[] Zur zweiten Auflage.
Als ich dieser Tage, um die Korrekturen zu machen, die »gute Schule« wieder las, ist es mir seltsam ergangen. Das soll ich einmal gewesen sein? So hätte ich einst empfunden, so gesprochen? Es ist noch keine acht Jahre, daß ich sie schrieb, im Winter von 1889 auf 90, auf der Reise durch Spanien und Marokko. Und damals soll ich so gewesen sein? So ganz anders als heute, mir selber nicht mehr begreiflich nach kaum acht Jahren? Wie ist das möglich? Dies frage ich mich und weiß nicht recht, soll ich mich schämen, wie ich damals war, oder leise bedauern, daß ich es nicht mehr bin.
Damals! Wie nahe ist es mir und doch so fern! Als ob es gestern gewesen wäre, sehe ich mich noch, nach prächtigeren Schönheiten lüstern, ungeduldig südlich ziehen, in Farben schwelgen und mich an Leidenschaften berauschen; aber in den Pausen dieses seligen Erlebens sitze ich irgendwo in einer Schenke, vor einer Kirche und zeichne das erste Abenteuer meiner Seele auf. Wie reich bin ich damals gewesen! Aber die Zeit geht dahin und wir werden so gescheit. Sehne ich mich zurück? Oder bin ich froh, daß es zur Erinnerung geworden ist? Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, daß es mir jetzt so fremd ist. Könnte ich denn das heute noch erleben?
Erleben, ja! Dieses Ringen um die Kunst und um ein Weib – das kann ich schon noch mitfühlen. Nur jene Sprache habe ich verlernt; ich würde es [] heute anders sagen. Dieselben Empfindungen würden mir heute andere Gestalten annehmen. Es könnte mich reizen, jenes Abenteuer noch einmal zu erzählen: auf meine jetzige Art. Dann würde es freilich nicht zweihundertvierzig Seiten geben wie damals, sondern ich denke: fünfzig würden mir jetzt genügen. Mir sagen nämlich die Worte jetzt mehr wie damals, darum habe ich Respekt vor ihnen bekommen. Damals habe ich nur ihren Klang vernommen und ihren Glanz gesehen, jetzt weiß ich erst ihren Wert. Für einen ganzen Zustand ist es mir jetzt genug zu sagen: er war »heiter«. Das eine Wort nennt mir alle Elemente, die zuletzt das Resultat geben, daß man sich heiter fühlt. Damals hätte ich gemeint, sie alle aufzählen zu müssen; das bloße Wort »heiter« hätte mir nichts gesagt, ich hätte so viele Adjektive aufgewendet, als es Elemente enthält. Durch das Leben mußte ich erst zum Gefühl der Worte kommen. Ist es nur mir so gegangen? Ich sehe auch die anderen zur einfachen Rede gelangen. Wir sind inne geworden, was die Worte bedeuten; sie haben uns ihre Geheimnisse aufgethan. Nun sagen wir: Frühling, und das ist uns mehr, als wir durch alle Adjektive sagen könnten; denn wir haben gelernt, alles zu empfinden, was das eine Wort »Frühling« an Schätzen und an Herrlichkeiten bei sich hat. Aber wir wollen nicht vergessen, daß wir es nicht gelernt hätten ohne jene sonderbare Wut der Adjektive, die wir damals hatten.
Unser Unglück war, daß wir unter Worten ohne Wert aufgewachsen waren. Wir hatten lauter Worte[] um uns, die wir noch nicht erlebt hatten. Als wir sie nun erlebten, kamen sie uns abgenützt vor und wir suchten andere, die noch neu wären. Was wir zum ersten Mal erlebten, dazu wollten wir nun auch Worte, die wir noch niemals gesagt hätten. Wir hatten immer geredet, ohne etwas zu fühlen. Nun fühlten wir zum ersten Male, da konnten wir doch nicht dieselben Worte nehmen, bei denen wir nichts gefühlt hatten. Wir hatten die Sprache vor dem Leben; nun kam das Leben, und wir mußten uns zum Leben eine andere Sprache erfinden. Bei ihr konnten wir die alte vergessen, und nachdem wir sie vergessen hatten, waren wir erst fähig geworden, sie wieder zu entdecken. Wir hatten in der Schule gelernt, tausend Dinge »schön« zu nennen, bevor wir noch empfunden hatten, daß etwas »schön« ist. Nun geschah es, daß wir das zum ersten Mal empfanden. Aber nun wollten wir es doch auch sagen. Mit welchem Wort? Mit jenem alten, abgegriffenen »Schön«, das wir tausend Mal gesagt, um gleichgültige Dinge zu nennen? Nein, das war nicht möglich. Also, weil wir kein Wort hatten, das uns teuer genug gewesen wäre, halfen wir uns anders: wir lösten die große Stimmung des »Schönen« in alle ihre kleinen Momente auf und benannten jedes mit einem Adjektiv und hofften, die Summe dieser vielen Adjektive müßte schon den Namen für unsere ganze große Empfindung geben. Aber später gewahrten wir, daß wir uns getäuscht hatten: das »Schöne« an dem »Schönen« ging verloren, wenn wir es erst, mit so vielen Adjektiven, in seine sämtlichen Elemente zerlegten. Wir hatten dann immer nur Teile und hätten doch so gern das Ganze [] gehabt. Da blieb uns nichts anderes übrig, als daß wir umkehrten und zu jenem alten Wort zurückgingen, das wir verschmäht hatten, zu jenem geringen »Schön«, das uns nicht gut genug gewesen war. Und als wir es jetzt wiedersahen, erstaunten wir: denn seit wir wußten, wie reich es ist, so daß ihm alle Adjektive nicht nachkommen, da war es uns plötzlich groß und mächtig geworden. Man denke sich einen Menschen, der oft von Liebe gesprochen hat, ohne sie zu kennen; nun liebe er wirklich, da wird ihm zuerst das verbrauchte Wort zu gemein sein, er wird tausend neue Beteuerungen ersinnen, keine wird ihm genügen, bis er endlich das alte »Ich liebe Dich« verehren lernt: denn die Worte werden immer wieder jung, wenn es nur die Lippen sind.
Nein, wir haben es nicht zu bereuen, daß wir an ders geworden sind. Aber wir sollen uns auch nicht schämen, wie wir damals waren. Es ist doch gut gewesen: denn es ist notwendig gewesen. Wir mußten erst versuchen, uns selbst eine neue Sprache zu erfinden; dann konnten wir den ewigen Sinn jener alten erst entdecken. Heute lächeln wir freilich daß wir uns damals so abgezappelt haben. Aber hätten wir es nicht, so könnten wir heute nicht lächeln. Darum wollen wir nicht stolz werden, sondern unsere Vergangenheiten in Ehren halten.
Schliersee, August 1897.
Hermann Bahr.[]
[] []I.
Langsam, ganz langsam schlenderte er. Oft stockte er gaffend. Oder er bog auch links, rechts, nach einem Schaufenster, zu einer Drehorgel, hinter einer Dirne.
Er schritt nach dem Thore des Gartens. Dann aber, statt ins Gewühl zu tauchen, wich er zurück und ging den Boulevard weiter. Und noch einmal kehrte er sich nach dem Garten.
Aber wieder vor dem Thore hielt er an, sah hinauf und hinunter, lange. Der Tag, der wich, ließ seinen blauen Mantel nur zurück, den unten am Saume silberner Nebel stickte; und die Laternen flimmerten, zwei lange Reihen, wie große Knöpfe aus Messing. Da schaute er hinein, wie sich die Nacht formte.
Und wieder auf die andere Seite hinüber nach dem großen Magazin vor dem Panthéon. Da hingen wie blutige Sonnen zwei Ketten roter Schirme aufgespannt, scharlachen, mit dottergelben Erbsen getupft, und rote Taschentücher lagen aus und unter den[] Schichten purpurner Gewänder schmachtete ein einziges sehr grünes, von einem inbrünstigen, sehnsüchtigen Grün. Der reine Rochegrosse, sagte er; es gefiel ihm.
Er musterte es sehr lange. Er näherte sich und entfernte sich, die Wirkungen zu vergleichen. Aber nein.
Er stöberte unter den Büchern gleich daneben, wühlte herum, griff eins heraus, las eine Seite, blätterte, warf's weg. Er bog um die Ecke zurück, wieder den Boulevard zu verfolgen. Hinab gegen das Wasser.
Er schritt sehr langsam, als wäre ihm leid um jeden Tritt. Ersichtlich hätte er gern erfahren, wohin er eigentlich ging. Er suchte eine Bestimmung.
An der Ecke, indem er seine kleine Holzpfeife ausklopfte und wieder stopfte, nachdem er sie umständlich gereinigt und den Zug erprobt hatte, wartete er, ob sich nicht was Vergnügliches ereignen wollte; wenigstens eine Prügelei. Wenn sie von dieser Revolution schon so viel Aufhebens machten, hätte sich's wohl gebührt, von Staats wegen dergleichen aufzuführen. Das bißchen Beleuchtung – pah! Daraus machte er sich nicht viel.
Er ermüdete und wie das Gewühl wuchs, wurde er ungeduldig. Und dann ärgerte er sich, so verdrossen zu sein und sich selber wieder die Freude zu vergällen. Und dann ärgerte er sich der dummen Laune, überhaupt das Atelier verlassen zu haben. Er wollte zurück. Aber da er nun einmal da war, war es am Ende doch eigentlich gescheiter ... so schwankte sein Wille, so schwankte sein Weg.
[] Vor dem Brunnen auf dem Platze des heiligen Michael starrte er aufs schwere, schwarze Wasser, das ächzend schwoll. Er war sehr mißmutig und in kurzen, hastigen, abgerissenen, spitzigen und schrillen Pfiffen zerhackte er seinen Verdruß unwirsch vor sich hin. Er wußte es, daß er unnütz und in Ärger seine Zeit verthat, wenn er nicht heimkehrte; aber wenn er heimkehrte, dann war ihm sicher erst recht der ganze Abend verdorben. Er kannte sich, es war ja nicht das erste Mal. Und er war sich wieder sehr zuwider.
Schon entflammte sich das Fest, dieses erste in der großen Kirmeß aller Völker, die den anderen Tag begann. Singen und Jauchzen war überall aus Stolz und Freude. Jungen, unter vielem Geschrei, manche in Masken, brannten Magnesiumfäden, deren weiße Streifen grell auflohten, in den langen Alleen gelber Lampen.
In ihm wuchs die Trauer mit dem Jubel um ihn; das Licht that ihm wehe, weil seine Seele finster blieb. Paare schmiegten sich, lachten, küßten; er sah es neidisch. Aber dann raffte er sich zur Verachtung des gemeinen Glückes auf, das nur den Dummen und Gewöhnlichen sich gewährt. Dieses weckte seinen Stolz und durch einige Beispiele aus der Kunstgeschichte, mit denen er sich verglich, beruhigte er sich. Es befriedigte ihn, daß kein Künstler jemals Zufriedenheit findet.
Aber es dauerte nicht lange. Er ging wieder zurück, wieder hinauf, einem Mädchen nach. Sie [] gefiel ihm, und da auf einmal fuhr es durch ihn, daß er eine Mätresse haben müsse.
Eine Mätresse, ja, wie die anderen, gegen die Einsamkeit. Bescheiden, billig, gar nichts Besonderes, nur daß er nicht mehr mit sich allein wäre. Nur daß sie ihm die schwarzen Schmetterlinge wegsinge, die schwarzen Schmetterlinge seiner Grillen und Launen.
Da war er immer allein und stöberte sich nur immer im Gehirne und natürlich, da staubte und moderte es dann aus allen Löchern und Winkeln. Da sann er nur immer und sann über Kunst und Leben und je länger er dachte, desto weniger wußte er am Ende und alle Pläne verwirrten sich zuletzt und in nichts mehr that er sich genug. Eine Mätresse – das Hamletische im Künstler verlangt eine Mätresse, unbedingt.
Er ließ das Mädchen aber wieder an der Ecke des Germain, weil sie zu eilig in der Freundschaft war. Nein, das liebte er nicht; er wollte werben und erobern nach bezwungenen Gefahren. Und überhaupt: eine kleine Mätresse that es nicht; eine große Leidenschaft war's, was er brauchte.
Ja, eine große Leidenschaft fehlte ihm – das war es, wie er sich auch mit allerhand Plänen darum herumreden mochte. Eine große Leidenschaft, die seiner Seele einen »Schups« gäbe und das Geheimnis aufrüttelte, das sie so krampfhaft umklammerte – seine alte, ewige Sehnsucht. Das Gewöhnliche erstickte ihn; er brauchte ein Besonderes, würdig seiner besonderen Natur, ein Ereignis, ja – nicht eine Mätresse, eine Leidenschaft fehlte ihm.
[] Die Stöße und Schauer einer Leidenschaft, wild und ungestüm, sagte er vor sich hin, zweimal mit einer großen, weiten, runden Gebärde, indem er die Pfeife hinausschwang; und er fühlte, wie ihm die bloße Vorstellung schon das Blut aufwallte und die Seele erweckte, einen Frühling von blühenden Gefühlen. Ja, dieses: durch fremde Gewalt und Erschütterung von außen die Trägheit und den Bann von der Seele zu schütteln, in welchen es schlief, das Unsägliche, drinnen, unten, tief auf dem Grunde – er fühlte es ja so laut, so stürmisch, wie es rauschte und schwoll, hämmerte und pochte, wuchs und rang. Ja, dieses: so einmal vom Glücke aus der Verzauberung befreit, den versunkenen Schatz zu heben, das blieb in Traum und Wachen seine unvergängliche Begierde.
Er war nun aber wieder, das zweite Mal, auf dem Platze von Sankt Michael, vor dem großen Brunnen, dessen lustige Sprünge plätscherten. Und immer noch wußte er sich nichts mit diesem verunglückten Abend, keine Spur. Sicherlich, diese öde Wanderung, immer nur hinauf und hinab, von der Brücke bis zum Garten, vom Garten wieder nach der Brücke, zwischen Gaffern und Schwätzern, deren Fülle schwoll – nein, sicherlich, darin konnte er nicht verharren.
An Theater war nicht zu denken; unmöglich, ohne sich eine Stunde lang anzustellen. Die Freunde – ja, das juckte heute alles mit seinen Mätressen herum, zur höheren Ehre von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Also wieder in den Divan Japonais zum hundertsten Male, um zum hundertsten Male der kleinen Rose [] Pompon zu klatschen, mit dem schiefen Maul und den verkehrt eingehängten Beinen, und zum hundertsten Male die lahmen Späße des dicken Dondinnet zu dulden, der dort Paulus war?
Heimkehren, heimkehren. Immer die nämliche Geschichte, jedes Fest, gerade weil man um jeden Preis sich vergnügen sollte, vorsätzlich, von vornherein. Für die Schneider mochte das angehen; mit diesem grimmig zerknirschten Schimpfe meinte er die anderen alle, außer den Malern.
Heimkehren, heimkehren – ja, wer es konnte! Aber dann hätte er sich nicht erst in die Schwärme der Dummköpfe geflüchtet, überhaupt nicht, von allem Anfang an. Zurück in die Folterkammer, die Marter wieder von vorn zu beginnen, noch einmal – lieber gleich ins Wasser!
Ja, langweilig hier – zum Sterben, gewiß. Immerhin! Aber dort, das war ja der Wahnsinn vor jenem entsetzlichen Fetzen, Wahnsinn und Verzweiflung ohne Erbarmen.
Nun hatte er doch einen schmalen Sessel erobert vor dem Café Soufflet, mitten im Geheul, zu einer beschaulichen, nachdenklichen Chartreuse. Da wartete er. Er wußte nicht, was er erwartete, nur daß er nicht heimkonnte, bevor es nicht gekommen – nein, niemals!
Und wie würde es dann mit dem Großen erst werden, wenn er von diesem schon solche Qual litt, von diesem elenden Quark, der doch kaum noch eine erste Annäherung war und nur erst in behutsamer Botschaft verkündigen, melden und vorbereiten sollte, [] zur Erziehung der leicht scheuen Menge, vorbereiten auf jenen gewaltigen Traum, auf »das Bild«, wie er es hieß, mit einem besonderen heißen Ton, in welchen er mit vollen Backen alle Hoffnung und allen Glauben blies? Er erschauerte.
Ach, der schöne Wahn des ersten jungen Wagemutes! Der schöne, freudige Wahn, sich in rüstigen Märschen zu nähern von Vorwerk zu Vorwerk, unaufhaltsam an die Wälle, von Sieg zu Sieg bis in das letzte Reduit der großen Kunst! Und an jedem neuen Triumph gewänne er neues Vertrauen und an dem Ruhme, dem Stolze wüchse ihm die Kraft – die neue Himmelfahrt mit Posaunen und Pauken, in Engelschören mitten in die Sternenglorie hinein! Ja freilich.
Es war eine einzige ewige Fopperei, an der Nase im Kreise herum, von Enttäuschung zu Enttäuschung. Freilich, wenn er begann, jedes mal, nach der ersten Erscheinung des Neuen im jauchzenden Gemüte – aber die Hoffnung hielt niemals, und verächtlich verwarf er das kaum Fertige immer, unwürdig und mißraten. Es waren ja manchmal »ganz schöne Sachen darin«, und neben den Werken der anderen – ja, aber nur an der eigenen Begierde durfte er's nicht messen, nicht an der eigenen Hoffnung prüfen.
Und an jedes Neue, tausendmal enttäuscht, ging er mit kühnerem Mute immer, aus heißerem Rausche, und von jedem Neuen kam ihm nur immer wildere Qual nach tieferem Sturze. Je näher ihm der Geist geriet, desto weiter entfernte sich ihm das Werk von[] jenem Ziele, und indem Kennen und Können ihm wuchsen, schwand, so schien's, alles Vermögen. Er begriff's nicht, wußte keinen Rat.
Jetzt malte er Geringes und Rasches nur noch, das im ersten Taumel geraten mochte, bevor das Fieber wieder verrauchte, damit es ihm nur den Glauben wenigstens versichere, den Glauben an die eigene Kraft, der wankte, und die Zweifel erwürge, die ihm die Seele fraßen. Jetzt malte er nicht mehr Salambo mit der Schlange, von Negerinnen im Bade bedient, mit der Sicht zwischen korinthischen Säulen hinaus auf das weißbesonnte Karthago; noch im Blute der Albigenser den wilden Simon von Montfort, dampfend, verzerrt, glasiger Augen, schnaubend vor Mordlust und lechzend nach Rache, in den aufgewühlten Eingeweiden sich zu sättigen; noch die ewigen Toreadoren in ungeheuren Arenen, Pikadoren, Banderilleronen und Espaden zugleich in phantastischen Scenen, gegen zwanzig Stiere auf einmal, in erster Wildheit und schon verblutete und wie der Degen gerade aus der Muleta blitzt. Jetzt malte er nur noch in engem Rahmen bescheidene Farbenprobleme, ganz einfache und schülerhafte: Die Sonne über der hohen Wiese, welche der Wind bauscht, oder femmes de brasserie, zwei Brüste im gelben, qualmigen Lichte und den flackernden Schatten dahinter auf der schmierigen Wand, im Dampfe der Cigaretten.
So im Kleinen und Geringen suchte er jetzt Größe und Gewalt. Es ließ sich schon machen, wenn man sich nur verstand, und »seine Idee«, diese Erlösung[] der ganzen Kunst, brauchte nicht erst verwegener spanischer Flächen. Im kleinsten van Beers konnte sie sich entfalten, freudig und stolz, und blühte hell und fruchtete reich, wenn nämlich nur der rechte Gärtner drüber kam.
Da zerbröckelte ihm mählich das Weh, wie nur so sein schweifender und wankender Gedanke endlich wieder an seinen Liebling gelangte, mit dem süß schmeichlerisch zu kosen und zu tändeln oft seine Wollust und immer sein Trost war, in guten und in bösen Stunden, und indem er sich noch eine zweite Chartreuse vergönnte, deren suggestiver Gunst er gerne vertraute, tauchte er unter in Traum, badete sich in Wunsch und, das farbige Gewühl von seidenen Hüten, sammtenen Baretten und bunten Kapotten versunken, sah er im weißen Rauche nichts mehr, als nur noch in das rosige Gold seiner bräutlichen Hoffnung.
