten Jüngling halten können, wenn nicht eben in Haltung und Bewegungen, und selbst in den nicht deutlich zu unterscheidenden Gesichtszügen eine gewisse selbstbewußte, mädchenhafte [] und zugleich anziehende Schalkhaftigkeit ausgeprägt gewesen wäre, die bei einem halb erwachsenen Knaben unbedingt jede Probe von bezaubernder Anmuth eingebüßt hätte.

Knabenhaft waren freilich die blonden Haare, welche in üppigster Fülle lose bis beinah auf die Schultern niederfielen und dort ringsum stumpf abgeschnitten waren; knabenhaft erschien auch die kleine schottische Mütze mit der Schweiffeder eines Kriegsadlers; knabenhaft nahmen sich sogar das olivenfarbige Jäckchen mit den blanken Knöpfen, die leichte schottische Jagdtasche und das Pulverhorn aus; knabenhaft war endlich das vom Sonnenbrand auf dem frischen Antlitz zurückgelassene lichte Braun; aber nicht knabenhaft, im Gegentheil, durchaus jungfräulich war die Art, in welcher die Arme und der zierliche Oberkörper sich auf ein leichtes Gewehr stützten, und das helle melodische Lachen, mit welchem die junge räthselhafte Fremde ihre schmollenden Worte von Zeit zu Zeit begleitete.

Nachdem ich sie, ohne sie zu unterbrechen, hatte zu Ende sprechen lassen und bann noch immer keine Miene machte, irgend etwas zu entgegnen, wurde der hübsche weibliche Nimrod noch ungeduldiger.

»Also nicht einmal einer Antwort halten mich der Herr Trapper für würdig?« rief sie aus, das Gewehr mit kundigem Griff über die Schulter werfend, »ich bin zwar nur ein schwaches Mädchen, Herr Hinterwäldler, aber doch immer stark und geübt genug, Euch eine Kugel durch Euren Kaffeekessel zu senden und das edle Gebräu, anstatt über Eure bärtigen Lippen, dort in das Feuer laufen zu machen? Und was würden der edle Herr Leberstrumpf wohl dazu sagen?«

»Ich würde mich über Eure Geschicklichkeit freuen und die Sicherheit Eures Auges bewundern, meine schöne junge Dame,« antwortete ich auf's innigste ergötzt durch den frischen Lebensmuth der unerschrockenen Jägerin, »aber ich würde mich auch verpflichtet halten, Euch ebenfalls einen Beweis von der Festigkeit meiner Hand zu liefern und die Adlerfeder von Eurer Mütze schießen, und zwar genau da mit der Kugel abschneiden, wo der Bart beginnt den Kiel zu schmücken.«

»Was höchst ungalant von Euch wäre, Herr Trapper, denn Ihr müßt wissen, die Feder rührt von einem Adler her, den ich selbst die Ehre hatte zu erlegen. Aber sagt, was ist, das für eine reizende Wilde, die dort auf dem Ufer steht und zu mir heraufstarrt, als ob sie noch nie in ihrem Leben ein civilisirtes Gesicht gesehen hätte?«

»Meine Adoptivtochter, schöne Fremde,« entgegnete ich kurz, denn es verdroß mich, sie so nichtachtend von Schanhatta sprechen zu hören, »aber nun sagt auch Ihr mir, sind die Einigen noch nicht bald heran?«

»Was kümmern Euch die Meinigen und woraus schließt Ihr, daß ich nicht zu meinem Vergnügen die Wildniß ganz allein durchstreife?«

»Wäret Ihr allein, dann würdet Ihr eine weniger muthige Sprache führen und auch doch wieder Muth genug besessen haben, herabzukommen und meine Gastfreundschaft für Euch in Anspruch zu nehmen.«

[] »Weiter nichts?« antwortete die Fremde, indem sie auf den vor ihr liegenden Stein sprang und einen spähenden Blick in die Ferne sandte, »daß ich mich vor Euch nicht fürchte, will ich Euch beweisen, und wenn Ihr mir einen Trunk Wasser und vielleicht auch ein Scheibchen gebratenes Hirschfleisch verabreichen wollt, so bin ich nicht abgeneigt, von Eurer Gastfreundschaft Gebrauch zu machen.« So sprechend kletterte sie von dem Felsblock hinunter und im nächsten Augenblick war sie verschwunden.

Jetzt erst näherte Schanhatta sich mir wieder. Der Anblick der seltsamen Fremden schien sie aus der Fassung gebracht zu haben, denn indem sie schüchtern und verlegen zu mir emporschaute, fragte sie heimlich flüsternd, ob die Fremde ein Engel gewesen sei, wie diejenigen, von denen ich ihr einst erzählt habe.

»Ein Engel in dem Sinne, in welchem Du es meinst, war es nicht,« entgegnete ich belehrend, und zugleich blickte ich gespannt nach der Kluft hinüber, aus welcher die Jägerin, wenn sie ihre Absicht nicht geändert hatte, hervortreten mußte, »es war einfach eine weiße, irdisch geborene Tochter, wie Du eine rothe oder vielmehr hellbraune bist. Wie dieselbe aber in diese Wildniß gelangte, erfahren wir vielleicht von ihr selbst. Fürchte Dich also nicht vor ihr, und wenn sie Dich fragt, so antworte offen und ohne Scheu, damit sie sieht, wie viel Du bereits gelernt hast.«

»Ja, ich will,« antwortete Schanhatta, tief aufseufzend, als ob die Aussicht auf eine Zusammenkunft mit einer Weißen ihr Beklemmungen verursacht habe.

Ich konnte nicht umhin, über die unschuldige Einfalt meines Schützlings zu lächeln; die aufmunternden Worte aber, welche ich an sie richten wollte, wurden durch die Fremde abgeschnitten, die Zweiter abwärts aus einer Regenschlucht trat und sich mit eiligen Schlitten näherte.

Wenn die räthselhafte Jägerin schon von der Felswand aus freundliche Theilnahme in mir erweckt hatte, so wurde dieselbe zu einer wohlwollenden Bewunderung gesteigert, als ich sie jetzt in gleicher Höhe mit mir vor mir sah und also einen vollen Anblick ihrer ganzen Gestalt gewann. Nicht ungewöhnlich hoch gewachsen, wenigstens nicht viel über die Mittelgröße hinaus, und auch nicht von auffallender Schönheit, bot sie doch ein so anmuthiges Bild, daß ich sie Stunden lang hätte ungestört betrachten mögen, wenn auch nur, um zu ergründen, in welchem ihrer Reize eigentlich der Zauber verborgen sei, welchen sie auf mich und nicht minder auf Schanhatta ausübte.

Ihre himmelblauen Augen, die in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal geweint zu haben schienen, fesselten mich im ersten Augenblick allerdings am meisten; aber wäre die Stirne über denselben nicht so weiß, und die vollen Wangen unter denselben nicht so roth und sonnverbrannt gewesen, hätte die beinah zu kleine Nase nicht einen so eigenthümlichen, etwas nach oben weisenden Schnitt gehabt, und nicht um den hübschen Mund ein so reizendes, schalkhaftes Lachen gespielt; hätten ferner die blendend weißen Zähne nicht so verlockend zwischen den rothen, frischen Lippen hindurchgeschimmert, und wären die halblangen blonden Haare nicht so üppig und nachlässig unter der kleinen Mütze hervorgequollen, die Augen allein hätten es kaum zu bewirken vermocht, daß man immer [] und immer wieder in das heitere Antlitz schauen mußte und vergeblich zu enträthseln strebte, was dasselbe, trotz seiner nicht klassisch regelmäßigen Formen, so überaus anziehend mache.

Dabei zeigte sich ihr Wuchs als vollkommen tadellos, und ihre Hände waren so zart, daß man sich kaum zu erklären vermochte, vie dieselben die verhältnißmäßig, schwere Waffe zu führen vermochten; und Füße hatte sie so Nein und in den Knöcheln so zierlich abgerundet, daß die perlengestickten Mokassins, welche dieselben umschlossen, selbst meiner in dieser Beziehung so außerordentlich bevorzugten Schanhatta kaum zu groß gewesen waren. Ihr phantastischer Anzug trug natürlich mit dazu bei, ihre Reize in das günstigste Licht zu stellen und daher augenfälliger zu machen, und wenn das Zeug auch bereits verschossen war, und Dornen hin und wieder tüchtige Ausbesserungen nothwendig gemacht Hatten, so konnte man sich doch nichts Wohlkleidenderes denken, als diese willkürliche Zusammenstellung der schottischen Nationaltracht mit den malerischsten Theilen indianischer Ausrüstung.

Am meisten und am wohltuendsten überraschte mich an der jungen Fremden ihre Haltung und Bewegungen, welche so deutlich eine sorgfältige Erziehung verriethen. Auf mich aber machte dies einen um so tiefern Eindruck, weil ich bereits seit Jahren keine Gelegenheit mehr gefunden, freilich auch nicht gesucht hatte, mich in Sphären zu bewegen, in welchen dergleichen heimisch. Mit andern Worten, ich fühlte beim Anblick der anmuthigen, offenbar den höheren Ständen angehörenden Amazone, daß ich den Kreisen, in welchen sie zu leben gewohnt war, mich im Laufe der Zeit unbewußt vollständig entfremdet hatte.

»Mein Vater und meine Brüder weiden sich nicht wenig wundern, mich so unverhofft in guter Gesellschaft zu finden,« begann die junge Jägerin, als sie bis auf wenige Schritte zu mir herangekommen war, indem sie mir treuherzig, wenn auch über das ganze Gesicht schadenfroh lachend, die Hand reichte.

»Ich hoffe, Eure Angehörigen weiden sich nicht um Euch ängstigen,« antwortete ich, die kleine Hand zum Willkomm kräftig drückend; »sollte das aber der Fall sein, meine schöne junge Dame, so würde ich mit Freuden bereit sein, sie aufzusuchen und sie über Euern Verbleib zu, beruhigen.«

»Bemüht Euch nicht,« Herr Hinterwäldler, entgegnete das Mädchen mit einem neckischen Knicks, wodurch sie, wahrscheinlich unabsichtlich, bekundete, daß sie in mir etwas Anderes, als einen verwilderten, vielleicht unter den Indianern aufgewachsenen Biberfänger erblicke, »wenn sie sich etwas ängstigen, so schadet das ihrer zur Bequemlichkeit hinneigenden Constitution nicht viel. Sie können mich aufsuchen, und irre ich nicht, so ist dies derselbe Bach, an welchem unsere Leute mit dem Wagen hinunterziehen sollten; sie müssen also über kurz oder lang bei uns eintreffen.«

»Wer keine Angehörigen mehr besitzt, weiß am besten zu beurtheilen, wie unrecht man handelt, denselben ohne Noth Besorgniß einzuflößen,« versetzte ich ernst, »und in dieser Gegend sind Besorgnisse vollkommen gerechtfertigt. Was meine Ihr, wenn Ihr, [] statt meiner, hier eine Anzahl eingeborener Krieger gefunden hättet, von denen Ihr ergriffen und mit fortgeschleppt worden wäret, ohne daß die Eurigen jemals eine Ahnung von Eurem Schicksal erhallen hätten?«

Die junge Fremde blickte mich einige Sekunden starr an; ich sah, daß sie erbleichte und dann schnell wieder erröthete. Sie erbleichte, weil sie sich ohne Zweifel die Lage vergegenwärtigte, in welche sie hätte gerathen können; sie erröthete, weil ich mich durch meine wohlgemeinte Warnung als einen mit ihr auf derselben Stufe der Bildung stehenden Mann verrathen hatte und sie in Folge dessen bereute, nur gegenüber so frei aufgetreten zu sein. Ihre Verlegenheit verbarg sie indessen schnell hinter einen schlecht erheuchelten Trotz, und ihre Blicke von mir abwendend, rief sie aus:

»Wenn ich Euch sage, daß ich nicht wünsche, nicht will, daß man meine Angehörigen über meinen Verbleib aufklärt, so sollte Euch das doch wohl genügen. Ist man erst bis in die Nähe des Yellow-Stone-Flusses gelangt, dann kann man schon gar nicht mehr so unerfahren sein, daß man auf Weg und Steg, überall, wohin man! den Fuß nur setzen mag, einen Bruder, Vater oder Vormund zum Schütz bei sich haben müßte.«

»Ganz wie Ihr wollt und befehlt,« entgegnete ich höflich, doch bezweifelte ich nicht, daß sie das Wohlgefallen bemerkte, welches ich nicht allein an ihrer äußeren Erscheinung, sondern auch an ihrem ganzen Wesen und Benehmen fand, »jedenfalls werdet Ihr Euch überzeugt halten, daß Ihr mir herzlich willkommen seid, und gedenke ich, nicht eher von Eurer Seite zu weichen, als bis ich Euch bei Euern Angehörigen in Sicherheit weiß.«

»Mit andern Worten, Ihr wollt mich wie ein kleines Kind behandeln? Ah, ich danke schönstens, Herr Ritter, aber nichts für ungut; Euer freundliches Anerbieten nehme ich an, und hoffentlich wird es nicht lange dauern, bis die Meinigen hier eintreffen. Vor einer Stunde erst verlor ich sie aus den Augen, sie schienen den Windungen dieses Baches zu folgen; aber ich bin durstig, Herr Trapper,« fuhr sie mit einem unbeschreiblich liebenswürdigen, zutraulichen Wesen fort, »kann ich durch Eure Güte nicht einen Trunk erhalten, ohne daß ich mich selbst an den Bach hinab bemühe?«

»Gern, gewiß sehr gern,« versetzte ich, erfreut darüber, daß sie überhaupt irgend etwas von mir verlangte, und dann mich Schanhatta zuwendend, welche leise davongeschlichen war und eben eine Decke als Schlußstein über das luftige, von ihr errichtete Obdach ausbreitete, forderte ich sie auf, mir die Kürbisflasche zu reichen.

Wie der Wind eilte die Indianerin herbei, und indem sie mir die Flasche darbot, betrachtete sie jetzt aus nächster Nähe unfern Gast mit schüchterner Bewunderung.

»Welch liebliches Geschöpf,« bemerkte die junge Fremde, nachdem sie sich erfrischt hatte, mir die Flasche zurückgebend; »diese Augen, dieses prachtvolle Haar, in der That der erste Lockenkopf, den ich unter den Eingeborenen finde.«

»Macht mir das Kind nicht eitel, mein schönes[] Fräulein,« bemerkte ich, in Gedanken einen Vergleich zwischen den beiden anmuthigen Wesen anstellend, die, jedes in seiner Art von der Natur in so hohem Grabe bevorzugt, so seltsam zu einander contrastirten; »Schanhatta versteht jedes Wort, sie ist eine arme, von aller Welt verlassene Waise, die ich an Kindes Statt angenommen habe.«

»Also eine Waise?« fragte die Freunde mit einer so innigen Theilnahme, wie ich bei ihrer heiteren, sorglosen Gemüthsstimmung kaum erwartet hätte, und zugleich bot sie Schanhatta die Hand zum Gruß.

»Keine Waise,« antwortete Schanhatta, mit den großen, schwermüthigen Augen auf mich deutend, »schöne bleiche Frau, er ist mir Vater, Mutter, Bruder, ich lebe durch ihn.«

»Solch liebes, dankbares Kind,« sprach die Fremde kaum verständlich vor sich hin.

»Die Hütte ist fertig, die Strahlen der Sonne berühren den Boden in derselben nicht mehr,« versetzte Schanhatta, welche den Sinn der von der Fremden geäußerten Worte nicht verstauben hatte.

»Und so gelehrig und so anstellig,« fügte ich lobend hinzu, »beschämt mich doch meine Tochter in der Ausübung der Gastfreundschaft, indem sie Euch einladet, in der Laube Schutz gegen die Sonnengluth zu suchen. Ich kann daher nur die Einladung wiederholen und Euch bitten, meine mehr, als einfache Häuslichkeit vollständig als die Eurige zu betrachten und Euch in deren Schatten zurückzuziehen.«

Einen Augenblick sann die junge Jägerin nach. »Gut, mein Herr,« sagte sie sodann heiter, jedoch zurückhaltender, als sie bisher gewesen, und mit dem Anstände einer durchaus gebildeten Dame, »Eure Einladung nehme ich mit herzlichem Dank an, und ich kann ja auch in der That nichts Verständigeres thun, als die Meinigen hier ruhig erwarten. Hoffentlich leistet Ihr mir Gesellschaft und beschirmt mich zugleich, bis zur Ankunft meines Vaters, gegen meinen schrecklichsten und verhaßtesten Feind, die Langeweile.« So sprechend schritt sie nach der Laube hin, in welcher Schanhatta eine Decke auf den Rasen ausgebreitet hatte, und nachdem sie Jagdtasche und Büchse abgelegt, ließ sie sich mit einer unnachahmlichen Grazie im Schatten des grünen Laubdaches nieder.

Schanhatta war unterdessen wieder an das Küchenfeuer zurückgeeilt, wo sie sich mit der Zubereitung unserer Mahlzeit beschäftigte, und da meine Pferde in geringer Entfernung unter meinen Augen weideten, ich außerdem eine Gesellschaft weißer Menschen in der Nähe wußte, so warf ich mich im Ausgang der Laube ebenfalls auf den Rasen, um mich endlich wieder einmal dem mir fremd gewordenen Genuß einer Unterhaltung mit einer gebildeten, offenbar den höheren Stauden angehörenden Dame hinzugeben.

War es nun eben meiner langjährigen Abwesenheit aus der civilisirten Welt zuzuschreiben, oder besaß mein junger Gast wirklich einen so außerordentlichen Zauber, oder vereinigte sich Beides doppelt wirkend, ich suchte dies nicht zu ergründen; aber als ich der anmuthigen Fremden so zu Füßen lag, ihr in die lebhaften, fröhlichen Augen schaute, ihre gewählte Sprache vernahm und ihren an Tollkühnheit grenzenden Muth und ihren unerschütterlichen Frohsinn bewunderte, da war mir, als hätte ich doch [] nicht recht gehandelt, mich für die ganze Lebenszeit in der unwirthlichen Wildniß so vollständig abzuschließen. Träume und Visionen, wunderbar schön und verlockend, so wie sie mich in meinen jungen, Jahren wohl zu umgaukeln pflegten, aber frühzeitig mit meiner entschlafenen Johanna zu Grabe getragen wurden, begannen in nebelhafter Ferne vor meinem Geiste aufzutauchen, die vor mir so vertrauensvoll rastende Fremde mit den holdesten Reizen zu schmücken und mein Herz wie mit neuer Lebenswärme zu durchströmen.

»Ein glänzendes Meteor, welches auf Augenblicke meinen stillen, einfarbigen Lebenshimmel erhellt, um demnächst spurlos in unbegrenzten Räumen zu verschwinden,« dachte ich gleich darauf, als ich gewahrte, daß der Jägerin theilnahmvolle Blicke verstohlen auf mir geruht hatten und schnell wieder, als hätten sie einen Fehler begangen, in eine andere Richtung schweiften. »Doch des Glanzes des flüchtigen Gestirns will ich mich, so lange es mir vergönnt ist, nach besten Kräften erfreuen,« tröstete ich mich dann, und einen Seufzer unterdrückend versuchte ich es, in die Heiterkeit einzustimmen, welche mir so aufmunternd aus den schönen blauen Augen entgegenstrahlte.

»Hätte mir gestern Jemand versichert, daß mir heute der Besuch einer liebenswürdigen jungen Dame bevorstände, einer Dame, deren zarte Finger mehr für die Tasten eines Klaviers und die mit Goldschnitt gezierten Blätter eines Dichterschatzes, als für den Kolbenhals einer Flinte bestimmt zu sein scheinen, so würde ich es schwerlich geglaubt haben,« eröffnete ich die Unterhaltung, nachdem ich so lange gewartet, bis die Fremde die Mütze von ihrem Haupte entfernt und durch ein kurzes Schütteln die über ihre erhitzte, aber schneeweiße Stirne gesunkenen Haare zurückgeschleudert hatte; »ja, wie ich Euch so vor mir sehe, er scheint es mir fast wie ein Wunder, und die rauhen Sitten des ›Feinen Westens‹ entschuldigen es wohl, wenn ich offen frage, was Euch aus den glänzenden Cirkeln, in welchen Ihr Euch unstreitig Euer ganzes Leben hindurch beweget, bis hierher geführt haben kann?«

»Die rauben Sitten des Fernen Westens sind doch immer noch nicht rauh genug, daß ein Biberfänger darüber vergessen hätte, einer wilden umherstreifenden Abenteurerin die allerschönsten und unverdientesten Complimente zu sagen,« lautete die mit lachendem Munde gegebene Antwort, »und dabei fragt Ihr so unbefangen, was mich hierher getrieben habe? Hab, aha! als ob ein junges Mädchen – Ihr bezweifelt hoffentlich nicht, daß die Jahre des Ernstes und der Gesetztheit noch in ziemlicher Ferne vor mir liegen – keine Geheimnisse besitzen dürfte! Zuerst sagt Ihr mir, Herr Ritter von der Büchse und Stahlfalle, was Euch von Eurem fernen Heimathlande bis hierher verschlagen hat, und dann will auch ich Euch gnädiglichst Auskunft ertheilen; denn ehrlich gestanden, Ihr scheint mir ebensowenig für den Stand eines Trappers geboren und erzogen zu sein, wie meine bescheidene Wenigkeit.«

»Meine Vergangenheit bietet zu wenig Lichtpunkte,« entgegnete ich plötzlich ernst gestimmt, »als daß deren Schilderung viel zur Unterhaltung eines glücklichen, heiteren Gemuthes beitragen könnte. Erlaßt [] mir daher, derselben ausführlich Erwähnung zu thun, und begnügt Euch damit, zu wissen, daß ich keine Heimath besitze, es sei denn, Ihr laßt Euch herbei, den schmalen Landstreifen zwischen dem Missouri und den Küsten der Südsee meine Heimath zu nennen.«

»Ah, so leichten Kaufes entschlüpft Ihr mir nicht, wenn ich nicht ebenso zurückhaltend sein soll! Erzählt also mit hinterwäldlerischer Redefreiheit, und je rührender die Geschichte, um so angenehmer; und wenn ich meine bittern Thränen dabei vergieße, bringe ich Euch meinen besten Dank dafür dar. Ihr müßt nämlich wissen, daß Thränen meinen Augen so fremd sind, wie den Augen eines fürchterlichen Aligators, und daß eine ungeheure Masse von gebrochenen Herzen, Selbstmorden und Trennungen auf Ewig dazu gehört, mich zum Weinen zu bringen.«

Verwundert schaute ich in die schalkhaft lachenden Augen; etwas von Dem, was ich bei den muthwilligen Aeußerungen der lieblichen Amazone fühlte, mußte sich in meinen Blicken verrathen. Es entging mir wenigstens nicht, daß sie sich Zwang anthat, ihre ausgelassene Miene beizubehalten, augenscheinlich, um mich nicht merken zu lassen, daß sie ihre unüberlegten Worte bereue. Mein Schweigen und der forschende Blick, welchen ich auf sie warf, vergrößerten ihre Verwirrung, und ich gewahrte zu meiner innigsten Freude, daß ihre Wangen sich höher färbten. Sie wollte indessen nicht als besiegt erscheinen, denn nachdem sie ihr Haupt geschüttelt, daß die blonden Haare ihr auf Augenblicke das Antlitz verschleierten, rief sie lachend aus:

»Nur immer heraus mit der Sprache! Geschichte gegen Geschichte. Zuerst sprechen Ihro edle Trapperschaft, und demnächst kommt die Reihe an die hochachtbare Jungfrau, die ihrem Vater in ihrem kurzen Leben schon so viel Aerger verursacht hat, daß er an der Hälfte mehr wie zum Ueberfluß gehabt hatte!«

»Aber wie, wenn ich, um ausführlich zu sein, in der That Gräber öffnen müßte, in welche einst ein ganzes Lebensglück gesenkt wurde?« fragte ich ernst.

»Dann nicht, dann nicht,« versetzte die Fremde hastig, indem sie mir die Hand bot, und ich glaubte zu bemerken, daß sie eine Thräne zurückdrängte, welche ihr wahrscheinlich der Ausdruck, mit welchem ich sprach, in die Augen getrieben hatte. »Nein, dann nicht,« wiederholte sie gleich darauf wieder in ihrer alten ausgelassenen Weise, »dergleichen Geständnisse eignen sich nur für das Ohr einer Schwester; da wir aber nicht Schwester und Bruder sind, auch wohl schwerlich lange genug zusammen bleiben werden, um in ein solches Verhältniß zu einander zu treten, da wir ferner nicht die Verpflichtung haben, uns gegenseitig das Her; schwer zu machen, sondern so glücklich und froh zu sein, wie es nur irgend in der Macht eines Sterblichen liegt und wie es unsere heitere, lustige, sonnige, blumige, wilde, friedliche und wer weiß was sonst noch für eine Umgebung erheischt, so sei Euch die Beichte erlassen. Ich dagegen will mich beeilen, so schnell als möglich Eure mich betreffende Frage in tiefster Devotion zu beantworten. Randbemerkung: ich halte Euch für einen verkappten Gentleman und nicht für einen fluchenden, schwörenden, rohes Fleisch essenden, unempfindlichen Hinterwäldler, also für einen [] Herrn von Discretion, vor dem ich furchtlos mein ganzes Herz ausschütten darf.«

»Nun ist die Reihe zu danken an mir,« entgegnete ich jetzt ebenfalls wieder heiler, denn der Uebermuth meines holden Gastes hatte seinen Einfluß auf meine Stimmung nicht verfehlt, »und ich verspreche Euch, Ihr sollt Euch nicht in mir getäuscht haben; eh' Ihr indessen beginnt, gestattet mir, in gleicher unumwundener Weise zu offenbaren, für was ich Euch halte, wenn auch nur, um Euch Gelegenheit zu geben, meine Menschenkenntniß und Beobachtungsgabe zu bewundern.«

»Zugestanden unter der Bedingung, daß Ihr mich mit den alltäglichen Floskeln, als die Schönste ihres Geschlechtes, die Edelste, die Beste u.s.w., verschont,« versetzte die Fremde, indem sie mir näher rückte und ihr Haupt auf ihre Hände stützend, mir mit komischer Spannung in die Augen schaute.

»Zugestanden,« erwiderte ich in demselben Tone, worauf ich begann:

»Euch jederzeit das Recht einräumend, meine schöne, ich wollte sagen: verehrte junge Dame, mich zu unterbrechen und meine Angaben zu berichtigen, fange ich mit Eurem Namen an. Ihr müßt, in der Taufe unbedingt Diana genannt worden sein.«

»Falsch, mein edler Ritter von Büchse, Messer und Bibelfallen,« unterbrach mich das Mädchen mit bezauberndem Pathos, »mein Name ist irdischerer Natur, ich heiße Katharine, oder vielmehr Kate Dalefield, erfreue mich also eines Namens, den ich noch nie von einem Deutschen richtig aussprechen hörte.«

»Gut, dann habe ich mich geirrt. Also Miß Kate Dalefield, ich halte Euch für einen der liebenswürdigsten Haus – «

»Halt! ganz gegen die Abrede!« unterbrach mich Kate wiederum.

»Ich bitte um Verzeihung, das Wort liebenswürdig befand sich nicht in der Reihe der verbotenen Bezeichnungen – also für einen der liebenswürdigsten kleinen Tyrannen, die jemals ihre Hausgenossen durch eine unverwüstlich heitere Laune zur Verzweiflung brachten.«

»Ihr könntet nicht so ganz unrecht haben,« versetzte Kate mit einem reizenden, halb verhaltenen Lächeln.

»Wohlan, im Anfall einer solchen heiteren Laune habt Ihr eines Tages erklärt, unter allen Umständen den wilden Westen bereisen zu wollen,« fuhr ich fort, »und da mußten denn Vater, Mutter, Brüder, Verwandte und Bekannte Alles aufbieten, den Wunsch ihres liebenswürdigen Haustyrannen zu erfüllen, wenn sie in ihrem Leben überhaupt noch eine ruhige Stunde haben wollten.«

Um Kate's rothe, etwas emporgekräuselte Lippen spielte ein neckisches, schadenfrohes Lächeln, doch unterbrach sie mich nicht und ich fuhr fort:

»Man entschloß sich also, dem allgemeinen Lieblinge den Willen zu thun; die liebenswürdige Tochter des Hauses übte sich noch eine Zeit lang in männlichen Künsten, welche das Leben in der Wildniß erleichtern, als da sind: Schießen, Reiten, Laufen, Springen, Hungern, Dursten –«

»Behüte der Himmel, daß ich zu Hause auch nur ein einziges Mal gehungert oder gedurstet hätte!« rief Kate hier wieder mit erheucheltem Abscheu [] dazwischen, »nein, nein, so weit bin ich denn doch nicht gegangen. Allerdings trifft Manches zu, was Ihr mit wunderbarem Scharfsinn aus meinem Aeußern herauszulesen vorgebt, aber doch nicht Alles; und so halte ich es denn für am besten, wenn ich Euch den wahren Sachverhalt mit wenigen Worten erkläre. Haustyrann bin ich, das ist wahr, wozu wäre ich auch sonst wohl die einzige Tochter unter vier gerade nicht allzu zarten Brüdern? Die Rocky Mountains und die Prairien wünschte ich zu sehen; auch das hat seine vollständige Nichtigkeit. Nicht richtig aber ist, daß ich vor unserm Aufbruch erst Schießen, Reiten und Fechten gelernt haben soll. Ich hätte nicht vier Brüder besitzen müssen, um nicht schon in meinem zwölften Jahre mit dem eisten besten Farmerburschen um die Wette zu reiten und zu jagen. Nicht richtig ist ferner, daß die Reise einzig um meinetwillen unternommen wurde. Mein Vater, ein Offizier außer Diensten, hat wichtige Geschäfte auf Fort Union, wo eine Vereinigte-Staaten-Besatzung steht, und da er noch rüstig ist, seine zwei Söhne ihm aber Tag und Nacht zuredeten, – die andern beiden sind bereits in die Armee eingetreten, – so entschloß er sich endlich dazu, die Fahrt nach dem bezeichneten Posten anzutreten. Daß ich mich nicht willig finden ließ, allein zurück-, zubleiben, versteht sich von selbst; tausend Pferde hätten mich nicht zu halten vermocht; und daß ich alle Ursache hatte, mich der Expedition anzuschließen, habe ich zur Genüge bewiesen, denn in den zwei Monaten, die wir uns bereits unterwegs befinden, bin ich noch von Keinem unserer ganzen Gesellschaft im Aushalten von Beschwerden und im Jagdeifer übertroffen worden. Innerhalb einiger Wochen werden wir unser Ziel erreichen, und nach kurzem Aufenthalt daselbst begeben wir uns nach St. Joseph zurück, von wo aus wir unsere Reise den Missouri hinunter zu Dampfschiff weiter fortsetzen. So, mein Herr, nun wißt Ihr Alles, was zu wissen Ihr nur immer wünschen könnt, und hier kommt Cure Pflegetochter, um, wenn ich nicht irre, uns zur Mittagstafel einzuladen.«

Ueberrascht sah ich mich um; ich hatte Schanhatta nicht kommen hören; einestheils zeichnete sie sich stets durch einen außerordentlich geräuschlosen Gang aus, anderntheils fesselte mich auch Wohl die von Jugendmuth und Lebenslust sprühende junge Abenteurerin zu sehr, als daß ich noch sonderlich Lust verspürt hätte, auf meine Umgebung zu achten. Noch mehr aber überraschte es mich, zu gewahren, daß die Indianerin jetzt einen ganz, andern Ausdruck zur Schau trug, als bei ihrem ersten Zusammentreffen mit der Fremden. Eine gewisse Schüchternheit sprach zwar noch immer aus ihren sammetweichen Zügen, doch trat diese weit hinter den freudigen Stolz zurück, der aus ihren sonst so sanften Augen leuchtete, als sie bald unfern Gast, bald mich aufmerksam betrachtete, und welchen sie, wie es mir schien, über unser gutes Einvernehmen empfand.

»Die bleiche, schöne Frau war durstig und sie hat getrunken; die bleiche, schöne Frau mit den Himmelsaugen ist hungrig, dort steht Fleisch, gesottenes und geröstetes, und etwas Brod und Kaffee,« sagte Schanhatta mit ihrer tiefen, melodischen Stimme zu Kate Dalefield, indem sie nach dem Feuer hinüber wies. »Sieh doch an, Schanhatta,« rief ich scherzend [] aus, »klingt es doch fast, als ob ich das leere Nachsehen haben sollte!«

Schanhatta blickte mich mit einer rührenden Verwirrung an, sie glaubte wirklich ein Versehen begangen zu haben. »Schanhatta gehört ihrem Herrn,« sagte sie sodann leise, »und wo sie ihren Fuß hinstellt, ist er der Gebieter.«

»Aber Ihr erschreckt ja das liebe Kind,« versetzte Kate emporspringend und ihren Arm durch den Schanhatta's ziehend, »komm, meine liebe braune Schwester, ich bin sehr hungrig und deshalb sehr froh, daß Du mir etwas zu essen geben willst.«

Wiederum erfüllte es mich mit Verwunderung, daß sie, die kurz vorher noch mit so wenig Rücksicht von meinem Schützling sprach, sich zu solcher Zärtlichkeit zu dem braunen Mädchen hinreißen ließ. Unter dem ewig tändelnden und lachenden Aeußern waren indessen ein tiefes. Gemüth und ein hoher Grad edler Aufrichtigkeit verborgen, die eben nur des geringsten Anstoßes bedürften, um sich sogleich mit überwiegender Gewalt geltend zu machen, ihr Wohlgefallen an Scherz und heitern Neckereien dagegen gleichsam zu übertäuben.

Mit doppelter Freude beobachtete ich daher die beiden jungen Mädchen, wie sie, als wären sie durch die innigsten Banden der Liebe an einander gefesselt gewesen, vor mir herschritten. Sie sprachen nicht, aber in Schanhatta's aufrechter Haltung prägte sich der ganze Stolz aus, den sie darüber empfand, von einem unbekannten weißen Mädchen so liebevoll behandelt zu werden, während Kate mit sichtbarer Bewunderung die Indianerin heimlich von der Seite betrachtete und sich augenscheinlich an dem Anblick von deren selten schönem Profil weidete.

Vor dem Feuer ließ Kate sich nieder, ich nahm ihr gegenüber Platz, und mit einer Aengstlichkeit, welche uns manch verstohlenes Lächeln entlockte, bewegte die junge Mandanenwaise sich zwischen uns hin und her, sorgsam darüber wachend, daß wir stets mit den zartesten Theilen des dampfenden Hirschrückens versehen waren.

»Wie außerordentlich schön und Wohlgestalten ist Eure junge Gefährtin,« bemerkte Miß Dalefield, als nach Beendigung unserer Mahlzeit Schanhatta zu dem Bach hinabstieg, um einen frischen Trunk herbeizuholen, »und dabei so verständig, als ob sie, wer weiß wie lange, in civilisirten Gegenden zugebracht hätte.«

»Die arme Waise, die Letzte der Mandanen, wie sie sich gern nennen hört, bereitet mir viel Freude,« entgegnete ich, sogleich auf die Unterhaltung eingehend, »und ich sehe es als ein großes Glück an, daß es gerade mir beschieden war, sie zu finden. Abgesehen davon, daß es für sie, bei ihrer außergewöhnlichen Begabung, ein Segen ist, auf den Pfaden der Gesittung immer weiter geführt zu werden, schöpfe ich, auch selbst aus ihrer Gesellschaft und aus den sie belehrenden und aufklärenden Gesprächen gar manche wirklich schöne, den Geist anregende Unterhaltung. In Gedanken vergleiche ich sie oft mit einem Buche, dessen Inhalt edel, obwohl nicht Jedermann verständlich. Doch liegt vor mir ihr kindlich reines Gemüth, wie ein aufgeschlagenes Buch da, auf dessen jeder einzelnen Seite deutlich geschrieben steht, wie die Lehren der Vernunft, hervorgegangen aus tausendjährigen Erfahrungen, allmälig die angeborenen Mängel und falschen [] Begriffe besiegen, wie sich der ungeschulte, schüchtern über die Grenzen seines Wissens hinausblickende Geist mehr und mehr zu Elfteren hinneigt und sich fester an dieselben anlehnt. Leider muß ich mich nur zu bald von meinem Liebling trennen, denn ließe ich mein begonnenes Werk halb beendigt, so würde sie dadurch um so unglücklicher werden.«

»Da kommt sie schon, ich würde Euch sonst gebeten haben, mir Einiges über ihre Vergangenheit mitzutheilen,« versetzte Kate, als Schanhatta eben wieder über dem Ufer erschien; »diesmal aber ist es nicht Neugierde, was mich plagt.« setzte sie mit ihrem reizendsten schalkhaften Lächeln hinzu, »sondern die aufrichtigste Theilnahme mit dem freundlichen und dabei so bescheidenen, ich möchte sagen, ergebenen Mädchen. Schon ihre sanften melancholischen Augen, wenn man in dieselben hineinblickt, scheinen ein stummes und doch so beredtes Flehen um eine milde und nachsichtige Beurtheilung zu enthalten.«

»Gern erzähle ich Euch Schanhatta's Geschichte, und daß sie selbst zugegen ist, hindert am wenigsten daran,« antwortete ich, meinen Schützling bedeutend, sich zu uns zu sehen, sie hört ihre Lebensgeschichte nicht zum ersten Male aus meinem Munde; ich mache ihr sogar eine Freude damit und ich glaube, mit der Schilderung der Rettung »der Letzten der Mandanen vermöchte ich sie vom Tode zu erwecken.«

Während nun die Blicke der beiden so scharf zu einander contrastirenden Mädchen mit gleicher Spannung auf mir ruhten, beschrieb ich ausführlich, wie Schanhatta zu mir gekommen und durch mein zufälliges Eintreffen vor einem schrecklichen Untergänge bewahrt worden war. Doch wenn die Erzählung meine Zuhörerinnen in hohem Grade fesselte, so ergötzte es mich gewiß nicht minder, zu beobachten, wie ihre Gefühle sich wieder auf so verschiedene Weise äußerten. Schanhatta's Mienen blieben ernst, nur ein tiefer Zug von Melancholie verrieth, wie sehr sie durch die Erinnerung ergriffen wurde; sie hörte mir zu, wie etwa ein Kind dem von der Mutter vorgetragenen Märchen lauscht, regungslos und mit verhaltenem Athem. Miß Dalefield dagegen zeigte auf ihrem Antlitz einen beständigen Wechsel der Gefühle, welche gerade ihre Brust bewegten. Bald lächelte sie neckisch, bald sprach tiefes Mitleid aus ihren Augen, und bald blickte sie sogar ganz zur Seite, um heimlich eine Thräne zu trocknen, bei welcher Gelegenheit ich ihr jedesmal den Gefallen erwies, ebenfalls in eine andere Richtung zu schauen, um ihr nicht die Ueberzeugung zu rauben, daß ich sie wirklich für ein weibliches Wesen halte, dessen Augen, wie sie mir ja versichert hatte, Thränen etwas Fremdes, Unerhörtes seien.

Ich sah nach einer andern Richtung, aber ihre Thränen hatte ich bemerkt. Ich hatte bemerkt, daß sie ein Herz besaß, so weich, so voll edlen Mitgefühls, daß ich sie mit aller mir zu Gebote stehenden Beredsamkeit hatte bitten mögen, meine Schwester sein zu wollen, um ihr Alles mittheilen zu dürfen, was mein früheres Leben betraf und was ihr mitzutheilen ich mich beim ersten Beginn unserer Bekanntschaft, getäuscht durch ihr ganzes Auftreten, so standhaft weigerte. O, wie tröstend und wohlthuend wäre mir der Anblick von Thränen gewesen, welche sie vielleicht der Erinnerung an meine herben Lebenserfahrungen [] geweiht hätte? Seltsam, es war das erste Mal, daß ich die Neigung empfand, vor fremden Ohren meiner sonst so störrisch in meiner Brust verschlossen gehaltenen Vergangenheit zu gedenken!

Eben sprach ich davon, im Herbst, nach beendigter Jagd wieder mein bekanntes Winterquartier aufsuchen und beim Eintritt des Frühlings Schanhatta endlich auf einer mir geeignet scheinenden Mission unterbringen zu wollen, als ich durch das Getrappel von Pferden unterbrochen wurde. Die Pferde selbst waren nicht sichtbar; sie befanden sich noch hinter der nächsten Biegung des hohen Thalufers. Da indessen das Geräusch aus einer Richtung zu uns herüberschallte, aus welcher Miß Dalefield die Ihrigen erwartete, so wurden wir dadurch nicht weiter beunruhigt, doch blickten wir gespannt nach dem Vorsprung hin, hinter welchem hervor die Reiter erscheinen mußten.

Drittes Capitel.
Der Brief.

Fast in demselben Augenblick, in welchem der Kopf des vordersten Pferdes in unfern Gesichtskreis trat, brach die junge Amazone in ein helles, herzliches Lachen aus. »Seht doch, welche Eile sie haben, ihren Haustyrannen wiederzufinden!« rief sie aus, indem sie emporsprang und ihre federgeschmückte Mütze lustig ums Haupt schwang. »Betrachtet nur ihre Gesichter,« fuhr sie mit bezauberndem Muthwillen fort, »sollte man nicht meinen, ihnen sei die verbürgte Nachricht zugegangen, meine regenbogenfarbigen Haare hingen bereits sammt meiner Kopfhaut, der bessern Conservirung wegen, in dem Rauchfang irgend eines beliebigen indianischen Naturaliensammlers? Ueberzeugt. Euch selber, mein edler Gastfreund, wenn die Leute noch so besorgt um mich sind, kann meine Tyrannei, von der Ihr so viel Aufhebens macht, nicht so sehr schwer wiegen!«

»Kate, ich freue mich zwar sehr, Dich wohlbehalten wiederzusehen, allein Du zwingst mich wirklich dazu, entweder selbst umzukehren, oder Dich bis zur nächsten Handelsstation zu bringen und Dich dort bis zu meiner Rückkehr streng bewachen zu lassen!« rief ein aller stattlicher Herr zornig aus, indem er vom Pferde sprang und, seine Hände auf dem Rücken zusammenlegend, dicht vor das junge Mädchen hintrat.

»Guten Tag, mein lieber, theurer Vater!« entgegnete Miß Kate fröhlich lachend, dem alten Herrn um den Hals fallend und einen schallenden Kuß auf seine Lippen drückend, »guten Tag, meine hochgeehrten Herren Brüder!« wendete sie sich dann an zwei kräftige junge Leute, welche zugleich mit ihrem Vater eingetroffen, aber noch nicht von ihren Pferden gestiegen waren; »tausend Dank für Cure freundliche Fürsorge, Ihr seht, ich befinde mich in guter Gesellschaft und habe bereits recht tüchtig zu Mittag gespeist, während Ihr wahrscheinlich noch den Hirsch schießen möchtet, der Euren Hunger stillen soll.«

»Laß die Kindereien jetzt bei Seite und höre mein letztes Wort,« unterbrach sie der Vater streng; »wenn Du fortfährst, auf Deine eigene Hand die Wildniß, und sogar noch zu Fuß zu durchwandern, so wirst Du mich bald bereuen machen. Dich überhaupt mitgenommen zu haben.«

[] »Aber ich kann nicht so lange schlafen, wie meine trägen Brüder,« versetzte Kate, eine komisch herausfordernde Haltung annehmend, »und wenn Du wirklich grausam genug wärest, mich zurückzusenden, so würde ich meinen Gefangenwartern bei der ersten Gelegenheit entspringen und nach drei Tagen schon wie der bei dem besten und großmüthigsten aller Väter eintreffen.«

»Schon gut, schon gut, meine Tochter,« entgegnete Mr. Dalefield besänftigt, »ich weiß, an Dir ist keine Hülfe mehr; allein heute hätte ich doppelten Grund gehabt. Dir zu zürnen, daß Du mit unbegreiflichem Leichtsinn Gefahren für Dich heraufbeschwörst, weil – weil – nun weil mir scheint, als ob wir doch nicht so sicher gestellt wären, wie wir bis jetzt geglaubt haben, und Dinge um uns her vorgehen, welche die größte Vorsicht von unserer Seite erheischen.«

»Das wäre ja herrlich!« rief Miß Kate mit einem neckischen Seitenblick auf mich ans, »ich befürchtete bereits, wir würden nach St. Joseph zurückkehren müssen, ohne das kleinste Abenteuer erlebt zu haben.«

»Fordere das Geschick nicht heraus, Mädchen,« versetzte der Vater wieder ernster, indem er mich prüfend betrachtete, »Du kannst nicht wissen, wie nahe uns die Gefahr ist, und glaube mir, wenn ich Dir sage, daß ich allen Grund habe, argwöhnisch zu sein.«

Offenbar wollte er sich nicht deutlicher aussprechen, weil er in mir einen Fremden sah, von dem er nicht wissen konnte, ob er ihm trauen dürfe; ich hielt es daher für angemessen, mich an der Unterhaltung zu betheiligen und, wie es im Westen Sitte ist, meine Dienste anzubieten.

Meine Einladung, in meiner Nähe das Lager aufzuschlagen, wurde von allen Seiten angenommen; der Jüngere der beiden Brüder ritt zurück, um die übrigen Mitglieder der kleinen Expedition und den Wagen herbeizuschaffen, die andern beiden Pferde wurden bei den meinigen gepflöckt, Schanhatta, unterstützt von Miß Kate, beschäftigte sich mit der Zubereitung eines neuen Mahls, wir drei Männer dagegen legten uns im Schatten der Laube nieder, um die nichts Gutes verheißenden Umstände, von welchen Mr. Dalefield gesprochen hatte, genauer in Erwägung zu ziehen.

Zu einem Neger, einer Negerin und zwei weißen Arbeitern hatte Dalefield während seiner Reise auch noch zwei Indianer gedungen, welche ihn als Führer und Jäger bis nach Fort Union hinauf begleiten sollten. Dieselben hatten sich für Minetareh-Indianer ausgegeben und versprochen, anstatt den weiteren nur beschwerlicheren Weg am Missouri hinauf zu verfolgen, die große Biegung des Stromes abzuschneiden und die Gesellschaft in gerader und näherer Richtung quer durch die Wildniß nach dem an der Vereinigung des Missouri und des Yellow-Stone-Flusses gelegenen Fort zu bringen.

Die Sicherheit, mit welcher die beiden eingeborenen Jäger sie, nachdem sie den Missouri hinter sich zurückgelassen hatten, auf Pfaden führten, auf welchen sogar die Beförderung des leichten Reisewagens keine Schwierigkeiten fand, und der Umstand, daß sie fast nur wildreiche Gegenden berührten und nie ohne Wasser lagerten, hatten bei den Reisenden [] nichts weniger, als Mißtrauen aufkommen lassen. Sie hielten ihre indianischen Begleiter für vollständig zuverlässig und priesen sich glücklich, gerade mit solchen gediegenen Wüstenjägern zusammengetroffen zu sein; denn es verging kein Tag, an welchem sie nicht von irgend einer aufregenden Jagd oder einem erfolgreichen Fischzug zu erzählen gehabt hätten.

So hatten sie denn nach einem Marsch von mehreren Wochen dasselbe Flüßchen, aber weiter oberhalb erreicht, an welchem ich seit bereits acht Tagen stromaufwärts gezogen war. Da auch dort die Führer immer noch keine Miene machten, sich dem Missouri wieder zuzuwenden, im Gegentheil, zur Fortsetzung ihrer Reise eine Richtung bezeichneten, in welcher sie unbedingt weit westlich von Fort Union auf den Yellow-Stone-Fluß gestoßen wären, so fühlte Dalefield sich veranlaßt, die Richtung der Reise selbst zu bestimmen und seinen festen Entschluß zu erklären, sich auf dem nächsten Wege an den Missouri zurückzubegeben.

Die Versicherungen der Führer, daß in der von Dalefield vorgeschlagenen Richtung das Land nicht nur wasserarm, sondern auch für Wagen unzugänglich sei, hatte zum ersten Male Verdacht bei diesem erweckt und ihn dazu bestimmt, fest auf seinem Willen zu beharren. Die Indianer hatten sich denn auch endlich in seine Wünsche gefügt, und seit drei Tagen waren sie bereits an dem Flüßchen, ohne auf die bezeichneten Hindernisse zu stoßen, stromabwärts gewandert. Die Willfährigkeit der Führer und ihre Zuvorkommenheit, wenn es galt eine Jagd anzustellen, hatte das Mißtrauen, welches Dalefield gegen sie hegte, zum Theil wieder eingeschläfert, als plötzlich sein Argwohn aufs Neue, und zwar in erhöhtem Grabe wach gerufen wurde.

Am Morgen desselben Tages nämlich, an welchem sie mein Lager erreichten, als Miß Kate sich schon längst auf den Weg begeben hatte und endlich auch für die kleine Expedition das Zeichen zum Aufbruch ertheilt worden war, bemerkte Dalefield, daß statt der gewöhnlichen zwei Führer, sich deren nur einer in geringer Entfernung vor dem Zuge hinbewegte. Auf seine Frage nach dem Abwesenden erhielt er zur Antwort, daß derselbe die Spur eines Panthers aufgenommen habe und im Laufe des Tages, spätestens gegen Abend wieder bei der Gesellschaft eintreffen werde.

Die Zeit verstrich, Mittag rückte heran, allein der zweite Führer blieb verschwunden, weßhalb bei Allen die Besorgniß erwachte, daß sie möglicher Weise das Spiel einer hinterlistigen Verrätherei geworden seien. Hatte es doch ganz den Anschein, als ob man sie absichtlich vom Missouri fortgelockt habe, um sie in einem abgelegenen Winkel zu berauben und zu ermorden, und der eine Führer nur entflohen sei, um die auf ihre Opfer vielleicht schon seit längerer Zeit harrenden Raubgenossen von der veränderten Richtung in Kenntniß zu setzen und auf näheren Wegen an einen Ort zu senden, wo sie ihren Anschlag dennoch unentdeckt und ungestraft würden zur Ausführung bringen können.

Mit dem Argwohn gegen ihre indianischen Begleiter hatte sich aber auch zugleich die größte Besorgniß um die abwesende Tochter und Schwester eingestellt,[] und war es dieser zuzuschreiben, daß der Vater mit seinen Söhnen, den Windungen des Flüßchens folgend, so weit vorauseilte und endlich, trotz der Freude des Wiedersehens, seine Tochter mit einer ihr sonst ungewohnten Härte über ihre gänzliche Mißachtung von Gefahren tadelte.

Ich hatte nur noch so viel Zeit, zu fragen, ob man dem bei der Gesellschaft zurückgebliebenen Indianer Beweise von Mißtrauen gegeben habe, und, als dieses verneint wurde, das strengste Schweigen gegen denselben anzurathen, als Harry, der jüngste Sohn Dalefield's, um den Ufervorsprung herumritt, anscheinend sich sehr angelegentlich mit einem ihm zur Seite einherschreitenden eingeborenen Jäger unterhaltend.

Bald darauf folgte auch der Wagen nach; aber erst nach längerer Zeit, nachdem die Pferde ausgespannt und abgesattelt worden waren und man sich schon mit dem Aufschlagen der beiden Leinwandzelte beschäftigte, näherte ich mich meinem Küchenfeuer, vor welchem der Indianer sich nachlässig auf seine Büchse lehnte und mit großer Aufmerksamkeit der Arbeit der beiden jungen Mädchen zuschaute.

Was er dachte, und ob er überhaupt etwas dachte, ging aus seinem feuerroth bemalten Gesicht nicht hervor. Mich vermochte er indessen nicht zu täuschen, ich war zu vertraut mit indianischen Gebräuchen und Sitten, und entging mir daher ebenso wenig die versteckte Theilnahme, mit welcher er unter seinen matt niederhängenden Augenlidern hervor Schanhatta betrachtete, wie daß er, wenn er glaubte es unbemerkt ausführen zu können, einen spähenden Blick über mich hingleiten ließ.

Er empfand offenbar tiefen Verdruß über meine Anwesenheit, und wohl hatte er Ursache dazu, denn ich hätte mich nicht so lange müssen unter den Dacotah-Stämmen, jagend, tauschend, lernend und beobachtend umhergetrieben haben, um nicht auf den ersten Blick zu entdecken, daß ich am allerwenigsten einen Gros ventre oder Minetareh-Indianer vor mir sehe.

Im Uebrigen war der Fremdling eine stattliche Erscheinung, sowohl was seinen hohen und ungewöhnlich starten Körperbau anbetraf, als auch hinsichtlich seiner prahlenden Betreibung und vollständigen Bewaffnung, die mehr auf einen angesehenen Krieger und Häuptling beuteten, als auf einen Pfadsucher, der durch Dienstleistungen geringerer Art seinen Unterhalt von den Weißen zu verdienen suchte.

Das Haar trug er lang und ohne Kopfputz, nur zwei mit Otterfell umwickelte Flechten fielen von seinen Schläfen weit über die breite Brust nieder. Außerdem bemerkte ich dicht unterhalb der festgeflochtenen Wirbellocke eine dicke Strähne weißer Haare, die, wahrscheinlich auf einer vernarbten Wunde gewachsen, mit Vorbedacht recht augenfällig um die Skalplocke herumgewunden worden war. Von den Gesichtszügen war nicht viel zu erkennen, dieselben wurden zu sehr durch die dicke Lage rother Farbe verwischt und erhielten durch die von den schlaffen Lidern halb verschleierten Augen nur einen geringen Grad von Leben.

Seinen Oberkörper schmückte außer einigen blauen Tätowirungen und dem Riemen, an welchem der gefüllte Köcher von Luchshaut und die Kugeltasche nebst [] Pulverhorn hingen, keine Bekleidung, dagegen fiel von seinem Gurt ein scharlachfarbiger schmaler Schur; bis auf die Erde nieder, wie auch an seinen wildledernen Leggins und Mokassins alle nur denkbaren indianischen Zierrathen, von der farbigen Glasperle und den Lederfransen, bis zu den flatternden Skalpstreifen von erschlagenen Feinden, sinnig und nicht unmalerisch angebracht werden waren.

Nach Dalefield's Mittheilungen über ihn fühlte ich mich natürlich veranlaßt, ihn schärfer, oder vielmehr mißtrauischer zu beobachten, als ich in jedem andern Falle gethan haben würde. Dabei vermied ich aber sorgfältig, meine geheimen Gedanken durchblicken zu lassen, obgleich ich kaum bezweifeln durfte, daß er ebensowohl meine Absicht: ihn zu täuschen, errieth, wie ich wußte, daß er weit lieber das Glied eines Fingers hingegeben, als mir gestattet hätte, seine Pläne zu durchschauen.

Meine Annäherung schien er gar nicht zu beachten, und obwohl er in mir einen Gebirgsjäger von Fach erkennen mußte, blickte er doch kaum auf, als ich ihn anredete.

»Die Minetarehs sind gute Jäger,« begann ich in der mir bereits geläufigen Sioux-Sprache zu dem wilden Krieger gewendet, »sie kennen jeden Pfad in Wald und Prairie, sie besitzen zahlreiche Heerden schöner Pferde und mehr gedörrtes Büffelfleisch, als sie zu verzehren vermögen. Ich wundere mich daher, daß ein Häuptling den Bleichgesichtern Dienste leistet, zu welchen er seine Läufer hätte aussenden können. Oder ist mein rother Bruder vielleicht kein Häuptling?«

»Blackbird ist ein Häuptling,« antwortete der Krieger ebenfalls in der Sioux-Sprache, und zugleich traf mich unter seinen gesenkten Augenlidern hervor ein Blick, so flüchtig wie der Blitz, und so giftig, wie der einer gereizten Klapperschlange, wenn sie sich zum Angriff zusammenrollt und den Kopf zurückzieht, um den tödtlichen Streich nach ihrem Opfer zu führen.

Schanhatta fühlte instinctärtig Blackbird's feindselige Gesinnungen heraus und schaute verstohlen und mit besorgtem Ausdruck zu mir empor; Miß Kate dagegen hatte keine Ahnung davon, daß es sich um ihre Sicherheit, vielleicht um ihr Leben handle, und mir einen ihrer bezaubernden lachenden Blicke zuwerfend und zugleich auf den Indianer deutend, rief sie schalkhaft aus, als ob sie wirklich die wenigen zwischen uns gewechselten Worte verstanden habe:

»Ich bitte um Eure Gastfreundschaft für meinen treuen Freund Blackbird, der sich auf der ganzen Reise stets so zuvorkommend und besorgt um mich gezeigt hat. Er ist etwas schweigsam, sonst aber ein sehr ehrenwerther Charakter.«

Der liebenswürdigen Sprecherin antwortete ich durch ein freundliches Kopfnicken, Schanhatta durch ein nur ihr sichtbares leises Zucken meines ihr zugekehrten Auges, und dann wendete ich mich wieder an Blackbird.

»Mein Freund Blackbird ist ein Häuptling,« bemerkte ich in zweifelndem Tone, »und dennoch entfernt er sich von seinem Stamme ohne gebührende Begleitung; warum leistet er die Dienste, die einer von seinen jungen Männern ebenso gut hätte leisten[] können? Mein Freund hat mir auf diese Frage nicht geantwortet.«

»Ist es immer die junge Antilope, welche der Kriegsadler niederstößt, oder nimmt er auch zuweilen zu Kaninchen und Springratten seine Zuflucht?« lautete die mit einem unerschütterlichen Ernst gestellte Gegenfrage.

»Mein Freund Blackbird ist weise, er versteht zu antworten,« entgegnete ich höflich, »er muß viel mit weihen Menschen verkehrt haben, ich sehe es an dem Medicintäschchen, welches er am Halse trägt; gewiß ist er im Besitz von sprechenden Papieren, die von seinen Tugenden erzählen?«

Der Indianer fuhr unwillkürlich mit der Hand nach dem Täschchen, in welchem hervorragende Krieger und Häuptlinge die ihnen von befreundeten Weißen ausgestellten Zeugnisse mit sich herumzutragen pflegen, doch sich schnell besinnend ließ er sie wieder sinken.

»Blackbird war stets ein Freund der Weißen,« erwiderte er darauf gleichmüthig, »sie haben ihm sprechende Papiere gegeben mit vielen schönen Worten; aber Blackbird bedarf deren nicht, er versteht es, mit den Bleichgesichtern umzugehen und sich durch seine Thaten auszuweisen.«

»Will mein Freund mir die sprechenden Papiere zeigen?« fragte ich, denn die Bewegung des Indianers, so geringfügig sie auch war, hatte mich belehrt, daß er gerade von den in dem Täschchen verborgenen Papieren eine zum wenigsten ihm nicht erwünschte Aufklärung befürchte, was mich wieder dazu bestimmte, mit aller Gewalt auf das Vorzeigen derselben zu dringen.

Anfangs schien der Indianer meine Frage überhören und das Gespräch auf einen andern Gegenstand lenken zu wollen, denn er wies mit seiner ausgestreckten Hand auf Schanhatta, indem er mich fragte, wie viel Pferde ich für die junge Squaw bezahlt haben wolle.

»Nimm alle Büffel, die in der Prairie weiden, Häuptling, und mache Pferde daraus,« antwortete ich, der entsetzten Mandanenwaise einen beruhigenden Blick zuwerfend, »bringe mir die Pferde und biete sie mir für die junge Squaw, so werde ich Dir antworten: es sind noch lange nicht genug. Schanhatta ist mein Eigenthum und ich will sie behalten. Aber mein Freund Blackbird ist sehr eilig,« fügte ich höhnisch hinzu, »er stellt seinerseits Fragen, eh er mir auf die meinigen geantwortet hat; zeige mein Freund mir die Papiere, und dann erst wollen wir von Weibern sprechen.«

»Ich besitze nur ein Papier, und das ist verschlossen,« versetzte Blackbird, scheinbar theilnahmlos vor sich auf die röstenden Fleischschnitte starrend, »mein weißer Freund ist nicht Medicinmann genug, um durch das Papier hindurchzulesen.«

»So zeige mein Freund es mir, oder fürchtet er, daß ich wirklich durch das Papier hindurchblicken und lesen könne: er sei ein Weib?«

Wiederum traf mich ein drohender Blick aus den schläfrigen Augen, dem aber ebenso schnell ein Lächeln des Selbstbewußtseins folgte. »Der schwärze Vogel war ein Weib, so lange sein Haar nur eine Farbe trug,« erwiderte mein schlauer Gegner, indem[] er sich stolz auflichtete; »seit aber eine weiße Locke die Stelle bezeichnet, auf welcher ein Schippewä-Tomahawk seinen Schädel traf, ist er zum Manne geworden. Wo ist ein zweiter Krieger, der eine weiße Locke auf seinem Haupte aufzuweisen hätte? Die weiße Locke ist eine große Medicin; die Stelle, auf welcher sie wächst, blutete noch, da streifte der Minetareh-Knabe den ersten Skalp von dem Haupte eines mächtigen Schippewä-Kriegers, und er war kein Knabe mehr. Er wurde ein Mann und nannte sich nach dem schwarzen Vogel mit der weißen Krone. Blackbird ist also kein Weib, er liebt es nicht, in Gegenwart von Weibern seine sprechenden Papiere in's Sonnenlicht zu halten.«

»Gut, mein großer Minetareh-Freund, die Prairie ist umfangreich genug, um Weibern auszuweichen; gehen wir dahin, wohin die Augen der Weiber nicht reichen. Ich will, das verschlossene Papier sehen, vielleicht enthält es eine schädliche Medicin, welche den schwarzen Vogel mit der weißen Krone an der Ausführung seiner Pläne hindert.«

Bei diesen Worten öffnete der Indianer seine Augen weit. Offenbar sann er darüber nach, inwiefern ich mit meiner Voraussetzung recht haben könne. Der Umstand, daß Dalefield seinen Reiseplan geändert hatte, bestärkte ihn in seinem wachgerufenen Aberglauben, doch schien ein geheimer Grund ihn noch zurückzuhalten, mir das in Frage stehende Papier vorzulegen.

»Begleite mich mein Freund,« sagte er dann endlich, »begleite er mich bis um jenen Vorsprung, und ich will ihm das sprechende Papier zeigen.«

Ohne ein Wort zu erwidern oder die verwunderten Blicke Dalefield's und seiner Familie zu beachten, begab ich mich mit dem Indianer nach der bezeichneten Stelle, und nachdem wir uns überzeugt, daß wir von keiner Seite belauscht werden konnten, warfen wir uns im Schatten einer verkrüppelten Pappelweibe auf den Rasen nieder.

Geduldig harrte ich darauf, daß Blackbird die Unterhaltung eröffnen würde. Ich bezweifelte nämlich nicht mehr, daß er eine falsche Rolle spiele und es einem so schlauen Feinde gegenüber von meiner Seite der größten Vorsicht bedürfe, um seiner Verrätherei auf den Grund zu kommen. Augenscheinlich überwog sein Aberglaube noch seinen Haß gegen die Weißen. Ich sah daher die einzige Möglichkeit, mehr aus ihm herauszulocken, eben nur darin, daß ich nicht nur seinen Aberglauben nährte und schürte, sondern auch meine Gedanken auf's Sorgfältigste verbarg und mich eben nur auf eine oberflächliche Beantwortung seiner Fragen und einzelne wohlüberlegte, aber wie zufällig hingeworfene Bewerkungen beschränkte.

»Mein weißer Bruder hat in seiner Begleitung eine schlanke, antilopenäugige junge Squaw,« hob er endlich an, und zwar weniger, um meine Aufmerksamkeit von seinen Briefschaften abzulenken, als weil Schanhatta wirtlich einen tiefen Eindruck auf ihn ausgeübt hatte und er dieselbe durch Kauf, List oder Gewalt in seinen Besitz zu bringen wünschte; »Blackbird ist ein berühmter Krieger,« fuhr er sodann, sich wieder in die Brust werfend, fort, »allein er hat auch ein Herz für Weiber. Sein Wigwam steht leer, [] er fand bis jetzt keine Squaw, die würdig gewesen wäre, sein Wigwam mit ihm zu theilen; er hat Niemand, der die Häute des von ihm erlegten Wildes gerbt, Niemand, der Peilen an seine Leggins befestigt und die schadhaften Stellen an seinen Mokassins ausbessert. Er will nicht mehr allein in seinem Wigwam wohnen. Meines weißen Bruders Squaw gefällt mir; ich besitze Pferde genug, um mehr für das antilopenäugige Mädchen zu zahlen, wie je für eine Häuptlingstochter hingegeben wurde. Mein Freund hat eine bleiche Haut, feine Begleiterin trägt die Farbe Blackbird's; Braun und Weiß paßt nicht zusammen; nehme mein Freund das bleiche Mädchen mit den Himmelsaugen, welches ich ihm zuführte, und sage er mir ernstlich, was er für die junge Squaw verlangt.«

Daß der Indianer so frei über Kate Dalefield verfügte, war mir ein neuer Beweis für seine verrätherischen Absichten. Ich unterdrückte indessen behutsam jede Kundgebung von Argwohn und benahm mich, als ob von uns Beiden ich der weniger Scharfsinnige sei.

»Mein Freund Blackbird hat recht,« entgegnete ich daher, »die bleiche Frau würde besser zu einem bleichen Jäger, als zu einem rothen passen, und umgekehrt, meine braune Begleiterin besser für einen indianischen Krieger; allein weiß mein Freund auch, ob die beiden Mädchen auf seinen Vorschlag eingehen werden?«

»Weiber haben keine Stimme im Rathe von Männern,« versetzte der Indianer mit stoischer Ruhe.

»Ganz recht, mein Freund, doch ist dies nur eine indianische Sitte. Wer bürgt mir dafür, daß das bleiche Mädchen mich nicht zurückweist?«

»Wer will meinem Bruder nehmen, was er sich einmal angeeignet hat?« lautete die Gegenfrage, »die Prairie ist groß, eine Taube braucht viele Wochen, um von dem einen Ende nach dem andern derselben hinüberzufliegen.«

»Mein Freund spricht sehr wahr, doch darf ich jetzt noch keinen Entschluß fassen; ich kenne das bleiche Mädchen nicht, ich muß es länger sehen und von ihm träumen; im Traume verkündet Manitou den Menschen oft seinen Willen.«

»Mein Bruder besitzt ein kleines Herz; Blackbird sah die antilopenäugige Equaw und sagte: sie soll die Mutter von Häuptlingen werden.«

»Mein Freund Blackbird befindet sich unter dem Einfluß einer schädlichen Medicin; in seinen Papieren müssen böse Zauberworte enthalten sein, oder er spräche nicht in so dringendem Tone von Weibern, so lange sein Kopf noch mit den Plänen eines Kriegers angefüllt ist,« warf ich jetzt ein, um eine schnellere Entscheidung herbeizuführen.

»Vermag mein Freund in meinem Kopfe zu lesen?« fragte der Indianer, indem er die eine Hand auf das an seinem Halse hängende Täschchen legte, während die andere, wie spielend, den Griff des in feinem Gurt steckenden Messers umspannte.

»Nein, Blackbird, das vermag ich nicht,« entgegnete ich lachend, »allein es erscheint mir, als ob die Gedanken meines Freundes sich verirrt haben; ich bedauere ihn, er ist das Opfer einer falschen [] Medicin, er befindet sich auf dem besten Wege ein Weib zu werden und bei dem Anblick eines blutenden Hirsches zu beben.«

Der Indianer betrachtete mich eine Weile von der Seite, dann das Täschchen öffnend und einen versiegelten Brief hervorziehend, hielt er mir die Aufschrift vor die Augen. »Versteht mein Bruder, was das Papier spricht?« fragte er sodann, mich anschauend, als ob er mich mit seinen Augen habe durchbohren wollen.

Ich war indessen auf meiner Huth, und nachdem ich ohne eine Miene zu verziehen gelesen: »Dem Herrn William Dalefield zu übergeben,« lehrte ich Blackbird mein vollständig ruhiges Gesicht wieder zu.

»Allerdings verstehe ich, was das Papier spricht,« begann ich lächelnd, aber in bedauerndem Tone; »›Hütet Euch vor dem Blackfoot-Indianer, er ist ein Weib im Kleide eines Kriegers,‹ steht hier klar und deutlich; kein Wunder, daß mein Freund Blackbird lieber in die dunkeln Augen einer jungen Squaw, als auf einen feindlich geschwungenen Tomahawk sieht.«

Bei diesen Worten ließ der Indianer den Brief, wie ein glühendes Stück Eisen fallen, doch hob er ihn sogleich wieder auf, und mich wiederum fest anschauend, fragte er ängstlich:

»Spricht mein Bruder mit einer Zunge, oder ist seine Zunge gespalten, wie die einer Schlange?«

»Ich spreche mit einer einzigen Zunge, und wenn mein Freund meinen Worten nicht glaubt, so mag er hingehen und den andern Bleichgesichtern das Papier zeigen; sie werden ihm dasselbe sagen und viel Schlimmeres noch entdecken, wenn er das Schloß des Papiers öffnet und sie in die verborgenen Winkel desselben hineinblicken laßt.«

Mit innerem Triumph bemerkte ich, daß der Indianer, der Angesichts des schrecklichsten Martertodes mit keiner Muskel gezuckt haben würde, bei der seine Ideen verwirrenden Erklärung, er sei das Opfer einer übernatürlichen Täuschung geworden, seine Fassung verlor. Da er ohne Zweifel von Fort Union oder irgend einer andern Stelle aus mit dein Briefe an Dalefield abgeschickt worden war, denselben aber, weil er Uebles im Schilde führte, nicht eingehändigt hatte, so hütete er sich wohlweislich, auf meinen Rath einzugehen und nicht nur noch Andere zu Zeugen feiner Schande zu machen, sondern auch seinen Betrug zu offenbaren. Außerdem wußte er nicht, daß ich bereits längst einen Blackfoot-Indianer in ihm errathen hatte, und diente daher die vorgeblich der Adresse entnommene Aufklärung über sein wahres Herkommen dazu, meine Mittheilungen um so glaubhafter erscheinen zu lassen.

»Will mein Bruder das Schloß des Papiers öffnen und sehen, was in demselben verborgen ist?« fragte er nach einer Weile, nachdem er seine volle Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte.

»Wenn ich meinem Bruder einen Gefallen damit erweise,« entgegnete ich äußerlich gleichgültig, aber kaum noch im Stande, meine heimliche Freude zu verbergen, »ich liebe es sonst nicht, derartige Papiere lange zu betrachten, sie enthalten zuweilen böse Medicin und worden dadurch gefährlich.«

[] »Ich werde es meinem Bruder danken, wenn er mir seine Augen und seine Zunge leiht,« erwiderte der Indianer ängstlich und dringend.

Ohne weiter etwas zu entgegnen, öffnete ich darauf den Brief, und langsam und jedes Wort meinem Gedächtniß fest einprägend, las ich ihn zu Ende, während Blackbird's glühende Augen wieder auf mir hafteten und den geheimnißvollen Inhalt des Schreibens aus meinen Zügen zu entziffern trachteten.

»Mein theurer Dalefield,« lautete der Brief; »Daß Ihr Euch wirklich zu der Reife entschlossen habt, erfüllt mich mit großer Freude, aber auch mit einiger Besorgniß. Es war indessen ein glücklicher Gedanke, mir die ungefähre Richtung und Dauer Eurer Fahrt anzugeben; ich bin in Folge dessen im Stande, Euch entgegenzureisen. Haltet Euch also stets in der Nähe des Missouri, wo möglich, auf seinen Ufern; es wird mir dann mit Hülfe einiger indianischer Läufer nicht schwer werden, zu Euch zu stoßen. Bei der sogenannten. Großen Biegung,« werde ich Euch erwarten, wenn ich vor Euch daselbst eintreffen sollte. Uebrigens ist der Ueberbringer dieses Schreibens beauftragt, Euch zu führen und die besten Lagerstellen zu bezeichnen. Er ist ein guter Jäger und hat als Krieger einen großen Ruf, wie mir von einzelnen seiner Stammesgenossen, den Blackfoot-Indianern, versichert worden ist; doch rathe ich Euch, ihm nicht blindlings zu trauen. Die Eingeborenen dieser Gegend haben im Charakter Aehnlichkeit mit gezähmten Raubthieren; hallet sie kurz und seid unerschrocken, und sie dienen Euch gewissenhaft; zeigt ihnen Furcht und laßt sie erst das Uebergewicht über Euch gewinnen, und Ihr habt das Schlimmste von ihnen zu befürchten. Die besten Grüße an Eure Söhne. Auf ein fröhliches Wiedersehen um Mitte Juni. Der Eurige, Halbert.

Nachschrift. Daß Miß Kate Euch durchaus begleiten wollte, sieht dem lieben Kinde ganz ähnlich; so gern ich sie auch wiedergesehen hätte, so beruhigt fühle ich mich wieder, sie nicht in Eurer Gesellschaft zu wissen.

So lautete der Brief, der mir mit einem Male die hinterlistigen Pläne des Indianers aufdeckte und mich belehrte, wie unvermeidlich der Untergang der ganzen Familie gewesen wäre, wenn man sich noch einige Tage länger Blackbird's Führung überlassen halte.

Aber auch jetzt noch war die Gefahr, wenn auch hinausgehoben, doch keineswegs beseitigt; denn daß Blackbird seinen Plan, sich in den Besitz von Dalefield's Eigenthum zu setzen, noch nicht ausgegeben hatte, war hinlänglich durch das Verschwinden seines Gefährten erwiesen. Das Herz aber bebte mir, als ich die möglichen Folgen bedachte, im Fall ein gütiges Geschick mich den Bedrohten nicht in den Weg geführt hätte, und ein eiskalter Schauer durchrieselte mich, indem ich mir unwillkürlich Kate's goldiges Haar von Blut besudelt und ihr gutes, lebensfrohes, lachendes Gesicht von der Hand eines gewaltsamen Todes erstarrt, vergegenwärtigte.

Doch hier war keine Zeit mehr, Betrachtungen aufzustellen; die mißtrauischen Blicke eines scharfsinnigen und grausamen Feindes waren auf mich gerichtet,[] und noch eh' ich den Brief ganz durchgelesen hatte, wußte ich bereits, was ich Blackbird als vorgeblichen Inhalt des Schreibens am zweckmäßigsten mitzutheilen habe.

»Mein tapferer Freund muß einen Feind in Fort Union haben,« bemerkte ich, einen gewissen Ausdruck von Schadenfreude in den Ton meiner Stimme legend, »ein Anderer würde wenigstens nie gewagt haben, einen großen Krieger in solcher Weise zu beschimpfen und ihn zum Träger einer Medicin zu machen, die sein Herz allmälig in das eines Weibes verwandeln muß.«

Blackbird schaute mich erstaunt an; eine seltsame Mischung von Haß, Rachedurst und abergläubischer Furcht spielte auf seinen zinnoberrothen Zügen.

»Alle Weißen sind Feinde der Rothhäute,« zischte er mir giftig zu, »aber worauf wartet mein Bruder mit dem kalten Herzen? Möge er mir sagen, was das Papier enthält, damit Blackbird wisse, gegen wen er seine Rache kehre.«

»Ich hob den Brief wieder empor und langsam, als ob ich den Inhalt in die Sioux-Sprache übersetze«, begann ich, mit Vorbedacht solche Worte wählend, von welchen ich erwarten durfte, daß sie die beabsichtigte Wirkung auf den Indianer ausüben würden:

»Dalefield, Halbert sendet Dir die Hand. Der Blackfoot, der ein Minetareh sein will, soll Dir den Weg zeigen am großen Flusse hinauf. Ich habe in Blackbird's Herz gelesen. Sein Herz ist das eines Weibes und soll das Herz eines Weibes bleiben, so lange er dies Papier in seinen Händen hält; alle seine Unternehmungen werden mißlingen, Uebergiebt er Dir dies Papier und führt er Dich, wie er versprach, sicher am Missouri hinauf, so ist der böse Zauber gebrochen und er wird wieder ein Mann und Krieger.«

»Ist das Alles?« fragte der Indianer hastig, sobald ich schwieg.

»Das ist Alles, und ich rathe meinem Freunde, das Papier seinen weißen Freunden einzuhändigen, der schädliche Zauber wird alsdann gebrochen sein.«

»Wenn das Medicinpapier nicht mehr in Blackbird's Händen, so ist der Zauber gebrochen?« fragte der Indianer mit glühenden Augen und bebenden Lippen, indem er mir den Brief fortnahm.