Was lag denn daran, wenn es auch zehnmal, zwanzig-, hundertmal seiner Werbung entwischte? Nur zu – endlich bezwang er das Spröde doch. Solcher Drang in der Seele war kein Betrug, und nimmermehr log so freudige Zuversicht des Gefühls.
Und es war ja so simpel, so lächerlich simpel, wie immer das Große, und wer es nur einmal hörte, der wunderte sich, daß man es erst zu sagen brauchte, und es klang ihm lange vertraut. So simpel, so einfältig einfach und darum gerade so unwiderstehlich. Wenn er es ihnen darlegte, den Bummlern von Montmartre, oben in der Citadelle der Kultur, beim schwarzen Kater, hinten in der letzten Stube, wo sich der hohe[] Rat der Moderne versammelt – ja, da gafften sie wohl verdutzt und manchem Schwätzer verschlug's die Rede vor diesem unerbittlichen und überwältigenden Einmaleins, aber Einspruch oder Entgegnung, nein, hatte noch keiner erwidert, wie viele auch kampflustiger Helden waren.
Nein, es gab nicht Widerspruch, auf keine Weise, noch Widerstand wider seine Wahrheit. Eins, zwei, unterjochte sie jeden. Eins, Naturalismus – das pfiffen schon die Spatzen als das große Gebot; aber, zwei, kam denn nicht, wie der Geschmack auch wechselte und neue Forderungen formte, kam denn Malerei nicht immer noch vom Malen, Farbe ewig vor allem anderen?
Also, das war sein kolumbisches Ei. Farbe, schrieen sie hier und mißhandelten die Begierde der Wahrheit; Wahrheit, schrieen sie dort und mißhandelten die Begierde der Farbe. Farbe und Wahrheit, beides, antwortete er beiden.
Nämlich er nannte es »dekorative Musik aus naturalistischen Tönen«. Daß das Ganze sänge, farbige Hymnen und brausende Symphonien in die Augen gösse, das forderte er mit den Koloristen. Aber ein doppeltes Leben lebten diese Klänge, lebendig auch außer dem Rhythmus, weil jeder einzelne aus der wirklichen Welt geholt und im Natürlichen vollzogen sein sollte.
In der Rede natürlich verwirrte sich das; im Pinsel war erst sein Beweis. Sagen ließ es sich schwer: er mußte es ihnen zeigen. Alle Fingerspitzen prickelten ihm ja davon.
[] So dieses, seine Qual jetzt. Wenn das große Unglück nicht gekommen war – aber endlich, der Theorie that das nichts, sie blieb daran begreiflich. Es war der Lyrismus des Roten. Seine ganze Seele gab darin das Rot, alle seine Gefühle, seine Absichten, seine Wünsche, in klagenden und hoffenden Sonetten; und überhaupt eine völlige Biographie des Roten, was in ihm geschah und nur überhaupt mit ihm geschehen konnte – ja, oder eine Psychologie des Roten, so mochte man's heißen. Es war ein kräftiges, männliches und thätiges Rot, das seinen Stolz mit Maß und Würde feierlich entfaltete; aber er führte es zurück bis in das schmachtende Geheimnis der ersten Sehnsucht, und er steigerte es bis zur Brunst und zum Haß – durch alle Schicksale und alle Leidenschaften trieb er es, hastig und unstät.
Aber im wirklichen, in den schlichten Tönen des täglichen Lebens vollzog sich dies hohe Lied des Roten, statt in den Hyperbeln der Coloristen. Es war ein großer, wohlgesottener Hummer, in welchem er die Herrschsucht und Gewaltthat des Roten verleibte, sein Schmachten an einem Lachs daneben und das Schelmische und den Frohsinn an vielen Radieschen in heiteren Wechseln. Aber die große, letzte Beichte seiner ganzen Seele hing in einem schwerbauschigen, purpurnen Teppich vom Tische, den Sonne streifte, schmal, aber von desto feurigerer Glut.
Ach, wenn er sich erinnerte, wenn er sich der brausenden Herrlichkeit erinnerte, iu der es ihm zuerst erschienen, ein glorreiches Erlösungswunder ohnegleichen.
[] Immer die nämliche Komödie allemal: erst Gnade und Rausch in Fülle, kaum faßlich und über die Kraft, und dann die Zweifel und die Reue und die Angst, und endlich die grimmen Schrecken der Verzweiflung, aufwühlerisch bis in die Eingeweide und blutdürstig ohne Erbarmen. Immer die ewig gleiche Komödie ohne Wechsel. Und immer noch ließ er sich wieder äffen, hundertmal betrogen, hundertmal enttäuscht, hundertmal verhöhnt. Immer bethörte ihn wieder der Wahn, daß es diesesmal endlich wirklich gekommen, das Selige, über den Gläubigen, seine Treue zu lohnen, und daß es diesesmal die Wahrheit sei. Und immer wieder verrauschte das holde Fieber wie ein rascher Traum und war niemals zu halten.
Und nun war noch das große Unglück geschehen, ganz nahe schon am Heil, dieses furchtbare Unglück!
Nein, er konnte nicht heim, so konnte er nicht heim, bevor er keinen Trost gefunden. Lieber irren und schweifen die ganze Nacht, über die Brücken, durch die Straßen, wie ein landflüchtiger Bettler, lieber durch Not, Hunger und Schande, alles, alles – nur nicht heim! Nur nicht zurück in die wahnsinnige Folter! Und er klammerte sich an den kleinen, runden Marmor mit beiden Fäusten, wie zur Wehre gegen einen tödlichen Feind und blickte wild. Und er entschied sich für eine dritte Chartreuse.
Sicher, diesesmal wär' es geglückt: so handgreiflich und lebendig bis in die zarteste Ader hatte er ja noch keines geschaut, kein anderes jemals mit so deutlicher Gewißheit. Es war ja da, fertig und [] reif, und nur zu heben brauchte er es aus der Tiefe und mit gehorsamem Stifte nur die Züge nachzufahreen, die festen, unabänderlichen Züge in seiner Seele. Aber da war das große Unglück gekommen, das schurkisch verlarvte Unglück.
Heimtückisch war es herangekrochen über den Arglosen. Salon, jour du vernissage – er hatte ein Bild dort, einen finsteren Kohlenschipper, lebensgroß, derb, trotzig, mit den Runzeln der Not und den Muskeln des Hasses, wie er gerade ein Butterbrot frühstückte, niedergekauert auf seinem Karren; gleich links im zweiten Saale neben der hellen Ziege der Elisabeth Gardener. Er hielt selbst nichts davon und spottete: Sudelei, für die Mäcene und Philister – was er den »dummen Bourgeois« hieß; weil man doch endlich leben will. Überhaupt nur vieux jeu in der ganzen Bude, für die Schafsköpfe und Millionäre. Und so flüchteten sie sich nach raschem Hohn, und wie nur jeder sein Bild aufgesucht und betrachtet hatte, zu Ledoyer hinüber, frühstücken, an einem sehr langen, gegen mutigen Durst wohlgerüsteten Tische, mit entsetzlichem Lärm, damit die akademischen Zöpfe daneben es merkten, daß da die Zukunft war.
Und da, ja da, in diesem fröhlichen, hellen, lustigen Bretterverschlag, da traf ihn der Fluch hinterücks, aus einem vortrefflichen, saftigen und sanften Lachs, dem man keine Tücke ansehen konnte, wie er so mit rosigem Schimmer in der üppigen Kräutersauce sich wiegte. Aber diese Sauce gerade, diese grüne Kräutersauce, der Stolz des Koches – ja, die war es gewesen. Die hatte ihn geschlagen.
[] Ähnliches hatte er nie gesehen, niemals zuvor, so lange er sich erinnerte, ein milderes und süßeres Grün, so schmachtend und so freudig zugleich, daß man gleich singen und jauchzen mochte. Das ganze Rokoko war darin, nur noch in einer viel gütigeren, sehnsüchtigeren Note. Es mußte auf sein Bild.
Es mußte auf sein Bild, gleich, heute noch, noch in dieser nämlichen Stunde – er zitterte atemlos in kaltem Schweiß, daß ihm nicht einer zuvor käme. Kein Freund begriff seine Hast, sein Fieber, seinen Taumel. Die Rede verschlug's ihm, er stotterte nur und schnaubte – die ganze Welt hätte er umarmen mögen, ohne diese jagende Angst, daß sie es merken könnten, die blinden Thoren. Und so im hellen Wahnsinn stürzte er fort. Und so, jauchzend, fuchtelnd, weinend, stürmte er heim.
Der junge Frühling wetterte gerade im ersten Donner und die Wolken brachen sich in wilde Wogen; einsam waren alle Straßen und kein Wagen fand sich. Er achtete es nicht und rannte. Regen schlug ihn und es peitschte ihn der Sturm mit nassen Hieben. Er rannte nur und rannte. Bis an die Knie watete er im Schlamm und den Hut raubte ihm ein heulender Stoß. Er achtete es nicht und rannte und rannte. Manchmal, indem er einen Augenblick Atem schöpfte, schrie er laut auf, grell und schrill, weil die unbändige Lust nicht mehr zu halten war. Und er klatschte und tanzte und drehte sich im Kreise wie ein besessener Derwisch. Und dann wieder, eilig und blind, rannte er und rannte.
[] Ach, wenn er sich erinnerte! Er sah nichts als dieses Grün, nur dieses neue Grün, und er hörte es, in jauchzenden Weisen, und er fühlte sein lindes, sammtenes, schmeichlerisches Fleisch. Und von diesem Grün, wie von einem göttlichen Wunder, strahlte in üppigem Segen die neue Kunst und wandelte über die Erde in begeisterten Propheten und warb Priester dieser neuen, schöneren Religion und alle die seligen Völker wallten zu dem gebenedeiten Stifter mit Weihrauch und Gebet, und Messen dampften ihm überall auf der Erde, Messen von ewigem Ruhm und Preis, und unsäglicher Jubel und dankbare Wonne und unerschöpfliche Bewunderung umringten ihn – und er rannte und rannte durch das krumme Gewinkel des lateinischen Viertels, immer hastiger und wilder, daß er es nur nicht versäume, in stürmischen Sprüngen, bis er atemlos, röchelnd, ohne Sinne zusammenbrach, für tot, auf dem Boulevard Arago, vor seiner Werkstatt.
Ah, wenn er sich erinnerte, dieser Seligkeit ohnegleichen, dieser jauchzenden, taumelnden Wollust ohne Beispiel! Noch siedete ihm das Blut und alle Nerven wirbelten sich zum Tanz, wenn er bloß daran dachte. Er hätte gleich wieder laufen mögen wie damals; es ließ ihn nicht sitzen. Er wanderte wieder den nämlichen Weg wie zuvor. Er wußte nicht wohin, wozu, fragte nicht, träumte nur, träumte von jenem Glücke.
Drei Tage hatte das Glück gehalten, drei rasche Tage, und alle Jahre seines anderen Lebens hätte er dafür geben wollen, alle Jahre, sogleich. Drei Tage [] im Fieber, vom ersten Morgen, wenn's kaum graute, bis in den letzten Abend, wann ihm endlich die Nacht die Bürste aus der Hand schlug, ohne Rast, keinen Augenblick, nicht einmal für Trank oder Speise, nur an der Staffel, bis es verwandelt war, das alte Bild, nach dem neuen Gedanken, und seiner Hoffnung glich, Thron und Altar jenem Grün. Welche Tage!
Am ersten hatte er das Grün unterjocht, und da er sank, gehorchte es in friedlichem Glanze seinem Dienste. Ah, unvergeßlich, unvergeßlich, ewig! Er konnte nicht scheiden, nicht ruhen, sich nicht sättigen. Alle Lichter zündete er an, was er an Stümpfen nur auftreiben und ausleihen konnte, umkreiste mit ihnen feierlich das Bild, daß es unter vollen Strahlen war, und rückte das Feldbett gegenüber, es unermüdlich mit zärtlicher Andacht zu betrachten. Und er sann und sann, indem er schaute und schaute, die ganze Nacht. Und es wälzten sich seine Gedanken und seine Hoffnungen rollten immer verwegener und kühner. Und es war eine große Freude und viel Vertrauen in ihm, daß er gleich sich hätte aufschwingen und fortfliegen mögen über die Wolken zur Sonne. Und er fühlte eine seltsame Kraft, der nicht zu widerstehen war, und alles Leibliche schien von ihm gestreift und er wunderte sich nur, daß die Engel noch nicht kamen, mit rosigen Schwingen und ganz feinen, hellgrünen Tupfen am Ansatze, um mit Hosiannah und Kuß seine Himmelfahrt zu grüßen.
Er entkleidete sich nicht; er wich nicht; er schaute nur und schaute. Es war ihm namenlos gut und [] als ob er keiner Nahrung und nichts mehr bedürfe, wenn er nur so schauen könnte, ewig, ohne Ende. Es zitterten ihm die Finger, und er erschrak, seine Augen im Spiegel zu sehen, so unheimlich glänzten sie, groß und tief, von einem schwarzen Feuer.
Als die Nacht schon sich wendete, hatte er einen eiligen Traum. Es schritt eine helle Fee und warf Sterne auf sein Bild. Da erblühten Rosen in dem Grün und bläuliche Lichte vermischten sich, eine himmlische Wonne, und ein Schauer ging über die Wand, daß alle Farben sich verwandelten, noch tiefer leuchteten und noch heller fangen. Und er stürmte auf nach dem Pinsel, diesen Wechsel des Grüns zu erhaschen, und den anderen Abend, nach zwölfstündiger Lust, da, er begriff's noch kaum und wollte es kaum glauben, da wirklich, ja, war's fertig.
Es war fertig. Ah, höhnische Spiegelfechterei der Hölle!
Es war fertig. Wie er damals fortgegangen war, den Boulevard entlang durch den lachenden und jubelnden Frühling, wie ein König stolz, der zu Triumph zieht, selig wie ein Pilger, der von der heiligen Gnade mitbringt – und niemals waren die jungen Blüten so helle gewesen und niemals alle Mädchen so lieblich und küssig und zu den müden Arbeitern, die von der Fabrik kamen, hätte er reden mögen, trostreich, daß jetzt alle Not ein Ende hätte und die Hütten feiern sollten, und von den höchsten Türmen hätte er es verkündigen mögen, daß es fertig war, fertig, fertig, so unfaßlich es war, wirklich fertig!
[] Er stellte es sich ganz deutlich vor, ganz langsam, wie es gekommen war, in allen Teilen, eines nach dem anderen, damit er jedes einzelne für sich genieße und sich ganz mit seinem köstlichen Geschmacke erfülle. Er mußte lachen, wie er an Ledoyer dachte und die Sauce – übrigens, wenn die Gravitation vom Falle eines Apfels, dann mochte es sich die neue Kunst schon gefallen lassen, vom Glanze einer Sauce zu beginnen. Und dann: sein Grün, wie er es mit dem Hummer und den Radieschen befreundet hatte, unermüdlich mischend bald mit Schatten, bald mit Licht, bis es sich vertrug, und wie er es dann aus jener nächtlichen Erscheinung verwandelt hatte, sein Grün war zudem jetzt ja völlig ein anderes.
Und da, plötzlich aus dem Hinterhalte über den Arglosen her, daß es ihm den Atem verschlug, mitten im Glück, hatte ihn dieser furchtbare Schreck überfallen, diese namenlose Angst: ob es denn überhaupt war, sein Grün, irgendwo in der Wirklichkeit, außer seiner Einbildung!
Denn offenbar – ja, dieses war nicht zu leugnen: wenn es in seiner Erfindung bloß lebte, wenn es kein Gleichnis hatte in der Wirklichkeit, auf das es sich berufen konnte, wenn es erlogen und erheuchelt war, aus üppiger Laune, ja, dann – dann, es war ja nicht auszudenken!
Es war ja nicht auszudenken, daß es dann wieder nur höhnischer Betrug gewesen, wieder nur äffender Wahn der Eitelkeit, und daß er wieder die Leinwand zerreißen und den verräterischen Pinsel zerfetzen konnte, [] um wieder von vorne anzufangen, wieder von Plan zu Plan hilflos zu irren und wieder ohne Rat und Rettung zu verzweifeln.
Und seitdem jagte er unstät wie ein Geächteter nach seinem Grün, immer nur nach seinem Grün, ob er es nirgends fände in der Wirklichkeit. Seitdem wanderte er durch alle Straßen, kroch in alle Winkel, lungerte in den Hallen, klomm auf alle Türme und schweifte durch die Dörfer. Und er wußte es nicht zu denken, wie er es denn machen sollte, dieses Leben zu ertragen fürderhin, auch nur noch acht Tage.
Wohl redete er es sich vor, dem Zufall zu vertrauen, in Geduld zu harren und in Arbeit zu vergessen. Wohl verhing er das Bild und rüstete eine neue Wand. Aber er hatte die Kraft nicht mehr, sich aufzuraffen und das Leid zu verwinden. Er war ganz erschöpft und seine Seele hatte weggegeben, was sie an Mut, Wille und Entschlossenheit besaß. Wenn es nicht von außen kam, aus Zufall, ohne Zuthun, ein Geschenk – aber es hätte wohl bald sein müssen, wenn's nicht zu spät werden sollte.
Manchmal meinte er, wenn der Tote erst aus dem Hause wäre, wenn er's vernichtete, in Stücke schnitte, verbrännte –! Er wagte nicht, nach der Mauer zu sehen, wo's lehnte, und es verschnürte ihm die Kehle, so oft er vorüber kam – aber doch wieder, wenn's nimmer dort hinge, dann war ja überhaupt alles aus, hoffnungslos. Und immer wieder, alle Tage, verschob er den Mord, ob nicht vielleicht doch in der höchsten Not noch irgendwie Hilfe erschiene.
[] Eine Hilfe, eine fremde Gnade, ein Ereignis. Er wußte nicht, was es sein konnte, aber er hoffte mit inbrünstiger Zuversicht, weil er ja anders nicht leben konnte. Freilich, es mußte wohl ganz was Besonderes und Seltsames sein, gar nicht vorzustellen, daß es zugleich mit Leidenschaft ihm das Geheimnis aus der Seele aufrüttle und dennoch auch wieder friedliche Gelassenheit und heitere Ruhe gewähre, zur Ordnung des Wirbels und Hut gegen raschen Betrug: wahrscheinlich, eben, wahrscheinlich konnte es doch nur ein Mädel sein, das kräftige und thätige Wunder.
So wanderten seine Gedanken, während er wieder durch die wachsenden Flammen schritt, wieder nach dem Flusse, und maßen Vergangenheit und Zukunft an Wünschen und Hoffnungen. Sie schweiften weit zurück bis in den bescheidenen Frieden seiner ersten Jugend, so fruchtbar an Träumen, an holden und kühnen, da unten weit in seiner kleinen, stillen, niederösterreichischen Heimat. Sie schwelgten in jenen seligen ersten Erfolgen, als sein Name das erste Mal im Wochenblatt stand und er das erste Mal berühmt war. Nur wenn sie sich vorwärts wagten ins Künftige mit büßendem Vorwitz, da scheuten sie gleich, bäumten sich schreckhaft und erbebten, weil da nur Elend und Not überall war, grausamer jeden Tag und immer gefräßiger und – er wußte sich keinen Widerstand mehr, keine Rettung, keine Hilfe.
Er schüttelte sich mit rascherem Schritte, um die Gedanken wie lästige Fliegen zu verscheuchen. Ja, vom Denken kam's, das klagte er an, vom Denken [] nur kam der ewige Fluch, weil er grübelte und sich quälte, statt drein zu leben und drein zu schaffen auf gut Glück wie die anderen. Und wenn er von allen Hoffnungen keine bewährte und von allen Versprechungen keine erfüllte mit allem großen und kühnen Talente, das kein Neid und keine Bosheit ihm leugnete – es war nur die Schuld der Gedanken. Die lähmten und entkräfteten mit Zaudern und Zögern, und indem sie alle Wege links und rechts durchforschten und durchwühlten mit Fragen und Zweifeln, nach allen Richtungen, nimmermehr zufrieden, blieb er unbeweglich nur am nämlichen Flecke ewig und kam nicht vorwärts mit aller Hast, nicht einen Schritt. Sie waren der alte Erbfeind seiner That und nimmermehr konnte er Redliches schaffen, wenn sie nicht gebändigt waren zuvor, erwürgt und erdrosselt, daß sie ihn dem Augenblick überließen, frisch und mutig, rüstig geradeaus ins Dickicht, durchs Gestrüpp über Stock und Stein, wie's gerade kam, nur vorwärts, unentwegt, wenn's auch vielleicht ein Umweg war – irgendwie fand man sich doch am Ende in der Nähe des Zieles.
Er ermahnte sich durch manches Beispiel schon berühmter Freunde, deren Werke er selber nicht tadeln konnte, obwohl sie der Menge gefielen: wie sie die Arbeit herunterrissen, schlecht und recht, wie's sich gerade fügte, handwerksmäßig, alle Tage ein gemessenes Pensum, Stück für Stück, Gelungenes und Mißratenes durcheinander, ohne Schrullen, ob sie es nicht vielleicht noch besser vermöchten, ohne die blutige Nostalgie der Vollkommenheit, und wenn's heute[] nicht gelang, gelang's morgen, und wenn's niemals völlig gelang, es verlor sich nicht, es kamen schon andere später, und wenn die Sehnsucht der Jugendträume nicht Frieden fand, wenigstens am Ende, wenn sie zurücksahen auf das verlaufene Jahr, wenigstens war was vollbracht am Ende und es blieb eine Spur, daß sie gelebt und gewollt. Er beneidete solchen sorglosen Leichtsinn, der sich beschied mit der Gabe des Tages, genügsam, dankbar, hoffend, statt im Titanischen zu verschmachten, dem selbst das Kleine zuletzt versagte, ohne daß es das Große bezwang, trotz aller stürmenden, mörderischen Begierde. Es gelang ihnen alles, und ihm gelang nichts, weil sie nichts dachten, und er dachte an alles.
Nichts denken, nichts denken, nur rüstig geschaffen, wie es die launische Stunde gewährt, jetzt verschwenderisch und jetzt spröde. Aber freilich, geraten war billig, und diese Franzosen, ja freilich, hatten leicht singen und tanzen: sie hatten ein Volk und eine Geschichte. Da fand jeder ein reiches und stolzes Werk, die langsame. That aller Ahnen, und die Vorschrift war deutlich für seine Arbeit und Genossen waren mit, rüstig, werkfroh, hilfreich; da mochte das Kleine genügen, weil es am Großen geschah, und das Unfertige der Gesellen vollendete schon einmal ein Meister; da bedeutete auch der einzelne, so schwach und gering sein Vermögen, weil er in der kräftigen Gemeinschaft war. Aber die Deutschen! Tot seit zwei Geschlechtern, tot im Geiste und in der Kunst, zum Scheine nur mit den Körpern lebendig in der Gebärde des Fressens [] und Saufens – und das mußte wohl die That eines Riesen sein, der die Versäumnis fast eines Jahrhunderts einholte und den Starrkrampf brach mit wuchtigem Streiche!
So verzweifelte er in seiner einsamen Folterkammer daheim und verzweifelte, wenn er sich flüchtete, im Gewühle der Straße und unter den Fröhlichen, wenn er zu Freunden ging, verzweifelte er erst recht und Grimm und Haß und Neid und Schmerz und Sehnsucht, wild durcheinander, fraßen an ihm und es half nichts, als daß er es eben einmal versuchte und irgend ein Weib nahm, nur sich zu beschäftigen und zu betäuben, damit er das Denken vertriebe. Das alles mit der großen Leidenschaft, das war ja dumm. Ein lustiges, frisches und vergnügliches Weibchen – wenn sie nur lachte und lärmte.
Ein Weib gegen die einsame Qual, wie man Cigaretten nimmt gegen Zahnschmerz oder Opium, wenn der Schlaf zaudert; irgend ein beliebiges Weib, welche Sorte ihm just der Zufall zuwarf – es konnte ihm ja nicht fehlen im Quartier, es gab ihrer wahrhaftig gerade genug. Und indem er sich die Manschetten hervorschwippte und den Stock in die Rocktasche schob, daß der schwere silberne Knopf gerade an die Krempe des Seidenhutes zu lehnen kam, rüstete er sich zur Schürzenjagd und versandte werbende Blicke. Schürzenjagd, Mädchenfang, nur immer rein ins Vergnügen, nach dem Beispiel der Bummler und Gaffer da ringsum, nur freilich sub specie aeterni, nicht für das eigene Gelüst, sondern im Dienste der Kunst, daß sein [] Abenteuer eine Wiedergeburt des Geistes begänne und die Erneuerung der Menschheit.
Er musterte, die vorübergingen. Manche konnte gefallen. Einer mit lechzenden Augen – er war für das Heiße, Spanische, gleich mit dem Dolch, und Rasse, Rasse mußte sie haben – folgte er. Er hätte sie wohl anreden mögen. Aber wie er sich auch entschloß, er wußte es nicht einzurichten, und da lächelte sie seiner Verlegenheit und da ließ er sie wieder, weil es ihn verdroß.
Nein, schüchtern war er nicht; aber das mochte er wohl gestehen, daß er eitel war, sehr eitel, heillos, wie nun einmal die Künstler alle, und um keinen Preis hätte er was Gemeines und Tägliches gesagt, wie die anderen begannen, mit der nächsten Albernheit, sondern aufs erste Wort gleich, daß kein Zweifel möglich, müsse sie es gewahren, aber sofort, daß er ein besonderer wäre, einer für sich, anders wie die anderen. Und indem er so nach einer gefälligen und reizenden Einleitung grübelte, munter und wunderlich zugleich, deren sich kein Lustspiel zu schämen brauchte, indem verpaßte er jedesmal die Gelegenheit und verspätete sich. Und es wuchs sein Ärger, daß es in diesem Geringen selbst ihm nimmermehr glücken wollte – Thorheit, daß er erst suchte; es fehlte ihm doch einmal das Talent zum Glücke.
Und dann überhaupt: suchen durfte man nicht, man mußte es finden. Wenn er nur fleißig wanderte, bummlerisch, schlenderisch, geduldig, faul und zuversichtlich, gewiß, dann kam es schon von selber. Und er wanderte wieder.
[] Aber es ward ihm endlich zu dumm. Es sausten ihm die Ohren und die Knie wankten ihm. Nein, das Gewühle, vor Heulen und Drängen, war nicht länger erträglich. Er wollte noch einmal hinunter, den Louvre noch einmal zu sehen und noch einmal seinen geliebten Strom, und dann drüben bei Dreher neben dem Chatelet im Wiener Bier sich mit den nötigen Schoppen gründlich begießen, bis er schwer und voll und dumpfig genug wäre, daß er schläfrig sich heimwagen könnte.
Auf der Brücke verweilte er. Er konnte sich nicht sättigen an diesem Bilde, wie in rotem Feuerrahmen die finsteren Türme unserer lieben Frau gespenstisch grauten, hinter einem schwanken, aus silbernen Nebelstreifen gewobenen Schleier, ein köstliches Märchenwunder, schaurig und traulich zugleich. Und grüner, gelber, roter Blitz, in eiligem Wechsel, schoß über das schwarze Wasser, das feindlich stöhnte.
Da gewahrte er ein kleines Mädchen, ganz klein, das völlig allein war und stille für sich in dem lauten Schwarm. Offenbar, sie hatte nichts zu thun, sondern schlenderte wie er. Sie trippelte ganz gemächlich, hatte neugierig den Kopf in die Höhe nach allem Schauwürdigen, und lange guckte sie an der Brüstung nach dem rauschenden Strome. Offenbar aber suchte sie auch keine Gesellschaft und war nicht gesonnen, sich eine gefallen zu lassen, sondern wenn sich wer an sie drängte, schaute sie ihn, ohne eine Wort zu erwidern, nur aus großen grauen Augen verwundert an und kehrte ihm den Rücken. Wann aber einem das noch [] nicht genug war, wie diesem geckischen Gymnasiasten, der seine betreßte Uniform unwiderstehlich glaubte, beschleunigte sie ihren kleinen Schritt ein wenig, indem sie mit hochmütig aufgezogenen Lidern das Köpfchen rückwärts zur Seite neigte, und fing, indem sie ungeduldig mit den Fingern schnappte, daß es schnalzte, leise vor sich zu singen an, daß ihm wohl die Lust vergehen mußte, in so verlorener Werbung zu verharren.
Er lachte hell auf, daß es den gravitätischen Gymnasiasten mit den schweren weißen Handschuhen, deren steife Fühler sich stachelig weit über die Fingerspitzen hinaus borsteten, gewaltig verdroß, wie er traurig und nachdenklich, ohne sich's erklären zu können, davonstorchte. Es war so drollig, und keines lieblicheren wußte er sich, es war lange her, zu erinnern, als dieses so ganz kleinwinzigen und so unnahbar hoheitsvollen Fräuleins, das sich kaum herabließ, nur überhaupt diese gemeine Erde zu berühren, wenn sie wie ein spöttisches Hochmutsteufelchen dahin schritt, sondern es war vielmehr, als schwebe und gleite sie bloß durch die Luft und werde von einem verliebten Zauber behutsam und zärtlich getragen, den man nur nicht sehen konnte. Ganz gewiß, das war sein Abenteuer – sonnenklar.
Bequeme Musterung von seinem Posten. Sie konnte nichts merken, weil sie nur auf's Wasser sah, wie die grellen Fackeln schossen, und dann wieder in die blauen Wolken, wohin manche prasselnde Rakete schweifte. Aber neben sich auf die Menschen sah sie mit keinem flüchtigen Blicke.
[] Er prüfte scharf – oh, er war ein Kenner! Nein, Genreuse durchaus nicht, wenigstens von der hohen mondänen Marke nicht, Corylopsis, sondern höchstens von der pudelmäßigen montmartresken allenfalls, Henri Boutet. Mit allen Seufzern konnte er das nicht leugnen: auf Chic nämlich war er versessen und hielt viel auf die richtige »Emballage« der Schönheit, weil sie zum mindesten doch »dekorativ wirken« sollen, die Weiber. Aber es hat diese Sorte dafür den Vorzug, daß sie wenigstens rasch ausgezogen und angezogen ist, ohne lange Geschichten.
Ganz klein war sie, zerbrechlich anzuschauen, und ihr schmächtiger Leib war biegsam wie Schilf, aus welchem das zause Lockenzöpfchen unter der hellgrünen Kapotte wie eine gelbe Wasserlilie guckte. Und Gesicht – ja, Gesicht, stellte er fest, hatte sie überhaupt keins: was man so ein rechtschaffenes Gesicht nennen könnte, deutliche Züge, die man merkte und an welchen man sie von den anderen unterschiede; sondern es war nur eine leere Bühne, auf der noch nichts aufgestellt und noch nicht gespielt worden war, als hätte unter dem schwarzen Schleier, der mit großen Sternen getupft war, ein feiner Pinsel rosenrot hingewischt, ganz eilig, und nur das aufgeschürzte Näschen flatterte heraus wie ein widerspenstiges, in zwei zitternde Fäden ausgefranztes Bändchen. Wenn man sie wiedererkennen wollte, mußte es wohl an den großen grauen Augen geschehen, die aber eigentlich gar nicht grau, sondern vielmehr grün, aber von einem hinter einem silbernen Gewebe verschleierten [] Grün und in einen schmalen, leuchtenden Reif wie in einen Heiligenschein gefaßt waren – ein schönes, technisches Problem, das herauszukriegen!
Nein, es war doch nicht sein Abenteuer. Freilich, zuletzt war's Wurst, weil sie ja nur zur Beruhigung der Nerven und ein Instrument für seine Arbeit sein sollte. Aber gar zu weit durfte sie sich doch nicht von der idealen Frau entfernen, von der gewissen idealen Frau – und überhaupt die Blondinen mochte er nicht leiden.
In seinen Hoffnungen spielte sie eine sehr große Rolle, diese ideale Frau. Freilich, er lief nicht mehr wie der fünfzehnjährige Knabe weinend über die Wiesen, ganze Tage bis tief in die Mondnächte des Frühlings, in atemloser Hast, unstät nur vorwärts, nur vorwärts, durch den tiefen Wald in die einsamste Schlucht, von stacheliger Begierde gepeitscht, ob ihm die gute Fee nicht begegnete, die jeden Schlaf in seine Träume kam, mit heißen, schwarzen Augen und sehr bleich, so todesbleich. Aber immer noch, jedesmal, wenn er an das Glück dachte, ob es sich ihm wohl jemals beschiede, sah er sie immer vor sich, sehr groß, sehr königlich und den herrschaftlichen Stolz von einer sanften Trauer gemildert, wie von einer langen Sehnsucht nach ihm, in der sie freudlos gewandert war; für die »schweren Weiber, Pinzgauer Schlag«, wie sein Freund Marius das hieß, als wären sie eben erst vom Sockel heruntergestiegen, kaum zum Leben erweckter Marmor – ja, für solche statuäre Schönheit hohen Stiles hatte er immer eine besondere Schwäche gehabt.
[] Er hatte sie so oft geschaut, so greifbar deutlich, die ideale Frau, daß er sie auf den ersten Blick erkennen mußte, wann er sie endlich fand. Im Detail allerdings hatte sich manches verwandelt: oft war sie eine adelige Fürstin gewesen, die durch seine Wahl ein jauchzendes Volk begnadete, und sehr oft eine wilde Kunstreiterin, wegen der brennenden Reise, oder auch eine sehr lasterhafte, gesunkene Courtisane, welche er durch Liebe zur Tugend bändigte und magdalente. Aber anders immer als die anderen und über das gewöhnliche Maß, seltsam und unfaßlich, daß der Pöbel ehrfürchtig wich und in scheuer Andacht sich neigte, wenn sie sich in breiten Straßen der Bewunderung zeigten – das war er schon seiner Künstlerschaft schuldig.
Was ihn reizen konnte allenfalls an dieser Kleinen, das war nur ihre Gangart: dergleichen hatte er nimmermehr geschaut und in jedem Schritte schwelgte er wie in einer sehr sehnsüchtigen, schmachtenden Musik klagender Geigen, in den süßesten und feinsten Strichen. Die schneidige und rauhkantige Bewegung, welche den weiblichen Leib, wenn er ausschreitet, entstellt, vermied sie, und nur an dem Erfolge bloß wurde man es gewahr, daß sie wirklich ging; aber es schien vielmehr der Boden unter ihr zu gehen, damit er ihr die Mühe erspare, und sie ließ es sich nur ruhig gefallen. Er wußte sich das Rätsel nicht zu erklären, wie sie diesen Schein vollbrachte, und wußte nur, daß es unsäglich hold und anmutig war.
Und ganz entschieden auch ihre Augen, ja – auch[] diese Augen mit ihrer schmerzlich fragenden Sehnsucht, als ob sie Heimweh hätten nach einem unbekannten Lande, und könnten es verwundert nicht begreifen, wo anders als dort zu sein. Also, wenn er es wog: den Abend würdig zu schließen, und weil es drollig sein müßte, wie sie sich anstellen würde – versuchen konnte er es immerhin, weil einmal schließlich keinmal ist bei den Weibern; morgen früh schied man wieder auf Nimmerwiedersehen. Und wenn sie etwa nicht mitkam, wenigstens war eine Stunde vertrieben.
Nur galt es, sich durch das Beispiel des Studenten zu warnen und pfiffiger zu verfahren. Weil dieses schwieriger war, zweifelte er nicht, daß es ihm leichter gelänge, als in den gewöhnlichen Fällen. Und wie ihm eine lächerliche Erinnerung aus einer dummen Operette einfuhr, vertraute er sich diesem Mittel.
Er näherte sich mit höflichem Anstand, zog artig den Hut, und mit einer ritterlichen Verbeugung, wie sie in den Komödien der alten Galanterie zu sehen sind, sagte er würdig, wie was Selbstverständliches und Unvermeidliches, das sich gebührte: »Sie würden mich, mein Fräulein, sehr verbinden, diesen Knopf an meinen Rock zu nähen, gütigst, weil er abgerissen und es mein bester Rock ist, sicherlich, ohne welchen ich morgen nicht zur Eröffnung der Ausstellung könnte, wo ich doch ein großes Bild habe, ›Bei Vater Lunette‹, Nachtscene, in der österreichischen Abteilung, wie Sie an meinem Accent bereits gemerkt haben dürften, im zweiten Saale gleich links, wenn man hineinkommt, den Charlemonts gegenüber, in der Gegend des Hirschl, [] aber, Gott sei Dank, nicht ganz so galgenmäßig hoch wie dieses unglückliche Genie« – hier ging ihm der Atem aus in seiner hastigen und immer eiligeren Rede, die er sonst vielleicht noch auf allerhand Wissenswertes ausgestreckt hätte. So aber nahm er den Knopf und überreichte ihn, wie kein Page je zierlicher die holdeste Romanze seiner Dame, und war verwundert und stolz zugleich seiner glücklichen Kühnheit.
Sie empfing den Knopf, und sachverständig betrachtete sie ihn genau und die Stelle am Rocke, wohin er gehörte, und nachdem sie sich durch so gewissenhafte Probe überzeugt hatte, daß es wahr war, wie er es gesagt, und eine Weile in ihren Taschen gestöbert hatte, sagte sie ernsthaft mit einer kleinen, hellen, warmen Stimme, ganz nur mit dem Sachlichen beschäftigt: »Aber da müßten wir schon zu Ihnen gehen, ich habe weder Nadel noch Faden.«
Aha, dachte er sich vergnügt. Aber er erwiderte bloß: »Oh, das macht ja nichts.«
Da blickte sie plötzlich mit einem raschen, gelben Schusse aus ihren hellen Katzenaugen zu ihm empor, und indem sie lustig den Knopf weit weg schnippte, mit einem tüchtigen Stüber, daß er geschwind die Brüstung entlang und ins Wasser kollerte, fing sie hell laut zu lachen an. Sie hatte die Finte begriffen.
Und gleich wie an einen alten Freund hängte sie sich zutraulich an seinen Arm, und indem sie immer noch kicherte und sich freute, erklärte sie ihm, warum es nicht möglich war, heute: daß die Cousine ohnedies schon wieder wettern würde, dieses Scheusal, aber begleiten durfte er sie bis ans Thor.
[] Und gleich als von höchster Bedeutung erzählte sie ihm ihr ganzes Kreuz mit der Cousine, mit beweiskräftigen Belegen, wie sie ihr jede harmlose und unschuldige Freude neidisch vergällen wolle, aus reiner Bosheit, und daß sie selbst alt und gescheit genug sei, allein über sich zu wachen und schon von selber zu wissen, was sie zu thun und was sie zu lassen hätte, und daß man leicht anderen Vorschriften predigen könne, wenn man selber alle Morgen bis zehn Uhr in den Tag hinein schnarche, faullenzend in den warmen Federn.
Er hielt es erst nur für windiges Geziere, bei jüngeren und noch ein wenig schüchternen Semestern schandenhalber beliebt, und ernsthafter, eindringlicher bekräftigte er seine Bitte. Doch fand er, ohne daß sie sich erzürnt hätte, einen so unbeugsam und unabänderlich entschlossenen Widerstand, daß er, sobald er nur der Höflichkeit genügt und sie von seiner redlichen Absicht überzeugt hatte, die vergebliche Mühe ließ. Entweder, sagte er sich, hat sie ein festes Verhältnis, gegen das nicht so leicht aufzukommen ist, oder sie kann heute wirklich nicht, wahrscheinlich; das gehörte auch zu seinem Pech, an die Weiber zu geraten gerade in den kritischen Tagen. Es war ihm leid, weil es mit diesem heiteren und geschwätzigen Mädchen, das von drolligen Vergleichen und närrischen Einfällen strotzte, eine recht vergnügliche Nacht hätte geben können. Doch war ihm zuletzt nicht gar so darum; auch fiel ihm gerade ein, daß er wieder versäumt hatte, eine Seife zu kaufen, was er sich seit acht Tagen alle [] Morgen vorsetzte und alle Abende wieder vergaß – das hätte sie am Ende nur verstimmt und verdrossen, da sie doch mit der Weise der Künstler wenig vertraut schien. Also wie er gutmütig war, begleitete er sie heim, gar nicht weit, und indem er ihr alle schönen Dinge sagte, welche ihm einfielen, sehr feurig, bat er sie um ein Wiedersehen, aus Höflichkeit und um ein gutes Andenken zu lassen; doch dachte er im Ernste gar nicht daran und wußte auch ganz sicher, daß sie nicht kommen würde.