»Ganz gewiß,« antwortete ich, nichts Arges ahnend und den besten Erfolg hoffend.

Blackbird legte das auseinandergefaltete Papier vor sich auf die Erde, dann schüttete er etwas Pulver darauf, und nachdem er mittelst Stahl und Stein ein Stückchen Baumzunder in Brand gesetzt, traf er Anstalt, das Pulver zu entzünden.

»Was will mein Bruder beginnen?« fragte ich, des Indianers Hand zurückhaltend.

[] »Das Papier ist eine schlechte Medicin, ich will es nicht länger bei mir tragen.«

»So bringe es Deinen Weißen Gefährten, sie werden sich freuen, das Papier von dem Schwarzen Vogel in Empfang zu nehmen und ihm dadurch zugleich einen Dienst zu erweisen.«

»Kein fremdes Auge soll den Schimpf sehen, welchen man einem berühmten Krieger angethan hat; ich will den Zauber vernichten und die Bleichgesichter an den Missouri zurückführen; sie brauchen das sprechende Papier nicht, und ich bin von der schädlichen Medicin befreit.« Mit diesen Worten näherte er den brennenden Zunder dem Pulver, und im nächsten Augenblick glimmte das durch das Aufblitzen geschwärzte Papier an verschiedenen Stellen.

Obwohl ich den Inhalt des Briefes ziemlich genau im Gedächtniß behalten hatte, sah ich doch mit Bedauern das Papier allmälig in Asche zerfallen. Blackbird dagegen betrachtete mit leicht erkennbarer Schadenfreude die hellen Funken, wie sie mit komischer Eilfertigkeit auf den verkohlten Theilen des Briefes ein Weilchen umherirrten, bis sie endlich erstarben. Hätte ich noch an seinen verrätherischen Absichten gezweifelt, der Ausdruck, mit welchem er zuletzt den vor seinem verstärkten Hauch davonstäubenden schwarzen Flocken nachblickte, wäre genügend gewesen, mir volles Licht über dieselben zu verschaffen. Aus seinen Augen leuchtete der unversöhnlichste Haß und eine schwer zu befriedigende Raublust. Es leuchtete aus denselben hervor, daß er jetzt der verlockenden Aufgaben zwei vor sich sehe, statt der früheren einzigen, und ebenso wenig daran denke, Dalefield und seine kleine Expedition unangefochten Fort Union erreichen zu lassen, wie seine Pläne betreffs Schanhatta's aufzugeben. Ganz gegen mein Erwarten erwähnte er der Mandanenwaise mit keiner Silbe mehr, der untrüglichste Beweis, daß er darüber nachsann, wie dieselbe wohl am schnellsten und sichersten in seine Gewalt zu bringen sei. Ebenso hielt er es für überflüssig, während wir langsam nach dem Lager zurückkehrten, mir über den unterschlagenen Brief Stillschweigen abzuverlangen. Es befremdete mich dies kaum. Ich erschien ihm entweder als zu einfältig oder zu edelmüthig in seinem Sinne des Wortes, oder er hatte beschlossen, im Falle ich mich Dalefield's Expedition zugesellen würde, deren Loos auch zu dem, meinigen zu machen. Doch die Gründe, die ihn in seinem Benehmen leiteten, genauer kennen zu lernen, kam jetzt nicht mehr in Betracht. Es genügte das Bewußtsein, daß ich es mit einem schlauen und, nachdem er die Ursache seines kindischen Aberglaubens von sich entfernt, auch kaltblütigen und unerbittlich grausamen Feinde aufzunehmen habe, um mir die Verantwortlichkeit, welche nunmehr auf mir lastete, in ihrem ganzen Umfange vor die Seele zu führen.

[] []Viertes Capitel.
Ein Nachtmarsch.

Wenn Dalefield und die Seinigen und selbst seine Leute sich seit der Flucht des einen Führers nicht mehr ganz sicher fühlten, so ahnten sie doch nichts weniger, als daß ihnen aus fast unmittelbarer Nähe eine Gefahr drohe. Sie über unsere gemeinschaftliche Lage aufzuklären, durfte ich nicht wagen, denn einestheils wich der argwöhnische Indianer mir nicht mehr von der Seite, anderntheils wieder mußte ich vermeiden, die Gesellschaft in Schrecken zu versetzen, weil einzelne Mitglieder dadurch nicht nur unlenksamer geworden wären, sondern auch unabsichtlich ihre Mitwissenschaft Blackbird zu früh verrathen und dadurch vielleicht die Katastrophe beschleunigt hätten.

Ich entschloß mich daher, vorläufig nur die Rolle eines Reisehauptmanns zu übernehmen, dessen Anordnungen sich alle Uebrigen unbedingt zu unterwerfen hatten. Es lag alsdann in meiner Hand, nicht nur zu jeder Stunde und ohne lange Vorberathung das Zeichen zum Aufbruch zu geben, sondern auch bei einer günstigen Gelegenheit den Indianer zu entwaffnen und zu fesseln.

Der Nachmittag verstrich uns gleichsam unmerklich unter den Händen. Meine geheime Unterhaltung mit Blackbird war nicht unbemerkt geblieben, und da ich Allen ein heiteres unbesorgtes Gesicht zeigte und zwischen dem Indianer und mir scheinbar ein gutes Einvernehmen herrschte, so beruhigte man sich allmälig wieder. Man glaubte etwas vorschnell geurtheilt zu haben, und stellte sich bald wieder jene Fröhlichkeit ein, welche man als die Prairiereisenden charakterisirend bezeichnen möchte.

Außer Schanhatta war ich wohl der Einzige, dem es auffiel, daß Blackbird, so frei er sich auch in unserer Gesellschaft bewegen mochte, keinen Augenblick feine Waffen ablegte, in so fern ein mißlicher Umstand, als mir dadurch jede Gelegenheit genommen wurde, ihn unschädlich zu machen. Mit offener Gewalt [] aber dem gewandten Krieger entgegenzutreten, wäre zu gefährlich gewesen, denn schwerlich hätte er sich ergeben, ohne zuvor von seinen Waffen den nachdrücklichsten Gebrauch gemacht zu haben, und Niemand konnte wissen, wer zuerst von seiner Rache getroffen worden wäre.

So rückte der Abend heran und nur noch in geringer Höhe stand die Sonne über dem Horizont. Zwischen meinen Gästen und mir hatte sich im Laufe des Nachmittags ein freundschaftliches Verhältniß gebildet; es befremdete daher Niemand, daß ich Kate Dalefield in scherzhafter Weise fragte, ob sie mich auf einem kurzen Spaziergange am Fluß hinunter begleiten wolle.

»Mit Freuden!« rief das heitere Mädchen emporspringend aus, »denn da ich als eine gehorsame und pflichtgetreue Tochter meine einsamen Ausflüge aufgeben muß, meine Herren Brüder aber meine Person für nicht wichtig genug halten, um alle meine Wünsche zu berücksichtigen, so kann ich Euer Anerbieten nur dankbar annehmen, vorausgesetzt, Ihr versprecht mir, daß unser Spaziergang nicht über eine Stunde dauern soll.«

»Ich verspreche es,« entgegnete ich lachend, trotz des Ernstes unserer Lage mich innig ergötzend an der schalkhaften und zugleich herzlichen Weise, in welcher Kate die Begleitung ihrer plötzlich dienstfertig gewordenen Brüder zurückwies, und bald darauf schritten wir langsam auf dem Ufer des Flüßchens dahin.

Blackbird war zurückgeblieben, ebensowohl weil er in meiner Unterhaltung mit dem tändelnden Mädchen keine Gefahr für das Gelingen seines hinterlistig eingeleiteten Unternehmens sah, als weil er glaubte, ich wolle, wie ich ihm bereits erklärt hatte, das bleiche Mädchen genauer kennen lernen.

Und genauer kennen lernen wollte ich Kate in der That, denn kaum befanden wir uns aus der Hörweite der übrigen Gesellschaft, so fragte ich, ob sie, mit ihrem unerschütterlich heitern Humor sich wohl stark genug fühle, die Nachricht von einer drohenden Gefahr lachend entgegenzunehmen.

[] Ein Fug von Besorgniß glitt über das gute freundliche Antlitz, im nächsten Augenblick aber schüttelte sie muthwillig ihr schönes Haupt, daß die etwas nach vorn gesunkenen Haare ihrer Schläfen sich vor ihren Augen leicht berührten und demnächst schnell wieder von der Stirne zurückflogen.

»Beinah hätte ich mich einschüchtern lassen!« rief sie jubelnd aus, »erzählt mir immerhin die grausigsten Dinge, und verrathe ich auch nur mit einer Miene Furcht, so will ich zugeben, daß ich besser hinter den Nähtisch, als in die Prairie passe.«

»Gut, Miß Kate, gebt Euch Mühe ein sorgloses Aeußere zu bewahren und hört mir aufmerksam zu. Ich, oder vielmehr wir werden von feindlichen Augen aufmerksam beobachtet, seid daher auf Eurer Hut, vertraut mir blindlings und gehorcht meinem Willen, ohne nach dem Warum zu fragen. Nur die genaueste Befolgung meiner Winke kann uns retten; bedenkt, es steht Euer Aller Leben auf dem Spiel. Wenn Ihr meinen Worten Glauben beimeßt und mir Euer vollstes Vertrauen schenkt, so pflückt zum Beweise die erste beste Blume und gebt sie mir; Blackbird sieht uns, seine Adleraugen müssen getäuscht werden.«

Kaum hatte ich ausgesprochen, so trat Kate einige Schritte von mit fort, und nachdem sie eine rothe Blume gepflückt, reichte sie mir dieselbe mit einer graziösen Verbeugung, dar. Dabei lachte sie freundlich, doch entging mir nicht, daß ihre Wangen etwas bleicher geworden waren.

»Ihr seid von den Führern schändlich hintergangen worden,« fuhr ich fort, während ich die Blume auf meinen Hut steckte, »wie ich mich überzeugte, waren sie mit einem Briefe an Euch abgeschickt worden, um Euch am Missouri hinaufzuführen. Den Brief unterschlugen sie; sie hegten die Absicht, Euch weit abwärts zu locken und Euch in der abgelegenen und von den Truppen nie besuchten Wildniß zu berauben.«

Als ich schwieg, sprang Kate wieder davon, und indem sie mir gleich darauf abermals eine Blume darreichte, fragte sie mit holdseligem, aber etwas erzwungenem Lächeln: »Wer hat den Brief geschrieben?«

Ich hatte unterdessen mein Messer aus dem Gurt gezogen und auf meiner Brust in den Lederkittel ein kleines Loch geschnitten. »Halbert, war der Brief unterzeichnet,« antwortete ich, die Blume mit dem Stengel in die eben geschnittene Oeffnung schiebend.

Als ich wieder aufschaute, bemerkte ich, daß sich eine liebliche Röthe über Kate's Antlitz ausgebreitet hatte und ihre Blicke noch immer auf der Blume hafteten.

»Warum erröthet sie?« fragte ich in Gedanken, und gleichzeitig beschlich mich eine süße Ahnung, daß ich vielleicht nicht dazu bestimmt sei, mein Leben in der Wildniß zu vertrauern. Was ich dachte, mußte aus meinen Augen sprechen, denn als Kate's sinnende Blicke die meinigen trafen, da erröthete sie noch tiefer.

»Also Halbert?« fragte sie und ihre holde Verwirrung zu verbergen, bückte sie sich nieder, um abermals, jetzt aber ohne Wahl, einige Blumen auszuraufen.

Wie konnte sie, wie konnte ich damals unsere bedrängte Lage so gänzlich vergessen!? Jetzt ist das[] Räthsel freilich gelöst: in meinem erkalteten Innern schien ein freundliches warmes Morgenroth aufzudämmern und meine bittern Rückerinnerungen mit einem wohlthätig mildernden Licht zu umfließen, während bei ihr das Herz lauter, als alle Vorsicht und ruhige Ueberlegung sprach. –

Eine Weile schritten wir schweigend nebeneinander hin; Kate zerrupfte nachdenklich die in ihrer Hand befindlichen Blumen, und ich, erfüllt von den wunderbarsten Gefühlen und hingegeben den ernstesten Betrachtungen, folgte wieder mit den Augen ihren anmuthigen Bewegungen, bis sie endlich an dem sich schwer hin und her wiegenden goldigen Haar haften blieben.

Ein grausiges Bild durchzuckte meinen Geist und gleichzeitig erinnerte ich mich, zu welchem Zweck ich ursprünglich Kate gebeten hatte, mich zu begleiten.

»Ich werde in Eurer Gesellschaft reisen,« hob ich mit der mir zur andern Natur gewordenen Ruhe an, »meine Kenntniß des Landes wird Euch zu Statten kommen; aber heute Abend noch, ja, innerhalb einer Stunde, wenn erst nächtliche Schatten die Erde verhüllen, müssen wir aufbrechen.«

»Ihr wollt mit uns ziehen und uns beschützen?« fragte Kate wie aus einem Traum erwachend, und aus ihren Augen leuchtete mir eine unverkennbare Freude entgegen, »o, wie gut, wie freundlich ist das von Euch!«

»Ja, bis dahin werde ich Euch begleiten, wo Eure Freunde Euch erwarten.«

»Unsere Freunde?«

»Eure Freunde, ja Miß Kate; Halbert's Brief ist leider vernichtet, oder Ihr würdet Euch von der Wahrheit meiner Angabe leicht überzeugt haben. Was Eure Führer mit verrätherischen Absichten versäumten, will ich versuchen einzuholen, und wenn das Glück uns begünstigt, wie ich hoffe, dann treffen wir noch vor Euren Freunden auf der verabredeten Stelle ein.«

»Und dann wollt Ihr, dem wir so unendlich viel, ja, vielleicht Leben und Freiheit verdanken, Euch wieder von uns trennen?« fragte Kate zerstreut, »o, es kann Euer Wille nicht sein; Ihr müßt uns die Freude gönnen –«

Hier schwieg sie plötzlich und dann hell und melodisch lachend rief sie aus: »Wir vergessen ja unser Uebereinkommen, und wenn ich so fortfahre, Herr Ritter von Büchse und Messer, werde ich binnen kurzer Frist die bittersten Thränen über Eure Mittheilungen vergießen!«

»Wir befinden uns bereits zu weit vom Lager entfernt,« entgegnete ich heimlich um mich spähend, »selbst Blackbird mit seinen Adleraugen vermag bei der zunehmenden Dämmerung unsere Bewegungen nicht mehr genau zu unterscheiden. Doch wir müssen umkehren, nur kurze Zeit ist uns zum Handeln vergönnt.«

»Wie nahe die Gefahr ist, weiß ich nicht,« fuhr ich nach einer kurzen Pause fort, »um sicherer zu gehen, nehme ich aber an, daß sie uns aus unmittelbarster Nähe bedroht. Wir müssen in Folge dessen heute Abend noch aufbrechen und die ganze Nacht hindurch unterwegs sein. Das Uebelste ist nur, daß ich von dem argwöhnischen Indianer so scharf bewacht [] werde und daher mit Eurem Vater keine Rücksprache nehmen kann, ohne von Blackbird durchschaut zu werden. Ich halte es also, um des Indianers Verdacht gegen mich einzuschläfern, für geboten, daß Euer Vater, als ob er ausschließlich nur seinen eigenen Willen ausspräche, das Zeichen zum Aufbruch giebt, und bitte ich Euch, ihm meinen Räch zu überbringen und ihn zur pünktlichen Befolgung desselben zu bestimmen. Hütet Euch aber, Eure jugendlich feurigen Brüder oder Eure andern Begleiter etwas merken zu lassen. Sie würden ihre Bewegungen nicht zu bewahren und abzumessen verstehen, Blackbird den ganzen Sachverhalt errathen und, um sich die reiche Beute nicht entgehen zu lassen, wo möglich noch in dieser Nacht seine Raubgenossen auf unsere Spur Hetzen. Sprecht auch nicht in Blackbird's Gegenwart zu Eurem Vater, er versteht etwas Englisch; wartet überhaupt, bis er sich mit mir entfernt hat, und zeigt ihm ein so fröhliches', unbefangenes Antlitz, wie es nur in Euren Kräften liegt.«

»Die muthige Kate versprach mir feierlich, für die pünktliche Ausführung meiner Anordnungen Sorge zu tragen, und nachdem ich ihr sodann noch den Inhalt des an ihren Vater gerichteten Briefes mitgetheilt, der sie mehrfach zu den reizendsten Ausbrüchen mädchenhaft.« Heiterkeit veranlaßte, suchte ich sie über unsere Lage zu beruhigen, zugleich aber auch sie auf alle nur denkbaren Fälle, vorzubereiten.

Doch sie war ein seltenes Mädchen; sie bedurfte der Ermuthigungen nicht. Wie kindlicher Frohsinn und eine unwiderstehliche Neigung zum Muthwillen ihr Aeußeres mit dem holdesten Liebreiz schmückte, wie ihr Herz schon allein bei der Schilderung fremder Leiden vor Mitgefühl und Theilnahme gleichsam zerfloß, so schien ihr Muth in demselben Grade zu wachsen, in welchem sie einen klaren Einblick in die sie umgebenden Gefahren gewann.

Als wir in's Lager zurückkehrten, trafen wir Blackbird vor meinem Küchenfeuer sitzend. Kate fand daher sogleich die beste Gelegenheit, ihrem Vater meine Rathschläge zu hinterbringen. Vor meinem Feuer weilte sie nur lange genug, um einige Worte mit Schanhatta, der durch ihre Freundlichkeit so beglückten Schanhatta zu wechseln und dem Indianer schalkhaft zuzunicken, worauf sie nach dem Zelt ihres Vaters eilte, vor welchem der eingetretenen Dunkelheit halber ebenfalls ein kleines Feuer angezündet worden war.

Was Blackbird zu Schanhatta geführt hatte, wußte ich sehr wohl; indessen hatte der eifersüchtigste und argwöhnischste Beobachter nicht zu errathen vermocht, was in des Wilden Brust vorging, als er scheinbar so theilnahmlos in die Kohlengluth stierte und hin und wieder mit trägem Wesen eine dichte Tabacksdampfwolke von sich blies.

Um Kate nicht zu stören, warf ich mich an Blackbird's Seite in's Gras. Ich versuchte Wohl, eine Unterhaltung mit ihm einzuleiten, da er sich aber sehr einsilbig zeigte, so knüpfte ich ein Gespräch mit Schanhatte an, welches vorzugsweise die Fortsetzung unserer Reise stromaufwärts betraf. Ob es mir gelang, den listigen Indianer zu täuschen, weiß ich nicht, doch hatte ich die Genugthuung zu bemerken, daß er überrascht emporschaute, als ich von Dalefield eingeladen wurde, zu ihm in's Zelt zu kommen.

[] Ich ging; Blackbird folgte, wie sich vorhersehen ließ, mir auf dem Fuße nach, und als ich neben Dalefield auf dem weichen Rasen Platz nahm, lag der Blackfoot-Krieger ihm bereits gegenüber zwischen den beiden jungen Leuten. Kate befand sich noch mit ihrer Negerin in dem kleinen Zelt, in welchem sie ihrem Vater die betreffenden Mittheilungen gemacht hatte; es war mithin Alles vermieden worden, was des Indianers Mißtrauen gegen mich und den von mir ausgeübten Einfluß hätte schüren können.

»Ihr kommt geraden Wegs vom Missouri,« begann Dalefield nach einigen oberflächlichen Einleitungsformeln, »und müßt daher die Bodengestaltung zwischen hier und dort kennen; ist es wirklich so schwierig, in nächster Richtung an den Missouri zu gelangen, wie mein braver Freund und Führer versichert?«

»Der Weg ist schlecht und hindernißreich,« entgegnete ich, um dem Indianer nicht Unrecht zu geben, »doch bezweifele ich nicht, daß Ihr mit Euren guten Pferden die Schwierigkeiten leicht besiegen werdet.«

»Wollt Ihr uns nicht bis an den Missouri begleiten?« fragte Dalefield weiter.

»Mein Weg liegt stromaufwärts,« antwortete ich ausweichend.

»Nun, ich verlange nicht Euren Schaden und bin bereit, Euch in blankem Gelde so viel zu entrichten, wie Ihr für Eure Dienste fordert.«

»Das ist etwas Anderes; ich lebe von der Jagd und die Zeiten sind zu schlecht, als daß ich einen kleinen Nebenverdienst ausschlagen dürfte.«

»Gut also, hier ist meine Hand; aber eine Bedingung, die hohe Sonnengluth macht das Reisen am Tage geradezu unerträglich, Ihr müßt heute Abend noch mit mir aufbrechen.«

»Zu jeder Stunde bin ich bereit,« erwiderte ich, den scheinbar in tiefe Gedanken versunkenen Indianer verstohlen von der Seite betrachtend, »meine geringen Habseligkeiten sind bald gepackt und meine Pferde haben sich hinlänglich ausgeruht.«

»Wohlan, sagen wir also, zwischen jetzt und einer Stunde brechen wir auf.«

»Ich bin damit einverstanden, vorausgesetzt, mein Freund Blackbird hat keine wichtigen Einwendungen dagegen zu erheben. Sein Gefährte ist noch nicht eingetroffen.«

»Die letzten Worte sprach ich ganz langsam und zu Blackbird gewendet, damit er dieselben verstehen sollte.«

Die Aenderung des Reiseplans schien ihn nicht im Geringsten zu befremden oder gar zu verdrießen; er nickte zustimmend mit dem Kopfe, woran er die Bemerkung knüpfte, daß fein Gefährte, wenn er eintreffen und uns davongegangen finden sollte, unverzüglich unserer Spur nachfolgen würde.

Der Befehl zum Aufbruch wurde darauf ohne weiteren Zeitverlust gegeben, und alsbald sah man im Schein der Feuer, wie Herr und Diener sich gleich geschäftig hin und her bewegten und die Pferde sich geduldig satteln, einspannen und belasten ließen.

Schanhatta, die mit meinen Sachen fast besser vertraut war, wie ich selbst, arbeitete mit einem wahren Eifer. Sie errieth, daß auf meine Veranlassung der Reiseplan geändert worden sei, für sie der triftigste[] Grund, sich auf alle mögliche Weise zu beeilen. Es konnte daher nicht überraschen, daß unsere gesattelten und beladenen Pferde längst zum Aufbruch bereit umherstanden, während man in dem andern Lager sich noch immer mit den Zurüstungen beschäftigte.

Im Begriff, zu Dalefield hinüberzugehen und meine Hülfe anzubieten, gewahrte ich plötzlich auf der Felswand, auf welcher ich Kate zum ersten Mal erblickt hatte, das Aufblitzen schwacher Funken. Ueberzeugt, daß sich dort oben Niemand anders, als der hinterlistige Blackfoot befinden könne, um durch Feuerzeichen seine aus der Ferne zu uns herüberspähenden Raubgenossen von unserem Vorhaben in Kenntniß zu setzen, ergriff ich meine Waffen, und Schanhatta durch einen Wink über meine Absicht beruhigend, eilte ich in die schwarze Regenschlucht hinein, von welcher aus ein zugänglicher Abhang nach der Höhe hinaufführte.

Niemand bemerkte in der Dunkelheit mein Verschwinden, am allerwenigsten aber Blackbird, der sich, um mir verborgen zu bleiben, hinter einen Felsblock niedergekauert hatte. Nicht vertraut mit der Oertlichkeit, verlor ich viel Zeit dadurch, daß ich mich nach einer gangbaren Stelle hintasten mußte; sobald ich aber erst festen Fuß auf dem schweren Geröll gefaßt hatte, welches unter meiner Last nicht nachgab, kam ich schneller und mit verhältnißmäßig geringer Mühe vorwärts. Schritt vor Schritt bewegte ich mich an dem schwarzen Abhange hinauf, und da Mokassins von dem weichsten Wildleder meine Füße schützten, mithin ein Luchs nicht leiser aufzutreten vermocht hätte, so gelangte ich nach einem Zeitraum von fünf Minuten unbemerkt so dicht an Blackbird heran, daß ich seine Bewegungen in dem schwachen Schein des kleinen, nunmehr bereits hell auflodernden Feuers genau beobachten konnte. Seine Büchse hatte er neben sich auf einen Felsblock gelegt und sorgfältig schichtete er immer neue dürre Reiser über den Flammen auf, um diese nicht in der Breite an Ausdehnung gewinnen, wohl aber recht hoch emporschlagen zu lassen.

Endlich hatte ich mich ihm bis auf wenige Schritte genähert. Die Wirkung des Feuers zu vernichten, war es muthmaßlich schon zu spät, die kleine Flammenpyramide konnte auf dem hervorragenden Punkte zu weithin wahrgenommen werden; dagegen glaubte ich hier die beste Gelegenheit zu sinken, den Verräther unschädlich zu machen und ihm ein für alle Mal den Verkehr mit seinen Genossen abzuschneiden. Noch darüber sinnend, auf welche Weise ich feiner am sichersten habhaft werden könne, bemerkte ich plötzlich, daß er sich erhob, um unter dem das Gestein spärlich bedeckenden Gestrüpp noch einen neuen Vorrath von dürren Reisern zu suchen. Nur vier oder fünf Schritte weit ließ ich ihn fort, bann aber meine ganze Kraft und Gewandtheit aufbietend, stürzte ich mit zwei Sätzen nach der frei daliegenden Büchse hin.

Der Indianer hörte, daß hinter ihm etwas Ungewöhnliches vorging und stutzte; als er sich aber umwendete, um sich von der Ursache des Geräusches zu überzeugen, stand ich vor dem Feuer neben seiner Büchse, ihm die Mündung meines eigenen Gewehrs wie zufällig entgegen haltend.

[] »Mein Freund liebt wohl nicht die Einsamkeit, daß er seinen abwesenden Gefährten herbeiruft,« begann ich in entschlossenem Tone, das mich blendende Feuer mit dem Fuße auseinanderstoßend.

»Besitzt mein abwesender Gefährte die Augen eines Uhus, daß er uns in der Nacht aufzufinden vermöchte?« fragte der Indianer vollkommen ruhig zurück, doch entdeckte ich bei dem von den glimmenden und theilweise noch flackernden Reisern ausströmenden Schein, wie er durch eine kurze Bewegung der Schultern den auf feinem Rücken hängenden Köcher mit dem daran befestigten Bogen nach vorn in den Bereich seiner Hände warf.

»Mein Freund spricht mit zwei Zungen; warum lauten seine Worte hier oben anders, als dort unten?« entgegnete ich, die Hände Blackbird's scharf bewachend. »Blackbird ist ein Häuptling und der stärkste Krieger seines Stammes;« erwiderte der Indianer, »er hält es für unnöthig, alle Fragen seines bleichen Freundes zu beantworten. Uebrigens besitzt wein Freund eine sehr schnelle Zunge, er fragt mehr, als einem Manne geziemt; nur Weiber kümmern sich um Sachen, die sie nicht berühren; die junge weiße Squaw scheint meinem Freunde zu viel Weichheit in's Herz gegossen zu haben.«

»Ziehe mein Bruder die Hand von seinem Bogen zurück,« versetzte ich, indem ich den Hahn meiner Büchse spannte, denn ich glaubte eine verdächtige Bewegung bemerkt zu haben, »die Kugel in meiner Büchse ist lose, sie könnte den Blackfoot – Häuptling treffen.«

»Blackbird ist ein Häuptling unter den Blackfoot-Kriegern; wer hat ihm zu befehlen? Ein Blackfoot handelt, wie er will; er braucht Niemand zu fragen. Will mein Freund einen Schritt zurückweichen, daß ich die Hand auf meinen Karabiner lege?«

»Nein, Häuptling, die Büchse erhälst Du nicht eher zurück, als bis Deine weißen Reisegefährten den Missouri wohlbehalten erreicht haben. Du warst ein Minetareh und jetzt bist Du ein Blackfoot; Du hast eine gespaltene Zunge, Du bist ein Lügner, der verdient, mit der Peitsche eines Weißen gegeißelt zu werden.«

»Alle Weißen sind Lügner, ein Blackfoot-Häuptling braucht einem Bleichgesicht die Wahrheit nicht zu sagen,« entgegnete Blackbird höhnisch, »weiche mein Freund zurück, meine Hand ist gewohnt, den Karabiner zu tragen; will aber mein Freund mit mir um seine antilopenäugige Squaw handeln, so ist es um so viel besser für ihn; denn Blackbird gebietet in der Prairie, er kann nehmen, was ihm beliebt, ohne ein Haar aus der Mähne seines elendesten Pferdes dafür hinzugeben.«

»Und ich gebiete wieder über Dich, mein Freund,« antwortete ich, fest entschlossen, es auf das Aeußerste ankommen zu lassen, um den Verräther unschädlich zu machen; »Du erhälst die Büchse nicht, Du wirst mich ohne Büchse bis an den großen Strom begleiten, und dann magst Du hingehen, wohin Du willst.«

»Zurück!« rief ich jetzt aus, als ich bemerkte, daß der Indianer einen Schritt nach vorne that, »zurück, oder morgen spielen die Cayotas mit Deinen Gebeinen!«

[] Ich hatte indessen kaum ausgesprochen, da fiel der Indianer, wie vom Blitz getroffen, zu Boden. Im Vertrauen darauf, daß ich nur im äußersten Nothfall von meiner Büchse Gebrauch machen würde, hatte er zu dieser List seine Zuflucht genommen, um sich vor allen Dingen aus dem Bereich meines Schusses zu bringen. Ich glaubte natürlich, er wolle sich seines Gewehrs bemächtigen, und bückte mich schnell nach demselben nieder, und zu meinem Glück, denn in demselben Augenblick fühlte ich, daß die Federn eines Pfeilschaftes den Rand meines Hutes streiften, er also die Absicht gehegt hatte, mich in das Gesicht zu treffen, was aus so geringer Entfernung wahrscheinlich von tödtlichen Folgen begleitet gewesen Ware. Ein zweiter Pfeil streifte noch, ohne mich zu verletzen, meine Schulter, und dann errieth ich aus dem Geräusch der unter seinen Tritten sich lösenden Steine, daß er sich eiligst entfernte.

Wohl sah ich seine Gestalt wie einen schwarzen Schatten über den ebenso schwarzen unebenen Boden hingleiten, doch hütete ich mich, durch das Abfeuern meiner Schüsse das Uebergewicht aus den Händen zu geben. Aber auch wenn das Licht mich begünstigt hätte, würde ich gezögert haben, ihn zu tödten; denn einestheils hatte ich mich noch nie in der Lage befunden, einem Menschen das Leben rauben zu müssen, anderntheils wäre es kaum rathsam gewesen, durch einen Schuß die möglichen Falls durch den Feuerschein herbeigelockten Feinde zur Beschleunigung ihrer Eile zu veranlassen.

Hatte ich meinen Zweck, den Indianer gefesselt mit fortzuführen, verfehlt, so diente es mir doch zur nicht geringen Beruhigung, eine der wenigen Büchsen, welche sich im Besitz der Blackfoot-Indianer befanden, erbeutet zu haben, nicht zu gedenken, daß ich nunmehr sicher wußte, von woher ein Angriff auf unsere Gesellschaft zu befürchten stand.

Kaum hörte ich die Schritte des flüchtigen Indianers verhallen, so begab ich mich schleunigst in das Thal hinab. Das erbeutete Gewehr so wie der Bericht über mein Zusammentreffen mit Blackbird, dessen Feuer man allerdings von unten aus wahrgenommen, indessen für ein harmloses, dem abwesenden Gefährten geltendes Signal angesehen hatte, waren ganz dazu geeignet, die Gemüther in ängstliche Spannung zu versetzen. – Die letzten Vorbereitungen zum Aufbruch wurden daher mit verdoppelter Schnelligkeit beendigt, und ein so unbedingtes Vertrauen setzten Alle jetzt in mich und meine Kenntniß des Landes und meine Erfahrungen, daß man ohne Widerspruch zu erheben sogar den in entgegengesetzter Richtung stehenden Spuren Blackbird's gefolgt wäre, wenn ich es so angeordnet hätte.

Bald nach meiner Rückkehr von der Felswand bestieg ich mein Pferd; meine beiden Lastthiere wurden mit Dalefield's bepackten Handpferden von dem berittenen und bewaffneten Neger an langen Leinen dicht hinter der vierspännigen Reisekalesche hergeführt. Der Fuhrmann, Dalefield und sein jüngerer Sohn bildeten die Sicherheitswache des Wagens, während der andere Arbeiter und der ältere Sohn in der Entfernung von ungefähr hundert Schritten nachfolgten, und ich mit meiner Mandanenwaise in derselben Entfernung dem Zuge voraufritt.

[] In dem Wagen saß nur Kate's Dienerin; sie selbst hätte sich um keinen Preis dazu verstanden, die Freiheit ihrer Bewegungen durch Einpferchen in den viereckigen Kasten beschränken zu lassen, obwohl ihr Vater ernstlich darauf drang, daß sie ihrem Körper einige Ruhe gönnen möge. Sie behauptete, sich auf dem Rücken ihres sichern Pferdes am wohlsten zu fühlen und daß ihre Büchse sich, im Fall der Roth, als ebenso werthvoll, wie die der Männer, ausweisen würde.

Gegen solche mit größtem Nachdruck geäußerten Ansichten ließ sich nicht viel einwenden, und im Grunde befand sie sich auch im Sattel sicherer, als im Wagen. Ich machte daher dem kurzen Wortwechsel dadurch ein Ende, daß ich mein Pferd antrieb und die Gesellschaft aufforderte, sich mir ohne Verzug, aber auch ohne zu großes Geräusch anzuschließen.

Schweigend zogen wir sodann durch die nächtlich stille Landschaft dahin; nur aus weiter Ferne drang das tiefe Geheul der großen Weißen Wölfe und das Gekläffe der nicht minder raubgierigen, jedoch kleineren und furchtsameren Prairiewölfe zu uns herüber. Es klang unheimlich, aber nicht drohend; im Gegentheil, es lag eine gewisse Poesie in den Tönen, welche an den Charakter der endlosen uns umgebenden Wildniß mahnten; denn im Uebrigen hätte man sich in einem angebauten Landstrich wähnen können oder auf dem Wege nach der heimatlichen Farm, nachdem man den Tag über in der Stadt zugebracht und durch einige gute Freunde ein Stündchen über die gewöhnliche Zeit aufgehalten worden.

Gerade wie in civilisirten Regionen, brandete in den Biegungen die Strömung des Flüßchens gurgelnd Hegen das Ufer und lispelte die leise Luftströmung zwischen den an schmalen federnden Stielen haftenden Blättern der Pappelweide; gerade wie dort, zirpten die lustigen Heimchen zwischen Moos und Gestein, sang der Laubfrosch am schwanken Holunderzweig, und sendeten die unermüdlichen Locustgrillen ihre schmetternden Triller über die schwarze Wiesenfläcke hin. Wie um die ländlichen Gehöfte des Ostens, ertönte laut und durchdringend der melancholische Ruf des rastlos und mit unhörbarem Flügelschlag umherschweifenden Whippoorwills, und erschallte aus den obersten Luftschichten der helle Schrei eines lustwandelnden Regenpfeifers zu uns nieder, und ähnlich, wie in der Nähe von Ansiedlungen kläfften endlich, die Täuschung vervollständigend, die scheuen Cayotas, daß es sich anhörte wie das Bellen wachsamer Hirtenhunde.

Die Pferde schnaubten, wie aus den Landstraßen in belebteren Gegenden, und wie dort klapperten die eisernen Aren des auf unebenem Wiesenboden einherschwankenden Wagens gegen die festbeschlagenen Räder. –

Allmälig begann es Heller zu werden; der Mond näherte sich dem Horizont, und als dann endlich seine schiefe, bereits um ein Bedeutendes geschmälerte Scheibe, durch die davor lagernden Dünste fast purpurroth gefärbt, scheinbar einer fernen Waldung entstieg und uns und unsern Pferden langgereckte formlose Schatten entlockte, da bog ich aus dem Thal des Flüßchens nach der höher gelegenen Ebene hinauf,[] wo, wie ich wußte, nicht nur gangbarerer Boden unsere Reise erleichterte, sondern wir uns auch, der weiteren Fernsicht wegen, für gesicherter halten durften.

Schanhatta ritt mir zur Seile. Bis jetzt hatte sie geschwiegen und, da wir nicht weit um uns zu spähen vermochten, alle ihre geistigen Kräfte gewissermaßen in ihr Gehör übertragen. Jetzt aber, da die Augen den Dienst des Gehörs mehr, als ersetzten, lenkte sie ihr Pferd noch dichter an das meinige heran, um mir durch ihr kindlich harmloses Geplauder die Zeit zu verkürzen und die Sorgen, von welchen sie mich befangen glaubte, von meiner Stirne zu verscheuchen.

Sie wußte, daß wenn ich ihr auch nicht antwortete, ich sie doch gern sprechen hörte und mich stets über ihre naiven, fast nur von der Natur geschulten Ansichten und Ideen freute.

So geschah es auch in dieser Nacht. Unfähig, etwas Anderes auszusprechen, als was sie dachte, wählte sie zum Gegenstand ihrer Unterhaltung eben nur das, was ihren Geist gerade am meisten beschäftigt hatte und noch beschäftigte.

Wenn nun bei jedem andern Menschen die Besorgniß vor einem nahen Mißgeschick alle übrigen Gedanken weit überwogen hatte, so war dies bei ihr am allerwenigsten der Fall. Sie befand sich in meiner Nähe, wie hätte sie da noch irgend etwas zu befürchten gehabt? Wie das Kind, wenn es auf den Armen der Mutter ruht, lächelnd und unbesorgt die ringsum emporlodernden Flammen betrachtet, welche den lieben heimathlichen Herd in Asche legen, so erweckte, Angesichts der drohendsten Gefahren, meine Nähe in ihrer Brust das Gefühl einer unendlichen Sicherheit. Sie hielt mich und sich für vollkommen unverletzbar, und eben dieses blinde hingebende Vertrauen in meine Ueberlegung und Unfehlbarkeit war Ursache, daß sie, während ich selbst oft über die ernstesten Dinge brütete, nur heitere Bilder vor ihrem Geiste vorüberziehen ließ.

»Mein treuer Beschützer wird das schöne bleiche Mädchen sammt den Ihrigen in Sicherheit bringen,« begann sie mit gedämpfter Stimme, nachdem wir uns durch einen Blick rückwärts überzeugt, daß die Letzten des Zuges wohlbehalten nach der Ebene hinaufgelangt waren; »ich freue mich, denn es sind gute Menschen, welche mein Beschützer der Rache des schlechten Blackfoot entrissen hat. Und die Amerikanerin ist so schön, wie ein klarer Frühlingsmorgen; ihre Haare sind gefärbt von den Strahlen der aufgehenden Sonne, und der wolkenlose Himmel ruht in ihren Augen. Sie spricht nicht, sie singt; aber sie singt wie der muntere Spottvogel, und nicht traurig, wie der scheidende Schwan. Sie ist eine Frau, aber sie besitzt das muthige Herz eines Kriegers. Sie versteht es, fettes Wildfleisch auf Kohlen zu rösten, und dabei zittert ihre Hand nicht, wenn ihre Finger den Schaft der Büchse umklammern.«

Schanhatta hielt hier inne, als ob sie einige beipflichtende Bemerkungen von mir erwartet hätte. Ich dagegen verharrte schweigend; nur zu sehr war ich ihrer Meinung, und indem ich mir noch einmal alle Erlebnisse des Tages, ja, jedes einzelne Wort, welches Kate zu mir gesprochen, vergegenwärtigte, ergötzte ich mich zugleich herzlich an der seltsamen Weise, in [] welcher Schanhatta die angestammten und ihrer Muttersprache entnommenen indianischen Bilder in ihr gebrochenes Englisch übertrug.

Nachdem sie eine Weile vergeblich auf eine Entgegnung von mir gewartet, begann sie von Neuem:

»Mein Freund hat so klare Augen, aber sie sind Heller gefärbt, als die Schanhatta's; sieht er deshalb auch anders, als seine Tochter? Sieht er nicht, daß die fremde bleiche Frau schön ist und ein Herz besitzt, so weich, wie der Klageruf des Kukuks?«

»Ja, mein Kind, ich halte die fremde junge Dame nicht nur für sehr schön, sondern ich weiß auch, daß sie neben ihrem wunderbaren Frohsinn, ein braves, edles Gemüth besitzt,« antwortete ich mit Wärme.

»Mein Gebieter liebt also das fremde schöne Mädchen,« nahm Schanhatta darauf hastig wieder das Wort, »und ihre Augen sagen wieder, daß sie meinen Gebieter liebt. Als der Stamm der Mandanen noch seine Rindenkanoes auf den Wellen des Missouri schaukelte, da war Schanhatta erst ein Kind. Aber sie hatte Augen und sah, daß wenn ein junger Krieger eine junge Squaw liebte, er dieselbe mit Decken und Pferden reich bezahlte und ihren Eltern abkaufte, worauf er sie zu sich in sein Wigwam nahm, um sich bis zum Tode nicht wieder von ihr zu trennen. Herrscht bei den Weißen dieselbe Sitte? Mein Freund hat mit mir noch nie darüber gesprochen.«

»Es herrscht unter den Weißen dieselbe Sitte der Vereinigung für's ganze Leben, nur die Formen sind anders,« antwortete ich überrascht, denn ich errieth bereits, was Schanhatta mit dieser Frage bezweckte.

»So fordere mein Gebieter das schöne himmelsäugige Mädchen zum Weibe, sie ist gut, sie wird den Weg, auf welchem er wandelt, ebnen und von Dornen reinigen; sie ist gut, sie wird die arme Mandanenwaise nicht verstoßen.«

»Weißt Du denn, ob sie mir als Gattin folgen will?« fragte ich mit erheuchelter Sorglosigkeit, obwohl Schanhatta's Vorschlag nur eine Wiederholung der geheimen Gedanken war, welche, wenn auch ohne bestimmte Umrisse, mich seit meiner nähern Bekanntschaft mit Kate Dalefield bestürmt hatten.

»Welches Mädchen würde nicht glücklich, nicht stolz fein, von meinem Gebieter zum Weibe verlangt zu werden?«

»Du sagst das wohl, mein Kind,« antwortete ich, und ein tiefer Seufzer, welcher ebensowohl der Vergangenheit, als der Gegenwart galt, entrang sich unwillkürlich meiner Brust, »bei den weißen Frauen genügt es nicht, daß der Mann ein guter Fallensteller oder gewandter Jäger ist, um sich zu ihm hingezogen zu fühlen, doch lassen wir das jetzt; hoffentlich wird eine Zeit kommen, in welcher Du, mein liebes Kind, Einrichtungen segnest, welche Dir gestatten, vollständig frei nur Deinen eigenen Neigungen zu folgen.«

Schanhatta mußte den Sinn meiner Worte nicht ganz begriffen haben, denn sie schwieg, und eh' sie Zeit gewann, eine neue Frage an mich zu richten, wurden wir durch den Gallopp eines Pferdes gestört. Wir blickten zurück und gleich darauf sprengte Kate, ihre leichte Büchse vor sich auf dem Knie, an Schanhatta's Seite.

[] »Dort hinten ist's langweilig,« hob sie halb lachen?, halb schmollend an, als Schanhatta ihr Pferd anhielt, um Kate dadurch an meine Seite gelangen zu lassen; »mein guter Vater und meine Brüder sind so schweigsam, wie die Prairie selbst, und spähen so ängstlich um sich, als ob hinter jedem Distelbusch ein feindlicher Krieger verborgen wäre – unter uns gesagt, Herr Trapper, ich weiß sehr Wohl, daß ihre Besorgniß nur meiner geringen Persönlichkeit gilt – meine schwarze Nelly klappert vor Furcht mit den Fahnen, daß man es zehn Schritte weit hört, und zu derselben Feit reitet Ihr hier vorne ruhig Eures Weges und unterhaltet Euch so lebhaft, als befänden sich die nächsten Indianer wenigstens hundert Meilen weit von uns entfernt.«

»Warum sollten wir nicht mit einander sprechen?« entgegnete ich in den heitern Ton einstimmend, »wenn das Klappern des Wagens und das Schnauben der Pferde uns nicht verrathen, unsere Stimmen thun es gewiß nicht; übrigens wird durch den hellen Mondschein und die weite Fernsicht die Gefahr, wenn uns überhaupt Gefahr droht, erheblich verringert.«

»Geht nur hin und setzt das meinem lieben Vater auseinander und Ihr werdet sehen, daß er sich dabei nicht beruhigt; hatte ich doch meine ganze Beredsamkeit aufzubieten, um die Erlaubniß von ihm zu erhalten, mich Euch zugesellen zu dürfen. Ich hasse ein so unheimliches Schweigen, und wenn ihr mir erlauben wollt, mich an Eurer Unterhaltung zu betheiligen, so würde ich – so würde mir die Zeit jedenfalls viel angenehmer verrinnen, wie dort hinten, wo meine Person doch nur als fünftes – ach, was sage ich? als fünfundzwanzigstes Rad am Wagen betrachtet wird.«

»Und dennoch ist die Unterhaltung, welche ein einfacher Fallensteller und eine indianische Waise Euch zu bieten vermögen, nur sehr untergeordneter Art.«

»Sagt das nicht, nein sagt das nicht, ich habe bereits genug von Euch gehört, um zu wissen, daß ich mich in Euch nicht täusche. Ihr seid nicht für die Wildniß geboren und erzogen, wie ich heute am Tage schon bemerkte, und Ihr dürft auch nicht in der Wildniß verkommen. Ich achte Euer Gewerbe, schon allein der Euch fast täglich entgegentretenden Fährlichkeiten wegen, sehr hoch, ich schwärme sogar für einen Zeitweisen Aufenthalt in der Wildniß, allein ich wiederhole, Ihr sollt, Ihr dürft nicht hier verkommen, nicht unbeachtet einen trüben Lebensabend erwarten, denn Ihr seid, vermöge Eurer geistigen Ueberlegenheit über den größten Theil Eurer Mitmenschen, für einen bessern, einen höhern und edlern Wirkungskreis bestimmt.«

»Meine Vergangenheit ist nicht der Art, daß ich noch besondere Ansprüche an die Welt erheben könnte,« antwortete ich ernst, obwohl Kate's freundliches Zureden mich so sanft berührte, daß ich ihr noch lange, lange in dieser Weise hätte zuhören mögen.

»Aber gerade von Eurer Vergangenheit wünsche ich mit Euch zu sprechen,« versetzte Kate mit einer unbeschreiblichen Herzlichkeit, »nur müßt Ihr nicht glauben, daß kleinliche Neugierde dergleichen Wünsche in mir wach gerufen habe; nein, gewiß nicht. Die ernste Antwort, welche Ihr mir heute bei einem ähnlichen Ansinnen ertheiltet, erweckte zuerst meine aufrichtigste [] Theilnahme an Eurer muthmaßlich sehr trüben Vergangenheit, die Theilnahme aber verwandelte sich innerhalb weniger Stunden in eine schwesterliche Zuneigung – Ihr seht, ich kann nicht anders, ich muß mich über die steifen Formen des geselligen Verkehrs hinwegsetzen und offen sein – und da ich selbst den Ausspruch that, daß Eure Mittheilungen nur für das Ohr einer Schwester geeignet seien, so bitte und verlange ich jetzt von Euch, mich in die Rechte einer treuen, wohlmeinenden Schwester eintreten zu lassen, und Euer Herz, wie es sich für einen vertrauensvollen Bruder geziemt, vor mir zu eröffnen. Ich weiß, Ihr habt vor Eurer holden Pflegetochter kein Geheimniß, wollt Ihr also mich zur Schwester haben, so nehmt Hier meine Hand und seid überzeugt, daß ich im Grunde nicht so leichtfertig und herzlos bin, wie die Leute mich verschreien und wie es auch Euch geschienen haben mag.«

»Wie soll ich für so viel Güte danken,« antwortete ich tief ergriffen, denn dergleichen Worte waren mir im Laufe der Jahre so fremd geworden, daß sie mir wie eine freundliche Botschaft aus dem Jenseit erklangen, »ich nehme Eure so offen und vertrauensvoll angebotene Schwesterhand, eben so offen entgegen,« fuhr ich fort, die kleine Hand sanft in der meinigen drückend, »und wenn Euch das Bewußtsein: einen Mitmenschen beglückt zu haben, zur Freude gereicht, so vernehmt, daß es mich mehr als beglückt, meine Vergangenheit, die ich vor keinem sterblichen Ohr mehr glaubte berühren zu brauchen, rückhaltlos vor Euch aufzudecken.«

Darauf begann ich meiner lieblichen Gefährtin einen kurzen Abriß meiner Lebensgeschichte zu geben. Als ich mich aber erst in die Schilderung der vergangenen Tage vertieft hatte, da wurde ich allmälig ausführlicher. Meine hochfahrenden Jugendträume, meine getäuschten Hoffnungen und mein zerstörtes Lebensglück traten mir so lebhaft vor die Seele, wie seit den Erlebnissen selbst noch nie, und eine süße Freude, einen mildernden, mich warm durchströmenden Trost gewährte es mir, zu bemerken, wie Kate hin und wieder ihr Tuch heimlich nach den Augen führte, aus welchen sich die hellen Thränen hervorgestohlen hatten.

Und so erzählte ich fort und fort. Hinter uns rasselte der Wagen und schnaubten die Rosse, in der Ferne jagten die Wölfe heulend ihre Beute; die Laubfrösche sangen eifrig unter ihrem grünen Blätterdach, die muntern Heimchen zirpten lustig zwischen Moos und Gestein und in sinnig angelegten Erdhöhlen, aber lauter, als dies Alles, ertönte bald hier bald dort traurig und klagend, jedoch durchdringend, des Ziegenmelkers melancholisches Wippoorwill.

Immer weiter schilderte ich, und gespannt lauschten meinen Worten die mit allen Vorzügen einer höhern Bildung und einem edlen, warmen Herzen ausgestattete Tochter der Civilisation, wie das treue, hingebende und dankbare Indianermädchen. Ich erzählte weiter und weiter, und nur selten wurde ich durch einen Zuruf der neben und hinter dem Wagen herreitenden Männer unterbrochen, ohne daß sie indessen die ihnen zugewiesenen Posten verlassen hätten.

Weiter und ausführlicher erzählte ich; höher stieg der Mond, kürzer wurden unsere Schatten und still[] und friedlich zogen die Sternbilder auf ihren ewigen Bahnen dahin. Der bleiche Schimmer im Osten erinnerte an den Anbruch des Tages, und noch war ich nicht mit meiner Erzählung zu Ende gekommen. O, ich hätte Tage, ja Wochen lang so fortfahren mögen zu schildern und zu beschreiben. Jedes neue Zeichen von Theilnahme war mir ein neuer Genuß, und indem Kate's unwillkürliche Ausrufe, im Gegensatz zu Schanhatta's athemloser Spannung, häufiger und inniger aufeinander folgten, glaubte ich ihrem Herzen naher zu rücken, meine erwachenden Hoffnungen und Wünsche höher anspannen und mit weniger Scheu meiner Rückkehr in den Bereich der Civilisation gedenken zu dürfen.

»Mein Erstaunen vermögt Ihr Euch nicht vorzustellen, als ich, durch Eure Steinwürfe dazu veranlaßt, meine Blicke auf die Höhe richtete und daselbst, anstatt eines wandernden Jagdtrupps von weißen und rochen Männern, eine Erscheinung gewahrte, welche einen so eigentümlichen Gegensatz zu der ganzen Umgebung bildete und eher einem Holden Traume, als der Wirklichkeit entnommen zu sein schien,« schloß ich meine Erzählung, und fast in demselben Augenblick schossen hinter den fernen Hügelreihen, welche den Lauf des Missouri bezeichneten, die ersten Sonnenstrahlen hervor. Kate beachtete den Sonnenaufgang nicht, und obwohl ich schwieg, hielt sie noch immer, wie lauschend, ihre Blicke fest auf die zottige Mähne ihres geduldigen und sichern Mustangs gerichtet.

Lange und in tiefes Sinnen versunken betrachtete ich das gute, freundliche Mädchen. »Wäre es möglich, daß mir dennoch auf Erden noch einmal der Liebe Glück erblühte?« fragte ich mich in Gedanken, »wäre es möglich, daß gerade auf der Erinnerung an meine unvergeßliche Johanna ein stilles friedliches Glück begründet würde, daß mir eine Liebe lächelte, die nicht tadelte, im Gegentheil, die sicherste Bürgschaft für die Beständigkeit des eigenen Glückes darin fände, daß ich einen Theil meines Lebens, meinen jugendlichen Lebensmuth zu meiner entschlafenen Braut in's Grab legte und weiter nichts zurückbehielt, als den Ernst eines schwer und viel geprüften Mannes?«

In Milliarden von Thautropfen spiegelten sich die goldenen Sonnenstrahlen, die belebend über die weite Prairie dahinschossen; sie spiegelten sich in den Thautropfen und in zwei Thränen, die noch an Kate's langen, seidenen Wimpern zitterten. Aber auch mit den wunderbar starken blonden Haaren und der Adlerfeder auf der keck nach der einen Seite hinübergeschobenen Mühe tändelten sie, und glänzend beleuchteten sie die anmuthige, züchtige Gestalt, wie dieselbe elastisch den Bewegungen des Pferdes nachgab, und das gute, liebe Gesicht, von welchem die wehmüthige Theilnahme nicht einmal vermocht hatte, das Lächeln des Frohsinns gänzlich zu verdrängen. Und je länger ich meine holde Begleiterin betrachtete, um so herziger und freundlicher erschien sie mir.

Für meine treue Mandanenwaise dagegen hatte ich keine Blicke mehr; aber Schanhatta war zufrieden; fühlte sie doch instinctartig heraus, was meine Brust bewegte, und in ihren tiefen melancholischen Augen glühte das Entzücken, welches sie darüber empfand, mich in so traulichem Verkehr mit der schönen bleichen Fremden zu sehen.

[] »Armer Thor,« sagte ich auch wohl zu mir selbst, »Du, ein armer Pelzjäger, der außer Büchse, Messer und Art kaum noch Etwas sein Eigenthum nennt, Du wagst es. Deine Augen bis zu einer den vornehmeren Ständen entsprossenen Dame zu erheben? Armer Thor, was hattest Du ihr zu bieten? Selbst Deine Liebe wäre ja getheilt zwischen einem fernen theuren Grabhügel und derjenigen, deren irdisches Glück zu begründen Deine alleinige Aufgabe sein sollte!« –

Als sie dann aber ihre großen blauen Augen mit einem gewissen schwärmerischen Ausdruck auf mich richtete und mir abermals so treuherzig, so fern von jeder Coquetterie die Hand reichte, wie um mir für mein Vertrauen zu danken und über der Erinnerung an so viel Kummer und Schmerz den geschwisterlichen Bund zu besiegeln, da schwanden meine Bedenken wieder, und weniger unerreichbar erschien mir die Verwirklichung der holden Bilder, welche so verlockend vor meinem geistigen Auge auftauchten.

»Jetzt, nachdem Ihr mir einen Blick in Eure an traurigen Ereignissen so reiche Vergangenheit gestattet habt, bin ich Euch noch mehr Schwester geworden,« hauchte Kate mir mit leiser Stimme zu, denn sie errieth aus dem näher rückenden Hufschlag, daß ihr Vater oder einer ihrer Brüder sich dicht hinter uns befand.

»Die eine Nacht wäre glücklich überstanden!« rief Dalefield im nächsten Augenblick, mich dadurch zum Halten veranlassend; »von Indianern, so weit das Auge reicht, keine Spur, wir dürfen also hoffen, ungehindert den Missouri und demnächst Fort Union zu erreichen.«

»Je weniger sich unsere Feinde zeigen, um so mehr haben wir Grund, auf unserer Hut zu sein,« entgegnete ich laut genug, um von Allen verstanden zu werden und zugleich zur fortgesetzten Wachsamkeit zu ermahnen, »ich müßte mich sehr in ihnen täuschen, wenn die Blackfoot ein mit so viel Geduld und Ueberlegung eingeleitetes Unternehmen nach dem ersten Mißlingen schon wieder aufgeben wollten; jedenfalls aber haben wir die Aussicht, den Tag über ungestört zu bleiben.«

»Meine wilde Tochter scheint sich in Eurer Gesellschaft sicherer zu fühlen, als in der unsrigen,« fuhr Dalefield fort, indem er Kate zärtlich die Hand reichte, »ich hoffe, das Mädchen hat Euch nicht zu sehr gequält, und mit excentrischen Fragen und Einfallen belästigt.«

»Da seht Ihr's, Herr Wandel, wer unser Haustyrann ist!« rief Kate mit ihrem melodischsten Lachen aus, bevor ich noch auf Dalefield's Anrede etwas zu erwidern vermochte, »nicht genug, daß ich den Meinigen zu Liebe Gefahr laufe, meinen blonden Skalp an einen blutdürstigen indianischen Krieger abzutreten, soll ich mich nicht einmal dem Schütze des sichersten und erfahrensten Mitgliedes unserer Gesellschaft anvertrauen! Hatte ich jetzt zum Beispiel die gnädige Erlaubnis, auf eine Minute nicht gerade den Haustyrannen, sondern nur den Reisehauptmann spielen zu dürfen, so würde ich mit meiner rechten Hand, wie ich jetzt thue, auf jene Wiesenfläche an dem Flüßchen deuten und mit Stentorstimme befehlen: Dorthin lenkt Eure Schritte, dort soll nach dem scharfen nächtlichen Marsch gerastet werden!«

[] »Euer Befehl gilt,« versetzte ich mit einer Verbeugung, die einer frühern Zeit angehörte, aber auch hier an ihrem Orte war, denn ich erhielt von allen Seiten, auch von den beiden Söhnen, die uns eingeholt hatten, eine entsprechende Gegenverbeugung, und eine Viertelstunde später waren alle Hände ämsig damit beschäftigt, auf der von Kate bezeichneten Stelle das gemeinschaftliche Lager aufzuschlagen.

Fünftes Capitel.
Die Ueberfahrt.

Die Strecke bis an den Missouri, auf welcher ich auf der Hinreise der Jagd halber beinahe zwei Wochen zugebracht hatte, legten wir in drei starken Märschen zurück, ohne auf irgend welche Anzeichen von der Nähe feindlicher Indianer zu stoßen.

Meine Begleiter, sogar die meine Ansichten stets mit holdem Eifer unterstützende Kate, neigten in Folge dessen zu der Ueberzeugung hin, daß die Blackfoot-Indianer es aufgegeben hätten, uns weiter zu verfolgen, doch ließ ich mich dadurch nicht in meiner Handlungsweise bestimmen. Wir brachen auf, sobald die Nacht sich auf die Landschaft gesenkt hatte, und nicht eher hielten wir nach Sonnenaufgang auf unserm verschärften Marsch an, als bis uns entweder die Erschöpfung der Thiere dazu zwang, oder wir auch eine geeignete Lagerstelle mit weitem Ueberblick und andern, einer nachdrücklichen Vertheidigung günstigen Eigenschaften entdeckten.

Ungefähr drei oder vier Meilen befanden wir uns noch von dem Missouri entfernt, als am dritten Morgen unserer Reise die aufgehende Sonne die über den feuchten Niederungen schwebenden Nebelstreifen zu zertheilen begann. Unsere Thiere waren zwar ermüdet, doch wurde mein Vorschlag: nicht eher zu rasten, als bis wir die gelben Fluthen des Missouri vor uns sehen würden, von allen Seiten bereitwillig angenommen.

Ich lenkte daher aus dem Thal des Flüßchens, welches so lange unser Begleiter gewesen, nördlich hinaus, um den von den beiden Gewässern gebildeten Winkel abzuschneiden und einen beträchtlichen Umweg zu ersparen.

Der Weg erwies sich in dieser Richtung zwar reicher an Hindernissen, indem, je näher der großen westlichen Wasserader, um so tiefere Schluchten den Boden durchfurchten, doch waren diese Hemmnisse nicht der Art, daß sie nicht von Pferd und Wagen hätten überwunden werden können, und schnell rückten wir den hohen Baumkronen näher, welche, die Thaleinfassung des Stromes überragend, unser nächstes Ziel kennzeichneten.

Wir waren wieder einmal auf dem schlössen aber nachgiebigen Abhange einer Regenschlucht hinabgezogen, als Schanhatta und ich, die wir der übrigen Gesellschaft eine kurze Strecke voraus ritten, plötzlich wie auf ein verabredetes Zeichen halten blieben und den Boden vor uns aufmerksam betrachteten.

In der nächsten Minute hielten Dalefield, Kate und deren beide Brüder neben mir, ihre überraschten Blicke bald fragend auf mich, bald auf eine größere Anzahl von Mokassin-Spuren gerichtet, welche auf dem Boden der Schlucht im Sande deutlich und tief ausgeprägt waren.

[] »Ihr seht, meine Freunde, wie recht ich hatte, zur Vorsicht zu mahnen,« hob ich an, denn den wahren Sachverhalt zu verheimlichen, oder über die Größe der Gefahr täuschen zu wollen, wäre nicht nur nutzlos, sondern auch unverständig gewesen, »trotz unserer Eile sind uns die Räuber zuvorgekommen.«

»Sind dies wirklich die Spuren von Blackbird's Genossen?« fragte Dalefield, einen besorgten Blick auf seine Tochter werfend.

»Ohne Zweifel,« gab ich zur Antwort, »fragt nur Schanhatta; ein Kind vermag mit Leichtigkeit den Schnitt eines Blackfoot-Mokassins von dem eines Ponka- oder Pawnee-Halbstiefels zu unterscheiden. Sie hatten den Vortheil, ihren Weg in gerader Richtung wählen zu können, während wir des Wagens wegen gezwungen waren, uns größtentheils in dem gewundenen Thale des Flüßchens zu halten.«

»Der Wagen, der unselige Wagen, hätten wir ihn doch längst zurückgelassen,« bemerkte Dalefield, rathlos um sich schauend, »nehmen wir wenigstens jetzt noch die unentbehrlichsten Gegenstände aus demselben heraus und lassen wir ihn hier stehen.«

»Unter keiner Bedingung,« versetzte ich entschieden, denn es leuchtete Plötzlich in meinem Geiste auf, daß wir den Wagen möglichen Falls gerade zu unserer Rettung gebrauchen würden, »es hängt jetzt Alles davon ab, unsere Feinde im Ungewissen darüber zu erhalten, daß wir sie überhaupt entdeckten. So überlegen sie uns auch an Zahl sein mögen, so scheuen sie doch einen offenen Angriff. Sie sind zu hinterlistig, als daß sie sich den Kugeln unserer Büchsen aussetzen möchten. Fürchteten sie nicht, einige aus ihrer Mitte zu verlieren, so würden sie uns längst am hellen Tage angegriffen haben. Sie wollten unsere Wachsamkeit einschläfern, aber verlaßt Euch darauf, in der ersten Nacht, in welcher wir wieder ein regelmäßiges Lager beziehen, steht ein Ueberfall zu erwarten.«

»Und was ist zunächst Euer Rath?« fragte Dalefield, während die Blicke Aller, selbst die der sonst so sorglosen Kate mit ängstlicher Spannung an meinen Lippen hingen.

»Zunächst rathe und bitte ich darum, daß meinen Anordnungen auf das Pünktlichste Folge geleistet wird und Alle dicht zusammenbleiben, ohne indessen durch Benehmen oder ängstliches Schweigen ungewöhnliche Besorgnisse zu offenbaren. Wir müssen unsere Reise fortsetzen, als ob die verdächtigen Spuren gar nicht vorhanden waren, als ob wir überhaupt von keinem Menschen in der Welt bedroht werden könnten. Vermag ich auch nicht zu versprechen, daß es mir gelingt, einem feindlichen Zusammenstoß gänzlich vorzubeugen, so versichere ich doch heilig und fest, daß ich wohl fühle, welche Verantwortlichkeit ich übernehme und ich mein Möglichstes ausbieten werde, ohne einen Schuß mit ihnen zu wechseln, an unseren Feinden vorbeizuschlüpfen. Uebrigens befinden wir uns glücklicher Weise auf einem der mir am bekanntesten Jagdgründe.« fügte ich aufmunternd hinzu, »unsere Lage ist also nicht so bedenklich, wie man bei einem oberflächlichen Hinblick anzunehmen geneigt sein dürft?«

Als ich geendigt, lenkte Einer nach dem Andern sein Pferd zu mir heran, um mir durch einen herzlichen [] Händedruck sein vollstes Vertrauen zu erkennen zu geben, und nachdem Dalefield sodann seinen Leuten ihr Verhalten vorgeschrieben, Kate mir dagegen einen innigen dankenden Blick zugeworfen, setzte ich mich wieder an die Spitze des Zuges. Anstatt, wie ursprünglich meine Absicht gewesen, die Schlucht zu verlassen und über den nächsten Streifen Hochland fortzuziehen, folgte ich in der Schlucht selbst den Spuren der Indianer nach. Wie ich erwartete, führten dieselben schon nach einigen Hunden Schritten nach dem nördlichen Abhange hinauf. Die Grashalme, welche die daselbst Gewanderten niedergetreten hatten, waren vom Thau beschwert, dagegen hatte die Sinne des vorhergehenden Tages den aufgewühlten feuchten Sand noch nickt getrocknet. Die muthmaßlichen Räuber konnten daher nur in der ersten Hälfte der Nacht dort hinauf gegangen sein und befanden sich zur Zeit wahrscheinlich in dem Versteck, von welchem aus sie uns in der nächsten Nacht zu überfallen gedachten.

Nicht genug, daß wir an der Stelle, wo die Spuren auf unserem Wege ihr Ende erreichten, vorüberzogen, bog ich auch noch da, wo die Schlucht sich theilte, in die mehr gegen Süden führende Verlängerung ein. Ich legte dadurch nicht nur einen größeren Flächenraum zwischen miß und unsere Verfolger, sondern diese mußten auch, wenn sie uns im Thal des Missouri eintreffen sahen, die Ueberzeugung gewinnen, daß wir eben so wenig ihre Spuren gekreuzt, wie überhaupt eine Ahnung von ihrer Nähe erhalten hätten.

Eine weitere halbe Stunde brachte uns endlich in das Thal des Missouri selbst. Dasselbe lag in gleicher Höhe mit dem Boden der von allen Seiten ausmündenden Schluchten, so daß die Abhänge der hochgelegenen Prairie, wie ein zusammenhängender Hügelzug die Einfassung des Thales bildeten. Eine lichte Waldung von Pappelweiden jeglichen Alters und in jedem Stadium der Verwesung, und dazwischen verworrenes Weidengestrüpp und wild verschlungene Rankengewächse, trennten uns noch von dem Strome; da der Boden aber, in Folge der vielfachen Überschwemmungen sehr eben war, so kostete es keine große Anstrengungen, für unsere kleine Karavane Bahn zu brechen, und nach Verlauf einer andern halben Stunde stiegen wir auf dem Ufer des Missouri von unfern Pferden.

Der Fluß war hier ungewöhnlich breit, doch wurde die heftige Strömung durch eine kleine Insel in zwei Hauptarme getheilt, von welchen der eine dicht vor uns am Ufer brausend entlang schäumte, während der andere, so weit sich erkennen ließ, weniger gewaltig, ziemlich die Mitte zwischen der Insel und dem jenseitigen Ufer hielt.

Die Insel, ursprünglich aus gestrandetem Treibholz gebildet, hatte dem Sand führenden Wasser Gelegenheit geboten, hinter derselben feine schwereren Bestandtheile abzusetzen und den über den Fluthen auftauchenden trockenen Flächenraum bis auf mehrere hundert Quadratruthen zu vergrößern. Die noch lebenskräftigen verschlammten Bäume hatten sodann ihre jungen Schößlinge nach oben gesendet, andern Samen hatten die Fluthen und die Vögel herbeigetragen, und so war denn allmälig ein kleines Dickicht[] entstanden, welches auf drei Seiten bis in das seichte Nasser hineinreichte, und nur auf der der Strömung zugekehrten Seite durch eine mächtige Anhäufung von gebleichten Treibholzstämmen von dem Wasserspiegel getrennt wurde.

Auf diese winzige Insel setzte ich meine ganze Hoffnung, und um sie zu meinen Zwecken benutzen zu können, zogen wir nach unserer Ankunft auf dem Ufer noch so weit stromaufwärts, daß die Insel ungefähr dreihundert Schritte weit hinter uns lag.

Unter einer Gruppe schattiger Bäume wurden alsbald die Zelte aufgeschlagen, überhaupt alle diejenigen Einrichtungen getroffen, welche auf einen Aufenthalt von wenigstens vierundzwanzig Stunden beuteten. Denn beobachteten die Blackfeet uns wirklich von einer nahen Höhe aus, dann durfte am allerwenigsten irgend etwas verabsäumt werden, was dazu dienen konnte, sie zu täuschen. Ruhe wurde indessen Niemand gegönnt, denn kaum standen die beiden Zelte, und kaum brannten die absichtlich reich genährten Küchenfeuer, so entfernten sich Dalefield's ältester Sohn und der eine Arbeiter, um das Lager auf der dem Feinde am meisten ausgesetzten Seite, in bestimmter Entfernung von einander, zu umkreisen, während ich alle Uebrigen aufbot, mir bei der wichtigsten Arbeit des Tages hülfreiche Hand zu leisten.

Gleich nach meiner Ankunft hatte ich meinen ganzen Vorrath von getrockneten Wildhäuten an einer geeigneten Stelle in's Wasser gelegt, um sie aufzuweichen. Da dieselben noch immer eine Probe von Feuchtigkeit enthielten und wir durch Kneten und Reiben nachhalfen, so erlangten sie sehr bald wieder ihre ursprüngliche Geschmeidigkeit, welche zu mei nen Zwecken unerläßlich war.

Die Sonne hatte die Mittagslinie noch nicht überschritten, da holte ich schon einen Theil derselben wieder nach dem Ufer herauf, und nachdem ich das Maaß von dem Wagenkasten genommen, begann ich die Häute in möglichst regelmäßige und zu einander passende Formen zuzuschneiden. Schanhatta und unter deren Leitung auch Kate und die Negerin hatten unterdessen eine hinlängliche Zahl von Wildflechsen in Fäden gespalten, und als die Häute erst hergerichtet waren, erforderte es keine großen Unterweisungen, allen Anwesenden die Arbeit begreiflich zu machen und sie zum Zusammennähen der einzelnen Stücke zu verwenden. Harry Dalefield und der zweite Arbeiter bohrten mittels Pfriemen die Löcher vor, Schanhatta, Kate, ihr Vater und die Negerin fädelten die Flechsen durch die Löcher, und ich endlich zog die Fäden über die zusammengerollten Näthe straff, welche ich demnächst breitklopfte und hämmerte, um dem Wasser das Durchdringen zu erschweren. Blieb mir dann aber noch etwas Zeit, so benutzte ich dieselbe, um den schwarzen Koch bei der Ausarbeitung von zwei seichten Ruderhölzern zu unterstützen.

Anfangs bezweifelte ich, daß wir zur rechten Zeit mit unserm Fahrzeug zu Stande kommen würden. Meine Besorgniß schwand indessen, sobald ich gewahrte, wie die ungeübten Hände die kleinen Kunstgriffe immer besser lernten, und nach zwei bis drei Stunden reihten sich die Häute so schnell und sicher aneinander, wie ich unter den obwaltenden Umständen nur immer wünschen und erwarten konnte.

[] Eine Stunde mochte die Sonne noch zu scheinen haben, da waren nicht nur die einzelnen Häute zu einem einzigen festen Ganzen verbunden, sondern dieses hatte auch bereits die beabsichtigte Form erhalten, so daß man nur noch den Wagenkasten hineinzustellen und zu befestigen brauchte, um das echte Trapperboot für tauglich zur Fahrt auf dem Missouri zu erklären.

Die Zurichtung des geräumigen rechteckigen Wagenkastens erforderte nur einen geringen Aufwand an Zeit; die Verdeckstützen wurden abgeschnitten, die überflüssigen Eisenstangen, um das Gewicht zu ermäßigen, entfernt, und bald darauf hatte ich die große Freude, mich zu überzeugen, daß Kasten wie wasserdichter Ueberzug vollkommen zu einander paßten und ich auf eine Tragkraft für wenigstens vier Menschen rechnen durfte. Nachdem wir sodann die unentbehrlichsten Gegenstände, vorzugsweise Munition und Lebensmittel hart am Rande des Ufers aufgestellt und alle vorhandenen Lasso's zu einem langen zähen Tau zusammengeknüpft und mit dem einen Ende an das Fahrzeug sicher befestigt hatten, gönnten wir uns erst einige Ruhe.

Die Zeit der Rast war indessen nur sehr kurz, der Dämmerung folgte die Dunkelheit schnell nach, und sobald wir annehmen durften, daß unsere Bewegungen nicht mehr aus der Ferne überwacht werden konnten, schritten wir an's Werk.

Obgleich ich kaum zu hoffen wagte, daß die Blackfeet, im Fall sie wirklich schon in dieser Nacht einen Angriff beabsichtigten, uns Zeit genug lassen würden, auch die Pferde noch zu retten, trieben wir dieselben doch herbei, um sie im entscheidenden Augenblick zur Hand zu haben. Sie wurden von zwei bewaffneten Männern bewacht, während wir Uebrigen den Wagenkasten ins Wasser schoben und mit einem Theil der zur Ueberfahrt bestimmten Gegenstände befrachteten.

Alles ging nach Wunsch, und außerdem erwies sich das Boot von einer Tragfähigkeit, daß ich glaubte, die Fahrt anstatt mit vier Personen, mit sechs antreten zu dürfen. Ich ließ daher Kate, ihren Vater, den Neger und die Negerin sich in die vier Ecken desselben, mit der strengsten Weisung, kein Glied zu rühren, niederkauern. Schanhatta, mit dieser Art von Schifffahrt vertraut, mußte sich darauf mit ihrem Ruderholz noch im Vordertheil niederknieen, während ich selbst in gleicher Weise im Hintertheil Platz nahm, und langsam stießen wir unser Fahrzeug in die Strömung hinein.

Am meisten begünstigte uns, daß die vor unserm Lager vom Ufer abprallende Strömung die südliche Spitze der Insel streifte; es bedurfte also nur einer geringen Nachhülfe, um unser Ziel zu erreichen.

Mit einem aufrichtigen »Gott geleite Euch« von den Zurückbleibenden, schossen wir auf die dunkle Wasserfläche hinaus. Die auf dem Rande des Ufers, jedoch weiter unterhalb, der Insel fast gegenüber, in Reifform zusammengelegte Leine rollte sich unter der Aufsicht des jungen Dalefield leicht ab, und nach einer kurzen, kaum zwei Minuten währenden athemlosen Spannung, strandete unser Boot unmittelbar hinter der Insel im seichten Wasser. Gleichzeitig schwanden aber auch zu meiner unsäglichen Freude die [] Befürchtungen, welche ich betreffs der ausreichenden Länge der Leine gehegt hatte, indem ich fühlte, daß dieselbe von den zurückgebliebenen Männern leise und allmälig straff gezogen wurde.

Die nothwendigen Verabredungen waren bereits im Laufe des Nachmittags getroffen worden, das Ausschiffen nahm daher nur kurze Zeit in Anspruch. Außer Schanhatta, welche das Boot hielt, sprangen wir Alle in's Wasser, worauf wir das erleichterte Fahrzeug bis dicht an das Weidengestrüpp heranschleppten, und schneller, als das Einladen von Statten gegangen war, beförderten wir die Ladung von Hand zu Hand auf trockenen Boden. Kaum hatte ich sodann dem mir zunächst stehenden Neger das letzte Stück zugereicht, so befand ich mich auch schon wieder bei Schanhatta in dem Boot, und mit vorsichtigen geräuschlosen Stößen schoben wir dasselbe in die Strömung zurück.

Dieses Mal hatten wir schwerere Arbeit, das schwankende Fahrzeug im Gleichgewicht zu erhalten, denn da die am Ufer befindlichen Gefährten die Leine mit aller Gewalt einzogen, so wurden wir durch die fast in entgegengesetzter Richtung von einander wirkenden Kräfte der Leute und der Strömung so weit unterhalb, wie die Leine eben noch reichte, mit aller Gewalt an's Ufer geworfen.