»Ich habe nur Sonntag Zeit,« sagte sie. »Also nächsten Sonntag, wenn's Ihnen recht ist, vier Uhr zum Beispiel. Wieder hier auf der Brücke. Da ist übrigens die Adresse meines Magazins, wo ich arbeite. Dahin könnten Sie mir einen Brief schreiben, das habe ich sehr gern, weil's die Woche ein bißchen verkürzt.«
Sie gab ihm die Adresse auf einem zierlichen, rosenroten Blättchen, fein gestochen, das gut roch, und indem sie die Arme um ihn schlang, sich auf die Zehen hob und das Köpfchen an seiner Brust hinauf schob, küßte sie ihn geschwinde und war mit einem freundlich winkenden Gruße in die schwarze und düstere Rue de l'Arbre-Sec verschwunden: bis ans Thor nämlich durfte er nicht mit, von wegen der bösen Cousine.
»Pas de chance«, sagte er, indem er ihr nachguckte. Es war wirklich zu wunderlieb zu schauen, wie sie so schwebte und flatterte. Und er grüßte noch einmal mit der Hand und rief: »Auf Wiedersehen – aber gewiß!«
[] Schade. Aber wenigstens waren die Grillen fort und er hatte eine liebliche Erscheinung gewonnen, eine holde Wiege der Sinne, und gehörigen Durst dazu, um sich die nötige Bettschwere anzuschoppen – was wollte er denn noch mehr von solchem flüchtigen Abenteuer, das eilig verrauschte wie die braune Woge da unten, wie die gelbe Rakete da oben, wie jeder lächelnde Gruß des Glücks?
[] II.
Aber endlich mußte er, es half nichts, endlich doch aus den Federn. Längst elfe durch. Und zudringlich, ob er sich auch wehrte, und vorwitzigen Übermutes kitzelte ihn die Sonne mit ihren langen goldenen Flaumen, wohin er sich auch in die Kissen vergrub.
Er schlief gern, den Tag lieber als die Nacht. Und das besonders war seine Leidenschaft, schon erwacht wieder einzuschlafen, oft drei-, viermal hintereinander, um nur von jenem hastigen und gedrängten Schlafe zu kosten, der einen Augenblick währt und eine Ewigkeit dünkt, sich seiner selbst bewußt und seines Genusses, in welchem Traum und Wachen mit verwischten Grenzen in einander schwimmen und nicht mehr zu sondern sind. Dafür hatte er sich, feinschmeckerisch, einen umständlichen Dienst eigens eingerichtet, indem zuerst, in aller Frühe, nur an die Thüre gepocht ward, daß er schreckhaft emportaumelte, aber, ohne sich recht zu besinnen, gleich wieder versank, und später der Kaffee, den er eilig schlürfte, und endlich, noch eine Stunde später, die Zeitung gebracht [] wurde, zu welcher nun erst sich behaglich das erste Pfeifchen schmauchte; nachher, da schmeckte der letzte Traum dann noch einmal so gut.
Er dehnte sich lange faul hin und her. Und er betrachtete das Barometer, wie er es hieß. Er forschte mit umständlicher Prüfung, in welcher Stimmung er sich befinde.
Schönes Wetter, wolkenlos, wie draußen. Sein Bild? Mochte es stauben in seinem Verstecke. Später einmal, ja, er kannte das, würde es ihn schon wieder überfallen, eine neue Idee, es zu verwandeln und was Erträgliches draus zu gestalten. Das war immer so. Er hatte immer so in Stößen gearbeitet – Ebbe und Flut. Bis dahin – ich habe die Ehre! Und er machte eine ehrfürchtige Geberde, mit lustigem Ingrimm.
Einstweilen wollte er das Porträt wieder vornehmen. Es war lange genug verbummelt. Es sollte einen Abgeordneten darstellen: Baumwollindustrieller, Radikaler und hauptsächlich Schafskopf, ungeheuer einflußreich natürlich.
Eigentlich freilich hatte er im Tierstück geringe Erfahrung, aber, mein Gott, es war ja im Dienste der heiligen Galette! Und dann, dieses gerade, geistlos, sehr langweilig, drauf los, ohne daß man zu denken braucht, vom Frühling träumen, der seine nackten Blüten an die Scheiben hob, während der Pinsel auf eigene Faust herumwirtschaften mochte – dieses gerade that ihm ja not, nach diesen Stürmen. Das konnte ihn einlullen und sänftigen.
[] Beschlossen und verkündigt. Und er holte den kahlen Schädel des würdigen Ehrenlegionärs aus der Ecke, pustete die Spinnweben herunter und überlegte. In drei Tagen konnte er's machen: ein wenig herausputzen, die Töne verbinden, ein bißchen aufhellen hie und da, daß er nicht gar wie Limburger Käse gerötet war – peinture aimable halt.
Gewiß, es würde ihm gut thun. Er wollte gleich anfangen, gleich morgen. Für heute war dieser Entschluß allein schon Tagewerk genug – und außerdem, Montag, das bringt Unglück, der Lenz lockte zu süß. Das zwitscherte und jauchzte und es war durch die Fenster von den rosigen Kastanien herein ein köstliches Duften. Es schwoll in ihm und ward ihm ein völlig faustisch österlich Gefühl.
Allein freilich mopste man sich nur draußen. Schade, daß er die Kleine von gestern nicht haben konnte. Unbeweibt ist die Landschaft immer minder.
Es kitzelte angenehm sein Gefühl, indem er, im Lehnstuhl schaukelnd, die Nägel reinigte, sich die Kleine vorzustellen – sie hatte ihm nicht einmal den Namen gesagt – daß sie mit ihm unter den blühenden Äpfeln sich haschte, während ein lauer Wind atmete, oder am Abend, wenn sie heimwärts über das Wasser glitten im engen Boote, den bebenden Leib an seine Brust schmiegte. »Tant pis pour elle,« sagte er, indem er aufstand und die kleine Schere im Bogen nach dem Tische warf. »Nachlaufen werde ich ihr nicht. Es giebt ihrer genug.«
Im Grunde war's ein Glück. Gutmütig und [] wie er keiner Stimmung widerstehen konnte – es wäre höchstens noch eine verwickelte Dummheit daraus geworden. Denn dieses war doch ausgemacht, daß sie ganz sicher nicht sein Stil war.
Nein, sie war nicht seine ideale Frau und nicht einmal eine weitläufige Verwandte hundertsten Grades. Wie er jetzt, den Schlafrock abgeworfen, die Beine in der Krätsche über das Kissen gespreizt, sich vor dem Spiegel niederließ, an das Meisterwerk seiner Toilette, die Locken behutsam in träumerische Ringel biegend und die stolze Lanze seines geschmeidigen Spitzbartes ausziehend, lange, sehr lange, mit vielem Brillantin, und sich aufmerksam mit Liebe und Wohlgefallen musternd, da wieder einmal, da stand sie wieder einmal so handgreiflich vor ihm, so kaiserlich und junonisch – und diese scheue, ahnungslose Schwalbe daneben, die reine Psychè des Gérard, ja, wirklich, selbst – er erinnerte sich – die nämlichen »Schneckerln« hatte sie im Haar, vorne, in die Stirne herein. Nein, es war kein Vergleich; sie mochte ja ganz lieb sein für bescheidene Ansprüche, aber er, leider, war schon vergeben, bedaure sehr.
Er verweilte lange in diesen gefälligen Bildern, weil er lange vor dem Spiegel verweilte, nach schlimmer Gewohnheit, bis seine Mähne endlich gebändigt und die umständliche, in bunte Zipfel flatternde Masche kunstgerecht geknotet war. Er mußte lachen, wie er nach der Uhr sah, daß er zwei Stunden wieder einmal vergeudet hatte, sich schön zu machen – wie eine Cocotte, sagten seine Freunde, aber der bringt's Zinsen. Und sie wußten sich nicht genug über seine Eitelkeit.
[] O nein, er war nicht von der gemeinen Eitelkeit, die sie dachten. Ja, er liebte das Kostüm, und wenn er sich anders tragen konnte, wider den Brauch, auffällig und wunderlich, das freute ihn. Ja, er hatte ein kostbares Spitzenhemd mit breitem, weichem, umgeschlagenem Kragen, wonnesam gestickt, daß der alte d'Aurevilly neidisch geworden wäre. Ja, er hatte einen perlgrauen Sombrero mit ungeheurer Krempe, wie nur je der stolzeste andalusische Picador, daß ihn mancher für einen Lastträger hielt, aus den Hallen. Aber es war nicht um den Beifall der Menge und er rechnete nicht, die Blicke der Weiber zu gewinnen. Sondern nur die Begierde quälte ihn, im Äußeren gleich sich von den anderen zu unterscheiden, von denen er sein Inneres so unvergleichlich unterschieden wußte. Er war einmal anders als die anderen, warum sollte er es nicht auch scheinen? Und er brauchte die Versicherung und Bestätigung, alle Tage, wider aufdringliche Zweifel, daß er wirklich einer für sich und nicht vom Dutzend war. Wie anders, wie konnte er sonst seine Kunst jemals vollbringen?
Nein, allein ging er nicht aufs Land, sondern Marius mußte mit. Er kriegte ihn schon dazu – früher wich er ihm einfach nicht von der Bude. Und alle Fragen der Kunst, die großen und die kleinen, wie verzwickt sie sein mochten, sollten wieder einmal gelöst und die ganze Zukunft der Kultur deutlich vorausbestimmt werden auf zweitausend Jahre.
Marius natürlich würde sich wieder gehörig verdrießen, der das nicht leiden konnte. Ein bißchen [] Philister, der gute dicke Marius; Verdauung und Ordnung – das war seine Losung; Regel und Maß betete er an und meißelte nach dem Glockenschlag, Sommer und Winter, Schön und Regen, wie man Semmeln bäckt. »Und nur nicht Kunst reden, nur nicht Kunst denken – Kunst machen, wenn's möglich ist.« Aber man mußte nur erst mit stacheligen Paradoxen seinen Ärger aufzuzwicken verstehen – dann, gegen allen Vorsatz, verhaspelte er sich doch jedesmal wieder in Fehde. Und merkwürdig, was er so unwillig verschmähte, wenige konnte es schlagfertiger und treffgewisser.
»Ich wollte gerade zu Ihnen,« sagte der Bildhauer Marius. »Der Frühling rumort mir in allen Eingeweiden – man muß es sich herauslaufen. Wollen Sie nicht mit aufs Land?«
Aber der Maler, ohne was zu erwidern, geradewegs auf die Büste los, öffnete behutsam die nassen Fetzen, in welche sie geschlagen war, und indem er bald sich näherte, bald sich entfernte und dann wieder langsam herumkreiste, begann er lange Erklärung mit Vorschlägen, Einwürfen und Räten. Wohl eine Stunde schwand, indem der Bildhauer Rechenschaft gab, wie er es sich gedacht hatte, und manchmal die Achsel zuckte, als bedauerte er, es nicht ändern zu können. Nämlich, es war seine Gewohnheit, alle Urteile anzuhören und auf keines zu hören; nicht aus Hochmut, daß er sich geckisch unfehlbar geglaubt hätte, und verächtlich der anderen, sondern aus Furcht, daß nicht in ihm selber das Kritische erwache, von welchem doch nur Qual und keine Hilfe kam.
[] Doch auch als nichts mehr über die Büste zu sagen und alles erledigt war, manches zweimal sogar, sehr umständlich, stöberte er nur in den Büchern und Skizzen am Boden herum und schnellte von Frage zu Erzählung, immer wieder ein neues an das Gespräch anzustückeln, damit er nur jenem Vorschlage, den er eigentlich selbst hatte thun wollen, nicht zu antworten brauche, als hätte er ihn nicht gehört. Aber Marius, ungeduldig, der wanderfertig war, wiederholte ihn. Da entschuldigte er sich mit Geschäften ohne Aufschub, daß er leider keine Zeit hätte. Und dann auf einmal, als Marius ihn auslachte, mit einem plötzlichen Satze in leidenschaftliche Wallung, brauste er in stürmischen Güssen seine Klagen heraus, sein Leid mit dem Bilde, diesen ganzen verhaltenen Schmerz, der ihn fast um den Verstand brachte, alles Entsetzliche, wie es ihn seit acht Tagen verzweifelte. Und bevor er es nicht überwände und sein Bild nicht gerettet hätte, seine Hoffnung, seinen Stolz, seinen Ruhm, nein, bis dahin sollte man ihn lassen, an die Staffel geschmiedet, auf der sich sein Schicksal entschied.
Marius, auf einem Schemel vor der Büste, hörte ihn geduldig an, ohne es viel zu achten. Dann, in einer Pause, als die erste Wut des Malers sich erschöpft hatte, meinte er nur: »Ja, ja.. so geht's, wenn man sich erst ins Suchen einläßt. In zehn Jahren werden Sie sich's auch abgewöhnt haben. Aber wir können davon in Bougival ebenso gut sprechen und besser.«
Nun ärgerte sich der Maler erst recht. Er litt [] die lehrhafte Überlegenheit nicht und mochte die ewige Mahnung nicht, daß der Bildhauer zehn Jahre mehr hatte. »Wenn die zehn Jahre um sind,« – und er spitzte jedes einzelne Wort – »die einen so weise machen, können Sie mich ja abholen; vorderhand bin ich noch nicht so weit.«
Marius sah ihn nur gründlich an mit einem wehmütigen Ta-twam-asi-Blick, als blickte er in seine eigene Jugend! Wie traut und altbefreundet ihm jede dieser Launen war, aus vielen Leiden, und wie heimisch er sich fühlte in ihrem Weh! Aber um es nicht noch zu verschlimmern, sagte er kühl: »Wie Sie wollen – mir kann's gleich sein.«
Aber er war einmal im Zuge: »Ich lasse mich überhaupt nicht hofmeistern und gängeln, tyrannisch und tantenhaft, was ärger ist. Ich will meine Suppe ganz allein verspeisen, verstehen Sie? Ganz allein, wie ich mir sie ganz allein einbrocken will, nach meinem eigenen Rezepte. Ich glaube, ich bin alt genug, daß ich nach niemandem zu fragen habe, und jedenfalls schadet's mir allein, was mein souveränes Menschenrecht ist und niemanden was kümmert, gar niemanden auf der ganzen Welt, wenn es mir Spaß macht.«
Und durch die hartnäckige, unverbrüchliche Ruhe des Marius erbost, daß sein kriegerischer Sturm nicht einmal der Abwehr gewürdigt wurde:
»Sie möchten mein ganzes Leben nach Ihren Grundsätzen einrichten, das wäre Ihnen recht! Sie mischen sich in alles. Wenn Sie arbeitsmüde sind, soll ich aufs Land, und nächstens werde ich essen [] müssen, wenn Sie hungert. Und Ihren Schrullen zu Liebe soll ich kein Weib nehmen und einsam bleiben, weil Sie recht gut wissen, wahrscheinlich, daß allein kein Künstler was schafft, sondern nur unnütz verfault, ohne die Liebe. Aber darin wenigstens sollen Sie sich gründlich getäuscht haben. Die neidische Hoffnung war etwas verfrüht, Verehrtester!«
»Aha,« sagte der Bildhauer jetzt. »Kann man sie sehen? Haben Sie sie schon drüben?«
Dem Maler schmeichelte diese Vermutung. Eine angenehme Vorstellung, sich den Neid und die eifersüchtige Mißgunst der sämtlichen Nachbarn zu denken, wenn er eines Tages mit diesem frischen und fröhlichen Kinde anrücken würde, vor dem sie ihre geschminkten und verfärbten Mätressen verstecken konnten, alle mitsammen. Weil er sich aber besann, vorläufig noch allein zu sein, und gegen diesen Gleichmut nicht aufzukommen war, erwiderte er lieber gar nichts, sondern wandte sich fort.
»Wenn Sie die crémaillère aufhängen, bin ich doch hoffentlich geladen?« rief ihm Marius lustig nach. Aber es kam eine Antwort. Der hatte die Thüre schon zugeworfen.
Lange blieb Marius noch in der Werkstatt, und er kraute die roten Zacken seines stacheligen Schnurrbarts und dachte dem Freunde nach und maß Vergangenes ab und hatte Mitleid mit allen Menschen. Es war so traurig, daß jeder erst wieder von vorne anfing, den nämlichen Kreuzweg, unerbittlich eine Station für die andere, und keine Erfahrung der [] früheren jemals ein Leid den späteren ersparte, auch nicht ein einziges Leid. Wenn es wenigstens den anderen zum Guten gewesen wäre, das Böse, das man selber erduldet! Aber jeder neue rang und stöhnte aufs neue, in dieser Qual, nicht zu wissen, was er denn wolle, und keiner wollte es glauben, bevor er es selber in Thränen erlebt, daß überhaupt nichts zu wollen ist.
Aber er entriß sich dem unnützen und hilflosen Schmerze und nach zärtlichem Abschiede von seinem Werke, in dem das Vergessen war, wanderte er. Er wanderte durch den Frühling, der blühte und zwitscherte, und sonnig schimmerte es in allen Augen. Er wurde sehr froh, weil er es gelernt hatte, längst nichts zu begehren, aber was unvermutet geschenkt ward, irgend woher, dankbar zu genießen als unverdiente Huld.
[] III.
Und da war er, eine Stunde seitdem, müßig, einsam auf dem heißen Sofa, der Diener schaffte das Dejeuner. Aber er konnte nicht essen, und er konnte nicht lesen, und er konnte nichts. Kraft und Wille waren ihm weggeschöpft. Und er haderte nur mit sich selbst.
Und er bäumte sich wehrhaft gegen den Hader und stopfte die Ohren und verhärtete und verstockte sich mit Fleiß und trotzte der Reue. Möglich, daß es dumm und läppisch gehandelt war und häßlich noch obendrein an dem Freunde. Aber nun war es geschehen und es hatte ihm einmal beliebt.
Er würde sich hüten, wieder umständlich Reue und Leid zu erwecken zur eigenen Qual und niemandem zu Nutz. Dieser Wahnsinn war heillos. Er hatte Proben.
Und nein – und nein – es war kein Wahnsinn. Die Gerechtigkeit schuldete er sich selbst, daß es Grund und Vernunft hatte, deren er sich nicht zu schämen brauchte. Nur freilich die Wirkung war dumm.
[] Von seiner besten Tugend gerade, ja, das war deutlich, kam's her, von seinem freien Stolze, ohne den er nimmermehr dieser verwegene Künstler geworden, von seiner einsamen Kühnheit, welche die Art des Pöbels verschmähte, vom freudigen Bewußtsein seiner sicheren Kraft, die außer sich nichts brauchte und darum nichts dulden wollte außer sich.
Nein, er hatte sich nicht zu schämen, ob es den anderen auch Narrheit galt, dem Urteile nach dem Scheine. Stolz konnte er sein, vielmehr, und sich loben, und wenn er sich nur recht deutlich wurde und den Zusammenhang erkannte, das war bei weitem vernünftiger, als sich vor sich selber zu verheimlichen und über sich selbst zu belügen aus Gehorsam, bloß gegen das Beispiel der anderen. Er hatte es nicht nötig.
Ja, es verlor ihm manchen Freund und oft, viele Stunden schon hatte es ihm verbittert. Immerzu! So war er einmal beschaffen, so war er es von Geburt, daß er den Zwang nicht vertrug und sich auflehnte gegen das fremde Gebot, fanatisch zugethan der Freiheit.
Er war immer so gewesen, so lange er sich erinnerte, unwandelbar; es war ihm die Freiheit – anders ließ es sich nicht sagen – ein körperliches Bedürfnis, und als körperlichen Schmerz geradezu, als brännte ihn heißes Eisen, empfand er es, fremdem Willen zu begegnen, daß noch etwas da war außer ihm, anders als er und etwa gar feindselig gegen ihn, was er, wenn er es recht überlegte, nimmermehr [] zu fassen vermochte. Das Fremde, das Andere, was nicht er selbst war, – wie vor einem tödlich Schaurigen und Gespenstigen entsetzte er sich davor, das über die Vernunft und widernatürlich war, und es gab ihm Fieber und Krämpfe. Er konnte es nicht verwinden, mit allen Entschlüssen und Vorsätzen nicht.
Einen Trotzkopf deshalb nannten sie schon den Knaben, der Eltern und Lehrern, später manchem Freunde, aber sich selbst immer am meisten, Leid damit anthat, und schalten, daß er eigensinnig sei bis zur Narrheit. Aber nein, sein Wille war gar nicht trotzig, wie sie ihn beschuldigten, unbändig und überwachsen, sondern oft umgekehrt, wenn er sich besann, hatte er sich vielmehr der Schwäche angeklagt, und sichere Kraft seiner Entschlüsse vermißt. Vorsätze auszuführen mißlang ihm häufig, und manche Absicht entbehrte der inneren Gewalt zum Dienste. Erst wenn er einem anderen begegnete, der ihn beugen wollte oder auch nur sich dessen verdächtig machte, dann erst, wie von plötzlichem Stoß und Erschütterung, erwachte sein Wille auf einmal aus so langer Ohnmacht, mit hastiger Begierde nachzuholen, was er in der Lähmung versäumt, und zu ersetzen. Das freilich wuchs dann ohne Maß.
Launisch nannten sie ihn. Ja, warum ließen sie ihn denn nicht und mischten sich immer in ihn und kneteten jeder an ihm, und jeder wollte ihn verwandeln und jeder ihn nach seiner Vorschrift zwingen und keinem war er recht! Da freilich verlor er alle [] Besinnung zuletzt, von so viel Feindschaft gehetzt, und schlug mit den Flügeln gegen Decke und Boden, wirr im Kreise flatternd mit hastigen Stößen, taumelnd vor Todesangst, wenn ohne Unterlaß so immerfort an allen Stäben des Käfigs getrommelt und gehämmert ward, ein höllisches Toben. Warum ließen sie ihn denn nicht frei? Das hatte ihn verdorben, dieses allein, ohne seine Schuld, daß der Zwang, nichts als ewig der Zwang, der dumme, rohe, herrische Zwang überall auf ihn lauerte, aus tausend Fallen, bald räuberisch mit offener Gewaltthat, bald tückisch, in schmeichelnden Rat vermummt und mit Güte und Freundschaft geschmückt, aber unnachgiebig in täglichen Fehden; da war denn am Ende dieser Verfolgungswahn über ihn gekommen, in dem er sich peinigte und die anderen, rastlos, mißtrauisch, argwöhnisch gegen die ganze Welt.
Ja, es war ein Wahn, krankhaft und wider die Vernunft, er leugnete es gar nicht. Eben dieses wieder mit dem Bildhauer – das neueste Beispiel; doch war er um Beispiele nicht verlegen, die alle Tage vorkamen. Übrigens, der würde sich trösten, rasch, es war ihm nicht bange; der hatte darin schon manche Erfahrung.
Immer die nämliche Geschichte, immer dieselbe. Er hatte ja aufs Land gewollt, er selber und er zuerst, und darum allein war er hinüber. Aber da ihm der andere zuvorkam mit diesem nämlichen Vorschlage, mit seinem eigenen Vorschlage, da er seinem Willen in dem anderen begegnete, in diesem Augenblicke – [] ja, da ... ja, erklären ließ sich das nicht, erklären ließ es sich nicht; es war ohne Zweifel Wahnsinn, nichts weiter.
Aber nur immer: dieses sollte er thun und jenes sollte er lassen, die gleiche Litanei seit der ersten Kindheit, und immer nur »sollte« und »sollte«, und was er wollte, das einzig wurde er niemals gefragt, und so, in dieser entsetzlichen Knechtschaft, war der ungeheure Drang über ihn gekommen, einmal er selbst zu sein, endlich, und die ungeheure Angst, immer ein anderer zu sein, ewig. Nun mochten sie's tragen, wenn sie davon litten. Ihre Schuld, ihre Schuld allein, ganz allein, der Verschworenen gegen seinen Willen, wenn er kopfscheu und toll geworden, am Ende.
Was ließ ihn der Bildhauer nicht seinen Vorschlag thun, geduldig, bis er seinen Willen entfaltete? Nun wären sie draußen im duftenden und singenden Frühling längst, nach dem er so glühende Sehnsucht trug, unter Blüten und in Scherzen – statt dieser einödigen Pein mit häßlichen und unnützen Gedanken in dem verfluchten Marterloch! Konnte er nicht warten? Mußte er ihn gleich mit seiner Absicht überfallen, feindlich über ihn her, daß er verschüchtert, geängstigt, überrumpelt, in dieser großen Not alle Besinnung verlor?
Er wollte aufs Land – ja, er selber, genau wie es der andere vorschlug, gewiß. Aber er wollte aufs Land aus freiem Entschlusse, weil es sein Wille war, und nicht auf fremden Vorschlag, dem anderen zu[] Liebe und zu Gefallen. Und eher, bevor er fremdem Willen sich beugte, eher verzichtete er noch auf den eigenen lieber; und übrigens, seit es der andere wollte, da war es ihm verdorben, es selber zu wollen..
Eine Dummheit sicher in diesem Falle; denn dem Bildhauer fehlte die feindliche Absicht. Eine Dummheit, und verdarb ihm den ganzen Tag mit Verdruß, denn morgen würde es schwer sein, sich gegen Marius zu betragen. Aber er konnte sich einmal nicht, konnte sich nicht erniedrigen, nicht vor dem liebsten Freunde, um keinen Preis, und bevor er sich vergewaltigen ließ – jeden anderen Schimpf wollte er lieber ertragen.
Er hätte nur nicht erst mit langen Lügen und umständlichen Vorwänden sich feige ausflüchten sollen, heuchlerisch wie die anderen. Das nächste Mal, er versprach es sich, wollte er es ihm gleich offen erklären, deutlich und ohne Rest, wie es war. Die Freiheit, die Freiheit – ja, das war notwendig, daß er ihm einmal seine ganze Begierde sagte, wie sehnsüchtig er sie liebte mit diesem herrischen Instinkte.
Das verdroß ihn am meisten, indem er jetzt überlegte, daß er nun erst recht seinen Willen verloren hatte, durch seine Verteidigung gerade. Nun war er erst recht nicht aufs Land. Nun war ihm durch seinen mannhaften Mut gerade erst recht der Wunsch verstümmelt und erwürgt.
Aber so ging's mit Freunden immer. Marius, trotzdem, war noch von den besten, ganz sicher, weil er selber vieles gelitten; und auch er beschäftigte sich[] um sich selbst zu sehr, als daß er die anderen viel achtete. Aber am Ende, wenn man's verglich, waren sie alle gleich, einer wie der andere, und immer zuletzt, früher oder später, einmal erwachte der Tyrann in jedem.
Ach, es war nicht zu begreifen, das schaurige, tödliche Rätsel! Daß sie nicht nebeneinander wohnen konnten, der hier, der dort, für sich jeder in seinem Bezirke, ohne Räuberei über die Grenze des anderen! Daß jeder nur aus sich heraus in den anderen drängte, rastlos das ganze Leben im anderen sich festzusetzen und über ihn zu herrschen! Daß man niemals man selbst sein sollte und durfte, nicht eine selige Stunde, sondern ewig nur auf sich verzichten, sich verwandeln, sich zerstückeln, zur Wollust des anderen, immer des anderen! Nein, er begriff's nicht.
Knechtschaft und Dienst – das heischten sie alle und von jedem. Die Lust, in einem anderen sich selber wiederzufinden, den fremden Rest zum Eigentum zu unterjochen und in einem zweiten Leibe dem Willen eine neue Heimat zu schaffen, fremdes Fleisch für die eigene Seele – dieser gierig verschlingende Hunger fraß jede andere Begierde und das hieß Freundschaft! Und er, der verging vor dieser namenlosen Sehnsucht nach einem wirklichen Freunde, der, statt nur immer nehmen zu wollen, sich ihm ergeben und seine Seele bereichert hätte, statt nur immer zu sengen und zu plündern in ihr, unersättlich vampyrisch!
Einsam, einsam – warum wollten sie einen nicht einsam lassen? Gab es nicht ohnedem Qual genug,[] daß einen grausam noch dieses foltern mußte, unbarmherzig das ganze Leben, das blutige Leiden an der Nachbarschaft? Aber es wühlte und zerfleischte und er sah keine Hoffnung und verzweifelte und selbst die Tiere verdarb es ihm oft und selbst die Dinge und überhaupt alles, was nicht gedacht war.
Ja, dazu am Ende hatte es ihn gebracht, alles zu hassen, was nicht seine Vorstellung war. Er konnte es nicht ertragen. Und er erinnerte sich, daß Geringes oft, lächerlich Geringes, Tobsucht und Tollwut in ihm entzäumte, wie ein auf der Straße gepfiffenes Lied, das im Ohre haftete, die eigenen Gedanken verscheuchte und mit allem Vorsatze unvertreiblich nicht wieder hinauszubeuteln war, oder ein erwünschter Brief, der von der Post nicht ankommen wollte, obwohl er in seinem Bewußtsein längst angekommen war, oder wenn an einem Schalter, während sein Geist es schon erledigt hatte, Gewühl ihn aufhielt – alle diese tausendfältigen mörderischen Erinnerungen, jeden Tag, daß er nicht allein, daß er nicht frei war.
Es kam dann manchmal über ihn, daß er alles hätte zertrümmern mögen, ringsherum, mit Feuer und Schwert alles Lebendige verwüsten, mordbrennerisch und vandalisch jede fremde Spur zerstampfen, um nur ein Ende zu machen mit dem ewigen an ihm herum kommandieren von Menschen und Dingen, das nicht länger zu ertragen war, und sich die Wüste zu schaffen, die stille, stumme Wüste.
Es war die Stimmung des »großen Reinemachens«, [] wie er es nannte. Nämlich mit seinen Freunden, die ihm zunächst waren, räumte sein Grimm dann auf und die Absagebriefe schwirrten an diesen Tagen, Kündigungen der Freundschaft, mit zornigen Anklagen. Das erleichterte ihn etwas, wenn er so manchen Genossen verbannte, der ihn getäuscht hatte und auch nur ein Mensch war.
Allein, allein – hoch oben irgendwo im Eise oder tief auf dem Grunde des schnaubenden Meeres, wohin kein geller Lärm des täglichen Lebens dränge, und verborgen vor den rauhen, kralligen Griffen des anderen! Die gewöhnlichen und gemeinen – ja, die vielleicht mochten es ertragen, daß ihnen das Ich gestohlen und das Fremde eingeschoben ward: denn sie brauchten das Ich nicht. Aber der Künstler – wie denn, ohne sein Handwerkszeug, wie konnte er denn leben?
Es war der Künstler offenbar, der Künstler in ihm, von dem das Leid kam. Dieses tröstete ihn und erweckte ihm eine beinahe behagliche Vorstellung, in die er sich müde einwickelte, auf dem schweren, breiten, üppigen Divan, über welchem die wilden japanischen Masken höhnisch grinsten, mit ihren struppigen Roßbärten und zerrissenen Maules. Es tröstete ihn, weil es ja gar nicht ein Leid heißen konnte, wenn es ein Zeichen von der Kunst war.
Ja, offenbar der Künstler, der Künstler ... er ward nicht müde, es sich durch Wiederholung oftmals zu bekräftigen. Natürlich, die andern hatten nicht dieses Gefühl des Ich, so überschwenglich und [] maßlos, und diesen grimmigen Trotz, wie ihm was nahen wollte, und nicht atemlos und fieberisch diese Todesangst, es zu verlieren. Ihnen lag nichts daran, ob sie es besaßen, weil sie sich seiner ja doch niemals bedienten, und ohne es zu merken, entbehrten sie es leicht. Sie konnten glücklich sein. Aber der Künstler!
Freilich, ein Trost war es schon, weil es den Stolz befriedigte, aber diese Folge konnte er sich nicht verhehlen, daß deshalb sein Leid unabänderlich war, ohne Hilfe, hoffnungslos, nicht ein Zufall bloß, der wechseln mochte, sondern ein notwendiges, unwandelbares Schicksal, wenn es nicht an der Welt und ihrer Tücke lag, sondern an ihm selbst vielmehr und seiner Kunst. Und das wieder verdroß ihn gewaltig, nicht daß es so war, aber daß er es begriff. Das nahm ihm nur unnütz erst den Mut und alle Kraft zum Wunsche und selbst den fröhlichen Haß der Menschen und der Welt, der doch, mit Klage und Hoffnung gemischt, immerhin wenigstens eine angenehme Bewegung der Seele gewährte. Er konnte, so lange er sich über die Wahrheit betrog, das Glück beschuldigen und der Zukunft trauen. Jetzt umnachtete es sich völlig.
Aber das war auch von seinen unseligen Gewohnheiten eine, der er durch keinen beschworenen Entschluß sich jemals entwand, tagelang so auf dem Sofa sich in Gedanken unablässig zu schaukeln, eiliger immer und immer höher bis in reißenden Schwindel, und unnachgiebig sich im Gehirn zu stochern, tiefer[] und tiefer, an die letzten Wurzeln. Er hatte es von Jugend auf, das neugierige Denken über sich, und es war natürlich auch wieder der Künstler, immer der Künstler, der also sich alle Tage die Beichte abzunehmen und alle Winkel des Gewissens zu erforschen nimmermehr ermüden wollte. Wie anders auch durfte er sonst hoffen, am Ende doch einmal das große Geheimnis zu entdecken, irgendwo tief unten am Grunde der Seele, das schlummerte und nicht erwachte?
Dann forschte er denn und forschte in sich und ging sich mit der Laterne ab, als wäre er's gar nicht selbst, sondern irgend ein merkwürdiges Ungetüm, über welches ihm Wache befohlen. So horchte er, hielt den Atem an und beugte sich lauschend, ob es sich noch immer nicht regen wollte, jenes Wunder. Und einstweilen wenigstens verzeichnete er eifrig Zug um Zug, was er fand, damit er sich dann vergewissern könnte, daß er wirklich ein besonderer für sich war, superiore Natur und homme d'élite.
So stellte er seine Seele vor den Spiegel, kämmte sie durch und scheitelte sie. Er dürstete nach der Wahrheit über sich und mit besonderem Eifer vor allem sammelte er aus allen Verstecken das Seltsame gerade, welches ihn von den Gewöhnlichen schied. Er bestimmte es und betrachtete es lange, wie es ihm stünde, und immer wieder versicherte er sich, daß es noch da wäre in seinem Winkel, indem er jeden Augenblick besorgt danach griff. So bewahrte er ängstlich vor allem Wandel seinen Charakter und [] bekräftigte ihn auf diese Weise, indem Flüchtiges und Vergängliches allmählich unauslöschlich und beharrlich ward durch diese so häufige Wiederholung. So stärkte und festigte er künstlich seine Natur und vielleicht bereicherte er sie sogar.
Diese unablässige Gewohnheit war am Ende dahin gelangt, ihn mitten auseinander zu spalten, in zwei, einen der wahrnahm, empfand und schuf, eben jenen Extramenschen höherer Ordnung, und einen, der alle Empfindung und Schöpfung des anderen mit seiner Neugier begleitete und sich gar nicht genug verwundern konnte, einen Durchschnittsverstand mittlerer Güte – in einen Schauspieler und einen Zuschauer. Ja, wirklich, es war das reine Theater: der andere folgte nur müßig in seinem Stuhle den Schicksalen des Darstellers, manchmal bewegt, von Mitgefühlen ergriffen, hingerissen, als wäre er es selbst und geschähe es in ihm, mit Thränen und Rührung, manchmal auch wieder kritisch, ärgerlich, geschüttelten Kopfes, mit Zischen und Oho. Oft selbst verlor er jedes Bewußtsein, daß es im Grunde zuletzt doch nur er selbst war, den er betrachtete, und so fremd und völlig unverträglich mit der eigenen Weise erschien er ihm, daß solche Menschenart ihm völlig unbegreiflich wurde. Es war zwischen dem vor ihm Handelnden und dem über ihn Denkenden keine Gemeinschaft mehr. Wenn er sich mit zwei Leibern gefunden hätte eines Tages, es hätte ihn keineswegs überrascht, weil es das Natürliche gewesen wäre.
Darum wußte er über sich, was drin geschah [] wie kaum jemals einer Bescheid und konnte sich Rechnung legen jeden Tag über die geheimsten Finten, die eiligsten Anwandlungen, und wie das alles zusammenhing, eines aus dem anderen stammte und auf das andere wirkte, erfahrener Maschinenmeister seiner Seele. Aber er hatte von dieser Wissenschaft nichts als nur desto schlimmeres Herzeleid, ewig. Er konnte sich keiner Freude mehr freuen, weil er in jeder das Trügerische und das Vergängliche gleich und die Keime des Schmerzes aufsuchte, der schon wieder sich vorbereitete, und geflissentlich beschwerte er jeden Kummer, indem er sich ihn als notwendig und ewig bewies, unabhängig von dem äußeren Ereignis und unzertrennlich von seiner Natur. So empfand er in jedem augenblicklichen Verdruß, in welchem wie in einer Probe er die ganze Gattung kostete, seine ewige Verdrießlichkeit nur, und in langer Freude empfand er nur einen flüchtigen Betrug, von dem er sich nicht äffen ließ, und dieses einzige bloß, was er nicht begriff, war wunderbar und völlig über den Verstand, woher er denn überhaupt bei alledem nur noch den Mut zum Leben nahm.
Das Denken, ja, das Denken über sich selbst – hundertmal sagte er sich's vor: das Denken war der Anker des Verderbs. Ja, wenn er es vermocht hätte, sich von dem Drange des Gefühles tragen zu lassen, blind der Laune zu gehorchen und mit der Bosheit des Augenblicks zu hadern, der ihm das Glück versagte, wenn er es vermocht hätte, sich gegen den Bildhauer zu erzürnen, seine Tücke anzuklagen, seine [] Freundschaft zu verdächtigen! Aber auf ihn selbst, auf den eigenen Stolz, auf die eigene Willkür, auf die eigene Herrschsucht wendeten Überlegung, Prüfung und Vergleich mit Erinnerungen immer zuletzt den Groll auf seine Künstlerschaft allein, und alle Hoffnung zerstörten sie ihm so, sich jemals vom Unglück zu befreien, welches aus seinem einzigen Glück kam.
Und so, durch das Denken gerade, das gepriesene Denken, war er zur ewigen Qual verdammt, wie – ja, da stockte er feige, aber warum sich denn täuschen und betrügen? – wie jedes Genie!
Er konnte wählen. Möglich vielleicht, daß er durch beharrlich verfolgten Entschluß das Leid überwand, aber dann, in der nämlichen Zeit, überwand er zugleich sein Talent und glücklich konnte er schon werden wie die anderen, die Furcht vor dem Schmerze brauchte ihn dann nicht mehr zu quälen: aber er mußte freilich auch der Hoffnung entsagen, der Hoffnung auf sein Werk. Dazwischen lag die Entscheidung; er war frei, nur durfte er sich dann nimmer beklagen.
Deshalb, jedesmal, sobald er sich nur besann, nahm er eilig die Absicht, sich zu bessern, des Grübelns zu entwöhnen und glücklich zu werden, mit Reue zurück und verharrte in der Gewohnheit. Schmerz, Ekel, Verzweiflung – was lag daran, wenn es für seine Kunst war? Litten die anderen von ihm und litt er selbst, das war einmal das ewige Martyrium der Künstler, und »korrekte Charaktere«, mit sich selbst zufrieden und geachtet von der Welt, mochten die Philister sein, die nichts anderes zu thun haben.
[] Ja, wer wie Marius schaffen konnte, mit vollem Dampf drauf los und nicht rechts und nicht links geschaut und immer zufrieden, wohin ihn die tolle Fahrt auch brachte! Wer schaffen konnte, wie er es fand, ohne zu suchen – Maschine, Maschine der augenblicklichen Stimmung, läuft jetzt fünf Stunden und dann darf's rasten und wird mit Wein und Lustbarkeit geschmiert! Ja, diese Künstler – aber das waren ja gar keine Künstler. Gutes und erfreuliches Gelingen mochte ihnen schon begegnen, aber das Große, das Ewige, die hohen Weihen der Kunst blieben ihnen verschlossen. Man mochte sie manchmal in Anfällen der Entmutigung beneiden um ihre gefaßte, heiter wirkende Geduld, weil sie es wenigstens wachsen sahen um sich, gering, in Stücken, erbärmlich – aber es wuchs, es wuchs doch und gedieh. Aber die heißen Schauer dafür, die wollüstigen Taumel der Kunst, wenn's plötzlich kommt, nach so viel schmachtender Not, in brausenden Verkündigungen, dieses Göttliche empfanden sie nie. Und was ohne sie, was war denn sonst das Leben?