Unfern vereinigten Kräften gelang es indessen, das unlenksame Fahrzeug bald wieder nach der Einladestelle hinaufzuschleppen, und wie das erste Mal, begannen wir damit, zuerst eine Ladung von Gütern als Ballast einzunehmen und gleichmäßig auf dem Boden des Kastens zu vertheilen. Zwei Mann mußten noch zum Schuh der Pferde zurückbleiben, wir konnten in Folge dessen um so mehr Sachen befördern, und als wir zum zweiten Male vom Ufer abstießen, nahmen wir die Ueberzeugung mit, daß außer den größeren und entbehrlicheren Gegenständen, die Indianer nichts Werthvolles mehr vorfinden würden.

Glücklich gelangten wir nach der Insel hinüber, schneller, als das erste Mal, auch nach dem Ufer zurück, und bald darauf lag unser Fahrzeug wieder an der Einladestelle.

Da Schanhatta mich überall hin begleitet hatte, so befanden sich außer uns nur noch der ältere Sohn Dalefield's und der eine Arbeiter am Ufer. Ehe wir uns indessen einschifften, gedachten wir, die Pferde bis dicht an's Ufer heranzutreiben, sie dann mit Gewalt in den Fluß hineinzudrängen, oder wenigstens so hart an den Rand des sandigen schroffen Abhanges zu bringen, daß sie, vermöge ihrer Schwere, mit dem losen Erdreich niederbrechen mußten.

Ich rechnete darauf, daß wenn die Strömung sich ihrer erst bemächtigt habe, ihnen nichts weiter übrig bleibe, als sich über Wasser zu halten und nach dem seichten Boden hinter der Insel fortreißen zu lassen. Wurden sie an der Sandbank vorbeigetrieben, so war der Verlust immer noch nicht groß, indem die Richtung der Strömung schräge nach dem jenseitigen Ufer hinüberstand, welches, weniger ausgewaschen, Stellen genug bot, auf welchen sie sich mit Leichtigkeit zu retten vermochten. Gelangten wir dann selbst nach dem linken Ufer hinüber, auf welchem wir unsere Reise fortzusetzen beabsichtigten, so fanden wir unsere Pferde, wenn auch zerstreut, daselbst bereits [] vor. Sie wären also keineswegs für uns verloren gewesen, es sei denn, die Blackfoot hätten ebenfalls Mittel gefunden, den Strom zu überschreiten, was ich indessen weniger befürchtete, als sie, im Herzen des Gebietes ihnen feindlich gesinnter Indianer, auch wieder für ihre eigene Sicherheit besorgt sein mußten. Mit solchen Absichten hatten wir also die Pferde umstellt, und so geräuschlos, wie es sich nur bewerkstelligen lieh, trieben wir die kleine Heerde vor uns her dem Wasser zu.

Schanhatta saß in dem Boot, bereit auf das erste von mir gegebene Zeichen abzustoßen; die Leinen und Stricke waren sorgfältig zusammengerollt über das eine Ende des Kastens zusammengelegt worden, wir hatten mithin alle Vorkehrungen getroffen, daß wir nicht leicht überrascht werden konnten.

Die in der letzten halben Stunde vernachlässigten Lagerfeuer brannten nur noch niedrig und warfen einen matten Schein auf die beiden Leinwandzelte, als ob deren Bewohner bereits im tiefsten Schlafe lägen. Die Pferde, in der Meinung, daß sie zur Tränte gefühlt werden sollten, schritten träge vor uns hin und nur gelegentlich schnaubte das eine oder das andere, wenn beim Haschen nach einem Grasbüschel sich einige stärkere Halme in seine Nüstern schoben.

Plötzlich aber wurden einzelne derselben unruhig und gaben unverkennbare Zeichen von Furcht von sich. Ich trat zwischen sie, um mich von der Ursache zu überzeugen, und gewahrte sofort, daß meine Pferde sich vollständig ruhig verhielten, während die Dalefield's die Schweife emporreckten und mit lautem Geräusch den Athem von sich stießen.

Wären Wölfe in der Nähe gewesen, oder ein grauer Bär, so würden alle Mitglieder der Heerde von gleichem Schrecken befallen worden sein. Nach den Anzeichen zu schließen, konnten also nur Indianer in der nächsten Nachbarschaft umherschleichen, indem meine Pferde einst im Besitz von Eingeborenen gewesen waren und deshalb keine Scheu vor denselben hegten, während Dalefield's Thiere, die aus den Ansiedlungen herstammten, sich noch nicht hinlänglich an deren Witterung und Anblick gewöhnt hatten, um nicht durch das unverhoffte Erscheinen wilder Krieger beunruhigt zu werden.

»Haltet Euch bereit, die Luft ist nicht rein,« rief ich in möglichst sorglosem Tone meinen beiden Gefährten zu; fast gleichzeitig trat aber auch der junge Dalefield mit der heimlich geflüsterten Meldung zu mir heran, daß er sechs oder sieben schattenähnliche Gestalten bemerkt habe, welche eine kurze Strecke südlich von der Heerde in gebückter Stellung nach dem Ufer hingeschlichen und dort verschwunden seien.

»Fort in's Boot!« antwortete ich ebenso leise und bringend, »aber langsam und ohne Besorgniß zu verrathen; wir find umgangen und keine zwei Minuten bleiben uns mehr zur Rettung. Haltet Alles zum augenblicklichen Abstoßen bereit und entfernt Euch auf meinen Ruf, gleichviel, ob ich bei Euch bin oder nicht!«

Der junge Manu folgte meinem Rath, worauf ich mich nach der Richtung hinwendete, in welcher ich den Arbeiter vermuthete. Ich entdeckte ihn auch bald, wie er, die Büchse auf der Schulter, sich bemühte, [] einige zurückprallende Pferde heranzutreiben. Bevor er mich aber gewahr wurde oder ich ihm eine Warnung zuzuflüstern vermochte, bemerkte ich vor dem schwachen Schein der niedergebrannten Lagerfeuer, daß ein Mann sich hinter ihm aus dem Grase erhob und den Arm nach seiner Büchse ausstreckte.

Ein Strauch trennte mich von Beiden, was mit dazu beitrug, daß Keiner von ihnen mich vor dem dunkeln Hintergrund sah, aber der Indianer hatte daß Gewehr noch nicht berührt, da befand ich mich bereits vor ihm, meine Büchse beschrieb einen Kreis durch die Luft und von dem zersplitternden Kolben schwer getroffen, stürzte er lautlos zu Boden.

»Fort in's Boot!« rief ich dem verwirrten Arbeiter zu, »fort in's Boot, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«

In demselben Augenblick erschallte aus dem nahen Dickicht ein schrilles Pfeifen, und diesem folgte unmittelbar ein so furchtbares indianisches Geheul nach, als ob das ganze Thal des Missouri von den wilden Gestalten raubgieriger eingeborener Krieger belebt gewesen wäre.

Der höllische Lärm war für den Arbeiter ein besserer Sporn zur Eile, als es meine dringendsten Befehle und Beschwörungen hätten sein können. Unaufhaltsam stürzte er davon, unbekümmert darum, ob ich ihm folge oder durch irgend einen unglücklichen Umstand zurückgehalten werde. Letzteres geschah in der That, denn theils um selbst nicht waffenlos zu sein, theils um das geladene Gewehr nicht in den Händen der Indianer zurückzulassen, bückte ich mich nach meiner Büchse, die mir durch das Einsplittern des Schaftes entfallen war, und als ich mich dann wieder aufrichtete, gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß zu beiden Seiten von mir mehrere Krieger vollen Laufs auf die Landungsstelle losstürzten.

»Fort! Schanhatta! Fort!« rief ich so laut, daß meine Stimme das Geheul der Wilden noch übertönte, und gleichzeitig drängte ich mich zwischen den erschreckt auseinanderprallenden Pferden hindurch, gerade auf das Ufer des Stromes zu. Zwei oder mehrere feindliche Krieger folgten mir mit wüthendem Gellen auf dem Fuße nach; andere sprangen hart am Rande des Ufers auf mich zu, um mir den Weg zu verlegen, noch andere, welche sich unten am Fuße des schlossen Abhanges angeklammert hielten, machten sich bereit, mich zu empfangen, allein ich wußte zu genau, was meiner, im Fall einer Gefangennahme harrte, als daß ich nicht das Aeußerste zu meiner Rettung hätte wagen sollen.

Gerade als ich das Ufer erreichte, belehrte mich ein flüchtiger Blick, daß sich das Boot als schwarze Masse vom Ufer trennte und mit rasender Schnelligkeit und begleitet von dem Wuthgeheul aus wenigstens zwanzig Kehlen in die Strömung hinein und mit dieser davonschoß.

»Schanhatta ich komme!« rief ich aus, um meinen Schützling zu beruhigen und zugleich zu verhüten, daß sie irgend einen Schritt zu meiner Rettung unternähme und dadurch sich und ihre Begleiter neuen Gefahren aussetze; »Schanhatta ich komme!« und schneller noch, als das zum tödtlichen Streich gehobene Kriegsbeil sich senkte, schneller, als die mit dem [] Messer bewaffnete Faust zum Stoß ausholte und die sichere Hand die mit dem befiederten Pfeil beschwerte Bogensehne an's Ohr brachte, sprang ich mit einem mächtigen Satz vom Ufer über die fast unmittelbar unter mir gellenden Krieger fort und in die wild schäumenden Fluthen des Missouri hinein.

Das Wasser schloß sich brausend über mir, und halb von der Strömung fortgerissen, halb in Folge meiner eigenen Anstrengungen, welche ich machte, um den feindlichen Geschossen zu entgehen, tauchte ich erst zwanzig Schritte weiter wieder empor. Das Boot war bereits eine kurze Strecke voraus, dasselbe einzuholen, lag indessen nicht in meinem Plan, um so mehr, da ich es dennoch nicht hätte besteigen können, ohne beim ersten Versuch das Gleichgewicht zu stören und den breiten Kasten umzuwerfen. Ich begnügte mich daher damit, unbekümmert um die Pfeile, welche rings um mich her in das Wasser zischten, Schanhatta durch einen Zuruf aufzumuntern. Ein ähnlicher, aber schwächerer Ruf aus dem Boot belehrte mich, daß das treue Mädchen mich verstanden habe und uns als gerettet betrachte, und immer dieselbe Entfernung von einander beibehaltend, schössen wir in der Richtung auf die Südspitze der Insel zu dahin.

Plötzlich glaubte ich zu bemerken, daß sich der wohl dreißig Schritte lange Zwischenraum zwischen dem Boot und mir verringere, und ein wahres Entsetzen ergriff mich, als dieses gleich darauf heftig zu schwanken und sich mit größer Schnelligkeit dem Ufer wieder zu nähern begann.

»Haltet die Mitte der Strömung, oder Ihr treibt an der Insel vorbei! Hinein in's Wasser, wer schwimmen kann!« rief ich aus, denn ich vermuthete, daß das Fahrzeug im Begriff sei zu sinken.

In demselben Augenblick verwickelten sich meine Füße in die Leine, welche wahrscheinlich beim schnellen Einsteigen des Arbeiters über Bord gerissen worden war, und gleichzeitig errieth ich aus dem Jubelgeheul der auf der Abfahrtsstelle Versammelten, daß man dort den sich schnell abrollenden Strick entdeckt und sogleich begriffen habe, wie derselbe sich zu unserm Nachtheil verwenden lasse.

Während man nun von dort aus das Boot in seinem rasend schnellen Lauf aushielt, mußte es natürlich dem Ufer wieder zuschwingen, ein Umstand, welchen die Indianer sehr wohl zu berechnen verstanden, wie allein schon daraus hervorging, daß sich wohl ein Dutzend Krieger in ihrem wilden Eifer in's Wasser stürzten, um schwimmend ihre Hand etwas früher an das Boot selbst zu legen.

Die Entfernung bis zur Abfahrtsstelle betrug in diesem Augenblick wohl an zweihundert Schritte, bis zum Ufer in gerader Richtung kaum halb so viel; das Boot hatte also noch nicht ganz die Hälfte der Strecke durchmessen, welche es bis zu seinem Ziel zurückzulegen hatte.

Alles dieses erkannte ich trotz der Dunkelheit, eben mit der Schnelligkeit eines Gedankens, denn kaum hatte ich meine Füße von der straff gezogenen Leine befreit, so rief ich Schanhatta in dringendstem Tone zu, dieselbe abzuschneiden.

»Mein Messer entfiel mir auf der Insel!« antwortete Schanhatta, doch vernahm ich, daß sie ihren Begleitern eins abforderte.

[] So gering der Zeitverlust auch war, so diente er doch dazu, das Fahrzeug dem Ufer um eine bedeutende Strecke näher zu bringen und die Entfernung, welche die schwimmenden Indianer von dem Boot trennte, um ein Doppeltes zu verringern. Ich hörte bereits das gepreßte Athmen unserer Verfolger, ich bemerkte eine Reihe schwarzer Punkte, über dem grauen Wasserspiegel, und jetzt erst gelang es mir, das ans meinem Rücken im Gurt steckende Messer aus der Scheide zu ziehen.

»Schanhatta, zerschneide die Leine nicht!« rief ich, denn das Boot mußte, wenn es in seiner jetzigen Lage der Strömung preisgegeben wurde, unfehlbar an der Insel vorbeitreiben, »einen Schuß auf die Schwimmer und dann stille gesessen!« rief ich sodann Schanhatta's Gefährten zu, und die Leine mit der rechten Hand nach dem Boot zu fest ergreifend, durchschnitt ich sie mit der linken Hand so weit, wie ich in der entgegengesetzten Richtung zu reichen vermochte.

Kaum fühlte das Boot sich von dem Druck befreit, so wirbelte es einmal um sich selbst herum, der Schuß krachte auf die Schwimmer, welche bis auf wenige Schrille herangekommen waren, Schanhatta's Ruderholz plätscherte in rascher Folge in's Wasser, das Boot gelangte wieder in die Gewalt der Strömung, und begleitet von dem Wuthgeheul der Schwimmer, welche durch den an sich erfolglosen Schuß zurückgescheucht worden waren, zog es schneller und schneller in schräger Richtung nach dem jenseitigen Ufer des Missouri hinüber.

Mit aller Kraft meiner Arme und das Ende der Leine zwischen den Zähnen, hatte ich während dieser Zeit gegen die Strömung gekämpft. Es war nur eine kurze Strecke, welche ich von der durch den unglücklichen Zwischenfall verlorenen Richtung zurückgewann, doch genügte sie gerade, daß ich, als ich in gleicher Höhe mit dem Boot an der Insel vorüberschwamm, unterhalb derselben in dem seichten Wasser festen Fuß fassen und das Vorbeitreiben verhindern konnte.

Auf meinen Ruf sprangen die auf der Insel befindlichen Männer mir zur Hülfe, und mit leichter Mühe schleppten wir bann das Boot sammt den wenigen Gegenständen, welche wir noch gleich nach unserm Landen vor der alten Lagerstelle hineingeworfen hatten, ganz in den Schutz des dichten Weidengebüsches hinein.

»Ist Niemand verletzt?« fragte Dalefield besorgt, sobald wir uns in Hörweite von ihm befanden, »ist Niemand verletzt?« erschallte fast gleichzeitig Kate's Stimme aus dem Gebüsch mit einem Ausdruck zu uns herüber, der mir alles Blut zum Herzen sendete. »Niemand!« rief ich schnell zurück, um das liebe Mädchen zu beruhigen.

»Gott sei Dank!« antwortete Kate innig und ans überströmendem Herzen, eh' ich fortzufahren vermochte.

»New, verletzt ist Niemand,« wiederholte ich dann noch einmal, um meinen Ausspruch zu bekräftigen; »aber Schaden an unserm Eigenthum haben wir erlitten, und, wie ich fürchte, unersetzlichen Schaden. Ueber meine Büchse rollen die Fluthen des Missouri hin« –

[] »Wofür ich Euch meine Reservebüchse anbiete, ein so gutes Gewehr, wie nur je aus den Händen eines tüchtigen Meisters hervorging,« unterbrach mich Dalefield, mir, sobald wir uns auf trockenem Boden befanden, mit allen Zeichen tiefgefühlter Dankbarkeit die Hand drückend.

»Euer Anerbieten nehme ich natürlich an, wenn auch nur auf so lange, bis ich Gelegenheit gefunden habe, mich mit einem andern Gewehr zu versehen, denn Blackbird's Karabiner ist nicht zu rechnen,« fuhr ich fort, »aber denkt Euch, die Pferde find alle In die Hände der Räuber gefallen, doch halte ich in diesem Augenblick für den herbsten Verlust, daß wir gezwungen wurden, die Leinen aufzugeben, ohne die es uns schwer werden wirb, das jenseitige Ufer, auf welches ich meine ganze Hoffnung baute, zu erreichen.«

»Sollte die Flucht denn noch in dieser Nacht fortgesetzt werden?« fragten jetzt mehrere Stimmen zugleich.

»Ursprünglich war dies meine Absicht«, antwortete ich, »wäre uns Zeit genug geblieben, die Pferde über den Strom zu schaffen, so hätten wir nichts Besseres thun können, als ihnen von hier aus augenblicklich nachzufolgen und ohne Zeitverlust uns stromaufwärts zu wenden. Die Blackfeet hätten uns dann schwerlich noch eingeholt. Jetzt aber, da wir allein auf unsere Füße angewiesen sind, vermögen wir keinen Vorsprung mehr vor ihnen zu gewinnen; außerdem fehlen uns die erforderlichen Leinen, um in schneller Reihenfolge nach dem andern Ufer überzusetzen; wir müssen uns daher, gut oder übel, darein fügen, wenigstens einen Tag auf dieser Insel auszuharren.«

»Und dann?« fragte Dalefield wieder mit einer Stimme, aus welcher die ganze Besorgniß um seine Kinder sprach.

»O, das ist mehr, als ich zu beantworten im Stande bin,« entgegnete ich lachend, um durch erheuchelte Heiterkeit die Gemüther etwas aufzurichten, »seien wir zufrieden, uns vorläufig in Sicherheit zu befinden. Ist die Sonne erst einmal über uns hingegangen, dann ist uns auch vielleicht irgend ein neues Rettungsmittel eingefallen; bis dahin aber müssen wir wachsam bleiben und zu verhüten suchen, daß die Indianer Flöße bauen und uns mit ihrem Besuch überraschen.«

»Sind wir denn wirklich sicher hier?« fragte Dalefield abermals, jetzt aber mit besserm Erfolg die Angst um die Seinigen niederkämpfend.

»So sicher, wie ein halbes Dutzend Büchsen, geführt von festen Händen und milchigen Herzen, nur immer eine kleine Landscholle, wie diese hier, zu machen vermögen,« erwiderte ich sorglos, »die Indianer hängen mit nicht weniger Liebe am Leben, als wir, und wo sie befürchten müssen, Einen der Ihrigen zu verlieren, da trauen sie sich nicht so leicht hervor; denn Keiner von ihnen möchte gerade dieser Einzige sein. Lassen wir es nicht an der so dringend gebotenen Wachsamkeit fehlen, dann mögen wir hier acht, vierzehn Tage, ja, so lange unbelästigt bleiben, wie unsere Lebensmittel ausreichen, oder bis wir durch irgend einen befreundeten Jagdtrupp entsetzt werden oder Eure Freunde von Fort Union bei uns eintreffen.«

[] »Ihr habt den Brief gelesen,« fiel Kate jetzt ein, »und besitzt eine so genaue Kenntniß von der hiesigen Gegend, welches ist denn nach Euerm Dafürhalten eigentlich der Punkt, den Halbert als die Stelle bezeichnete, wo er meinen Vater erwarten wollte?«

»Die Angaben in dem Briefe waren genau genug, und täusche ich mich nicht, so liegt der betreffende Punkt noch eine oder zwei Tagereisen weit unterhalb dieser Insel. Blackbird würde uns die beste Auskunft ertheilen können, hätte er nicht vorgezogen, Euch sowohl, als Halbert zu hintergehen.«

»Dann ist er vielleicht schon vorbeigezogen?« fragte Dalefield, der meinen Erklärungen mit der größten Spannung gefolgt war.

»Vorbeigezogen ist er Wohl kaum schon,« versetzte ich beruhigend, obgleich derartige Zweifel auch in mir bereits aufgestiegen wären, »doch kann er, nach dem von ihm angegebenen Datum zu schließen, nicht mehr weit entfernt fein. Quälen wir uns indessen nicht mit nutzlosen trügerischen Vermuthungen; überlassen wir es der Zeit, uns über das, was wir zu wünschen wissen, zu belehren, und versäumen wir lieber nichts, was auch nur im Entferntesten dazu beitragen dürfte, uns gegen unsere Feinde zu schützen.«

Es erschien mir fast seltsam, daß Leute, die in den östlichen Staaten mich als einen Ausländer, namentlich als einen Deutschen, kaum beachtet haben würden, – ich spreche nicht von Kate, sie war erhaben über Alle, – sich jetzt fast willenlos von mir leiten und lenken ließen. Die Beweise der genauen Kenntniß des wilden Westens und des Charakters der denselben belebenden Menschen, welche ich in den letzte Tagen geliefert, hatten dies vorzugsweise bewirkt, obwohl Dalefield und die Seinigen von Hause aus nicht zu denjenigen Amerikanern gehörten, die es schmerzlich empfunden hätten, daß ihnen so wesentliche Dienste von einem Fremdling geleistet wurden.

So folgte man denn ohne die geringsten Einwendungen meinen Rathschlägen. Auf einer, gegen die etwa vom Ufer aus zu uns, herübergeschickten Kugeln ziemlich geschützten Stelle auf der Mitte der Insel, richteten wir uns so häuslich ein, wie es ohne Feuer eben möglich war, und während die Hälfte der Männer sich auf den gefährdeten Seiten der Insel aufstellte, um von dort aus das Treiben der Feinde zu überwachen, versuchten alle Uebrigen sich auf einige Stunden der Ruhe hinzugeben.

Die herrliche warme Sommernacht machte übrigens das Feuer entbehrlich, und da auf meinen Rath, um die grimmigen Muskitos zu vertreiben, die rastenden Männer ihre Pfeifen rauchten, so erhielt die kleine nestförmig niedergedrückte Lichtung zwischen dichtem Schilf, Binsen und Weidengestrüpp, mit den ausgebreiteten Decken und dem ringsum aufgestapelten Reisegepäck einen überaus friedlichen Charakter.

Weniger friedlich nahm sich dagegen vor einem scharf unterscheidenden Auge das westliche Ufer der kleinen Insel aus; denn gerade da, wo wir jedesmal gelandet wären, saß halb versteckt unter einigen verkrüppelten Erlenbüschen Dalefield's jüngster Sohn, während ich selbst mir ganz vorn zwischen den mächtigen gebleichten Treibholzstämmen, von wo aus ich am besten zu den Indianern hinüberzuspähen vermochte, meinen Sitz ausgewählt hatte. Zwischen dem[] jungen Dalefield und mir aber, hart am Rande des Wassers und inmitten der ihn verbergenden, üppig wuchernden Binsen, hielt noch der eine Arbeiter Wache. Es konnte also vom Ufer aus Nichts gegen uns unternommen werden, ohne daß wir es rechtzeitig bemerkt und sogleich die entsprechenden Maßregeln zur Verteidigung getroffen hätten, wozu sich noch der glückliche Umstand gesellte, daß bald nach Mitternacht der Mond aufgehen mußte, und unsere Feinde vor Eintritt der Helligkeit nicht im Stande waren, ihre Vorbereitungen zu einem Angriff, welcher Art er auch sein mochte, zu beendigen.

Sechstes Capitel.
Getäuschte Hoffnungen.

Eine Stunde mochte wohl verronnen sein, denn die Atmosphäre begann sich schon allmälig zu erhellen und ein schwacher, bleicher Schimmer bezeichnete die Stelle, von welcher aus das letzte Mondviertel seine Wanderung über den reich und prachtvoll gestirnten Himmel antreten sollte.

Den Rücken gemächlich an einen von den Eisschollen des Winters geknickten Ast anlehnend, saß ich auf einem mächtigen Baumstamm, der einst gewiß hoch oben im Norden am Fuße der Rocky-Mountains grünte. Die Büchse lag vor mir auf einem andern Stamm des verworrenen Holzriffs, der meine Gestalt so weit verdeckte, daß eben nur mein Kopf über denselben emporragte, ich also beständig unser altes, nunmehr von den wilden Blackfeet belebtes Lager im Auge behielt.

In Letzterem war es verhältnißmäßig ruhig. Nachdem sich die erste Entrüstung, welche sich in lautem Gellen und Heulen äußerte, gelegt hatte, schien man ernstlich darüber zu berathen, auf welche Weise uns wohl am leichtesten beizukommen sei. Obgleich der Raub, welcher unsern Feinden in die Hände gefallen war, namentlich durch die Pferde einen hinlänglichen Werth erhalten hatte, um sie für die erduldeten Mühen und Beschwerden mehr als reichlich zu entschädigen, so bezweifelte ich doch nicht, daß sie, durch den Erfolg kühner gemacht, sich auch noch nach unsern Waffen, Kleidungsstücken, Decken und der für sie so schwer zu erlangenden Munition sehnten.

Mich wenigstens täuschten die auf dem jenseitigen Ufer herrschende Ruhe, das Brennen von nur zwei Feuern und das matte Licht in den beiden noch aufrecht stehenden Zelten nicht. Wußte ich doch, daß sich zu dem Gefühl der Raubgierde auch noch der Rachedurst gesellte, für den Schlag, welchen ich dem einen Krieger ertheilte, selbst wenn derselbe nicht von tödtlichen Folgen begleitet gewesen, wie auch, daß Blackbird lieber alle geraubten Pferde wieder verloren, als seine Absichten auf Schanhatta aufgegeben hätte.

Schanhatta aber lag nur wenige Schritte von mir auf einem dürftigen Lager von angeschwemmtem Moos und dürren Grashalmen. Sie fühlte sich unter meinem Schutz so sicher, daß sie vollständig ruhig und unbeängstigt schlief. Mit rührender Hingebung hatte sie meiner Aufforderung Folge geleistet, als ich ihr rieth, die ihr so nöthige Rast zu suchen, und noch keine fünf Minuten befand sie sich auf ihrem harten[] Lager, da verkündeten ihre tiefen und regelmäßigen Athemzüge, daß sie einem kräftigenden Schlummer in die Arme gesunken sei.

Der Missouri rauschte; mit heimlichem gurgelnden Getöse spülten die Wellen unter mir zwischen den hohl liegenden Stämmen und Zweigen hindurch; es klang so traulich und friedlich, wie die leisen Athemzüge meiner treuen Schanhatta. Freundlich blickten die funkelnden Sterne von ihrer unberechenbaren Höhe herab, doch viel, viel freundlicher mußten die hauchähnlichen Traumbilder sein, welche die schlafende Mandanenwaise besuchten, ja, viel freundlicher, oder sie halte nicht mehrfach ihre langsamen Athemzüge durch das mir so bekannte herzliche, fast geräuschlose Lachen unterbrochen.

Drüben auf dem Ufer, wo raubgierige Menschen über finstere Pläne brüteten, glimmten die beiden kleinen Lagerfeuer matter; es schien fast, als ob die hell leuchtenden Funken, welche zwischen den schwarzen Baummassen Hinschossen und gelegentlich ihre Richtung nach unserer Insel herüber nahmen, wirklich von ihnen ausgegangen wären und ihnen stückweise das Leben entführt hätten.

Aber die Luft war still und der stärkste Orkan hätte die Funken, ohne sie zu tödten, nicht so weit fortzutragen vermocht. Es waren also keine brennende Holztheilchen, sondern Johanniskäfer in großer Zahl, die ihren nächtlichen Reigen aufführten und, unbekümmert um die Leiden und Freuden der Menschen und um deren aufgeregte oder schlummernde Leidenschaften, ihre phosphorisch-glänzenden Linien zogen und ineinander verschlangen.

Um die Lagerfeuer herum glitten hin und wieder die unheimlichen Gestalten der grausamen Wüstenräuber; weiter aufwärts krachte und polterte es zuweilen dumpf zwischen dem gestrandeten Treibholz, als ob Zimmerleute daselbst gearbeitet und die brauchbarsten Balken und Stützen mühsam hervorgesucht hätten, und aus einer andern Richtung erschallte das jauchzende Geheul, mit welchem ein Rudel Wölfe den flüchtigen Hirsch kunstgerecht jagte.

Doch das Unheil verkündende Klappern zwischen dem Treibholz und das Geheul der Wölfe gingen für Schanhatta verloren; trotzdem aber war ihr Schlaf so leise, daß sie, als eine kurze Strecke von ihr ein dürres Reis unter einem leichten Fuß brach und knackte, sich schnell emporrichtete. Ebenso schnell sank sie indessen in ihre alte Lage zurück, sobald sie sich von der Ursache des kaum vernehmbaren Geräusches überzeugt hatte. Ich dagegen schaute noch länger ahnungsvoll hinüber, und ein Gefühl der innigsten Freude, ja, der Dankbarkeit erfüllte mich, als ich endlich Kate, die muthige, unerschrockene Kate erkannte, die, hinter dem Gebüsch hervortretend, gerade auf mich zuschritt.

»Alle schlafen, sogar meinen theuren, um seine Kinder so besorgten Vater übermannte die Erschöpfung, nur mich flieht die Ruhe,« sagte sie mit halblauter Stimme, als sie am Rande des Holzriffs dicht neben der nunmehr wieder schlummernden Mandanenwaise angekommen war; »ich fühle mich beängstigt und komme daher zu Euch, um mich an Eurer Wache zu betheiligen. Ich hoffe, Ihr seid großmüthig genug, meine Gesellschaft nicht zurückzuweisen.«

[] »Das wolltet Ihr?« rief ich erfreut aus, indem ich emporsprang, um dem lieben Mädchen zu mir herüber zu helfen, »o, wie danke ich Euch für so viel Güte; denn Ihr wißt nicht, Ihr könnt nicht wissen, welch unendlichen Trost Ihr mir dadurch gewährt.«

»Warum! sollte ich das nicht wissen können?« fragte Kate leise, ihre Worte mit einem fünften Druck ihrer Hand begleitend, »seid Ihr doch so redlich, so offen gegen mich gewesen, daß mir kaum noch eine Seite Eures Herzens verborgen blieb; sollte ich mich daher scheuen, ebenso offen gegen Euch zu sein? Ich fühle, daß meine Nähe, die Nähe Eurer Schwester Euch erfreut, Euch aufrichtet, mein Einfluß den Wunsch in Euch wachruft, noch einmal, wenn auch nur versuchsweise, den Aufenthalt in der Wildniß mit dem in dem Bereich gesitteter Nationen zu vertauschen. Ebenso fühle ich aber auch, daß Eure Nähe ermuthigend auf mich einwirkt und Eure Worte die unerklärliche Angst verscheuchen, welche sich so plötzlich meiner bemächtigt hat.«

Tief ergriffen führte ich Kate's Hand an meine Lippen, was sie auch ruhig geschehen ließ; meinen Gedanken Worte zu verleihen, vermochte ich nicht; indem ich aber dem holden Mädchen behülflich war, über das verworrene Graste hinüberzusteigen und an meiner Seite auf dem alten Baumstamm Platz zu nehmen, war mir, als ob neue Lebenswärme, neuer Jugendmuth mich durchströme.

Mehrere Minuten saßen wir sodann schweigend neben einander, ihre Hand ruhte in der meinigen, und scheinbar lauschten wir Beide mit gleicher Aufmerksamkeit dem behaglichen Sprudeln der zwischen den hohl liegenden Zweigen und Stämmen sich hindurchdrängenden Fluchen.

»Es ist wahr,« hob ich endlich an, »Eure Nähe erfreut mich nicht nur, sie beglückt mich auch, und Euer Einfluß auf meine Gemüthsstimmung äußert sich derartig, daß die Erinnerung an die Vergangenheit viel von ihrer Bitterkeit verliert, die Zukunft aber vor meinem geistigen Auge wie ein freundlich lächelnder Sommermorgen zu tagen scheint.«

»Und das dankt Ihr mir, nur mir ganz allein,« entgegnete Kate mit Wärme, »o, ich wünsche jetzt doppelt, daß es uns gelingen möge, dieser gefahrvollen Lage zu entrinnen, und gefahrvoll muß unsere Lage sein, oder Ihr würdet mehr Rücksicht auf Euch selbst nehmen und Andern gestatten, Euch abzulösen und diesen Posten, wenn auch nur auf eine Stunde, für Euch zu besetzen – aber horcht – was ist das?« fragte sie darauf, erschreckt nach dem Ufer hinüberlauscherd.

»Nichts Unerwartetes, meine liebe Freundin,« antwortete ich ermuthigend, »die Blackfeet zimmern von Treibholz ein Floß, wahrscheinlich werden sie gegen Morgen oder in der folgenden Nacht den Versuch wagen hier zu landen –«

»Dann sind wir verloren,« unterbrach mich Kate, meine Hand, wie um Schutz bei mir zu suchen, mit ihren beiden Händen ergreifend und krampfhaft pressend.

»O, Miß Kate, ich kenne ja die muthige Jägerin kaum wieder,« versetzte ich freundlich, »wie würde ich wohl so ruhig hier sitzen können, wenn ich wir sagen müßte, daß ein unabwendbares Verderben Euer theures Haupt bedrohe?«

[] Kate seufzte tief auf, »mein Muth ist nicht gesunken,« sagte sie dann, ihre Hände wieder sanft zurückziehend, »allein es schwebte mir in diesem Augenblick der Gedanke vor, daß ich – vielleicht – daß mir – die Zukunft vielleicht nur deshalb ein goldig lächelndes Bild gezeigt habe, um es demnächst wieder auf ewig mit einem schwarzen Schleier zu verhüllen. Aber ich glaube Euch, mein Vertrauen zu Euch ist unerschütterlich; Ihr vermögt unsere Lage am besten zu beurtheilen, und so lange Ihr, selbst nur noch einen Funken von Hoffnung hegt, will ich nicht zittern und zagen, das verspreche ich Euch. Und wenn die Besorgniß um – um Andere mich wieder zu überwältigen droht, dann blickt mich nur an und Ihr werdet sehen, wie aus Eurem Wesen ich neuen Muth schöpfe, mich anstrenge, Eurer Achtung würdig zu sein, die gute Meinung, welche Ihr von mir hegt, nicht zu untergraben.«

»Von einem Funken von Hoffnung sprecht Ihr?« fragte ich, während mein Herz freudig bebte, »o, meine liebe Freundin, vermöchte ich doch, Euch nur einen kleinen Theil der süßen Hoffnung abzutreten, welche in diesem Augenblick meine Brust bewegt, und Ihr würdet so ruhig, so vertrauensvoll zu unfern Feinden hinüberblicken, als ob ein Ocean zwischen ihnen und uns läge. Ihr würdet es natürlich finden, daß ich jede Gefahr vergesse und nur das berühre, was jetzt allein in meinem Herzen lebt und webt. Ihr kennt meine Geschichte, theure Miß Kate, Ihr selbst sagt, daß Euch keine Seite in meinem Herzen verborgen geblieben sei; Ihr wißt, welche innige Liebe ich einer holden Verstorbenen bewahre, wißt also auch, daß ich des Lebens Ernst in seiner tiefsten Bedeutung kennen lernte und frei bin von jenen romantischen Ideen, welche nur zu oft zu traurigen Selbsttäuschungen Veranlassung geben. Doch wenn ich den Ernst des Lebens kennen lernte, so hat sich dieser Ernst in seiner ganzen unergründlichen Tiefe auch meinen Gefühlen, meinen Gesinnungen, und gewiß nicht zum Nachtheil für diejenigen, zu welchen ich mich in Liebe hinneige, mitgetheilt. Kate, theure geliebte Kate, die Ihr mir in dieser Wildniß wie ein freundlicher, von Gott gesandter Bote erschienen seid,« fuhr ich inniger und dringender fort, als ich fühlte, daß sie heftig zitterte und eine vergebliche Anstrengung machte, mich zu unterbrechen; »wenn wir dahin zurückgekehrt sein werden, wo die Sorge um Leben und Sicherheit weniger herrisch unfern Geist beschäftigt, wollt Ihr mir dann gestatten, unter Euren Augen zu wirken und zu schaffen, wollt Ihr mir dann die süße Hoffnung gönnen, dereinst von Eurer Hand –«

»Haltet ein, o haltet ein!« unterbrach mich Kate jetzt schluchzend, und wieder umklammerte sie, wie beschwörend, meine Hand, »was habe ich gethan, was habe ich verbrochen, daß Ihr gerade diese Worte an mich richtet? O, ich bitte Euch, ich siehe zu Euch, stört nicht das Verhältniß, in welches ich zu Euch getreten bin; laßt mich Eure treue, liebe Schwester sein, da ich doch mehr für Euch nimmer sein kann; gönnt mir das Glück, als Schwester Euch in das Leben, in einen Eurer würdigeren Wirkungskreis zurückführen, mich an den reichen Erfolgen Eurer redlichen Bestrebungen mitfreuen zu dürfen, und in doppeltem Maaße will ich die Stunde segnen, in [] welcher ein freundliches Geschick uns zusammenführte und mir und all' den Meinigen eine so unendliche Verpflichtung gegen Euch auferlegte!«

Eiskalt hatte es sich bei Kate's ersten Worten um meine Brust gelegt; wie von einer furchtbaren Last niedergedrückt und zerschmettert starrte ich vor mich zwischen die im Schatten liegenden Baumstümpfe hin. Das Wasser gurgelte so lustig, die Sterne und die Johanniskäfer funkelten so hell, in meinem Herzen aber war es finstere Nacht, und das eintönige, wie hohnlachen klingende Murmeln der Wellen erweckte in meinem Innern einen traurigen, traurigen Widerhall.

»O sprecht ein einziges Wort,« fuhr das heftig erregte Mädchen an meiner Seite in herzzerreißendem Klageton fort, »stört nicht den Frieden meiner Seele durch Euer beharrliches Schweigen, glaubt mir, eine so harte Strafe verdiene ich nicht. Gewinnt Eure ruhige Ueberlegung wieder, welche ich so vielfach an Euch bewundert habe, und Ihr werdet. Ihr müßt einsehen, daß ich Euch ebenso wenig einen gerechtfertigten Grund zu der so plötzlichen Aenderung Eurer Gemüthsstimmung gab, wie Eure freundliche Hinneigung zu mir wirklich einen so ernsten Charakter angenommen haben kann. Ich entdeckte unter Eurer rauhen Hülle ein schwer geprüftes, jedoch keineswegs für die Welt abgestorbenes Herz, eine edle, menschenfreundliche Denkungsweise und ich bot Euch meine Hand als Schwester. Ihr nahmt meine Hand, aber deutetet mein Vertrauen zu Euch, ich sage mehr, meine aufrichtige Zuneigung falsch, und zwar falsch, weil Ihr den Kreisen, in welche Ihr ursprünglich hinein gehört, durch langjährige Abwesenheit entfremdet worden seid und in mir, die ich so unverhofft Euren Lebenspfad kreuzte, etwas ganz Anderes, Höheres erblicktet, als ich in der That bin. Lernt mich genauer kennen, sucht Gelegenheit, mit Anderen meines Geschlechtes in Berührung zu kommen, und Ihr werdet Euch überzeugen, das ich Euch Das nicht bin, nicht sein kann, was Ihr vielleicht geglaubt oder gar gehofft habt. Eure warme Theilnahme für mich habt Ihr mißverstanden, und tief bekümmert es mich, meine Offenheit, meine schwesterliche Hinneigung zu Euch in solchem Grade verkannt zu sehen.«

»Verzeiht mir,« sagte ich endlich, nachdem ich mich von dem ersten Schlage wieder etwas erholt hatte, und ein harter Schlag war es für mich, den kurzen Traum des reiferen Alters, in dessen Verwirklichung ich mich während der letzten Tage so unberechtigt hinein gedacht hatte, vor mir zerstieben zu sehen, wie einst meine holden Jugendträume, »verzeiht meine Vermessenheit, welche darin ihre Entschuldigung finden mag, daß ich wirklich glaubte, das irdische Glück könne mir noch einmal lächeln. Ueber Euch selbst aber und Euer Verhalten beruhigt Euch; Ihr habt mir zu den Aeußerungen meiner Gefühle keine andere Aufmunterung gegeben, als diejenige, welche Ihr einer gütigen Vorsehung, die Euch so reich bevorzugte, verdanket. Deutete ich Eure Blicke, Eure Worte, Eure freundliche Theilnahme für einen vereinsamten Wüstenjäger irrig, so lag der Fehler nur auf meiner Seite, indem ich Euch mit zu inniger, zu treuer Anhänglichkeit zugethan war. Meine Gefühle für Euch werden zwar nie eine Aenderung erleiden können, aber ich sehe es ein, es war mehr, als [] Vermessenheit von mir, meine Augen zu Euch zu erheben, an ein Ueberschreiten der weiten Kluft zu denken, welche uns von einander trennt. Darum noch einmal, Miß Kate, verzeiht mir, und wenn Ihr erst wieder fern von mir seid, dann versucht es, meiner mit freundlicher Nachsicht zu gedenken, wie mir die Erinnerung an Euch selbst in meinen späten Tagen, wenn mir solche beschieden sein sollten, die Wildniß weniger öde, weniger abschreckend machen wird.«

»Sprecht nicht so, o sprecht nicht in dieser Weise,« entgegnete Kate haftig, denn die Bitterkeit, welche ich unwillkürlich, gleichsam zürnend dem mich verfolgenden Geschick, in den Ton meiner Stimme gelegt hatte, war ihr nicht entgangen, »ich kenne ja keine andere Kluft, welche mich von dem einsamen Wüstenjäger trennen könnte, als eben den Mangel der Liebe, so wie sie das Weib zum Gatten ihrer Wahl hegen soll. Ihr habt in meinem Herzen gelesen, daß in demselben eine solche Liebe wohnt, ich dagegen versündigte mich an Euch, indem ich nicht von Anfang an Euer Vertrauen mit derselben hingebenden Offenheit lohnte. Aber Ihr seid großmüthig, Ihr werdet mich deshalb nicht tadeln, und wenn ich erst ein volles Bekenntniß vor Euch abgelegt, mein heiligstes Geheimniß vor Euch aufgedeckt habe, mir auch verzeihen. Und ich will es, ja, ich will es, hier ist meine Hand darauf; Ihr habt die vollsten Ansprüche auf mein schwesterliches Vertrauen, und mit schwesterlichem Vertrauen will ich auch zu Euch sprechen.«

»Nicht doch, nicht doch, Miß Kate,« versetzte ich, die dargebotene Hand leise drückend, »ich habe kein Recht, mich in Eure Geheimnisse einzudrängen. Ich kenne Eure Entscheidung; was mir zu tragen bestimmt ist, das werde ich ertragen, und Unrecht wäre es von Euch, wolltet Ihr Euch über mein Loos auch nur eine einzige trübe Stunde bereiten.«

»Aber ich werde deren viele, sehr viele haben, wenn Ihr mich nicht anhören wollt. Ihr müßt, um der Ruhe meiner Seele willen, ja, Eurer selbst wegen, über das aufgeklärt weiden, was Euch an mir räthselhaft erschien; oder glaubt Ihr, daß nur die Jagdluft allein und die Sucht nach Abenteuern mich so ganz gegen den Wunsch meines Vaters in die Wildniß hinausgetrieben habe?«

Ein Schalten glitt vor uns hin und störte Kate in der Fortsetzung ihrer Rede, und gleich darauf ertönte Schanhatta's tiefe melodische Stimme.

»Schöne bleiche Frau,« begann sie in ihrem gebrochenen aber leicht verständlichen Englisch, »Deine Worte sind mit den seinigen in meinen Traum gedrungen; ich bin kein Kind mehr, ich weiß, um was er Dich bat. Werde seine Gattin, und Du bist glücklich; sein Herz ist so klar, wie der Thau im Kelch einer Blüthe; werde seine Gattin, er ist stark und wird Dich beschützen; werde seine Gattin und Du wirst von allen weißen Mädchen um Dein Glück beneidet werden; werde seine Gattin und ich will Dir als treue Dienerin folgen, wohin Du auch immer gehen magst.«

Obwohl Schanhatta diese Worte mit einem ergreifend rührenden Ausdruck sprach und ich sehr wohl wußte, daß die innigste Dankbarkeit sie zu solchem Schritt veranlaßt hatte, so war es mir doch peinlich, sie in dieser Weise für mich bitten zu hören.

[] »Hat meine Tochter gelauscht?« fragte ich sanft verweisend, denn harte Worte hatte ich um die Welt nickt an sie zu richten vermocht, »woher weiß sie sonst meine Gedanken?«

Schanhatta bebte erschreckt zusammen, als ob ihr plötzlich daß Bewußtsein erwacht wäre, einen Fehler begangen zu haben. Kate dagegen richtete sich empor, und ihren Arm um den Hals der Mandanenwaise legend, küßte sie dieselbe auf die Stirn.

»Liebes, treues Kind,« sagte sie offenbar tief bewegt, »ich darf Deines Wohlthäters Gattin nicht werden. Du sollst auch die Ursache erfahren, die es mir verbietet. Augenblicklich kann ich Dich nur dadurch beruhigen, daß ich Dir versichere, er ist zu gut, zu edeldenkend für ein gewöhnliches Mädchen.«

»Wenn seine Wahl aber auf diese schöne bleiche Frau gefallen ist, wenn er Dich nicht für zu gering hält?« fragte Schanhatta, die durch Kate's schwesterliches Entgegenkommen wieder ermuthigt worden war.

»Holdes Kind, auch dann kann ich sein Weib nicht werden,« antwortete Kate flüsternd.

»Meine bleiche Schwester ist eine schöne Frau,« begann Schanhatta jetzt mit erhobener Stimme, indem sie Kate's Arm von ihrer Schulter entfernte und so weit zurücktrat, wie es der vor uns liegende Baumstamm gestattete, »weiß meine Schwester nicht, was Dankbarkeit ist? Ich bin eine arme indianische Waise, aber ich weiß es. Du bist eine schöne weiße Frau, hast Du vergessen, daß er Dich aus den Händen des listigen Blackbird rettete? Hast Du vergessen, daß er Dich aus der Gewalt derjenigen retten wird, die dort drüben auf Dich und die Deinigen lauern? O, schöne, weiße Frau, Du bist undankbar –«

»Schanhatta,« sagte ich jetzt ernst und verweisend, in demselben Augenblick drang aber auch wieder der schwere dumpfe Fall eines Treibholzstammes zu uns herüber, in Folge dessen wir alle drei stromaufwärts schauten.

Die fortgefetzten Arbeiten der Indianer waren es indessen weniger, was meine Aufmerksamkeit in der angedeuteten Richtung gefesselt hielt, als die hoch aufschlagenden Flammen eines Feuers, welches in der Entfernung von zwei bis drei englischen Meilen hart am Rande des linken Stromufers angezündet worden war.

»Mein Gott, auch auf jener Seite befinden sich bereits Indianer,« hauchte Kate, wie zu sich selbst sprechend vor sich hin, »aus allen Richtungen stürmen sie auf uns ein, nur ein Wunder kann uns noch retten.«

»Es sind keine Indianer, die jenes Feuer schüren,« erwiderte ich mit kalter Ruhe, denn es bedurfte nur der Hinweisung auf eine Gefahr, um mir meine volle Ueberlegung, die mich auf kurze Zeit verlassen hatte, wiederzugeben; »nein, Indianer sind zu argwöhnisch und vorsichtig, um sich durch ein derartiges, mit trockenem Holz genährtes Feuer so weithin sichtbar bemerklich zu machen. Die Thoren, sie ahnen nicht, daß sie gerade dadurch eine Gefahr für sich heraufbeschwören.«

Lautes Plätschern im Wasser und das Murmeln zahlreicher Stimmen in unserm verlassenen Lager, lenkten meine Aufmerksamkeit wieder unfern Feinden zu. Trotz des nahen Aufgangs des Mondes war es noch zu dunkel, um außer den kleinen Feuern auf dem [] jenseitigen Ufer irgend etwas zu unterscheiden. Da indessen jedes dort stattfindende Geräusch über den glatten Wasserspiegel hin mir fast ungeschwächt zugetragen wurde, so errieth ich leicht, daß sich eine große Zahl von Indianern vereinigt hatte, einen schweren und unbeholfenen Gegenstand, also ein von Treibholz hergestelltes Floh, langsam und dicht am Ufer hin, stromabwärts gleiten zu lassen.

Befürchtend, daß ein Angriff auf unsere Insel vorbereitet werde, dachte ich bereits daran, alle Gefährten zu den Waffen zu rufen, als ich noch rechtzeitig bemerkte, daß das Floß, oder vielmehr das Gerausch, welches dessen Lage bezeichnete, längst an der Stelle vorbei war, von wo aus die Strömung, um zu uns Herüberzugelangen, hätte zu Hülfe genommen werden müssen.

»Was mögen sie bezwecken?« fragte ich mich, als das Geräusch sich immer weiter am Ufer hinunterschob, meinen Gedanken unbewußt Worte verleihend.

»Sie wollen über den Strom setzen,« antwortete Schanhatta, die einen großen Theil ihres Lebens auf und in den Fluchen des Missouri zugebracht hatte und daher leicht zu berechnen verstand, wie sich die Strömungen des Flusses am zweckmäßigsten benutze ließen.

»Ja, nach dem jenseitigen Ufer hinüber,« wiederholte ich sinnend, »sie wollen uns auch nach dorthin die Möglichkeit einer Flucht abschneiden. Es war vielleicht ein Glück, daß wir gezwungen wurden, hier zu bleiben.«

Das Floß mußte sich jetzt der Insel grade gegenüber befinden; eine Gefahr des Landens war also nicht mehr vorhanden. Es hätte übrigens, wenn nur ein Ueberschreiten des Stromes bezweckt wurde, schon weit früher abgestoßen werden können, doch schienen die Blackfeet unsere Büchsen zu fürchten und daher gerade die Nähe der Insel vermeiden zu wollen.

Meine Voraussetzungen bestätigten sich bald, denn als das Floß in gleicher Höhe mit der Südspitze der Insel angekommen war, erfolgte wieder das verworrene Geräusch murmelnder Männerstimmen, zu welchen sich heftiges Plätschern im Wasser gesellte, und einige Minuten später entdeckte ich, wie eine breite schwarze Masse sich von den undurchdringlichen Uferschatten trennte und der dort nicht mehr erheblich starken Strömung in schräger Richtung über den Fluß hin nachfolgte.

So viel ich zu unterscheiden vermochte, war das Floß mit wenigstens einem Dutzend Krieger benimmt. Doch nur eine kurze Zeit hindurch war mir ein Blick auf die formlose Masse gestattet, denn die Strömung hatte allmälig ihre volle Gewalt über das schwerfällige Fahrzeug gewonnen, und schnell verschwand es weit abwärts in der Dunkelheit.

Der junge Dalefield und der Arbeiter hatten mir wohl das Warnungszeichen gegeben, doch beruhigten sie sich, als ich in gleicher Weist antwortete, denn meinen Posten verlassen durfte ich nicht, indem es nicht außer dem Bereich der Möglichkeit lag daß unsere Feinde, auf unsere übergroße Aengstlichkeit bauend, uns nur nach dem andern Ende der Insel hatten hinlocken wollen, nm zu derselben Zeit auf der Nordspitze zu landen.

Doch Alles blieb ruhig, im Lager der Indianer sowohl, als weiter oberhalb, wo sie ihr Floß gezimmert[] hatten. Aber gerade diese Ruhe mißfiel mir, indem ich mir nicht zu erklären vermochte, weshalb sie sich nur darauf beschränkten, ihre Späher nach dem andern Ufer hinüberzusenden.

Da trafen meine Blicke wieder auf das ferne hell lodernde Feuer, welches ich so lange außer Acht gelassen hatte, und zugleich errieth ich den Plan der Wilden.

»Die Thoren, sie werden ihre Unvorsichtigkeit schwer büßen,« sprach ich halblaut, mehr zu mir selbst, als daß meine Bemerkung an meine Gefährtinnen gerichtet gewesen wäre.

Es waren dies die ersten Worte, welche seit längerer Zeit wieder zwischen uns laut wurden. Schanhatta schwieg, weil es ihre Weise war und sie mich, sobald sie mich mit ernsten Gedanken beschäftigt glaubte, nie zu stören wagte. Kate dagegen litt offenbar zu sehr unter den verschiedenartigsten auf sie einstürmenden Gefühlen, und ich selbst suchte wieder durch Betrachtungen, welche ich über unsere Lage und die uns zu Gebote stehenden Mittel anstellte, Alles zurückzudrängen und zu übertäuben, was mich kurz vorher noch so tief bewegt hatte.

»Wer wird büßen?« fragte Kate zagend, denn meine Bemerkung konnte sich ja eben so gut auf die Indianer beziehen, welche eben über den Fluß gesetzt waren.

»Die weißen Leute, die dort oben ein Feuer angezündet haben, alt gälte es einen indianischen Skalptanz zu feiern,« antwortete ich kurz und, wie ich fürchte, unfreundlich, denn ich kämpfte mit aller Gewalt, Kate's süße Stimme nicht wieder einen so bezaubernden Einfluß auf mich gewinnen zu lassen.

»Könnten sie nicht gewarnt werden?« fragte Kate wieder, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, und ihre Worte klangen so klagend und flehend, daß ich mir die bittersten Vorwürfe über mein rauhes Benehmen machte.

»Keine Macht der Erde vermag sie zu warnen oder zu retten, wenn die Indianer wirtlich Böses gegen sie im Schilde führen,« entgegnete ich freundlich und aufrichtig bedauernd, »sind es ihrer nur wenige, so schweben sie in größter Gefahr, denn der Indianer auf einem Raub- und Kriegszuge wird zur wilden Bestie, sobald er nur den geringsten Erfolg errungen hat. Sind die unvorsichtigen Reisenden dort oben stark genug, um Widerstand zu leisten oder sogar, vereinigt mit uns, unfern Feinden ihre Beute streitig zu machen, so werden diese, mit ihrem Erfolg zufrieden, das Weite suchen, noch eh' die nächste Sonne weit über den Horizont emporgestiegen ist. Aber ich fürchte es sind ihrer nur Wenige, Miß Kate, und dazu sieht das Feuer nicht aus, als ob es von sehr erfahrenen Händen geschürt würde.«

»Aber wer könnte es denn wohl sein?« fragte Kate jetzt fast tonlos, so daß ich mich erschrocken nach ihr umwendete, »können es nicht unsere Freunde von Fort Union sein?«

Was ich nicht gleich errathen hatte, das ahnte das arme von Besorgniß erfüllte Mädchen. Verwundert blickte ich auf sie hin; es war zu dunkel, um ihre Gesichtszüge zu unterscheiden, aber ich bemerkte, daß sie ihre gefalteten Hände, wie um ihre Angst zu beschwichtigen, gegen ihre Brust preßte.

[] »Ja, Miß Kate, Ihr habt recht, es wäre unfreundlich von mir, mit der Wahrheit zurückzuhalten. Ich habe nicht früher daran gedacht; es unterliegt kaum einem Zweifel, daß es Eure Freunde sind. Wahrscheinlich eben erst eingetroffen, haben sie die mit teuflischer Bosheit genährten Feuer dort drüben und die erleuchteten Zelte entdeckt, und daselbst Niemand anders, als Euren Vater vermuthend, zündeten sie auf dem Ufer ein Signalfeuer an; ja, ja, so wird es sein, so muß es sein. Auch Blackbird, der um Halbert's Plan wußte, hat das Signal so gedeutet und deshalb die Späher nach der andern Seite hinübergeschickt. Gebe Gott, daß Halbert's Gesellschaft zahlreich genug ist, den Spähern Widerstand zu leisten, und daß sie vor allen Dingen es nicht an der nöthigen Wachsamkeit fehlen lassen.«

Bei den letzten Worten hatte ich mich wieder dem Feuerschein zugewendet, um aus der Form desselben möglicher Weise die Zahl und Stärke der daselbst Lagernden annähernd herauszulesen. Da fühlte ich plötzlich meinen Arm fest umklammert und zugleich ertönte Kate's verzweiflungsvolle Stimme.

»Wißt Ihr, wer dort lagert?« fragte sie zitternd, »wißt Ihr, wer dort von den Indianern erschlagen werden wird? Wißt Ihr, wer jener Halbert ist? Nein, Ihr wißt es nicht, Ihr könnt es nicht wissen! Aber ich will es Euch sagen: Halbert ist derjenige, um dessentwillen ich mich zu dieser Reise entschloß, um derentwillen ich Euch unterbrechen mußte, als Ihr – als Ihr, mir so tiefen Kummer bereitende Worte an mich richten wolltet, Halbert ist der Mann, den ich liebe, wie das Weib den Gatten lieben soll, derjenige, dem mein Herz schon seit Jahren gehört und mit dem vereinigt zu werden, ich für die irdische Glückseligkeit hielt, deren ich Euch gegenüber, ohne die Tragweite meiner Worte zu berechnen, erwähnte! Ihr kennt jetzt mein Geheimniß, vermögt Euch meine Todesangst vorzustellen. All mein Hoffen ruht nunmehr in Euch allein! Rettet ihn, laßt ihn nicht jenen schrecklichen Menschen in die Hände fallen; rettet ihn für mich, für Eure Schwester! Seid großmüthig, verzeiht ihm, verzeiht mir, wenn Euch durch uns kummervolle Stunden erwachsen sein sollten, verzeiht uns und rettet ihn!«

Hier schwieg Kate; aber ihre Hände umschlossen meinen Arm krampfhafter, und mit tödtlicher Spannung sah sie zu mir empor.

Bei der ersten Entdeckung, daß Halbert die Ursache sei, weshalb Kate mich zurückgewiesen Halle, daß ihm das jungfräuliche unentweihte Herz mit einer ganzen Welt voll treuer Liebe bis in die Ewigkeit hinein angehören solle, prallte ich zurück und ein Gefühl der Schadenfreude durchrieselte mich auf Augenblicke wie ein kalter Schauer. Doch eben nur auf Augen blicke bestürmten mich dergleichen frevelhafte Gedanken, und bereits in der nächsten Sekunde strengte ich meinen Geist aufs Aeußerste an, ein Mittel zu ersinnen, durch welches die Bedrohten wenigstens gewarnt werden könnten.

Daß ich noch immer schwieg und nach dem Signalfeuer hinüberschaute, mußte Kate über meine Absichten täuschen, denn eh' ich mich dessen versah, lag sie zwischen den Aesten und Zweigen vor mir auf den Knieen, und ihre Hände flehendlich erhebend, [] beschwor sie mich, keine feindlichen Gefühle gegen den bedrohten Geliebten in meiner Brust aufkommen zu lassen.

»Rettet ihn, o, rettet ihn,« flehte sie kaum verständlich, als ich sie, von Rührung, Theilnahme und Liebe überwältigt, aufhob und sie bat, sich an meiner Seite auf den Baumstamm niederzusetzen, »bei dem Andenken an Eure entschlafene Braut, die jetzt vielleicht auf Euch niederblickt, beschwöre ich Euch, rettet ihn, ihn, ohne den auch ich nicht leben mag!«

»Beruhigt Euch, meine theure Miß Kate,« sagte ich endlich tief ergriffen, sobald heftiges Schluchzen und die der geistigen Aufregung auf dem Fuße nachfolgende Erschöpfung ihr nicht mehr gestatteten, weiter zu sprechen; »beruhigt Euch über meine Absichten, und glaubt mir, mit Freuden gäbe ich mein Leben hin, gelänge es mir dadurch, auch nur im Geringsten zu Eurer Wohlfahrt, zu Eurem Glück beizutragen. Nicht Eures Flehens, nicht der Erinnerung an theuere Verstorbene bedarf es, um in mir den Willen zu erwecken, meine ungetheilten Kräfte zu Eurer und Eurer Lieben Rettung zu weihen. Doch das Geschick ist oft stärker, als der Wille schwacher Sterblicher, und vergeblich suche ich ein Mittel zu ergründen, durch welches mir die Möglichkeit an die Hand gegeben wäre, die dort an jenem Feuer Befindlichen zu warnen. Und dann, meine liebe Miß Kate, steht es ja auch nicht fest, daß gerade Halbert dort weilt. Es war eine unvorsichtige Aeußerung von mir, mit der ich wohlweislich zurückgehalten hätte, wäre mir bekannt gewesen, welche Stelle der nur muthmaßlich Bedrohte in Euerm Herzen einnimmt.«

»Ihr muthmaßt, daß es Halbert sei,« fuhr Kate in wildem Schmerz fort, der in seltsamem Widerspruch zu ihrem sonst so muthwilligen heiteren Wesen stand, »ich dagegen weiß es, daß er es ist! O, ich wußte es bereits, als Ihr unserer Freunde von Fort Union erwähntet, und Ihr, so wie ich Euch kennen gelernt habe, könnt nicht, werdet nicht zugeben wollen, daß wenige Meilen von hier ihn das Verderben ereilt, während ich ruhig von dieser Insel aus zusehe, ohne auch nur einen Versuch zu seiner Rettung gewagt zu haben. Das Boot! das Boot!« rief sie dann emporspringend aus, »wir haben ja das Boot, helft mir hin über, und ich selbst will ihn retten, ich will bei ihm sein, noch eh' die grausamen Wilden die Hälfte des Weges zurückgelegt haben!«

»So viel Liebe,« dachte ich, während ich das arme bebende und von Todesangst gefolterte Mädchen an meiner Seite betrachtete, »so unendlich viel Liebe; o, wie glücklich, wie namenlos glücklich und zufrieden hätte mich nur ein kleiner Theil derselben gemacht,« Ich seufzte unbewußt tief auf, und dann war es wieder die Gegenwart allein und Kate's Verzweiflung, was meine Seele schwer bedrückte.

»Das Boot ist da, meine liebe Miß Kate,« antwortete ich auf den unausführbaren Vorschlag, »leider ist dasselbe aber kaum besser, als ein Floß. Trotz unserer größten Anstrengungen würden wir mit dem schwer zu lenkenden Fahrzeug von der Strömung bis dahin fortgerissen werden, wo die Wilden jetzt gelandet sein müssen; und näherten wir uns wirklich dem Ufer einige Hundert Schritte weiter oberhalb, so würden wir ihnen unsere Anwesenheit nicht nur durch [] die Ruderschläge verrathen, sondern der Mond, der in der nächsten Viertelstunde aufgeht, wäre uns ein noch viel gefährlicherer Feind. Nein, meine theure Freundin, nicht auf das Boot dürft Ihr Eure Hoffnung bauen, und welchen Voltheil brächte es Halbert, würdet Ihr, Schanhatta und ich von den Wilden ergriffen? Und dann bedenkt, welche Waffe wäre das elende Fahrzeug in den Händen unserer Feinde gegen Euren Vater und Eure Brüder?«

»Ich sehe es ein, ja ich sehe es ein,« flüsterte Kate, verzweiflungsvoll die Hände ringend, »es gehören Flügel dazu, um zu ihm zu gelangen –«

»Oder die Flossen der Gebirgsforelle,« fügte Schanhatta, die so lange unbeachtet zwei Schritte weit von uns gestanden hatte, mit entschiedenem Wesen hinzu, indem sie dicht vor Kate hintrat. »Die Flossen einer Forelle sind ebenso gut, wie die Schwingen des Adlers,« fuhr sie in ihrem wohlklingenden tiefen Organ fort, ihre Augen dicht vor die Kate's bringend, wie um in deren Herz zu lesen oder in ihrem eigenen lesen zu lassen; »das Boot treibt mit der Strömung fort, allein die Forelle schwimmt stromaufwärts.«

»Mädchen, sage, was meinst Du mit Deinen geheimnißvollen Worten?« fragte Kate athemlos vor Spannung.

»Schanhatta wird die Forelle sein,« entgegnete die Indianerin in fast schüchternem Tone, denn sie mochte fühlen, daß meine Blicke mit einer an Bewunderung streifenden Theilnahme auf ihr ruhten; »mein Wohlthäter liebt die schöne bleiche Fremde, und ich werde ihre Botschaft nach dem Feuer hinübertragen.«

»Du wolltest Dich opfern? Du, das arme, getreue indianische Mädchen?« fragte Kate schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, indem sie Schanhatta zärtlich umarmte.

»Ich bin nicht arm,« versetzte die Mandanenwaise, sich stolz emporrichtend, »und opfern? o, fangt die Forelle, wenn sie die Fluthen durchschneidet, fangt das flinke Wiesel, wenn es zwischen Gestein und hohen Grashalmen einherschlüpft. Gieb mir die Botschaft, gieb sie mir bald, der erste Strahl des aufgehenden Mondes darf mich nicht auf der dunkeln Fluth treffen.«

»Und Ihr, mein Freund, mein Retter, was sagt Ihr zu dem kühnen Entschluß dieses edlen Mädchens?« wendete Kate sich jetzt an mich, »ist es möglich, wird sie es vollbringen können, wird sie bei dem Versuche nicht dem Verderben anheimfallen? O, es hieße dies, mich noch elender machen –«

»Besäße ich die Gewandtheit Schanhatta's und fesselten mich nicht ebenso heilige Pflichten an diese Scholle, so befände ich mich jetzt vielleicht schon drüben,« entgegnete ich, nachdem ich, trotzdem die Zeit drängte, die junge Indianerin etwa eine Minute lang mit schwer zu schildernder Rührung betrachtet hatte, »sie ist die Einzige auf dieser Insel, welche einer solchen Aufgabe gewachsen ist und welche sie auch, so Gott, es nicht anders bestimmt hat, glücklich lösen wird. Aber fort jetzt Schanhatta,« wendete ich mich darauf dieser zu, ihr zum Abschied die Hand reichend, »gehe und sage den Leuten dort oben, was Du hier gesehen hast und sprich den Namen Kate Dalefield dabei aus –«

[] »Kate Dalefield,« wiederholte Schanhatta heiter, um zu beweisen, daß sie den Namen ihrem Gedächtniß eingeprägt habe.

»Und sei auf Deiner Hut; bedenke, außer Du, besitze ich jetzt Niemand mehr auf Erden. Zweimaliges Auslöschen und Aufflammen des Feuers verkündet Deine glückliche Ankunft.«

»Schanhatta wird zu ihrem Wohlthäter zurückkehren,« rief mir das gute treue Kind noch zu, und dann schwebte sie gleichsam über die verworrenen Baumstämme und das verwickelte Geäst? nach dem Ufer hin. Dort bückte sie sich nieder, und nachdem sie eine Weile auf der Erde umhergetastet, verschwand sie mit drei leichten zackigen Holzstücken, welche den sie hindernden Theil ihrer Kleidungsstücke zu tragen bestimmt waren, auf der Ostseite der Insel im Gebüsch. »Mein Gott, mein Gott, wenn ihr ein Unglück widerführe,« seufzte Kate mit einem Ausdruck vor sich hin, der bekundete, daß ihre Besorgniß in diesem Augenblick eben nur die junge Mandanenwaise allein betraf.

»Vertraut auf die ihr angeborene elfenartige Gewandtheit, und hofft von ihren redlichen Bemühungen das Beste,« entgegnete ich, indem ich stromabwärts lauschte, wo die feindlichen Späher ohne Zweifel bereits ihren Marsch stromaufwärts angetreten hatten.

Ein leises Plätschern im Wasser lenkte unsere Aufmerksamkeit nach der Richtung hin, in welcher Schanhatta sich entfernte.

Die Atmosphäre hatte sich schon so sehr erhellt, daß wir ihren Kopf mit den langen fließenden Haaren als einen schwarzen Punkt zu unterscheiden vermochten. In geringer Entfernung vor dem Kopf trieb ein zweiter, größerer, jedoch formloser Gegenstand. Es war das kleine ihre Kleidungsstücke tragende Floß, welches sie während des Schwimmens vor sich her stieß.

Schweigend folgten wir mit den Blicken Schanhatta's Bewegungen. Mit unglaublicher Schnelligkeit glitt sie dahin; anfangs, so lange sie sich noch in ruhigerem Wasser befand, gelangte sie sogar noch stromaufwärts, sobald sie aber die Strömung durchschnitt, schnürte sich mir das Herz zusammen, als ich bemerkte, daß sie vergeblich gegen dieselbe ankämpfte und immer weiter mit fortgerissen wurde. Bald darauf entzog die Dunkelheit mir die letzte Spur von ihr, meine Blicke blieben aber dahin gerichtet, wo ich sie vermuthete; selbst als sie längst das Ufer erreicht haben mußte, starrte ich noch immer auf die graue Wasserfläche hin.

Wo war sie geblieben? Waren ihre Arme auch nicht erlahmt? Hatte sie rechtzeitig festen Boden gewonnen, oder war sie an den feindlichen Spähern vor bei, oder diesen gerade in die Hände getrieben? Wer konnte es sagen? Der Strom war stumm, sein Rauschen verrieth mir ebenso wenig Etwas, wie das dahinter liegende schwarze Ufer.

Der Mond trennte sich, scheinbar zitternd, von der östlichen bügelreihe, lieblich beleuchtend das weite Thal des Missouri, doch von Schanhatta sah ich nichts mehr. Aus dem, von den Spähern erzeugten unvermeidlichen Geräusch berechnete ich deren Annäherung; ich hörte sie in der Höhe der Insel [] vorüberziehen, nichts aber deutete darauf hin, daß die kühne Schwimmerin von ihnen entdeckt worden sei.

»Wo weilt Schanhatta?« fragte ich mich in Gedanken. Meine Frage laut auszusprechen, wagte ich nicht, denn neben mir saß, mit gleicher besorgnißvoller Spannung, erfüllt von gleicher Furcht in die Ferne schauend Kate Dalefield, deren ganze geträumte irdische Seligkeit auf dem Spiele stand. Unsere Arme berührten sich, ich vernahm ihren gepreßten Athem, ich fühlte, daß sie zuweilen krampfhaft zitterte, aber keiner von uns sprach ein Wort, unsere Blicke waren unverwandt auf das Feuer gerichtet.

Dalefield, sein zweiter Sohn und ein Arbeiter, im Begriff, die Wachen abzulösen, traten zu uns heran, um sich von Kate's Wohlbefinden zu überzeugen, doch nur einsilbige Antworten wurden ihnen zu Theil; ich weigerte mich ebenso standhaft, meinen Posten an Jemand abzutreten, wie Kate sich willig finden ließ, etwas Ruhe zu suchen. Für uns gab es nur das ferne, noch immer lustig flackernde Signalfeuer und die Hoffnung, welche sich an Schanhatta's Sendung knüpfte.

Höher, immer höher stieg der bleiche halbe Mond, und noch hatten wir uns nicht von der Stelle gerührt. Am Rande des Thales jagten die Wölfe heulend ihre Beute, im Waldesdickicht winselte kläglich der listige Panther; für uns verhallten diese Töne ungehört, wir lauschten nur nach der oberen Biegung des Stromes hinüber, und mit wachsender Besorgniß beobachteten wir den matten Schein des Tages, der sich immer weiter von Norden nach Osten herumschob. Das Feuer brannte noch hell, aber nicht mehr so hoch schlugen die Flammen empor. Müde des vergeblichen Harrens auf ein Gegensignal, hatte man dasselbe endlich vernachlässigt und sich offenbar zur Ruhe hingestreckt, zu einer Ruhe, welche vielleicht durch einen indianischen Tomahawk zu einer ewigen gemacht werden sollte.

Kate vermochte dergleichen Zeichen nicht zu enträthseln; es war ein Glück für sie, ihre Todesangst würde sich dadurch in wilde Verzweiflung verwandelt haben. Ich betrachtete das Feuer, ich betrachtete Kate, die liebliche, angsterfüllte Kate an meiner Seite, und: »Schanhatta,« entschlüpfte es leise und unbewußt meinen Lippen.

»O, mein Gott, wo weilt Schanhatta?« wiederholte Kate ebenso leise.

Da flammte das Feuer hoch empor, jedoch nur, um im nächsten Augenblick vollständig zu erlöschen. Man muhte eine wollene Decke über dasselbe geworfen haben.

Sprachlos und starr vor Spannung blickten wir hinüber.

Wiederum loderten die Flammen empor, und wiederum sanken sie in Dunkelheit zusammen, um nach kurzer Zeit in ihrer alten Weise ungestört weiter zu brennen.

»Er ist gerettet,« hauchte Kate mir zu, während Thränen in Fülle ihren Augen entströmten, und eh' ich es zu hindern vermochte, hatte sie meine Hand ergriffen, und neben den heißen Tropfen, welche dieselbe benetzten, fühlte ich auch den innigen Druck ihrer lebenswarmen Lippen.

»Geht jetzt, geht jetzt, meine liebe Freundin,« sagte ich tief gerührt, Kate meine Hand entziehend, [] »es ist jetzt Alles gut, und Ihr müßt Eurem Körper einige Ruhe gönnen.«

Schweigend wendete Kate sich um. Nach der heftigen und anhaltenden Gemüthsbewegung mußte sie sich in der That sehr erschöpft fühlen, denn ich gewährte, daß sie sich dem Lager zu langsam und schwankenden Schrittes durch das Gebüsch drängte.

Ich dagegen verharrte auf meinem Posten. In meiner Brust arbeitete es stürmisch und wild, ich wollte allein sein. Aber es war wie ein Unwetter, welchem gewöhnlich milde Tage folgen; denn als der Osten sich mit seinem schönsten Purpurroth geschmückt[] hatte und der anbrechende Morgen dem Monde seinen letzten leuchtenden Schein raubte, da war ich wieder so ruhig, als ob die Erlebnisse der letzten Tage ein wirrer Traum gewesen, der nur etwas tiefer und schmerzlicher, als sonst Träume zu thun pflegen, in meine Seele eingeschnitten hatte. Ich lachte sogar über meine Verwegenheit, durch welche ich mich noch ein Mal zu jugendlich phantastischen Hoffnungen hatte hinreißen lassen.

Ja, ich lachte; ob mein Lachen aber im Stande gewesen wäre. Jemand, der mich beobachtet hätte, heiter zu stimmen, das bezweifle ich.

[] []Siebentes Capitel.
Die Landung.

Die Indianer blieben, wie ich nicht anders erwartete, ruhig, und wenn sie wirtlich eine Landung beabsichtigt hatten, so waren sie nur durch das Feuer, welches die Nähe anderer Weißen bekundete, davon zurückgehalten worden. Ganz aufgegeben hatten sie den Plan indessen keineswegs, dazu hofften sie auf eine zu reiche Beute und stand Blackbird's Sinn zu unerschütterlich auf Schanhatta gerichtet; aber mit Ueberlegung wollten sie handeln und sich vorher überzeugen, ob unsere muthmaßliche Verstärkung nicht zu viel für ihre Kräfte sei.

Daß Letzteres nicht der Fall war, dafür erhielten sie kurz vor Sonnenaufgang die untrüglichsten Beweise, als sie auf derselben Stelle, auf welcher sie während der Nacht das fremde Feuer beobachtet hatten, eine dichte schwarze Rauchsäule emporsteigen sahen.

Die Rauchsäule, das verabredete Zeichen der Späher, daß sie die dort lagernden Weißen überwunden oder vertrieben hätten, begrüßten die auf dem Ufer versammelten Blackfeet mit wildem Jubel, und in so hohem Grade steigerte die willkommene Nachricht ihr Entzücken, daß Einzelne, um schon im Voraus einen Triumph zu feiern, sogar ihre Büchsen in der Richtung nach der Insel abfeuerten, obwohl bei der großen Entfernung und der Unsicherheit des Ziels, ihr Schießen als eine für sie selbst unverantwortliche Pulververgeudung erscheinen mußte.

Da sie jetzt keinen Grund mehr hatten, ihre Absichten vor uns geheim zu halten, wir ihnen aber weder nach der einen, noch nach der andern Seite hin entschlüpfen konnten, so schritten sie nach dem ersten Ausbruch ihrer Fröhlichkeit sogleich an's Werk, weiter oberhalb ein größeres und für ihre Zwecke geeigneteres Floß zu bauen.