Freilich, wenn man Marius hörte, der schimpfte sie gerade das allerverderblichste Gift, diese schaurigen Wonnen, welches das Mark zerfraß und die Adern verpestete. »Die ganz Großen« – er predigte es alle Tage – »die ganz Großen, vielleicht, mag sein, ich weiß es nicht, daß es denen glückt, aus ihnen zu gestalten. Uns höhlt's nur aus, entkräftet und macht stumpf. Im Rausche, so lange der Schwindel währt, ist nicht zu schaffen, und nachher, im Kater, erst recht [] nicht. Sie werden's schon selber erfahren. Raten hilft nichts.«
»Sie werden's schon selber erfahren.« Ja, weil sie ihn alle für Ihresgleichen hielten, ohnmächtig und gering wie sie und zu Niedrigem geboren! Aber wie denn, wenn er am Ende, trotz alledem, wenn er doch von den Großen wäre, von diesen ganz Großen gerade, der eine Auserwählte für die Gnade unter den tausend unselig Verschmachtenden? Wenn er es war! Und nein, was mit so glühender Verheißung die Seele schwoll, das war nimmer Lüge und Trug.
Vier Uhr! Sein Spleen war wahrhaftig die beste Gesellschaft, mit keinem vertrieb sich behaglicher die Zeit, und so lehrreich! Antworten freilich gab er keine, aber verschwenderisch versorgte er einen mit Fragen.
Es war ja zu blöde. Andere, wenn sie faullenzten, vergnügten sich wenigstens, oder wenn sie litten, so war es, daß ihr Werk gedieh. Aber zu faullenzen und zu leiden zugleich und Wohlsein und Arbeit gleichermaßen zu verderben – darauf, das mußte man ihm lassen, hatte er das ausschließliche Patent.
Er geriet in Lustigkeit über sich selber. Er verhöhnte sich mit derbem Spotte: seine Don-Quixoterei, seinen geckischen Größenwahn, die ganze would-be-hamletische Komödie. So entschädigte sich oft der andere in ihm für die Ausschweifungen des einen im Pathetischen.
Es war zu spät, vor dem Diner noch etwas zu beginnen.
[] Lesen. Zoten und Betisen. Kannte er auswendig.
Auf und ab, hin und her. Rauchen, rauchen. Der Tabak wenigstens hielt sein Versprechen, der war noch rechtschaffen und treu – rauchen, rauchen.
Und wieder von vorne anfangen, die schnaufende Wanderung der Gedanken?
Aber mußte, mußte denn immer gedacht sein? Da draußen, die Rosenknospen dachten nichts. Darum konnten sie duften und würden blühen.
Ein Weib, ein Weib! Was auch Marius sagen mochte. Er hatte gut Cocotten predigen, jede Nacht eine andere, keine zweimal – ja, wenn man erst einmal so weit war wie er! Aber er war noch nicht so weit. Gott sei Dank ... leider. Ein Weib, ein Weib!
Das wäre Friede, das wäre Rast. Das wäre das Glück, das Glück!
Arbeit, so lange die Stimmung floß. Wenn's stockte, flugs den Kasten zugeklappt und mit dem Weibchen hinaus, hinaus, heute ins Grün, morgen zu Tanz, immer ins Vergessen.
Er war manchmal so müde der ewigen Kämpfe und so satt der ewigen Begierden. Er sehnte sich nach einem stillen, freundlichen, bescheidenen Glücke. Auch waren seine Strümpfe meist zerrissen.
Das Glück, das Glück!
Nur das Anfangen, bis es im Geleise rollt; suchen, herumlaufen, Umstände machen, schwanken, sich entscheiden und wieder anders entschließen.
Es war auch zu dumm, daß sie nicht mitgekommen war. Aber acht Tage zu warten, um zu dem Wiedersehen [] zu rennen, das vielleicht sie heute schon vergessen hatte – ja freilich, einen Narren!
Aber schreiben – das überfiel ihn – schreiben wollte er ihr, wie er es versprochen. Einen langen und ausführlichen Brief, der die Stunde bis zum Absynth erschlüge. Einen verrückten Liebesbrief. Ob er's noch konnte? Aber man verlernt das Lügen nicht so leicht.
Es machte ihm Spaß. Er suchte die köstlichsten Beteuerungen und wählte die edelsten Steine der Sprache. Aus diesen setzte er ein so flehentliches Gebet an die Schutzheilige zusammen, von solcher Demut und Inbrunst, daß ihn, als er es überlas, das Weinen ankam vor Rührung und Erbarmen mit sich selber. Das sollte ihm einer nachmachen von den Romanschreibern, die doch dafür bezahlt wurden. Er hatte es großartig los, freilich nur auf dem Papier. Ins Gesicht war er linkisch und verlegen, weil es ihn störte, daß sie nicht stille hielten und ihn nicht in den richtigen Schwung ließen, langsam, allmählich, von einem Satz in den anderen hinüber.
Es war in diesem Briefe viel Schmeichelei und Leidenschaft. Er schilderte, wie sie ihm jetzt erschien, in der Sehnsucht seiner Einsamkeit, das erste freundliche und lockende Bild an diesem mürrischen, verdrießlichen Tage, wie eine himmlische Fee. Und er war, als er sich die Worte noch einmal vorsagte, langsam ihren Feingeschmack kostend, ganz verwundert, daß sie so schön war und er sie so gern hatte, was er jetzt erst bemerkte.
[] IV.
Natürlich ging er hin, den nächsten Sonntag. Die ganze Woche hatte er sich gesträubt. Unsinn, da sie ja doch nicht kam, sicher nicht. Wo würde sie denn kommen – lächerlich, er kannte doch seine Pariserinnen: wenn man ihnen gefällt, machen sie erst keine Geschichten, und acht Tage fasten, wenn schon serviert ist, aus reinem Übermut – ja freilich!
Und sie war nicht einmal seine Nummer. Er konnte sie doch nicht gebrauchen. Sie hatte nichts von seinen pathetischen Weibern.
Aber immerhin – endlich heiratete man sich ja nicht. Warum denn nicht, en attendant mieux! Bis auf die große Leidenschaft, die er nun doch einmal nicht von den Bäumen beuteln konnte, sondern geduldig erwarten mußte. Als Zeitvertreib und Grillenscheuche, den Platz zu halten, daß keiner für seine Krisen bliebe. Und auch – es ist eine alte Erfahrung: wenn man nur erst eine hat, dann kommen die anderen von selber und es angelt sich besser.
Und in der Woche sagte er sich: wie er sich auch entschlösse, er blieb ja immer frei, im letzten Augenblick [] zu thun und zu lassen, wie es ihm gerade belieben würde. Und am Sonntag sagte er sich: wenn er auch hinginge, aus Neugierde bloß, ob sie käme, er blieb ja immer frei, sich im letzten Augenblick noch zu drücken, bevor sie ihn bemerken würde. Und schon auf der Brücke sagte er sich: wenn er auch heute mit ihr schliefe, er blieb ja immer frei, sie morgen wieder heimzuschicken, auf Nimmerwiedersehen, wenn er es genug haben würde.
Es war zwei Stunden lang in Küssen und in Scherzen eine fröhliche Fahrt durch das Wäldchen, bis die Sonne sank, und dann in heiteren Reden und schönen Plänen ein freudiges Diner. Es vergnügte ihn besonders, daß viele Blicke, wie sie durch die Straßen schlenderten, an ihrem Glücke hafteten und ihre Anmut von manchem Neide bemerkt ward. Nur, neun Uhr vorbei, auf einmal das alte Spiel von neulich wieder, mit den nämlichen Entschuldigungen von der Cousine und daß es ihr heute nicht möglich sei, durchaus nicht heute, aber ganz gewiß das nächste Mal.
Jetzt ärgerte er sich aber ernsthaft. Was wollte sie denn eigentlich und wie stellte sie sich denn das überhaupt vor? An der Seine zu spazieren und den Fraß bei Duval zu verschlingen, wenn das alles war – dazu, wahrhaftig, brauchte man nicht erst umständlich und feierlich eine Geliebte!
Er sagte es ihr ganz unverblümt heraus, daß er zu dem Wiedersehen nur gekommen war, um mit ihr zu schlafen, wie sie es neulich versprochen. Wenn er [] ihr nicht gefiel, könnte sie's bleiben lassen. Doch sagte man das dann offen und äffte nicht die Leute an der Nase herum und verdarb ihnen nicht unnütz und boshaft die Zeit – wenn sie auf dem Boulevard Arago draußen wohnen, eine Stunde zu laufen, noch dazu.
So sagte er es ihr ins Gesicht ohne Schonung. Er mochte einmal die »unklaren Verhältnisse« nicht leiden und solche »Spreizerei«, wie seine wienerische Kurzgebundenheit es hieß, war ihm verhaßt. Sie war ganz verdutzt und zerknirscht und hielt das Köpfchen scheu gesenkt, daß der Sturm darüber weg brause, mit einem reuig flehentlichen Blicke vor sich hin, der kaum einmal schief nach der Seite blinzelte, wie ein Kind, das Unfug angestellt hat, und es weiß wohl, daß es Strafe verdient, aber schön wär' es doch, vielleicht noch einmal mit dem bloßen Schrecken davon zu kommen. Nur, trotzdem, blieb sie unabänderlich und fest, daß es unmöglich sei, heute, und es käme ihr selber hart genug an, weshalb er ihr doch verzeihen sollte und nicht noch das Herz schwer machen durch seinen Verdruß. Und sie klammerte sich wieder an die Cousine, die alte Geschichte von neulich noch einmal von vorne, die ihm schon recht langweilig war.
Er war wild, weil er es nicht begriff. Eigentlich hatte er ja gar keine Absicht auf sie, durchaus nicht, als höchstens für eine rasche Nacht, und die Enttäuschung war darum leicht verschmerzt. Aber daß es da ein Rätsel gab, welches er sich nicht erklären konnte,[] ein seinem Verstande verschlossenes Geheimnis, dieses brachte ihn in Aufruhr und Empörung.
Die Geliebte eines anderen? Der würde sich hüten, sie die Sonntage frei zu lassen. Und umgekehrt gerade: dann wäre sie sicher mit ihm, wenn er ihr gefiel, erst recht, und nur Wiedersehen, Zusammenkunft, Briefwechsel hätte sie verweigert. Oder gefiel er ihr nicht? Diese verzwickten Gehirnchen des launischen Geschlechtes hatten schon manchmal verwünscht unverständliche Mucken! Aber warum denn, wenn er nicht ihr Geschmack war, warum war sie denn überhaupt gekammen? Und wahrhaftig, wie sie seine Liebkosungen erwiderte, nein, spröde und abgeneigt war das durchaus nicht. Scheu und Scham? Ach, das zweite Mal auch noch, da man sich doch schon kannte, das ging denn doch übers Maß einer Pariserin! Und dann, in diesem Falle hätte sie sich mit Würde gesträubt und mit Entrüstung ihre Ehrbarkeit beteuert, daß sie nicht »eine solche« sei – man kannte die Tonart ja auch! Aber nein, keine Spur, sondern sie behandelte es wie er als selbstverständlich und natürlich, daß sie mitsammen schliefen. Nur »diesesmal gerade« war es nicht möglich, jedesmal.
Jedesmal: denn ebenso wieder den dritten Sonntag und darauf, als sie ihm erlaubt hatte, sie vom Magazine zu holen und auf dem Heimwege zu begleiten, Abend für Abend, den ganzen Monat hindurch, regelmäßig von neun bis zehn, wiederholte sich unabänderlich, wie nach ewiger, unwandelbarer Vorschrift, aus den nämlichen Anfängen durch den nämlichen[] Verlauf nach dem nämlichen Schlusse die nämliche Geschichte ohne Wechsel, mit der nämlichen Antwort immer auf die nämliche Bitte. Freilich schwor er es sich mit heiligeren Eiden jeden Morgen, unverbrüchlich diesesmal, daß es gestern zum letzten gewesen und jetzt zu Ende sei mit der läppischen Affenkomödie, die ihn verhöhnte, unwiderruflich zu Ende. Aber jeden Abend trotz alledem, wenn er auch um sechs das mannhafte Wort noch einmal feierlich bekräftigte, jeden Abend wieder, wie nur draußen kaum die Nacht die ersten Märchen süß zu flüstern anhub, in grünen Nebel tief vermummt, da scheuchte es ihn hinaus ins Rauschen und Raunen, ein Unwiderstehliches, gegen das alle Wehrkraft vergeblich war, und rastlos lief er in Angst und Hoffnung und lief, wollüstig den blauen Atem schlürfend, welchen die Sterne versandten, und lief, ohne daß er es gewahr ward, bis er sich wieder an der Ecke fand, alle Abende wieder, an der Ecke der St. Eustache unter der ächzenden Laterne, an welcher aus der düsteren Montmartre heraus der rauhe Stoß des Windes brach, dem braunen Schlund der Hallen gegenüber; nämlich, sie arbeitete in der Turbigo.
Es war nicht – sagte er sich – es war nicht Liebe, die ihn verfolgte; Neugierde war's, was ihn jagte. Er kam nicht mit dem küssedurstigen Fieber des Troubadour; er kam mit der zähen Forscherwut des Gelehrten. Dem psychologischen Problem lief er nach, schlaflos, bevor sich die Rechnung nicht aufgelöst hätte – das war es, nicht das thörichte Gänschen.
Er brütete und brütete, und womit er sich auch [] zerstreuen wollte, seine Gedanken waren festgeleimt an dieser Sorge. Es beleidigte seine Eitelkeit, daß etwas geschehen konnte, ohne daß er es begriff. Es machte ihn ganz krank am Ende, sich so schwach und gering zu fühlen, so ohnmächtigen, unwirksamen und wehrlosen Verstandes. Doch blieben dieses Leid, dieser Aufruhr, diese wachsende Begierde innerhalb des Gehirns. Das Herz wurde nicht beteiligt.
Und wie ein Schachspieler mit unnachgiebiger Erbitterung, die sich nicht abschrecken läßt, versuchte er grüblerisch Zug um Zug, unerschöpflich in Listen. Immer wieder, alle Tage und manche Nacht, zergliederte er sein Problem, trennte die Nähte auf, schälte die Haut, wog seine Elemente, maß ihre Verhältnisse, prüfte ihre Triebe, verglich ihre Wirkung, mischte sie anders und anders, überhitzte und erkältete sie, gesellte sie nach allen Methoden, um sie nach allen Methoden zu scheiden, und wenn er sie wieder zusammengefügt, zersetzte er sie von neuem. Und niemals, trotz alledem, wie in empörter Ehre und herausgefordertem Hochmut er auch sann und rang und brütete und sich verbiß und eingrub, mit Grimm bald, bald mit Schmeichelei, niemals, in aller Hoffnung und Wut bis zu mörderischen Launen des Wahnsinns, niemals gelang es.
Ja, er hätte sie bezechen können mit gemischtem Weine – es gab dienstbare Wirte – bis daß ihr Widerstand taumelte und stürzte, und dann im Winkel über sie her; oder wenn sie im Wagen fuhren, hinterrücks auf sie, und mit Knebeln und Zwicken und Kratzen. Oft erwog er diesen Plan, bereitete ihn vor, [] rüstete ihn mit Fleiß, besorgte alle Anstalt, leitete ihn ein. Aber dann immer wieder zuletzt, lahm, schwank, feig – weil es ja nicht ihr Leib, sondern die Seele war, was er begehrte, was sie verwehrte!
Nein, das half ihm nichts, das brachte sein Problem nicht vorwärts. Gewalt, statt zu fördern, konnte nur höchstens verderben. List, List und Witz!
Ah, welche Wollust, wenn sie gesiegt haben würde, welche Wonne, welch jauchzender Triumph! Die bloße Hoffnung schon, alle Tage trotz aller Niederlage mit neuem Mute – welche Wollust, welch bange, bebende, betäubende Wollust schon die bloße Hoffnung! Und nein, sie war, wenn er nur im Verharren nicht strauchelte und nicht wankte im Vertrauen, nein, sie war kein Wahn.
Alle Mittel der Reihe nach: Sinne, Mitleid, Habgier.
Er stürmte auf sie mit taumelnder, fletschender, heulender Brunst. Irres Lallen toller Krämpfe, Röcheln aus geschnürter Kehle, und sein Atem sengte. Was in heißen Nächten oft, wenn er sich wälzte, an schaurigem Spuk das Fieber der Begierde aus ihm brütete, was an schwarzen Dämpfen aus seiner kochenden Geilheit tauchte, und die wilde Unzucht verirrter Dichtungen, die ihn beschwichtigen sollten, braute und verschmolz er zu einem brennenden Gifte, daß es ihr die Kraft auszehre und die Adern verpeste. Aber sie, wenn er sie so mit wahnsinniger Leidenschaft anfiel, lächelte nur hell und, indem sie mit weichen Fingern seine feuchte Hand streichelte, sagte sie nur leise: »Aber ich auch, ich liebe Dich ja auch.«
[] Er drohte Selbstmord. Er weinte in stoßendem Schluchzen wie ein Kind, dem Laune versagt wird. Er raufte sich das Haar. Ob sie denn das wirklich wollte, daß er verzweifelte, verdürbe, stürbe? Aber sie blieb nur immer bei dem beschworenen Troste: »Das nächste Mal, ganz gewiß, das nächste Mal!«
Er gelobte ihr Berge und Wunder. In ein Märchen würde er sie bringen, in dem ihr Wunsch Gesetz und Kaiserin ihre Laune, in einen blühenden Hymnus üppiger Wonnen. Schon nahte er sich dem Ruhme und dem Reichtum; dann badete er sie in Gold und in diamantene Vließe, von Rosen und Vergißmeinnicht gebrämt, welche Rubine und Saphire wären, wollte er sie kleiden und auf dem hohen italischen Schlosse, weit über die schimmernde Loire hinaus, von der die Sehnsucht alter Rüstern winkend zu ihr herüber grüßte, dienten in wetteifernder Priesterschaft ihrer Schönheit aus allen Völkern die schönsten Sklavinnen dann, knisternde vom Süd und nordisch bleiche, daß unten die stampfenden Hengste selbst in demütiger Liebe ihre Wildheit verlernten.
In diesem Stile – Schwur auf Schwur, immer toller. Er begehrte sie nicht zu eiliger Umarmung, in einer vergänglichen Laune. Sie wollten sich nimmermehr trennen, das ganze Leben! Ewig umschlungen, ewig, er konnte ja nicht sein ohne sie! Aber, obwohl ihr dieses alles sehr gut gefiel, beharrte sie doch: »Nur heute, weißt Du, geht's wirklich nicht ... Nämlich, hör' zu: Die Cousine ...« Ah, er hätte sie erwürgen mögen, die vermaledeite Cousine!
[] Und wenigstens – flehentlich, da er am Erfolge verzweifelte, beschwor er sie darum – wenigstens den Grund sollte sie ihm sagen, daß er es begreifen könnte. Wenigstens den Grund – er war ja mit jedem zufrieden und fand sich willig in alles. Aber den Grund, daß er sich die Zweifel und Skrupel erledigen könnte, die fraßen.
Warum? Warum?
Aber sie bat ihn nur sanft, daß er sich nur ein ganz klein wenig noch gedulde und sie ein bißchen lieb behalte, einstweilen; dann würde alles bald ganz sicher noch sehr gut, ganz gewiß das nächste Mal. Anderes war nicht aus ihr zu bringen. Und dann wußte sie wieder, daß er oft den Harm vergaß und fröhlich lauschte, so allerliebst zu plaudern, von ihren kleinen, aber wichtigen Sorgen, den Abenteuern im Geschäfte und mancher bedenklichen Geschichte, wie sie den Mädchen in der großen Stadt begegnen, wenn sie jung und schön und lustig sind, und wußte zum Abschied kundige Küsse, die verhießen.
Dies währte durch den ganzen Monat bis in die letzte Woche.
[] V.
Als aber die letzte Woche um war, an ihrem letzten Tage, da geschah etwas. Da ereignete es sich, daß er sie vergeblich erwartete, an der Ecke, unter der schiefen Laterne, im Winde. Sie kam nicht, und auch nicht den anderen, noch den dritten Tag.