Den Tag über hatten wir zwar nichts von ihnen zu fürchten, indem wir während ihres Herantreibens [] eine furchtbare Verheerung unter ihnen hätten anrichten können; anders dagegen gestalteten sich die Sachen zur nächtlichen Stunde, wenn die Dunkelheit nicht allein das Zielen erschwerte, sondern wenn auch jeder Einzelne unserer Feinde sich in liegender Stellung hinter aufgestapelten Treibholzstücken gegen unsere Kugeln zu schützen vermochte.

Bald nach Anbruch des Tages hatten Dalefield und seine beiden Söhne sich zu mir gesellt, und während wir auf den Holzstämmen sitzend unser einfaches, von dem Neger herbeigebrachtes Mahl verzehrten, beriethen wir ernstlich unsere Lage und die sich uns bietenden Aussichten auf Rettung.

Nicht wenig überraschte es sie, das Nähere über Schanhatta's Sendung zu erfahren und daß ihre Freunde von Fort Union ihnen so nahe seien. Von Kate's besonderer Furcht für Halbert erwähnte ich kein Wort, doch glaubte ich bei genauerer Beobachtung, sowohl aus Dalefield's, als aus seiner Sohn? Benehmen schließen zu dürfen, daß Kate's Neigung ihnen kein Geheimniß sei und sie den Gegenstand ihrer Liebe bereits als ein Mitglied ihrer Familie betrachteten. Darin stimmten wir indessen Alle überein, daß Halbert sich, nachdem Schanhatta ihn gewarnt, wieder stromaufwärts gewendet habe, um auf irgend eine Art Entsatz aus unserer bedrängten Lage herbeizuschaffen.

Wir waren eben übereingekommen, einen hinreichenden Vorrath von Treibholz nach der Südspitze der Insel hinunterzuschaffen, um daselbst die folgende Nacht hindurch einen weithin über die Wasserfläche leuchtenden Scheiterhaufen in Brand zu erhalten, als meine Blicke ein größeres, scheinbar von der Natur gebildetes Treibholzfloß streiften, wie deren fast zu jeder Zeit und an jeder Stelle des Missouri angetroffen werden. Dasselbe, ungewöhnlich schwer und träge in seinen Bewegungen, trieb nicht mit dem Hauptarm der Strömung dem Ufer zu, um vor dem Lager der Blackfeet abzuprallen und auf der Westseite unserer Insel vorüberzuziehen, sondern da, wo [] die Strömung sich in zwei Kanäle theilte, drehte es sich einige Male im Kreise herum, worauf es sich stetig der Ostseite unserer Insel näherte.

Das Floß bestand aus mehreren, mit den Aesten in einander verschränkten Bäumen und hatte, da von allen Zweigen dichte Massen von Moosflechten und dürrem Grase niederhingen, ganz das Aussehen, als wenn es bereits seit Jahren an irgend einem Ufervorsprunge gelegen habe und neuerdings erst von den rastlosen Fluchen losgewaschen worden sei. Am meisten befremdete mich, daß auch grün belaubte Bäumchen und Zweige zwischen dem dürren und von der Luft gebleichten Holzwerk hervorragten, was sonst nur nach heftigen Regengüssen, oder nachdem der Schnee in den Gebirgen geschmolzen, der Fall zu sein Pflegte.

Das Floß war unterdessen näher herangekommen. Bald nach dieser, bald nach jener Seite versuchte es herumzukreisen, aber immer wieder gewannen die Fluthen das Uebergewicht über die Holzlast, und stetig, wie ein schwer befrachtetes Kanalboot, verfolgte es seine Bahn.

»Habt Ihr eine Leine, so werft sie uns zu!« ertönte jetzt eine Stimme zwischen dem Gebälk zu uns herüber, als das Floß ungefähr noch hundert Ellen weit von der Spitze der Insel entfernt sein mochte.

»Meine Gefährten saßen beim ersten Ton der Stimme wie erstarrt da; sie waren zu überrascht, als daß sie zu handeln vermocht hätten. Ich dagegen sprang empor und in der nächsten Minute befand ich mich bei unserm Wagenkasten. Mit einem raschen Schnitt trennte ich den fünfundzwanzig oder dreißig Fuß langen Rest der Leine von dem alten Rettungsboote, und als das Floß hinter der Insel angekommen, der Strömung folgend, eben nach dem jenseitigen Ufer hinüber lenkte, da stand ich in gleicher Höhe mit ihm die an die Kniee im Wasser, und gleich darauf fiel das eine Ende der von mir geschleuderten Leine quer über das Gebälk.«

Alsbald erhoben sich hinter den moosbehangenen Zweigen drei junge rüstige Männer, und zu meiner unaussprechlichen Freude auch die getreue Schanhatta. Ohne Zeit zu verlieren schnürten sie die Leine um einen der Hauptträger ihres Fahrzeugs, ein Theil der auf der Insel befindlichen Gefährten war zu meinem Beistand herbeigesprungen, und langsam schwang sich das Floß vor der straff gehaltene Leine und der andrängenden Strömung dem Ufer zu. Vorsichtig faßten die Ankömmlinge sodann festen Fuß auf den äußersten Treibholzstämmen, und jetzt erst entdeckte ich, wie es ihnen gelungen war, an den Indianern vorbeizutreiben, ohne von diesen entdeckt zu werden.

Sie hoben nämlich ein leichtes Rindenkanoe zwischen den Treibholzstämmen, zwischen welchen es wie in einem Kessel gelegen hatte, empor, und es behutsam über die scharfen Zacken forttragend, schoben sie es auf der andern Seite dem Ufer zu in's Wasser. Das Kanoe reichte von dem Floß bis nach dem Ufer hinauf; die Flüchtlinge konnten daher trockenen Fußes auf die Insel gelangen, doch geschah dies erst, nachdem das Floß wieder etwas weiter in die Strömung hinausgeschoben worden war und dieser dann langsam nachfolgte.

Obgleich bei dem Landen eben nur auf eine [] günstige Gelegenheit, und weniger auf die Späheraugen der Blackfeet hatte Rücksicht genommen werden können, waren wir doch während des ganzen Verfahrens durch die Insel selbst gegen Letztere verdeckt geblieben; da aber das Floß nach nur kurzem Aufenthalt seine Reise fortsetzte und bald wieder in den Gesichtskreis unserer Feinde trat, so durften wir annehmen, daß nicht einmal deren Argwohn geweckt worden war.

Freilich mußten wir darauf gefaßt sein, daß die Späher, nachdem sie die Art der Flucht Halbert's und seiner Gefährten ausgekundschaftet hatten, nicht säumen würden, der Hauptmacht der Blackfeet, welche sich auf wenigstens dreißig wohlbewaffnete Krieger belief, von ihrer Entdeckung in Kenntniß zu setzen, doch seit die Landung glücklich ausgeführt worden war, hatte dies nur geringe Bedeutung für uns. Wir bildeten durch den Zuwachs der drei streitfähigen Männer eine Macht, stark genug, unsere Insel gegen eine uns zehnfach überlegene Bande zu vertheidigen, und nur die Besorgnis; für die Mädchen hielt uns ab, augenblicklich mit dem Bau eines Flosses zu beginnen, mit Hülfe des Wagenkastens und des Rindenkanoes die Flucht am hellen Tage auf dem Missouri fortzusetzen und den von den Ufern aus uns zugesendeten Kugeln Trotz zu bieten.

Erst nachdem das Kanoe in's Gebüsch hineingetragen worden war und dann die Begrüßungen zwischen Halbert und Dalefield nebst seinen Söhnen begannen, nahm ich die Gelegenheil wahr, die Ankömmlinge genauer zu betrachten.

Halbert, ein junger, hübscher, kräftig gebauter Offizier mit wohlwollenden braunen Augen und einer gewissen selbstbewußten Haltung, entsprach ganz dem Bilde, welches ich mir von ihm entworfen halte; er machte überhaupt den Eindruck auf mich, daß er durch sein Aeußeres sowohl, als auch durch einen offenen, ehrlichen Charakter dazu geschaffen sei, ein Herz, wie das der lieblichen Kate zu gewinnen.

Kate selbst stand etwas abseits, ich sah sie, sie dagegen sah mich nicht; sie hatte nur Augen für Halbert, und mit einem bezaubernden Ausdruck jungfräulicher Verschämtheit, kindlicher Schalkhaftigkeit und rührender Besorgniß blickte sie zu ihm hinüber, der sie bis jetzt noch nicht bemerkt hatte.

Als ihr Pater aber Halbert mit väterlichem Stolz bei der Hand nahm und ihn, auf seine ängstliche Frage nach Kate, dieser zuführte, o, wie ihr da das Blut in die Wangen und endlich bis in die Schläfen hinaufstieg, wie ihre Augen sich vor innerer Glückseligkeit umflorten und ihr Busen sich schüchtern hob und senkte! Vergessen waren die Gefahren, welchen wir bis dahin begegneten, vergessen die Gefahren, welche uns noch umringten, vergessen der vereinsamte Pelzjäger, der vor wenigen Stunden erst von Liebe zu ihr gesprochen. Warum hätte sie meiner auch noch weiter gedenken sollen? Und mit welchem Recht hätte ich beanspruchen dürfen, in ihrer Erinnerung fortzuleben? Sie war ja so glücklich, so unaussprechlich glücklich, und ich? mir winkte ringsum die Wildniß doppelt freundlich und heimisch zu, die Wildniß mit ihren Reizen und ihren Schrecken, die Wildniß, meine traute Freundin, meine Trösterin und meine Heimath.

[] Eine Thräne, seit Jahren die erste, stahl sich mir in die Augen; ich wollte Niemand meine Schwäche sehen lassen und schlich heimlich und unbemerkt davon, um meinen Posten zwischen den Treibholzstämmen wieder einzunehmen. –

Eben hatte ich wich hingesetzt und mechanisch schweiften meine Blicke über das Ufer hin, auf welchem es von Indianern wimmelte, als das Knacken eines dürren Reises mich veranlaßte, hinter mich zu schauen.

Schanhatta, die treue Mandanenwaise, hatte sich in meiner Nähe niedergelauert. Ihre großen melancholischen Augen ruhten mit besorgnißvoller Teilnahme auf mir, als ob sie, das ungeschulte Kind der Natur, in meinem munden Innern zu lesen vermocht hätte. Auch sie war in dem Freudentaumel nicht beachtet worden; Niemand hatte daran gedacht, ein Wort des Dantes für ihre geleisteten Dienste an sie zu richten.

Sie verlange oder erwartete auch keinen Dank, sie glaubte nur das gethan zu haben, was zu thun ihre Pflicht gewesen; aber ihre schwarzen Augensterne schienen sich zu vergrößern und Heller zu strahlen, als ich meine Hand auf ihr Haupt legte und sie freundlich anblickte.

»Du bist ein braves, ein liebes Mädchen,« sagte ich, ganz versunken in das Anschauen des mit seltenem Liebreiz umflossenen, lichtbraunen Kindes; »Du hast mir eine große Herzensfreude bereitet und die Leute dort drüben glücklich gemacht; Du wirst dereinst einen schönen Lohn in dem Bewußtsein finden, eine gute, edle That ausgeführt zu haben. Du verstehst noch nicht, was ich damit sagen will,« fuhr ich fort, als ich in dem offenen, sammetweichen Antlitz einen Fug des Zweifels gewahrte; »aber harre nur geduldig aus, mein Kind, ich will nicht länger hindernd zwischen Dir und den Segnungen einer sorgfältigen Erziehung und Ausbildung stehen; es wäre sündhaft, meine Neigungen höher, als eine Dir möglichen Falls zu Theil werdende glückliche Lebensstellung anschlagen zu wollen. Habe ich bereits so viel in meinem Leben verloren, kann ich auch Deine mir zur lieben Gewohnheit gewordene Gesellschaft entbehren. Aber verlassen bist Du deshalb noch nicht von mir; ich werde über Dich wachen, wie über das Wohl eines mir anvertrauten kostbaren Schatzes, und nur für Dich und Deine Zukunft schaffen und arbeiten.«

Meine an Schanhatta gerichteten Worte hatten sich allmälig in eine Art Selbstgespräch verwandelt, in welchem ich an nichts weniger dachte, als meine Gedanken so einzukleiden, daß sie dem, obwohl außergewöhnlich scharfsinnigen und leicht auffassenden, aber noch wenig ausgebildeten Mädchen begreiflich wurden. Daß sie indessen ahnte, was ich betreffs ihrer Zukunft beschlossen hatte, wurde mir klar, als sie, nachdem ich geendigt, mit einem noch sprechenderen Ausdruck ängstlicher Verwirrung zu mir aufschaute und dann, als ob sie sich gescheut habe, mich zu berühren, das Gewehr, welches ich zwischen meinen Knieen hielt, schüchtern mit beiden Händen umklammerte.

»Schanhatta braucht keinen Lohn von den fremden Menschen,« sagte sie mit dem ihr eigenthümlichen, sinnenden Ernst das beantwortend, was sie von mei nen Erklärungen verstanden hatte; »mein Beschützer[] hat gewünscht, die fremden Männer zu benachrichtigen, und das ist genug für Schanhatta. Die Mandanenwaise besitzt genug weiße Eigenschaften, sie ist ein armes braunes Mädchen und keine schöne weiße Frau. Aber wenn mein Gebieter sagt: Schanhatta soll mehr lernen, so lerne ich mehr; ich lerne so viel, wie er für gut befindet. Doch er irrt sich, Schanhatta wird nie verlassen sein, sie wird für ihren Herrn arbeiten, und nicht diesen für sich arbeiten lassen.«

»Beruhige Dich, mein Kind,« entgegnete ich, als ich eine seltsame Furcht in ihrem ganzen Wesen bemerkte, welche sie vielleicht darüber empfand, daß sie in andere, ihr vollständig fremde Verhältnisse und unter fremde Menschen gebracht werden könne; »ich will nur Dein Bestes und verlange von Dir weiter nichts, als daß Du Dich stets in meine Wünsche fügst.«

In so freundlichem Tone ich auch zu Schanhatta gesprochen hatte, war es mir doch nicht gelungen, ihre unbestimmten Besorgnisse zu beschwichtigen. Im Gegentheil, sie schien noch ernster und nachdenkender zu werden; denn ohne einen Seufzer oder den leisesten Laut der Klage ließ sie das Haupt auf die Brust sinken, und wie unbewußt spielten ihre kleinen zierlichen Finger mit der langen Schnur von farbigen Glasperlen, welche von ihrem schlanken Nacken bis tief über ihren züchtig verhüllten Busen niederhing.

»Armes verfolgtes, mißleitetes und mißbrauchtes Volk,« dachte ich, indem ich Schanhatta, dieses rührende Bild natürlicher, noch unentweihter, aber zum Bewußtsein gelangender Jungfräulichkeit und weiblicher Hingebung und Treue betrachtete, »wie viele Deiner Mitglieder könnten für ein besseres Erdendasein, für eine edlere Bestimmung herangebildet werden, wenn man nicht vorzöge, mit schlauer Berechnung und um geringen Voltheils willen den Hader nach allen Richtungen hin zu schüren, der zum sichern Verderben und endlichem Verschwinden einer ganzen Menschenrace von dem Erdboden führen muß.«

Ich wendete mich von Schanhatta ab und erfüllt von trüben Gedanken blickte ich nach dem jenseitigen Ufer hinüber, wo Mitglieder desselben Voltes uns feindlich gegenüber standen. Sie trachteten mir nach Eigenthum und Leben, und dennoch hätte ich sie nicht zu verfluchen vermocht. Bis jetzt hatte ich noch keinen Menschen getödtet, denn der Kolbenschlag, durch welchen ich den hinterlistigen Krieger zu Boden schmetterte, konnte nicht von tödtlichen Folgen begleitet gewesen sein; ich schauderte bei der Aussicht, vielleicht schon in nächster Zeit meine mörderischen Kugeln unter die braunen kriegerischen Gestalten versenden zu müssen, und meine ganzen geistigen Kräfte vereinigten sich dahin, Mittel und Wege zu ergründen, auf welchen es uns gelingen würde, ohne Kampf und Blutvergießen von der Insel zu entkommen.

Schanhatta saß wieder hinter mir, eine melancholische indianische Melodie vor sich hinsummend, und ich blickte schweigend stromaufwärts, wo ich in der Ferne die unverrichteter Sache zurückkehrenden Späher bemerkte.

Dieselben trafen nach kurzer Zeit dem Blackfootlager gegenüber ein und berichteten mit durchdringender, jauchzender Stimme über ihren Erfolg und den muthmaßlichen Verbleib der Flüchtlinge, und noch immer saßen Schanhatta und ich zwischen dem verworrenen [] Gebälk, ohne daß es Jemand der Mühe werth gehalten hätte, sich um uns zu kümmern. Erst als die Blackfeet, in Folge der ihnen zugegangenen Nachricht in ein wildes Rachegeheul ausbrachen und ein erbitterter Krieger seine Büchse auf mich abschoß, daß die Kugel nur wenige Schritte von mir sich krachend in einen morschen Baumstamm grub, eilte die auf so rauhe Art an ihre mißliche Lage gemahnte Gesellschaft herbei, um sich bei mir Rath zu holen.

Ueber die scheinbare Vernachlässigung konnte ich den Leuten nicht zürnen; das Wiedersehen war ja ein so freudiges Ereigniß gewesen, und zu viel hatten sie einander mitzutheilen, um auch noch einem freudelosen, ziemlich verschlossenen Fallensteller viel Aufmerksamkeit zuzuwenden. Als Halbert aber mit seinem offenen Wesen zu mir herantrat und mir, statt jeder Aeußerung des Dankes, die Hand drückte und mich zugleich bat, ihm und seiner zukünftigen Gattin die Mandanenwaise anzuvertrauen und ihnen zu gestatten, mit mir vereinigt über deren Wohlergehen wachen zu dürfen, da schwand, wie der Frühlingsschnee vor den warmen Sonnenstrahlen, die letzte Probe von Mißmuth oder Groll aus meiner Brust. In der achtungsvollen Begegnung des jungen Offiziers, in seinem vorsichtigen Vermeiden jeder Anspielung auf die mögliche Belohnung für die von mir und Schanhatta geleisteten Dienste, oder auf Schadenersatz für meine Verluste, erkannte ich, welcher Art die Urtheile gewesen, welche man über mich gefällt hatte, und wie man sich beeiferte, mich gerade so zu behandeln und zu betrachten, wie ich behandelt und betrachtet sein wollte, wie es allein meinen Neigungen und meinen Begriffen von Menschenrechten und Menschenpflichten entsprach.

Kate selbst war auf der geschützten Lagerstelle zurückgeblieben; offenbar hatte sie verhüten wollen, durch den Anblick ihres Glückes schmerzliche Erinnerungen in mir wachzurufen. Im Heizen dankte ich ihr für diese schwesterliche Rücksicht, doch fühlte ich mich auch wieder bis zu einem gewissen Grade peinlich dadurch berührt, daß sie, und vor Allem Derjenige, vor dem sie kein Geheimniß mehr hatte, mir nicht Kraft genug zutrauten, meine Gefühle, welcher Art sie auch immer sein mochten, niederzukämpfen, oder daß man mich vielleicht gar bemitleidete.

Selbstverständlich konnten wir nicht lange beieinander weilen, ohne unsere Flucht in Betracht zu ziehen und die zunächst von uns einzuschlagenden Schritte nach allen Richtungen hin zu erwägen.

Zwei Umstände waren es, welche unsere Lage vorzugsweise mißlich machten, nämlich erstens und hauptsächlich die bedeutende Uebermacht der Blackfeet, die in ihren Reihen wenigstens ebenso viele Büchsen aufzuweisen hatten, wie wir besaßen, und dann, wenn es uns wirklich gelang, irgendwo unbemerkt zu landen, daß uns kein einziges Pferd oder Lastthier zu Gebote stand.

Denn auch Halbert und feine beiden Gefährten, von welchen der eine ein Soldat seiner Abtheilung, der andere ein erträglich erfahrener Jäger, waren ohne Pferde. Sie hatten der größeren Bequemlichkeit und Sicherheit wegen, wie auch, um sich jederzeit nach einer beliebigen Seite des Stromes hinüberbegeben zu können, vorgezogen, die Reise von Fort [] Union aus in einem tragbaren und daher selbst auf dem Lande leicht fortzuschaffenden Kanoe anzutreten. Es war dies dasselbe Kanoe, in welchem sie, nach Schanhatta's Eintreffen bei ihnen ihre Flucht ermöglichten, indem sie es schleunigst von allen Seiten mit einem schwimmenden Gerüst von dem im Ueberfluß vorhandenen Treibholz, Moos und dürren Gras umgaben, und sich dann, nachdem sie das eigenthümliche Fahrzeug vorsichtig in die Strömung hinausgeschoben hatten, auf den Boden desselben dicht neben einander niederlegten.

Vorläufig bot uns die Insel Sicherheit genug; es fehlte uns nicht an Lebensmitteln und brauchten wir uns daher nicht zu übereilen, unfern Aufenthaltsort mit einem andern zu vertauschen, auf welchem wir der Raublust der Indianer mehr ausgesetzt gewesen wären. Die Reise stromaufwärts wurde von allen Seiten einstimmig aufgegeben; der Hauptzweck war, wie ich schloß, durch das Zusammentreffen mit Halbert erreicht, und handelte es sich jetzt nur darum, in Sicherheit zu gelangen, wobei ich noch immer jedem feindlichen Zusammenstoß mit den Indianern vorzubeugen mich bestrebte.

Da Halbert's Eintreffen keine Aenderung in unserm frühern Uebereinkommen hervorrief, so entschied ich mich dafür, während des Tages nichts zu beginnen, wodurch unsere wahren Absichten hätten verrathen werden können, die Feinde dagegen sorgfältig im Auge zu behalten, fortzufahren Brennholz nach der Südspitze der Insel hinunter zu schaffen, und bei dieser Gelegenheit solche leichte Baumstämme noch besonders auszusuchen, wie zu den von mir vorgeschlagenen Zwecken geeignet erscheinen würden.

Es geschah, wie ich anordnete, und die Hälfte des Tages war noch nicht verstrichen, da lag nicht nur an der bezeichneten Stelle eine mehr als ausreichende Masse von Brennholz, sondern neben den ins Dickicht hineingezogenen Fahrzeugen waren auch so viel Stangen und schlanke Stämme angehäuft worden, daß man mittelst derselben beinah eine schmale Brücke nach dem nächsten Ufer hinüber hätte schlagen können. Außerdem hatte ich auch, in Ermangelung von Leinen, eine Anzahl geschmeidiger Weiden in Strickform zusammendrehen lassen, so daß es nur einer halben Stunde Zeit für uns bedurfte, den Wagenkasten und das Kanoe flott zu machen, beide Theile durch ein Gerüst brückenartig mit einander zu verbinden, Sachen, und Personen einzuschiffen und dann die Reise stromabwärts anzutreten.

Die Zeit des Aufbruchs zu bestimmen, behielt ich mir vor, denn da die Indianer, wie ich leicht entdeckte, einen Angriff, wahrscheinlich schon für die kommende Nacht vorbereiteten, so stand zu befürchten, daß ihr mit den besten und verwegensten Kriegern bemanntes Floß gerade in derselben Stunde bei der Insel eintraf, in welcher wir vielleicht im Begriff waren, dieselbe zu verlassen.

Mit Spannung und nicht frei von Besorgniß sahen wir daher dem Einbruch der Dunkelheit entgegen. Die Blackfeet verhielten sich ruhig, außer daß sie ämsig an ihrem Floß bauten, und wir wieder kochten und lebten in einer Weise, als wenn es für uns auf dem ganzen Erdball keine Indianer, und am allerwenigsten Feinde gegeben habe. Wie sie uns, so [] suchten wir die Wilden eben durch unsere Ruhe zu täuschen, und gerade dadurch den richtigen Zeitpunkt zum Handeln zu erspähen und uns vor allen Dingen nicht ungerüstet finden zu lassen. Die Blackfeet wären übrigens schlechte Indianer gewesen, hätten sie, nachdem ihnen die Kunde von Halbert's Eintreffen geworden, noch irgend welche Zweifel über unsere Absichten hegen wollen.

Räthselhaft und zugleich Besorgnis? erregend erschien es mir, daß sie bei ihrem Floß noch eine Anzahl von Blöcken zusammenschleppten, welche eine solche Form hatten, daß sie zum Bau des Fahrzeugs selbst kaum verwendet werden konnten. Sie waren zu kurz und zu schwer, um als Brustwehr gegen unsere Schüsse zu dienen. Ebenso entging mir nicht, daß das Floß selbst, um eine zum Angriff hinreichende Anzahl von Kriegern aufzunehmen, zu wenig umfangreich und mit zu wenig Sorgfalt zusammengefügt wurde.

Ich zog meine Schlüsse aus diesen Entdeckungen, hütete mich indessen, irgend Jemand etwas darüber mitzutheilen. Dagegen versäumte ich nicht, Allen noch einmal auf's Schärfst? einzuprägen, auf meine Stimme zu achten und im entscheidenden Augenblick, ohne den geringsten Zeitverlust und ohne auch nur einen Schritt nach eigener Willkür zu thun, meinen Anordnungen gewissenhaft nachzukommen.

Alle, selbst die vor Wuth auf alle Indianer halb wahnwitzige Negerin, begriffen, daß eben nur in der größten Besonnenheit und in der genauen Uebereinstimmung des Handelns unsere Rettung liege. Mit erleichtertem Herzen sah ich daher die Sonne sich dem Westen zuneigen und endlich den äußersten Rand der hochgelegenen Prairie berühren. Ich hegte eben die beruhigende Ueberzeugung, alles Mögliche gethan zu haben, das Unheil von uns abzuwenden; war uns aber dennoch ein verderbliches Loos beschieden, dann blieb mir, Angesichts eines traurigen Endschicksals, der tröstliche Gedanke, daß ein Wille gegen uns gewesen, gegen welchen anzukämpfen, die Kräfte Sterblicher übersteigt. –

Als die Sonne vor unfern Augen verschwand, mochte es wohl noch eine halbe Stunde bis zu ihrem wirklichen Untergange dauern. Ich zögerte daher nicht länger, sondern zündete selbst den Scheiterhaufen an und beauftragte die Negerin, darüber zu wachen, daß er ohne Unterlaß hoch emporflamme und in weitem Umkreise einen möglichst hellen Schein auf die eilenden Fluthen des Missouri werfe.

Halbert übertrug ich sodann das Commando über diesen Theil der Insel, und nachdem ich vor Aller Augen eine Anzahl kürzerer, sich zu Fackeln eignender Aeste mit dem einen Ende in die Gluth geschoben und deren Bestimmung erklärt hatte, wies ich den einzelnen Schützen, selbst der unerschrockenen Kate ihre Posten an, von welchen aus sie am bequemsten auf das voraussichtlich sehr dicht heranschießende und grell beleuchtete feindliche Floß feuern konnten.

Begleitet von dem fremden Jäger und von Schanhatta, begab ich mich darauf nach dem nördlichen Ende der Insel hinüber. Zu unserm Vortheil gereichte übrigens noch, daß Dalefield, außer seinen Büchsen, einige Doppelflinten bei sich führte, welche er und die Seinigen zur kleineren Jagd zu benutzen [] pflegten. Diese Flinten, mit starken Rehposten geladen, gewährten in der Dunkelheit einen sichereren Schuß, als die Büchsen, obwohl ich auch diese, zu der Kugel, noch mit einigen Rehposten zu laden dringend empfohlen hatte. Ich selbst hatte mich ebenfalls zu der Büchse noch mit einem dieser Gewehre bewaffnet, und war mithin Alles geschehen, den Indianern einen so warmen Empfang zu bereiten, daß fit nach dem Mißlingen des ersten Angriffs, nicht so bald wieder an eine Erneuerung desselben denken sollten.

Noch war die Dämmerung nicht vollständig in nächtliche Finsterniß übergegangen, als Alle ihre Posten einnahmen, und wenn die Negerin nicht jedes Stück Holz, welches sie auf den Scheiterhaufen warf, mit einem ganzen Schwall von lauten und eben nicht sehr gewählten Verwünschungen begleitet hatte, wäre es auf der kleinen Landscholle so still gewesen, wie in den Wohnungen der Todten.

Auch in das Lager der Blackfeet schien tiefe nächtliche Ruhe eingezogen zu sein. Niemand rührte sich daselbst; die kleinen Feuer glimmten nur noch ganz verstohlen und kämpften sichtbar um ihr kurzes Dasein, als ob diejenigen, welche dieselben während des Tages umschwärmten, sich längst zum Schlaf hingestreckt hätten.

Ich hatte wieder meine alte Stelle auf dem Treibholzriff eingenommen; vor mir, an einen Baumstamm gelehnt, stand die Doppelflinte; auf meinen Knieen ruhte meine Büchse. Schanhatta, deren scharfe Organe mir an diesem Abend mehr werth waren, als noch zwei Büchsen, saß neben mir, während Halbert's Jäger sich hart am Rande des Wassers, ungefähr zwanzig Schritte von mir entfernt, so auf den Boden hingestreckt hatte, daß seine Augen sich fast in gleicher Höhe mit dem Spiegel des Stromes befanden, er also um so weiter über die vor ihm sich ausdehnende Wasserfläche hinzuspähen vermochte. –

Eine Stunde verrann, ohne daß die tiefe Stille durch irgend ein verdächtiges Geräusch unterbrochen wor den wäre. Die Nacht war milde und lieblich, und kaum vermochte man sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß unter ihrem Schleier sich Menschen gegenseitig in wildem unbarmherzigen Kampfe zu vernichten trachteten. In unbeschreiblicher Pracht wölbte sich der Himmel über die weite Landschaft. Milliarden von funkelnden Gestirnen erhellten matt die oberen Luftschichten; nahe dem Erdboden dagegen war es dunkel, so dunkel, daß man auf geringe Entfernungen die äußeren Umrisse der verschiedenen Gegenstände nicht mehr genau mit den Augen verfolgen konnte.

Die Baumgruppen auf den Ufern erschienen näher, größer und massiger, und gar wunderlich waren die Figuren, welche sie mit ihren unregelmäßigen Außenlinien vor dem nächtlich geschmückten Hintergrunde bildeten: Hier glaubte man mächtige Elephanten zu erblicken, von denen einzelne ihre langen Rüssel grimmig aber regungslos emporhielten, dort wieder orientalische Minarets, welche, nach der einen Seite überhängend, jeden Augenblick umzufallen drohten. Weiter abwärts zeigten sich riesenhafte Berggeister aus »Tausend und eine Nacht«, welche sich verkörpert hatten, und neben diesen ragten wieder [] friedliche Heuschober und halb zerfallene Scheunen empor. Auch stattliche Dome mit runden Kuppeln schauten über die hohe, vielfach unterbrochene schwarze Waldmauer empor, und zackige Gerüste, welche hier an einen unvollendeten Bau, dort an eine Gauklerbude oder auch an einen unheimlich verzierten häßlichen Rabenstein erinnerten.

Wenn nur ein tüchtiger Windstoß dazwischen gefahren wäre, wie dann wohl die Elephanten ihre Rüssel und der Rabenstein seine Gerichteten geschüttelt und die Dome, die Minarets, die Windmühlen, die Häuser und die Heuschober geschwankt hätten! Doch die Luft blieb ruhig und regungslos, wie in einen tiefen Zauberschlaf versunken, verharrten die schwarzen bizarren Gebilde; furchtlos spielten um sie herum die muntern Johanniskäferchen, und diesen nach folgten, von deren Glanz geblendet, dickköpfige Nachtfalter und schlank gebaute Mücken, als ob sie zwischen dem grünen Laub ein allerliebstes Kindermärchen hätten aufführen wollen.

Oft aber auch täuschten sich diese kleinen Nachtwandler: sie erblickten den von unserm Scheiterhaufen emporgesendeten Funkenregen und den hellen Schein, der sich so wunderbar schon in den eilenden Fluthen spiegelte, und in der Meinung, daß dort die Heimath aller Johanniskäfer liege, die grell beleuchtete Negerin aber mit ihrer glimmenden Schürstange die Königin aller Glühwürmer sei, schossen sie lustig und guter Dinge in die hellen Flammen hinein, um in, nächsten Augenblick als feiner Aschenstaub eine Beute des ersten besten Lufthauches zu werden.

Auch zu den Steinen mochten die kleinen Thierchen sehnsüchtig emporschauen und zu den Meteoren, die so prächtige Feuerlinien zogen. Aber die Sterne waren so weit, so unendlich weit, daß selbst die Ahnungen eines Menschen sie nicht zu erreichen vermochten, und die Ahnungen und Hoffnungen der Menschen reichen doch schon so sehr weit; und gerade wie die Nachtfalter, die Mücken und die Käfer find auch die Menschen dazu geneigt, sich durch einen etwas helleren Schimmer verblenden zu lassen, um, wie jene, in ihrem ehrgeizigen Haschen nach Glanz, Pracht und Auszeichnung vor ihren Mitmenschen elend zu verderben. Und sich durch das Beispiel Anderer warnen zu lassen, das liegt nicht in der Natur ehrgeiziger Menschen, ebenso wenig wie in der Natur der dummen Nachtfalter und der leichtsinnigen Mücken und Motten, nur mit dem Unterschiede, daß während ersteren helle Schadenfreude nachfolgt, auf der Insel die kleinen Insekten freundlich zu Grabe gesungen wurden.

Und ein schöner melancholischer Gesang war es, welchen der Missouri unablässig, wenn auch nur gedämpft erschallen ließ. So heimlich rauschte es nah und fern, so behaglich plätscherten die kleinen Wellen gegen das sandige Ufer, so luftig spielten sie mit den zu ihnen niederhängenden grünen Zweigen und so un willig murmelnd drängten sie sich zwischen den Zacken des Holzriffs hindurch, daß es nur eines geringen Grades von Phantasie bedurfte, um in dem Rauschen, Plätschern und Murmeln Worte zu erkennen, welche in lauter schöne neue Lieder zusammenzustellen für einen Dichter ein Leichtes gewesen wäre.

Dann krachte es auch zuweilen auf seiner Oberfläche, [] als ob er nach Absingung eines Verses einen Punkt und Gedankenstrich habe hinzufügen und dadurch einen Absatz in seinem Liede andeuten wollen. Das Krachen aber entstand dadurch, daß er zwei Treibholzstücke mit minderer oder größerer Heftigkeit, zusammenführte, um sie, eins in des anderen Gesellschaft, eine kurze Strecke zurücklegen zu lassen. Und wenn es so trachte, dann blickte ich noch schärfer auf den beweglichen Wasserspiegel hin, auf welchem ein Holzblock dem andern nachfolgte, bald eilfertig auf der Westseite der Insel, bald mit langsameren Bewegungen auf der Ostseite sich vorbeischiebend. Die auf grauer Fluth schwimmenden schwarzen Punkte hatten so viel Aehnlichkeit mit menschlichen Köpfen und Schultern, daß ich mehr als einmal meine Büchse fester umspannte, um von einem auf diese Weise listig heranschleichenden Feinde nicht überrascht zu werden.

Doch Alles blieb ruhig. Blöcke, Stämme und Aeste trieben vorüber, ohne mehr Leben zu vorrathen, wie gewöhnlich ein von der Strömung umhergewirbeltes Stück Holz zu zeigen pflegt. Nur fiel mir auf, daß dieselben schneller aufeinander folgten, als während des Tages und wie man bei dem ziemlich niedrigen Stande des Stromes eigentlich erwarten konnte.

So waren die ersten Stunden der Nacht in einer steten Spannung hingegangen, und fast begann ich zu bereuen, nicht zur sofortigen Flucht von der Insel gerathen zu haben, als Schanhatta ihre Hand leise auf meinen Arm legte und kaum vernehmbar lispelnd mich zum Lauschen aufforderte.

Was ihren Argwohn erregte, hatte ich indessen bereits vernommen. Es drang nämlich aus der Richtung, in welcher das feindliche Floß lag, ein Geräusch zu uns herüber, als wenn verschiedene Holztheile scharf, jedoch mit vieler Vorsicht auf einander gerieben würden.

Es unterlag keinem Zweifel, die Blackfeet bereiteten sich zum Angriff vor und schoben mit vereinigten Kräften ihr Floß behutsam nach der Stelle hin, von welcher aus die Strömung es nach der Insel hinüberführen mußte.

Nach dieser Entdeckung sendete ich Schanhatta noch einmal schnell bei Allen herum, um mich von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen und sie zugleich davon in Kenntniß zu setzen, daß die entscheidende Stunde geschlagen habe.

Eh' fünf Minuten verflossen waren, befand Schanhatta sich wieder an meiner Seite, um sich mit mir in die Überwachung der feindlichen Zurüstung zu theilen.

Alles war still, selbst die Negerin hatte den Ernst des Augenblicks begriffen und mäßigte ihre sonst nicht sehr fügsame Zunge so, daß außer dem Knistern des Feuers kaum noch ein anderer Laut auf der Insel hörbar war.

Schanhatta drückte meinen Arm fester; ich verstand, was sie sagen wollte; sie hatte bemerkt, daß eine umfangreiche schwarze Masse sich von den Uferschatten trennte und von der Strömung mit großer Schnelligkeit auf die Südspitze, der Insel zugetragen wurde. Ich erkannte das indianisch? Floß leicht an der von ihm innegehaltenen Richtung, und das Herz zog sich mir krampfhaft zusammen, als ich bedachte, daß ein Kampf nunmehr unvermeidlich sei und ich [] zum ersten Mal in die Nothwendigkeit versetzt werden würde, einem Mitmenschen das Leben, sein höchstes Gut, zu rauben. Doch nur einen Augenblick währte diese Anwandlung von Schwäche; im nächsten fühlte ich mich wieder so ruhig und entschlossen, als wäre ich mit dieser Art von blutigem Handwerk bereits seit vielen Jahren vertraut gewesen.

Das Floß hatte jetzt die Höhe der Insel erreicht und trieb in der Entfernung von kaum fünfzig Schritten von mir auf die südliche Verlängerung derselben zu, als Schanhatta mir plötzlich zuflüsterte: »Niemand zu sehen,« und dann vor mir vorübergleitend ihre Aufmerksamkeit wieder dem dunkeln Wasserspiegel zuwendete.

Auch ich bemerkte, daß die Masse des Floßes, obwohl umfangreich genug, doch nicht die Höhe zeigt?, welche von einer Anzahl menschlicher Gestalten unbedingt zu erwarten gewesen wäre, und die Gefahr von einer andern Seite vermuthend, lehnte ich mich, gleich Schanhatta, weiter nach vorn.

Anfänglich entdeckte ich nichts, nur eine Reihe von Treibholzstämmen löste sich in geringer Entfernung von der Insel auf, um wie gewöhnlich zu beiden Seiten derselben der Strömung nachzufolgen.

»Blackfeet,« flüsterte Schanhatta mir zu, auf die schwarzen Punkte deutend.

»Blackfeet,« antwortete ich ebenso heimlich, im dem ich mit der linken Hand das Doppelgewehr heranzog und es dem Mädchen darreichte.

»Bei Gott! hier kommen sie!« rief Halberes Jäger laut aus, und zugleich trachte sein Schuß über den Missouri hin und ein Indianer, der gerade vor ihm an's Ufer steigen wollte, sank tödtlich getroffen in die Fluthen zurück.

»Alle Hand bis auf zwei mit Fackeln hierher.'« schrie ich jetzt nach dem Feuer hinüber, an welchem das Floß links vorübergetrieben war, denn ich hatte bei dem Aufblitzen des Schusses einen flüchtigen Blick auf eine größere Anzahl indianischer Krieger erhascht, die alle durch Treibholzstücke, welche zugleich ihre Waffen trugen, theilweise unterstützt und gedeckt, im Begriff standen, sich um die Insel herum zu vertheilen, offenbar mit der wohl überlegten, hinterlistigen Absicht, nachdem sie festen Fuß gefaßt, sich von allen Seiten auf unsere Gesellschaft zu stürzen. Einzelne Arme streckten sich sogar schon nach den Zacken des Holzriffs aus, um an demselben emporzuklettern, genug, es waren ihrer so viele, daß ich mich scheute, einen Schuß abzugeben, aus Besorgniß, daß es mir bann um so weniger gelingen würde, sie bis zur Ankunft meiner Gefährten am weiteren Vordringen zu verhindern.

Auf den Schuß und den Fall des vordersten Kriegers schien das ganze Wasser lebendig geworden zu sein; und kaum hatte ich den übrigen Gefährten zugerufen, sich mir zuzugesellen, da erhob sich ringsum aus den Wellen ein so furchtbares Jauchzen und Heulen, daß mir jede Möglichkeit abgeschnitten wurde, noch weitere Anordnungen folgen zu lassen.

Augenscheinlich hatten die Blackfeet darauf gerechnet, das Riff und die nächste Umgebung desselben unbewacht zu finden, indem sie glaubten, durch den Scheinangriff des Flösses uns sämmtlich nach dem andern Ende hinübergelockt zu haben. Die Entdeckung, [] daß sie sich in ihren Erwartungen täuschten, rief daher keine geringe Verwirrung unter ihnen hervor. Konnten sie doch nicht wissen, ob nicht auf jedem Punkt, auf welchem sie an's Ufer zu steigen gedachten, ihnen die Mündung eines Gewehrs entgegenstarre, und zur Umkehr oder zum Ausweichen war es zu spät, weil die heftige Strömung sie mit jeder Sekunde trotz ihres Sträubens naher herantrieb.

Alles dieses halte ich mit Gedankenschnelligkeit bemerkt, ebenso errieth ich, daß die Blackfeet durch ihr wildes Geheul nicht nur uns einzuschüchtern hofften, sondern sich auch gegenseitig anfeuerten, nicht mitten in dem begonnenen Wert inne zu halten.

Ich stand noch immer auf meinem Posten und spähte im Kreise herum, ob sich hier oder dort eine der wilden, racheschnaubenden Gestalten über das Riff erheben würde. Und sie erhoben sich; aber nicht eine oder zwei, sondern eine schwarze Masse kletterte nach den verworrenen Baumstämmen hinauf, und entsetzlich gellte der wilde Kriegsruf von drei Seiten, während Dutzende von Fäusten, bewaffnet mit Messer und Beil, über dem dichten Haufen emportauchten.

»Zurück Mann! zurück, so lange ich noch im Stande bin den Weg für Euch offen zu halten,« schallte mir jetzt des Jägers Warnungsruf in die Ohren, und gleichzeitig schmetterte er mit seinem Gewehrkolben einen Indianer zu Boden, der eben hinter mich springen wollte.

Zeit war allerdings nicht mehr zu verlieren, denn nur noch wenig Schritte trennten mich von den nächsten Angreifern, die, hatten sie sich anstatt auf dem gerüstartigen Riff, auf ebenem Boden befunden, mich längst würden überwältigt haben.

Meine Aufgabe, sie so lange wie möglich aufzuhalten und sie nicht vor dem Eintreffen meiner Gefährten das nahe Gebüsch gewinnen und sich daselbst zum Verderben Aller zerstreuen zu lassen, war indessen erreicht; denn schon hörte ich Halbert's und Dalefield's Stimmen, die herbeistürmend mich beschworen, auszuharren.

Wenn nun meine geladene Büchse anfangs mit dazu beitrug, die Feinde noch immer etwas fern von mir zu halten, indem Keiner beim Angriff als erstes Opfer fallen wollte, so wurden auch sie durch das Geräusch der zu meinem Beistände herbeieilenden Männer, darüber belehrt, daß alle Vortheile, welche sie bereits errungen hatten, bei deren Ankunft wieder verloren gehen müßten. Mit wachsendem Grimm und einer wahren Todesverachtung stürmten sie daher auf mich ein, aber sie fanden mich auf meiner Hut.

Schnell zurückweichend, hob ich meine Büchse empor und fast ebenso schnell stürzte auch einer der vordersten Krieger von meiner Kugel getroffen zwischen die hohl liegenden Baumstämme hin. Dem Schuß folgte augenblicklich das eigenthümliche Wuthgeheul, und mich nunmehr unbewaffnet wähnend, verdoppelten sie ihre Anstrengungen, meiner und Schanhatta's habhaft zu werden.

Daß der Angriff ebensowohl der Mandanenwaise, wie mir galt, erklärte mir ein lauter Ausruf Schanhatta's, die beim Aufblitzen des Pulvers Blackbird erkannt hatte und ohne Zweifel auch von ihm erkannt worden war.

Doch die blinde Wuth, mit welcher die auf dem[] halbinselförmigen Riff gelandeten Krieger mich jetzt bedrängten, sollten sie theuer bezahlen. Ein Sprung brachte mich von dem Riff hinunter auf festen Boden, gleich darauf hatte ich das Doppelgewehr aus Schanhatta's Händen genommen, und ohne besonders zu zielen, feuerte ich beide Schüsse in den dichtesten Haufen hinein.

Wiederum stutzten die Angreifer, und gräßlich gesellte sich der Schmerzensschrei der Verwundeten zu dem Wuthgeheul der verschont Gebliebenen. Offenbar befremdete es sie, daß ich dreimal, ohne zu laden, geschossen hatte, woraus für diejenigen, welche in ihrem Leben noch kein Doppelgewehr gesehen hatten, der Glaube entsprang, daß ich im Stande sei, immerwährend und ohne abzusetzen auf sie zu feuern. Als sie sich aber wieder einigermaßen von ihrer Bestürzung erholt hatten und auf's Neue auf mich eindrangen, da war es zu spät für sie, sich noch in das Dickicht zu werfen, denn zwischen diesem und dem Riff erschienen vollen Lauf's, in der einen Hand die Büchse, in der andern flackernde Feuerbrände schwingend, Dalefield und die Seinigen.

Doch nur ein Schuß wurde noch auf die räuberischen Wilden abgefeuert, die beim Anblick einer größeren Anzahl wohlbewaffneter Männer blitzschnell über das Holzwerk hin auseinander stoben, und gleich darauf ertönte das Rauschen und Plätschern, mit welchem der Missouri die Fliehenden aufnahm.

Allein so eilig ihre Flucht auch war, hatten sie doch nicht verabsäumt, ihre Todten und Verwundeten mit in's Wasser hineinzuschleppen und sie dort ihrem Schicksal zu überlassen. Sie wollten deren Kopfhäute nicht preisgeben und leisteten sie mir dadurch insofern einen wesentlichen Dienst, als mir der Anblick derjenigen erspart blieb, gegen welche meine Hand den Todesstreich geführt hatte.

Sobald der letzte Blackfoot verschwunden war, forderte ich alle anwesenden Gefährten auf, sogleich nach beiden Seiten hin die Insel zu umkreisen und zu durchforschen, indem einestheils während des Kampfes eine Anzahl der Angreifer weiter unterhalb gelandet sein konnte, anderntheils aber auch zu befürchten war, daß die Zurückgeschlagenen, durch die erlittenen empfindlichen Verluste noch hartnäckiger gemacht, auf einer andern, für sie jetzt zugänglicheren Stelle einen neuen Versuch der Ueberrumpelung wagen würden.

Ich selbst blieb auf meinem Posten zurück, und nachdem ich Feuer an das Riff gelegt, daß die auflodernden Flammen den Missouri weithin erhellten, setzte ich mich auf einen Holzblock nieder, um die schrecklichen Scenen der letzten zehn Minuten noch einmal vor meinem Geiste vorüberziehen zu lassen.

Die Mandanenwaise hatte sich mir zu Füßen in's Gras gekauert; sie fragte mich schüchtern, ob ich unverletzt geblieben sei, und dann neigte sie, wie um zu schlafen, ihr Haupt auf ihre emporgezogenen Kniee. In dieser eigenthümlichen Stellung verharrte sie regungslos. Sie schlief indessen ebenso wenig, wie ich; sie ahnte, daß ich nicht mit den angenehmsten Gefühlen über die jüngsten Erlebnisse nachdachte, und versuchte, die stattgefundenen blutigen Vorgänge von demselben Standpunkte aus zu betrachten, wie sie sich vorstellte, daß ich es thue.

[] Achtes Capitel.
Das Lebewohl.

Nachdem nicht nur die Ufer, sondern auch das Innere der kleinen Insel auf das Sorgfältigste abgesucht und durchforscht worden waren, gesellten sich die Männer, einer nach dem andern zu mir.

Da die Indianer ohne Zweifel von der Strömung sehr weit fortgerissen worden waren, eh' es ihnen gelang, auf dem einen oder andern Ufer festen Fuß zu fassen, so mußten sie zu erschöpft und außerdem zu weit von einander zerstreut sein, um noch in dieser Nacht an einen erneuerten Angriff denken zu können. Ich rieth daher dringend, gerade die nächsten Stunden zur Reise stromabwärts zu benutzen und nicht so lange zu warten, bis unsere Feinde neue Kräfte gesammelt haben würden, um uns noch eine Strecke zu begleiten und vom Ufer aus durch ihre Büchsenkugeln zu gefährden.

Mit größter Bereitwilligkeit ging man auf meinen Vorschlag ein, und ohne dabei unsere Wachsamkeit zu verringern, begaben wir uns an's Werk, aus den uns zu Gebot stehenden Mitteln ein Fahrzeug zusammenzustellen, welches fest genug war, eine Reise sogar bis nach St. Joseph hinunter auszuhalten.

Es wurde nämlich zuerst der Wagenkasten in's Wasser geschoben, und demnächst rings um denselben herum von geeigneten Stämmen und Stangen ein leichtes Floß gebaut und so mit dem Kasten verbunden, daß dieser dadurch nicht nur einen stetigeren Gang erhielt, sondern auch nach keiner Seite hin umschlagen konnte. Das Kanoe wurde darauf ebenfalls durch an beiden Seiten ausgelegte Stangen sicherer für ungeübte Hände gemacht und dann vorn an den Wagenkasten befestigt.

Dasselbe sollte gewissermaßen die Stelle eines Schleppschiffes vertreten, weil von ihm aus allein die Ruder mit Erfolg in Anwendung gebracht werden konnten. Nach geeigneten Holzstücken brauchten wir nicht lange zu suchen, ein mehr als ausreichender Vorrath war im Laufe des Tages zur Hand gelegt worden; die Vorbereitungen erforderten daher kaum mehr als eine halbe Stunde Zeit, und Mitternacht war noch nicht lange vorüber, als alle Hände damit begannen, die geretteten Gegenstände so auf das floßartige Fahrzeug zu vertheilen, daß sie das Gleichgewicht nicht störten.

Meine eigenen Habseligkeiten hatte ich zur Seite gelegt; ich gab vor, sie erst im letzten Augenblick an Bord bringen zu wollen, und wies daher Schanhatta an, sich bei denselben niederzusetzen.

Wahrend nun die Leute, selbst der alte Dalefield und Halbert, damit beschäftigt waren, das seltsame Fahrzeug durch zweckmäßiges Aufstapeln der Sachen und zusammengeschnürten Bündel so bequem wie möglich herzurichten, trat ich noch einmal zu Kate heran, welcher mich zu nähern ich den Tag über wenn auch nicht vermieden, doch wenigstens nicht gesucht hatte.

Sie stand etwas abseits, so daß sie die arbeitenden Leute nicht in ihren Bewegungen hinderte, doch traf auch sie ein matter Schein des nahen Feuers, welches die Negerin noch immer gewissenhaft unterhielt und schürte.

[] Als Kate meine Absicht, zu ihr sprechen zu wollen, erkannte, bot sie mir mit ernster, dafür aber um so wohlthuenderer Freundlichkeit die Hand.

»Ich glaubte bereits, Ihr zürntet mir,« sagte sie theilnahmvoll, und ich fühlte, daß ihre Hand leise in der meinigen zitterte; »allein ich sehe es ein, Ihr waret zu beschäftigt, um mir nach alter Weise Eure Aufmerksamkeit zuwenden zu können. Ihr hättet aber immerhin unsere Aeußerungen einer tiefgefühlten Dankbarkeit nicht so harsch zurückzuweisen brauchen; glaubt mir, es schmerzt« –

»Lassen wir das, Miß Kate,« unterbrach ich sie, indem ich sie einige Schritte weiter in den Schatten führte, wo unsere Worte keine andern Ohren erreich ten, »Danksagungen berühren oft schmerzlich, namentlich aber, wenn man sich bewußt ist, nur nothdürftig die gebotenen Pflichten der Menschlichkeit erfüllt zu haben. Lassen wir also jede Erinnerung an etwaige geleisteten Dienste ruhen. Die Zeit drängt, in wenigen Minuten müssen wir von einander scheiden, ich wollte daher nur Abschied von Euch nehmen« –

»Scheiden? Abschied nehmen?« fragte Kate erschreckt, indem sie abermals meine Hand ergriff, wie um mich an der Ausführung meines Entschlusses zu hindern, »nein, nein, Ihr könnt nicht so grausam sein, hätte es doch fast den Anschein, als beabsichtigtet Ihr, uns entgelten zu lassen, daß ich – daß ich« –

»Nichts liegt mir ferner, als ein derartiger unedler Gedanke, meine liebe Freundin und Schwester,« fuhr ich fort, als sie in ihrer Rede stockte, »nein, gewiß nicht. Aber wir müssen scheiden, um meiner selbst willen, um Euretwillen; Ihr, um in Eure glückliche Heimath zurückzukehren, ich, um hier zu bleiben, weil es für mich keine andere Heimath mehr giebt, als diese Wildniß.«

»O, sprecht nicht in dieser harten Weise,« versetzte Kate, und ihre Stimme bebte, als ob sie, das sonst stets lachende heitere Kind, gegen eine heftige schmerzliche Erregung angekämpft hatte, »nein, wir Alle werden zu verhindern suchen, daß Ihr auf dieser Insel zurückbleibt, wie Ihr, nach Euren Worten zu schließen, beabsichtigt. Es hieße, Euch einem sichern Tode preisgeben; o, denkt an mich! würde ich eine ruhige Stunde haben, müßte ich mir sagen, daß ich die Schuld an Eurem frühzeitigen schrecklichen Ende trüge? Es wäre entsetzlich, es hieße mein ganzes Leben verbittern; gebt daher Eure Pläne auf und begleitet uns dahin, wohin Ihr eigentlich vermöge Eurer geistigen Bildung gehört, und wo Ihr von treuen Freunden mit offenen Annen empfangen werdet, von Freunden, die es als ein Glück betrachten, Euch zu jedem Euch angemessen erscheinenden Unternehmen ihren Beistand anbieten zu dürfen.«

»Und das muthet Ihr mir zu? Ihr, Miß Kate, die Ihr nicht nur meine ganze Lebensgeschichte kennt, sondern der auch meine Gemüthsstimmung kein Geheimniß sein kann? Ich soll mir Wohlthaten erweisen lassen, und dazu noch von Jemand, bei dem sich zu allen freundlichen Gefühlen das Mitleid in den Vordergrund drängen würde? Nein, Miß Kate, meine Heimath ist und bleibt die Wildniß; mein Entschluß steht unerschütterlich fest, selbst Eure lieben Worte, die mich so wohlthuend, so tröstend berühren, [] vermögen nicht, meinen Entschluß wankend zu machen.«

Kate hatte das Haupt auf die Brust geneigt; ich glaube sie weinte, doch hatte sie es, meiner fast strengen Versicherung gegenüber; aufgegeben, mich noch fernerhin von meinem Vorsatz abbringen zu wollen.

»Ihr habt es errathen, meine theure, unvergeßliche Freundin,« hob ich nach einer kurzen Pause wieder an, »ich bleibe auf dieser Insel, um von hier aus meinen alten unsteten Beruf wieder aufzunehmen. Gefahr für mein Leben ist nicht vorhanden; drohte mir unmittelbare Gefahr, so würde ich es für unverantwortlich halten, derselben Trotz zu bieten. Die Abfahrt des Floßes mit einer vollen Ladung kann den wachsamen Späheraugen der Blackfeet nicht entgehen. Sie werden eher Alles vermuthen, als daß noch ein einzelner Mann es wagen würde, auch nur eine Stunde langer, wie unumgänglich nothwendig, im Bereich ihrer Rache zu verweilen. Und wüßten sie es, so würden sie kaum, auf die Gefahr hin, noch einige aus ihrer Mitte zu verlieren, nach dieser Insel übersetzen, wo nicht einmal Beute sie für ihre Mühe und ihren Verlust entschädigte. Und dann, meine liebe Freundin, stehen dem einzelnen Jäger viel bedeutendere Hülfsmittel zu Gebote, als einer größeren und deshalb schwerfälliger reisenden Gesellschaft. Beruhigt Euch also über mein Loos und seid versichert, daß ich mich auf dieser Insel sicherer befinde, als auf einem der beiden Stromesufer. Und ferner, Miß Kate,« fügte ich mit heiterem Ausdruck hinzu, »muß ich ja versuchen, eins oder zwei meiner Pferde zurückzuerbeuten.«

»Thut es nicht, o, thut es nicht,« flehte Kate, ihr gutes, durch die Dunkelheit aber verschleiertes Antlitz wieder zu mir emporhebend, »laßt die Pferde, Ihr habt sie durch unsere Schuld verloren, mein Vater ist reich – «

»Nichts weitet davon, liebe Miß Kate,« unter brach ich das eifernde Mädchen, »die Verluste, die mich betroffen haben, vermag ich auch zu ertragen, theilt dies den Eurigen mit, damit sie nicht durch wohlgemeinte, aber unzeitige Anerbietungen mir den Abschied von Euch noch mehr verbittern. Die Büchse Eures Vaters werde ich als theures Andenken behalten, es ist ein gutes Gewehr und wird mir daß meine mehr als ersetzen. Ich behalte es, weil ich ohne Büchse in der Wildniß nicht bestehen kann. Was nun meine übrigen Verluste betrifft, so sind dieselben nicht unersetzlich.«

»Aber Schanhatta? was soll aus Schanhatta werden?« fragte Kate mit einer Besorgniß, welche ein schönes Zeugniß für ihre edle Denkungsweise ablegte.

»Gerade Schanhatta's Zukunft ist es, derentwegen ich mit Euch zu sprechen wünschte,« entgegnete ich, »eigentlich wollte ich sie noch einige Zeit bei mir behalten, um sie später selbst auf der Mission einzuführen, allein Umstände ändern die Sache; es ist auch vielleicht besser so. Unter den jetzigen Verhältnissen kann ich als rechtschaffener Mann nicht von ihr fordern, noch länger bei mir zu bleiben, denn obwohl an Beschwerden und Entbehrungen gewöhnt, ist sie doch zu schwach und zart, um mich, so lange [] ich keine Pferde besitze, auf meinen mühevollen Wanderungen zu begleiten, und eine günstigere Gelegenheit, die arme Waise in eine angemessene Schule zu bringen, dürfte sich sobald nicht wieder bieten.«

»Ueberlaßt uns das Mädchen,« versetzte Kate mit Wärme, »gestattet uns, fernerhin für Schanhatta zu sorgen, und wenn es uns gelingt, ihr ein glückliches Loos zu bereiten, ihre Zukunft ganz in Eurem Sinn und nach Euren Plänen zu gestalten, so soll das nur ein schwacher Beweis der Dankbarkeit sein, welche wir Alle dem treuen und muthigen Kinde schulden.«

»Ich danke Euch in meinem und Schanhatta's Namen für Eure Güte und Theilnahme,« erwiderte ich, durch Kate's Vorschlag sanft berührt, »doch verzeiht mir, wenn ich nicht auf denselben eingehe. Ich habe mich an die Waise, welche mir die Vorsehung gleichsam selbst zuführte, zu sehr gewöhnt, habe sie im Laufe der Zeit, zu lieb gewonnen, um mich leicht mit dem Gedanken vertraut zu machen, mich gänzlich von ihr zu trennen, das letzte Band, welches mich an sie fesselt, zu durchschneiden. Ich muß Jemand haben, für den ich lebe, sorge und schaffe, oder mein Dasein erscheint mir zwecklos. Später vielleicht, wenn sie auf der Mission eine gewisse Vorbildung erhalten hat, mögt Ihr sie zu Euch nehmen und ihr das angedeihen lassen, was sie dazu befähigt, der Mittelpunkt und die Zierde einer glücklichen Familie zu werden. Sollte mich aber auf meinen einsamen Wanderungen ein frühzeitiges Ende ereilen – wir Menschen sind ja alle sterblich – dann Miß Kate, ja dann betrachtet die Mandanenwaise als ein heiliges Vermächtniß von Jemand, der bis zu seinem letzten Athemzuge Eurer in Liebe gedachte, und der Euch gerade dadurch einen Beweis seiner Anhänglichkeit, seines Vertrauens zu geben meinte, daß er die Sorge für ein liebes, von der Natur in so hohem Grade bevorzugtes und deshalb für ein besseres Loos bestimmtes Wesen an Euch abtrat.«

»Ich verspreche es, ich verspreche es bei Meiner innigen Freundschaft für Schanhatta, bei meiner aufrichtigen schwesterlichen Liebe zu Euch,« flüsterte Kate tonlos.

»Wohlan denn, Miß Kate, man wird gleich zum Aufbruch bereit sein, und nur noch wenige Worte bleiben mir hinzuzufügen. Euer Versprechen entfernt eine große Last von meinem Herzen und ruhiger sehe ich Schanhatta von mir scheiden. Nehmt sie also mit Euch, bringt sie auf die Mission, deren Lage ich Euch bereits beschrieb; Ihr könnt nicht irren, denn es giebt in jener Gegend nur eine Mission. Grüßt den Missionär und seine Gattin auf's Herzlichste von mir, theilt ihnen über Schanhatta Alles mit, was Ihr wißt. Sie wirb daselbst eine überaus liebevolle Aufnahme finden, und wenn auch Ihr Euch von ihr trennt, dann wiederholt ihr mein Versprechen, daß ich im Spätherbst auf der Mission einkehren würde, um mich von ihrem Wohlergehen und ihren Fortschritten zu überzeugen. Einige hundert Dollars, mein geringes Ersparniß, befinden sich in den Händen des Missionärs; freilich nur eine kleine Summe, doch wird sie vorläufig ausreichen, die nöthigen Auslagen für meinen Schützling zu bestreiten.«

Ein Schuß krachte vom Ufer herüber, und wie [] um uns zur Eile zu machen, pfiff die Kugel hoch über uns hin. Die Blackfeet hatten unsere Verletzrungen entdeckt, und da der breite Flußarm uns von einander trennte, so versuchten sie, uns wenigstens durch ihre Büchsen nach besten Kräften zu belästigen.

Kate erschrak, und zugleich vernahm sie ihres Vaters und Halbert's Stimmen, die nach ihr riefen und sie aufforderten, sich auf den eigens für sie hergerichteten Platz zu begeben.

»Ich komme gleich,« antwortete Kate mit erzwungener Ruhe, »laßt nur Alle vorausgehen, ich will die Letzte sein, welche die Insel verläßt!«

Daran gewöhnt, daß Kate stets nach ihrem eigenen Willen handelte, befahl Dalefield seinen Leuten, welchen sich nunmehr auch die Schildwachen zugesellt hatten, die ihnen angewiesenen Posten einzunehmen, und während dieser Zeit fand ich Gelegenheit meine letzten Worte an Kate zu richten.

Halbert war so nahe bei uns, daß er uns fast verstehen konnte. Er hatte sich indessen abgewendet und wartete ohne ein Zeichen von Ungeduld darauf, daß Kate die Unterhaltung abbrechen würde. Ich fühlte, er wußte um mein Geheimniß und wollte mir den Genuß des Gesprächs mit seiner Geliebten nicht verkürzen.

»Nun noch eine letzte Bitte, Miß Kate,« begann ich, unbekümmert darum, daß eine zweite Kugel über uns hinsauste; »seid mir behülflich, den Abschied zu erleichtern; ruft Schanhatta zu Euch an Bord, thut nicht, als ob Ihr um meinen Entschluß wüßtet, auch zu Halbert oder Eurem Vater sprecht nicht davon. Ich weide im letzten Augenblick das Fahrzeug vom Ufer aus abstoßen, anstatt aber hinaufzuspringen, mich schnell in das Gebüsch zurückziehen. Und nun lebt wohl, Gott segne Euch, meine liebe, einzige, unvergeßliche Schwester,« fuhr ich leiser fort, vor verhaltenem Weh kaum noch fähig meinen Gedanken Worte zu verleihen; »laßt mich Eure liebe Hand noch einmal verstohlen drücken, denn Schanhatta's scharfe Augen sind auf mich gerichtet; lebt wohl, gedenkt meiner freundlich, verzeiht mir und nehmt meinen innigsten Dank für die trostreichen Worte, welche ich von Euren Lippen vernommen habe; lebt wohl.«

Abermals krachte ein Schuß von dem Ufer zu uns herüber.

»Alle an Bord!« rief Dalefield dringend, und gleichzeitig wendete Halbert sich nach uns um. Ob er uns sah, weiß ich nicht, aber er blieb auf derselben Stelle stehen.

»Kate, Mr. Wandel, Schanhatta, ich glaube, wir haben keine Zeit zu verlieren,« sagte er mit wohlwollendem Ernst.

»Segne Dich Gott, mein lieber, theurer Bruder,« flüsterte Kate unter Schluchzen, »mag Gott Dir vergelten, was Du an uns gethan, und vergieb mir den Kummer, welchen ich, ohne es zu wollen. Dir verursachte; lebe wohl – auf Wiedersehen.«

Bei diesen Worten umschlang sie meinen Hals und zugleich berührten ihre Lippen flüchtig die meinigen.

O, dieser Augenblick, er war so unendlich süß, und auch doch wieder so bitter, daß ich am liebsten gestorben wäre, um die ungeschwächte Erinnerung an denselben mit mir in's Jenseit hinüber zu nehmen. Mir war, als ob ein Hauch aus den himmlischen [] Höhen, aus den Wohnungen der Seligen mich berührt, als ob meine entschlafene Johanna mir die Hand auf's Herz gelegt habe, um es auf's Neue zu erwärmen, neue Liebe zum Leben und allen Menschen in demselben wach zu rufen.

Als ich mich von der Erschütterung erholt hatte, führte Halbert seine Geliebte vorsichtig nach dem Floß hinauf und demnächst zu ihrem Sitz.

Außer Schanhatta und mir befanden sich nunmehr Alle an Nord und schon begannen die Leute die Leine zu lösen, welche das Fahrzeug noch am Ufer hielt, und sich mit ihren Rudern in dem Kanoe zum Abstoßen bereit aufzustellen.

Noch einmal trat ich dicht an die das Ufer berührenden Floßhölzer heran. Die Mandanenwaise stand an meiner Seite; sie trug ein großes Packet unter dem Arm, und leicht entdeckte ich, daß es nicht nur ihre Sachen, sondern auch ein Theil der meinigen waren, welche sie in der Eile mit zusammengerafft hatte. Meine Blicke streiften ihr Antlitz, welches die nahen Flammen über das niedrige Buschwerk hinweg grell beleuchteten; ihre Augen hielt sie mit dem Ausdruck der Seelenangst und bittern Vorwurfs auf mich geheftet, so daß ich, um meine Gefühle nicht zu verrathen, mich abwenden mußte. Ich wollte sie nach dem Floß hinaufschicken, aber die Worte erstarben mir auf der Zunge, ich konnte nicht.

»Schanhatta, komm meine liebe Schwester,« rief Kate jetzt aus, »komm, es ist noch Platz an meiner Seite!«

»Will mein Gebieter mir nicht voranschreiten?« fragte Schanhatta leise und ausdrucksvoll, als ob sie Kate's Worte nicht vernommen hätte.

Zwei Kugeln, begleitet von durchdringendem Wuthgeheul, schlugen eine kurze Strecke von uns auf's Wasser und Pfiffen dann unheimlich über uns fort.

»Vorwärts, Kinder, vorwärts!« bat Dalefield in seiner Besorgniß um die Seinigen, »vorwärts, oder wir haben zu gewärtigen, daß noch einige von uns erschossen werden, eh' wir die Insel verlassen haben.«

»Schanhatta, geh' hinauf, ich will nur noch, das Fahrzeug abstoßen,« befahl ich mit ernster Stimme, jedoch mit blutendem Heizen.

»Ich will meinem Gebieter helfen,« lautete die bestimmte und von einer wilden Verzweiflung eingegebene Antwort, »ich fürchte mich, allein zu gehen; ich fürchte, mein Gebieter könnte das Holz verfehlen und wäre dann gezwungen zurückzubleiben.«

Abermals ließ sich der scharfe Knall einer Büchse vom Ufer her vernehmen und fast in demselben Augenblick empfand ich ein kurzes Zucken in meinem rechten Knie.

Ich war verwundet, die Kugel hatte mich gestreift, und zwar scharf und edle Theile verletzend, denn ich fühlte, daß eine vorübergehende Schwäche meinen Körper durchrieselte; doch ich verbiß den leichten Schmerz, denn lieber hätte ich meine Brust allen feindlichen Geschossen zur Zielscheibe dargeboten, eh' ich mich dazu entschlossen hätte, als der Gegenstand des allgemeinen Mitleids, in Kate's und Halbert's Gesellschaft zu reisen. Mein ganzes Innere sträubte sich gegen einen solchen Gedanken, und Alles, was ich in diesem Augenblick wünschte und hoffte, [] war, daß das Floß erst flott und außer Sicht getrieben sein möge.

»Schanhatta, mein Kind, thue was ich Dir geboten habe, gehe hinauf,« sagte ich jetzt noch ernster, der jungen Indianerin Hand ergreifend und heftig drückend. »Gehe hinauf, oder Deine Schuld ist es, wenn Jemand verwundet wird!«

Rathlos schaute die Waise noch einmal nach dem Boot hinüber, von welchem aus Kate sie mit süßen Schmeichelworten bat, meinen Befehlen Folge zu leisten, und dann ihr Bündel von sich werfend stürzte sie mir zu Füßen. Ihre Augen blieben thränenleer, auf ihrem Antlitz dagegen war ein tiefer Schmerz, eine so wilde Verzweiflung ausgeprägt, wie ich noch nie in meinem Leben an irgend einem Menschen wahrgenommen hatte.

»Tödte mich,« sagte sie leise, fast flüsternd und mit einem unbeschreiblich flehenden Ausdruck, »tödte mich, aber schicke mich nicht von Dir. Schicke mich fort und ich sterbe. Laß mich lieber zu Deinen Füßen sterben. Willst Du absichtlich in den Tod gehen, so sage es, und ich begleite Dich, nur verstoße mich nicht. Du hast ein Messer, nimm es und tödte mich, anstatt zu sagen, ich soll nicht bei Dir leben, Dir nicht dienen!«

Nur wenige Sekunden dauerte diese Scene, allein diese Sekunden entschieden über viel. Tief ergriffen blickte ich zu Schanhatta nieder; aus ihren Augen sprachen nicht kindliche Dankbarkeit und Anhänglichkeit, sondern die hingebende, opferwillige Liebe des Weibes, die Liebe, die keine Schranken, keine Grenzen kennt und weit über dieses Leben hinausreicht, weit, weit hinaus, bis in die Ewigkeit. –

»Gott im Himmel, solltest Du mir dennoch ein irdisches Glück beschieden haben?« hallte es in meinem überströmenden Herzen.

»Wenn Euch an meinem und Schanhatta's Leben gelegen ist, so richtet keine Frage mehr an uns; jeder weitere Verkehr hieße: uns an unsere scharfsinnigen Feinde verrathen,« rief ich darauf kurz entschlossen den auf dem Fahrzeug Versammelten zu, die starr vor Erstaunen zu mir herüberschauten, »Miß Kate weiß Alles, sie wird Euch jede Aufklärung ertheilen können. Gott geleite Euch glücklich an Euer Ziel.«

Neue Schüsse trachten auf dem Ufer, neue Kugeln pfiffen in unserer Nähe vorüber und wilder und grimmiger erschallte zwischendurch das indianische Geheul, indem die zerstreuten Krieger wieder bei ihren Gefährten eintrafen.

Schnell bückte ich mich nieder, mit aller Kraft stemmte ich mich gegen das Floß und in der nächsten Minute waren Boot, Floß und Leute weit abwärts in der Dunkelheit verschwunden.

Die Schüsse wiederholten sich noch eine Zeitlang auf dem Ufer in gleicher Höhe mit den von der Strömung eiligst davongetragenen Flüchtlingen und dann wurde es still. Ich aber schlich langsam und schwer gestützt auf Schanhatta und meine Büchse dem verborgensten Winkel der Insel zu.

Niedriger brannten die Feuer auf der Sudspitze und zwischen den Treibholzstämmen. Um mich her war es dunkel; Schanhatta saß neben mir, mit frischem Missouriwasser meine Wunde – – –

* * *

[] Hier schloß das Manuscript.

Als ich es zum ersten Mal durchgelesen hatte, dachte ich daran, einen neuen Raubversuch auf des weisen Doctors Wakitamone Medicinränzel zu unternehmen, um wenigstens das eine Blatt noch, mit welchem ich das nachgemachte Amulet umwickelt hatte, zu erbeuten, doch was konnte auf dem Quartblatt enthalten sein? Der Schluß der Geschichte gewiß nicht, denn so weit sich deren Verlauf übersehen ließ, hätte noch mancher Bogen dazu gehört, um des deutschen Studenten Erlebnisse auch nur bis dahin zu schildern, wo er verwundet in seiner Winterhütte lag und sich mit der Ausarbeitung seines Manuscriptes beschäftigte.

»Wodurch war er in seiner Arbeit unterbrochen worden? Auf welche Weise war das Manuscript, auf welches er einst so hohen Werth legte, in Wakitamone's Hände gefallen, und zwar zusammen mit dem Skalp, welcher sich durch die weiße Locke als der des grausamen und hinterlistigen Blackbird gar nicht verkennen ließ? Wo hatte der Schreiber selbst sein Ende gefunden? Was war aus Schanhatta, der lieblichen Blume der Wildniß geworden? Wo war Kate, die holde Kate mit dem lachenden Antlitz und dem warmen Herzen geblieben?«

Das waren die Fragen, die sich mir jedesmal entgegenstellten, so oft ich in dem vergilbten Manuscript blätterte, und bald diese bald jene Stelle, welche mir vorzugsweise beachtenswerth erschien, noch einmal durchlas.

Und leere Neugierde trieb mich nicht zu solchen Fragen, nein, gewiß nicht; andere, tiefer liegende Gründe waren es welche meine so ernste Theilnahme für den muthmaßlich Verschollenen und sein Geschick wachgerufen hatten.

In dem ersten Theil seines Manuscriptes war ja das Land so genau beschrieben, in welchem ich selbst meine glückliche Jugendzeit verlebte, standen ja so manche Namen, die mir seit meinen Kinderjahren unvergeßlich geblieben, war ja sogar das Haus erwähnt, in welchem ich nur des Lebens allerheiterste Seiten kennen lernte. Was war also natürlicher, als daß ich das lebhafteste Verlangen trug, mehr über den zu erfahren, der gleich mir den lieben Vater Rhein den ersten Gespielen seiner Jugend nannte, und gleich mir, wenn auch aus anderen Ursachen, nach dem fernen wilden Westen verschlagen wurde.

»Aber ist er denn auch verschollen?« fragte ich mich zuweilen, wenn meine Blicke auf den regelmäßigen Schriftzügen hafteten und ich mir die Zeit zu vergegenwärtigen suchte, in welcher eine lebenswarme Hand auf dem vor mir liegenden Papier ruhte, und die Feder mit leisem Knistern die Gedanken niederschrieb, welche aus einem, ernst und sinnend über den als Tisch dienenden Felsblock geneigten Haupte entsprangen, während die großen melancholischen Augen der Mandanenwaise bald die zwischen ihren zierlichen, Fingern befindliche Arbeit, bald den Verfasser der Schrift bewachten und aus seinem Anblick ein ganz anderes Leben, einen ganz anderen Begriff von der Bestimmung des Weibes gleichsam einsogen.

»Ist er denn auch verschollen?« fragte ich mich, und fast unwillkürlich begann ich zu rechnen, und die[] Jahre, so weit ich klar zu denken vermochte, vor meinem Geiste vorüberrollen zu lassen:

Im Frühling des Jahres 1833 betheiligte er sich an der Frankfurter Bewegung. Im Herbst desselben Jahres entfloh er nach Amerika, und im Jahre 1839, als er sein Zusammentreffen mit der Familie Dalefield beschrieb, konnte er das dreißigste Jahr kaum erreicht haben. Jetzt schreiben wir 1852; er wäre also höchstens erst dreiundvierzig Jahre alt. Aber das Manuscript, das Manuscript, es ist nicht leicht denkbar, daß er es gutwillig aufgegeben haben würde. Vielleicht vermag Wakitamone mir darüber Aufschluß zu verschaffen.

Also hin zu meinem alten Gastfreunde, und auf die Gefahr, von der Tochter tüchtig ausgezankt, und von dem Herrn Vater aus dem Wigwam hinauskomplimentirt zu werden, einen Angriff auf den so merkwürdig gezeichneten Skalp gewagt.

Warukscha empfing mich mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit, indem sie mir zum Beweise ihrer Hochachtung sogleich einen gesottenen Biberschwanz mit gestampften Maiskörnern vorsetzte. Doktor Wakitamone streckte mir seine biedere Rechte entgegen und fragte sehr herablassend, ob ich den Sioux's, und wenn nicht den Sioux's, so doch irgend einem Andern Pferde gestohlen habe, um ihm seine Töchter ablaufen und damit in die Rechte seines sehr lieben Schwiegersohnes eintreten zu können. Ich dagegen gab nach besten Kräften zu verstehen, daß ich einen wunderschönen Traum gehabt habe, und in Folge dessen zum Pferdestehlen seines Amuletts, des gekennzeichneten Skalpes bedürfe.

Wakitamone holte sein Medicinränzel herbei und löste Blackbird's Skalp von demselben ab, und das Herz lachte mir förmlich vor Freude darüber, daß diese Naturmerkwürdigkeit nunmehr in meinen Besitz übergehen sollte.

Doch ich täuschte mich. Mein edler Gastfreund wollte mit seiner Trophäe nur etwas liebäugeln und mir deren besondere Vorzüge anschaulich machen; denn nachdem er dieselbe mit wahrhaft rührender Liebe an seine wunderbar schön roth gefärbten Wangen gelegt – eine zärtlichere Art zu liebkosen kennen die Indianer im Allgemeinen noch nicht – hielt er sie in Armeslänge von sich ab, um das Licht mit den wohlgeordneten zweifarbigen Haaren spielen zu lassen und mir das ebenfalls sehr geschmackvoll angestrichene Innere der weich gegerbten Kopfhaut zu zeigen.

Seine Augen leuchteten dabei vor Stolz und Freude, und eine Anrede hielt er an mich, die ich zwar nicht verstand, deren Sinn aber ohne Zweifel war, daß er sich von dem theuren Andenken nicht trennen würde, und wenn alle seine Töchter deshalb unverheirathet bleiben sollten.

Gegen einen so entschieden ausgesprochenen Willen ließ sich allerdings nicht ankämpfen. Die Hoffnung auf den Besitz von Blackbird's Skalp gab ich daher sogleich auf, doch schied ich nicht eher von Wakitamone, um zu den Omahas zurückzukehren, bis ich über die merkwürdige Siegestrophäe alle diejenige Auskunft erhalten hatte, welche mein alter Gastfreund mir zu ertheilen im Stande war.

Aus diesen Nachrichten ging hervor, daß Wakitamone den Blackfoot-Häuptling, nachdem er von [] demselben einen klaffenden Schnitt über die Brust empfangen, eigenhändig mit feiner Lanze aufgespießt habe, und zwar nicht nur einmal und nachdrücklich, sondern so oft, daß der arme Blackbird, nachdem er zum Ueberfluß auch noch seinen stattlichen Skalp verloren, mehr einem Sieb, oder – um mich in Wakitamone's Sinn auszudrücken – einem abgetragenen Mokassin ähnlich gewesen sein mußte, als einem Blackfoot-Krieger.

Nach dem Manuscript fragte ich nicht weiter, die Sache schien mir aus leicht erklärlichen Gründen zu gefährlich; doch aus der Art, in welcher der Ottoe auf seinen Zauberranzen schlug, errieth ich, daß er in demselben noch eine ganz besonders wirksame Medicin verborgen glaubte, – womit nur das entwendete Manuscript gemeint sein konnte, – welche er zugleich mit dem schönen Skalp erbeutet habe.

Also Blackbird hatte das Manuscript besessen; das war das Ganze, was ich aus Wakitamone's Mittheilungen schöpfte, und diente dies am wenigsten dazu, einiges Licht über des deutschen Studenten Endschicksal zu verbreiten.

Meine Nachforschungen auf dem Pelztauscherposten bei den Omahas blieben ebenfalls erfolglos. Das dort stationirte Personal war in den letzten Jahren wenigstens viermal verändert worden, wie auch der Vorsteher der nahen Mission bereits vor sechs oder sieben Jahren, seinen Vorgänger, der mir allein über Wandel's weiteres Ergehen hätte Aufschluß ertheilen können, im Amte abgelöst hatte. Der abgelöste Missionair aber war nach Südamerika geschickt worden, also zu weit fort, als daß ich, der ich wie der Vogel in der Luft über Länder und Meere dahinstreifte, mit ihm in brieflichen Verkehr hätte treten können.

Eine letzte Hoffnung blieb mir noch, nämlich, nach meiner Rückkehr in die östlichen Staaten Erkundigungen über Dalefield und Halbert und daher auch über Kate einzuziehen und zu versuchen, ob diese nicht in der Lage seien, mir den Schlußtheil zu dem aufgefundenen Manuscript zu liefern. Doch auch das lag vielleicht noch in weiter Ferne, und in welcher Richtung ich Dalefield und die Seinigen aufzusuchen haben würde, mochte Gott wissen. Dies hinderte mich indessen nicht, meinen Schatz auf das Sorgfältigste aufzubewahren und in ein Stück Wildleder gewickelt, wie einst der Doktor Wakitamone gethan, beständig in meiner Kugeltasche mit mir herumzutragen.

Neuntes Capitel.
Der Weingärtner.

Der Frühling war dem Winter gefolgt, und die heißen Tage des Sommers reihten sich ihm an, als ich fröhlich und wohlgemuth auf einem alten gebrechlichen, dafür aber mit schöner Musik ausgerüsteten Dampfboot – neue Fahrzeuge wagen sich nämlich nicht so weit hinauf – den Missouri hinunterreifte.

Anfangs bildeten die wenigen Passagiere eine ziemlich gemischte und etwas rauhe Gesellschaft; je[] häufiger sich aber, zu beiden Seiten Ansiedelungen, Dörfer und Städte wiederholten, um so mehr traten an Stelle der verwilderten westlichen Gestalten der feine schwarze Leibrock, der sauber gebürstete Cylinderhut, das seidene Kleid und der grüne Schleier, bis ich zuletzt der einzige Reisende an Bord war, der statt der modischen Stiefel peilengestickte Mokassins, und statt der Erzeugnisse eines gediegenen Kleiderkünstlers nur eine phantastisch geschnittene Umhüllung von festem Elkleder trug.

Mein sonderbarer Aufzug, in dortigen Regionen eben nichts Ungewöhnliches, weit entfernt davon, mich in den Augen meiner Mitreisenden herabzusetzen, öffnete mir deren Herzen, was sich vorzugsweise darin äußerte, daß sie mich mit Fragen nach meinen Erlebnissen und Erkundigungen über die wilden Regionen der Rocky-Mountains förmlich überschütteten.

Aber ich befand mich ganz wohl dabei; aufregende Getränke, vom Champagner bis zum unschmackhaftesten Whisky herab, flössen in einer Weise, als ob ich in ein irländisches Paradies versetzt worden wäre, und oft bedurfte es von meiner Seite der mehr als dringenden Versicherungen, um nicht wie ein spakes Weinfaß behandelt und wie so mancher Reisegefährte der Zahl der treuesten Jünger Noah's eingereiht zu werden.

Die Leute, obwohl sie nicht zu den ästhetischsten Mitteln griffen, mir ihre Freundschaft zu beweisen, meinten es indessen gut, und so kam ich denn auch mit Keinem in Berührung, für den ich nicht ein freundliches Wort und eine entsprechende Erklärung in Bereitschaft gehabt hätte.

Den Männern erzählte ich von schönen Pferden und von Meisterschüssen; den Frauen von indianischen Klöstern und Bibelgesellschaften; den jungen Lassen von der Kälte, welche den Missouri bis auf den Boden in eine einzige Eismasse verwandele, und den niedlichen jungen Mädchen von Veilchen und Maiblumen, welche undurchdringliche Waldungen bildeten; und mit dieser Mischung von Wahrheit und Dichtung – um mich höflich auszudrücken – gewann ich die Herzen Aller in so hohem Grade, daß ich bei meinem Landen in St. Charles gleichsam Spießruthen zwischen den mir dargereichten Händen laufen mußte, und ein reicher Kentuckier sich sogar veranlaßt fühlte, mich zu fragen, ob ich ihm nicht erlauben wolle, mir so viel Geld in meine Kugeltasche zu schieben, wie ich gebrauche, um meinen Lederrock mit einem passenderen Kleidungsstück zu vertauschen.

Ich wies das aufrichtig gemeinte Anerbieten dankend zurück, versicherte sogar bei allen Tomahawks, welche jemals einen Schädel spalteten, daß ich reicher, als der heilige Crösus selber sei und nur incognito reise, wodurch ich in der Achtung Aller wenigstens noch um hundert Procent stieg, und verfolgt von manchem fröhlichen: » Good bye, merry Germany! « und » old Germany for ever! « sprang ich an's Ufer.

Das Dampfboot erreichte noch an demselben Tage St. Louis, mein nächstes Ziel. Da ich nun auf dem Winkel, welchen der Missouri mit dem Mississippi bildet, in frühem Zeiten vielfach gejagt und unter den dort lebenden Farmern manche Bekanntschaft geschlossen hatte, so zog ich es vor, zu Fuß quer über den Winkel hinüber nach St. Louis zu [] wandern, bei dem Einen oder dem Andern vorzusprechen und ihn zu überzeugen, daß ich trotz der über mich umlaufenden Gerüchte wirklich noch am Leben sei, überhaupt über meine Zeit so zu verfügen, wie ich es seit Jahren gewohnt war, das heißt, ganz so, wie es mir beliebte und behagte.

Meine geringen Habseligkeiten hatte ich auf dem Dampfboot zurückgelassen, um sie einige Tage später in St. Louis persönlich in Empfang zu nehmen. Mein Gepäck bestand nur aus meiner Kugeltasche mit dem Manuscript, einem mächtigen gefüllten Pulverhörn und meiner Büchse; ich wanderte daher so leichten Herzens durch die üppig und prachtvoll bewaldeten Bottomländereien dahin, als ob der alte Lederrock und alles Uebrige, was mich sonst noch beschwerte, nicht mehr Gewicht besessen hätte, als der Federstaub auf den breiten, stahlblau schillernden Schwingen der Trauerfalter, die mich in reicher Zahl beständig umspielten.

Zu meinem Wege hatte ich die offene Landstraße gewählt. Die Sonne schien mir daselbst wohl etwas heißer auf den breitkrämpigen abgenutzten Filzhut, doch was kümmerte ich mich damals viel um Sonnengluch oder winterliche Kälte. Ich wollte nicht auf den dunkeln Waldpfaden wandern, weil es daselbst nichts Neues für mich zu sehen gab, wogegen in der Nähe der Landstraße sich mir Manches bot, was ich freilich schon in den letzten Tagen vom Dampfboot aus, jedoch seit langer Zeit nicht mehr aus nächster Nähe und von Angesicht zu Angesicht betrachtet hatte. Da waren zum Beispiel Lichtungen und auf diesen mächtige Einfriedigungen von langen Holzscheiten, in regelmäßigem Zickzack acht Fuß hoch übereinander gestapelt; hinter den Einfriedigungen lagen Mais- und Weizenfelder oder Gärten mit reich beschwerten Obstbäumen – lauter neue Sachen, die ich sehr aufmerksam prüfte, ob sie auch noch so aussähen, wie vor zwei Jahren. Ferner erblickte ich Kühe und Schweine, und zwar wirkliche Schweine, die sich so wonniglich in einem Winkel der Einfriedigung sonnten, daß ich nicht umhin konnte, sie zu erschrecken und aufzujagen, um mich an ihren ungeschickten Sprüngen zu ergötzen. Dann sah ich auch kleine Gehöfte, bald von Blöcken roh aber nicht unmalerisch aufgeführt, bald hübsch sauber gezimmert und mit weiß gestrichenen Brettern überzogen, oder auch gar prangend mit rothen Ziegelsteinmauern, was schon auf eine größere Wohlhabenheit des Besitzers deutete. Von den Schindeldächern schauten kleine Schornsteine neugierig nach der Landstraße hinüber, und aus den Schornsteinen wirbelte Rauch empor; hu, Feuer und Rauch bei solcher Hitze! aber es war ja Mittag und die Leute wollten essen.

Auf den Höfen spazierten gravitätisch Haushähne umher, während einzelne Mitglieder ihrer zahlreichen Familie sich im heißen Staub badeten, und andere ihre eigene, noch in weichen Flaum gehüllte Nachkommenschaft sorgsam bewachten und mißtrauisch nach den zanksüchtigen Perlhühnern hinüberschauten, die sich geberdeten, als ob sie die alleinigen Besitzer des Hofes wären.

Ja, Alles das sah ich, und noch viel, viel mehr, und Alles war mir neu, nachdem ich vor acht [] Tagen erst die Wildniß am oberen Missouri verlassen hatte.

Dann folgte auch wohl eine Strecke Waldung, welche mir, außer den rothblühenden Lianen und den bis in die Wipfel der Bäume hinaufreichenden Weinranken, nicht fremd geworden. Neu aber erschienen mir dann wieder die Farmerkinder in gesponnenen und gewebten Kleidern, die vor dem einen Gehöft auf der Landstraße Fangball spielten, und erst recht fremd war mir eine Strecke weiter eine leibhaftige lange deutsche Pfeife, die im Schatten eines mächtigen Hickory-Nußbaumes über eine Gartenpforte hinüberhing und wie der Schornstein einer Rübenzuckerfabrik dampfte.

Ja, die lange deutsche Pfeife war mir am neuesten, weil ich seit Jahren nichts, als kurze Thonpfeifchen und indianische Kalumets gesehen hatte. Sie war mir in der That so fremd und lächelte mir dabei so heimisch entgegen, daß ich vor Verwunderung mitten auf der Straße stehen blieb, sie anstarrte und gar nicht beachtete, daß sie auf der andern Seite der Pforte in sehr naher Verbindung mit einem Menschenkinde stand, welches ebenso verwunderungsvoll zu mir herüber schaute.

»Wenn Sie die Pfeife lange genug betrachtet haben, dann wenden Sie doch gefälligst auch mir Ihre Aufmerksamkeit etwas zu,« erschallte darauf eine freundliche männliche Stimme, und eine seine aber von der Sonne braun gebrannte Hand legte sich an das Rohr, um die Pfeife während des Sprechens vor dem Entfallen zu bewahren.

»Dacht' ich's doch, daß nur ein Deutscher an dem dünnen Ende dieses merkwürdigen Instrumentes befestigt sein könne,« entgegnete ich, die Büchse von der Schulter nehmend und näher an die Pforte herantretend, um den Farmer, der sich in seiner ganzen Haltung als kein gewöhnlicher deutscher Bauer bekundete, zu begrüßen.

»Die lange Pfeife ist meine schwache Seite,« entgegnete gutmüthig lachend der Farmer, ein stattlich gebauter Mann mit schönen blauen Augen, einem dichten, vollen dunkelbraunen Bart und nicht weniger dichtem, braunem Haupthaar, welches indessen schon etwas in's Graue spielte; »aber treten Sie näher, wenn ich bitten darf; an der Aufmerksamkeit, welche Sie meiner Pfeife schenkten, erkannte ich auch in Ihnen einen Deutschen, und Ihr Lederhemd belehrt mich, daß sie direct von oben herunter kommen.«

»Gewiß komme ich von oben herunter,« versetzte ich, durch die geöffnete Pforte eintretend und die mir dargebotene Hand kräftig schüttelnd, »ich befinde mich auf dem Wege nach St. Louis, und Sie würden mich sehr verbinden, wollten Sie mir die nächste Richtung nach Chouteau's Farm angeben; es lebt dort ein Bekannter von mir, dem ich einen Besuch abstatten möchte.«

»Sie meinen den Doktor Bonfils? Lassen Sie den; haben Sie Zeit, Besuche abzustatten, so besuchen Sie vor allen Dingen mich und erzählen Sie mir, wie es oben aussieht. Sie müssen nämlich wissen, daß auch ich lange Jahre das Lederhemd trug und es mir stets einen großen Genuß gewährt, mit Jemand zusammenzutreffen, der sich dort oben etwas umgesehen hat.«

[] »Also auch Sie sind am oberen Missouri gewesen?« fragte ich angenehm überrascht, indem ich an meines Gastfreundes Seite dem zierlichen Häuschen auf dem anderen Ende des Gartens zuschritt und zum erstenmal bemerkte, daß sein rechtes Bein im Kniegelenk steif war.

»Bereits vor achtzehn Jahren,« lautete die Antwort, »nicht wahr, es ist schön dort oben? Ja, ja, die Wildniß besitzt einen eigenthümlichen Reiz, und lebte ich hier nicht so glücklich und zufrieden, so möchte ich wohl noch einmal nach dem Yellow-Stone, wenn auch nur besuchsweise, zurückkehren. Aber ich fange an bequem zu werden; nein, für mich wäre es nichts mehr, zumal ich nicht im freien Gebrauch aller meiner Glieder bin. Aus dem abenteuernden Pelzjäger ist ein friedlicher Gärtner und Weinbauer geworden, und was für ein Weinbauer, das sollen Sie selbst entscheiden, nachdem Sie meine Jahrgänge von A bis Z, oder vielmehr von 46 bis 51 durchgeprobt haben. Nicht wahr, Sie bleiben?«

Bei diesen Worten stand er still und indem er mir zutraulich die Hand hinhielt, blickte er mich mit seinen großen schönen Augen, in denen ein eigenthümlich zufriedener Ausdruck lag, so freundlich an, daß ich meine Hand mit lautem Schall in die seinige fallen ließ und meine Freude darüber aussprach, gerade in seinen Weg geführt worden zu sein.

»Das ist brav von Ihnen,« rief er heiter aus, »keine Umstände gemacht, angeboten, angenommen, gerade so, als wenn wir uns noch oben befänden, und wenn sich je zwei Menschen genußreich unterhalten haben, so werden wir es sein, wenn wir bei einer Flasche Wein – doch was sage ich? – bei so viel Flaschen Wein, wie Ihnen gefällt, uns gegenseitig unsere Erlebnisse im Fernen Westen mittheilen!«

Während wir darauf eine kurze Strecke schweigend nebeneinander zurücklegten, betrachtete ich meinen liebenswürdigen Gastfreund von der Seite, und ich muß gestehen, daß ich lange keinem Menschen begegnet war, der einen so günstigen Eindruck auf mich gemacht hatte. Denn trotz seiner äußeren Einfachheit bekundete er nicht nur in jedem Wort, in jeder Bewegung einen Mann von der sorgfältigsten Erziehung, sondern er war auch eine stattliche Erscheinung, und wiewohl auf seinem Antlitz ein sinnender Ernst ruhte, fehlte doch wieder nicht ein besonderer Fug, welcher auf ein heiteres Gemüth, auf ein? unbegrenzte Menschenfreundlichkeit hindeutete.

Sein langer wohlgepflegter Vollbart verlieh seinem Aeußern eine gewisse Würde, seine aufrechte Haltung dagegen und seine braunen wetterzerrissenen Wangen zeugten von Kraft, Gesundheit und von Mäßigkeit; genug, er bot das ansprechende Bild eines westlichen Ansiedlers im besten Sinne des Wortes, eines Ansiedlers, zu dem man leicht und gern Zutrauen faßt und dessen Gastfreundschaft man ohne Scheu, im Gegentheil, mit einer Art von heimathlichem gefühl entgegenzunehmen geneigt ist.

»Sie kommen von St. Charles, wenn ich nicht irre,« begann der Farmer endlich wieder, als wir uns dem Häuschen mit den daran stoßenden Ställen bis auf etwa dreißig Schritte genähert hatten, »Sie müssen hungrig sein, wenn Sie nicht bereits unterwegs angekehrt sind.«

[] »Angelehrt bin ich nirgends, und da die Mittagszeit bereits vorüber ist, so bitte ich dringend, sich meinetwegen keine Störungen zu verursachen. Sie erinnern sich, wir im Westen sind nicht an bestimmte Mahlzeiten gebunden; wir essen, wenn wir etwas haben, und warten, wenn es uns an Speisen gebricht.«

»Gerade deswegen gestatten Sie mir, Ihnen etwas vorzusetzen. Meine Frau soll es ihnen selbst bereiten, und zwar so, daß Sie noch einmal, recht lebhaft an die Rocky-Mountains erinnert werden, Ja, ja, glauben Sie mir, meine Frau versteht es, ein Stück Rindfleisch auf Kohlen zu rösten und etwas Mark aus einem Beinknochen darüber laufen zu lassen. Jeannette, Jeannette!« rief er sodann in's Haus hinein; »Jeannette, sei doch so gut und komme einmal hervor! Gleich darauf trat uns eine schlanke Gestalt aus der Thür entgegen, und in derselben eine deutsche Hausfrau vermuthend, zog ich meinen Hut, um sie nach deutscher Sitte zu begrüßen.«

Kaum aber hatte ich einen Blick auf ihr Antlitz geworfen, so blieb ich, vor Ueberraschung keines Wortes mächtig, mit dem Hut in der Hand stehen, denn nicht eine Deutsche war es, die vor mir stand, sondern eine Halbindianerin, welche, obwohl die erste Jugendfrische bereits hinter ihr lag, von ganz ungewöhnlichem Liebreiz umflossen war. Nur ihre braun angehauchte Haut, die tiefe Schwärze der nachlässig aufgesteckten lockigen Haare, und die großen dunkeln melancholischen Augen erinnerten an ihre Verwandtschaft mit den Eingeborenen des Landes. Im Uebrigen, in bei Kleidung sowohl, als auch in ihrem Wesen, zeigte sie das Muster einer gebildeten Frau, welche in der getreuen Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten ihr größtes Glück, ihre größte Befriedigung findet.

»Jeder Freund meines Mannes ist mir herzlich willkommen,« sagte die schöne Farmerin in reinem, wenn auch etwas fremdländisch, jedoch nichts weniger, als unangenehm klingendem Deutsch, indem sie mir mit einem zutraulichen Lächeln ihre schmale lichtbraune Hand darreichte.

»Und ich bitte um Vergebung, wenn ich irgend welche Störung verursacht haben sollte,« versetzte ich, noch immer den Hut in der Hand.

Mein Gastfreund hatte meine Ueberraschung bemerkt. Offenbar ergötzte er sich an derselben, denn er schlug mich leicht auf die Schulter und dann mit unverkennbarem Stolz auf seine Gattin deutend, rief er aus: »Sie sind gerade vor die rechte Thür gekommen; meine Frau sieht jetzt zwar nicht mehr darnach aus, als ob sie in ihrem Leben viel Büffelfleisch auf Prairieart zubereitet habe, deshalb hat sie aber die alten Kunstgriffe noch nicht verlernt; sorge ich doch dafür, daß sie nicht aus der Uebung kommt, nicht wahr Jeannette?«

Frau Jeannette nickte ihrem Gatten mit einem rührend dankbaren Ausdruck zu, und dieser fuhr darauf fort: »Also meine gute Jeannette, unser Gast ist halb verhungert, zeige ihm daher, was Du vermagst, und glaube mir, ein Stück Fleisch auf echte Mandanenart zubereitet, wird ihm wie ein Gruß aus weiter Ferne erscheinen.«

Frau Jeannette grüßte mich noch einmal mit [] holder Schüchternheit und verschwand geräuschlos im Hause, und der Farmer wendete sich mir wieder zu.

»Dort ist eine schattige Laube,« begann er zuvorkommend, »die Stuben in meinem Hause find ebenfalls kühl, sogar noch kühler, wählen Sie daher, wo Sie die nächsten Stunden zubringen wollen; aber was fehlt Ihnen?« fuhr er heiter fort, als er gewahrte, daß ich ihn zweifelnd und befremdet betrachtete, denn in meinem Kopf schwirrten die Worte »Mandanenart, Jeannette, Halbindianerin,« wild durcheinander, »erscheint es Ihnen so unbegreiflich, daß aus einem Indianermädchen eine so prächtige deutsche Hausfrau hat werden können?«

»Nein, das ist mir nicht unbegreiflich,« entgegnete ich mit einem forschenden Blick auf das steife Knie meines Gastfreundes, »ich verglich in Gedanken nur die beiden Namen Jeannette und Schanhatta miteinander und fand eine große Ähnlichkeit zwischen denselben.«

Jetzt war an dem Farmer die Reihe zu erstaunen, und gerade sein Erstaunen verrieth mir deutlicher, als es die heiligsten Versicherungen vermocht hätten, daß ich, von einem glücklichen Zufall geführt, wirtlich, wie er gesagt hatte, vor die rechte Thür gekommen sei.

»Was wissen Sie von Schanhatta?« fragte er, mich mit erhöhter Theilnahme anblickend, »lebt denn dort oben das Andenken an die brave Mandanenwaise noch fort, oder hat Ihnen Jemand von mir und meinen Erlebnissen erzählt?«

»Mehr als das, Herr Gustav Wandel,« antwortete ich mit wahrem Entzücken, und unwillkürlich faßte ich nach meiner Kugeltasche, ob ich das Manuscript auch nicht verloren habe, »ja, betrachten Sie mich immerhin ungläubig; die Wege, auf welchen die Menschen geführt werden, sind oft wunderbar. Meine Gesichtszüge haben sich verändert und konnten freilich nicht in Ihrem Gedächtniß bis auf den heutigen Tag fortleben, wie auch Sie mir vollständig fremd geworden sind, doch ist es nicht das erste Mal, daß wir einander begegnen. Wir standen einst sogar auf einem sehr vertrauten Fuß miteinander.«

Statt aller Antwort blickte Wandel mir lange in die Augen. »Ich entsinne mich nicht – nein – ich kann Ihnen nicht begegnet sein« –

»Erinnern Sie sich vielleicht des kleinen, flachsköpfigen unverschämten Herrn vom Jesuitenhofe?«

»Was! Sie der Herr vom Jesuitenhofe?« rief Wandel förmlich verwirrt aus, indem er seine beiden Hände auf meine Schultern legte, »geschehen denn Wunder? Sie wären der Herr vom Jesuitenhofe?«

»Leider verwirklichen sich nur selten die Träume des Kindes,« erwiderte ich ernst, denn auch ich konnte ja so Manches von dem Wechsel des Schicksals erzählen, »ich bin derselbe, der sich einst dem flüchtigen Gustav Wandel in knabenhaftem Uebermuthe als den Herrn vom Jesuitenhofe vorstellte; die glückliche Familie aber, welche Sie damals auf dem Jesuitenhofe begrüßten, schläft zum größten Theil unter dem kühlen Rasen, und wo einst Freunde und Fremde die unbegrenzteste Gastfreundschaft fanden, da finden sie jetzt eine – Gastwirthschaft. Doch lassen wir das, beschäftigen wir uns nur mit Ihnen,« fuhr ich fort, als ich gewahrte, daß Wandel seine Hände von [] meinen Schultern gleiten ließ und in tiefes wehmüthiges Sinnen versunken vor sich auf den Boden starrte; »ich habe Ihnen etwas Erfreuliches mitzutheilen, was Sie noch mehr überraschen wird.«

»Kommen Sie nach der Laube,« fuhr Wandel, plötzlich auf, indem er seinen Arm unter den meinigen schob und mich mit sich fortzog; »ein guter Gott hat Sie hierher gefühlt, und lein Zufall war es, der Ihre Schritte lenkte. Fort lasse ich Sie für's Erste nicht wieder, und wenn Sie mir wirklich eine Freude bereiten wollen, dann schalten und wallen Sie so auf meinem Eigenthum, als wenn Sie der Herr hier wären. Gott im Himmel! daß mir der Trost zu Theil wird, mit Jemand zusammenzutreffen, den ich einst dort drüben kannte,« fügte er, wie zu sich selbst sprechend, hinzu, und schweigend und von den verschiedenartigsten Gefühlen bewegt, legten wir die kurze Strecke bis zur Laube zurück.

Nachdem wir uns im Schatten der dicht verschlungenen Weinranken niedergelassen hatten, nahm ich zuerst wieder das Wort.

»Die Mandanenwaise hat also an Ihrer Seite den Lohn für ihre hingebende Liebe und Treu? gefunden?« fragte ich, Wandel aus seinen Sinnen wachrufend.

»Seit fast zwölf Jahren sind wir verheirathet,« antwortete er freundlich emporschauend, »seit fast zwölf Jahren ist sie mir Schülerin, Freundin und Gattin, seit zehn Jahren auch Mutter unserer einzigen lieblichen Tochter. Wer sie jetzt sieht, der glaubt nicht, daß ich sie einst als verlassene, scheue Waise unter meinen Schutz nahm. Aber sie heißt nicht Schanhatta; Schanhatta ist nur die indianische Aussprache des Namens Jeannette, der ihr von ihrem Vater beigelegt wurde.«

»Sie glauben nicht, welche warme Theilnahme ich für Sie und Ihr Geschick gehegt habe,« versetzte ich, denn ich konnte kaum noch die Zeit erwarten, in welcher ich dem ehemaligen Trapper seine längst für verloren gehaltene Handschrift vorgelegt haben würde, »daß Sie nach Ihrer Trennung von den Dalefield's von der Insel entkommen sein mußten, reimte ich mir Wohl zusammen, doch was weiter aus Ihnen geworden, bestrebte ich mich vergeblich zu ergründen. Ich war jetzt auf dem Wege, Kate aufzusuchen, um von ihr das Nähere über Sie zu erfahren« –

»Sie haben mein Manuscript gefunden!« unterbrach mich Wandel jetzt, indem er emporsprang und, vor mich hintretend, seine Hände wieder auf meine Schultern legte.

»Wenn dies Ihr Manuscript ist, dann habe ich es allerdings gefunden,« entgegnete ich, die Papierrolle hervorziehend und, nachdem ich die Umhüllung von derselben entfernt hatte, sie Wandel überreichend.

»Mein Manuscript, die Arbeit mancher einsamen Stunde. O, welche Erinnerungen knüpfen sich daran,« sagte er bewegt, indem er die Rolle mit zitternden Händen auseinanderschlug und demnächst eine Thräne, welche ihm die Rührung in die Augen getrieben hatte, von seiner Wange entfernte.

Dann begann er zu lesen; es war eine Stelle im ersten Theil und offenbar Johanna, seine Jugendliebe, betreffend, denn nachdem er mit der ersten Seite zu Ende gekommen, rollte er das Ganze mit einer [] hastigen Bewegung wieder zusammen. »Warum Wehmuth zu der Freude der jetzigen Stunde mischen?« versetzte er tief aufseufzend, »Trauer wie Freude, jedes muß seine Zeit haben, und der heutige Tag, an welchem ich zwei alte liebe Freunde wieder gefunden – diese Papierrolle betrachte ich ja ebenfalls als meinen Freund – soll nur der Freude geweiht sein. Aber sagen Sie mir, wie ist es Ihnen gelungen, dem schrecklichen Blackbird, so hieß der Indianer, in dessen Hände ich mein Manuscript zurücklassen mußte, diesen Schatz zu entreißen?«

»Blackbird ist bereits seit Jahren todt; seinen an der Weißen Locke nicht zu verkennenden Skalp sah ich an dem Medicinranzen eines Ottoe-Kriegers hängen.«

»Also doch gewaltsam um's Leben gekommen? Nun, er hat sein blutiges Ende hundertmal verdient; und dennoch bedauere ich ihn, denn er hat, natürlich ohne es zu wollen, mir einen großen, einen unberechenbaren Dienst geleistet. Das Manuscript befand sich wohl in demselben Medicinbeutel, an Welchem Blackbird's Skalp befestigt war?«

»In demselben Medicinbeutel; der Ottoe hatte beide Theile zugleich erbeutet,« antwortete ich, und sogleich begann ich zu schildern, auf welche Weise es mir gelungen war, die Rolle in meinen Besitz zu bringen.

Meine Erzählung ergötzte Wandel im höchsten Grade; doch wenn er über die List, welche ich anwendete, um einen Blick in Wakitamone's Heiligthum zu werfen, herzlich lachte, so drückte er mir nicht minder herzlich seine Dankbarkeit dafür aus, daß ich, nach Lesung seines Manuskriptes, mir so viel Mühe gegeben habe, von ihm und Schanhatta eine Spur zu entdecken.

Als ich geendigt, blickte Wandel mir wieder eine Weile sinnend in die Augen. »Es ist seltsam,« sagte er dann, wie im Selbstgespräch, »als ich Sie an der Gartenpforte begrüßte, wer hätte da geahnt, daß Sie mit meiner Lebensgeschichte, ja noch mehr, mit meinen verborgensten Herzensregungen fast ebenso vertraut seien, wie ich selbst? Ein eigenthümliches Gefühl beschleicht mich bei diesem Gedanken, und weit entfernt davon, zu bedauern, daß Sie alle Geheimnisse meiner Vergangenheit, die ich sonst nicht auf der Zunge zu tragen pflege, so genau kennen, ist mir, als seien Sie mir dadurch nur um so lieber, meinem Herzen um so näher gerückt worden.«

»Wenn ich nun Ihre Lebensgeschichte bis in die kleinsten Einzelheiten kenne, wenn ich glücklich genug gewesen bin, Ihnen, zum Beweise dafür, Ihr seit Jahren verloren geglaubtes Manuscript überreichen zu können, habe ich dadurch vielleicht das Recht erworben, auch nach dem Theil Ihrer Erlebnisse fragen zu dürfen, welcher zwischen dem Schluß Ihrer aufgezeichneten Nachrichten und der Gründung Ihres häuslichen Herdes liegt? Sie haben einige Andeutungen mit Bezug auf diesen Zeitraum fallen lassen, welche die Vermuthung in mir erwecken, daß es Ihnen nicht vergönnt war, Ihr Winterquartier, in welchem Sie an Ihrer Wunde darniederlagen, unangefochten mit dieser Farm zu vertauschen.«

»Sie haben nicht nur ein Recht, danach zu fragen,« erwiderte Wandel, mir die Hand freundschaftlich[] drückend, »sondern ich fühle auch die Verpflichtung, das, was Sie über mich wissen, gleichsam zu einem Abschluß zu bringen; und der am wenigsten wunderbare Theil meiner Erlebnisse ist es wahrlich nicht, der mir noch zu erzählen bleibt. Aber jetzt nicht, nein, jetzt nicht, mein lieber Freund; ich wäre nicht im Stande dazu. Wir müssen vorher vertrauter mit einander weiden; Sie müssen mir von sich erzählen und von unserer gemeinsamen Heimath; ein Austausch von Gedanken und Ideen muß vorher stattgefunden haben, und dann, wenn ich mich erst daran gewöhnt habe, Sie, den ich eben noch als einen fremden Wanderer willkommen hieß, als einen Freund zu betrachten, vor dem ich nichts geheim zu halten brauche, wenn ich mich ferner so recht in meine Lage von damals hineingedacht habe, dann, ja dann Will ich einen Blick auf die letzte Seite des Manuscriptes werfen und gerade so weiter erzählen, als ob ich noch an jenem stachen Stein säße und dem Papier meine Gedanken, meine Empfindungen und meine Erlebnisse anvertraute.«

»Einverstanden, von ganzem Herzen einverstanden,« entgegnete ich schnell, »ich begreife, Sie können unmöglich in der ersten Viertelstunde unserer Bekanntschaft in der Stimmung sein, zu erzählen; aber ich bin geduldig und zugleich zu sehr gespannt, als daß ich mich von Ihrem Grund und Boden entfernen möchte, ohne den Schluß des Romans Ihres Lebens erfahren zu haben.«

»Das sollen Sie auch nicht, ich verspreche es; nur müssen Sie mir das Gegenversprechen leisten, es nicht als eine Mahnung zum Aufbruch betrachten zu wollen, wenn ich früher, als wir Beide vielleicht in diesem Augenblick denken, mit der Lösung meines Versprechens beginne.«

Eine scherzhafte Antwort schwebte mir auf den Lippen, als Schanhatta Plötzlich in der Laube erschien, um den kleinen Gartentisch mit einem saubern Tuch zu decken und die übrigen Vorrichtungen zu einem ländlichen Mahle zu treffen. Sie benahm sich dabei mit einem Anstände, der von der sorgfälligsten Erziehung zeugte, und mit einer Grazie, wie sie wohl angeboren, aber nicht anerzogen werden kann.

Aufmerksam und erfüllt von dem regsten Interesse, betrachtete ich diejenige, die ich bereits so lange aus Wandel's Schilderungen kannte. Ich vermochte mich kaum zu überreden, daß ich wirklich Schanhatta, die Mandanenwaise, welche meiner Phantasie so oft als das Urbild einer Naturschönheit im grellfarbigen indianischen Schmuck vorgeschwebt hatte, vor mir sehe, Schanhatta, jenes kühne Mädchen mit ihren in ahnungsvollem Dunkel schlummernden edlen Herzensregungen, welche die Liebe in's Leben rufen und demnächst so mächtig entwickeln sollte, Schanhatta, jene treue Gefährtin des einsamen Fallenstellers auf seinen mühevollen Wanderungen.

Und dennoch war sie es; die hellbraune Farbe ihrer Haut, die prächtigen glänzenden Haare verriethen es allein schon. Sonst suchte man aber vergeblich an der einfach, aber mit Sorgfalt und Sauberkeit gekleideten Frau nach hervortretenden indianischen Merkmalen; es sei denn, man hätte beobachtet, wie ihre sanften, dunkeln Augen beständig fragend die Blicke ihres Gatten suchten und dadurch, wenn auch [] frei von allem Zwang und strahlend im Glänze des Stolzes und der Liebe, an die Unterwürfigkeit der indianischen Frauen gegen ihre Eheherren und Gebieter erinnerten.

Doch dieses fast ängstliche Forschen nach den leisesten Wünschen ihres Gatten, und dieses Trachten, denselben stets zuvorzukommen, berührte nicht etwa unangenehm, im Gegentheil, es schmückte sie mit einem unvergleichlichen Zauber, und wohl vermochte ich mir Wandel's Versicherung: »daß er zu glücklich sei, um auch nur auf kurze Feit seine Häuslichkeit zu verlassen,« zu erklären.

Und dabei sprach Frau Schanhatta deutsch, allerdings mit scharfem ausländischem Accent, allein etwas Reizenderes konnte man nicht hören, als wenn sie mit ihrer tiefen wohlklingenden Stimme sich bemühte, die schwereren Worte richtig auszusprechen, und die traulichen Scherzreden ihres Gatten mit einem süßen geräuschlosen Lachen lohnte.

Geschäftig, als wäre sie in einer deutschen Wirthschaft geboren und erzogen worden, trug sie die von den landesüblichen Gerichten begleiteten, nach Prairieweise gerösteten Fleischschnitten auf, und ebenso geschäftig beeilte sie sich, den Winken ihres Gatten folgend, einige besonders bezeichnete Flaschen, des edlen Kataubaweins herbeizuschaffen.

Dann aber setzte sie sich zwanglos zu uns hin, und nachdem sie erfahren, auf welche Weise ich Kenntniß von ihrer und Wandel's Vergangenheit gewonnen, betheiligte sie sich frei an der Unterhaltung, welche vorzugsweise das betraf, was das Manuscript enthielt. Doch auch zu meinen eigenen Erlebnissen sprangen wir gelegentlich über, und längere Zeit verweilten wir dann bei unserer fernen Heimath mit so manchen theuren Gräbern, und dem lieben, lieben Vater Rhein mit seinen rebenbekränzten Ufern.

Ach, das waren Stunden, wie sie mir auf meinen Wanderungen nicht oft geboten wurden. Sie entflohen, wie ebenso viele Minuten, aber sie hinterließen eine unauslöschliche schöne Erinnerung für das ganze Leben. –

Um die Mitte des Nachmittags wurde das eifrige Gespräch, welchem wir uns hingegeben hatten, auf eine liebliche Weise unterbrochen. Es war, als ein wunderbar schönes zehnjähriges Mädchen, noch ganz erhitzt von dem weiten Schulweg, zu uns in die Laube sprang und mit holdem, kindlichem Wesen zuerst die Mutter und dann den Vater begrüßte, und mir demnächst als Johanna, die Tochter des Hauses vor gestellt wurde.

Verwundert betrachtete das Kind den fremden Mann in dem merkwürdig befransten Lederrock; als es aber gewahrte, daß die Eltern mit demselben auf so freundschaftlichem Fuße standen, da duldete es gern, daß ich die schwarzen Locken von seiner weißen erhitzten Stirne strich, recht lange in seine großen, blauen unschuldvollen Augen schaute und schließlich einen Kuß auf die kleinen zierlichen, etwas aufgeworfenen frischen Lippen drückte.

»Sie haben sich nicht über das Geschick zu beklagen,« sagte ich gedankenvoll zu meinem Gastfreunde, indem ich meine Blicke im Kreise herumsendete und mich an dem Ausdruck glücklicher Zufriedenheit weidete, die so verständlich aus jedem einzelnen Antlitz sprach.

[] »Bewahre mich Gott, daß ich mich jemals durch eine Klage versündige,« entgegnete Wandel mit dem ihm eigenthümlichen Ernst; »duftende Blumen und schwer verletzende Dornen durchweben das menschliche Leben; wohl Demjenigen, dem es von einem freundlichen Geschick beschieden wird, daß die Tage des Glücks heilend und lindernd auf die tief geschlagenen Wunden einwirken und sie allmälig schließen. Mögen immerhin Narben zurückbleiben, sie schmerzen nicht mehr; im Gegentheil, diese Narben sind die heilige Verbindungskette zwischen uns und denjenigen, denen wir einst in treuer Liebe zugethan waren und die nur um eine kurze Spanne Zeit uns voraus in eine andere Welt hinübergingen.«

Zehntes Capitel.
In Landen.

Wir waren von einem kurzen Spaziergange durch den Weingarten nach der Laube zurückgekehrt. Das letzte Abendroth hatte uns zu dem gemeinschaftlichen Mahl geleuchtet, und in traulichem Gespräch saßen Wandel und ich bei einander.

Frau Jeannette hatte sich mit ihrer Tochter in's Haus zurückgezogen; sie erwartete nicht, mich an demselben Abend noch zu sehen; sie wünschte mir daher eine gute Nacht und sprach im Scherz die Hoffnung aus, daß wir uns nicht von der aufgehenden Sonne in der Laube überraschen lassen würden.

Sie sagte es scherzweise, ohne daran zu denken, daß ein solcher Fall wirklich eintreten könne. Denn die Nacht war ja so wunderbar lieblich, die von der Sonne des Tages durchglühte Luft so lau, und friedlich leuchtete der beinah volle Mond auf die stille Landschaft nieder.

Auch in unsere Laube zwischen den grünen Weinranken hindurch warf er einige zitternde Strahlen, und Schattenbilder zeichnete er auf den Tisch, so merkwürdig formlos, daß man unwillkürlich zu errathen und entziffern stiebte, womit dieselben wohl am meisten Aehnlichkeit haben könnten. Bald waren sie zackig, bald rund, bald waren sie lang gereckt, bald kurz gedrungen, und wenn dann wirklich hier eine verschrobene Schattennase entstand, die sich wie lüstern nach den halbvollen Gläsern hin verlängerte und Über den halben Tisch hinüberreichte, dort sogar ein fürchterliches Cyclopenauge vom hellsten Mondschein mit etwas vergossenem Wein als Stern, grimmig nach der angeschenkten Flasche hinüberschielte, als ob es ein anderes Fleckchen Mondlicht beneidet habe, welches den besonderen Vorzug genoß, sich mit dem Blitzen eines Diamantes in dem edlen Kataubasaft spiegeln zu dürfen, so dauerten dergleichen Bilder doch nicht lange.

Unbekümmert um alle Schattenbilder der Welt, zog der Mond auf seiner ewigen Bahn dahin, unbarmherzig verzerrend und zerstörend, was sich auch immer für tolle Figuren auf dem grünen Gartentisch gebildet haben mochten.

Dazu sangen im nahen Waldesdickicht die Laubfrösche, daß es eine wahre Freude war, und dickköpfige Locustgrillen und langbeinige Heuschrecken stimmten mit ein, und zuweilen auch ein unverschämter Ochsenfrosch mit seinem unmelodischen Gebrüll. In [] der Ferne aber bellte jauchzend ein Schäferhund, daß es sich genau so anhört? wie das Gekläffe eines Prairiewolfs und man sich in die einsame Wildniß zurückwähnen konnte, wie man einst in der Wildniß, durch das Bellen der Cayotas dazu veranlaßt, sich im Geiste in reich belebte und bebaute Landschaften versetzte.

Wie damals das Winseln des Panthers oder das Geheul des weißen Wolfs die traumartigen Bilder der lustwandelnden Phantasie zerstörte, so dauerten dieselben hier noch weniger lange, indem aus der Ferne das Rollen eines aus der Stadt heimkehrenden Wagens herüberschallte, auf den nahen Weiden hin und wieder ein Rind brüllte oder auch gar ein verschlafener Hahn ein höchst unzeitiges, kurz abgebrochenes Krähen ausstieß.

Mit wunderbaren verlockenden Reizen schmückt die milde Sommernacht die Wildniß, wenn das Ohr gespannt lauscht auf die bald harmlosen, bald drohenden Stimmen der Natur. Wo aber holder Friede sich zum nächtlichen Dunkel gesellt, wo der Schlaf seine Mohnkörner ausstreut, ohne ihnen zugleich eine Beimischung von Unruhe und Besorgniß mitzugeben, da erfüllt dankbare Rührung, ein empfängliches Gemüth, und gern beschäftigt sich in solchen Stunden der Geist mit den Bildern der Vergangenheit, die einen minder friedlichen Charakter tragen.

So erging es auch Wandel an jenem unvergeßlichen Abend, als wir in der Laube saßen und tiefe nächtliche Ruhe sich auf die Landschaft ringsum gesenkt hatte. –

»Ich habe einen Blick in das Manuscript geworfen,« begann er, nachdem wir eine Weile schweigend in den mondbeleuchteten Garten hinausgeschaut hatten, »ich habe einen Blick in das Manuscript geworfen und mich überzeugt, daß wenig oder gar nichts von demselben verloren gegangen ist. Es schließt damit ab, daß die Familie Dalefield die Insel verließ, und ich, unterstützt von meiner Jeannette – doch nennen wir sie lieber Schanhatta, wenigstens so lange, bis wir zu der Ursache der Aenderung ihres Namens gelangen – das kleine zwischen Binsen und. Weiden verborgene Lager auf der Mitte der Insel erreichte.«

Dort sank ich erschöpft nieder, jedoch mehr in Folge des starken Blutverlustes, als daß die Wunde wirklich gefährlich gewesen wäre.

Die Kugel war mir nämlich dicht oberhalb des Knies durch das Bein geschlagen und hatte eine Sehne verletzt, in Folge dessen ich mich meine ganze Lebenszeit hindurch mit einem steifen Knie behelfen muß.

Wie fast alle Indianerinnen schon in früher Jugend mehr oder minder mit der Heilkunde vertraut sind, so äußerte Schanhatta, nachdem sie die Wunde mit rührender Sorgfalt untersucht hatte, nicht das geringste Bedenken, daß es ihr gelingen würde, mich wieder herzustellen.

Ueberhaupt zeigte sie sich, sobald wir uns wieder allein befanden, von einer solchen Geschäftigkeit und von so frohem Muths beseelt, daß es mir fast schien, als freue sie sich über meine Verwundung. Sie betrachtete dieselbe in ihrer kindlichen Einfalt als die eigentliche Ursache, daß ich sie bei mir behalten habe.[] Und dies war doch ursprünglich nicht der Fall, denn als sie sich mir zu Füßen warf, als ich in ihrem Herzen das las, worüber sie sich selbst noch leine Rechenschaft abzulegen vermochte, da war auch mein Entschluß, mich nie mehr von ihr zu trennen, gefaßt.

Vorläufig ließ ich sie indessen bei ihrem Glauben, doch gelobte ich mir feierlich, gleich nach meiner Heilung eine andere Lebensweise zu beginnen, und zwar eine solche, bei welcher es in meiner Macht liegen würde, mich mehr und energischer mit ihrer Ausbildung zu beschäftigen.

Was unsere Feinde, die Blackfoot-Indianer betraf, so erfüllte sich Alles genau so, wie ich erwartet und vorausgesagt hatte.

In der festen Ueberzeugung, daß alle auf der Insel Befindlichen auf dem Missouri entflohen seien, dachten sie nicht mehr daran, nach der vermeintlich vereinsamten Stätte überzusetzen. Sie begnügten sich mit ihrem Raube, und noch an demselben Tage, nachdem sie ihre Verwundeten, und ich glaube auch einen Todten auf die erbeuteten Pferde geladen, zogen sie in westlicher Richtung davon.

Wir blieben noch fünf Tage auf der Insel, um die ersten Fieberanfälle vorübergehen zu lassen und einer erneuten Blutung, welche zu stillen, Schanhatta nur mit vieler Mühe gelungen war, vorzubeugen.

Da Lebensmittel uns nicht mangelten, hätte ich für meine Person gern noch langer auf der sichern Zufluchtsstätte verweilt; allein Schanhatta bestand so ängstlich auf den Aufbruch, weil auf der kleinen Erdscholle die Kräuter nicht zu finden waren, welche sie zum Heilen meiner Wunde nothwendig gebrauchte, daß ich endlich nachgab.

Unsere Reise erfolgte wieder auf einem Floß, welches Schanhatta sinnig und mit großer Anstrengung zusammengefügt halte, denn die Hülfe, welche ich ihr bei dieser Arbeit leistete, war kaum zu rechnen und beschränkte sich eben nur auf Anweisungen, das Drehen von Weidenstricken und das Ausmeißeln eines Ruders.

Trotzdem erhielt das einsacke Fahrzeug eine große Festigkeit, und als wir endlich von der Insel abstießen, da glitten wir auf den schwachen Strömungen, welche Schanhatta gewandt zu benutzen wußte, so sicher dahin, daß ich nicht umhin konnte, meine Freude darüber zu äußern, auf des treuen Mädchens Vorschlag eingegangen zu sein.

Die Reise, des ersten Tages war nur kurz, die des zweiten Tages aber schon bedeutend länger, und am Abend des vierten Tages befanden wir uns bereits so weit von der Insel entfernt, daß wir im Besitz von guten Pferden hätten sein müssen, um in sechs Tagen wieder dahin zurück zu gelangen.

Dort nun wurden wir vom Glück in einer Weise begünstigt, daß die Fortsetzung unserer Fahrt uns, im Vergleich mit den früheren Tagen, nur wie ein Spiel erschien.

Schanhatta entdeckte nämlich in einer Binsenwaldung, welche die Mündung eines kleinen Nebenflusses bezeichnete, ein noch gut erhaltenes Rindenkanoe, welches jagende Indianer daselbst zurückgelassen hatten, augenscheinlich in der Hoffnung, es im Herbst nach beendigter Jagd wieder vorzufinden.

[] Wir vertauschten daher daß unbeholfene Floß mit dem Kanoe, und nach weiteren acht Tagen trafen wir endlich vor dem Nebenflüßchen ein, auf dessen Ufer mein Winterquartier lag. Am folgenden Tage schon hielten wir unsern Einzug in der unangetasteten Häuslichkeit, in welcher wir bereits einen harten Winter auf verhältnißmäßig behagliche Weise verlebt hatten.

Für mich war die Reise, außer daß ich zuweilen heftige Schmerzen erduldete, im Ganzen nur wenig beschwerlich gewesen. Um das Heilen zu fördern, hatte ich mein Knie steif gebunden; durch diese Vorsichtsmaßregel war ich außerdem im Stande, mit Hülfe zweier, mit natürlichen Krücken versehenen leichten Pfähle, mir allein von der Stelle zu helfen.

Schanhatta fiel dafür die ungetheilte Arbeit zu; sie ruderte, sie kühlte meine Wunde mit frischem Wasser, sie bereitete die Speisen, sie suchte Kräuter, deren heilsame Wirkung sie kannte, und dabei bezogen wir kein einziges Mal unser Lager, ohne daß sie vorher von irgend einer Höhe aus die weitere Umgebung abgespäht hätte, ob wir auch wohl, ohne Sorge für unsere Sicherheit, das Haupt zum Schlaf würden niederlegen dürfen.

Darin bestand also die Arbeit, welcher sie sich täglich unterziehen mußte. Wenn ich aber schildern sollte, in welcher Weise sie sich derselben unterzog, wie aus ihren Augen die innere Befriedigung leuchtete, sich förmlich für mich aufopfern zu dürfen; wie sie, sobald ich die Augen, wenn auch nur zum Scheinschlaf schloß, meinen Athem bewachte, wie sie mir aufmunternd zulächelte, während sie mit blutendem Herzen und kaum fühlbaren Händen meine Wunde verband, wie sie mir Blumen brachte, welche ich, wie sie wußte, vorzugsweise liebte, ja, wenn ich alles Dieses schildern sollte, dann würde ich Tage und Tage, ja Wochen bedürfen, und immer noch kein Ende absehen.

Es war eine langsame, eine traurige Reise, aber auch eine Reise, auf welcher wirklich ein neues irdisches Glück für mich heraufzudämmern begann. Denn nichts gleicht der innigen Freude, welche es mir gewahrte, Schanhatta zu beobachten, zu sehen, wir die in ihrer Brust schlummernden edlen Keime mehr und mehr zum Durchbruch kamen, wie sie sich allmälig bewußt wurde, daß es nicht allein das Gefühl der Dankbarkeit für empfangene Wohlthaten sei, welches sie beseelte, und wie dann ihre Liebe sie schüchtern machte und sie zugleich befürchtete, dieselbe in einer mir vielleicht nicht zusagenden Weise durchblicken zu lassen. Ja, ein beglückender Genuß war es, in ihrer reinen Seele zu lesen und die fortschreitende Entwickelung ihrer Begriffe und der Eigenschaften ihres Herzens zu bewachen und zu bewundern.

Die erste Hälfte des August mochte verstrichen sein, als wir unser altes Winterquartier bezogen und uns in demselben für die nächste Zeit so häuslich, wie es unsere sehr beschränkten Mittel erlaubten, einrichteten.

Unser Aufenthalt in der dürftigen Hütte sollte nur von kurzer Dauer sein. Ich beabsichtigte nämlich, daselbst nur so lange zu verweilen, bis meine Wunde, welche während der Stromfahrt, trotz aller angewendeten Vorsicht, einen bösartigeren Charakter angenommen [] hatte, wieder einigermaßen geheilt sei. Ich rechnete auf zwei Monate, nach deren Ablauf mir dann ja noch immer hinreichend Zeit geblieben wäre, wenigstens bis zur Mission, wo ich mein Geld aufbewahrt hatte, stromabwärts zu gelangen, und von wo aus ich überhaupt meinen Eintritt in die Welt und in das Geschäftsleben zu bewirken hoffte.

Die Wunde heilte langsamer, als ich erwartet hatte, und sehr bald entdeckte ich zu meinen größten Schrecken, daß mein Knie nicht nur geschwächt, sondern sogar ganz steif bleiben würbe. Doch was halfen mir Kummer und Klagen? Das Unglück war da und mußte mit Geduld getragen werden.

Als eine wahre Wohlthat für mich erwies sich, daß ich bereits mit der Aufzeichnung meiner Lebensgeschichte begonnen hatte und die Mittel besaß, diese Arbeit fortsetzen zu können. Während der langen, langen Tage, an welchen ich mein Lager kaum anders, als kriechend oder auf Krücken hinkend verlassen durfte, hätte ich sonst der Verzweiflung anheim fallen müssen, trotzdem meine gute treue Schanhatta nicht anders von meiner Seite wich, als wenn sie ausging, um einige Fische zu angeln oder süße Wurzeln, eine Art wilder Kartoffeln, zu graben und dadurch etwas Abwechselung in meine einfache Küche zu bringen.

In demselben Grade, in welchem mein Manuscript anwuchs, besserte sich indessen auch der Zustand meiner Wunde, und es näherte sich die Zeit, in welcher ich Elfteres zum Abschluß zu bringen gedachte und außerdem, wenn auch hinkend, mich nach Willkür und ohne Furcht vor Übeln Folgen fiel herumzubewegen wagen durfte.

Seltsamer Weise, jedoch eigentlich nur, um mir überhaupt ein Ziel zu stecken, hatte ich den Tag, an welchem ich meine Lebensgeschichte, so weit sie damals reichte, beendigt haben würde, zu meinem ersten kleinen Jagdausfluge und gewissermaßen zur Prüfung meiner Kräfte bestimmt.

Die Folge davon war, daß ich mich mit meiner schriftlichen Arbeit beeilte, meinen ersten Ausgang, mithin auch unfern gänzlichen Aufbruch dagegen immer noch etwas weiter hinausschob. Es war ja noch früh im Herbst, Schneestürme brauchten wir also nicht zu befürchten, und zudem hielt ich jeden neuen Tag der ungestörten Ruhe von Vortheil für mein lahmes Knie.

»Heule über acht Tage verlassen wir diese Stelle auf Nimmerwiedersehen,« sagte ich eines Abends, ich glaube es war in der ersten Hälfte des Oktober, zu Schanhatta, indem ich meine Schreiberei sorgfältig zusammenpackte und mich demnächst vor die Hütte begab, um von einer etwas erhöhten Stelle aus den Sonnenuntergang zu beobachten.

»Ich wünsche, wir wären bereits fort,« entgegnete Schanhatta mit einem Ausdruck, der bewies, wie ernstlich sie es meinte.

»Schon fort, Mädchen,« fragte ich lachend, denn ich glaubte nicht anders, als daß ihr ein Traum irgend einen Streich gespielt habe, und damals hatte sie ja ihr Vertrauen in höhere Kundgebungen, welche dem Menschen zuweilen im Schlummer zugesendet würden, noch nicht vollständig verloren.

»Ich habe frische Spuren dort unten am Wasser entdeckt, Spuren, welche nicht von einem Weißen[] Jäger herrühren,« lautete die bestimmte Antwort, und zugleich deutete sie nach dem Missouri hinüber, wo die Mündung unseres Flüßchens durch Binsenwaldungen und Weidengestrüpp unseren Augen entzogen wurde.

»War es nicht die Fährte eines schwarzen Bären, der während der Nacht gekommen, um ein Bad zu nehmen?« fragte ich jetzt aufmerksamer, indem ich mich bestrebte, zu errathen, von welcher Seite uns Gefahr drohen könne.

»Der Bär verbirgt seine Fährte nicht, und seine Krallen drücken sich tief in das Erdreich ein,« versetzte Schanhatta, ängstlich nach der Niederung hinunterspähend; »die Fährte aber, welche ich sah, stand halb unter Wasser, ein stolpernder Fuß hat seitwärts auf trockenen Boden getreten.«

»Du meinst, es sind dort unten Rothhäute gewandert, welche ihre Spuren zu verbergen trachteten?« fragte ich besorgter.

»Sie suchten ihre Spuren im Wasser zu verbergen, und es ist ihnen auch gelungen, bis auf den einen Abdruck.«

»Welchen Schnitt hatte der Mokassin?«

»Eine Rath lief von der Spitze des großen Zehen bis beinah unter die Mitte des Fußes hin.«

»Vielleicht Pawnees, die sich auf der Flucht vor den Dacotah's befinden?«

»Oder Blackfoot-Krieger, die nach meinem Gebieter forschen,« fügte Schanhatta mit unterdrückter Besorgniß hinzu. »Mein Gebieter hat einige ihrer besten Krieger erschlagen, sie haben Grund sich zu rächen.«

»Blackfeet meinst Du?« entgegnete ich, und gleichzeitig erinnerte ich mich, daß Blackbird mir unverhohlen seine unbesiegbare Leidenschaft für Schanhatta eingestanden hatte; »doch Du irrst Dich, mein Kind, wie sollten die Blackfeet hierher gelangen? Der Weg ist ihnen zu weit, ihre Schädelhäute würden Gefahr laufen, in den Ranchfang eines Ponka's zu wandern. Aber bringe nur die Büchse, wir wollen uns auf alle Fälle vorbereiten, sei indessen vorsichtig, sie ist geladen.«

Schanhatta eilte mit geräuschlosen Schritten von dannen, und ich wendete meine Aufmerksamkeit wieder der Sonne zu, deren oberer Rand eben im Begriff war, hinter einer fernen Schwellung der Prairie zu verschwinden.

Ich war etwa zwanzig Schritte weit von der Hütte entfernt und hatte dieser den Rücken zugekehrt; die Hütte selbst aber, welche ich zum größten Theil in einen schroffen Hügelabhang von geringer Erhebung hineingearbeitet hatte, lag so, daß ihre aus Rasen und Zweigen hergestellte Bedachung eigentlich eine Fortsetzung der höchsten Höhe der langgereckten Bodenanschwellung bildete.

»Bei der Anlage dieses zeitweiligen Obdachs hatte ich überhaupt mehr Rücksicht auf den Schutz gegen klimatische Einflüsse,« als auf die Sicherheit gegen feindliche Ueberfälle genommen; denn da ich ursprünglich nur die Wintermonate daselbst zuzubringen gedachte, also denjenigen Theil des Jahres, in welchem die Eingeborenen sich nur höchst ungern zu weiten Wanderungen entschließen, so wäre dies auch unter andern Umständen vollkommen genügend gewesen.

[] An diesem Abend hingegen erwies sich die Lage meiner Hütte, indem sich auf der andern Seite des Hügels Jemand bis fast in meine unmittelbarste Nähe heranzuschleichen vermochte, als verderblich für mich.

Schanhatta konnte nämlich kaum in die Hütte eingetreten sein, da sah ich plötzlich einen schwarzen Streifen vor meinem Gesicht niederfallen, und in demselben Augenblick fühlte ich meine Anne mit unwiderstehlicher Gewalt und auf schmerzhafte Weise an meinen Körper gepreßt, mich selbst aber durch einen heftigen Stoß hinten übergerissen, und bevor ich noch einen Versuch zur Befreiung meiner Glieder machen konnte, standen über mir zwei wild bemalte nackte Krieger, die mit unglaublicher Gewandheit meine Glieder fest zusammenschnürten.

Alles dies war mit einer solchen Schnelligkeit und so geräuschlos vor sich gegangen, daß Schanhatta in der Hütte nichts davon gemerkt hatte. Erst als sie mit der Büchse in der Hand wieder ins Freie hinaustrat, sah sie zu ihrem namenlosen Entsetzen, daß ich, für den sie mit Freuden ihr Leben tausendmal Hingegehen hätte, hinterlistiger Weise, wie ein wilder Mustang mittelst eines Lassos eingefangen worden war.

Ich hatte ihr mein Gesicht jetzt zugewendet, und glaubte vor Jammer sterben zu müssen, als ich gewahrte, wie die furchtbarste Verzweiflung ihr liebes gutes Antlitz plötzlich in so schreckenerregender Weise entstellte.

Eine Sekunde etwa stand sie wie eine Bildsäule da; der sie in so hohem Grade schmückende rosige Schimmer war von ihren Wangen gewichen und ihre großen schönen Augen stierten zu mir herüber, als ob sie durch den unerwarteten Anblick die Sehkraft verloren hätten.

»Schanhatta! fliehe!« rief ich mit erstickter Stimme aus, denn jetzt erst entdeckte ich Blackbird, meinen Todfeind, der etwas seitwärts von der Hütte auf dem Hügelabhange stand und mit grimmig höhnischem Lachen einen ringförmig zusammengelegten Lasso um's Haupt schwang, offenbar um Schanhatta in gleicher Weise, wie mich zu fangen.

Der Ton meiner Stimme schien das treue Mädchen wieder zum Bewußtsein zu wecken. Die Augen erhielten ihren allen Glanz zurück, und einen einzigen gellenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei ausstoßend, stürzte sie mit der Gewandtheit einer ergrimmten Tigerin auf mich zu, und gleichzeitig schlug der nach ihr geschleuderte Lasso, da ihre Bewegung nicht vorhergesehen worden war, harmlos hinter ihr auf die Erde. Eh' Blackbird dann die Leine zum neuen Wurf eingeholt und zusammengerollt hatte, befand sie sich dicht vor mir. Den Mechanismus der Feuerwaffen kannte sie, ohne im Gebrauch derselben geübt zu sein, doch bedurfte sie in diesem Falle keiner großen Fertigkeit der Hand und Sicherheit des Auges. Sie spannte den Hahn, hielt die Mündung den Indianer, der nur eben die Hände auf der Brust mit schmerzhaft einschneidenden Riemen kreuzweise zusammenfesselte, vor den Kopf, und im nächsten Augenblick schnellte derselbe mit zerschmettertem Schädel empor, um als Leiche schwer neben mich auf die Erde hinzusinken.

[] Die Büchse entfiel darauf Schanhatta's Händen, und mit wildstatterndem Haar und krampfhaft stöhnend warf sie sich über mich hin, um den etwa für mich bestimmten Todesstreich in Empfang zu nehmen.

Der zweite Indianer, der meine Füße zusammenschnürte, war nämlich, als er seinen Gefährten von Blut überströmt niederstürzen sah, einen Schritt zurückgesprungen. Sobald er sich aber überzeugt, von wem die schnelle That ausgegangen war, riß er sein Kriegsbeil aus dem Gurt und mit gellendem Wuthgeheul Schanhatta bei ihrem langen locken ergreifend, schwang er mit der rechten Hand den scharfen Tomahawk, zum tödtlichen Hiebe ausholend, um's Haupt.

Hatte der Angriff mir gegolten, würde ich ihn ohne zu beben, wie ein eingeborener Krieger hingenommen haben; jetzt aber, da das theure Leben meiner Schanhatta in der gräßlichen Gefahr schwebte und ich erwarten mußte, ohne auch nur eine Bewegung zu ihrer Rettung ausführen zu können, sie in der nächsten Sekunde entseelt über mich hinsinken zu sehen, wurde es mir schwarz vor den Augen und ein dumpfer Schrei des Entsetzens entrang sich meiner Brust. –

Doch der Schlag fiel nicht, und als die Gegenstände um mich her wieder klarer Hervortraten, da gewahrte ich Blackbird, den wilden Häuptling, wie er den Arm seines Gefährten hielt und ihn zwang, jede fernere blutige Absicht auf Schanhatta aufzugeben Dabei leuchteten feine Augen in gräßlicher Schadenfreude, und indem er das halb ohnmächtige Mädchen emporriß und einen Fuß auf meine Brust stellte, rief er mir in der Sioux-Sprache zu, daß die Mandanenwaise nunmehr sein Eigenthum sei, ohne auch nur einen elenden Lasso dafür hingegeben zu haben.

Ich schwieg; ich hatte mich in mein Schicksal ergeben. Doch wenn der Gedanke an den mir bevorstehenden Tod, welcher Art er auch immer sein mochte, mich kalt ließ, so bemächtigte sich meiner eine an Wahnsinn grenzende Verzweiflung, indem ich mir das Leben vergegenwärtigte, welchem das arme Mädchen unfehlbar entgegenging. Wie ich aber sah, daß Blackbird mit unbarmherzigem Griff Schanhatta gefaßt hielt und ihr triumphirend erklärte, daß sie ihm in sein Wigwam zu folgen habe, da wurde ich mir so recht bewußt, mit welcher innigen Zuneigung ich an meinem Schützling hing.

In ohnmächtiger Wuth zerrte ich an meinen Banden, und meiner Sinne kaum noch mächtig, verwünschte ich Blackbird's Dazwischentreten, ohne welches Schanhatta auf einmal aller Qual und einer entsetzlichen Zukunft entrissen worden wäre.

Was man mit mir noch begonnen hätte, das konnte mir dann ja gleichgültig sein.

Schanhatta, die sich für unsere Feinde als so gefährlich ausgewiesen hatte, wurden darauf ebenfalls die Hände gebunden, doch gestattete man ihr im Nebligen volle Freiheit. Man begriff, daß sie nicht von meiner Seite weichen würde. Diesem Umstände war es auch allein zu verdanken, daß man mich nicht tödtete.

Als Blackbird sich nämlich in meiner Nähe in der Mitte von nicht weniger als acht Kriegern vor [] einem kleinen, hellflackernden Feuer niedergelassen hatte und man darüber berieth, wie zunächst mit mir zu verfahren sei, glaubte ich zu verstehen, daß die meisten für meinen augenblicklichen Tod stimmten, Blackbird dagegen auf seinen Willen beharrte, mich mit nach ihrem Dorf zu schleppen und dort ihre ältesten Krieger gemeinschaftlich mit den hervorragendsten und weisesten Medicinmännern über mein Loos entscheiden zu lassen.

»Wollen meine jungen Leute die Mandanensquaw auf ihren Schultern tragen, oder wollen sie ihre schlanken Glieder auf dem Rücken eines Pferdes krumm fesseln?« fragte er in der Sioux-Sprache, offenbar um mich durch seine Worte zu martern; »was soll mir eine Squaw mit lahmen Gliedern helfen? Sie wäre nur noch gut zum Futter für die Wölfe, sie würde nicht mehr in das Wigwam eines Häuptlings passen. Sie muß wandern, damit ihre Füße geschmeidig bleiben, sie muß frei einhergehen, damit sie nicht verlernt, die Haut des Musethiers zu gerben, die Mokassins ihres Gebieters mit den gefärbten Kielen des Stachelschweins zu schmücken. Meine jungen Leute fürchten, die Mandanenwaise werde entfliehen. Ich sage sie entflicht nicht. Schnürt den bleichen Jäger auf ein Pferd und treibt es vor Euch her, und die Mandanensquaw wird ihm folgen, wie ein Büffelkalb, dem die Mutter getödtet wurde. Ader schlaft mit offenen Augen, oder die wilde Mandanenkatze wird des bleichen Jägers Banden lösen und mit ihm davongehen. Sie hat scharfe Zähne und ein schnelles Auge, dort liegt einer unserer Genossen, der von der Hand eines Weibes getödtet wurde; es ist seine eigene Schuld, warum waren seine Augen nicht überall?«

»Will der Häuptling die Mandanensquaw für sich behalten? Was haben seine jungen Krieger dafür, daß sie ihn auf dem weiten Wege begleiteten?« fragte ein grimmig dareinschauender Blackfoot, indem er sich mit der Faust dröhnend auf die Brust schlug.

»Blackbird's Wigwam steht leer,« antwortete der Häuptling, und ein Zug von Mißvergnügen breitete sich über sein durch schwarze und rothe Farbe entstellte Antlitz aus; »Blackbird ist der nächste zu der Mandanensquaw; meine jungen Leute mögen sich schadlos halten an dem bleichen Jäger und ihn nach ihrer Ankunft im heimathlichen Dorf zur Zielscheibe für ihre Kugeln und Pfeile machen.«

»Der bleiche Jäger gehört den Knaben der Blackfeet,« versetzte der junge Krieger erbittert, denn auch auf ihn schien Schanhatta einen tiefen Eindruck ausgeübt und alle seine wilden Leidenschaften entstammt zu haben, »sie mögen ihre stumpfen Pfeile an seiner weißen Haut versuchen; er ist leine Zielscheibe für Männer. Aber das Mädchen gehört uns Allen; es soll der weise Zauberer der Blackfoot-Nation sagen, in wessen Wigwam die Mandanensquaw einziehe. Nur Einer kann sie besitzen, aber dieser Eine soll Jedem, der sich an dem Unternehmen betheiligte, ein Pferd zahlen; ich habe gesprochen!«

Dieses entschiedene Auftreten des jungen Kriegers verdroß den Häuptling noch mehr; er unterdrückte indessen schlau jeden Ausbruch des Zorns, und sei es nun, daß er das Gerechtfertigte eines solchen Vorschlages einsah, oder weil er von den Aeltesten [] und namentlich von dem erwähnten Zauberer ein seinen Wünschen günstiges Unheil erwartete, genug, er erklärte sich mit den geäußerten Ansichten einverstanden und wiederholte, daß er sich dem Ausspruch des Medicinmannes willig unterwerfe.

Nachdem dieses Uebereinkommen getroffen war, erhob sich die unheimliche Gesellschaft. Zwei derselben setzten sich als Nachen in meiner und Schanhatta's Nähe nieder, worauf die Andern an's Wert schritten, die Hütte auszuräumen und meine geringen Habseligkeiten zur Verkeilung an das Feuer zu bringen. Ueber die Decken, Munition, Waffen und einen kleinen Vorrath von kostbarem Pelzwerk verständigte man sich schnell; der Eine erklärte sich mit Diesem, der Andere mit Jenem zufrieden und Niemand wendete Etwas dagegen ein, als Blackbird, darauf hin, daß er durch meine Schuld seinen Karabiner eingebüßt habe, meine Büchse für sich beanspruchte.

Eine längere Verhandlung knüpfte sich indessen an die Frage, wem das Manuscript zuerkannt werden solle. Jeder wünschte dasselbe zu besitzen, indem sie das sogenannte »sprechende Papier« für ein überaus wirksames Zaubermittel hielten, welchem im Allgemeinen die großen Erfolge der fremden weißen Eindringlinge zugeschrieben werden müßten.

Einzelne schlugen vor, die Blätter von einander zu trennen und gleichmäßig zu vertheilen, doch stand man davon ab, sobald man entdeckte, daß die verschiedenen Bogen mittelst feiner Riemen sorgfältig zusammengeheftet und demnächst wieder unter sich fest verbunden waren. Man befürchtete, durch das Zertrennen derselben die ihnen innewohnende Zauberkraft zu brechen, und kam schließlich überein, die Entscheidung über das ungetheilte Manuskript sich ebenfalls für spätere Zeiten vorzubehalten.

Während dieser ganzen Zeit halte man weder mich, noch Schanhatta eines Blickes gewürdigt. Ich lag auf dem Rücken; meine Füße, lang ausgestreckt waren dicht über den Knöcheln so fest zusammengeschnürt worden, daß mir das Blut in denselben auf höchst schmerzhafte Weise zu stocken begann und namentlich meine kaum geschlossene Wunde mir viel Qual verursachte. Weniger unbequem und straff schlangen sich die Fesseln um meine Arme, doch nicht in Folge, daß mau etwa Rücksicht mit mir genommen hätte, sondern weil der Indianer, der dieselben band, in demselben Augenblick, in welchem er den Knoten fester anzog, von Schanhatta niedergeschossen wurde. Indem aber die Riemen mir nicht nur die Oberarme an den Körper preßten, sondern jede Hand auch noch besonders unter dem gegenüberliegenden Ellenbogen festgebunden war, fühlte ich mich dennoch unfähig, mich ohne fremde Hülfe zu rühren oder aufzurichten.

Schanhatta, ihre zusammengefesselten Hände über den Knieen gefaltet, kauerte zwei Schritte weit von mir regungslos auf der Erde. Der Schein des Feuers beleuchtete den oberen Theil ihrer verkürzten Gestalt, so daß mir nur ihr Haupt und ihre Schultern sichtbar waren.

Was sie dachte und was sie fühlte, ließ sich aus ihren gleichsam versteinerten Zügen nicht entziffern; dieselben schienen die letzte Probe von Leben verloren zu haben, und weder ein Seufzer noch ein Klageton schwellte vorübergehend ihre Brust. Aber wenn sie [] zeitweise ihre thränenleeren Augen auf mich richtete, und dieselben gleich darauf, ohne daß sie ihr Haupt bewegt hatte, im Kreise herumblitzten und spähten, dann verstand ich, welch namenloser Schmerz ihre Seele zerriß, und wie sie, trotz dieses Schmelzes, nur einzig und allein darauf bedacht war, ein Mittel zu meiner Befreiung zu ersinnen.

Zwei Stunden etwa waren in dieser Weise dahingeschlichen, und außer den beiden Wachen hatten sich die Indianer um das Feuer hingestreckt, um daselbst den Morgen zu erwarten, als der Schmerz an meinen Füßen, trotzdem ich die Zähne fest zusammenbiß, mir einen Klagelaut auspreßte.