Da, an dieser namenlosen Angst, ob sie krank oder untreu, und wie dieser vulkanische Brief aus seiner zerrissenen Seele ausbrach, da ward er es gewahr, daß es nicht um das Problem, sondern daß es Liebe war. Es kam aber keine Antwort auf den Brief. In ihrem Magazine wußten sie nichts: »Das Fräulein ist nicht mehr bei uns.«
Am vierten Tage in der zehnten Morgenstunde, als er im Bette sich mit wüsten Träumen schlug, klopfte es ganz leise wie ein verschämter Bettler oder ein Modell, das Arbeit sucht, an seiner Thüre, und dann noch einmal, und nachdem er unwirsch seinen grunzenden Ruf wiederholt hatte, bereits zu grober Abfertigung bereit, da nach einer Weile trat sie herein, trippelte an sein Bett, indem ihr verwunderter Blick neugierig über den Wirrwarr verschlissener Bibelots [] stolperte, und nachdem sie ihn herzhaft geküßt, setzte sie sich an den Rand und sagte, ein wenig ängstlich und niedergeschlagen: »Nämlich, ich bin von der Cousine fort, weil ich ohne Dich nicht leben kann ... das war das Gescheiteste ... seit Samstag.«
Da heulte er auf wie ein hungriges Raubtier, endlich über der Beute, und riß sie an sich und warf sich auf sie und wälzte sich mit ihr, jauchzend in kurzen, schrillen, heiseren Pfiffen, und verwundete sie mit bissigen Küssen am ganzen Leibe, als wollte er sie zerfleischen.
Sie aber entwand sich. Denn sie hatte den neuen Hut aus schwarzen Spitzen und mit Rosen und Anemonen in einem leichten Zweige rückwärts hinunter, sehr zerdrücklich und zerbrechlich. Und vor dem Spiegel, indem sie sich glättete und aufsteckte: »Du hast immer aufs Land wollen ... und schau nur, heute die Sonne!«
Er ermannte sich und ließ sie. Er überlegte, daß er nur ja nichts an dem Glücke verdürbe, das endlich gekommen. Es galt jetzt, sein Talent fürs Glück beweisen, indem er es nicht in groben Brocken mit Hast verschlang, sondern seine süßen Beeren über den Gaumen, langsam und mit Bedacht und in alle Poren spülte, neidisch um jeden Tropfen, kein Stäubchen von seinem vollen Feingeschmacke zu verlieren. Er wollte planmäßig und mit einer »systematischen Kultur« des Glückes verfahren, üppige Frucht zu ernten. Er wollte es sich vorstellen, den ganzen Tag, den ganzen langsamen Sommertag vorstellen und das [] ganze Bewußtsein ausfüllen mit recht deutlichen Begriffen.
Sie nahmen den Wagen nach Sèvres, weil's, sagen die Maler, dort am lieblichsten lenzt. Die kerzengerade Straße, wo einst die Fischweiber zogen; an den jungen Ahornen, so knospenfroh und blütengierig wie ihr Glück. Und dann die graue und traurige Wüste, in Armut, der Raffaëlischen Gestalten. Nur manchmal, jäh, der schrille Allarm der heiseren Warnpfeife, sonst löste sich aus dem ewigen schwarzen Seufzer der Räder und der Schienen kein Ton. Aber plötzlich, die Stadt versunken, vom Hügel herunter sangen die Lerchen.
Und sie schrie, wie sie unter die Blüten gingen, die weißen Blüten – aber da sie die holdere Schwester grüßten, deswegen, sagte er, erröteten sie vor Freude – sie schrie aus unbändigem Jubel empor, weil es Ranunkel und Gänseblümchen gab. Und er mußte es ihr alles erklären, was das war, und neugierig neigte sie sich über jeden Kelch und schmeichelte jedem Halm und koste die Gräser und pries alle Wunder dieser neuen Welt. Und dieses alles wuchs, ganz still und einsam und ganz von selbst, so prächtig und unsäglich süß, schöner als selbst Theater, wie von einer guten Fee, und obendrein noch ganz umsonst, und man wußte gar nichts davon, aus keiner Zeitung, und sterben hätte man können, ohne es je, jemals zu schauen!
Sie wandelten in Küssen. Er zeigte ihr das Moos und zeigte ihr den Tau und alles Köstliche. [] Und dann wieder zwischen den Zweigen durch sahen sie nach dem besonnten Strom. Es war ihr wie im Traum. Und dieses alles, alles das gehörte jedem, wer nur kam, wer nur wollte – jeder, alle Tage, konnte es haben, so viel Glück!
Sie setzten sich auf den Stein, ganz allein, vor dem Teiche, der wie ein junger Mond im Rasen lag, und sie schauten nach dem toten Schlosse. Aber Strauch in hellen Keimen stieg aus den schwarzen Trümmern, und in zerbröckeltem Gesimse huschten Schwalben. Kastanien träumten im leisen Winde, die Zipfel der grünen Kappen tief hereingezogen.
Da erzählte sie es ihm, wie es gekommen war. Die Cousine hatte seine Briefe gefunden und seine Photographie. Also natürlich Tra-Tra durch das ganze Haus, und daß sie ein schlechtes Mädchen sei und noch dazu mit einem Ausländer. Und als es ihr zu dumm wurde, hatte sie es ihr kurz erklärt, daß sie ihn liebe, basta. Weil sie aber noch immer keine Ruhe gab und nicht aufhörte, ihr die Ohren abzutrommeln, da hatte sie ihr Bündel gemacht und war davon. Erst wollte sie nur gleich zu ihm laufen, aber dann auf dem Wege war Scham gekommen, was er sich denn denken würde, und so nahm sie sich denn lieber ein kleines Zimmer, Rue de la Harpe, und den nächsten Tag war sie bis auf den Arago und lange herum, ob sie ihm nicht vielleicht begegne, aber dann doch wieder zurück, aber die letzte Nacht hatte sie elend geschlafen und sich gefürchtet, in dem fremden Hause ganz allein, und nur immer an ihn gedacht, bis sie es [] nicht mehr aushielt – er brauche sie aber nicht zu behalten, weil sie eine eigene Wohnung hätte, und wenn sie auch in der Turbigo nicht mehr arbeiten könnte bei der Freundin der Cousine, sie würde sich schon was anderes finden, hinlänglich erfahren im Commerce.
Er warf gegen den Atem des Abends den Mantel über sie, und sie hüllten sich eines in das andere und verwuchsen Leib in Leib. Er hatte den Arm um ihren Nacken und fühlte die warmen Knospen ihrer Brust. Und was sie sagte, jedes Wort klang ihm wie himmlische Musik von frohen Engeln, und er war sehr verwundert, es zum ersten Male zu gewahren, was der Frühling ist. Auf dem Steine hätte er bleiben mögen und sterben. An das Problem, wunderbar, dachte er gar nicht mehr.
Langsam dann, ganz langsam, nach dem Mahle in dem Gärtchen am Strome – zwischen Knospen, und eine Nachtigall schlug – langsam die Seine hinauf kehrten sie heim, durch die bunten Flammen der Ausstellung. Es war viel schöner noch, als er sich es erwartet hatte. Langsam schritten sie den Boulevard nach der Wohnung.
Er entzündete das Licht, sie band die Blumen zu einem großen Strauß und gab ihnen Wasser. Er rauchte noch eins, während sie sich entkleidete, und trank den Atem der Blüten und ihres Fleisches. Sie redeten kein Wort, sondern leise nur summte sie vor dem Spiegel, indem sie sich die Flechten löste, eine alte auvergnatische Weise. Dann, als wären sie es [] lange gewohnt, gingen sie zu Bett. Und das war mit einem jähen Überfall von Schreck und fast Entsetzen, wie er es gewahrte, daß er eine Jungfrau umarmt hatte.
Und stotternd und stammelnd, wirr und bestürzt, indem er sich in den Knieen aufrichtete: »Ja, Du ... wie denn ... Davon hast Du ja gar nichts gesagt ... ist es denn ... kann es denn wirklich ...?«
Sie setzte sich auf, indem sie das Hemd wieder knüpfte, und starren, weit hinausgestielten Blickes, wie um Hilfe vor einer unglaublichen Gefahr, und mit zuckenden Lippen: »Für eine solche hast Du mich genommen!« Und sie drehte sich nach der Wand und weinte, weinte bitterlich. Aber bald erbarmte sich der Schlaf.
Er aber, in Aufruhr und Fieber, fand keinen Frieden. Er warf und wälzte sich und wendete die schwülen Kissen. Ihm brannte der Schlund.
Er sprang heraus, gierig um Wasser, und schlürfte und netzte sich die Augen und tauchte unter ins Becken, und in einem großen Meere hätte er schwimmen mögen, daß nur dieser lechzende, würgende Durst gekühlt würde. Und dann die Vorhänge zu, sie nicht zu wecken, und Licht gemacht, wanderte er und wanderte atemlos, und über Berge hätte er wandern mögen, steil ins Eis, daß er nur irgendwo sich entliefe. Und er fragte sich, was denn das wäre.
Ja, das war das Glück, aus dem Verstande ließ es sich beweisen. Es war das Glück, das große Glück. Er hatte nur noch nicht die Gewohnheit.
[] Es konnte ganz gewiß nichts anderes sein als das Glück. Nur seltsam freilich war es, sehr verwunderlich, wie er es empfand. Er hatte sich das Gefühl eigentlich anders gedacht, wenn es endlich käme, das große Glück.
Nämlich weil es so jäh und botenlos gekommen war – ja, offenbar deshalb! Wenn er sich hätte vorbereiten und rüsten können, es zu empfangen – aber wie mochte er das auch denken! Ganz außer dem Programm, unvermutet auf einmal war es da.
Er stellte es sich in kräftigen Gründen eindringlich vor, wie glücklich er zu sein hätte. Er machte sich darauf aufmerksam, was dieses bedeutete, jungfräulichen Leib und jungfräuliches Herz gewonnen zu haben, und führte es sich zu Gemüte, von welchem Umfang und von welchem Inhalt dieser seltene Genuß war, der die Sinne und die Sehnsucht und auch zugleich die Eitelkeit befriedigen konnte. So, durch deutliche Begriffe, verbesserte er sein Gefühl.
So stimmte er sich. Dann, gewissenhaft, Punkt für Punkt, wiederholte er im Geiste die erste Liebe, die sie ihm gewährt hatte. Und jetzt, wie er es jetzt empfand, war es schon sehr schön und angenehm.
Draußen graute der Morgen, und die Bäume schüttelten sich. Leise schlug er den Vorhang zurück. Sie atmete sanft. Er kniete nieder, und inbrünstig küßte er die rosige Sohle ihres Fußes, der aus der Decke sah. Und so in der Haltung des Betenden entschlief er.
[] VI.
Er erzählt gern, unter den Freunden, wenn vom Weibe verhandelt wird, mit Schmähung meist und sehr verächtlich – dann erzählte er seitdem immer wieder den »Fall Fifi« als einen beweiskräftigen für die Gewalt der Liebe: wie sie sich ihm, nur einmal deutlich ihres Dranges, schlicht und einfältig hingegeben, ohne erkünstelte Scham, ohne falsche Zier, ohne marktschreierisch erst ihren Wert anzukündigen, in einem ganzen, vollen und echten Gefühl; so, bei aller natürlichen Verworfenheit, vermag die Frau reines und selbstloses Opfer, wenn sie nur liebt; aber dieses freilich ist wenigen Männern gegeben, Leidenschaft zu wecken, weil dazu eine besondere, große und kühne Natur gehört, und dann statt ihre eigene Ohnmacht und Erbärmlichkeit klagen sie die armen Dinger an, die doch ganz unschuldig sind, im Grunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Den hätte sie gut zugerichtet, vor vier Wochen, damals, als sie ihn kennen lernte, – aber schon gehörig mit Hohn und Entrüstung, wenn es ihr einer voraussagte. Eine von diesen werden, verloren und [] verächtlich – nicht für ein Schloß! Nein, darin verstand sie keinen Spaß. Heiraten – anders gab's mit ihr kein Geschäft. Da mochte sich einer auf den Kopf stellen, noch so schön.
Durchaus nicht. Liebe? Ja, und dann sitzt eine da mit der Schande auf dem Buckel und vielleicht gar einem Bankert noch obendrein, womöglich.
Nein, nein – verlorene Mühe. Durchaus nicht.
Und schon gar nicht – wie einer nur so dumm sein konnte, sich das einzubilden! – So einen Maler ... auf welche gar kein Verlaß ist, bekanntlich ... und dermaßen verdreht ... und ein Ausländer auch noch. Das hätte schon ein ganz anderer Prinz sein müssen, der sie versuchen konnte – wie man's in den Märchen liest, was Feines. Aber dieses schlottrige Gestell – und wie er erst angezogen war, schauderhaft, aus aller Mode, Faschingsdienstag.
Und auch dieses, man sah es gleich: überhaupt kein ernsthafter Mensch. Er war so furchtbar komisch – was er oft für Meinungen hatte, und auch sein Accent und halt überhaupt das Ganze und wenn er gar erst mit dem Zärtlichen anfing – na, wenn sie da unten alle so waren, da unten an der Donau, bei Rußland –. Aber es mochte wohl noch ein sehr wildes Land sein.
Nein, mit ihm hatte es keine Gefahr. Das wenigstens war sicher.
Und gerade deshalb.
Gerade deshalb gab sie ihm Antwort, gab ihm Wiedersehen, Woche um Woche, Tag für Tag. Gar [] keine Gefahr und so viel Vergnügen. Denn wenn er keiner zum Heiraten war, zur Unterhaltung, dafür, ja, war er ganz vorzüglich.
Und sauer genug, wahrhaftig, durch vierzehn Stunden alle Tage, atemlos in den Nebel hinaus, kaum noch die Röcke eilig gebunden, daß es nur gerade über die Straße hielt, und die Schuhe richtig zu knöpfen war schon gar nicht zu denken, sondern nur den ersten und den letzten und einen in der Mitte, und das Frühstück noch kaum hinunter geschlungen und nur gelaufen, mit dieser diebischen Angst, denn vom Lohne fraß jede Verspätung, und dann ohne Rast die Leitern hinauf und hinab, tausendmal, zwischen den Kisten und Kasten, im Staube, und immer gehorsam und demütig und dankbar immer, als wär's noch weiß Gott welche Gnade, sich so schinden zu dürfen für diese dreißig Hungerfranken, und kein Mensch fragte, ob man auch heute g'rad' aufgelegt war, und jetzt einem Handschuhe anpassen, der die Finger nicht spreizen will, und der andere suchte zwei Stunden die schönste Krawatte und am Ende war sie zu teuer, und alle machten das dümmste Gesicht und keinem sollte man's sagen – ah, redlich genug, wahrhaftig, und manchmal wollte es schon gar nicht mehr Abend werden und gar nimmer neune schlagen, redlich und sauer genug, mein lieber Gott, verdiente sich das bißchen Vergnügen, das Plaudern und das Lachen die Viertelstunde am Abend.
Lachen, ja. Wenn sie nicht lachte, lebte sie nicht. Sonst hatte man ja nichts. Darin badete sie Verdruß[] und Kummer weg. Es kam ihr gleich das Weinen an, wenn sie nicht lachen durfte.
Lachen, lachen – und das war mit ihm in tausend immer neuen Neckereien ein Lachen ohne Ende, unermüdlich, unerschöpflich, aus dem Zwerchfell und bis zu Thränen. Komischeren Menschen konnte man sich nicht denken, so pudelnärrisch und verwurstelt, mit seinen Einfällen und Geschichten. Und wenn er gar erst die ernste Note schlug, dann wollte sie platzen, wenn er den Feierlichen und Großartigen machte.
Und das war es, was sie brauchte, so etwas.
Sonst lieber gleich in die Seine.
Wirklich, manchmal dachte sie es ernstlich. Die Cousine trieb's zu arg, das Scheusal.
Nämlich gerade solche boshafte Sachen. Ohne Sinn, nur einen zu quälen und mutwillig jede Laune zu verderben, ganz überflüssig, als ob es nicht ohnedies schon notwendigen Verdruß genug gäbe, unvermeidlichen. Und nur immer an einem herumgepenzt, mit Lehre und Vorschrift, bis man ganz dumm wurde davon, und nichts war recht und das Keifen rastete niemals. Und »ein wohlerzogenes Mädchen läßt den Kamm nicht auf dem Kamin, alle Haare daran« – als ob das jemandem was geschadet hätte, die paar Goldfäden! – und »ein wohlerzogenes Mädchen wirft nicht Mantel und Hut aufs Bett und den nassen Schirm über den Tisch, daß ein ganzer See davon wird« – wär' sie nur einmal drin ersoffen! – und sicher, wie einen was vergnügte, was es nur sein mochte, gleich, ganz gewiß, »schickte sich das nicht« [] und lauter solche Dummheiten, die keinen was angingen, da man doch in der Republik war, wo jeder thut, was ihn freut; und »wohlerzogen«, das ist recht schön, wenn man Geld genug und sonst nichts zu thun hat, da kann man sich die Zeit damit vertreiben.
Und nur ja keine Freude jemals, als wäre das gleich das schlimmste Verbrechen, einmal heiter und froh zu sein, mit Springen und mit Tanzen. Das reine Kloster – aber da faulenzen sie sich wenigstens gehörig aus. Und nur arbeiten, arbeiten immerfort wie ein Karrenhund und nichts als arbeiten ohne Hoffnung, als ob man dazu allein nur auf der Welt wäre.
Und da weinte sie manchmal aus Mitleid mit sich selber, in der Nacht, wenn sie jäh erwachte, weil es ihr einfiel, daß sie doch eigentlich gar nichts hatte vom Leben und recht zu bedauern war. Und immer gleich sollte das so fort gehen, Tag für Tag, ein Jahr wie das andere, bis ihre ganze Jugend verpaßt wäre, und sie wußte sich gar keine Hilfe – denn wo heiratet denn heute einer noch ein armes Mädchen!
Oh, ihr Gewissen war in schönster Ordnung. Besseres fand man nicht leicht. Sie wußte ganz genau die Grenze, die das gute Recht von unerlaubten Launen scheidet. Da brauchte man keine Angst zu haben. Wenn ihr nicht gerade die Cousine die Ohren anbimmelte wie eine Roßfliege, daß ihr der Verstand scheu ausriß vor lauter Verdruß und sie am liebsten nur gleich dreinhauen wollte. Dann freilich stand sie für nichts – da war alles möglich.
[] Sie wollte sicher nichts Schlechtes. Ah, wenn sie Schlechtes gewollt hätte, daran fehlt's einem wahrhaftig nicht in der großen Stadt, wenn man jung und hübsch, und dann ist auf einmal gleich alles da, Geld und Glück und was man sich nur wünscht, man braucht sich's nur zu wählen – wenn man schlecht sein wollte. Da hat man's wahrhaftig nicht nötig, sich vierzehn Stunden Arbeit lang zu rackern, sondern ein kleines Hotel und vierspännig mit einem Mohren und Spargel das ganze Jahr, sogar im Winter.
Aber nein! Lieber gestorben. Keinem mehr ehrlich ins Auge schauen können, denn das merkt sich ja doch gleich; und freilich, das ist schon wahr, freilich stehen sie im Gil Blas, hochberühmt und wunderschön beschrieben, unter lauter Gräfinnen, aber die Polizei geniert das gar nicht; und zuletzt – man war doch nicht von heute, sondern vieles lernte sich im Magazin – das schmutzige Krankenhaus, zerfressene Nase und den Gaumen ganz verfault.
Niemals, niemals!
Nein, sie hörte nicht auf die Versuchung. Sie blieb brav. Sie hielt was auf sich.
Sie fuhr fort zu arbeiten, bescheiden und geduldig, immer ergeben, ohne Murren, bis in die Nacht, im schwülen Gase, das Schwindel gab, bis ihr die Kniee brachen, bis ihr die Kehle erstickte, bis sie das Fieber warf.
Brav bleiben – ja, das wollte sie. Wenn es auch manchmal hart ankommt, es ist doch das gescheiteste zuletzt. Brav bleiben, mutig und zähe. Nicht [] nachgeben, wenn man manchmal auch alles hinwerfen möchte. Es geht schon wieder vorüber. Und sie sind auch gar zu schauderhaft häßlich, glatzköpfig und alt meistens, die einem das Aushalten antragen – nein, brav bleiben, arbeiten, hoffen.