Die Blackfeet hörten nicht darauf; sie betrachteten mich so gefühllos, wie etwa der Schlächter sein Opfer, welches er, unbekümmert darum, ob es in seinen letzten Lebensstunden noch Schmerzen empfinde, in unnatürliche Lage zusammengekrümmt und gefesselt in's Schlachthaus tragt. Schanhatta dagegen sprang empor, und dicht zu mir herantretend, fragte sie mit halblauter Stimme, ob ich irgend etwas wünsche.

»Wasser gieb mir, mein Kind, nur einen Trunk Wasser,« antwortete ich mit schwerer Zunge.

Ohne die verwunderten Blicke der Wächter zu beachten, begab sie sich nach der Hütte, und gleich darauf erschien sie wieder, eine mit Wasser gefüllte Kürbisflasche in ihren gebundenen Händen vor sich tragend.

Mit sichern, fast trotzigen Bewegungen kniete sie au meiner Seite nieder, und indem sie ihr Haupt über mich hinneigte, daß ihre langen, leicht gelockten Haare wie ein dichter Schleier mein Gesicht von allen Seiten umwallten, führte sie den Hals der ausgehöhlten Frucht behutsam an meine Lippen.

»Sei mein Gebieter stark,« flüsterte sie so leise, daß die Töne nicht über den von ihren prachtvollen Haaren gebildeten Schleier hinausdrängen; »Schanhatta wacht für ihren Herrn; sie sinnt darüber nach, wie sie ihn befreie. Wenn sie meinen Wohlthäter ermorden, so wird er nicht allein sterben; ich besitze Mittel, jederzeit zu sterben; stirbt mein Gebieter, so fehlt Schanhatta die Luft zum Athmen. Nein, nein, ich kann nicht ohne meinen Herrn leben.«

Die letzten Worte hauchte sie, wie von Schmerz und Todesangst überwältigt, kaum verständlich über mich hin. Dann aber richtete sie sich mit sicheren und entschiedenen Bewegungen empor, und unbekümmert um die argwöhnischen Blicke, welche von allen Seiten auf sie gerichtet waren, fragte sie wiederum laut, ob sie mir irgendwie Erleichterung verschassen könne.

»Laß nur, mein Kind,« tröstete ich, von körperlichem Schmerz fast übermannt, »man wird Dir nicht gestatten, mir zu helfen, im Gegentheil sich noch an meinen Qualen weiden.«

»Was ist es, das meinen Gebieter so quält, daß seine Augen sich röchen?« fragte das treue Mädchen bringender.

»Die Banden an meinen Füßen, die Wunde an meinem Knie,« antwortete ich, mehr um ihrem ausgesprochenen Verlangen zu genügen, als daß ich Linderung erwartet hätte.

Ein Blitz des Verständnisses flog über ihr gutes Antlitz; etwa eine Minute blickte sie mich zweifelnd an, worauf sie geraden Wegs zu Blackbird hinschritt,[] der sie bei ihrer Annäherung wohl überrascht anstarrte, sich aber nicht aus seiner bequemen Lage rührte.

»Seit wann ist es Sitte, daß die Blackfeet ihren Gefangenen die Glieder tödten?« fragte sie, indem sie den Häuptling verächtlich mit dem Fuß anstieß.

Blackbird, entrüstet über die ihm von einem gefangenen Mädchen zu Theil gewordene schmachvolle Behandlung, schnellte wie ein Blitz empör, die Hand an den Griff seines Messers legend und Schanhatta mit seinen glühenden Augen förmlich verschlingend. Allein er wagte nicht, sich an ihr zu vergreifen, so groß war der Einfluß, welchen sie ebensowohl durch ihre äußere Erscheinung, als auch durch ihr Wesen auf ihn ausübte.

Ich selbst war über daß, was ich sah, nicht weniger erstaunt, als die Blackfeet. Das seltsame Mädchen hatte wohl hinlänglich Beweise von Unerschrockenheit und Opferwilligkeit abgelegt, so aber, wie sie sich in diesem Augenblick zeigte, hatte ich Schanhatta noch nie gesehen. Es war, als sei plötzlich das Bewußtsein in ihr erwacht, daß sie sich unter meiner Leitung weit über die Stufe geistiger Entwickelung der Eingeborenen hinausgeschwungen habe, und als ob sie fühle, daß der höhere Grad von Bildung, welchen sie sich angeeignet, ihr zugleich in physischer Beziehung ein Uebergewicht über dieselben verleihe.

Die Blackfeet dagegen, wenn eine Weiße Frau in solcher Weise vor sie hingetreten wäre, würden dieselbe verhöhnt und verlacht haben; aber daß ein junges Mädchen von ihrer eigenen Farbe es wagte, wie eine Gebieterin zu ihnen zu sprechen, sie ihre geistige Ueberlegenheit in so verletzender Weise fühlen zu lassen, das war mehr, als sie zu begreifen vermochten. Und dennoch befand sich Keiner unter ihnen, der auch nur die Neigung verspürt hätte, sich an der schwachen Waise für die ihnen zugefügte Beleidigung zu rächen; so viel schwerer wog in diesem Augenblick Schanhatta's moralischer Muth, als die physischen Kräfte und die wilde Grausamkeit ihrer Feinde. Und wenn diese auch bald wieder ihre gewohnte Herrschaft über sich und ihre Leidenschaften zurückgewannen, so ging der Einfluß, welchen Schanhatta durch ihr unerschrockenes Auftreten errungen, nie ganz verloren, obwohl auf der andern Seite wieder das, nach den Ansichten der Wilden, seltene und von der Gottheit sichtbar bevorzugte Mädchen in ihren Augen einen erhöhten und daher ihre Begierden um so mächtiger aufstachelnden Reiz erhielt.

Mir lehrte Schanhatta den Rücken zu, den Ausdruck ihrer sprechenden Augen konnte ich also nicht beobachten, wie auch die Fesseln an den Händen ihr nicht gestatteten, ihre Anrede, wie sie sonst zu thun pflegte, mit den eigenthümlich anmuthigen und bezeichnenden Bewegungen zu begleiten. Als aber ihre Worte so ernst und bestimmt aufeinander folgten und die wilden Krieger sie mit einer gewissen Scheu betrachteten, da wurde sie sogar in meinen Augen plötzlich eine ganz Andere, und kaum erkannte ich in ihr die schlanke Mandanenwaise wieder, die mit der Sanftheit einer Tande mir stets meine Wünsche aus den Augen herauszulesen suchte.

Längere Zeit dauerte es, bis der über eine solche unerhörte Verwegenheit verwirrte und erbitterte[] Häuptling das zu verstehen schien, was Schanhatta gesprochen hatte. Endlich aber ließ er die Hand langsam von seinem Messer niedergleiten, und sich stolz emporrichtend, maß er das unerschrockene Mädchen mit einem drohenden Blick von unten bis oben.

»Der weiße Jäger ist ein Mann,« hob er ausdrucksvoll an, »er ist ein Krieger, denn seine Büchse raubte zwei muthigen Blackfoot-Indianern das Leben. Ein Krieger aber weiß Schmerz zu ertragen; es beleidigt ihn, wenn man seine Schmerzen entfernt. Will die junge Mandanensquaw von ihren Banden befreit sein, so braucht sie es nur zu sagen; mein Messer wird ihr den Gebrauch ihrer Hände wiedergeben.«

»Lasse der Blackfoot-Häuptling meine Hände gebunden,« entgegnete Schanhatta mit einer schwer zu beschreibenden Hoheit, »meine Hände sind gefährlich, denn schon einem seiner Krieger raubten sie das Leben; sie mochten noch andern den Weg nach den glückseligen Jagdgefilden zeigen. Aber gehe der Häuptling hin und löse er die Fesseln von den Füßen des weißen Jägers, oder das Dorf der Blackfeet wird nie den Anblick der Mandanenwaise erhalten. Oder fürchtet der muthige Häuptling, daß der weiße Jäger mit dem verwundeten Knie schneller sei, als seine jungen Leute; oder daß er ohne Waffen stärker sei, als so viele Blackfoot-Krieger, wie ich Finger an den bänden zähle?«

»Ein Blackfoot-Häuptling braucht zehn weiße Jäger nicht zu fürchten,« versetzte Blackbird prahlerisch, nur noch mit Mühe seinen Unmuth verbergend, »aber meine Tochter hat recht, die Reise nach dem Dorf der Blackfoot-Nation ist weit, und der weiße Jäger muß gesunde Füße haben, soll er den Ort erreichen, wo die Knaben ungeduldig darauf harren, ihre stumpfen Pfeile in sein zuckendes Fleisch zu treiben. Er bedarf seiner ganzen Kraft, um meinen jungen Leuten zu zeigen, wie ein mutiger Krieger stirbt; die Knaben der Blackfoot-Nation sollen von ihm lernen Schmer; ertragen, und die alten Krieger und die weisen Medicinmänner werden den Knaben Martern lehren, bei welchen ein schwachherziger Krieger wie ein unbeholfenes Kind klagen würde.«

Indem der Häuptling dies langsam und mit besonderem Nachdruck aussprach, und seine Krieger ihm durch Zeichen und einzelne halbunterdrückte Laute beistimmten, wendete er sich mir zu.

Es war ersichtlich, er suchte sich durch derartige Drohungen an mir dafür zu rächen, daß Schanhatta ihn wie einen Untergebenen behandelte, ohne daß er vermocht hätte, den Zauber, welchen sie auf ihn ausübte, abzuschütteln. Doch seine Absicht, mich mit Besorgniß vor der Zukunft zu erfüllen, schon im Voraus meinen Muth zu brechen, gelang ihm nur unvollkommen. Ich bezweifelte zwar nicht, daß die anwesenden Blackfeet wirklich den besten Willen hegten, mir zu gelegener Zeit einen qualvollen Tod zu bereiten, doch hatte sich in mir der Glaube, oder vielmehr die feste Ueberzeugung gebildet, daß ich dem mir drohenden Geschick dennoch entrinnen, und zwar durch Schanhatta's unausgesetzte Wachsamkeit und ihr schnelles Handeln im entscheidenden Augenblick entrinnen würde. Bewies sie doch schon in der nächsten[] Minute, daß sie mit kluger Berechnung ihren Einfluß zu benutzen und zu meinem Besten auszudeuten wußte.

Als nämlich Blackbird geendigt, trat sie einen Schritt zurück, wie um ihm den Weg zu mir frei zu machen.

»Was zaudert der Häuptling der Blackfoot-Nation?« hob sie an, mit ihren gefesselten Händen auf mich hinweisend. »Dort liegt der bleicht Jäger; die dünnen Riemen schneiden ihm tief in's Fleisch, und die Wunde, welche eine Kugel ihm riß, wird wieder zu bluten beginnen. Was zaudert der Häuptling, seine prahlenden Worte auszuführen? Ist sein Messer vielleicht stumpf, oder muß der Häuptling seine jungen Leute fragen, ob sie ihm gestatten, des fremden Mannes Fesseln zu zerschneiden?«

»Blackbird ist ein großer Häuptling, wenn er spricht, dann haben seine jungen Leute ihre Ohren zu öffnen,« versetzte der wilde Krieger schnell, der sicherste Beweis, daß Schanhatta's mit Ueberlegung gewählten Worte seinen ganzen Ehrgeiz wach gerufen hatten. Die übrigen Blackfeet aber, die zu andern Zeiten wohl kaum eine so übermütige Sprache, ohne Einwendung zu erheben, geduldet hätten, schwiegen, weil sie sich in ihrem Häuptling mit verletzt fühlten und bei dem kühnen Benehmen des schwachen und sonst in ihren Augen nichts geltenden Mädchens eine gewisse Scham empfanden. »Blackbird ist ein Häuptling,« wiederholte dieser noch einmal, das Messer aus seinem Gurt ziehend und mit wegwerfender Geberde[] die Schneide prüfend, »nicht vergebens trägt er die weihe Locke auf seinem Haupt; sie erinnert ihn daran, daß er bereits ein Mann war, als er die Winter eines Jünglings zählte, schon damals nicht auf die Worte von Weibern zu hören brauchte. Die Mandanentochter hat lange mit dem bleichen Jäger verkehrt; viel Weisheit ist in ihren Kopf gedrungen, sie hat aber vergessen, daß sie ein Weib ist; sie hat verlernt, ihre Zunge zu mäßigen. Doch was frage ich nach dem Urtheil von Weibern?« unterbrach sich der Häuptling hier, seine Blicke von den ihn bezaubernden Äugen Schanhatta's abwendend, »schon zu lange würdigte ich die fremde Squaw meiner Aufmerksamkeit; ich handle, wie es mir gefällt,« und so sprechend schritt er gerade auf mich zu, und nachdem er mit raschem Schnitt die Fesseln von meinen Füßen entfernt, begab er sich mit gleichgültiger Miene an's Feuer zurück, wo er sich, scheinbar ohne Schanhatta weiter zu beachten, auf seine alte Stelle niederwarf. Nachdem Schanhatta auf diese Weise ihren Willen durchgesetzt hatte, schlich sie wieder davon. Niemand wehrte ihr, sich neben mich hinzusetzen; Niemand verbot ihr, daß sie eine leise Melodie anstimmte, und Niemand verstand sie, als sie hin und wieder einige Trostesworte in ihren melancholischen Gesang verflocht, welche ebensowohl von ihrer treuen Anhänglichkeit, als von ihrem namenlosen Schmerz über meine Gefangenschaft zeugten.

[] []Elftes Capitel.
Der Medicinmann.

Am folgenden Morgen in aller Frühe, noch eh' es zu dämmern begann, waren die Blackfeet bereits wieder in Bewegung.

Einige entfernten sich, um die in einer abgelegenen Schlucht weidenden Pferde herbeizuholen, andere trugen den Leichnam des erschossenen Gefährten davon, um ihn unten am Fluß zu verscharren und die Grabstätte durch eine Anhäufung von Steinen kenntlich zu machen und gegen die Wölfe zu schützen, und diejenigen, welche zurückgeblieben waren, theilten ihre Aufmerksamkeit zwischen mir und den zur Reise unerläßlichen Vorbereitungen.

An eine Flucht war vorläufig nicht zu denken; die Indianer wußten dies und scheuten sich daher nicht, Schanhatta von allen Banden zu befreien und auch meine Fesseln so weit zu lösen, daß ich die Hände nothdürftig gebrauchen konnte.

Sie hatten dabei mehr ihre eigene Bequemlichkeit, als meinen geschwächten Zustand im Auge, was mir indessen vollkommen gleichgültig blieb, wenn mir daraus nur einige Erleichterung erwuchs.

Bald nach Tagesanbruch trafen die ausgesendeten Krieger mit den Pferden bei uns ein. Es waren deren vierzehn, also genug, um nicht nur Alle beritten zu machen, sondern auch die erbeuteten Gegenstände mit fortzuschaffen.

Nicht wenig überraschte es mich, unter den Pferden zwei von den meinigen zu erblicken. Ich nahm daher an, daß Blackbird und seine Begleiter nach unserm letzten feindlichen Zusammentreffen auf der Insel nicht nach ihrem abgelegenen Dorfe zurückgekehrt waren, sondern, nachdem sie in Erfahrung gebracht, daß Dalefield und die Seinigen ohne uns in den Grenzansiedlungen eingetroffen seien, unausgesetzt nach uns geforscht und sich zu diesem Zweck mit solchen Pferden ausgerüstet hatten, welche ihnen eben zu Gebote standen. Es diente mir dies als neuer Beweis, welchen hohen Werth der Häuptling auf den Besitz Schanhatta's legte, und daß er lieber alles Andere, selbst seine Rache an mir, als auch nur ein Haar von Schanhatta gutwillig aufgegeben hätte.

Eine Stunde nach Sonnenaufgang waren wir endlich reisefertig. Die Sachen hatten auf den Rücken von drei Mustangs Platz gefunden, und da Schanhatta und ich ebenfalle beritten gemacht worden waren, die Pferde aber jener in den Prairien einheimischen und sehr dauerhaften Race angehörten, so waren wir im Stande, mit ungewöhnlicher Schnelligkeit zu reisen.

Dank den Bemühungen meiner treuen Gefährtin, fand ich auf der Reise selbst keinen Grund über harte[] Behandlung zu klagen; und wenn auch der eine oder der andere Blackfoot mich hin und wieder verhöhnte und mit ausgesuchter Bosheit die Martern beschrieb, welche ich zu erdulden haben würbe, so erfreute ich mich doch einer gewissen Freiheit, die nur in so weit beschränkt wurde, daß während des Marsches meine Füße unterhalb des Pferdes mittelst starker Riemen zusammengefesselt waren, während ein anderer Riemen von dem Zaum meines Pferdes nach dem Sattel eines meiner Wächter hinüberlief. Zur nächtlichen Stunde mußte ich mir dagegen gefallen lassen, daß ich an Händen und Füßen gefesselt zwischen zwei Kriegern lag, und ein anderer Krieger mit geladener Büchse in meiner Nähe weilte, um mich bei dem geringsten Fluchtversuch niederzuschießen.

Die Tage der Reise verstrichen mit einer gewissen Gleichförmigkeit. Vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne und zuweilen noch einen Theil der Nacht befanden wir uns im Sattel: nach dem Aufschlagen des Lagers war ich daher in Folge der von meiner Wunde noch zurückgebliebenen Schwäche, so erschöpft, daß ich die wenigen mir zur Rast vergönnten Stunden in fast ununterbrochenem Schlaf verbrachte.

Schanhatta, obgleich mit mißtrauischen Augen von Blackbird bewacht, blieb sich immer gleich; sie pflegte mich, so weit es eben möglich war, mit der Sorgfalt einer Mutter, und die wenigen Worte, welche sie nothgedrungen mit den Blackfeet wechseln mußte, brachte sie mit einem so unerschütterlichen, ihre tiefste Verachtung bekundenden Ernst hervor, daß diese zuletzt kaum noch wagten, sie anzureden, aus Furcht, wegen der ihnen zu Theil weidenden beleidigenden Antworten von ihren Gefährten verlacht zu weiden.

Ursprünglich hatte sie gehofft, während der Reise Gelegenheit zu finden, mich zu befreien und vereinigt mit mir auf den schnellsten Pferden der kleinen Heerde das Weite zu suchen, doch scheiterten alle ihre Pläne an der Wachsamkeit unserer Feinde, die uns während der wochenlangen angestrengten Reise nicht eine Minute aus den Augen ließen.

Trotzdem kam keine Klage über ihre Lippen; und nur daran, daß ihre Augen einen trüberen Ausdruck erhielten, ihre so vollen jugendfrischen Wangen einsanken, und sie sogar in ihren Tröstungen, welche sie mir zuflüsterte oder zusang, einsilbiger wurde, erkannte ich, daß auch ihre Hoffnungen allmälig zu erbleichen begannen, und ihr sonst nicht leicht zu beugender Muth immer mehr einem unbestimmten bangen Zagen wich.

Eines Morgens, wir mochten uns Wohl gegen drei Wochen unterwegs befunden haben, bemerkte ich, daß die Indianer sich mit größerer Sorgfalt, als gewöhnlich, zum Aufbruch rüsteten. Sie reinigten und[] polirten ihre Waffen, die Skalplocken wurden mit Federbüschen und sonstigen Zierrathen versehen, und die tupfrigglänzenden Gesichter und Oberkörper bemalten sie sich mit rother, gelber und schwarzer Farbe so gräßlich und wild, als wären sie im Begriff gewesen, einen Skalptanz aufzuführen, oder sich auf den Kriegspfad zu begeben.

Auch Schanhatta reichte man Farben und Bärenfett, um sich festlich zu schmücken und ihr schönes Haar zu ordnen, doch wies sie nicht nur diese indianischen Aufmerksamkeiten mit unverhohlener Verachtung zurück, sondern sie streute sogar, um ihren Abscheu auf eindringliche Art an den Tag zu legen, zum größten Mißvergnügen Blackbird's, noch eine Handvoll Asche auf ihr Haupt. Sie wußte, was die festlichen Vorbereitungen zu bedeuten hatten, und nicht als die auserkorene Lebensgefährtin eines indianischen Kriegers wollte sie in das Dorf der Blackfeet einziehen, sondern als eine trauernde Gefangene.

Ein Marsch von zwei Stunden brachte uns auf eine etwas höhere, wellenförmige Anschwellung der Prairie, und als wir dann auf der andern Seite derselben wieder hinabritten, lag das große und reich bevölkerte Dorf der Blackfoot-Indianer vor uns.

Ein Flüßchen mit bewaldeten Ufern, dessen Windungen sich nach beiden Richtungen hin in weiter Ferne am Horizont verloren, zog sich durch das Dorf hin; ich entdeckte wenigstens von unserm erhöhten Standpunkte aus, daß auf beiden Seiten desselben zahlreiche Zelte und Hütten, durch kleinere und größere Zwischenräume von einander getrennt, bedeutende Flächen bedeckten, und in allen Richtungen Heerden von Maulthieren und Pferden weideten.

Es waren also wenig oder gar keine Aussichten für mich vorhanden, dem mir bestimmten grausamen Geschick zu entrinnen, und noch weniger, Schanhatta den Händen Blackbird's zu entreißen.

Gelang es uns indessen die Wachsamkeit unserer Feinde zu täuschen, wohin hätte ich mich mit meinem lahmen Fuß wenden sollen, und welche Pferde wären wohl ausdauernd genug gewesen, uns einigen Hundert dieser wilden und grausamen Verfolger zu entführen? Ein unüberwindliches Grausen ergriff mich, indem ich der nächsten Zukunft gedachte, und vergeblich versuchte ich mich damit zu trösten, daß die mir bestimmten Martern nicht ewig dauern und auch die Stunden der Qual zuletzt ihr Ende erreichen würden. Schanhatta, dieses liebe treue Wesen, als Sklavin und Spielball eines grimmigen Wilden auf Erden zurücklassen zu müssen, dieser Gedanke peinigte mich indessen noch mehr, als die bestimmte Aussicht auf das über mich verhängte gräßliche Ende, und so sehr hatte ich

mich meinem traurigen Grübeln hingegeben, daß ich gar nicht darauf achtete, wie meine Begleiter ihre Gewehre abfeuerten, um sich im Dorfe anzumelden und den glücklichen Erfolg ihres Unternehmens zu verkünden.

Auf das Schießen strömten denn auch Alt und Jung herbei, um uns zu begrüßen. Die uns begleitenden Krieger pries man geräuschvoll für ihre kühne That, mich und Schanhatta dagegen überhäufte man mit den wildesten Schmähungen, und namentlich war ich es, gegen welchen sich die Wuth einer Rotte scheußlicher Weiber kehrte.

[] Wie ich später erfuhr, befanden sich unter diesen die Witwen der bei dem Angriff auf die Insel Gefallenen. Dieselben sahen in mir die alleinige Ursache des über sie hereingebrochenen Unglücks und bekundeten dies dadurch, daß sie mit den dicht gesät umherliegenden Knochen und Lederstücken nach mir warfen und unter teuflischem Geschrei ihr Messer drohend gegen mich erhoben.

Die uns umgebende Masse wüthender Megären und ihrer Kinder wuchs zuletzt in so hohem Grade an, und die Waffen wurden in so gefährlicher Nähe von mir geschwungen, daß unsere Begleiter ernstlich zu befürchten begannen, das blutige Drama würde durch einen sicher geführten Messerstoß zu einem verfrühten und deshalb weniger ergötzlichen Abschluß gelangen. – Mit sehr wenig Rücksicht sprengten sie daher unter den lärmenden Haufen, wofür sie von den zurückgedrängten und unter die Füße getretenen Stammesgenossinnen mit endlosen Verwünschungen, von den zuschauenden Männern dagegen mit schadenfrohem Lachen belohnt wurden. Als aber endlich ein stumpfer, von einem Knaben abgeschossener Pfeil dicht an meinem Kopfe vorbeischwirrte, da brachen sie, Blackbird an der Spitze, sich mit Gewalt Bahn, und im Galopp eilten wir nach der Mitte des Dorfes hin, wo eine geräumige Erdhütte, um welche herum sich vier oder fünf phantastisch bemalte Lederzelte erhoben, die Wohnungen der ältesten Krieger und weisen Männer der Nation bezeichnete.

Der tolle Haufen folgte uns zwar nach, und offenbar jetzt mit den allerfeindlichsten und blutdürstigsten Absichten, allein ehe die Vordersten bei der Erdhütte eintrafen, waren Schanhatta und ich von unsern Pferden gerissen und in dieselbe hineingedrängt worden. Ich vernahm noch das wüthende Geheul, mit welchem man meine Person herausforderte, da ich aber dem Anblick dieser von thierischem Blutdurst ergriffenen Menschen entzogen war, gelang es den Häuptlingen und älteren Kriegern leicht, sie durch Versprechungen zu beruhigen und endlich auch zu zerstreuen.

Ich selbst befand mich in einer Stimmung, daß die Wuth der Bevölkerung mich nicht mehr schreckte. Im Gegentheil, ich wünschte, derselben in die Hände gefallen zu sein, um unter den von wilder Rache geführten Messern ein schnelles Ende zu finden, anstatt daß ich jetzt den mir, und auch Schanhatta vergönnten Lebensrest, als eine ununterbrochene Reihenfolge von entsetzlichen Qualen betrachtete.

Erst nachdem die heulende und jauchzende Volksmasse sich zerstreut hatte, wendeten Blackbird und die Krieger, welche ihm bei der Gefangennahme behilflich gewesen, Schanhatta und mir ihre Aufmerksamkeit wieder zu. Blackbird, wenn nicht auch noch Andere Ansprüche an das geraubte Mädchen erhoben hätten, würbe dieses ohne Bedenken in sein Wigwam eingeführt haben; so aber blieb ihm nur der Ausweg, Schanhatta gleich mir zu fesseln und bis zur endgültigen Entscheidung als Gefangene behandeln zu lassen; doch wurde uns nicht der Trost zu Theil, zusammen in einem und demselben Raum verweilen zu dürfen.

Die von Außen einem Hügel ähnliche Hütte war nämlich durch feste Erdwände in mehrere kleinere und größere kellerartige Fächer eingetheilt worden, von welchen einzelne kaum geräumig genug, vier oder fünf [] Menschen in gebückter Stellung neben einander aufzunehmen. In eins dieser Fächer nun wurde die an Händen und Füßen gebundene Schanhatta gebracht, während man mich, nachdem man mich in gleicher Weise, aber rücksichtsloser gefesselt, in eine andere der finstern Höhlen stieß und sodann den Ausgang mit Pfählen und Steinen fest verrammelte.

Glücklicher Weise war die Heilung meiner Wunde in den letzten Wochen, trotz des beschwerlichen Marsches, so weit fortgeschritten, daß die fest um meine Fußgelenke geschnürten Riemen keine schmerzhafte Wirkung mehr auf sie ausübten. Ich hatte also keine anderen Schmerzen zu erdulden, als diejenigen, welche mir aus meiner gezwungenen Lage erwuchsen, und auch diese waren verhältnißmäßig noch immer erträglich, weil ich mich von der einen Seite auf die andere wälzen und um das Stocken des Blutes zu verhindern, meine Füße auf und nieder bewegen konnte.

Um weniger über mein trauriges Loos nachzudenken, verbrachte ich daher meine Zeit hauptsächlich damit, daß ich abwechselnd meinem Körper eben diejenige Bewegung zu Gute kommen ließ, welche mir möglich war, und dann wieder in einen dumpfen Mittelzustand zwischen Wachen und Schlafen zurücksank.

Lange Stunden hatte ich in dieser Weise dagelegen, und wiederum hatte mich ein unruhiger Schlaf allen irdischen Sorgen und Qualen entrückt, als ich durch das Murmeln einer Anzahl männlicher Stimmen zum Bewußtsein zurückgerufen wurde.

Aufmerksam und mit tödtlicher Spannung lauschte ich. Ungewiß darüber, ob es noch Tag sei, ob die Nacht hereingebrochen, oder ein neuer Tag die Nacht bereits wieder verdrängt habe, erwartete ich schon, daß man komme, um die Rache für das Tödten der Blackfoot-Krieger an mir zu vollziehen. Da erschien es mir plötzlich, als ob die murmelnden Stimmen sich ganz dicht an mir vorbeibewegten und endlich, in einer gewissen Entfernung angekommen, Halt gemacht hätten.

Leicht errieth ich, daß die angesehensten Krieger und Medicinmänner unter den verschiedenen Häuptlingen in der Zauberhütte zusammengetreten seien, einestheils, um über meine Person und das über wich zu verhängende Urtheil zu berathen, anderntheils um den über den Besitz Schanhatta's und des Manuscriptes oder vielmehr des Zauberpapiers schwebenden Streit zu schlichten.

Meine Vermuthung fand ich bestätigt, indem nach einiger Zeit das Murmeln verstummte und dafür lange, mit indianischem Pathos gehaltene Reden folgten.

Obwohl die Sprache der Blackfoot-Indianer nur wenig von der gewöhnlichen Sioux-Sprache abweicht, verstand ich doch nur höchst selten ein einzelnes Wort. Die Wände, welche mich von dem Berathungsgemach trennten, waren zu dick, der höhlenartige Bau überhaupt zu niedrig und daher jeder Schall zu sehr dampfend; wohl aber erkannte ich die Stimme Blackbird's, der ohne Zweifel feine Rechte an die Mandanenwaise und das sprechende Papier darzulegen suchte, und die Stimme des andern Kriegers, der ihm bereits bei frühern Gelegenheiten seine Anrechte an diese beiden kostbarsten Theile der Beute streitig gemacht hatte.

[] Die Verhandlungen dauerten lange und schienen sehr ernst zu werden, und laut knisterte und knackte das Berathungsfeuer, welches man ebensowohl der größeren Feierlichkeit wegen, als um den kellerartigen Raum zu erhellen, in der Mitte des Kreises gerade unterhalb der engen Rauchöffnung in der Bedachung schürte. Als die Versammlung bann endlich aufgehoben wurde, war man noch immer nicht zu einem festen Entschluß gekommen, denn nicht schweigend, wie es sonst Sitte, entfernte man sich aus der »Medicin-Hütte,« sondern murmelnd und verhandelnd, als ob ein Theil der Anwesenden sich für oder gegen die zur Sprache gekommenen Streitfragen erklärt habe.

Sobald die Stimmen endlich ganz verhallt waren, vernahm ich, wie Jemand die Thüröffnung von Innen schloß und fest verrammelte. Eine Schildwache würde diese Sicherheitsmaßregeln von Außen angewendet haben; es erwachte daher in mir die mich fast vernichtende Furcht, daß Blackbird heimlich in der Hütte zurückgeblieben sei, um seine grausamen Pläne an Schanhatta und mir auszuführen.

Die bald darauf eintretende tiefe Stille war keine Beruhigung für mich. Mein Ohr konnte nicht getäuscht werden; zu deutlich errieth ich aus dem fortgesetzten Knistern und Knacken des brennenden Holzes, und aus dem Geräusch, mit welchem von Zeit zu Zeit neue Scheite in die Flammen geworfen wurden, daß außer mir und Schanhatta noch eine dritte Person in der unheimlichen Zauberhütte weilte.

An Ruhe war in Folge dessen bei mir jetzt nicht mehr zu denken; denn meine Spannung wuchs in so hohem Grade, daß mir das Blut die Schläfen zu sprengen drohte und ich völlig empfindungslos gegen die mir aus meiner gezwungenen Lage erwachsenden Schmerzen wurde.

In jedem Augenblick erwartete ich Schanhatta's erstickten Hülferuf zu hören, in jedem Augenblick den rachsüchtigen und von den wildesten und zügellosesten Begierden erfüllten Blackbird bei mir eintreten zu sehen, um mich zu peinigen und zu verhöhnen und mit seinem scheußlichen Triumph über die mißhandelte Mandanenwaise zu prahlen.

Doch Alles blieb ruhig in meiner nähern Umgebung, nur zuweilen glaubte ich, da das Gehör sich bei der andauernden Spannung gewissermaßen verschärfte, einen dumpfen Seufzer oder einen kurzen Ausruf des Schmerzes zu unterscheiden. Diese traurigen Laute rührten indessen nicht von Schanhatta her, sie kamen aus einer tiefen männlichen Brust, und ein beängstigendes Gefühl beschlich mich, als ich der Möglichkeit gedachte, daß man uns vielleicht mit einem der Wahnsinnigen, welche die Eingeborenen als große Medicinmänner verehren, durch deren Mund ihr Manitou zu ihnen spricht, zusammen eingesperrt habe.

Was stand zu erwarten, wenn wir wirklich den thierischen Leidenschaften eines indianischen, vom bittersten Haß gegen die Weißen erfüllten Geisteskranken, preisgegeben waren?

Zwar suchte ich mich zu überreden, daß man Schanhatta schwerlich opfern würde, nachdem ihre Entführung so viel Zeit und Mühe gekostet, und dennoch war es nicht unwahrscheinlich, daß die einflußreichsten und einsichtsvollsten Häuptlinge und Medicinmänner [] sie gerade zu verderben trachteten, um sie nicht die Veranlassung zu blutigem Zwiespalt zwischen den Kriegern derselben Nation werden zu lassen.

Stunde auf Stunde verrann; im Dorfe, namentlich in den näheren Zelten, aus welchen so lange der dumpfe Schall der indianischen Trommel und wilder unharmonischer Gesang bis zu mir gedrungen war, wurde es still, und seltener ertönte das eigenthümliche vibrirende Gellen, mit welchem die jungen Krieger von dem einen Ende des Dorfes nach dem andern hinüber sich gegenseitig ihre verabredeten Signale gaben, oder im Uebermuth ihre frohe Stimmung verkündeten. Das Knistern des Feuers und das Stöhnen und Seufzen auf der andern Seite der mich von dem Hauptgemach trennenden Erdmauer dauerte dagegen fort, mich mit einem nie gekannten Grausen erfüllend.

Endlich war außer dem widerwärtigen Lärm der um Knochen und Fleischüberreste kämpfenden halbverhungerten Hunde jedes Geräusch im Dorf verstummt. Es mußte daher Mitternacht sein, also die Stunde, in welcher man annehmen durfte, daß die ganze Blackfoot-Bevölkerung sich dem Schlafe hingegeben habe.

Diesen Zeitpunkt schien mein geheimnißvoller Nachbar zur Ausführung seiner Pläne, welcher Art sie auch sein mochten, abgewartet zu haben, denn auch das schmerzliche Stöhnen erreichte plötzlich sein Ende, wogegen, nach dem Geräusch zu schließen, das Feuer noch einmal frisch geschürt und mit neuen Holzscheiten genährt wurde.

Gleich darauf herrschte aber tiefe Stille, welche nach einigen Minuten dadurch eine Unterbrechung erhielt, daß die vor Schanhatta's Kerker aufgethürmten Blöcke und Felsstücke zurückfielen. Die weichen Mokassins an den Füßen des seltsamen Wesens in Verbindung mit den behutsamen Bewegungen hatten dessen Tritte so sehr gedämpft, daß deren Schall nicht bis zu mir durchdringen konnte.

»Armes, unglückliches Mädchen,« dachte ich, indem sich mein Herz krampfhaft zusammenschnürte, und nachdem ich von Wuth und Verzweiflung einigemal ohnmächtig an meinen Banden gezerrt, daß ich das Blut warm von meinen Händen niederrieseln fühlte, lauschte ich mit angehaltenem Athem aus das Geräusch, aus welchem ich des bejammernswerthen Kindes Geschick zu errathen suchte.

Doch Alles blieb still, nur ein dumpfes eintöniges Murmeln, von welchem ich nicht sagen konnte, ob es aus Schanhatta's Kerkerhöhle, oder von außen herrühre, erreichte mein Ohr. Es überlief mich eiskalt, indem ich bedachte, daß sie vielleicht schon todt sei, oder mit der ihr innewohnenden Willenskraft jeden Ausruf des Schmerzes unterdrücke, von dem sie wußte, daß er mir das Herz zerschneiden würde.

Minuten verrannen, lange schreckliche Minuten, doch nichts rührte sich in der ganzen Hütte. Eine Viertelstunde, eine halbe Stunde ging dahin, und noch immer erduldete ich jene Folterqualen gräßlicher Ungewißheit, welche in ihrer schmerzhaften Wirkung von den ausgesuchtesten indianischen Martern nicht hätten übertroffen werden können.

Endlich, endlich unterschied ich das Geräusch, mit welchem die Blöcke wieder vor Schanhatta's Gefängniß gelehnt und das sorgfältige Uebereinanderthürmen von Steinen gegen das Umfallen geschützt und gesichert [] wurden. Ich athmete auf, doch war die schreckliche Ungewißheit noch nicht gehoben, denn vor mei ner erhitzten Phantasie schwebten die furchtbarsten Bilder, in welchen ich Schanhatta bald als verstümmelte Leiche, bald als das bedauernswürdige Opfer indianischer thierischer Leidenschaften erblickte.

Meine fieberhaft durcheinander wirbelnden Gedanken ordneten sich erst wieder einigermaßen, als nach einer kurzen Pause lautloser Stille Jemand unter den vor meiner Höhle angehäuften Steinen und Holzstücken zu stören und zu arbeiten begann und gleich darauf zwischen den geöffneten Fugen hindurch ein schwacher Lichtschimmer zu mir hereinfiel. Stein auf Stein, Block auf Block sanken zurück, in dem Maße als die letzten Hindernisse beseitigt wurden, vermehrte sich auch der Lichtschimmer schnell und bald darauf schob sich eine röthlich leuchtende Holzfackel zu mir herein.

Wer den Feuerbrand trug, konnte ich anfangs nicht unterscheiden, denn der Uebergang von der Finsterniß, in welcher ich so viele Stunden zugebracht hatte, zur flackernden Helligkeit war so plötzlich, daß ich dadurch geblendet wurde und meine Augen schließen mußte. Als ich mich aber an das Licht gewöhnt hatte und wieder um mich zu schauen vermochte, bot sich mir ein Anblick, so seltsam und dabei so beängstigend, daß ich nicht an die Wirklichkeit zu glauben wagte und mich zweifelnd ein Mal über das andere Mal fragte, ob ich wache oder träume, oder von krankhaften Visionen heimgesucht werde.

Im Eingänge der Höhle, also gerade zu meinen Füßen, und wegen der Niedrigkeit der Bedachung etwas gebückt, stand nämlich eine männliche Gestalt, welche dieser Welt gar nicht mehr anzugehören, sondern von einem mit den wunderlichsten Gebilden wimmelnden indianischen Paradiese entflohen zu sein schien.

Ein ursprünglich hochgewachsener, durch das Alter und auch wohl durch erduldete Leiden zusammengekrümmter Greis, in der einen Hand den flackernden Feuerbrand, in der andern mein Manuskript, schaute regungslos, wie eine Statue, zu mir nieder, als ob er mir Zeit habe lassen wollen, ihn in allen seinen Theilen genau zu betrachten und mich an seinen Anblick zu gewöhnen. Und dennoch übte er weniger einen erschreckenden oder drohenden, als einen befremdenden Eindruck auf mich aus, obgleich die bewegliche rothe Beleuchtung das Ihrige dazu beitrug, seinem Aeußern einen unheimlichen, gnomenartigen Charakter zu verleihen.

Die tief in ihre Höhlen zurückgesunkenen Augen hatten sogar einen milden Ausdruck, oder doch wenigstens nichts von jenem düsteren Fanatismus, wie ich ihn sonst wohl bei geistesverwirrten Medicinmännern – und diesen erkannte ich ja als einen solchen – beobachtet hatte.

Auf seinem Haupte trug er einen prächtigen Schmuck von den Schwung- und Schweiffedern des Kriegsadlers, deren einzelne Spitzen noch mit einem Büschel roth gefärbter Pferdehaare besonders verziert waren. Sein weißes Haar fiel lang und schlicht von seinen Schläfen auf die breiten und, wegen ihrer Hagerkeit, eckigen Schultern nieder; am meisten aber fetzten mich an ihm, als an einem Indianer in Erstaunen, daß ein voller, mittelst des unter den Eingeborenen [] gebräuchlichen pulverisirten Zinnobers roch gefärbter Bart ihm bis tief über die Brust hinab sank.

Seine Züge genauer zu unterscheiden, hielt schwer, indem die eine Hälfte seines runzeligen Antlitzes ebenfalls feuerroth, die andere dagegen dunkelblau gefärbt war, doch bemerkte ich, daß ihm die den Eingeborenen im Allgemeinen charakterisirenden, hervorstehenden Backenknochen mangelten, wogegen wieder eine echt indianische scharfe Adlernase weit über den feuerfarbigen Schurrbart hinausragte.

Außer den unbehaarten Theilen seines Gesichtes waren nur noch die beiden schwarz gefärbten Hände zu sehen, indem ein kunstvoll gearbeiteter und mit Perlen und Stachelschweinkielen reich gestickter Lederumzug seinen übrigen Körper verhüllte, und an diesem wieder die üblichen Embleme eines Zauberers, als Bälge von kleinen Nagethieren, Vogelköpfe, Schlangenhäute, Bärenkrallen, Pantherzähne, Haarbüschel von Büffeln und Pferden und getrocknete Eidechsen in Fülle befestigt waren.

Seine Hüften umschloß ein breiter gestickter Gurt und an diesem hingen, um das Aeußere eines Medicinmannes zu vervollständigen, der in einen Beutel umgearbeitete vollständige zottige Balg eines Stinkthiers, eine aus Hirschklauen angefertigte Klapper und ein ausgehöhlter Flaschenkürbis.

So stand also der seltsame Greis vor mir, seine milden Augen mit einer Theilnahme auf mich lichtend, die eindringlicher, als Alles, dafür bürgten, daß der Eigenthümer derselben, in welcher Weise die Gestörtheit seines Geistes sich auch immer offenbaren mochte, am allerwenigsten fähig sei, Schanhatta ein Leid zuzufügen.

Die Erscheinung des geheimnißvollen Medicinmanns hatte mich freilich im höchsten Grade überrascht, doch vertraut mit den indianischen Eitlen, erblickte ich in derselben gerade nichts Ungewöhnliches; meine Ueberraschung verwandelte sich aber in das grenzenloseste Erstaunen, als er, nachdem er mich eine Weile sinnend betrachtet hatte, zu sprechen anhob.

»Glauben Sie an Prophezeiungen?« fragte er mit hohler Grabesstimme, und zwar in so reinem Deutsch, wie nur Jemand zu Gebot stehen konnte, der seil seiner frühsten Jugend mit dieser Sprache vertraut gewesen.

Mit einer Mischung von Freude und unbestimmter Furcht starrte ich zu dem Medicinmanne empor. Ich wußte nicht, hatte ich recht gehört, oder befand ich mich unter dem Einfluß einer Sinnestäuschung.

»Glauben Sie an Prophezeiungen?« fragte der Greis wieder mit demselben geheimnißvollen Ausdruck.

»Was soll das heißen und wer sind Sie?« fragte ich endlich zurück, mich gleichfalls der deutschen Sprache bedienend, obgleich es mir schien, als seien die an mich gerichteten Fragen die einzigen deutschen Worte, welche der Zauberer kannte.

»Ich frage Sie,« antwortete der Greis ernst und feierlich, »ob Sie glauben, daß es einem Sterblichen vergönnt sei, in der Zukunft zu lesen und seinen Mitmenschen ihr Schicksal vorherzusagen?«

»Sie sind wirklich ein Deutscher, und dazu noch in solcher Verkleidung?« fragte ich auf's Heftigste erregt, denn ich begann zu glauben, daß der Fremde, [] offenbar ein Europäer, nur um mich zu retten, die Rolle eines indianischen Zauberers übernommen habe.

»Kümmern Sie sich nicht darum, wer ich bin,« entgegnete der Medicinmann mit einer Anwandlung von Ungeduld, »es genüge Ihnen zu wissen, daß ich die weißen Menschen nicht kenne, nicht kennen will; ich bin eine Rothhaut und nun beantworten Sie mir meine Frage, vergeuden Sie nicht die edle Zeit mit nutzlosen Fragen. Nur Weiber fragen. Männer verstehen zu schweigen; ich habe in dieser Nacht bereits mehr gesprochen, als sonst in Jahren. Glauben Sie an Prophezeiungen?«

»Also doch ein Unglücklicher,« dachte ich, und um ihn nicht noch mehr aufzureizen, ging ich auf die sonderbare Unterhaltung ein, »Ich glaube nicht an Prophezeihungen,« versetzte ich sodann ruhiger, »obgleich ich zugebe, daß der Zufall es hin und wieder fügt, daß übersehbare, vielleicht auch berechenbare Weissagungen wirklich eintreffen.«

»Thor!« erwiderte der räthselhafte Fremde geringschätzig lächelnd. »Du wagst es, dergleichen zu behaupten? Du, den das Geschick sich erkoren hat, um an ihm ein schlagendes Beispiel zu liefern?«

»Ich möchte wissen, in welcher Weise?« fragte ich immer noch begütigend, »aber wer Sie auch sein mögen, und was Sie auch immer dazu bewegt, Ihr Herkommen zu verleugnen, ich bitte Sie darum, ich flehe Sie an, sagen Sie mir, was aus Schanhatta, dem jungen Indianermädchen geworden ist, welches in meiner Gesellschaft hier eintraf, sagen Sie mir das und versprechen Sie mir, über das arme unschuldige Kind zu wachen, und ruhig will ich die Martern ertragen, welche wahrscheinlich über mich verhängt werden.«

»Schanhatta?« fragte der Greis, und ein freundliches, wohlwollendes Lächeln erhellte flüchtig seine eisenharten Züge; »Schanhatta? Jeannette wollen Sie wohl sagen; ja Jeannette oder Johanna, Aber Sie haben Recht, Jeannette, dieser Name erinnert zu sehr an die Weißen und die unter ihnen mit so viel Sorgfalt gepflegten Laster; an scheinheilige Gesichter, die mit dem Wort Gottes spielen, um unter dem Deckmantel der Religion straflos die empörendsten Verbrechen ausüben zu können. Hu, es war schrecklich! Schanhatta, Schanhatta, wer hätte es gedacht – nicht wahr, Sie lieben Schanhatta?«

»Ich sollte Schanhatta, dieses treue, liebe Mädchen, das Einzige, was mich noch an's Leben fesselt, nicht über Alles lieben?«

»Und wenn Sie unter die Weißen zurückkehrten, würden Sie Schanhatta heirathen und eine gebildete Frau aus ihr machen?«

»Ich weiß zwar nicht, was Sie dazu bewegt, diese Frage an mich zu stellen,« entgegnete ich, obgleich die Ahnung in mir aufstieg, daß ich in dem verkleideten Europäer den Vater der Mandanenwaise vor mir sehe, welchen die Blackfeet einst mit sich fortgeschleppt hatten, »doch können Sie zum wenigstens nicht mit unfreundlichen Absichten in einer solchen Weise zu mir sprechen; ich sage Ihnen daher, ja ich will Schanhatta zu meiner rechtmäßigen, christlichen Gattin machen, wie ich auch weiß, daß ich durch einen solchen Schritt nicht nur mein eigenes, sondern auch ihr vollstes irdisches Glück begründe, aber – dergleichen [] klingt kindisch aus meinem Munde, ich bin Gefangener, und weiß, was ich hier zu erwarten habe.«

»Schanhatta befindet sich in einer verhältnißmäßig bequemen Lage,« bemerkte der Medicinmann zerstreut, indem er das Manuscript in sein gesticktes Lederhemd schob und demnächst durch Entfernung der Kehlen und leichtes Schwingen seine Holzfackel zur Hellern Flamme anfachte; »ich habe sie getränkt und gespeist, ich habe ihr Geduld anempfohlen und versprechen, sie zu retten. Auch Dir, mein Freund, bringe ich Trank und Speise, aber bevor ich Dir Beides reiche, sage mir, schmerzen Dich die Fesseln? Ganz entfernen darf ich sie nicht, es könnte entdeckt werden, aber lösen will ich sie, so daß Du es leichter erträgst und Deine Gelenke nicht erlahmen; Du wirst Deine Glieder wahrscheinlich in nächster Zeit angestrengt gebrauchen müssen.«

Ich erklärte darauf, eine geringe Lockerung meiner Banden würde mir meine Lage erheblich erleichtern.

Der geheimnißvolle Greis beeilte sich, meinen angedeuteten Wunsch mit kundigen Händen zu erfüllen, worauf er sich neben mich auf die Erde niedertauerte und mir abwechselnd die mit frischem Wasser gefüllte Kürbisflasche an die Lippen hielt und einige Scheiben gedorrtes Büffelfleisch darreichte.

Die Fackel und einige in seinem Gürtel steckende Cedernscheite brach er sodann in kleinere Splitter, und nachdem er nahe der Thüröffnung, so daß der Rauch in den Hauptraum der Hütte hinauszog, ein kleines Feuer angelegt, welches er bequemer, als die unbeholfene Fackel in Brand zu erhalten vermochte, wendete er sich mir wieder zu.

»Sie fragen, mit welchem Recht ich mich nach Ihren Absichten, betreffs Schanhatta's, erkundige,« hob er an, seine Augen wieder mit mildem, wehmüthigem Ausdruck auf mein Gesicht heftend; »nun wohl, ich gestehe Ihnen ein Recht zu, eine derartige Frage au mich zu richten. Jeannette ist meine leibliche Tochter, sie ist meine und meiner braven und treuen Mandanenfrau Tochter. Auf ihrer Schulter steht es geschrieben; ich selbst tätowirte den Namen ein; jetzt ist er schwer zu lesen, die Jahre haben die Zeichen verwischt, doch erkannte ich die von mir sorgfällig eingeätzten Linien augenblicklich wieder. Ja, Jeannette ist meine Tochter,« wiederholte er, mit einem Ausdruck in's Leere starrend, als ob er sich auf etwas besinne, was mir, trotz feiner wohl geordneten Rede, wieder als eine Folge von Geistesabwesenheit erschien; »Jeannette ist meine Tochter, ich glaubte, sie sei todt, todt, wie ihre Mutter. Die falschen Men schen, sie zeigten mir die mit seidenweichem Haar bedeckte Kopfhaut eines Kindes und den getrockneten, blutigen Skalp einer Frau; sie sagten, es seien die letzten Ueberreste meiner Tochter und derjenigen, die mich mit treuer Anhänglichkeit pflegte und vor Gott meine rechtmäßige Gattin war. Sie haben mich belogen; mein Gedächtniß war geschwunden; weshalb sie wünschten, mich als Medicinmann unter sich zu haben. Hahaha! sie glaubten, ich sei weiser, als andere Menschen, und ich versteh? doch weiter nichts, als sie zu täuschen. Aber halt – wo blieb ich stehen? Ach ich entsinne mich, Jeannette ist meine Tochter, Sie wollen sie zu Ihrer Gattin machen und die Prophezeiung erfüllen.«

[] »Welche Prophezeihung?« fragte ich erschreckt, denn die Hoffnung auf Rettung, welche der fremde Freund kurz vorher durch sein Benehmen und die sich daran knüpfenden Versprechungen wachgerufen, zerfiel wieder in nichts, sobald ich mich überzeugte, daß er sich in einem Seelenzustand befand, von dem sich kaum irgendwelche Hülfe erwarten ließ. Denn wie sollte ich mir sein ängstliches Anklammern an eine eingebildete Prophezeihung anders erklären, als daß ich ihn den Einflüssen einer krankhaften Phantasie unterworfen glaubte?

»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte wer er war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar!«

sprach Schanhatta's Vater langsam und ausdrucksvoll, statt einer Antwort, vor sich hin.

»Sie haben in meinem Manuscript gelesen?« entgegnete ich mit einem tiefen Seufzer über die Hoffnungslosigkeit Schanhatta's und meiner Lage.

»Ich habe in Ihrem Manuscript gelesen; fast zwölf Stunden habe ich ununterbrochen gelesen, bald hier, bald dort. Es war zu viel, um es Wort für Wort in mich aufzunehmen. Aber ich weiß genug, ich weiß, daß die Prophezeihung –«

»Lieber Freund,« unterbrach ich den alten Mann, um einem weiteren Abirren seiner Gedanken vorzubeugen, »Sie haben vielleicht übersehen, daß jene Worte von einer Wahnsinnigen herrühren, und ich, damals noch ein zu romantischen Träumen hinneigen der und hochfliegenden Plänen nachjagender junger Mensch in fast kindischem Uebermuthe erst selbst eine Prophezeihung daraus machte?«

»Ich habe nichts übersehen; ich bin seit Jahren eine Rothhaut; Rothhäute sündigen, weil sie es nicht besser wissen und verstehen; die Weißen dagegen begehen die schwärzesten Verbrechen, aus Liebe zu den Verbrechen. Die geistigen Qualen ihrer Mitmenschen bereiten ihnen eine ebenso große Freude, wie den Indianern die Qualen ihrer Feinde am Marterpfahl. Die Verse rühren von einer Wahnsinnigen her, durch den Mund der Wahnsinnigen spricht Manitou zu seinen Kindern. Ich bin ein indianischer Medicinmann, Obgleich nur ein Gefangener der Blackfeet, besitze ich doch großen Einfluß unter ihnen. Die Blackfeet glauben an meine Worte, und ich glaube an die Prophezeihung der Wahnsinnigen. Die Tochter ihres Vaters, ja ja, mein Sohn, sie folgt Dir zum Altar, an ihrer Seite findest Du der Lieb? Glück – der Liebe wahres Glück – Hahaha! ohne daß ein heimtückischer Pfaffe es zu zerstören vermöchte!«

»Besinnen Sie sich, besinnen Sie sich, lieber Freund!« bat ich jetzt dringend, »Sie haben so lange nicht mit Weißen verkehrt, daß es Ihnen fremd oder vielmehr nur unbequem geworden ist, deren Anschauungen sogleich aufzufassen. Mein Manuscript hat keinen guten Einfluß auf Ihre Gemüthsstimmung ausgeübt. Aber ich beschwöre Sie, bei Allem, was Ihnen, was mir heilig, kämpfen Sie Ihre Aufregung nieder, ordnen Sie Ihre Gedanken und versuchen Sie ein Mittel zu ergründen, durch welches wenigstens Ihre Tochter dem ihr drohenden entsetzlichen Geschick entrissen wird. Bedenken Sie, Ihre von der Natur so reich bevorzugte und so viel versprechende Tochter,[] und die Sklavin eines grausamen, eingeborenen Kriegers! Vergessen Sie, was Sie gelesen haben, vergessen Sie die Prophezeihung, denn diejenige, auf welche ich dieselbe einst glaubte beziehen zu dürfen, ruht bereits seit vielen Jahren im Grabe!«

»Vergessen soll ich, mein Sohn?« fragte der Medicinmann, mich traurig anblickend und seine kalte Hand auf meine Stirne legend; »nein, ich vergesse Nichte. Aber vergegenwärtigen will ich mir Alles, was der Vergangenheit bereits anheimgefallen war. Dein Manuscript hat mich aus meiner Betäubung geweckt, hat mich zuerst auf die Spur meiner Jeannette geführt, und sie und Du, Ihr sollt Beide gerettet werden – doch warte – die Prophezeihung – ich muß mich besinnen, muß, wie Du sagst, meine Gedanken ordnen, muß Licht in meine Vergangenheit bringen.«

So sprechend schlang er seine Arme um seine emporgezogenen Kniee und als ob er aus dem Feuerschein etwas herauszulesen vermocht hätte, starrte er regungslos in die kleinen, lustig emporzüngelnden Flammen.

Zwölftes Capitel.
Die Töchter des Medicinmannes.

Wohl zehn Minuten verharrte der Medicinmann in seiner nachdenkenden Stellung. Während dieser ganzen Zeit beobachtete ich ihn mit all der Spannung, welche sich von der Hoffnung, daß durch sein Einschreiten vielleicht Schanhatta's und mein Geschick eine günstigere Wendung erhalten werde, nur immer erwarten ließ.

Ich entdeckte, was mich indessen, nachdem ich in ihm einen Weihen erkannt hatte, nicht weiter befremdete, daß seine Augen blau waren und sein greisenhaftes Aussehen weniger der Last der Jahre, als erduldeten schweren Seelenleiden zugeschrieben werden dürfe. Vergebens suchte ich dagegen aus seinen Zügen das herauszulesen, was in seinem Innern vorging. Die dicke Lage blauer und rother Farbe mochte mit dazu beitragen, seine Physiognomie undurchdringlicher erscheinen zu lassen, doch glaubte ich zu bemerken, daß seine Augen einen immer milderen und wehmütigeren Ausdruck erhielten, während seine Brust, wie vor unterdrücktem Schmerz, sich zeitweise mächtig hob und senkte.

Plötzlich wendete er sich mir wieder zu, und nach dem er mit beiden Händen leicht über seine Augen hingefahren, wie um eine peinigende Vision zu verscheuchen, legte er seine rechte Hand auf meine gefesselten Arme.

»Haben Sie Geduld,« begann er ruhig und ernst, und weit entfernt von jenem krankhaften Pathos, welchen er kurz vorher noch in feine Worte gelegt hatte, »ich werde im entscheidenden Augenblick Ihre Banden lösen; ich werbe Sie und meine Tochter retten, oder vereinigt mit Euch untergehen. Und nun hören sie mir aufmerksam zu, Sie werden Wunderbares erfahren. Doch eh' ich beginne, wiederhole ich noch einmal: jene Weissagung erfüllt sich, und sie soll sich erfüllen.«

»Da der Oberstlieutenant Werker Ihnen die Geschichte seines unglücklichen Bruders mitgetheilt hat, [] da Sie selbst diese Geschichte niedergeschrieben haben, so brauche ich nicht mehr darauf zurückzukommen. Es ist mir um so lieber; ich hatte bereits Alles, Alles vergessen; erst durch Ihr Manuscript ist mir die klare Erinnerung an eine schreckliche Vergangenheit wiedergegeben worden. – Wissen Sie, was aus jenem, um sein Lebensglück schändlich betrogenen Hans Werker geworden ist?«

Ich starrte den Frager verwundert an; klangen mir die bekannten Namen aus dem Munde eines Fremden seltsam, so überraschte mich diese Frage in noch höherem Grade. »Er soll sich das Leben genommen haben, und zwar auf eine Weise, daß seine Familie der Makel: die Angehörigen eines Selbstmörders zu sein, nicht, wenigstens nicht erwiesener Maßen, treffen konnte,« antwortete ich endlich zögernd.

»Das war es, was er bezweckte,« entgegnete der Medicinmann düster, »bei Derjenigen, die im Bunde mit einem Jesuiten, ihn schmählich hintergangen hatte, konnte, durfte er nicht länger leben; schon seines armen unschuldigen Kindes wegen durfte er es nicht. – Er entsteh; um aber einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf das Gemüth seiner ungetreuen Gattin zurückzulassen, und dadurch die Zukunft seines holden Kindes gegen die Willkür fremder gewissenloser Menschen hinfort sicher zu stellen, entfloh er so heimlich und nach solchen Vorkehrungen, daß Niemand einen Zweifel in sein durch einen Selbstmord herbeigeführtes Ende setzte. Er entfloh, doch nicht eher verließ er den europäischen Boden, als bis er sich überzeugt hatte, daß sein Zweck gelungen war, seine letzte Hoffnung sich erfüllte.«

»Die pflichtvergessene Gattin bereute, das Kind wurde dem Einfluß der fluchwürdigen Politik einer gewissenlosen Geistlichkeit entzogen, und getreu dem einmal gefaßten Entschluß und beruhigt über die Zukunft meiner kleinen Johanna, suchte ich das Weile.«

»Und Sie – Sie wären der Vater meiner armen unvergeßlichen Johanna?« rief ich erschüttert aus, indem ich, vergessend, daß ich gefesselt war, eine Bewegung machte, als hätte ich aufspringen wollen.

»Ja, der bin ich, der Vater derselben Johanna bin ich, die Du einst so heiß geliebt,« antwortete Hans Werker, der todtgeglaubte Bruder Deines verehrten Vormundes, »der Vater Deiner Johanna, der Vater Deiner Schanhatta, der armen verlassenen Mandanenwaise, und nun sage selbst ob ich nicht Ursache hatte, Dich, mein Sohn, auf die Prophezeiung hinzuweisen? Jeannette ist die Tochter von Johanna's Vater, und was die Wahnsinnige einst planlos dichtete, was einst so phantastische Träume bei dem jugendfrischen Studenten wachrief, das soll jetzt an dem gereiften Manne in Erfüllung gehen. Aber blicke mich nicht so starr an; ich weiß es, der grausig bemalte indianische Zauberer steht in krassem Widerspruch zu der Stellung, für welche mich die Natur ursprünglich bestimmt hatte. Blicke mich nicht so starr an; ich weiß was in Deinem Innern vorgeht, was Du sagen möchtest; allein jetzt darf ich noch nicht wagen, mich einer Hülle zu entledigen, die mir zwar viele Jahre hindurch Schutz, Ruhe und Sicherheit gewährte, mir aber, seit ich mit Dir zusammengetroffen bin, doppelt entwürdigend erscheint.

[] Mich umgiebt der Schmuck eines indianischen Zauberers, bunte Farben verunstalten mein Gesicht, aber glaube mir, unter den bunten Farben und dem Lederhemde verzehrt mich ein Schmerz, so tief und herbe, daß ich nicht begreife, wie ich so lange habe leben können. Und dennoch begreife ich es – mein Gedächtniß war so lange umdachtet – nein, nicht umdachtet, absichtlich hatte ich mein früheres Leben in Vergessenheit versenkt. Doch ich will nicht Nagen, nur wenig Schritte von hier liegt meine Tochter, die Todtgeglaubte, welche ich in derselben Stunde wiederfand, in welcher die Gewißheit: mein theures erstes Kind, meine liebliche Johanna, dennoch durch die unheilvollen Ränke jener verbrecherischen Priestergemeinschaft verloren zu haben, mich niederschmetterte und mich von Neuem in das dumpfe Brüten zu stürzen drohte, in welchem ich bereits Jahre zugebracht haben muß. Freude und Schmerz kämpfen jetzt in meiner Brust um den Vorrang, innige Freude über meine Jeannette, tiefe Trauer um meine Johanna. O Gott, mein Gott, wie lange wirst Du es noch dulden, daß auch unter denjenigen, welche die hehre Pflicht haben, Deinen Namen zu verherrlichen, sich die schwersten Laster und Sünden vertreten finden, daß das Kleid der Kirche als Deckmantel für Verbrechen benutzt wird, daß man Deine reinen Lehren, dieselben schändend, dazu ausbeutet, den menschlichen Geist zu erniedrigen und zu verkrüppeln!«

Stumm vor Erstaunen blickte ich zu dem vielgeprüften Manne empor. Kaum vermochte ich zu fassen, was ich vernahm, und dennoch war es die lautere, reine Wahrheit. Der Vater meiner gestorbenen Johanna war der Vater meiner noch lebenden Schanhatta, und nur der tiefste Seelenschmerz hatte den einst so lebensfrohen Mann, wie er mir von meinem Vormunde beschrieben worden war, in einen Gemüthszustand versetzt, in welchem für keine seiner Handlungen Rechenschaft von ihm gefordert werden durfte.

Innige Theilnahme ergriff mich, indem ich den Unglücklichen näher betrachtete; was mußte er erduldet haben, um sich endlich heimisch in einer so verunstaltenden Verkleidung zu fühlen, und bis zu welchem Grade mußte die Gestörtheil seines Geistes zeitweise reichen, daß die Indianer sich dadurch bewogen fanden, ihn zu nähren, zu kleiden und als einen hervorragenden Zauberer zu beschützen und zu ehren?

Jetzt erschien er allerdings vollkommen ruhig und gefaßt, doch wie lange konnte ein solcher Zustand dauern? Und wenn er wirklich unsere Flucht einleitete, stand nicht zu befürchten, daß er im letzten und entscheidenden Augenblick von den Dämonen des Irsinns erfaßt wurde und dadurch unsere Lage noch verschlimmerte, uns rettungslos in das Verderben stürzte?

Und hatte ich nicht endlich noch Verpflichtungen gegen Johanna's und Schanhatta's Vater? Durfte ich ihn seinem Schicksal überlassen, wenn es mir wirklich gelang, mit Schanhatta zu entrinnen? Dies waren Fragen, die sich mit Centnerlast auf meine Brust wälzten, und die Hoffnungen, welche sich eben erst gebildet hatten, in der nächsten Minute wieder erschütterten und niederrissen. Ich versuchte indessen mein Möglichstes, und vor allen Dingen trachtete ich darnach, den Unglücklichen allmälig immer mehr zu beruhigen und seinem Zurückfallen in die Rolle eines Medicinmannes vorzubeugen.

[] »Wenn ich nicht gefesselt wäre,« hob ich an, so bald Werker schwieg, »dann würde ich Ihnen die Hand drücken, zum Zeichen meiner aufrichtigsten Freude, mit Ihnen, dessen Geschick mit dem meinigen so innig verflochten –«

»Geduld, mein Sohn,« unterbrach mich Werker mit bewegter Stimme, indem er seine Hand wieder auf meine Stirn legte, »ich weiß, was Du sagen willst, verliere keine Worte mehr darüber; die Zeit enteilt, ich habe Dir noch so viel anzuvertrauen. Beurtheile mich nicht nach meinem Aeußeren, und halte mich nicht für einen überspannten Abenteurer, der nur aus Lust an tollen Streichen Indianer wurde, Hahaha! meine ernste Sprache paßt wohl vortrefflich zu meinem schönen Anzüge und den Chamäleonfarben in meinem Gesicht?«

»Ich sehe nicht Ihre Umhüllung,« entgegnete ich bebenden Herzens, sobald ich merkte, daß Werkers Gedanken wieder abschweiften, »ich sehe nur den gerechten Schmerz, der Ihre Brust zerreißt, nur Ihren festen Willen, wenigstens die letzte Ihnen gebliebene Tochter zu retten.«

»Du hast recht, mein Sohn; ich kannte Dich bereits, als Du noch zu schwach warst, um Deinen eigenen Füßen vertrauen zu können, zu klein, um eine Erinnerung an mich für spätere Jahre in Dich aufzunehmen. Die Jahre sind vorübergerauscht und Du bist ein Mann geworden, ein Mann, der mir doppelt nahe steht, meiner Kinder wegen. Doch höre: Als ich vor mehr als zwanzig Jahren der Heimath den Rücken lehrte, befand ich mich in einem Gemüthszustände, der mich für den Verkehr mit weißen Menschen untauglich machte. Ueberall sah ich ehrlose Betrüger, überall Leute, die darauf ausgingen, ihre Mitmenschen in's Verderben zu stürzen und bei deren Verzweiflung aus vollem Herzen zu hohnlachen. Meine Reise über den Ocean und durch die colonisirten Theile des nordamerikanischen Continentes glich mehr einer Flucht vor einem mich verfolgenden furchtbaren Phantom, als einer zur Erreichung eines bestimmten Zweckes unternommenen Fahrt. Und im Grunde hatte ich ja auch keinen eigentlichen Zweck; ich wollte nur fort, fort, weit fort; mich trieb die Angst, daß Diejenige, die mich einst treulos verrieth, eine Ahnung von meinem Leben erhalten und in Folge dessen zum Nachtheil meines armen Kindes auf dem Pfade der Reue umkehren und sich den ans der Lauer liegenden jesuitischen Priestern wieder in die Arme werfen könne. Habe ich unrecht gehandelt, so mag Gott mir vergeben um der Qualen willen, welche ich erduldet. Ich wollte das Beste, und dann, wenn man sein ganzes irdisches Glück auf einen Schlag unheilbar zertrümmert sieht, besitzt man auch nicht die ruhige Ueberlegung, welche man sich in den heitere!, Verhältnissen des Lebens wohl anzueignen vermag.«

»Auf meiner fluchtähnlichen Reise ging ich so weit westlich, wie meine spärlichen Mittel reichten; ich scheute weder Gefahren noch Hindernisse. Wo ich noch ein weißes Gesicht erblickte, da trieb es mich fort; die Furcht vor den Weißen war gewissermaßen zum drohenden Gespenst bei mir geworden. Mich leitete der unbestimmte Wunsch, meine Zuflucht unter Menschen zu suchen, die noch nicht gelernt hatten, solche Qualen, solche namenlose Leiden zu ersinnen,[] wie sie mir in meiner Heimath zugefügt worden waren.«

»So hatte ich denn als einsamer, fast unbewaffneter Wanderer endlich das Dorf der Mondanen erreicht, als sich zu meiner gänzlichen Erschöpfung noch eine schwere Krankheit gesellte und mich zwang, liegen zu bleiben.

Um bis dorthin zu gelangen, hatte ich beinah zwei Jahre gebraucht; ein langer Feitraum, aber doch nicht lang genug, daß die Wunden, welche meinem Herzen geschlagen waren, zu bluten aufgehört hätten. Anders wäre es vielleicht gekommen, hatte ich mich in das rege Geschäftsleben gestürzt. Ich würde weniger mit mir selbst beschäftigt gewesen sein, schneller eine gewisse Ruhe der Seele wiedergewonnen und mich allmälig an meine Lage gewöhnt haben.«

»Das Dorf des einstmals so starken und schönen Stammes der Maubauen hatte ich also erreicht, um daselbst krank und bis zum Tode erschöpft niederzusinken. Welche Art von Krankheit mich heimsuchte, weiß ich nicht, ich erinnere mich nur, daß ich glaubte, sterben zu müssen, und daß die wilden Heiden mich mit einer Sorgfalt pflegten, welche dem besten deutschen Krankenhause zur Ehre gereicht haben würde.«

»Die armen Heiden, sie fragten nicht, woher ich komme, wer ich sei oder auf welche Art ich meinen Gott verehre; sie sahen, ich war krank und hülflos, für sie ein genügender Grund, mir ihre Gastfreundschaft im ungebundensten Maßstabe angedeihen zu lassen.«

»Dank meiner kräftigen Natur und den einfachen Heilmitteln, welche die Indianer anwendeten, überstand ich die Krankheit, und rührend war es, zu beobachten, wie die harmlosen Menschen sich darüber freuten, mit ihrer indianischen Arzneikunde ein Bleichgesicht vom Rande des Grabes zurückgerissen zu haben, –«

»Unter Denjenigen, die mir in meiner hülflosen Lage die meiste Sorgfalt und Aufmerksamkeit schenkten, befand sich auch eine junge Indianerin, die älteste Tochter der Familie, in deren Zelt ich, vom Zufall geführt, Obdach gefunden hatte.«

»Dieselbe, obgleich das Bild einer echten Indianerin, besaß, selbst nach unseren Begriffen, einen ungewöhnlichen Liebreiz, und namentlich ein Paar große, unendlich freundliche und fünfte Augen, welche, wenn sie mich nur erreichen konnten, beständig auf mich gerichtet waren.«

»Zu verständigen vermochte ich mich mit meinen Gastfreunden nur mit Hülfe von Geberden; es genügte dies indessen unfern Zwecken vollkommen, und namentlich zeichnete sich die junge Indianerin dadurch aus, daß sie mit wunderbarem Scharfsinn meine Wünsche errieth und sich dann stets beeilte, dieselben in Ausführung zu bringen.«

»Die freundliche Zutraulichkeit des jungen Mädchens verfehlte nicht, eine wohlthätige Wirkung auf meine gedrückte Gemüthsstimmung auszuüben, und immer lieber schaute ich in die sanften, schwarzen Augen, die an mildem Glanz wohl kaum von den Augen meiner Tochter Jeannette übertreffen werden. Ihre sichtbar wachsende Zuneigung veranlaßte mich daher auch vorzugsweise, dem Zureden einzelner Mandanenhauptlinge nachzugeben und in ihrer Mitte[] meine neue Heimath zu wählen. Wohin hätte ich mich auch wenden sollen? Ich befand mich, wie ich es so heiß ersehnte, fern jeder Spur der mir durch Erfahrungen der bittersten Art verhaßt gewordenen Civilisation, durch welche ich an meine herben Verluste hätte erinnert werden können, und die sehr wenigen Weißen, welche sich damals erst in diese Regionen wagten, waren eben nur rauhe Pelzjäger, welche sich in Sitten und Gewohnheiten kaum von den Eingeborenen unterschieden.«

»Doch auch diese mied ich; meine Abneigung gegen die weißt Race vermochte ich nicht hinlänglich zu überwinden, um mich mit ihnen in irgend welche Verbindungen einzulassen. Unter meinen rothhäutigen Gefährten erfreute ich mich einer verhältnißmäßig ruhigen Zufriedenheit, und mögen die Indianer noch so viele Fehler und Gebrechen in ihrer Denkungsweise sowohl, als auch in ihren Einrichtungen aufzuweisen haben, mögen die gerechtesten Vorwürfe sie von allen Seiten treffen, so lange ich unter den Mandanen lebte, fand ich nie einen Grund, über sie zu klagen, oder mein Bleiben unter ihnen zu bereuen.«

»Sie betrachteten mich eben vollständig als einen der Ihrigen; ich begleitete sie auf ihren Jagdzügen, und betheiligte mich an ihren wilden Festlichkeiten, so lange dieselben nicht einen meinen Gefühlen widersprechenden Charakter erhielten, und wohl erfüllte es mich mit Freude, daß nach einer erfolgreichen Jagd nie ein Gastmahl gefeiert wurde, zu welchem ich nicht mit aller Förmlichkeit als Ehrengast eingeladen worden wäre.«

»Für die mir bewiesenen freundlichen Gesinnungen erzeigte ich mich dankbar, indem ich bei Erkrankungen die mir von der Heimath her bekannten Hausmittel oft mit dem besten Erfolg in Anwendung brachte und meine Gastfreunde manche kleine Kunstgriffe lehrte, die ihnen hin und wieder die Arbeit und das Leben erleichterten. Man hielt mich in Folge dessen für einen hervorragenden Medicinmann, und immer gewichtiger wurde meine Stimme im Rathe der Krieger und weisen Männer.«

»Drei Jahre waren mir auf diese Weise unter den Mandanen in ungetrübter Ruhe hingegangen, und fünf Jahre, seit ich die Heimath verlassen hatte. Ich wohnte noch immer bei derselben Familie, als deren Mitglied man mich allgemein betrachtete, und in demselben Grade, in welchem ich mich heimischer in meiner Umgebung fühlte, erbleichte auch die Erinnerung an Diejenige, die einst kaltblütig mein Lebensglück zerstörte, wenn auch das Bild meiner kleinen unschuldigen Johanna mir stets mit derselben Lebhaftigkeit vorschwebte und mir manche Stunde des bittersten Kummers verursachte. Wie gern hätte ich das Kind wiedergesehen, mit meinem Leben hätte ich einen kurzen Anblick desselben bezahlen mögen, doch, wie konnte ich mich dem Kinde nähern, ohne zugleich mit der Mutter zusammenzutreffen, mit ihr, die mich für tobt halten sollte? Ich gewöhnte mich daher leicht an den Gedanken, die Wildniß und die Mandanen nie wieder zu verlassen, und eine natürliche Folge dieses Entschlusses war, daß ich mich zur größten Freude des ganzen Stammes mit der Tochter meiner Gastfreunde vereinigte und meinen eigenen Hausstand gründete.«

»Wiederum verstrichen mehrere Jahre. Ich war[] durch die Geburt einer Tochter, welche ich nach mir und meiner fernen Johanna Jeannette taufte, beglückt worden, und die Schwermuth, welche noch immer auf mir lastete, erhielt eine mildere, freundlichere Färbung durch die Hoffnung, dereinst der Lehrer meiner kleinen lieblichen Jeannette zu werden, sie, so viel eben in meinen Kräften lag, für ein besseres Loos vorzubereiten und auf geeignetem Wege in andere, meinem eigenen Herkommen entsprechende Verhältnisse einzuführen.«

»So lieb ich meine indianischen Gefährten auch gewonnen hatte, wiederstrebte es doch meinem Gefühl und meinen Ansichten über die eigentliche Bestimmung des Menschen, mein Kind als eine einfache, zur Sklavin ihres dereinstigen Gatten bestimmte Squaw aufwachsen zu lassen. Mein Haß gegen die Weißen, überhaupt gegen Alles, was Civilisation heißt, sollte in seinen Folgen nur auf mich beschränkt bleiben; ich hoffte von der Welt Milde, Nachsicht und Theilnahme für meine liebliche, unschuldige Tochter.

Solcher Art gestalteten sich meine Pläne. Doch wo sind sie geblieben? Sie zerfielen in Nichts!«

»Jeannette hatte noch nicht das zweite Jahr erreicht, als unser Dorf eines Nachts von den Blackfoot-Indianern überfallen, und der größte Theil der Bevölkerung, dem es nicht gelang, zu entfliehen, auf grausame Weise niedergemacht wurde.«

»Ich kämpfte Hegen die Uebermacht, mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln; ich kämpfte mit Erbitterung, denn ich kämpfte für Weib und Kind. Doch Alles war vergeblich. Ein furchtbarer Schlag mit einer kurzen Kriegskeule von hinten gegen mein Haupt geführt, warf mich besinnungslos zu Boden, und was dann weiter mit mir vorging, liegt für mich im tiefsten Dunkel.«

»Als ich nach langer Zeit wieder zum Bewußtsein erwachte, da befand ich mich in dieser Hütte, vielleicht auch in einer andern, aber ähnlichen. Ich war gekleidet wie heute, so daß ich mich nicht wiedererkannte und die Beute eines wirren Traums zu sein glaubte. Einige alte Krieger richteten Fragen der seltsamsten Art an mich, die ich, ohne den Sinn derselben in Erwägung zu ziehen, so beantwortete, wie es mir gerade einfiel, wodurch sie aber auf's Höchste zufriedengestellt zu sein schienen. Ich muß nach dem empfangenen Schlage beständig phantasirt haben, weßhalb ich für einen weisen Medicinmann erklärt worden war.«

»Wie lange dieser gräßliche Zustand gedauert hatte, vermag ich nicht anzugeben; doch schwebt mir vor, daß ich, indem ich mich betrachtete, über die Hagerkeit meiner Arme heftig erschrak. Nur Jahre konnten eine derartige zerstörende Wirkung auf meinen sonst so kraftvollen Körper ausgeübt haben.«

»Befremdet schaute ich umher, überall trafen meine Blicke auf ernste, mir vollständig unbekannte Gesichter, die mir mit dem gespanntesten Ausdruck zugewendet waren. Starr vor Staunen sah ich auf meine Hände; sie waren schwarz angestrichen, als ob ich es selbst gethan hätte; mit demselben Erstaunen bemerkte ich, daß meine Mokassins abgetragen waren, ein neuer Beweis, daß ich schon seit geraumer Zeit in diesem schlafähnlichen Zustande umhergewandelt war.«

[] »Da ertönte wieder das laute Weinen eines kleinen Kindes, welches mich ursprünglich zum Bewußtsein zurückgerufen hatte, und mit Heftigkeit emporspringend, fragte ich drohend nach Weib und Kind.«

»Die alten Krieger beriethen eine Weile unter einander, worauf sie den getrockneten Skalp eines Kindes und den einer Frau vor mich hinlegten. Sie sagten, es seien die letzten Ueberreste meiner Familie, und dann – und dann – ich betastete die seidenweichen Haare der kleineren Kopfhaut, worauf ich wieder lautlos einschlief. Nein – nein – eingeschlafen bin ich nicht!« unterbrach Werker sich hier mit einem wilden Ausdruck, der mich das Schlimmste befürchten ließ und für die längere Dauer seiner Ruhe besorgt machte; »aber mein Herz wurde mir kalt, so kalt wie Eis,« fuhr er mit bebenden Lippen fort, »und ich verlor die Erinnerung an die Vergangenheit!«

»Lassen Sie die geschehenen Dinge ruhen,« tröstete ich jetzt freundlich, »Sie sind ja nur getäuscht worden, Ihre Tochter lebt, allein sie wird einem traurigen Geschick anheimfallen, wenn Sie sich in so hohem Grabe aufregen, daß Sie unfähig werden, ihr beizustehen und sie zu retten.«

Werker strich sich über die Stirne, über welche der Schweiß, zusammen mit der öligen Farbe, niederrieselte. »Ja, mein Sohn, Du hast recht,« sagte er dann leise flüsternd, »ich darf mich nicht aufregen, sonst schlafe ich wieder ein – nein – verfalle ich wieder in meinen Wahnsinn. Ja, Wahnsinn muß es gewesen sein, was mich damals beim Anblick der gräßlichen Trophäen ergriff, denn ich verlor wohl die Erinnerung an die Vergangenheit, allein ich wußte doch, daß ich lebte und mich mit der Gegenwart beschäftigte.«

»Es bildete sich in mir die Idee, und dann die Ueberzeugung, daß ich, indem ich den äußern Menschen umwandele, überhaupt eine ganz andere Person werde und mithin das nicht erlebt habe, was zuweilen in lichten Augenblicken, wie ein unermeßlich hoher Berg auf meiner Brust lastete. Es erwachte der unbestimmte Wunsch, ein vollblütiger Blackfoot zu werden, und Alles, was ich dachte und was ich trieb, lief darauf hinaus, den Erwartungen, welche man von mir, als dem weisesten aller Medicinmänner hegte, zu entsprechen.«

»Und es gelang mir; denn es wurde hinfort nichts mehr unternommen, ohne daß ich durch ein Zeichen, denn das Sprechen wollte ich mir ganz abgewöhnen, meine Zustimmung gegeben, und Niemand starb mehr im Dorf, ohne daß ich an seinem Lager die indianische Trommel gerührt hätte. Hahaha! Werker! Du warst der lustigste Offizier beim Regiment, Du hast es endlich –«

»Halten Sie ein, um Gotteswillen, halten Sie ein!« unterbrach ich flehend den unglücklichen, schwergeprüften Mann, »fürchten Sie für Schanhatta und sammeln Sie Ihre Gedanken!«

»Nicht Schanhatta, sondern Jeannette heißt meine einzige Tochter,« entgegnete Werker erschreckt zusammenfahrend, »sie befindet sich nur wenige Schritte von hier, und ich will sie retten. Ich soll meine Gedanken ordnen, es ist wahr, ein Fehler von [] meiner Seite, und Ihr seid Beide verloren. Du hast recht mein Sohn, erinnere mich nur zur rechten Zeit, wenn der döse Geist über mich kommt – aber nun will ich weiter erzählen – die Last muß von meiner Brust herunter.«

»Lange, lange Jahre bin ich nun schon der erste Zauberer der Blackfeet gewesen und als solcher von ihnen mit der größten Achtung, ja, sogar mit einer gewissen Scheu behandelt worden. Wie viele Jahre, das mag Gott wissen, aber vielmals sah ich in den Prairien den Schnee mit blumenreichem Rasen abwechseln.«

»Meine Rolle als Zauberer und ein mit übernatürlicher Macht ausgerüstetes Wesen habe ich gewissenhaft durchgeführt. Es war keine schwere Aufgäbe. Den Pferdedieben rieth ich zu Raub, den blutgierigen und rachedurstigen Kriegern, ihren unbezähmbaren Leidenschaften freien Lauf zu lassen, mit den Gefangenen, da ich sie doch nicht befreien konnte, nach Willkür zu verfahren. Ich war nahe daran, die mir selbst gestellte Aufgabe zu lösen, nämlich in den immer seltener wiederkehrenden Minuten, in welchen ich, durch das Weinen von Kindern dazu veranlaßt, meiner Töchter gedachte, meine Erlebnisse für die eines Andern zu halten, als Blackbird mit Dir und Jeannette als Gefangenen eintraf.«

»Jeannette und Deine Papiere hatten Veranlassung zu Streitigkeiten unter den Kriegern gegeben. Die Einen wellten ihre Ansprüche auf das Mädchen nicht aufgeben, die Andern wünschten das sprechende Zauberpapier zu besitzen, und Blackbird wieder gedachte, Beides für sich zu behalten, wenigstens nicht gutwillig an einen Andern abzutreten. Der Streit hatte einen so ernsten Charakter angenommen, daß man ihn für wichtig genug hielt, deshalb die Aeltesten des Dorfes zu einer Berathung zusammen zu rufen.«

»Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, wurde ich aufgefordert, mich an der Berathung zu betheiligen.«

»Man zeigte mir das Mädchen, welches ich kaum eines Blickes würdigte, und man zeigte mir das Manuscript. Ich hatte beschlossen, Jeannette Blackbird zuzusprechen, und die übrigen Krieger um das Manuscript loosen zu lassen, als ich zum Glück noch rechtzeitig in Letzterem zu blättern begann. Ich las bekannte Namen, ich las sogar meinen eigenen Namen und die meiner Töchter, und wie sonst das klägliche Weinen kleiner Kinder meine trüben Gedanken in eine ganz andere Richtung zu lenken Pflegte, so wurde ich beim Ueberfliegen der ersten Zeilen in ähnlicher, indessen weit erschütternder Weise ergriffen. Je mehr ich las, um so klarer wurden meine Gedanken, um so lebhafter trat meine Vergangenheit mir vor die Seele.«

»Von diesem Augenblick an regten sich in mir wieder die Gefühle des Vaters, des Weißen Mannes; zugleich aber bemächtigte sich meiner mit unwiderstehlicher Gewalt das Verlangen, die Indianer zu täuschen, um dadurch Zeit zu gewinnen, die Schrift durchzulesen und zu entdecken, in wie weit die beiden Gefangenen mit dem Inhalt der beschriebenen Blätter in Verbindung zu bringen seien.«

»Da ich sonst stets schweigsam war, so erregte es in der Versammlung kein geringes Erstaunen, als [] ich, nachdem ich die Schrift flüchtig durchblättert hatte, zu sprechen anhob und erklärte, daß das sprechende Papier eine außerordentliche Zauberkraft enthalte. Meine Zuhörer setzten keinen Zweifel in meine Worte; erblickten sie doch in meiner so plötzlich erwachten Redseligkeit eine Wirkung der in dem Manuscript vorgeblich verborgenen übernatürlichen Medicin.«

»Es gelang mir daher leicht, sie zu überreden, daß ich, eh' über das Geschick der Gefangenen entschieden werden dürfe, die gefährliche Zauberkraft vorerst genau kennen leinen müsse.«

»Bei einer zweiten Zusammenkunft in dieser Hütte bekräftigte ich nur, was ich bereits angerathen hatte. Ich machte Alle aufmerksam auf den Umfang des sprechenden Papiers, und drang darauf, mich die Nacht über allein zu lassen, um ungestört zu lesen. Ich vertröstete sie zugleich auf den innerhalb zweier Tage bevorstehenden Mondwechsel, vor welchem Zeitpunkt, nach meiner sorgfältigen Berechnung, überhaupt an keinem Gefangenen das über ihn verhängte Urtheil vollzogen werden dürfe, solle daraus dem Stamme kein Unglück erwachsen.«

»Bei dem allen Eingeborenen eigenthümlichen Aberglauben hielt es nicht schwer, die aufgeregten Gemüther, und zwar ohne Argwohn zu erregen, zu beruhigen und nach meinem Willen zu lenken.«

»Man sah das Verständige meiner Nachschlage ein und entfernte sich; die Thüröffnung wurde indessen auf meinen ausdrücklichen Wunsch auch noch von Außen fest verrammelt. Ich wünschte vor meiner Zusammenkunft mit Ihnen und meiner Tochter noch mehr von dem Inhalte des Manuscriptes zu erfahren und dann in meiner Unterhaltung mit Ihnen nicht unterbrochen zu weiden. – Sie sehen, Herr Wandel, ich bin jetzt ruhig; die furchtbare Gemüthsbewegung, welcher ich seit den letzten zwölf Stunden unterworfen gewesen, hat mich nicht getödtet oder auf's Neue meine Gedanken verwirrt. Im Gegentheil, mir ist, als ob meine Verstandeskräfte, seit mein Geist unausgesetzt nach der einen Richtung hinarbeitet, sich verschärft hätten. Meine Rolle als Medicinmann werde ich ebenso gut und tauschend durchführen, wie zur Zeit, da mir dieselbe zur andern Natur geworben war, und immer möglicher erscheint es mir, daß es uns gelingt, zu entfliehen. Hahaha! wie sie hinter uns her spüren werden! Aber ich mache uns unsichtbar, denn ich bin ein Zauberer –«

»Schanhatta, Schanhatta! Lieber Weiler, denken Sie an Schanhatta, Ihre Tochter!« rief ich bei dieser Wendung seiner Rede mit innerlichem Zagen aus.

»Jeannette, ach ja, meine Gedanken schweiften ab,« versetzte Werker, seine Augen eine Weile schließend; »doch fürchte nichts, ich bin nur zuweilen zerstreut; es dauert aber nicht lange, und wenn es gilt, unsere Feinde zu täuschen, dann werde ich schon auf mich achten. Oder glaubst Du vielleicht, ich sei im Stande, mein eigenes, mein einziges Kind zu verrathen? Oder Dich, den Verlobten meiner armen Johanna und den zukünftigen Gatten meiner lieblichen Jeannette? Hahaha! Du bist ein braver Junge, und sie ist ein liebes Kind! O, wie glücklich werdet Ihr sein! Und ich ziehe mit Euch; die Farben wasche ich [] wir ab, hahaha! Niemand wird den alten Zaubermann –«

»Schanhatta, Ihre Tochter, vergessen Sie nicht Ihre Jeannette,« flüsterte ich ängstlich.

Werker schauderte, wie vor Kälte und dann richtete er sich mit einer entschiedenen Bewegung empor. »Ich danke Dir, mein Sohn,« sagte er ernst und ruhig, seine Hand wieder auf meine Stirn legend, »Du warst der gute Engel meiner Kinder und dafür will ich jetzt der Deinige sein. Nun merke auf meine Worte, und handle so, wie ich es Dir vorschreiben werde, Dein Leben und das Leben meiner unschuldigen Jeannette hängen von der pünktlichen Befolgung meiner Rathschläge ab.«

»Morgen, oder vielmehr schon heute, denn die Morgendämmerung ist nicht mehr fern, werde ich den ganzen Tag abwesend sein. Dein Leben wird man wahrend dieser Zeit nicht anzutasten wagen, noch weniger Jeannette irgend welchen Zwang anthun, aber es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß man Dir unter gewissen Bedingungen die Freiheit verspricht. So seltsam und widersinnig diese etwanigen Vorschläge klingen mögen, weise sie nicht unbedingt zurück, aber nimm sie auch nicht unbedingt an; Letzteres konnte Argwohn erwecken. Berufe Dich auf mein Urtheil, ohne indessen Theilnahme für mich zu verrathen, und gieb vor, daß Du so handeln wolltest, wie ich es aus dem sprechenden Papier herauslesen würde. Das Weitere überlasse mir; aber noch einmal, mein lieber Freund und Sohn, versprich mir bei Deiner Ehre, meinen Anordnungen, welcher Art sie auch sein mögen, blindlings Folge zu leisten, mich nach nichts zu fragen, mir zu nichts zuzureden, überhaupt nicht anders zu sprechen, als wenn ich Dich frage. Befindest Du Dick erst außerhalb des Bereichs der Blackfeet, dann bist Du wieder Herr Deines Willens und Du kannst handeln, wie Du es für am besten und angemessensten hälft.«

»Ich lege meine Hand auf die Deinige, betrachte es so, als hättest Du Deine Hand in die meinige gelegt, zum heiligen Versprechen.«

»Ich verspreche Ihnen Alles,« entgegnete ich ohne Zögern, denn mochte ihm über kurz oder lang ein Rückfall drohen, in diesem Augenblick war sein Verstand so klar, sein Gedächtniß so scharf und frisch, wie sich unter den obwaltenden Umständen nur immer hoffen, wünschen und erwarten ließ. Was aber am meisten die Rückkehr seiner vollen geistigen Kräfte bekundete, war, daß er alle Aeußerungen seiner Gefühle, sowohl der Freude, als auch des Schmerzes, welchen er in einer minder gefährlichen Lage gewiß freien Lauf gelassen haben würde, mit männlichem Muthe und ernster Entschlossenheit zurückdrängte.

»Ich verspreche Alles,« wiederholte ich in überzeugender Weise, mit einer gewissen Ehrfurcht in die wohlwollenden trüben Augen blickend, »mag kommen, was da will, ich bin auf Alles, selbst auf das Schlimmste gefaßt, und nehme daher mit um so dankbarerem Herzen jede freundliche Wendung meines Geschicks entgegen.«

»Gut, mein lieber Sohn,« versetzte Werker zufrieden, »ich scheide von Dir, um Dir Rettung zu bringen. Sei geduldig und bewege Dich so viel Du kannst; Deine Gelenke müssen geschmeidig bleiben, [] und nun lebe wohl, ich muß mich beeilen, denn bevor ich meine alte Rolle wieder übernehme, möchte ich so gern noch einen Blick auf das Antlitz meiner Tochter werfen.«

Bei diesen Worten entfernte er das kleine Feuer aus meiner Höhle, und nachdem er die Spuren desselben, so gut es eben gehen wollte, verwischt hatte, schloß er die Thüröffnung wieder mit den bereitliegenden Holzstücken und Steinen.

Ich unterschied sodann noch, daß er Schanhatta einen kurzen Besuch abstattete, und als im Dorf nach allen Richtungen hin Stimmen laut wurden und den Anbruch des Tages verkündeten, da war es in der Medicinhütte so still, als wäre ich das einzige lebende Wesen in derselben gewesen. Sogar das Holz des von Werker geschürten Feuers, bei dessen spärlicher Beleuchtung er fortfuhr in meinem Manuscript zu lesen, schien seltener zu knacken und leiser zu knistern.

Dreizehntes Capitel.
Ein Heirathsantrag.

Wenn mich am vorhergehenden Tage die Ungewißheit über Schanhatta's und mein Geschick in einer beständigen fieberhaften Aufregung erhalten hatte, in einer Aufregung, viel schmerzhafter, als die Riemen, welche tief in mein Fleisch eindrangen, und die hülflose Lage, zu welcher ich verdammt war, so diente das Zusammentreffen mit Werker am wenigsten dazu, mein schneller wallendes Blut zu beruhigen.

Zwar empfand ich keine unerträglichen körper-Qualen mehr, indem Werker nicht nur meine Fesseln gelockert, sondern auch noch etwas Sand und Erde unter meinen Kopf und Schultern geschoben hatte, dafür aber war ich durch das urplötzliche Auftreten des verschollenen Bruders meines Vormundes und seine Mittheilungen um so tiefer ergriffen worden. Alles erschien mir wie ein wüster Traum, und kaum vermochte ich mich zu überreden, daß ich wirklich Johanna's Vater gesehen und gesprochen habe und dieser zugleich der Vater der Mandanenwaise sei.

Zu wunderbar, zu seltsam waren die verschiedenen Vorgänge und Entdeckungen aufeinander gefolgt, um mich schnell in Alles hineinfinden zu können. Die schwärzesten Befürchtungen für den Gemüthszustand des armen unglücklichen Mannes bestürmten mich mächtig, und vergeblich vergegenwärtigte ich mir seinen wohlwollenden Blick und sein zuversichtliches ermuthigendes Wesen. Denn Beides vermochte ich nicht zu trennen von der wilden phantastischen Umhüllung des indianischen Zauberers, und den bunten Farben, welche eine von krankhaften Ideen gelenkte Hand den von Leiden aller Art durchfurchten Gesichtszügen so entstellend aufgetragen hatte; und ebenso schnell wie sie entstanden, sanken daher die mit Gewalt heraufbeschworenen Hoffnungsschimmer wieder in Nichts zusammen.

Dann folterte ich mich mit Muthmaßungen über die Mittel, welche Werker zu unserer Befreiung gewählt haben könne, dann wieder mit schrecklichen Scenen, welche, im Falle die Flucht mißlingen sollte, unausbleiblich folgen muhten. Vergeblich suchte ich zu schlafen und mich dadurch geistig und körperlich für die kommenden Dinge zu stärken; so bedürftig ich [] der Ruhe war, so blieb sie mir doch fern. Ich mochte die Augen schließen oder sie geöffnet halten, den Unterschied merkte ich kaum; Dunkelheit umgab mich stets, stets marterten mich dieselben wirren Schreckbilder, dieselben bangen Besorgnisse.

So kam denn die Mittagszeit heran, und zu der kalten feuchten Luft, welche mir in dem engen abgeschlossenen Raume empfindlich auf die Glieder fiel und mir das Athmen erschwerte, begann sich das Gefühl eines brennenden Durstes zu gesellen; denn das, was ich während der Nacht zu mir genommen hatte, war eben nur hinreichend gewesen, einen augenblicklichen Reiz zu befriedigen.

Werker hatte bereits in der Frühe, nach einer kurzen Berathung mit Blackbird und andern hervorragenden Kriegern, die Hütte verlassen. Es war ihm geglückt, ohne Argwohn zu erregen, Letztere zu überzeugen, daß er sich an einen verborgenen Ort begeben müsse, um ungestört den Inhalt des Manuscriptes vollständig kennen zu lernen und in allen seinen einzelnen Theilen sorgfältig zu prüfen.

Seit dieser Feit hatte Niemand mehr die Hütte betreten, weßhalb ich voraussetzte, daß man auf einer andern Stelle zusammengekommen sei, um über Schanhatta und mich zu berathen, und sich gewissermaßen vorzubereiten, die eigenen Wünsche mit den Ansichten des Medicinmannes in Einklang zu bringen.

Um die Mittagszeit war es, als die Hütte plötzlich mit vielem Geräusch geöffnet wurde und, nach den Stimmen zu schließen, eine Anzahl Weiber, unter der Leitung des ungeduldigen Blackbird hereinstürmte. Ein Theil derselben begab sich zu meinem nicht geringen Schrecken, geraden Wegs zu Schanhatta, während ein anderer Theil die Steine und Pfähle von der Thüre meiner Zelle forträumte. Die Anwesenheit Blackbird's beruhigte mich zwar darüber, daß Schanhatta vielleicht von der Wuth der grimmigen Megären zu leiden haben könne, doch was vermochte selbst er, wenn eine derselben, von ihrer Leidenschaft fortgerissen, das Messer gegen das arme gefesselte Mädchen zückte?

Solche Befürchtungen erfüllten mich noch, als das letzte Hinderniß von meiner Thür wich, und im nächsten Augenblick fünf oder sechs Blackfoot-Weiber, von denen einzelne brennende Holzscheite in den Händen schwangen, zu mir hereinstürzten und sich keifend und schmähend um mich herum niedertauerten.

Ihre Augen glühten wild und unheimlich, doch erschienen sie mir bei weitem nicht so drohend, als die hämische Freude auf den zinnoberrothen Zügen Blackbird's, der in der Thüröffnung stehen geblieben war und die ganze Scene mit unverhohlenem Wohlgefallen betrachtete.

»Das Mandanenmädchen ist zu schön für einen weißen Jäger,« sagte er grimmig, nachdem er den Weibern stillschweigen geboten, »das Mandanenmädchen gehört in das Wigwam eines Häuptlings, der es besser zu schlitzen versteht, als mein muthiger weißer Bruder. Aber mein weißer Bruder braucht nicht leer auszugehen, er kann wählen unter den Weibern der Blackfoot-Nation. Doch ich weiß, die Blackfoot-Weiber gefallen ihm nicht, er hat ein zu muthiges Herz, er wird es vorziehen, am Marterpfahl zu stehen und mit seinem warmen Fleisch die stumpfen Pfeile der Knaben aufzufangen.«

[] Diese Rede, welche ganz darauf berechnet war, die mich umgebenden Weiber zu reizen und noch mehr gegen mich zu erbittern, riefen einen wahren Sturm von Verwünschungen und Schmähreden hervor, welche indessen mehr dem Häuptling, als mir galten. Als dieser aber hohnlachend davonschritt, um sich zu Schanhatta zu begeben, kehrte sich die ganze Wuth gegen mich, und kaum giebt es in der indianischen Sprache ein Schmähwort, welches mir nicht in den nächsten fünf Minuten von den übersprudelnden Lippen der tollen Gesellschaft zugeschleudert worden wäre. Doch bei dem bloßen Keifen ließen es die erbitterten Feindinnen nicht bewenden, heulend zogen sie ihre Messer hervor und gewandt und ohne mich zu verletzen, zeichneten sie mit den scharfen Schneiden alle nur denkbaren Linien auf mir herum, welche keinen Zweifel darüber obwalten ließen, daß sie eine wahre Begierde hegten, mich zur gelegenen Zeit zu verstümmeln und zu zerhacken.

Als es ihnen durch die furchtbarsten Drohungen nicht gelang, auch nur ein Zeichen von Unruhe bei mir hervorzurufen, entflammte ihre Wuth noch mehr, doch wich dieselbe sehr bald wieder milderen Gefühlen, als ihnen allmälig von der heftigen Anstrengung der Athem ausging und sie nur noch mit Mühe einzelne Worte hervorzustoßen vermochten. Ich schloß daraus, daß sie mich nur hatten einschüchtern wollen, um mich demnächst zugänglicher für die bereits von Werker angedeuteten Vorschläge zu machen.

Ich täuschte mich nicht, denn sobald der erste tolle Lärm verstummt war, rückte die eine der Frauen noch dichter zu mir heran, und indem sie ein Gefäß mit zubereiteten Fleischstückchen und ein anderes mit gerösteten Maiskörnern auf meine Brust stellte, schickte sie sich an, mir ihr Anliegen in der gebräuchlichen Form vorzutragen.

»Grausamer weißer Mann,« begann sie im lauten Klageton, »Du hast den erschlagen, der für mich und meine Kinder jagte; mein Wigwam ist leer, keine Wildhaut befindet sich in demselben, die darauf wartet, zu Mokassins gegerbt und zugeschnitten zu werden. Meine Kinder suchen in andern Zelten Nahrung, und statt des Fleisches vom Büffel und dem breitgehörnten Musethier, esse ich Maiskörner und Wurzeln, die ich in der Prairie mühsam ausgrabe. Ich sehne mich, Jemand zu besitzen, der für mich jagt und meine Kinder lehrt, die Waffen zu führen. Der bleiche Jäger hat einen starken Arm und ein muthiges Herz, und darum mußten die tapferen Blackfoot-Krieger vor seiner Büchse die Reise nach den glückseligen Jagdgefilden antreten. Sie liegen auf dem Boden des Missouri; das laufende Wasser spielt mit ihren Gebeinen. Der bleiche Jäger darf aber nicht ungestraft einen Blackfoot tödten. Er muß sterben, wie es einem Krieger geziemt, unter Martern, wie sie nie schöner erdacht wurden. Aber ich habe Mitleid mit dem bleichen Jäger; er ist noch zu jung, um sein Fleisch den Wölfen vorzuwerfen. Mein Wigwam steht leer; ich will den bleichen Jäger zu mir nehmen; er soll für mich und meine Kinder jagen, und ich will seine Leggins schmücken, und seine Mokassins reich verzieren. Ziehe der bleiche Jäger daher zu mir in mein Zelt, und ich löse seine Banden; er ist frei und die Knaben des Dorfes mögen ihre stumpfen Pfeile an einem Baumstamm versuchen.«

[] So ungefähr sprach die Blackfoot-Squaw zu mir, während ihre Genossinnen aufmerksam zuhörten und zugleich mein Gesicht prüfend beleuchteten und beobachteten, wie um aus demselben meine Antwort herauszulesen.

Der Vorschlag kam mir nicht unerwartet; außerdem aber gewann ich während der langen Rede hinlänglich Zeit, mich auf eine, in Werker's Sinne gehaltene Antwort Vorzubereiten.

»Warum sollte ein bleicher Jäger nicht in das Wigwam einer braunen Frau einziehen können?« fragte ich zurück, und es schnitt mir durch die Seele, als ich eine helle Freude in den gespannten Zügen der getäuschten Wittwe aufleuchten sah, »ich selbst bin mit leeren Händen in das Dorf der Blackfeet geschleppt worden, die Blackfeet nahmen mir Alles, was ich besaß, meine Pferde, meine Waffen« –

»Die Blackfeet werden dem bleichen Jäger sein Eigenthum zurückerstatten, sobald er einer der Ihrigen geworden,« unterbrach die Frau mich ungeduldig.

»Wohlan,« fuhr ich fort, scheinbar erfreut über diese Mittheilung, »ich erschlug der Blackfeet mehrere, mehrere Wigwams müssen durch meine Büchse ihren Herrn verloren haben.«

Ein zustimmender Klagelaut unter meinen Zuhörerinnen belehrte mich, daß alle Anwesenden darauf Anspruch machten, durch mich Wittwen geworden zu sein.

»Ich bin bereit, zu sühnen, so weit es in meinen Kräften steht,« erklärte ich weiter, »allein meine Haut ist bleich, es ist nicht Sitte unter den Bleichgesichtern, sich mit mehr, als einer Frau zu verbinden. Ich kann nicht wissen, nach welcher Richtung ich meine Hand ausstrecken soll. Ich bin kurzsichtig, aber im Dorfe der Blackfeet sah ich einen weisen Medicinmann, dessen Augen gefärbt sind, wie der Himmel, und die schärfer blicken, als die Augen des weißköpfigen Adlers. Er ist weise, er wird mir sagen, in wessen Wigwam ich einziehen, für wen ich jagen und frisches Fleisch herbeischaffen soll. Ich spreche die Wahrheit; ich kann nicht entfliehen, denn meine Glieder sind gefesselt; kommt morgen an das Lager des bleichen Jägers, vielleicht daß er Euch den Ausspruch des weisen Zauberers verkündet. Die Weiber der gefallenen Krieger werden mich noch gefesselt finden, aber ich hoffe, sie werden die Banden von meinen Gliedern lösen und mir die Waffen eines Mannes in die Hand drücken.«

Augenscheinlich hatten die Weiber erwartet, ich würde entweder mit kurzen, bündigen Worten den Tod der Vereinigung mit einer aus ihrer Mitte vorziehen, oder, ohne Widerspruch zu erheben, die Wortführerin, oder vielmehr die Äelteste, welche die wenigsten Aussichten hatte, sich auf gewöhnlichem Wege zu verheirathen, zur Würde meiner Gattin erheben. Meine unbestimmte Antwort dagegen, welche sie im Grunde nur billigen konnten, verwirrte sie und rathlos blickten sie einander an. Sie begriffen, daß alle weiteren Forderungen an meinem festen Willen scheitern würden, und anstatt in neuen Zorn zu gerathen, enthielten sie sich nicht nur jeder Aeußerung von feindseligen Gefühlen, sondern sie suchten sogar in der Darlegung von freundlichen Gesinnungen sich gegenseitig zu übertreffen.

[] Die Eine lockerte die Riemen an meinen Füßen, die Andere an meinen Händen; wiederum eine Andere hielt einen mit Wasser gefüllten Flaschenkürbis an meine Lippen, während die Wortführerin mir abwechselnd zugerichtete Fleischstückchen und geröstete Maiskörner zwischen die Zahne schob.

Es lag in der That etwas Rührendes in der ganzen Art, in welcher die getäuschten Frauen mich pflegten, und gewiß hätte ich mehr als eine Anwandlung von Scham über mein unredliches Benehmen empfunden, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, daß diejenigen, die mich jetzt mit den Beweisen ihres Wohlwollens überhäuften, mich, im Falle meine Antwort eine entschiedene Weigerung enthalten hätte, am liebsten mit den Zähnen zerrissen haben würden.

Nachdem man mich gesättigt hatte, war der vorläufige Zweck der Weiber erfüllt, und indem ich nach der andern Seite der Hütte hinüberlauschte, errieth ich leicht aus dem von dorther zu mir dringenden Geräusch, daß bei Schanhatta ebenfalls nichts weiter beabsichtigt worden war, als sie durch Speise und Trank zu erquicken, und Blackbird die Weiber nur begleitet hatte, um sie daran zu verhindern, dem gefesselten Mädchen ein Leid zuzufügen. –

Die Frauen waren eben im Begriff meinen Kerker zu verlassen, als Blackbird noch einmal in der Thüröffnung erschien, um sich höhnisch zu erkundigen, ob ich auf die Vorschläge eingegangen sei.

Die Erklärungen der Squaws schienen ihn zu überraschen, denn so wie er, der schon so vielfach mit Weißen verkehrte, mich kannte, mußte er glauben, daß ich lieber einen zehnfachen Tod erdulden, als meine Ansprüche an Schanhatta aufgeben, und dafür eine Verbindung mit der ersten besten Blackfoot-Wittwe schließen würde.

Ueberraschte es ihn nun, mich in freundschaftlichem Verkehr mit den an mich abgeschickten Frauen zu finden, so wuchs sein Erstaunen, als er erfuhr, in welcher Weise ich dieselben beschwichtigt habe. Durch Letzteres wurde natürlich sein Argwohn gegen mich noch genährt, indem er leicht begriff, daß meine Hoffnung auf Rettung noch nicht ganz geschwunden sei und ich nur Zeit zu gewinnen suche.

Doch was er auch denken mochte, er hielt es unter seiner Würde, die Frauen mit seinem Verdacht vertraut zu machen. In der düsteren Wolke aber, welche über sein grimmiges Gesicht hinzog, ohne indessen eine bemerkbare Spur auf demselben zurückzulassen, und in dem spähenden Blick, welchen er tief in meine Augen senkte, sprachen sich sein tief gewurzelter Haß und sein wachsendes Mißtrauen gegen mich aus. Ich fühlte, daß wenn mir von einer Seite Gefahr drohe, dieselbe allein von diesem scharfsinnigen Häuptlinge ausgehe und er der Einzige im Stande sei, Werker's Pläne, und waren sie, wer weiß wie schlau und tief angelegt, zu durchkreuzen. Ich erkannte in ihm einen furchtbaren Feind, einen Feind, welchen überlisten zu können, ich dem alten körperlich und geistig geschwächten Vater Schanhatta's nicht zutraute. –

»Es ist gut,« sagte der wilde Krieger mit kalter Ruhe zu den Weibern, als diese endlich mit ihren Berichten zu Ende gekommen waren, worauf er sie auf ein Zeichen bedeutete, sich zu entfernen.

Diese gehorchten dem Befehl schweigend, als aber[] die letzte an ihm vorüberschlüpfte, entriß ei ihr die Holzfackel. Er wartete sodann, bis es in der Hütte still geworben, und nachdem er den Feuerbrand zu helleren Flammen angefacht, trat er zu mir herein.

Wiederum betrachtete er mich eine Weile forschend, und ich glaube, drei der besten Pferde hätte er mit Freuden hingegeben, wäre er dafür im Stande gewesen, meine Gedanken und Absichten zu errathen. Was dagegen in seinem Innern vorging, das reimte ich mir leicht zusammen. Er wünschte zu wissen, worauf ich eigentlich meine Hoffnung zur Flucht gebaut habe, um derselben rechtzeitig vorbeugen zu können. Allerdings hätte er nur seinen Argwohn den andern, leichtgläubigeren Kriegern seines Dorfes mitzutheilen brauchen, und mir wäre eine Wache beigegeben worden, welche jeden Gedanken an Rettung sofort vernichtet hätte.

Doch gerade dieses lag nicht in seiner Absicht, Er wollte allein und ohne fremde Hülfe meine und Schanhatta's Flucht vereiteln, und zwar in demselben Augenblick, in welchem wir im Begriff stehen würden, das Weite zu suchen. Durch seine Wachsamkeit und dadurch, daß ohne dieselbe die so werthvollen Gefangenen dem Stamme verloren gegangen waren, hoffte er, seine Anrechte an Schanhatta und das Manuscript zu verdoppeln und demnächst Alle, welche bis jetzt als feine Rivalen aufgetreten waren, leichter beschwichtigen zu können. Nebenbei hegte er auch wohl den heimlichen Wunsch, mir bei dieser Gelegenheit den Kopf zu zerschmettern, und dadurch nicht nur die Zahl der von ihm Erschlagenen um Einen zu vermehren, sondern mich auch auf ewig aus Schanhatta's Augen zu entfernen.

Ob er ahnte, daß die mit allen äußeren Zeichen einer Halbindianerin ausgestattete Mandanenwaise in verwandtschaftlicher Beziehung zu dem bereits vor vielen Jahren den Mandanen entführten weißen Medicinmann stehe, erfuhr ich nie, doch bezweifle ich es, indem er sonst ohne Zweifel seinen Argwohn bis auf Werker ausgedehnt und auch diesen schärfer überwacht hätte.

Während ich mir Blackbird's Wesen in dieser Weise erklärte, hafteten seine Blicke noch immer an meinen Zügen, wobei er die Fackel so hielt, daß sein Antlitz im Schalten blieb, mich dagegen der volle Schein der Flammen traf.

»Das Pferd geht nicht hin, um mit dem Büffel zu leben, der Wolf theilt sein Lager nicht mit dem grauen Bären der Gebirge, und mein weißer Bruder will in das Wigwam einer alten Blackfoot Squaw einziehen?« begann er, um einige Bewegung in mein vollkommen ruhiges Gesicht zu bringen und dadurch Gelegenheit zu finden, etwas Näheres über meine Hoffnung auf ein glückliches Entkommen zu entdecken; »ich habe meinen bleichgesichtigen Bruder für einen starken und muthigen Krieger gehalten, der es vorziehen würde, als Mann zu sterben, und nicht der Sklave eines alten Weibes zu werden.«

»Hat mein Freund Blackbird mehr als ein Leben zu opfern?« entgegnete ich spöttisch, »ich besitze nur eins, und lieber will ich der Gatte einer Eingeborenen sein, als daß die Wölfe der Prairie und die Hunde der Blackfeet sich um meine Gebeine schlagen.«

Ein Zug unbeschreiblichen Hohnes umspielte[] Blackbird's zusammengepreßte Lippen. »Mein weißer Freund hat eine sehr glatte Zunge,« sagte er dann, »sie ist so glatt, wie die schleimige Haut eines Aals, und gespalten, wie die Zunge einer giftigen Klapperschlange. Er hat auch einen klugen Kopf, er versteht es, die Menschen zu täuschen. Aber Blackbird hat mit den Weißen gelebt, hat gelernt, ihre Betrügereien zu durchschauen. Mein bleicher Bruder denkt, die Blackfeet sind Maulwürfe; ja, sie sind Maulwürfe, bis auf Einen, und dieser Eine liest in dem Kopfe seines muthigen weißen Freundes.«

»Ich habe Dich immer für einen klugen Häuptling gehalten,« versetzte ich, ohne den Ton meiner Stimme zu verändern, »aber daß mein berühmter Freund in anderer Menschen Seelen zu lesen vermag, habe ich noch nicht gewußt. Hier sind meine Augen, Häuptling, blicke hinein und suche meine Gedanken zu errathen, so viel Du willst. Ich brauche mich weder vor Dir, noch sonst Jemand in der Welt zu scheuen.«

»Ich lese, daß der weiße Jäger den Wunsch hegt, das Dorf der Blackfeet heimlich zu verlassen und das Mandanenmädchen mit sich fortzuschleppen.«

»Es gehört wohl viel Scharfsinn dazu, dergleichen zu errathen?« erwiderte ich lackend; »ja, Häuptling, ich räume es ein, ich möchte fort von hier und das Mandanenmädchen mitnehmen. Aber sage, wie soll ich das in's Werk setzen? Du wirst Dir das Mandanenmädchen ebenso wenig rauben lassen, wie mir es gelingt, diese Banden zu zerreißen. Ich bin ein weißer Jäger mit weißem Herzen; kann ich die Sonne nicht haben, so bin ich mit dem Monde zufrieden; und wird mir der Mond entzogen, so nehme ich mit den Sternen und endlich sogar mit Deinem Feuerbrand fürlieb. Hier liege ich gefesselt; um die Banden von meinen Gliedern zu streifen und frei umherwandern zu dürfen, thue ich Manches; Du aber, Häuptling, traust mir nicht, ich kann Dir daher nur rathen. Dich zu mir zu setzen und selbst über mich zu wachen.«

Blackbird's Antlitz leuchtete bei meinen letzten Worten in wildem Zorn auf, doch glättete es sich ebenso schnell wieder. »Draußen vor der Hütte befinden sich Leute genug, die den weißen Jäger bewachen; das Bewachen ist nicht Aufgabe der Häuptlinge,« sagte er mit dem Ausdruck der Geringschätzung, »ich habe mich in meinem weißen Freunde getäuscht; ich glaube jetzt, daß er keinen Fluchtversuch unternehmen wird. Er ist mir willkommen in der Nation der Blackfeet; er braucht daher nicht mehr so scharf bewacht zu werden.«

»Ich werde die Oeffnungen seines Gefängnisses nicht verschließen, und meine Krieger sollen nur dafür sorgen, daß die Weiber und Kinder nicht zu ihm hineindringen. Der Medicinmann von der Farbe meines bleichen Bruders wird mit Sonnenuntergang in das Dorf zurückkehren. Er ist gegangen, um an einem einsamen Ort das sprechende Papier kennen zu lernen und heilsame Kräuter für das halsstarrige Mandanenmädchen zu sammeln. Er ist sehr weise; seine Worte sind Medicin, möge er für meinen Freund eine gute Wahl unter den Weibern der leeren Wigwams treffen.«

»Ja, Häuptling, das ist daß Einzige, was ich [] von ihm wünsche, und dann vielleicht noch, daß er mir einen Trank bereite, der mich die Mandanenwaise vergessen macht,« entgegnete ich in gleichgültigem Tone; »ist das geschehen, so führen unsere Weg? weit auseinander; er spricht zu viel Medicin, ist ein zu großer Zauberer, als daß ich lange an seiner Seite weilen möchte; er ist lein Mann und kein Krieger.«

»Er ist mehr werth, als ein weißer Krieger, der sein Leben für Weiler erlauft,« versehte Blackbird, seine Augenbrauen grimmig zusammenziehend, und dann sich von mir abwendend, entfernte er sich mit ernster Würde, die Thür meines Kerkers, wie er versprochen hatte, hinter sich offen lassend.

Besorgt blickte ich ihm nach; war es doch leider zu gewiß, daß er mich leine Minute aus den Augen verlieren würde und nur darauf bedacht sei, den richtigen Zeitpunkt zu erspähen, um den tödlichen Schlag nach mir zu führen. Ueber mein Verhältniß zu Werker hatte ich ihn glücklicher Weise vollkommen getäuscht; in allen übrigen Beziehungen dagegen war sein Argwohn durch unsere Zusammenkunft nicht vermindert worden; im Gegentheil, sein Verdacht schien sich noch mehr befestigt zu haben, und drohender, als die offenen Aeußerungen seiner feindlichen Gesinnungen, erklangen dir Worte, mit welchen er sein erheucheltes Vertrauen in meine Versprechungen und die Harmlosigkeit meiner Absichten zu beweisen suchte.

Als ich mich wieder allein befand, sehnte ich daher doppelt ängstlich den Abend und Werker's Heimkehr herbei. Einestheils wünschte ich mich von dem Gemüthszustande des Letzteren zu überzeugen und zu ermessen, in wie weit auf seinen Beistand zu rechnen sei, anderntheils mußte ich ihm auf alle Fälle meine Befürchtungen mittheilen, ihn warnen und ermahnen, vor Blackbird's Späheraugen auf der Hut zu sein. –

Die Sonne war noch nicht lange zur Rüste gegangen, als Werker endlich wieder bei mir eintrat, und seine Verwunderung darüber äußerte, die Pforten von Hütte und Kerker geöffnet zu finden.

Fast wider mein Erwarten sprach er durchaus klar und mit vieler Ueberlegung; die Beschäftigung, welcher er sich während des Tages hingegeben halte, schien ihn ebensowohl körperlich angegriffen, wie geistig beruhigt zu haben, denn obwohl er meine und Blackbird's Begegnung in ihren Folgen für sehr gefährlich hielt, ließ er doch kein Wort der Klage oder der Ungeduld verlauten. Nur an den trüben Falten, welche in größerer Zahl auf seiner breiten Stirn lagerten, erkannte ich, daß schwere Sorgen ihn niederdrückten, und die Hoffnungen, welche ihn in der verflossenen Nacht beseelten, sehr herabgestimmt waren.

Den Zweck, zu welchem er sich aus dem Dorf entfernt hatte, errieth ich wohl, doch gelang es mir nickt, genauere Aufschlüsse über die Art der von ihm getroffenen Vorbereitungen zur Flucht zu erhalten.

Ich mußte mich also in das Unvermeidliche fügen; außerdem weilte Werker auch nicht lange genug in meinem Kerker, um mir seinen Plan erklären und die einzelnen Umstände genauer erörtern zu können. Er berief sich darauf, daß auch er auf seiner Hut sein müsse und am allerwenigsten von Blackbird in meiner Höhle angetroffen werden dürfe, und nur mit Mühe und nach manchen dringenden Fragen erfuhr ich zu [] meiner freudigen Überraschung, zu welcher sich indessen kein geringer Grad von Bangigkeit gesellte, daß die, aufgehende Sonne uns entweder in voller Flucht nach dem Missouri oder, mich wenigstens, als starre Leiche erblicken würde.

Trotz meiner Ungeduld, tiefer in Werker's Pläne eingeweiht zu werden, um desto leichter mit ihm im Einverständniß handeln zu können, diente seine Entschiedenheit mir dennoch zum Trost. Er verfuhr augenscheinlich nach einem wohlüberlegten und ernst durchdachten Plane, und mußte daher sein Geist vollständig klar und frei von allen wirren und deshalb verderblichen Phantasien sein.

Schanbatta besuchte er ebenfalls, um sie zu ermuthigen und mit wenigen Worten auf die Flucht vorzubereiten, worauf er sich nach dem Hauptgemach der Hütte begab, um daselbst ein kleines, nur wenig Helligkeit verbreitendes Feuer in Brand zu erhalten und vor demselben, scheinbar mit größter Aufmerksamkeit, in meinem Manuscript zu lesen.

Der Ausgang der Hütte befand sich gerade vor ihm; um indessen nicht von jedem zufällig Vorübergehenden gesehen und nicht von den jungen Kriegern, die vor der Thür lagen beständig beobachtet zu werden, hatte er eine Büffelhaut von Außen vor die Thüröffnung gehangen, und eine zweite im Innern so ausgespannt, daß wer auch immer unter der äußern Decke hindurchspähte, durch die zweite verhindert wurde, die nächste Räumlichkeit der Hütte zu überblicken.

Draußen war es dunkel, der Himmel zum Theil bedeckt, und nur so viel Licht warfen die Sterne zwischen dem zerrissenen schweren Gewölk hindurch auf die Erde, daß eine mit der Oertlichkeit einigermaßen vertraute Person, nachdem die Augen sich an die Finsternis; gewöhnt hatten, nothdürftig ihren Weg zwischen den Zelten hindurch zu finden vermochte. In dem Dorfe selbst herrschte keine größere Regsamkeit, als an andern Tagen. Die geräuschvolle Erwartung, welche durch unser Erscheinen hervorgerufen worden war, hatte sich bereits gelegt; man wußte, daß die Bestimmung über die Gefangenen den einflußreichsten Häuptern der Nation anheimgestellt war, und begnügte sich damit, sich den grausamsten Hoffnungen und den wunderlichsten Vermuthungen über das uns zufallende Loos hinzugeben. Diejenigen aber, welche unmittelbar an dem Unternehmen betheiligt gewesen, und daher noch besondere Wünsche betreffs Schanhatta's und des Manuskriptes hegten, harrten sehnsüchtig dem nächsten Tage entgegen, an welchem endlich endgültige Entscheidung getroffen werden sollte.

Mit einer ängstlichen Spannung, die sich Wohl fühlen, aber schwer beschreiben läßt, lag ich da; ein matter Schimmer, der von Werker's Feuer ausging, bezeichnete die im Schatten liegende schmale Oeffnung meines Kerkers; das Blut kreiste mir stürmisch in den Adern, und in meiner an Verzweiflung grenzenden ungeduldigen Erwartung, begann ich in Gedanken zu zählen, um danach die Minuten, die Viertelstunden und endlich die ganzen Stunden zu berechnen.

Voller Besorgnis; prüfte ich, so weit es die Fesseln erlaubten, meine Arm- und Beingelenke; außer dem steifen Knie waren alle Glieder so beschaffen, daß ich mich auf sie verlassen konnte, und mit jeder neuen[] Minute hoffte ich, daß die Feit zum Handeln gekommen sein möge.

Doch Werker rührte sich nicht; er war so still, als wenn er, nach den Anstrengungen des Tages und der vergangenen Nacht, von Müdigkeit übermannt, einem tiefen Schlafe in die Arme gesunken wäre.

Aber er schlief nicht, wenn er auch die Stellung eines Schlafenden angenommen hatte. Sein Herz war so voll, daß er fürchtete, von einer neuen Verwirrung befallen zu werden. Und so saß er mit eingezogenen Knieen und darüber hingeneigtem Kopfe da, fortwährend kämpfend gegen die finstern Dämonen des Wahnsinns, und sich stählend zu einem Unternehmen, welches nach seiner Berechnung nur dadurch gelingen konnte, daß er sich selbst zum Opfer brachte.

Mitternacht war nicht mehr fern, und im Dorf erschallte nur noch selten eine menschliche Stimme, als Werker endlich ein Zeichen des Lebens von sich gab, und gleich darauf seine Gestalt den schwachen Schein in der Thüröffnung verdunkelte.

»Mein Sohn, die Stunde ist gekommen,« flüsterte er mit fieberhafter Hast, indem er tastend nach meinen Fesseln suchte und dieselben durchschnitt, »erinnere Dich Deines mir gegebenen heiligen Versprechens; handle, als besäßest Du einen Theil meines eigenen Lebens und Willens.«

»Gut, gut, mein edler Freund,« entgegnete ich ebenso leise, mit einem unbeschreiblichen Wonnegefühl mich aufrichtend und dann meine Arme, um deren Gelenkigkeit zu prüfen, weit von mir streckend, »sagen Sie mir was ich thun soll, aber lassen Sie uns vor allen Dingen eilen, meiner armen Schanhatta Banden zu lösen.«

»Geduld,« flüsterte Werker zurück, »Jeannette darf erst im letzten Augenblick befreit werden, aber um Gottes willen, laß mich nicht unnöthig Worte und Zeit verlieren. Thue, was ich Dir heiße; hier, schlage das Leder auseinander, es befindet sich schwarze Farbe in demselben. Bestreiche Dir Gesicht, Hals und Arme damit, aber vorsichtig, ein unvermutet auf Dich fallender Lichtschein darf nicht so viel weiße Haut zeigen, wie eine Kugel gebraucht, um ein Loch durchzuschlagen. Hast Du's?«

»Ja, ich habe es,« antwortete ich, bebend vor Spannung und Ungeduld, und zugleich begann ich die mir eingehändigte fettige Masse in der vorgeschriebenen Weise anzuwenden.

»Deine Haare sind dunkler als die meinigen, aber das schadet nicht; der Federschmuck wird sie verbergen. Beeile Dich, beeile Dich; nachdem Du Dich umgekleidet hast, will ich Dir von der Pforte aus den Weg genau angeben, welchen Du einzuschlagen hast. Irren ist nicht möglich; bei Tagesanbruch wirst Du in dem Flußbett zwei gepflückte Pferde finden; ein von dem ersten Pflock ausgehender dünner Riemen führt Dich nach der Stelle, wo im Gebüsch Sättel und Zaumzeug verborgen liegen. Sattle die Thiere schnell und folge in gestrecktem Galopp der Richtung des Flüßchens. Nach zwei Stunden halte Dich im Flußbett selbst, und Tu wirst abermals zwei Pferde finden. Diese beiden gehören zu den ausdauerndsten Thieren des Dorfes. Laß die ermüdeten Pferde zurück; sattle die frischen sorgfältig, gieb das schwächere an Jeannette, und dann reitet so, daß die Thiere wenigstens drei [] Tage aushalten. Nach Ablauf dieser Zeit, wenn Euch nicht ein besonderes Unglück betrifft, könnt Ihr Euch als gerettet betrachten. Etwas Lebensmittel hangen auf dem Bäumchen, an dessen Stamm die Sättel niedergelegt sind. Reitet die ersten Pferde todt, aber geht haushälterisch mit den Kräften der andern beiden um. Die ersten sollen Euch zu einem tüchtigen Vorsprung verhelfen, welchen die andern nur zu erhalten brauchen. So, wenn Du mit der Malerei fertig bist, dann wollen wir schnell die Kleider vertauschen; Du mußt schlechterdings die Rolle eines Medicinmanns übernehmen –«

»Aber Sie, was beabsichtigen Sie? Doch nicht etwa zurückbleiben?« fragte ich erschreckt, sobald ich Weiler's Absicht verrieth.

»Kümmere Dich nicht um mich,« lautete die mit zitternder Stimme gegebene Antwort, »gönne mir nach so vielen erduldeten Leiden, die einzige wahre Freude: zur Rettung meines letzten Kinde« beigetragen zu haben.

»Wohlan denn, wozu die Verkleidung?« sagte ich jetzt mit einer Entschiedenheit, die leinen Zweifel mehr über die Unerschütterlichkeit meines Entschlusses obwalten ließ; »Sie kennen den Weg, ich kenne ihn nicht, also vorwärts, erlösen wir schnell Ihre Tochter, und suchen Sie das Weite. Retten Sie Ihr Kind, und überlassen Sie mir es, meine Rolle als Gefangener zu Ende zu führen. Sie haben die Pferde heimlich an den bezeichneten Punkt gebracht und müssen sie daher auch mit Leichtigkeit wiederfinden, während ich sie verfehlen könnte.«

»Nie! nie, niemals!« erwiderte Werker röchelnd vor innerer Aufregung; »bedenken Sie, ich bin Zauberer, ich kann mich unsichtbar machen, und wenn ich unsichtbar bin –«

»Vergessen Sie nicht Jeannette,« flüsterte ich Werker von namenlosem Entsetzen ergriffen zu, denn nicht allein schien der Widerstand, auf welchen er stieß, seine Gedanken auf's Neue zu verwirren, sondern jetzt, da ich wieder frei war und meine Sinne ihre alte, durch langjährige Gewohnheit ausgebildete Schärfe wiedergewonnen hatten, vernahm ich auch, was einem minder geübten Ohr entgehen mußte, daß nämlich der äußere Vorhang von der Thür behutsam fortgeschoben wurde und Jemand in die Hütte hineinkroch. »Vergessen Sie nicht Schanhatta, Ihre Tochter,« flüsterte ich noch einmal, indem ich meine Lippen Werker's Ohr näherte und zugleich nach der Thüröffnung hinüberwies, »man kommt, besinnen Sie sich!«

Werker schauderte unter meiner Berührung heftig zusammen; ein tiefer, aber verhaltener und deshalb geräuschloser Seufzer entrang sich seiner Brust, und die Gefahr, mit welcher seine krankhafte geistige Aufregung uns bedrohte, war vorüber. Er hatte, Angesichts des fast unvermeidlichen Verderbens seine volle Ueberlegung wiedergewonnen.

Vierzehntes Capitel.
Die Befreiung.

In demselben Augenblick, in welchem ich Werker's Aufmerksamkeit nach den ausgespannten Büffelhäuten hinüberlenkte, mußte er das verdächtige Geräusch[] gehört haben, denn er ergriff meine Hand, und indem er dieselbe krampfhaft drückte, schob er mich tiefer in meine Zelle zurück. Er bedachte nicht, daß sich unser gegenseitiges Verhältniß seit meiner Befreiung geändert hatte und mir, als dem Jüngeren, Kräftigeren und Gewandteren, jetzt wenigstens ebenso sehr oblag, zu handeln, wie ihm selber. Gleich darauf mußte er es aber einsehen, denn als ich mich dennoch an ihm vorbeidrängte und, nachdem ich das Messer aus feinem Gurt gezogen, mich vornüber neigte, um den eigentlichen Grund der Störung zu erspähen, da verhielt er sich ganz ruhig, nur daß er, wie um mich zur Vorsicht zu mahnen, seine Hand leicht auf meine Schulter legte.

Glücklicher Weise befanden wir uns im Schatten der schmalen Querwand meines abgesondert und kastenartig eingerichteten Gefängnisses, dessen Thüröffnung nach der Thür der Hütte zu mündete. Der Schein des düster brennenden Feuers konnte mich also nicht blenden und ebensowenig verrathen, und indem ich scharf hinüberspähte, gelang es mir allmälig, die einzelnen Gegenstände hinter dem innern Vorhange, wo noch immer eine letzte Spur der gedämpften Beleuchtung bemerkbar, von einander zu trennen,

Anfangs glaubte ich mich getäuscht zu haben, denn mehrere Minuten verrannen, ohne daß ich in der gangartigen und beschatteten Verengerung der unregelmäßig erbauten Hütte etwas Anderes entdeckt hätte, als die schlaff und regungslos niederhängenden Büffelhäute, den schwarzen Erdboden und einen ganz schwachen Lichtschimmer auf der gegenüberliegenden Lehmwand.

Ich ließ mich indessen von Demjenigen, der sich bereits in die Hütte eingeschlichen hatte, oder im Begriff stand, sich einzuschleichen, nicht an Vorsicht übertreffen, sondern verharrte geduldig in meiner kampfbereiten Stellung, mit angehaltenem Athem auf jedes Geräusch in meiner Umgebung lauschend.

Besorgnis; empfand ich kaum noch, meine geistigen Kräfte vereinigten sich eben nur dahin, jeder Gefahr rechtzeitig zu begegnen und trotz aller sich uns entgegenstellenden Hindernisse, dennoch unsere Flucht, und zwar in Werker's Begleitung aufzuführen. Endlich, nach längerem Harren gewahrte ich, daß die innere Büffeldecke, welche von einer quer durch die Hütte gezogenen Leine wie ein Vorhang niederfiel, sich leise bewegte und nahe dem Erdboden behutsam emporgehoben wurde.

Der voll auf die Decke fallende Feuerschein gestattete mir sogar, eine Hand zu entdecken, die den Vorhang grade hoch genug hielt, um einen Menschen bequem unter demselben hindurchspähen zu lassen. Auf diesen Punkt richtete ich nunmehr allein meine Aufmerksamkeit, indem ich erwartete, daß der fremde Eindringling, welcher Art seine Absichten auch sein mochten, anstatt um den Vorhang herumzuschleichen, unter demselben durchkriechen würde.

Meine Vermuthung schien sich bestätigen zu sollen, denn nach Verlauf einiger Minuten schob sich mit kaum wahrnehmbarer Bewegung neben der braunen Faust ein schwarz behaarter Kopf in den Schein des Feuers, und mit schwer zu schildernder Bestürzung, erkannte ich auf den ersten Blick, was ich längst hätte ahnen müssen, die unheimlich glühenden Augen [] und die grimmigen Züge Blackbird's, meines Todfeindes.

Offenbar galt sein Spähen dem Medicinmanne, den er auf der andern Seite des Feuers in tiefen Schlaf versunken glaubte, und deutlich bemerkte ich in seinem hochroth gefärbten Antlitz den wilden Triumph, welchen er darüber empfand, daß in der Hütte sich Niemand rührte.

Werker hatte nämlich, ob nun mit Absicht, oder mehr durch Zufall, als er sich zu mir begab, seine Decke, die er nach indianischem Brauch gewöhnlich als Mantel trug, abgelegt und so über einige Reiser und Holzscheite hingeworfen, daß dadurch eine täuschende Ähnlichkeit mit einem unter einer Decke ruhenden Menschen entstand.

Für Blackbird aber wurde die Aehnlichkeit dadurch noch vergrößert, daß gerade vor dem Feuer und in Armeslänge von der Decke das aufgerollte Manuscript lag, als wenn Werker, während des Lesens in demselben, von Müdigkeit übermannt worden wäre und sich zum Schlaf hingestreckt hätte.

Alles dieses sah und erfaßte der Indianer mit Gedankenschnelligkeit, und der hämische Ausdruck der über seine Züge flog, bekundete, daß die Erwartungen, mit welchen er in die Hütte eingedrungen war, noch weit übertroffen wurden.

Vorsichtig zog er bald darauf den Kopf wieder zurück und ebenso vorsichtig ließ er die Büffelhaut niedersinken. Er befürchtete beim Hindurchschlüpfen den Medicinmann durch das unvermeidliche Geräusch der zottigen Wildschur zu wecken, woraus ich eben schloß, daß er, der sonst die Augen eines Luchses besaß, sich bei der schwachen flackernden Beleuchtung und seiner niedrigen Lage dennoch täuschen ließ, und unter der aufgebauscht daliegenden Decke den schlafenden Werker vermuthete.

Was er eigentlich bezweckte, errieth ich erst, als er nach kurzer Zeit auf dem von mir entferntesten Ende des Vorhanges erschien, und um diesen herumkriechend, sich eilfertig und unhörbar dem Feuer zu bewegte.

Behutsam lugte ich um die Ecke meines Gefängnisses herum; ich sah den halbnackten Krieger, wie er einer Schlange ähnlich, dahinglitt, ich sah die aufgebauschte Decke, zugleich aber auch bemerkte ich die geöffnete Papierrolle, welche die nahe Kohlengluth greller als alle übrigen Gegenstände beleuchtete.

Freier athmete ich auf, sobald ich überzeugt war, daß Blackbird nur darnach trachtete, das Manuscript heimlich an sich zu bringen, und nicht, wie ich befürchtet hatte, seinem vielleicht plötzlich erwachten Mißtrauen gegen Weiler Raum gebend, diesen zu überfallen und an feinem Vorhaben zu hindern. Denn hätte er die Decke nur berührt, was mit einer Entdeckung gleichbedeutend, so wäre unfehlbar die nächste Folge gewesen, daß er den Abwesenden in den beiden Kerkerhöhlen aufgesucht und damit die letzte Hoffnung auf ein glückliches Entkommen vernichtet hätte. –

Als Blackbird das Feuer erreichte, kroch er nicht um dasselbe herum, sondern streckte nur seine Hand nach der Papierrolle aus, und nachdem er dieselbe in seinen Besitz gebracht, begann er sogleich wieder rückwärts zu kriechen, die von ihm in dem staubigen Erdreich [] zurückgelassenen Spuren sorgfältig mit den Händen verwischend.

Wieder hinter dem Vorhang angekommen, säumte er nur so lange, wie erforderlich war, das für ihn unschätzbare Zauberpapier auf seinem Körper zu verbergen und die weile wollene Decke, welche er daselbst zurückgelassen hatte, um seine Schulter zu schlingen, worauf er durch den ersten Erfolg kühner gemacht, geraden Wegs, aber leise und gewandt wie ein Marder, auf Schanhatta's Zelle zuschlich.

Während der ganzen Zeit, welche der hinterlistige Indianer damit verbrachte, das Manuscript zu entwenden, hatte Kerker kaum zu athmen gewagt. Noch gewöhnt, nur für sich selbst zu handeln und zu denken, ohne auf fremde Beihülfe rechnen zu dürfen, hatte er sich und uns bereits verloren gegeben. Ich dagegen knüpfte an Blackbird's Erscheinen sogleich einen zwar gewagten Plan, durch welchen aber, wenn er nicht mißlang, unserer Aller. Sicherheit erheblich gewann.

Als der Häuptling nämlich Miene machte, zu Schanhatta in den Kerker einzudringen, gab ich Werker ein Zeichen, sich bereit zu halten, was dieser dadurch beantwortete, daß er das Beil aus seinem Gurt zog und noch einmal meine Hand drückte. Er zitterte dabei heftig, und aus seinem ganzen Wesen sprach die tiefe Besorgniß, welche ihn erfüllte, und die immer schärfer hervortretende väterliche Liebe zu seiner wiedergefundenen Tochter.

Schanhatta's Zelle, welche der meinigen in der Entfernung von höchstens sechszehn Fuß gerade gegenüber lag, war nur durch das Anlehnen einiger losen Holzscheite abgeschlossen worden, vorzugsweise wohl nur, um die etwa eindringenden Hunde des Dorfes von ihr fern zu halten. Es kostete also keine große Mühe, zu ihr hineinzugelangen, doch unterzog Blackbird sich derselben mit großer Vorsicht; augenscheinlich wünschte er, von Werker wenigstens so lange nicht entdeckt zu werden, bis er sich nahe genug bei Schanhatta befinden würde, um ihr durch Güte oder Gewalt den Mund zu schließen.

Die leidenschaftliche Aufregung, in welche er bei dem Forträumen der Holzstücke gerieth, und die ihn daran hinderte, mehr auf seine persönliche Sicherheit bedacht zu sein, machte ich mir zu Nutze, denn noch war die Thüröffnung nicht ganz frei, da stand ich bereits im undurchdringlichen Schatten hinter der aufgespannten Büffelhaut, also ziemlich in der Mitte zwischen den beiden Zellen und zugleich nahe genug bei dem Indianer, um ihn mit einem einzigen Sprunge erreichen zu können. Ich wartete sodann nur noch darauf, daß Werker, der auf einen Wink von mir nach dem Feuer hingeschlichen war, durch das Entzünden einer Anhäufung von dürren Reisern und leicht brennbarer, hanfartiger Pappelweidenrinde eine plötzliche Helligkeit verbreiten sollte.

Werker, dadurch begünstigt, daß die Ecke von Schanhatta's Zelle dem schwer und tief athmenden Indianer die Aussicht nach dem Feuer raubte, löste seine Aufgabe so geräuschlos und mit einer solchen Gewandtheit, wie man es dem frühzeitig alt und morsch gewordenen Körper kaum zugetraut hätte; und erst ganz zuletzt, als er die knisternden Reiser ergriff,[] und sie auf die eben aufflackernde Baumrinde legte, beugte Blackbird sich um die Ecke von Schanhatta's Gefängnißhöhle herum, um sich zu überzeugen, in wie weit der nach seiner Meinung erwachte Medicinmann ihn in seinem Vorhaben stören würde.

Diesen Augenblick nun hatte ich ängstlich erwartet, um handelnd einzuschreiten. Um nicht im freien Gebrauch meiner Hände gehindert zu sein, nahm ich das von Weiler entlehnte Messer zwischen die Zähne, und darauf meinen Oberkörper einen heftigen Schwung gebend, gelangte ich, trotz meines steifen Kniegelenkes blitzschnell bis dicht hinter den siegesbewußten Indianer. Eh dieser sodann Zeit gewann, sich nach dem von mir erzeugten Geräusch umzuwenden, hatte ich ihn umklammert, und zwar so, daß er weder seine Arme noch seine Hände zu rühren, am allerwenigsten aber nach seinen Waffen zu greifen vermochte.

Wohl versuchte er, durch eine plötzliche gewaltige Bewegung, seinen nackten glatten Oberkörper meinen Armen zu entwinden, allein ebenso leicht hätte er die ganze Hütte über uns niedergerissen. Denn einestheils war ich ihm an Körperkräften weit überlegen, dann aber auch war das Bewußtsein, daß mein Leben und mit diesem Schanhatta's und ihres Vaters Geschick von meiner Ausdauer und schließlichem Siege abhänge, mir ein mächtiger Bundesgenosse.

Niemand begriff dies besser, als Blackbird selbst, denn als die Reiser hoch emporflammten und er, über die Schulter zurückblickend, mir gerade in das Gesicht schaute, da schienen seine Sehnen plötzlich zu erlahmen, und während seine Augen sich vor Haß und Wuth weit aus dem Kopf drängten, glitt ein leiser Laut des Erstaunens über seine schmalen. Lippen. Seine Eitelkeit und sein Stolz hielten ihn ab, durch einen Aufschrei die außerhalb der Hütte befindlichen Wachen herbeizurufen, denn lieber wäre er gleich in meinen Armen gestorben, als daß er ein paar junge Krieger zu Zeugen seiner Schmach, von einem weißen, und obenein halb lahmen Jäger überlistet zu sein, gemacht hätte; und die Hoffnung, mich dennoch zu überwinden, hatte er ja keineswegs aufgegeben.

»Mein weißer Bruder ist sehr listig,« sagte er leise und ich gewahrte, daß seine rechte Hand, trotzdem er sich stellte, als habe er sich in sein Schicksal ergeben, verstohlen nach dem Messer in seinem Gurt suchte, »er hat eine glatte Zunge, will er etwa noch die alte häßliche. Blackfoot-Squaw zum Weibe nehmen?«

Ich schwieg, denn um zu sprechen, hätte ich meine Waffe müssen fallen lassen. Als Blackbird aber, im Vertrauen darauf, daß er meine Vorsicht eingeschläfert habe, mit einer hastigeren Bewegung sein Messer zu erreichen trachtete, warf ich ihn zur Erde nieder, und mit meinem gesunden Knie auf seinem linken Arm knieend, seinen rechten dagegen mit meiner linken Hand haltend, setzte ich ihm die Spitze meines Messers auf die Kehle, mit der von der dringendsten Notwendigkeit gebotenen und daher unerschütterlichen Absicht, ihn, bei dem nächsten Versuch sich zu befreien, zu tödten.

[] []Hatte mein unerwarteter Angriff Blackbird in Erstaunen versetzt, so schien er seinen Augen nicht zu trauen, als er plötzlich Werker mit einem flackernden Feuerbrand erblickte, wie derselbe, anstatt sich feindlich gegen mich zu lehren, in einer ihm fremden Sprache und mit allen Zeichen freundschaftlichster Uebereinstimmung flüsternd eine Frage an mich richtete.

Was er mich fragte, begriff er indessen bald genug, denn Werker löste den Gurt von seinen Hüften, und nachdem er dem Häuptling ein zusammengerolltes Stück Leder zwischen die Zähne geschoben, befestigte er diesen Knebel mittelst seines Gürtelshawls derartig, daß der Indianer eben nur noch so viel Luft einathmen konnte, wie zum Leben nothdürftig erforderlich war. Sodann schnürten wir ihm mittelst zäher und scharf in das Fleisch einschneidender Riemen die Hände auf dem Rücken zusammen, und erst als wir mit seinen Füßen in gleicher Weise verfahren waren, gönnten wir uns einige Minuten Zeit, um über die nächste Zukunft zu berathen.

Werker erklärte sich jetzt mit meinem Plan vollkommen einverstanden, und wenn er noch irgend welche Bedenken hinsichtlich der Ausführbarkeit desselben gehegt hatte, so wären sie geschwunden, als er beobachtete, mit welcher Schnelligkeit ich den Häuptling unschädlich machte.

Nachdem wir Schanhatta von ihren Bauden erlöst hatten, nahm ich den Federbusch von Black bird's Haupt; Werker befestigte denselben auf meinem Scheitel zwischen den langen Haaren, die sich dadurch in der Dunkelheit kaum von dem kriegerisch geschmückten Skalp eines Indianers unterschieden; Blackbird's Messer und Tomahawk wanderten ebenfalls in meinen Gurt, und als ich darauf des Häuptlings blaue wollene Decke um meine Schultern warf, glich ich einem eingeborenen Krieger so vollständig, daß ein weniger erfahrener Weißer, wenn er in mein schwarzgefärbtes Gesicht blickte, am hellen Tage hätte getäuscht werden können.

Zur größern Sicherheit hätte es freilich beigetragen, wenn Blackbird getödtet worden wäre; doch lag uns Allen ein solcher Gedanke fern, obwohl er selbst nichts Anderes erwartete und uns durch sein Benehmen, namentlich durch seine höhnischen Blicke deutlich genug darauf hinwies, wie ein Eingeborener an unserer Stelle gehandelt haben würde.

Wir begnügten uns damit, ihn in meinen Kerker zu schleppen und dort auf das Gesicht niederzulegen, und nachdem wir, um auf alle Fälle seine Stimme von der Außenwelt abzuschließen, die Thüröffnung fest verrammelt hatten, machten wir uns reisefertig.

Von dem Augenblick an, daß ich Blackbird's ansichtig wurde, bis zu dem Zeitpunkt, in welchem [] ich den letzten Stein vor die verschlossene Thüröffnung wälzte, war kaum eine halbe Stunde verstrichen, so sehr hatten wir uns beeilt und so schnell waren die einzelnen Begebenheiten auf einander gefolgt. Der größte Theil der Nacht lag also noch vor uns, denn als wir unter den Vorhängen hindurch in's Freie hinaustraten, konnte es kaum eine Stunde nach Mitternacht sein.

Nur wenig Schritte von der Hütte entfernt glimmte ein kleines vernachlässigtes Feuer; drei Krieger, welchen die Wache übertragen worden war, lagen vor demselben. Einer von ihnen schien zu schlafen, während die andern beiden leise miteinander plauderten. Alle drei hatten Blackbird in die Hütte schleichen gesehen, es konnte sie also nicht befremden, daß derselbe die Hütte auch wieder verließ. Darauf hatte ich wenigstens meine ganze Hoffnung gebaut. Es handelte sich also nur darum, daß mich kein Lichtstrahl traf und mein Hinken nicht bemerkt wurde.

Alles ging nach Wunsch. Werker hielt sich so, daß der Schatten seiner Gestalt mich und Schanhatta traf, und als er bemerkte, daß die Wächter verwundert nach uns aufschauten, trat er noch einmal zu ihnen an's Feuer.

»Die jungen Leute müssen scharfe Wache halten,« redete er sie an; »der bleiche Jäger ist listig; er kann zwischen der Hütte und dem Feuer hindurchschlüpfen, ohne daß die jungen Krieger ihn bemerken. Es ist besser, sie rücken ihr Feuer näher an die Hütte heran. Dort geht Blackbird; es ist dem Häuptling gelungen, das Mandanenmädchen für sich zu gewinnen. Die junge Squaw folgt ihm in fein Wigwam. Ich begleite ihn, und keine Augen befinden sich mehr in der Medicinhütte, um den weißen Jäger zu bewachen. Legen sich die jungen Leute daher dicht vor der Thüröffnung nieder; es darf Niemand hinein, die Seele des fremden weißen Jägers muß vorher in die eines Weibes umgewandelt werden.«

Die Wächter gaben eine zustimmende Antwort, und nach einigen Minuten befand Werker sich wieder an meiner Seite.

Das Flüßchen, welches die Richtung unserer Flucht bezeichnete, war nur eine kurze Strecke von uns entfernt. Wir wagten indessen nicht, uns demselben zu nähern, aus Besorgniß, daß unsere Bewegungen beobachtet und unsere Absicht entdeckt werden könne. Denn begegneten uns wirklich noch Leute, so mußten sie mich für Blackbird halten, und um dies zu bewirken, begaben wir uns nach dem Zelt des Häuptlings, welches am äußeren Ende des Dorfes auf einer kleinen Anhöhe stand.

Dasselbe war matt erleuchtet, indem der Häuptling vor seinem Aufbruch noch einige feste Holzblöcke in die Feuerhöhle gewälzt hatte, und konnte ich mich[] daher nicht enthalten, nachdem Werker vorher einen Blick hinein geworfen, einzutreten und mir meine Büchse und Blackbird's wohlgefüllte Kugeltasch? herauszuholen.

Auf einem weiten Umwege gelangten wir an das Flüßchen, an welchem ein schmaler Pfad hinlief, und so schnell ich mit meinem lahmen Fuß nur auszuschreiten vermochte, entfernten wir uns von dem Dorfe der Blackfeet.

Jeannette, wie ich meine treue Mandanenwaise seit jenen Tagen nannte, hatte während der ganzen Zeit kaum eine Sylbe gesprochen. Ebenso waren Werker und ich zurückhaltend in den Aeußerungen unserer Gefühle gewesen. Jeannette befürchtete, dadurch, daß sie unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkte, unsere Flucht zu erschweren, während ich uns nicht eher als gerettet betrachtete, als bis wir den Missouri erreicht haben würden, und Werker sich zu meinem größten Leidwesen wieder, seinen trüben Betrachtungen und Grübeleien hingab.

Erst als wir bald nach Sonnenaufgang bei den Pferden eintrafen und er darauf bestand, daß Jeannette und ich die Flucht allein fortsetzen und ihn seinem Schicksal überlassen sollten, wurde er wieder lebhafter.

Durch nichts war er zu bewegen, das schwächere Pferd zu besteigen und dem kräftigeren zuzumuthen, Jeannette und mich zusammen davonzutragen. Ich war daher gezwungen, Jeannette flüchtig mitzutheilen, in welchem Verhältnis; der fremde Medicinmann, dem wir unsere Rettung verdankten, zu ihr stehe.

Werker machte mir wohl bittere Vorwürfe darüber, indem er von Anfang an befürchtet hatte, den Bitten seines leiblichen Kindes nicht Festigkeit genug entgegenstellen und daher seinen Vorsatz, sich selbst zu opfern, nicht ausführen zu können, doch auf welche andere Art wäre es mir möglich gewesen, auf ihn einzuwirken? Auch ich entschloß mich nur mit Widerstreben zu diesem Schritt, denn ich lebte fortwährend in der Besorgniß, daß jede unzeitige Gemüthsaufregung, jedes Zuwiderhandeln seinem Willen und seinen Wünschen nachtheilig auf ihn einwirken und mir sein Zurückführen in den Bereich der Civilisation erschweren würde.

Doch die Scene, welche ich auf spätere Zeiten, wenn wir erst den Missouri erreicht haben würden, zu verschieben beabsichtigte, verlief ruhiger, sogar wohlthätiger, als ich je zu erwarten gewagt hätte.

»Ich wußte, daß er mein Vater sei,« sagte Jeannette, ihre großen frommen Augen, mit einem Ausdruck inniger Freude und Dankbarkeit bald auf mich, bald auf Werker richtend; »ich wußte es, als er seine Hand auf meine Stirne legte und zu mir sagte: ›meine Tochter, ich will Dich retten.‹ Nur mein Vater oder mein Gebieter konnte in einem solchen Tone zu der von aller Welt verlassenen Waise sprechen; seine Stimme war die des Schwans, der das zerstörte Nest umschwebt und nach seinen Kindern ruft.«

»Und Du nanntest mich nicht, Du sagtest mir kein Wort?« fragte Werker mit bebenden Lippen, indem er den Federschmuck von seinem Haupte riß und unter die Füße trat.

»Durfte ich?« entgegnete Jeannette mit rührender[] Einfachheit und einem schüchternen, holdseligen Lächeln; »ich fürchtete, gegen den Willen meines Vaters und desjenigen zu handeln, der mir so lange Vater und Beschützer gewesen. Hätten sie es für rathsam gehalten, sie würden es mir längst mitgetheilt haben. Mein Herz klopfte laut, aber mein Kopf beschwichtigte es; mein Vater hatte zu mir gesagt: ›Geduld.‹«

»Ja mein Kind, ich bin Dein Vater,« versetzte Werker bewegt, »und Du magst mich immerhin so nennen; ja, nenne mich Vater, nur ein einziges Mal, und dann besteigt Eure Pferde und entflicht. Sei ihm treu, Jeannette, sei ihm treu, und wenn die Zeit dereinst kommt, in welcher Du heiler lächelnd der Tage gedenkst, in welchen Du für ein armes Indianermädchen galtest, dann gedenke auch desjenigen, der Dich einst unter Freudenthränen als sein liebes Kind auf seinen Armen wiegte. Aber fort jetzt, fort, ich, Dein Vater, verlange es von Dir, fort, die Zeit enteilt und das Unglück schläft nicht!«

Mit einer an Herzensangst grenzenden Spannung harrte ich der Antwort entgegen, welche Jeannette ihrem Vater ertheilen würde. Es war ja eine Art Probe von ihrer Denkungsweise, von ihrem Charakter, welche das ungeschulte Naturkind ablegen sollte, eine Probe, nach welcher ich den Werth der in ihrer Brust schlummernden Keime besser, denn jemals zu bemessen im Stande war. Doch meine kühnsten Erwartungen wurden in so hohem Grade übertreffen, daß es mir fast sündhaft erschien, auch nur den leisesten Zweifel in das richtige Gefühl des lieben, holden Kindes gesetzt zu haben.

»Du bist mein Vater, und ich bin Deine Tochter,« sagte Jeannette, sobald Werker geendigt, indem sie dicht zu ihm herantrat und seine Hand auf ihr Haupt legte; »ich weiß, wohin eine Tochter gehört; dort steht das Pferd, besteige es und folge dem Rathe meines bisherigen Gebieters. Willst Du nicht, so bleibe ich bei Dir; mein Gebieter wird nicht von meiner Seite weichen, und die Pferde mögen die Flucht allein und unbeschwert fortsetzen. Vater, bestimme über das Geschick Deiner Tochter; meine Ohren sind offen, und ich bin bereit Deinen Wünschen Folge zu leisten.«

Etwa eine Minute stand Welker sprachlos da; Thräne aus Thräne rollte ihm über die gefärbten eingefallenen Wangen. »Meine Tochter, ich schäme mich Dir gegenüber meiner unwürdigen Verkleidung,« preßte er endlich heraus, einen Kuß auf des treuen, ergebungsvollen Kindes Stirne drückend, »aber fort jetzt, fort, ich füge mich in Deinen Willen; wer weiß, der Abend meines Lebens mag mich entschädigen für Das, was ich in frühern Jahren erduldet.«

Mit diesen Worten schwang er sich auf den leichten, ursprünglich für Jeannette bestimmten Renner, Jeannette und ich bestiegen den andern, und in wilde Galopp folgten wir dem Flußchen stromabwärts dem Missouri zu.

Wann und wie Blackbird aus seiner Hülflosen Lage befreit wurde, erfuhr ich nie. Wahrscheinlich aber verstrich der größte Theil des Tages, eh' man Argwohn gegen das dringende Gebot des abwesenden Medicinmannes schöpfte und das Gefängniß öffnete. Wir wurden nämlich nicht verfolgt; wenn man uns[] aber nachsetzte, war man zu spät aufgebrochen, um den Vorsprung wieder einzuholen, welchen wir gewonnen hatten.

Die andern beiden Pferde, welche Weiler am vorhergehenden Tage noch weiter vorausgebracht hatte, fanden wir nach zweistündigem scharfen Ritt glücklich auf der bezeichneten Stelle vor. Anstatt dieselben aber sogleich zu besteigen, rasteten wir eine kurze Zeit, worauf Jeannette das rüstigste der schon gerittenen übergeben wurde, und Werker und ich die beiden frischen nahmen. Auch das vierte Pferd führten wir noch mit, und brauchten wir dadurch, daß die Thiere abwechselnd unbeschwert mitliefen und gewissermaßen rasteten, unsere Eile nicht zu vermindern. Nachdem wir in dieser Weise vier Tagemärsche zurückgelegt hatten, mäßigten wir unsere Hast, und nach vier weiteren Märschen erreichten wir wohlbehalten den Missouri, wo wir uns als gerettet betrachten durften.

Möglich ist es, daß die Blackfeet durch die Nähe des Winters und die drohenden Schneestürme von einer eifrigen Verfolgung zurückgehalten wurden, denn kalt und eisig wehte während unserer ganzen Flucht ein scharfer Nordwestwind über die abgestorbenen und durch die Prairiebrände abgesengten, Fluren, und vielfach verschleierten wirbelnde Schneeflocken die Fernsicht.

Auf der ersten Handelsstation, an welcher unser Weg vorbeiführte, kehrten wir an, um uns für die Weiterreise angemessen auszurüsten, wozu man mir, da man mich kannte, mit größter Bereitwilligkeit den nöthigen Kredit gewährte.

So erreichten wir denn auch glücklich die bekannte Mission, ehe der Winter in seiner ganzen Strenge hereinbrach und das Reisen durch die Wildniß bis fast zur Unmöglichkeit erschwerte.

Die Wintermonate vergingen auf der Mission schnell genug, für unsere Zwecke fast zu schnell, denn der segensreiche Einfluß, welchen der brave Geistliche und feine Familie auf Jeannette ausübten und wodurch ihr schnelles Fortschreiten auf dem Wege der Bildung außerordentlich befördert wurde, ließ sich mit jedem neuen Tage beobachten und verfolgen.

Als wir endlich mit dem Erwachen des Frühlings die freundliche Mission verließen, war die christlich getaufte und eingesegnete Jeannette Werker meine Gattin.

Wir wendeten uns stromabwärts, denn da ich durch die in meinem Knie zurückgebliebene Schwäche untauglich für die schweren Arbeiten eines Grenzansiedlers geworden war, hatte ich den Entschluß gefaßt, mit den paar hundert Dollars, welche ich gerettet hatte, in der Nähe einer größeren Stadt eine Gärtnerei anzulegen.

Das Glück war mir günstig; noch in demselben Sommer erstand ich mit einer geringen Anzahlung dieses allen meinen Wünschen so vollständig entsprechende Grundstück, auf welchem damals erst eine wenig umfangreiche Blockhütte errichtet worden war. Der Vater meiner Jeannette blieb bei uns, und da wir alle drei nicht verwöhnt und außerdem mit manchem kleinen, die Arbeit und die Beschaffung der Lebensmittel sehr erleichternden Kunstgriff vertraut waren, so arbeiteten wir uns schnell genug empor.

[] Die ersten Jahre hindurch hatten wir mit manchen Schwierigkeiten, zuweilen sogar mit Entbehrungen zu kämpfen, als ich aber im vierten Jahre meine erste Weinlese hielt – ich war nämlich nicht bei der Gärtnerei allein stehen geblieben – da begannen Wohlstand und sogar Ueberfluß unfern glücklichen häuslichen Herd zu umgeben, und bald genug befand ich mich in der Lage, die Blockhütte in einen Stall verwandeln zu können, nachdem ich mir vorher nach einem von mir selbst gezeichneten Plan jenes Häuschen hatte bauen lassen.

Neue Jahre brachten neuen Segen, eine Verbesserung folgte der andern, bis endlich mein Grundstück sein jetziges Aussehen gewann. Ich besitze Alles, was mein Herz sich wünscht, und meine Wünsche reichen ja nicht über eine stille zufriedene Häuslichkeit hin aus; aber wenn ich zuweilen nach vollbrachtem Tagewerk, mein treues Weib zur Seite, Misere einzige Tochter spielend vor uns, mein kleines Reich überblicke und den Segen gewahre, der offenbar auf unserer Hände Arbeit geruht hat und noch ruht, dann vermag ich mich kaum einer tiefen Rührung zu erwehren, und mit inniger, aufrichtiger Dankbarkeit gedenke ich Desjenigen, der mir ein so glückliches Loos zuwendete und seine Hand segnend über mir wallen ließ. Schweifen aber meine Gedanken in die ferne Vergangenheit, dann geschieht es mit milden versöhnlichen Gefühlen, frei von Haß und Rachedurst gegen die Menschen, die einst meine, Jugendträume erbarmungslos durchkreuzten, frei von der leisesten Andeutung eines Vorwurfs gegen die Vorsehung, daß die phantastischen Traume meiner Jugend sich nicht verwirklichten.

Derer dagegen, an welchen mein Herz einst mit treuster Neigung hing, und die heute die kühle Erde deckt, ja derer gedenke ich noch immer mit unwandelbarer Liebe, und in dieser Liebe vereinigt sich mit mir, obwohl sie dieselben nicht von Angesicht zu Angesicht kennen leinte, mein treues braves Weib, mein Stolz und meine Freude, meine gute traute Jeannette. Hier schwieg Wandel.

Der Mond war von der Ostseite nach der Westseite der Laube herumgegangen, aber auch dort fand er zwischen den dichtbelaubten Weinranken Fugen und Oeffnungen, durch welche er auf unfern Tisch blicken und fortfahren konnte, die allerwunderlichsten Figuren auf der grünen Fläche zu zeichnen. Ebenso vergaß er nicht die Flasche mit dem edlen Kataubawein, und als ob er uns hätte mahnen wollen, bei all dem Erzählen und Zuhöret, das Trinken nicht zu vergessen, entlockte er diesem so helle Funken, daß die Nachtschmetterlinge und Motten dadurch geblendet wurden und mit schnurrendem Geräusch um die Flasche herumflatterten und unbedachtsamer Weise den schönen Federstaub auf ihren dicken Köpfen zerstörten und abstießen.

»Das wäre also der Schluß des Manuskriptes,« sagte Wandel nach kurzem Sinnen, indem er die Gläser frisch füllte und dann das eine emporhob; »Geduld im Unglück, Beharrlichkeit im redlichen Sterben, Liebe unfern Freunden, Vergebung unsern Feinden, und Demuth, wenn das Glück uns lächelt.«

»Demuth, wenn das Glück uns lächelt,« wiederholte [] ich Wandel's letzte Worte, und laut und hell klangen die Gläser aneinander.

»Und Werker, der Vater Ihrer liebenswürdigen Gattin, gestatten Sie mir, nach ihm zu fragen?« hob ich an, nachdem wir die leeren Gläser wieder auf den Tisch gestellt hatten.

»Gewiß, gewiß,« erwiderte Wandel ernst, indem er sich erhob, welchem Beispiel ich folgte, »das Manuscript ist ja eigentlich so lange nicht vollständig, als noch Ungewißheit über das Endschicksal der einen oder andern in demselben erwähnten Person waltet.«

»Doch heute nicht mehr, wenn es Ihnen recht ist; ich muß ein Mittel in Händen haben, Sie noch einige Tage an meinen Herd zu fesseln, und bevor Sie meine ganze Lebensgeschichte bis auf den heutigen Tag kennen, werden Sie hoffentlich nicht an den Aufbruch denken?«

»Vorausgesetzt, meine Gegenwart verursacht keine Störung in Ihrer gewöhnlichen Lebensweise.«

»Eine gern gesehene, willkommene Störung,« versetzte Wandel, seinen Arm auf den meinigen legend und, um seinen lahmen Fuß etwas zu schonen, sich zutraulich auf mich stützend, worauf wir wie alte, uralte Bekannte plaudernd dem Hause zuschritten.

Eine Viertelstunde später ruhte ich auf einem bequemen, weiß überzogenen Lager. Durch das geöffnete Fenster strömte die laue, aber doch erquickende Nachtluft zu mir herein, und mit dieser das einschläfernde Geräusch des nächtlichen Thierlebens im nahen Waldesdickicht.

Sonst herrschte feierliche Stille ringsum; es war, als ob der Engel des Friedens seine Fittige über das kleine Haus und dessen gute freundliche Bewohner ausgebreitet habe, um sie vor allem ferneren Unheil liebevoll zu bewahren und zu beschirmen.

Fünfzehntes Capitel.
Auf der Farm.

Die liebe freundliche Farm, wie sich ihr Bild meinem Gedächtniß so tief, so unauslöschlich eingeprägt hat!

Nur Tage waren mir im Kreise jener glücklichen Familie vergönnt, aber Tage, welche mit zu den hellsten Lichtpunkten der Erinnerung an mein beschwerliches, dafür aber um so genußreicheres Wanderleben zählen.

Wie strahlte dort die Sonne so lieblich, wie berührten die bald melancholischen, bald heiteren Melodien des Spottvogels, der sanfte Ruf des glühend rothen Kardinals und das Girren der Wandertauben so traulich mein Ohr, wie duftete der Wald so süß und prangten die Blüthenkelche in so prächtigen Farben!

Und doch lachte die Sonne nicht lieblicher, wie zu andern Zeiten vom blauen Himmel nieder, jubelten die Vögel nicht fröhlicher und blühten die Blumen nicht schöner, wie in andern Zonen. Aber eine freundliche Hand hatte mein Kissen geglättet, ein biederes Herz mir in aufrichtiger Freundschaft entgegengeschlagen, und wieder und immer wieder spiegelte ich mich in den schönen unschuldigen Augen holder, zutraulich tändelnder Kindheit. Der Contrast welchen das Leben [] in der Urwildniß, die ich eben verlassen hatte, zu den Tagen friedlicher, behaglicher Ruhe bildete, war ja zu groß, zu scharf hervortretend, zu wohlthuend, als daß mir nicht Alles hätte wie im schönsten Festkleide prangend erscheinen müssen. –

Wir saßen wieder in der Laube, welche uns den besten Schutz gegen die noch immer heiße Nachmittagssonne gewährte, und Frau Jeannette war mit der kleinen Johanna ihren häuslichen Verrichtungen nachgegangen, als Wandel aus eigenem Antriebe das Gespräch noch einmal auf seine Lebensgeschichte lenkte. »Sie fragten mich nach dem Vater meiner Jeannette,« hob er an, indem er einen Brief aus der Tasche zog und vor sich auf den Tisch legte, »und in der Voraussetzung, daß Sie es nickt als eine Mahnung ansehen, Ihren Aufenthalt in meinem Hause abzukürzen, will ich jetzt meine Berichte vervollständigen.«

Werker hat sich also bis zu seinem Ende nicht mehr von uns getrennt. Er begleitete uns nach der Mission und von dort hierher, und stets war er mir bei meinen Arbeiten ein treuer Gefährte und Gehülfe. In seinen Tiefsinn verfiel er nicht wieder, doch war in seinem ganzen Wesen ein wehmüthiger Ernst zurückgeblieben. Er sprach nur selten und wenig, aber im Ausdruck seiner wohlwollenden Augen stand deutlich geschrieben, daß er sich glücklich und zufrieden fühle.

Er war stets milde und freundlich, und nie kam ein Wort der Ungeduld oder des Mißvergnügens über seine Lippen. Dagegen erinnere ich mich nicht, ihn in den ersten Jahren unseres Zusammenseins jemals lächeln gesehen zu haben.

Erst als unsere kleine Johanna einzelne Worte zu lallen begann und ihn einst, für ihn ganz unerwartet, »Großvater« nannte, erhellte ein glückliches Lachen sein Antlitz zum ersten Mal wieder. Von jener Stunde an lebte er gleichsam von Neuem auf, und in ähnlicher Weise, wie das sich wunderbar schnell entwickelnde Kind, wendete auch er der Außenwelt eine größere Theilnahme zu.

Er sprach mit Rübe und Ergebung von der Vergangenheit und gedachte mit heiterer Zuversicht der Zukunft, und fast kein Tag verging, an welchem er nicht wenigstens einmal wiederholt hätte, daß unsere kleine Johanna das getreue Ebenbild seiner ältesten dahingeschiedenen Tochter sei, wie ihm dieselbe noch immer lebhaft als kleines Kind in Gedanken vorschwebe.

Wie recht er hatte, vermochte Niemand besser, als ich, zu beurtheilen. Es ist für mich eine Quelle innigster Freude und lieber wehmüthiger Erinnerungen, zu beobachten, wie diese Aehnlichkeit nicht nur im Aeußeren, sondern auch im ganzen Wesen von Tag zu Tag auffallender hervortritt. Nur kräftiger verspricht das Kind zu werden, und dem Himmel sei Dank, fehlen auch die Einflüsse, welche bei meiner verstorbenen Johanna bereits in frühster Jugend nachtheilig auf ihr Gemüth einwirkten und den ersten Keim zu ihrer späteren tödlichen Krankheit legten.

Mit Recht kann ich behaupten, daß unsere kleine Tochter vorzugsweise dazu beitrug, den Lebensabend des alten Werker zu versüßen. Das Kind liebte den freundlichen Greis über alle Beschreibung, und er[] wieder war sogar heiteren Gesprächen zugänglich, wenn er die Kleine auf seinen Knieen schaukelte oder sie auch nur in seiner Nähe sich lustig umhertummeln sah.

In solchen Stunden gelang es mir zuweilen, ihm eine Feder in die Hand zu drücken, Papier vor ihn hinzulegen und ihn zum Schreiben an seinen Bruder, meinen so verehrten Vormund, den greisen Oberstlieutenant zu bewegen. Waren es nur wenige Worte, welche er an ihn richtete, so zeugten diese doch nur von seiner unwandelbaren treuen Anhänglichkeit an den besten aller Brüder.

In den Hauptsachen, ging die Correspondenz zwischen den beiden alten Herren durch meine Feder, und da ich sie genügend kannte, nm ihre Eigenthümlichkeiten, ihre Einfälle, ja, ihre Sprache sogar wiedergeben zu können, so sind meine Briefe stets ein hoher Genuß für sie gewesen. Sie betrachteten dieselben als Documente, bei welchen ich nur die Rolle eines Abschreibers übernommen habe. Besitze ich doch noch Briefe, in welchen mein alter gütiger Vormund sehr naiv sagt: »Schreibe dem Hans in meinem Namen einen recht herzlichen Brief, in welchem Du am Schluß hinzufügen kannst, wie sehr ich mich über sein von Dir verfaßtes Schreiben gefreut habe. Der alte Knabe scheint mit jedem Jahr jünger zu werden, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er noch einmal auf Heirathsgedanken käme.«

Der Vater meiner Frau dagegen, als ich ihm einst einen im Auftrage des Oberstlieutenants von mir an ihn gerichteten Brief vorlas, äußerte kopfschüttelnd: »Man sollte wirklich denken, daß er so viel jünger als ich sei, wie er älter ist. Man möchte den alten Burschen um seine eiserne Konstitution beneiden; sollte mich gar nicht wundern, wenn er eines Tages hier einträfe, um uns einen Besuch abzustatten.«

Und so gelang es mir denn, die beiden lieben alten Leute vollständig über einander zu täuschen; im Geiste sahen sie sich gegenseitig im rüstigsten Mannesalter; Einer freute sich über den Andern, sie vergaßen, daß seit ihrem letzten Zusammensein wenigstens dreißig Jahre verstrichen waren und vermochte daher sich Einer von dem Andern nur ein Bild zu entwerfen, wie es ihnen noch immer aus einer glücklichen Vergangenheit in der Erinnerung vorschwebte.

Die Zeit ging dahin; Werker wurde von Tag zu Tag heiterer, trotzdem auf der andern Seite seine körperlichen Kräfte merklich abnahmen. Das Alter, mehr aber noch die Leiden und Entbehrungen, welche er während seines abgeschiedenen Lebens unier den Eingeborenen erduldete, machten sich geltend, und so ereignete es sich denn vor zwei Jahren an einem schönen Frühlingsmorgen, daß er, anstatt, wie er am Abend vorher versprochen Halle, mit Johanna, seinem Liebling, einen Spaziergang in den Wald zu unternehmen, zur ewigen Ruhe eingegangen war.

Der Tod hatte freundlich und unfühlbar seine erstarrende Hand auf das treue Herz gelegt. Er war im Schlafe gestorben, und auf seinen bleichen Zügen richte das glückliche Lächeln, mit welchem er unsere Johanna zu begrüßen pflegte.

»Was er in seinen letzten Lebensjahren so oft gewünscht, ging in Erfüllung: es flossen an seinem[] Grabe heiße Thränen der Trauer, und treue Kindesliebe pflegt heute noch, und so Gott will, noch viele kommende Jahre hindurch, sorgfältig die Blumen, welche seiner Decke in Fülle entsprießen.

Ein seltsames, ein freundliches Geschick waltete über den beiden Brüdern. Keiner erfuhr den Tod des Andern, denn als die traurige Nachricht von dem Dahinscheiden seines Bruders auf der Oberförsterei eintraf, da war mein Vormund bereits todt. Ich hätte es ahnen können; sein jüngster an mich gerichteter Brief trug das Gepräge eines letzten Willens, eines gefaßten, vertrauensvollen Hinüberblickens in das Jenseit.«

»Dann ist die Gattin des Oberstlieutenants wohl vor dem alten Herrn gestorben?« fragte ich nach einem längern feierlichen Schweigen, welches dem Andenken der beiden Brüder galt.

»Sie starb vier Jahre früher,« entgegnete Wandel, »sie starb innig beweint von ihrem Gallen und allen Dorfbewohnern, mit welchen sie jemals in Berührung gekommen war; denn mochte ihr starres Haften an den von ihrer Kirche vorgeschriebenen Formen auch nicht ohne schädliche Wirkung auf ihre Lebensansichten geblieben sein, so war sie dafür um so mildthätiger, um so schneller bereit, zu helfen, wo sie sah, das Hülfe noth that.«

Doch indem ich der ehrwürdigen alten Dame gedenke, tauchen noch so manche Gestalten in meiner Erinnerung auf, für welche Sie, da Sie meine Lebensgeschichte so genau kennen, sich nicht minder interessiren dürften.

Der Oberstlieutenant liebte es nicht, lange Briefe zu schreiben; er wählte daher den Ausweg, da, wo sich ihm ein geeigneter Grund dafür bot, mir Zeitungen zu übermitteln und diejenigen Stellen, auf welche er meine Aufmerksamkeit hinzulenken wünschte, mit Rothstift zu bezeichnen. Eine solche Sendung erreichte mich auch, als ich eben im Begriff stand, zum ersten Male die Reise von St. Louis aus nach dem mir unbekannten, fernen wilden Westen anzutreten. Aus diesen Zeitungen schöpfte ich ein besseres und faßlicheres Bild von Allem, was bald nach meiner glücklich ausgeführten Flucht stattgefunden hatte, als mein Vormund mir zu geben vermocht hätte, um so mehr, da die in denselben aufgezeichneten Nachrichten noch immer von einigen kurz gefaßten Erläuterungen und Zusätzen des alten Herrn begleitet waren. Meine geheimnißvolle Flucht hatte damals kein geringes Aufsehen erregt. Man suchte Wohl zu ermitteln, wer mir bei dieser behülflich gewesen, jedoch vergeblich, und wenn wirklich meinen Vormund ein leiser Verdacht traf, so scheute man sich doch wohl, gegen einen alten ergrauten invaliden Freiheitskämpfer, der die größte Schonung seiner Gefühle verdiente, einzuschreiten.

Vielleicht war man auch froh, der Pflicht überhoben zu sein, die Strafe für den Hochverrath und den darauf folgenden Fluchtversuch in ihrer ganzen Strenge an mir in Anwendung bringen zu müssen. Jedenfalls hatte ich die große Genugthuung, zu erfahren, daß ich auf vollständig unbegreifliche Weise verschwinden sei und das Vaterland sich zu der Verminderung der ihm innewohnenden gefährlichen Elemente Glück wünschen könne.

[] Auf der Oberförstern war nach Johanna's Tode und nach meinem Scheiden eine trübe gedrückte Stimmung eingezogen. Nur seiner überaus kräftigen Natur und seinem eisernen Willen, mit welchem er die Gefühle beherrschte, die ihn zuweilen zu übermannen drohten, verdankte es mein Vormund, daß er nach den herben Schicksalsschlägen sich endlich wieder erholte und, wie ehedem, mit seiner militairischen selbstbewußten Haltung einherschritt.

Auf seiner Gattin dagegen lastete es wie ein schwer drückender Alp, und die jüngsten Erfahrungen trieben sie, wo möglich noch im erhöhten Grade, zur Buße für die Sünden, welche, nach ihrer Ueberzeugung von den Mitgliedern ihrer Verwandtschaft verübt worden waren. Am allerwenigsten aber diente dazu, das Gewissen der eifrigen Katholikin zu erleichtern, daß der Oberstlieutenant sich ernstlich und ohne viele Umschweife alle ferneren Besuche Bernhard's und seines Jesuitenbruders verbat:

Durften die beiden Priester die Oberförsterei auch nicht mehr betreten, so trafen sie doch keine Anstalt, nachdem Johanna dem alleinseligmachenden Glauben geopfert worden war, die Gegend zu verlassen. Sie befürchteten das Auftauchen von Gerüchten, welche ihren geheiligten Zwecken vielleicht nichts weniger, als förderlich gewesen wären, und die rechtzeitig zu bekämpfen und niederzuschlagen sie als ihre nächste Aufgabe betrachteten.

Der plötzliche Tod des armen, in religiöse Überspanntheit hineingeängstigten Kindes mußte vorerst zu ihren Gunsten ausgedeutet werden, anstatt daß ihre Abwesenheit wahrscheinlich gerade das Gegentheil bewirkt hätte.

Sie blieben, doch sollte ihnen aus ihrem längeren Verweilen kein Segen erwachsen.

Meinem Vormunde sowohl, als auch andern Leuten war es aufgefallen, daß seit meiner Flucht im Hause von Anton's Mutter ein ganz neues und verhältnißmäßig üppiges Leben geführt wurde. Manche neigten sogar zu dem Glauben hin, daß der Ueberfluß bei der sich keines guten Rufes erfreuenden Familie mit meinem glücklichen Entkommen in Verbindung gebracht werden dürfe und es mein Geld sei, für welches sie sich Tag für Tag gütlich thaten.

An meinen Freund, den armen Anton, dachte dabei Niemand, wenn ich auch nicht bezweifle, daß sein Bruder Andres Alles ausspionirt hatte und sich nur deshalb scheute, öffentlich als Ankläger gegen ihn aufzutreten und in dieser Weise seinen Zorn an ihm auszulassen, weil Anton seit dem Tage, an welchem ich auf dem Ufer des Rheins Abschied von ihm nahm, auf der Oberförsterei und unter dem persönlichen Schütze meines Vormundes lebte.

Der arme Schelm hatte daselbst ein Loos gefunden, wie er sich in seinen bösen Tagen vielleicht den Himmel vorgestellt haben mag. Er wurde gekleidet und gespeist, und dabei übertrug man ihm solche Arbeiten, die seine Kräfte nicht überstiegen und viel zu seinem körperlichen und geistigen Wohlbefinden beitrugen. Er sorgte für die Hunde und das Federvieh, er schleppte Holz für Küchenherd und Ofen herbei, er beaufsichtigte meines Vormundes Pfeifen, du ein ganzes Brett ausfüllten, und wie der alte Herr selbst in einem Briefe versicherte, hatte Anton [] es im Stopfen der Pfeifen zu einer Fertigkeit gebracht, daß sogar der alte Blücher »seligen Angedenkens« daran nichts zu tadeln gefunden haben würde.

Die Uhr, welche ich ihm bei unserer Trennung schenkte, hatte er, meinem Rathe folgend, dem Oberstlieutenant in Verwahrung gegeben. Dieser zog sie regelmäßig auf und hing sie in seiner Wohnstube so hin, daß Anton im Vorbeigehen immer einen Blick auf dieselbe werfen und sich jedesmal über seinen Reichthum freuen konnte.

Ueberhaupt betrachtete der alte gute Herr den treuen Burschen sammt seinem Raben, der ihm schimpfend und scheltend auf Schritt und Tritt überallhin nachfolgte und mit Federvieh und Hunden auf leidlich gutem Fuße lebte, als eine Art Vermächtniß von mir. Ich kann mir so recht vorstellen, wie er ihn auf seine Art verzog, bin und wieder sich in eine Unterhaltung über mich mit ihm einließ und ihn unter Recitirung aller nur denkbaren militairischen Flüche noch nachträglich für sein kluges und tapferes Benehmen vor dem Feinde belobte.

Der arme ehrliche Anton dagegen, wie er sich dann wohl freute, und wie er sich bestrebt habe mag, seinem wohlwollenden Gebieter seine Anhänglichkeit und Dankbarkeit zu beweisen!

Der Rabe war bei solchen Gelegenheiten natürlich der Dritte im Bunde und soll mit dem Oberstlieutenant stets um die Wette geflucht und mit Anton um die Wette gelacht haben.

Das kluge Thier hatte nämlich, wie mir mein Vormund mittheilte, zum größten Entsetzen seiner guten Lisette, sehr bald alle Flüche und sonstigen derben Lieblingsausdrücke des alten Herrn, die er des Tags wohl zwanzigmal hörte, auswendig gelernt, und zwar nicht nur die Worte, sondern auch den schnarrenden Ton, in welchem dieselben in die Welt geschickt wurden.

Ueber Letzteres erklärte mir der Oberstlieutenant seine besondere Zufriedenheit, indem er dadurch in den Stand gefetzt sei, frei von der Leber zu sprechen und, wenn seine Lisette ihn wirklich einmal aus der Ferne belauscht habe und ihm, unter Hinweisung auf das Fegefeuer, seine rauhen Soldatenmanieren vorwerfe, alle unheiligen Bezeichnungen dem gottlosen Jakob zur Last zu legen.

Derartig waren also die häuslichen Verhältnisse auf der Oberförsterei, auf welcher der alte treuherzige Krieger bis an das Ende seiner Tage den nach allen Richtungen hin freundlich und wohlthuend wirkenden Mittelpunkt bildete.

Daß Anton auf der Oberförsterei ein so gutes Unterkommen gefunden hatte, gereichte ihm auch noch in anderer Beziehung zum Glück. Wer weiß, wäre er im Hause seiner Mutter geblieben, dann hätte er in der schrecklichen Katastrophe, welche über die einsame Hütte, oder vielmehr deren Bewohner und Besucher hereinbrach, vielleicht ebenfalls seinen Untergang gefunden. –

In den ersten Wochen nach meiner Flucht herrschte also in Anton's elterlicher Hütte ein Ueberfluß, wie wahrscheinlich noch nie, seit ihrer Gründung. Doch nicht allein dort, sondern auch in den umliegenden Schänken, wo nur immer der böse Andres sich zeigte,[] erhielt man die untrüglichsten Beweise, daß es ihm nicht an Gelb mangle und er dasselbe am allerwenigsten seiner Betriebsamkeit verdanke. Er spielte, er feierte nächtliche wilde Gelage mit seinen Gesinnungsgenossen, er veranlaßte blutige Raufereien, und dabei führte er solch übermüthige Reden über die Unerschöpflichkeit seines Reichthums, daß sogar die nächsten Behörden Argwohn gegen ihn faßten und ihn durch die Gensdarmen schärfer beobachten ließen.

Diesen gegenüber war er indessen zu listig; er berief sich darauf, seine Geldmittel von einem reichen Manne, dem er einen großen Dienst geleistet, empfangen zu haben, und da er sich standhaft weigerte, einen Namen zu nennen, so gewann das Gerücht, daß er mir bei meiner Flucht behülflich gewesen sei, unter den Leuten immer mehr Glauben.

Man konnte ihm aber nichts beweisen und beschränkte sich daher vorläufig darauf, ihn und sein Treiben aufmerksamer zu beobachten.

Wer hätte auch geahnt, daß er, der bekannte gewissenlose Vagabonde in so naher Beziehung zu den beiden frommen Priestern stehe, die noch immer in dem nahen Kirchdorf wohnten, dort mit zündendem Glaubenseifer die Menschen zur Beichte und Buhe ermahnten und darauf hinwiesen, wie Gott seine verirrten und ihm entfremdeten Schafe selbst auf ihrem Sterbebett noch zu finden und der von ihm einzig und allein eingesetzten wahren Religion in den Schooß zu führen wisse? Wer hatte ferner geahnt, daß diese frommen Männer gezwungen waren, durch klingende Münze das tiefste Schweigen von Dem zu erkaufen, den sie so lange als ihr Werkzeug benutzt hatten, und dem ein geschworener Eid nicht heiliger war, als ihnen selber, wenn sie dadurch ihren Zwecken zu genügen hofften? Aber sie hatten sich getäuscht, getäuscht ebensowohl über die Tragweite ihrer Lehren und ihrer religiösen Androhungen, wie über den Charakter des wilden Andres, an dessen verstocktem Gemüth Lehren wie Drohungen gleich machtlos abprallten. –

Die ersten Kränze, welche man auf Johanna's frischen Grabhügel gelegt hatte, waren, wenn auch von der Herbstluft gebleicht, doch noch nicht vollständig verwittert, als die beiden Priester endlich Anstalt trafen, eine Gegend zu verlassen, in welcher sie sich, des bösen Andres und seiner unverschämten Forderungen wegen, nicht mehr ganz heimisch fühlen mochten.

Möglich ist es auch, daß des Oberstlieutenants Haß und die wenig schmeichelhaften Urtheile, welche öffentlich über sie zu fällen er sich nicht scheute, mit zu ihrem Entschluß beigetragen hatten, oder daß sie von ihren Oberen, deren Zufriedenheit sie sich durch einen gewissen Mangel an Geschicklichkeit schwerlich erworben haben konnten, zurückberufen wurden.

Genug, sie bereiteten sich im Stillen zur Abreise vor, und um weniger Aufsehen zu erregen begab sich der Aeltere von ihnen, derselbe, der einst als Bernhard's Onkel aufgetreten war, mit ihren Sachen einige Tage früher auf den Weg, es seinem Genossen anheimstellend, zu gelegener Zeit nachzufolgen. –

Es war ein kalter, aber klarer Novemberabend, an welchem Bernhard aufzubrechen gedachte. Gegen Niemand hatte er ein Wort über seine Absicht geäußert, [] aus Besorgniß, die Kunde von seiner Abreise würde den wilden Andres erreichen und dieser ihm in Folge dessen vorher noch einen Besuch abstatten. Aus denselben Gründen scheute er sich auch, einen Wagen zu miethen. Er kannte die Wege und Landstraßen ja genau, und da nach der Abreise seines Gefährten sein ganzes Gepäck nur aus einem kleinen tragbaren Koffer bestand, so hatte er beschlossen, zu Fuße nach Königswinter zu wandern und von dort aus am folgenden Morgen in aller Frühe seine Reise auf bequemere Art fortzusetzen.

Die kleinen Fenster der friedlichen Dorfhütten waren bereits erleuchtet, als Bernhard nach Koffer und Wanderst ab griff. Im Pfarrhause hatte er Abschied genommen, und war also kein Grund mehr vorhanden, noch langer zu zögern. Mechanisch schritt er nach der Thür hin und ebenso mechanisch legte er die Hand auf den Drücker, als er denselben plötzlich durch fremde Kraft nachgeben fühlte und im nächsten Augenblick der wilde Andres geräuschlos zu ihm in das Gemach hereinglitt.

Die Dunkelheit verhinderte ihn, den verrufenen Menschen sogleich zu erkennen; erst als dieser ihn höflich begrüßte, merkte er zu seinem Mißvergnügen, mit wem er es zu thun habe.

»Was führt Euch zu so später Stunde zu mir, mein lieber Freund,« redete er den Eindringling freundlich an, um seine Verlegenheit zu verbergen, »ich wünsche, Ihr wäret etwas früher gekommen, denn meine Zeit ist so kurz gemessen, daß ich mich, so gern ich es auch sonst thun möchte, nicht lange mit Euch aufhalten kann.«

»Es werden dies ziemlich genau dieselben Worte sein, wie sie in der Zeitung, welche die ganze Verhandlung brachte, angegeben sind,« schaltete Wandel hier mit tiefem Ernst ein, der bewies, wie mächtig ihn das ergriff, was er mir mitzutheilen beabsichtigte; »ja dieselben Worte, denn ich habe sie in meiner Einsamkeit am oberen Missouri, wohin ich die Zeitungen mitgenommen hatte, so oft gelesen, daß ich sie allmälig auswendig lernte.«

»Der Herr Kaplan wollen verreisen,« sagte Andres mit unverschämter erheuchelter Höflichkeit, denn er sowohl, wie Bernhard glaubten, daß sie sich allein und ohne Zeugen befänden, während Einer von den Leuten des Hauses, aus leicht erklärlicher Neugierde, auf die dunkle Vorflur geschlichen war und die ganze Unterhaltung mit anhörte. »Der Herr Kaplan wollen verreisen, und da gedachte ich mir die Freiheit zu nehmen, dem Herrn Kaplan Lebewohl zu sagen. Es könnte doch sein, daß der Herr diese Gegend so bald nicht wieder besuchten?«

»Das ist recht freundlich von Euch,« entgegnete Bernhard, »allein Ihr hättet dazu eine günstigere Zeit wählen sollen. Aber dennoch seid Ihr mir willkommen. Nehmt meine besten, aufrichtigsten Wünsche für Euer und Eurer Mutter Wohlergehen, und wenn ich Euch gelegentlich einmal von Nutzen sein kann, so wendet Euch vertrauensvoll an wich; meine Adresse wird Euch zu diesem Zweck innerhalb der nächsten vierzehn Tage zugehen, sobald ich erst mit Bestimmtheit weiß, wo ich vorläufig mein Domicil aufzuschlagen habe.«

»Der Herr Kaplan haben gut reden,« versetzte [] Andres mit einem unterdrückten brutalen Lachen, indem er die Thür hinter sich in's Schloß drückte, in Folge dessen der Zeuge dicht an die Thür heranschleichen mußte, um Alles zu verstehen, was weiter in dem Gemach verhandelt wurde; »sehr gut reden,« wiederholte er hämisch, »ich soll an den Herrn Kaplan schreiben, und der Herr Kaplan wissen doch eben so gut, wie ich selber, daß ich es in der Schule nicht weit brachte. Aber der ehrwürdige Herr können mir gerade jetzt von sehr großem Nutzen sein, und würde ich nach Erfüllung meiner Bitte herzlich gern versprechen, mich nie wieder mit einem Anliegen an Sie zu wenden.«

»Können wir das nicht unterwegs abmachen, mein lieber Freund?« fragte Bernhard ungeduldig, »ich muß mich beeilen, wenn ich Königswinter noch heute Abend erreichen will.«

»Nein, nicht unterwegs,« erwiderte Andres gelassen, »es wäre zu unbequem.«

»Um was handelt es sich denn, mein guter Freund?« fragte Bernhard weiter.

»Nur um eine Kleinigkeit, Herr Kaplan, um ein Darlehen von hundert Thalern,« antwortete Andres. Er hatte indessen ebenso gut sagen können: um ein Geschenk von hundert Thalern, indem er ohne Zweifel an nichts weniger dachte, als auch nur einen Pfennig von dieser Summe zurückzuerstatten.

Bernhard durchschaute den Vagabonden sehr wohl und entschuldigte sich damit, daß er ihn für seine Dienstleistungen reich genug belohnt habe und außerdem augenblicklich nicht über so bedeutende Mittel verfüge, um eine so beträchtliche Summe entbehren zu können.

»Ich sollte denken, Herr Kaplan,« versetzte Andres darauf spöttisch, »die heimlichen Nachrichten, welche ich Ihnen zutrug, und die hülfreiche Hand, die ich Ihnen lieh, den jungen Herrn Wandel –«

»Ihr zeigt Euch von keiner christlichen Seite,« unterbrach Bernhard den Bösewicht streng, »zwischen Männern muß ein gegebenes Wort heilig gehalten weiden, und wenn Ihr Euch auf Eure geleisteten Dienste beruft, so müßt Ihr nicht vergessen, daß Ihr diese Dienste nicht mir, einem sündigen Menschen und unwürdigen Diener des Herrn geleistet habt, sondern dem Herrn selbst und seiner allerheiligsten Kirche, in welcher er seine alleinige Wohnung aufgeschlagen hat.«

»Ich glaube kaum, daß der Herr und seine Heiligen etwas dagegen einzuwenden haben würden, wenn Sie mir dennoch die vorgeschlagene Summe einhändigten,« antwortete Andres nun ebenfalls mit einer Anwandlung von Ungeduld über den Widerstand, auf welchen er stieß, »denn wäre ich gezwungen, einen Andern um das Darlehen anzugehen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, weßhalb ich in letzter Zeit nur so wenig gearbeitet habe, so weiß ich nicht, ob der Herr Kaplan dabei so sehr gut fortkämen.«

Auf diese Erklärung, welche offenbar eine Drohung enthielt, legte Bernhard seinen Koffer auf einen Stuhl, worauf er das Gemach einigemal mit langsamen Schlitten durchmaß.

Nach einigen Minuten blieb er plötzlich wieder vor Andres stehen, und es entspann sich zwischen ihnen ein im flüsternden Tone geführtes Gespräch, [] welches der Zeuge nicht genau verfolgen konnte, ihm aber als eine Art von Feilschen und Handeln um einen bestimmten Preis erschien.

Die Verhandlung schloß endlich damit, daß Bernhard ein Licht anzündete, den Koffer noch einmal öffnete und Andres fünfundzwanzig Thaler einhändigte, wofür dieser eine von dem Priester aufgesetzte Quittung unterschrieb, laut deren er so in die Gewalt des selben gerieth, daß er nie mehr wagen durfte, mit irgend einer Forderung an ihn heranzutreten.

Nach Beendigung dieses Geschäftes brach Bernhard endlich auf; er verabschiedete sich nur noch bei dem Wirth des Hauses und dessen Familie, die ihm Alle das Geleite bis an's Hofthor gaben, wo Andres seiner harrte.

Letzterer war sehr höflich und gefällig und bat es sich als eine besondere Gunstbezeigung von dem Priester aus, ihm seinen kleinen Handkoffer eine Strecke weit, wenigstens bis dahin, wo der Pfad nach seiner heimathlichen Hütte abbiege, tragen zu dürfen.

Bernhard nahm das Anerbieten mit der ihm eigenthümlichen freundlichen Milde an, worauf Beide sich in der Richtung nach dem Rhein zu entfernten.

Es war dies das Letzte, das man von Bernhard sah und hörte. –

Wochen gingen wieder dahin. Des wilden Andres Mutter sah man häufig in berauschtem Zustande auf der Landstraße ihrer Hütte zuschwanken, während er selbst es toller, wie jemals trieb und kaum noch die eine Schänke verließ, um sich nach einer andern zu begeben.

Da traf plötzlich die Nachricht ein, daß man Bernhard an dem Ort seiner Bestimmung vergeblich erwartet habe und deßhalb vermuthe, er sei entweder erkrankt oder von irgend einem Unglück ereilt worden.

Nachforschungen wurden angestellt, und es ergab sich, daß seine Spuren da verloren gingen, wo er in Andres' Gesellschaft an jenem Abend das Dorf verlassen hatte.

Andres wurde in Folge dessen sogleich sammt seiner Mutter gesanglich eingezogen, doch entdeckte man weder in der Hütte, noch in deren Umgebung die geringsten Anzeichen, durch welche der Verdacht des Mordes, den man bei der ersten Nachricht von Bernhard's Verschwinden gefaßt hatte, gerechtfertigt worden wäre. Außerdem wurde durch den Zeugen, der an jenem Abend die beiden Genossen belauschte, festgestellt, auf welche Weise Andres in den letzten Monaten seine beträchtlichen Geldmittel bezogen halte.

Andres beharrte bei der Aussage, sich auf der Landstraße von dem Priester getrennt zu haben; seine Mutter leugnete standhaft, von Bernhard oder dessen Verbindung mit ihrem Sohne etwas zu wissen, und da man von einer sehr einflußreichen Seite wünschte, die ganze Angelegenheit so viel als möglich zu unterdrücken und nicht zu sehr in die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß Beide wieder auf freien Fuß gesetzt worden wären, wenn nicht noch im letzten Augenblick die furchtbare That an's Tageslicht gekommen wäre.

Wunderbarer Weise war es der arme, früher von den Seinigen so mißhandelte Anton, der die grausige Entdeckung, ohne zu ahnen, um was es sich handelte, herbeiführte.

[] Derselbe kehrte nämlich eines Tages athemlos und mehr todt als lebendig von einem seiner planlosen Ausflüge auf die Oberförsterei zurück, und als mau ihn dann ausfragte und er endlich wieder Worte fand, erzählte er zitternd vor Angst und Einsetzen, daß er in seinem alten Schloß einen fremden todten Menschen angetroffen habe.

Selbstverständlich wurden sogleich die entsprechenden Nachforschungen angestellt, und es ergab sich, daß die Leiche des ermordeten Priesters sammt allen seinen Sachen, das Geld ausgenommen, in der Höhle verborgen worden war, wahrscheinlich, um später, wenn es ohne Furcht vor Entdeckung geschehen konnte, der größern Sicherheit halber im Walde verscharrt zu werden.

Sein Tod mußte ein qualvoller gewesen sein, denn sein seidenes Halstuch, mittelst dessen man ihn erdrosselt hatte, schlang sich, außer um seinen Hals, auch noch um die Finger seiner linken Hand, mit welchen er sich augenscheinlich von dem tödlichen Griff hatte befreien wollen. In seiner rechten, krampfhaft geschlossenen Faust befanden sich, neben der von Andres unterzeichneten Quittung, auch noch einige Proben von dessen rothem Haar.

Es lag also außer allem Zweifel, daß Andres die schwarze That begangen hatte, und seine Mutter zum wenigsten um dieselbe wußte. Doch auch jetzt dauerte es noch lange, bis man, bei dem hartnäckigen Leugnen und den schlau durchdachten Ausflüchten: der Priester sei im Kampfe um die Quittung unter Andres' Händen, eh dieser eine Ahnung davon erhalten habe, plötzlich erstickt, ein bestimmtes Urtheil fällte.

Die nähern Umstände, welche Bernhard's gewaltsames Ende begleiteten, sind nie bekannt geworden; ebenso blieb es dunkel, ob er durch irgendwelche Vorspiegelungen von dem Andres in die Höhle gelockt, oder erst als Leiche dorthin gebracht wurde; jedenfalls aber starb er, als wenn die Vorsehung selber für sein finsteres verbrecherisches Treiben ihre rächende Hand nach ihm ausgestreckt habe.

Der arme Anton erhielt nie einen klaren Begriff von dem, was man seiner Müller und seinem Bruder zur Last legte. Er wußte nur, daß dieselben, im Zuchthause ihre begangenen Verbrechen abbüßten. –

Sechzehntes Capitel.
Schluß.

»Was ist aus dem armen Anton geworden, nachdem er in dem Oberstlieutenant seinen Beschützer verloren hatte,« brach ich nach einer Weile das Schweigen, in welches Wandel nach der Schilderung der schrecklichen Begebenheit versunken war.

»Für Anton ist gut gesorgt worden,« antwortete mein Gastfreund mit einem tiefen Seufzer, als ob er die trüben Bilder, welche der Schluß seines Berichtes vor seine Seele heraufbeschworen, mit Gewalt hätte verscheuchen wollen; »doch es ist am besten, Sie lesen den letzten Brief, welchen ich von meinem um vergeßlichen väterlichen Freunde erhielt,« fügte er Hinzu, mir das vor ihm auf dem Tisch liegende Schreiben darreichend; »derselbe giebt nicht nur Aufschluß über Alles, was zu wissen Sie noch wünschen können, sondern er charakterisirt den alten Herrn auch [] besser, als ich es mit endlosen Schilderungen zu thun vermöchte. Es ist übrigens der längste, welchen er jemals an mich schrieb, und wie Sie sich überzeugen werden, schrieb er ihn, wie im Vorgefühl, daß es auch wohl sein letzter sei.«

Ich hatte unterdessen den Brief entfaltet; die große, steile, altmodische Schrift war schon etwas vergilbt, jedoch noch immer sehr deutlich und leserlich. Mit einem eigenthümlichen Gefühl warmer Theilnahme und inniger Verehrung betrachtete ich die mit unsicherer Hand gleichsam ausgemalten Worte und Gedanken des alten liebevollen Kriegers, dessen ehrwürdige Gestalt ich bereits so vielfach versucht hatte, mir im Geiste zu verbildlichen, und dann begann ich zu lesen.

So weit der Inhalt des Briefes sich auf diese Erzählung bezog, lautete er folgendermaßen:

– – – »Seit meine alte brave Lisette – Gott habe sie selig – zur großen Armee abmarschirt ist, hat mir doch immer etwas gefehlt. Sie ist zwar hübsch alt geworden, doch bin ich ja noch so viel älter, und wenn sie am Leben und gesund geblieben wäre, würde sie ihre beinah achtzig Jahre mit derselben Leichtigkeit, wie ich, getragen haben. Na, ich freue mich, sie wiederzusehen, und da im Himmel das Fluchen von selbst fortfällt, so wird sie wohl mit ihrem Alten zufrieden sein. – Der Anton ist mir in den letzten Jahren ein rechter Trost gewesen: erstens, ist er nicht so dumm, wie er aussieht, und dann glaube ich auch, würde er sich mit Freuden für mich in hunderttausend Stücke zerhacken lassen. Meine Pfeifen haben immer Luft, der Ofen ist stets warm, ich meine, wenn es draußen kalt ist – unter ungesägt, mein Blut hat in den letzten dreißig Jahren viel von seiner Hitze verloren – die Hunde erhalten, was ihnen zusteht, und dann, mein lieber Gustav, sind die Gräber meiner Lisette und unserer Johanna jederzeit so sauber gejätet und mit so hübschen Waldblumen und Epheu bepflanzt, daß es eine wahre Freude ist. Ja, an dem Anton ist ein Gärtner verdorben, und er hat mir versprochen, daß, wenn ich erst zwischen den beiden Lieben meine morschen Knochen ausruhe, er auch mein Grab in Ordnung halten und mit Buchsbaum die Umrisse eines eisernen Kreuzes oben darauf pflanzen will. Die Zeichnung dazu habe ich selbst entworfen und, um ihm die Arbeit zu erleichtern und zu verhüten, daß er die Ecken mit Schnörkeln versieht, ans starker Pappe ausgeschnitten.«

»Aber da fällt mir ein, für den Anton braucht Dir nicht bange zu sein, denn da Du jetzt in guten Verhältnissen lebst, kann es Dir auf die paar hundert Thaler, welche ich allmälig erübrigte, nicht ankommen. Ich habe daher das Geld und sonstige Kleinigkeiten dem Anton in einer Weise vermacht, daß er, so lange er lebt, die Zinsen davon bezieht. Er soll dafür im Pfarrhause wohnen und unsere Gräber beaufsichtigen. Er braucht also nicht wieder betteln zu gehen, und wenn die Zinsen nicht ganz ausreichen, wird er sich durch leichte Gartenarbeit noch etwas dazu verdienen. Er befindet sich übrigens ganz wohl und munter, und grüßt den lieben jungen Herrn, der mit ihm an demselben Tisch gesessen und seinen Jakob vom Tode errettet hat – dankbare Seele – Apropos! Jakob ist noch immer derselbe, [] die Bestie scheint gar nicht älter zu werden; er schimpft auf die ganze Welt, und flucht wie ein Dragoner, da sage nur Einer, daß solch Vieh nicht seinen gesunden Menschenverstand habe! Diana – ich meine die jüngste Tochter der verstorbenen Diana, die Du noch gekannt hast – und Jakob sind endlich doch noch ganz gute Freunde geworden; nur zuweilen fallen noch kleine Scharmützel um einen Knochen vor, bei welchen der Hund, der bereits in's Greisenalter getreten ist, beständig den Kürzeren zieht.

Anton's Uhr hängt noch immer an ihrem allen Nagel; sie geht so richtig, wie die Uhr eines Wachtmeisters, und wird wohl bald die Stunde anzeigen, in welcher ich mich zum Rapport bei unserm lieben Herrgott melden muß. Sage dock dem Hans, dem schreibefaulen Schlingel, daß ich Quartier für ihn machen werde. Er braucht sich indessen nicht zu übereilen; ein so junges Blut – er kann noch nicht aus den Sechzigen heraus sein, oder ist er schon? – muß vorher sein Leben noch recht ordentlich genießen. Wäre ich noch so jung wie ei, dann sollte mich nichts in der Welt abhalten, Euch einen Besuch abzustatten. Möchte gar zu gern Deine Frau kennen lernen und die kleine Johanna. Der alte Gott muß doch noch leben, oder es hätte nach dem vielen Kummer nicht so gut werden können. Soll mich wundern, ob ich im Himmel mein Auge wiederfinde, welches mir der unvorsichtige Granatsplitter ausgeschlagen hat; schere mich indessen den Henker darum; habe ich auf Erden so lange ohne dies Auge zugebracht, brauche ich's auch im Himmel nicht mehr. Hauptsache bleibt die Lisette und Johanna und endlich mein Bruder, der bei Jena fiel. – Bald achtzig Jahre ist eine lange Zeit, und dennoch, wie kurz erscheint mir mein Leben. Waren meine Knochen nicht bereits so mürbe, und mußte ich mir das Pferd nicht immer ganz dicht an die Hausthürschwelle heranbringen lassen, um in den Sattel zu klettern, so würde ich gar nicht glauben, daß ich schon so alt sei. Doch ich kann immerhin zufrieden fein. Der Kummer meines Lebens ist mir allmälig so lieb geworden, als des Lebens Freuden, denn bei Beiden sprach und spricht heute noch das Herz gleich aufrichtig mit. Meine letzte Freude aber ist die über Dich und die Deinen, und dann, daß ich mit dem Gefühl eines recht herzlich Ermüdeten an die ewige Ruhe denke. Gott segne Euch Alle! Küsse in meinem Namen Deine Frau und unsere Johanna, und drücke dem Hans die Hand.«

»Der liebe alte Mann,« sagte ich unbewußt, nachdem ich den Brief zu Ende gelesen hatte und wieder zu Wandel aufschaute.

»Und doch ist dieser Brief nur ein schwacher Abglanz seines Wesens, wie es in Wirklichkeit war,« fügte mein Gastfreund in der ihm eigenthümlichen gewinnenden Weise hinzu; »zwar hat er geschrieben, wie und was er dachte, allein den Ton seiner Stimme mußte man hören, um ermessen zu können, welch unbegrenztes Wohlwollen, welch weiches Herz und welch unerschütterliche Treue und Liebe unter der rauhen Hülle des alten vernarbten Kriegers wohnten.«

»Gern hätte ich ihn noch einmal wiedergesehen, ihn so gern noch einmal auf der Oberförsterei in seinem patriarchalischen Wirken überrascht, allein die Umstände verboten es schon ganz von selbst, auch [] nur im Entferntesten an ein derartiges Unternehmen zu denken. Von Seiten der dortigen Behörden wären mir freilich keine Schwierigkeiten mehr in den Weg gelegt worden, indem ich mich auf die erlassene allgemeine Amnestie hätte berufen können, doch einestheils hätte mein lahmes Knie die Reise sehr erschwert, anderntheils mußte ich zu Lebzeiten meines Vormundes meine Mittel noch sehr zusammenhalten. Und dann hätte ich Frau und Kind nicht den Kummer bereiten mögen, mich auf so lange Zeit von ihnen zu trennen, abgesehen davon, daß eine längere Trennung von den Meinigen für mich ein nicht minder schweres Opfer gewesen wäre. Selbst mein alter braver Vormund würde einen solchen Entschluß nicht gebilligt haben.«

»Jetzt denke ich noch weniger daran, mein Heimathland noch einmal zu begrüßen. Auch in anderer Beziehung ist es vielleicht besser, es geschieht nicht; denn so, wie der liebe Vater Rhein mit seinen herrlichen Ufern meinem Geiste noch immer vorschwebt, würde ich ihn doch nicht wiederfinden. Die Eindrücke, welche der von romantischen Ideen gleichem übersprudelnde Jüngling damals in sich aufnahm, gestalten gar leinen Vergleich mit denjenigen, welche, der gereifte Mann unterworfen sein würde.

Jene sind glänzender und von einem gewissen blendenden Zauber umflossen, warum also die freundlichen Bilder, welche in meiner Erinnerung fortleben, zerstören? Warum noch einmal alle Wunden aufreißen, noch einmal nach Punkten hinpilgern, auf welchen durch die daselbst einstmals verübten Verbrechen, neben der tiefsten Trauer, auch die allerbittersten Gefühle gegen einen großen Theil der Menschheit wachgerufen würden?«

»Ich lebe versöhnt mit der ganzen Welt, und mit Recht und aus innigster Ueberzeugung wiederhole ich die Worte meines verstorbenen redlichen Vormundes: der Kummer meines Lebens ist mir so theuer geworden, wie meines Lebens Freuden, denn von Beiden wurde mein Herz gleich tief, gleich nachhaltig berührt. Und dann,« fuhr Wandel nach längerem Sinnen, wie zu sich selbst sprechend, fort, »in der eigenen Heimath bin ich ein Fremdling geworden, während hier, in der Heimath meiner Lieben, hier, wo meine ganze irdische Freude, mein ganzes irdisches Glück erblühte, Alles, was mich umgiebt, von der bescheidenen Feldblume, bis zur strotzenden Rebe, mir so heimisch, so lieblich entgegenlächelt, als ob ohne meine Anwesenheit die Blumen verwelken, die Weinstocke verdorren müßten.«

»O, der Boden, dem man mit Fleiß und Umsicht die ihm von der Natur verliehenen Schätze entwindet, man kann ihn sehr, sehr lieb gewinnen.«

»Wen aber würde ich dort drüben finden, der sich meiner noch erinnerte, mir mit einem zum Herzen dringenden ›Willkommen‹ die Hand entgegenreichte? Niemand, Niemand; denn Diejenigen, mit denen ich einst in Liebe verbunden gewesen, schlummern in ihren Gräbern, und die Andern, in deren Gesellschaft ich nur Stunden genoß, die vor Jugendmuth und Fröhlichkeit gewissermaßen, überschäumten, sind nach allen Himmelsrichtungen hin zerstreut worden.«

»Einzelne derselben haben gewiß bei ihrem steten[] schweren Ringen nach den ersten und unerläßlichen Bedingungen des Lebens ihre heitere Jugendzeit sammt ihren heiteren Jugendgenossen vergessen. Andere wieder, in hohe einflußreiche Aemter eingerückt, würden sich schämen, einstmals mit dem politischen Verbrecher auf vertrautem Fuße gestanden zu haben, und sich nicht gern von dem unscheinbaren Weinbauer an die goldenen Tage des jugendlichen Leichtsinns erinnern lassen. Ja, ja, die Zeiten haben sich geändert, und die Menschen mit ihnen; auch ich bin ja nicht derselbe geblieben, und wer weiß, ob der altehrwürdige Drachenfels mir nicht kleiner, der stolze Rheinstrom mir nicht schmaler erschiene, als sie mir jetzt in der Erinnerung vorschweben.«

»Und dennoch lebt Jemand dort, den es beglücken würde, mich wiederzusehen; ich meine den armen Anton. Der treue ehrliche Mensch ist nämlich zu einfältig, um einen Jugendfreund oder empfangene Wohlthaten zu vergessen.«

»Auch Fräulein Brüsselbach, wenn sie noch unter den Lebenden weilt, würde mich vielleicht wiedererkennen; und erzählte ich ihr sogar, daß ihre Weissagung wörtlich in Erfüllung gegangen sei, wie würde das arme Geschöpf dadurch von Stolz über ihre Sehergabe beseelt werden?«

»Und ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es in der That, daß schließlich dennoch ›die Tochter ihres Vaters,‹ die Schwester meiner armen Johanna, mir zum Altar folgte.«

»Wer hätte das geahnt? Der Zufall und die Fügungen des Geschicks sind so wunderbar ineinander verkettet, daß man geneigt sein könnte, den Vers der alten Irrsinnigen, in welchem ich einst, erfüllt von jugendlichem Uebermuth, eine Prophezeiung zu finden glaubte, wirklich für eine wohlberechnete Offenbarung des Schicksals zu halten.«

So sprechend strich Wandel mit der Hand über seine Stirne, wie um sich aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurückzuversetzen, und dann füllte er die vor uns stehenden Gläser, die so lange unberührt geblieben waren, mit dem perlenden Kataubawein.

»Hier ist meine Heimath,« begann er feierlich, hier will ich leben und, wenn meine Stunde einst schlägt, auch begraben sein. Was ich am Rhein aus vollem Herzen fang, wenn die Wanderlust sich in meiner Brust regte und die Arme jugendfrischer Commilitonen sich mit erhobenem Becher ineinander verschlangen, das wiederhole ich hier aus dankbarem Herzen:

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,

Und macht ihm zur Heimath das ferneste Land!«

Die Gläser erklangen.

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand, Und macht ihm zur Heimath das ferneste Land!« wiederholte ich, und dann leerten wir die Gläser.

Wandel war plötzlich schweigsam geworden; doch entsprang sein Schweigen nicht etwa aus einer traurigen oder wehmüthigen Stimmung, denn indem seine Blicke durch den Eingang der Laube nach dem Hause hinüberschweiften, vor welchem Frau Jeannette und ihre Tochter sich eben damit beschäftigten, dem durcheinander schwirrenden Federvieh des Tages letzte Mahlzeit zu verabreichen, bemerkte ich, daß seine[] Augen sich erweiterten und ein Ausdruck aus denselben leuchtete, wie ihn nur ein wahrhaft zufriedener und innig beglückter Mensch zur Schau tragen kann.

Ich wagte nicht, ihn in seinen Betrachtungen zu stören; dieselben betrafen offenbar seine Lieben und den Segen, der sichtbar auf seinem häuslichen Herd? ruhte. Erst als er sich mir wieder zuwendete, nahm ich die Unterhaltung von neuem auf.

»Nun ist noch Jemand da, über dessen ferneres Geschick ich gern Aufschluß erhalten hätte,« begann ich zögernd, »ich meine –«

»Sie meinen die liebe Kate mit dem lachenden Antlitz und den guten freundlichen Augen,« unterbrach Wandel mich schnell.

»Ja, die meine, ich,« entgegnete ich erfreut darüber, daß mein liebenswürdiger Gastfreund sich so bereitwillig zeigte, meinem Wunsche entgegenzukommen, »und es kann Sie nicht überraschen, daß ich nach Lesung Ihres Manuscriptes von herzlicher Theilnahme für die muthige Jägerin erfüllt bin.«

»Ah, ich entsinne mich, ich habe das brave Mädchen mit sehr warmen Worten geschildert,« versetzte Wandel gutmüthig lachend, »aber glauben Sie mir, ich habe sie lange noch nicht so enthusiastisch geschildert, wie sie es verdient. Ja, ja, die Kate, die liebe gute Kate ist noch immer das ewig heitere, lachende Kind von früher. Aus der Kate Dalefield ist aber bereits vor zwölf Jahren eine Kate Halbert geworden, und zwar eine Kate Halbert, deren glückliches Lachen in nicht weniger, als vier kleinen holden Gesichtern einen lieblichen Abglanz findet.«

»In unserm Verhältnis; zu einander hat sich indessen nichts geändert, es sei denn, daß es noch herzlicher geworden ist, und ihr Gatte und meine Jeannette dem Bunde, welchen wir einst am obern Missouri unter so seltsamen Umständen schlössen, beigetreten sind.«

»Sie betrachtet sich noch immer als meine Schwester, und ich hänge wieder mit wahrer brüderlicher Liebe an ihr. Wir sehen uns häufig, und wiederum möchte ich es mehr, als einen bloßen Zufall nennen, der uns fast zu Nachbarn gemacht hat. Ja, denken Sie nur, die Familie Halbert lebt nur wenige Meilen von hier auf einer umfangreichen und prachtvoll eingerichteten Besitzung. Schade, schade, daß sie sich augenblicklich im Norden an den Süßwasser-See'n befindet, Sie hätten sie sonst unbedingt kennen lernen müssen.«

»Daß wir so nahe bei einander wohnten, erfuhr ich erst, nachdem ich schon ein Jahr auf dieser Stelle zugebracht halte. Und ich würde es auch dann wohlkaum erfahren haben, wenn Kate und ihr Gatte nicht Nachforschungen nach mir angestellt hätten, die, am obern Missouri beginnend, endlich nach vielem Hin- und Herschreiben hier auf meinem Grundstück endigten.«

»Zwar hatte ich versprochen, nach meiner etwanigen Rückkehr nach St. Louis bei einer mir zu diesem Zweck bezeichneten Familie mich nach ihren, Aufenthaltsort zu erkundigen und ihnen ein Lebenszeichen von mir zu geben; da ich aber im Begriff stand, mich häuslich niederzulassen, so fürchtete ich die dringenden Anerbietungen, welche mir, um mir [] mein Vorhaben zu erleichtern, unfehlbar gemacht worden wären.«

»Ich handelte darin vielleicht zu engherzig, allein es widerstrebte meinem Gefühl, irgend welche Gefälligkeiten entgegen zu nehmen, welche als eine Art von Belohnung für geleistete Dienste hätten betrachtet werden können.«

»Um so größer war daher eines Tages die Freude, als Halbert und feine junge Gattin hier vorführen, und ich ihnen, nach den ersten Begrüßungen, in der Mandanenwaise meine Frau vorstellte.«

»Kate war freudig erstaunt, indessen weniger über meine Verheirathung, von der sie bereits gehört hatte, als über die Veränderung, welche in dem kurzen Zeitraum von nicht ganz zwei Jahren mit Jeannette, oder vielmehr Schanhatta, unter welchem Namen sie dieselbe erst kannte, vor sich gegangen war, und kaum vermochte sie sich zu überreden, daß die gebildete, liebliche junge Frau mit dem holden, etwas befangenen Wesen, dasselbe freundliche Indianermädchen sei, welches noch immer als die kühne Retterin ihres Gatten, als die Forelle des Missouri, in ihrer Erinnerung fortlebte.«

»Selbstverständlich wurde seit jenem Tage unser Verkehr mit der Familie Halbert ein sehr reger. Widerwärtigkeiten und Gefahren hatten uns zusammengeführt, und Glück und Zufriedenheit vereinigten uns immer fester miteinander.«

»Das Verhältniß zwischen Kate und Jeannette gestaltete sich bald in ein sehr inniges, und namentlich in Dingen, in welchen der Mann keine klare Einsicht haben kann, erwies sich der Einfluß der Ersteren auf meine Frau als ein wahrhaft segensreicher.«

»Wenn ich jetzt meine Jeannette betrachte, wie sie so anmuthig weiblich, so verständig und dabei so bescheiden und anspruchslos, nur durch ihre bräunliche Gesichtsfarbe an die arme, verlassene indianische Waise erinnert, die ich einst von dem Verderben rettete, dann weiß ich kaum, was ich mehr bewundern soll, ob nun die lachende Kate, die es verstanden hat, in so treuer, liebevoller Weise meine Jeannette zu belehren und zu unterweisen, oder diese, die mit so wunderbarem Scharfsinn Kate's Gedanken und Absichten sogleich auffaßte, und sich nach den ihr zu Theil gewordenen Lehren so gewandt zu bilden und gleichsam zu veredeln wußte.«

»Doch Sie werden in den nächsten Tagen noch Gelegenheit genug haben, sich zu überzeugen, ob ich vielleicht, von blinder Liebe geleitet, übertrieb,« fügte Wandel mit einem unbeschreiblich herzlichen Ausdruck hinzu, indem er etwas zur Seite rückte und seine eben in die Laube tretende Gattin neben sich ans die Bank zog, die kleine Johanna dagegen auf seinen Schooß hob.

»Ich habe mich längst überzeugt,« antwortete ich, mit innigem Wohlgefallen die reizende Gruppe betrachtend, welche der künstlerisch schaffenden Hand eines Murillo würdig gewesen wäre.

»Darf ich mich an der Unterhaltung betheiligen und fragen, wovon mein Mann Sie zu überzeugen wünscht?« fragte Frau Jeannette in dem reizendsten, fremdländisch betonten Deutsch, wobei sie leicht erröthete.

[] »Ich will Dir's sagen, mein Kind,« kam Wandel mir schnell zuvor, mir verstohlen mit den Augen zuwinkend; »der fremde Herr da drüben, oder vielmehr unser lieber Landsmann hegt die Ueberzeugung, daß mein altes Manuscript nebst Allem, was ich ihm noch dazu erzählte, sich vortrefflich zu einem Buche eignen würde und beabsichtigt daher, die ganze Geschichte niederzuschreiben und drucken zu lassen. Habe ich recht?« schloß er dann, indem er sich mir zuwendete.

»Ich kann nicht leugnen, daß mir dergleichen im Kopfe herumging,« antwortete ich ausweichend, »doch bin ich weit entfernt davon, schon einen bestimmten Plan entworfen zu hüben; vor allen Dingen würde ich Sie vorher um Ihre Erlaubniß –«

»O, entschuldigen Sie sich nicht,« fiel Wandel mir lachend in's Wort, »ich habe in der ersten Stunde unseres Zusammenseins ihre Absicht errathen, und ohne Grund war ich nicht so ausführlich in meinen Berichten!«

»Sie wollten es mir gestatten?« fragte ich erfreut, meinem Gastfreunde die Hand über den Tisch darbietend.

»Und warum denn nicht?« fragte Wandel zurück, in meine Hand einschlagend, »ich ertheile Ihnen nicht nur die Erlaubniß, sondern ich bin auch bereit, wenn Sie erst zur Ruhe gekommen sind und mit der Arbeit beginnen wollen, Ihnen mein Manuscript zur Verfügung zu stellen. Aber eine Bedingung! meine Jeannette ist die Hauptperson der Erzählung und muß als solche mit der gebührenden Wärme geschildert werden!«

»Ich?« fragte Frau Jeannette mit einer überaus reizenden Verwirrung.

»Ja, Du mein Kind,« versicherte Wandel heiter, indem er den Arm zärtlich um seiner Gattin Schultern legte.

»Aber wie kann ein armes Indianermädchen die Hauptperson in einem Buche sein?« fragte diese noch immer verlegen, »ja, wenn ich irgend etwas Besonderes geleistet und mich dadurch ausgezeichnet hätte; aber ich habe ja weiter nichts gethan, als meinen Mann über Alles geliebt und verehrt.«

»Und glücklich gemacht hast Du ihn auch,« fuhr Wandel wieder fort, »aber beruhige Dich nur, mein gutes Kind, unser Freund wird schon wissen, was er zu thun hat; er schreibt unsere Geschichte –«

»Und Sie liefern mir den Titel zu dem Buche,« unterbrach ich ihn, mich, an seine Gattin wendend.

Frau Jeannette sah mich eine Weile überrascht und sinnend an; plötzlich aber leuchtete es in ihrem schönen Antlitz auf. »Nennen Sie das Buch, ›Der brave deutsche Student,‹ sagte sie, mit einem fragenden Blick auf ihren Gatten.«

»O, so war es nicht gemeint,« versetzte Wandel wiederum herzlich lachend, »Du selbst, Deine Person. Dein Name soll den Titel liefern oder vielmehr bilden, und da rathe ich denn sehr dringend, zu sagen: ›Die Mandanenwaise, eine Erzählung aus den Rheinlands und dem Stromgebiet des Missouri.‹«

»Von ganzem Herzen einverstanden!« rief ich erfreut aus, »›Die Mandanenwaise‹ soll das Buch heißen und nicht andere.«

[] »Ist das Dein unumstößlicher Wille?« fragte Frau Jeannette ihren Gatten leise.

»Mein unumstößlicher Wille,« antwortete dieser, seine Frau auf die Stirn küssend; »es bleibt bei der Mandanenwaise, und nun in's Haus Kinder, denn irre ich nicht, so wartet der gedeckte Tisch auf uns.«

Frau Jeannette, nunmehr über den Titel vollständig beruhigt, nickte ihrem Gatten zustimmend zu, und gleich darauf erhoben wir uns, um ihrer wiederholten Einladung Folge zu leisten.

Wandel, die kleine Johanna an der Hand, schritt vorauf, und Frau Jeannette und ich folgten ihm auf dem Fuße nach.

»Wie lange dauert es, bis Sie mit der Ausarbeitung des Buches beginnen?« fragte meine Begleiterin mit unterdrückter Stimme.

»Leider noch sehr lange,« antwortete ich ebenso leise, obwohl ich vergeblich zu errathen suchte, was sie bezweckte, »es können sogar noch Jahre darüber hingehen.«

»Welch lange Zeit; Sie werden aber nicht vergessen, meinen Mann so zu beschreiben, wie er es verdient?«

»Gewiß nicht.«

»Beabsichtigen Sie auch unsere kleine Johanna zu erwähnen?«

»Der kleine Engel soll mit als Hauptperson behandelt werden.«

Ein Lächeln des Stolzes glitt über Frau Jeannette's wunderschönes Antlitz.

»Dann beschreiben Sie auch wohl unser Haus?« fragte sie gleich darauf wieder lauter.

[] »Ihr Haus und Ihren Garten, Ihren Wein und Ihre Blumen, vor allen Dingen aber den holden Frieden, der Ihre traute Heimath umschwebt, und das Glück und die Zufriedenheit, die unter diesem gesegneten Dache wohnen.«

Wir waren bei der Hausthür angekommen. Wandel kehrte sich nach mir um und reichte mir die Hand. Er sprach nicht, aber in seinen Augen stand geschrieben, daß er wenigstens den letzten Theil unserer Unterhaltung verstünden hatte.

Einige Minuten später saßen wir traulich um den weiß gedeckten Tisch, auf welchem einige auf Mandanenart zubereitete Fleischschnitten das Hauptgericht bildeten.

Zwei Tage blieb ich noch auf der Farm, und als ich dann endlich von dannen zog, gaben Wandel, Frau Jeannette und die kleine Johanna mir eine Strecke das Geleite.

Der Abschied wurde mir schwer; auch meine lieben Gastfreunde sahen mich, wie ich allen Grund habe zu glauben, nur ungern scheiden. –

Zwölf Jahre sind seitdem verstrichen. Wandel's Haare find zur Zeit wohl schon ganz weiß, während seine schöne Gattin zur stattlichen Matrone geworden ist, und ihre liebliche, viel versprechende Tochter ohne Zweifel den segensreich wirkenden Mittelpunkt einer neu begründeten Häuslichkeit bildet. Doch mögen die Jahre ihr Aeußeres noch so sehr verändert haben, ihre Herzen sind dieselben geblieben, ich fühle es, ich weiß es, zu viel Aufrichtigkeit, zu viel innerer Friede sprachen aus ihren Worten, aus ihren Blicken.

Ende.[]


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TextGrid Repository (2021). ELTeC. deu. Die Mandanenwaise : ELTeC ausgabe. Die Mandanenwaise : ELTeC ausgabe. Distant Reading – 2022-11-22. ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001B-8C11-2