Aber wenn sie ihre Pflicht that, dann, dafür, verlangte sie auch ihr Recht und das ließ sie sich nimmermehr einreden, daß die einen nur immer sich rackern sollten und die anderen nur immer sich vergnügen. Schöne Gerechtigkeit! Man war doch endlich sozusagen auch ein Mensch, und rechtschaffenes Fest nach rechtschaffener Arbeit, das war nur billig.
Soll sie brummen, die Cousine.
Aufs Jahr war sie ohnedies einundzwanzig. Dann – empfehle ich mich ergebenst!
Aufs Jahr, aufs Jahr!
Durchbrennen – manchmal dachte sie daran – hätte sie freilich auch schon können. Wer findet einen denn in der großen Stadt und überanstrengt hätte sie sich mit dem Suchen ohnedies nicht. Aber nur, das war es, dann mußte sie aus ihrem Platz weg und wie, bis sie einen neuen fände, ja wovon einstweilen sollte sie leben?
Ja, das war es. Das überfiel sie, auf diesen hastigen Wanderungen, wenn der Zorn sie hinaus jagte, nachts, mit Verwünschungen, ohne Ziel, wie die Zigeunerinnen laufen, wenn das Blut in ihnen ruft, nur vorwärts, blind vorwärts, nimmermehr zurück, durch das enge und schwarze Gegasse der alten Stadt, zwischen gierigen Blicken und schmutzigen Anträgen [] und lüsternen Griffen, von den Händlerinnen verfolgt und von den Zuhältern bedroht – diese entsetzliche Angst des Hungers und der Schande fiel über sie, drosselte ihr die Kehle und schleifte sie wieder zurück, immer wieder, trotz allen Schwüren, immer wieder zurück in den nadeligen Hohn der Cousine. Ah, das verfluchte Geld, das verfluchte Geld!
Bleiben, ausharren. Mit verbissenen Zähnen. Aufs Jahr, aufs Jahr!
Aber gefallen ließ sie sich nichts mehr, nichts mehr dreinreden. Mochte sie belfern! Zum einen Ohr hinein und zum andern wieder hinaus – und sie that, was ihr gefiel, und wenn sich vor Kummer und Schmerz alle Cousinen der Welt erhängten. Punktum!
Ihr Recht ließ sie sich einmal nicht verkümmern, das giebt's nicht – man wäre schön dumm. Und es war ihr Recht und nichts als ihr Recht, was sie begehrte: das bißchen, das lächerlich bißchen Vergnügen. Und sie würde es schon durchsetzen, das wollte sie doch sehen, wenn sie nur zähe und unnachgiebig und unerbittlich blieb. Sie würde sich die Cousine schon erziehen, warte nur, mit der Zeit – sind ganz andere schon mürbe geworden. Durch Zank und Fehde, wenn's nicht anders ging – man mußte ihr nur die Haare auf den Zähnen zeigen. Mit dem Gutmütigen kommt man nicht durch heutzutage.
Kampf, hartnäckig und unverdrossen, heimlichen, meuchlerischen, listig schleichenden Kampf, alle Tage, vom Morgen zum Abend, Kampf um die Freude!
[] Aber es dauerte nicht lange, da ward ihr der Kampf selbst eine Freude, unverhofft und von seltsamem Reize aller Sinne, aller Nerven, und gierig, wie einen herben tropischen Geruch, schmeckte sie die Wollust, wehe zu thun und Wunden zu stechen, mit tückischen, verstohlenen Griffen, hinterrücks, während die Lippen Freundschaft grinsten.
Und sie fing an – ah, sie kannte ja die Cousine, »als ob sie sie gemacht hätte« – mit dickem Blaustift große, breite Ringe in die Augenlieder zu kreisen, weil die Cousine das »schauderhaft Cocotte« fand.
Und sie fing an, jedem Zudringlichen Neigung zu heucheln und einen Liebesbrief abzubetteln, weil vor diesen gewaltsamen und ungestümen Männerschriften, welche die Begierde aufblies, die Cousine bei jeder neuen Post vor Klage und Verdruß ganz aus dem Häuschen kam.
Und sie fing an, unschuldig von Miene wie ein herziges Lämmchen, indem sie die Äuglein ganz winzig kniff, in den abscheulichsten Worten, wie sie sie unter den Packträgern des Magazins zusammenkehrte, von den abscheulichsten Dingen zu schwatzen, vor denen sie selber lieber gleich davongelaufen wäre, als von etwas Natürlichem und Selbstverständlichem, wie schon das Leben einmal ist, und ganz verwundert, daß eines so altmodisch sein könnte, sich daran zu stoßen – nur die Cousine zu erbosen, zu verbittern, zu empören.
Sie sollte es nur auch einmal sehen, wie das ist.
Und wie sie das prickelte, kalt und warm zugleich, vom Nacken hinunter über den ganzen Leib, wenn sie [] dann endlich aufklappte wie ein Federmesser, vor Wut, die dürre Cousine, als wollte sie ihr ins Gesicht springen und gleich die Nase wegbeißen! Sie sollte es nur probieren! Dann konnte sie sich aber ihre Perrücke suchen, drei Wochen lang, und in allen Winkeln die Fetzen zusammenklauben!
Zwicken, stechen, kratzen – warte nur, Du sollst es schon spüren.
Bis sie ihr auf einmal wieder, in einem plötzlichen Anfall von Schreck und Mitleid, um Verzeihung an den Hals flog, mit zerknirschter Reue und in heißen Thränen, heiligen Eiden, daß sie es gewiß nimmer thun werde; besonders wenn draußen schönes Wetter war: denn sie konnte niemandem böse sein, wenn die Sonne schien.
Ah, wenn sie ihr da ein gutes Wort gegeben hätte, ein einziges gutes Wort einmal, Liebe und Trost! Man hätte so schön und angenehm zusammen leben können, wenn man sich vertrug und eines dem anderen half, das Böse zu vergessen und hie und da ein bißchen Freude zu genießen! Und da hätte man sich abends am Kamine zusammengesetzt, ganz dicht, und freundliche Geschichten erzählt, während die Lampe schnurrte, und sich an den Maßliebchen die Zukunft ausgezupft, ob sie einen nicht doch vielleicht ein ganz klein wenig gern haben würde, später einmal.
Ein einziges versöhnliches Wort einmal – sie lechzte mit fieberischem Durste. Ein einziges versöhnliches Wort – und alles war vergessen und vergeben und alles wurde noch gut. Sie wollte ja gewiß brav [] und folgsam sein und nimmermehr aufmucken, wenn gleich Verdrießliches geschah, weil man's halt einmal tragen muß.
Sie war doch nur deswegen so boshaft, manchmal ruppig und zänkisch, weil sie lieber lustig gewesen wäre.
Aber nein, wie sie auch flehte und rang, kein Wort jemals, keine leise Silbe der Liebe!
Freilich, zuletzt, aus manchen Zeichen konnte sie es spüren: im Grunde liebte die Cousine sie trotz alledem. Aber davon hat man nichts, wenn's einem nicht gesagt wird. Das braucht man, daß es einem fleißig wiederholt wird, in kräftigen Versicherungen. Ohne das kann man nicht leben. So eine geheime Liebe, die sich versteckt, die heißt gar nichts.
Und wenn man Liebe und Freude daheim nicht fand, dann natürlich, suchte man sie eben draußen, ganz einfach. Die Schande war doch auch zu groß, daß sie noch niemals auf der Seine gefahren und auf die Julisäule gestiegen war; man durfte es ja gar niemandem sagen. Sondern immer nur in diesen dummen Jardin d'Acclimatation, an ihrem Geburtstage, alle Jahr; aber von dem bißchen Kameel wird man auch nicht fett.
Und damit hatte es angefangen, mit dem Trotz gegen die Cousine und mit der Begierde nach der Freude, daß sie ihm Ja sagte und zum Wiedersehen kam. Sie hatte einen sehr schlauen Plan: sie wollte es ihm von einem Mal auf das andere versprechen, und so, ohne sich herzugeben, konnte sie viel Vergnügen[] von ihm gewinnen. Bis er es endlich überdrüssig, na, dann mußte sie sich halt um einen anderen umsehen.
Damit hatte es angefangen, und sie wiederholte es sich alle Tage, daß solche ehrbare Freude gewiß nichts Schlechtes, sondern erlaubt war, nützlich sogar für die Arbeit, welche ihr ganz anders von der Hand lief, wenn liebliche Hoffnungen sie begleiteten. Das war man sich schuldig, sich nicht ganz zu versauern, sondern etwas zu thun für seine Jugend. Und das ging keinen Menschen was an, keinen auf der ganzen Welt, am wenigsten eine Cousine, was ohnedies nur so eine Verwandtschaft zum Du-Sagen ist und zu nichts weiter.
Damit hatte es angefangen, und sie war ganz sicher, daß es bei diesem Anfang bliebe, erstens weil sie Grundsätze hatte und zweitens weil sie heiraten wollte, um selber ein kleines Geschäft aufzuthun, und drittens weil sie ihn ja gar nicht liebte.
Zuerst, da lachte sie ja überhaupt bloß, wie er nur so närrisch sein konnte, ihr das zuzumuten; später, manchmal, in einsamer Kammer, wenn das Licht gelöscht und sie unter die kalte Decke geschlüpft war, in holder Erinnerung, wie schmeichlerisch und buhlerisch er ihr zugeredet hatte, da prüfte sie sich ernsthaft, ob es sich nicht vielleicht doch machen ließe, ihn zu lieben, weil er ihr leid that und sie sich schämte, sein Vertrauen zu betrügen. Wenn er auch freilich nicht schön war – aber was kauft man sich denn eigentlich für die Schönheit? – war er doch sicher herzensgut und [] mußte sie wohl recht gern haben: denn jedesmal brachte er Rosen, die wunderschönsten Rosen, große gelbe zumal, die gar nimmer verwelkten – und der Cousine stiegen sie in die Nase, daß sie bersten wollte vor Argwohn – und einmal, als sie sich versteckte unter den Hallen, neugierig, was er begänne, da hatte er zwei Stunden gewartet, geduldig, an der Laterne, der Wind blies, zwei volle Stunden, und war nur ganz selig und dankbar, ohne Vorwurf, daß sie am Ende überhaupt kam. Ja, gut war er schon – wenn er nur nicht so komisch gewesen wäre, gar so drollig verwutzelt! Man konnte doch gar keinen Respekt vor ihm haben. Und das gehört dazu.
Nein, sagte sie sich dann immer wieder, es ging mit dem besten Willen nicht. Und was sollte dabei auch herauskommen?
Schön mußte es freilich sein, sehr schön, jemanden zu haben, der einen liebte und dem man's erwiderte. Es war vielleicht zuletzt ganz gleich, mit wem, wenn man überhaupt liebte. Sie hatte eine große Sehnsucht, gegen irgendwen recht gut zu sein – und mit den anderen konnte man es ja nicht, weil sie es nicht verdienten.
Verdient hätte er es, ganz gewiß, das sah man schon ... aber wenn er nur wenigstens kein Ausländer wäre! Das in den Zeitungen, das war ja übertrieben ... sie waren auch Menschen, und Österreich, hatte er ihr gesagt, ist weit von den Deutschen. Aber Liebe, Liebe mit einem Fremden – nein, das konnte sie sich nimmermehr vorstellen, sie wußte selbst [] nicht, warum, und es däuchte ihr Verrat, sie wußte selbst nicht, woran.
Sie war wirklich ein armes Hascherl. Gerade der eine, nachdem sie ihn endlich gefunden, mit dem war's auch wieder nichts.
Und da zog sie endlich das Linnen über die Nase und kroch tief in die Kissen und schloß die Augen recht fest zu, nur zu vergessen, nimmermehr daran zu denken, einzuschlafen. Was brauchte sie ihn denn auch gleich zu lieben? Ein bißchen gern konnte sie ihn ja haben – und das vergnügte sie und das ärgerte die Cousine.
Aber da that die Cousine den Staatsstreich.
Es war ja wahrhaftig mit dem Mädel nicht mehr auszuhalten; so boshaft hatte sie's doch noch niemals zuvor getrieben. Offenbar hetzte sie wer auf; eine Liebschaft sicherlich steckte dahinter, die ihr den Verstand ausdrehte. Und die Ängstliche, welche nur um jeden Preis den Wildfang in eine sichere Ehe steuern wollte, bevor's zu spät und ein Unglück geschehen war, sann und sann, wie sie wohl wieder in Ordnung zu bringen wäre; aber natürlich, solange sie nicht wüßte, was eigentlich –
Also den Koffer auf, den sie neuestens gar mit verdächtigem Fleiße versperrte – das Einfachste. Zunächst seine Briefe, eine ganze Sammlung von allen Formen und Größen, auf Waschzetteln, alten Rechnungen, Visitkarten, eigenen und fremden, oder auch im Cafe hingeschmiert, wie der Stempel im Papier bewies, mit Absinthflecken oder Brandlöchern der [] Cigarette, in einem wilden, fieberischen, tropischen Stil, der nichts mit dem gebräuchlichen Namen in der üblichen Wendung hieß, sondern sich um unerhörte, dunkle, seltsame Wortneuerungen in sonderbarer und gewaltsamer Fügung peinigte, von ungestümer, zügelloser, trotziger Begehrlichkeit, die sich nicht genug thun konnte, die alles heraussagte und noch etwas mehr, die schnaubte und raste, mit einer lechzenden und schwindsüchtigen Empfindsamkeit vermischt, die Hälfte Baudelaire und die andere Künstlerwälsch, richtige »Decadence«, Preisschriften der Akademie Goncourt, aber welche die arme Cousine ganz zigeunerhaft und banditenmäßig erschreckten – so schlimm hatte es wahrhaftig ihr schwärzester Argwohn nicht gewähnt. Und nun noch überdies – ganz unten, Kabinettformat – sein Bild als österreichischer Reservefeldwebel, weil er sich in der Uniform wirksamer glaubte: der Feind, der geschworene Erbfeind!
Rasch handeln und gründlich. Einen einzigen Rat und eine einzige Hilfe: sie mußte in ein Geschäft, wo sie nicht bloß verköstigt, sondern auch genächtigt war, daß man sie einfach nicht aus dem Hause ließe. Den nämlichen Abend noch wurde es ihr verkündigt.
»Gut,« sagte Fifi, sonst nichts. Sie lärmte nicht, klagte nicht, widersetzte sich nicht. Sie war ganz ruhig; denn jetzt war es entschieden.
Jetzt war es entschieden. Jetzt brauchte sie nicht länger zu planen und zu sinnen, hin und her zu denken, Entschlüsse zu formen und zu verwerfen. Jetzt war es entschieden. Die Cousine wollte es nicht anders. Die Cousine allein traf die Schuld.
[] Es war immerhin angenehm. Wenigstens gab's keine Zweifel mehr, kein Zaudern und kein Schwanken. Und die Verantwortung wenigstens war von ihr genommen. Wenn ein Unglück geschah, hatte die Cousine es nur sich selber zuzuschreiben. Fast wünschte sie, daß ein Unglück geschähe.
Ohne ihn leben? Ohne selbst diese eilige Stunde am Abend – sondern höchstens die Sonntage bloß? Die ganze Woche, ohne seine guten Worte zu hören und in sein liebes Gesicht zu schauen? Das ertrüge sie nimmermehr. Jetzt fühlte sie es. Jetzt das erste Mal fühlte sie es, daß sie ihn liebte.
Also sagte sie der Cousine kein Wort, sondern dachte nur: »Du wirst es schon sehen.« Und den ganzen Abend stellte sie sich das vor, was sie für Augen machen würde, morgen, vor Schreck, Kummer und Reue. Und die Cousine, die ungebärdigen Trotzerwartet hatte, wunderte sich, wie gelassen, leicht gefaßt, fast heiter sie es ertrug – weil sie eben im Grunde doch ein sehr gutes Kind sei.
Den anderen Morgen erwartete sie einen günstigen Augenblick, bis es unbemerkt geschehen konnte, schnürte ihr Bündel und rückte aus dem Hause, in welchem sie nichts verließ als Neid, Tücke und Bosheit. Es war wahrhaftig kein schwerer Abschied, und nur das eine that ihr leid, daß sie nicht heimlich die Scene belauschen konnte, wenn die Cousine vom Markte zurückkehrte und das Nest leer fände.
So einfach zu ihm laufen nach seiner Wohnung, nein, das konnte sie doch nicht. Es hätte ihn freilich[] sehr gefreut, aber nein, nein, ehrbar wollte sie bleiben. Sie nahm sich ein Zimmer, einstweilen würde er ihr schon das Geld leihen, und dann suchte sie sich einen neuen Platz; mit ihren Zeugnissen war das nicht schwer – und alles blieb beim Alten, nur daß sie Freiheit und Freude dazu gewonnen hatte.
Drüben auf dem anderen Ufer, weil es da billiger – und zufällig war's auch näher bei ihm. In der Rue de la Harpe, ganz am Anfange des Michel, gleich links, einigte sie sich mit einer vertraulichen Wirtin, die in ähnlichen Beispielen erfahren schien, und man sah, daß sie sich ihrer Leute annahm. Fünf Franken gab sie einstweilen als Angabe; die letzten, die sie besaß. Und gleich kletterte sie in das schmale Dachkämmerchen empor, auszupacken, sich einzurichten in ihrem neuen Heim, das ihr ganz allein gehörte, und in dem sie nach ihrem Willen und nach ihrer Wohlmeinung alles ordnen konnte, ganz, wie es ihr behagte, und jeden Tag anders, wenn es ihr Spaß machte, ohne irgendwen zu befragen, ohne von irgendwem beraten oder befohlen zu werden, endlich Herrin über sich selbst, ganz allein. Freilich war es wohl ein bißchen knapp mit dem Raum und gefährlich, wenn man sich umdrehen wollte, aber dafür konnte man dem Himmel in die Töpfe gucken, wie er die Wolken braut, und über den braunen Dächern tanzte die schlanke Silbernadel der heiligen Kapelle.
Nachdem sie ihre Visitkarte an die Thüre genagelt, damit die Leute wüßten, wer hier eingezogen war, und ihre Kleider säuberlich teils in dem Mauerschrank,[] teils an dem großen Nagel untergebracht hatte, setzte sie sich zur Rast auf den Bettrand, ganz vorn, daß sie gerade noch mit den Zehen den Boden berührte, und dachte nach.
Sie dachte an das Gesicht, das die Cousine jetzt machen würde. Und dann dachte sie, daß sie jetzt alles thun könne, was sie nur wolle. Und dann dachte sie, daß sie seit dem Morgen nichts gegessen hatte.
Weil sie aber kein Geld besaß, hielt sie es für das Vernünftigste, sich schlafen zu legen, wenn es gleich erst drei Uhr am Tage war. Sie entkleidete sich rasch und warf das Mieder mitten ins Zimmer, was sie jetzt jeden Abend thun könnte, ohne von irgendwem einen Vorwurf zu hören. Und sie konnte ein paar Stunden schlafen oder, wenn sie wollte, auch zwei Tage, und den nächsten Morgen konnte sie sich den Kaffee ins Bett bringen lassen, alles, wie sie es wollte.
Das Leben war wirklich sehr schön, wenn man nur den Mut besaß, sich von den falschen Cousinen zu befreien, die es vergiften. Und damit schlief sie ein. Und sie schlief sehr lange.
Sie schlief tief, friedlich, kein Traum wagte sich heran. Aber wie sie um Mitternacht plötzlich erwachte, erschrak sie, weil sie es vergessen hatte, und war verwundert und mußte sich erst eine Weile besinnen. Vom Michel herüber gellten Studentengesänge, ein schrilles Jauchzen ohne Unterlaß, und dann hörte sie nebenan durch die dünne Wand ein [] Schnauben und Röcheln und Knirschen, schaurig, wie von hungrigen Schakalen, und manchmal von einem heiseren, in die Fistel verschlagenen Hilferuf wie aus tödlicher Mordesangst zerschnitten oder von klatschenden Küssen, welche wie Peitschen schallten, erstickt, bis der stöhnende Krampf aus gedrosseltem Schlund herauf, als ob Stimmbänder zersägt würden, am Ende alles wieder verschlang. Sie fürchtete sich.
Sie sprang eilig heraus und schob den Riegel zu, als stünde vor der Thüre eine große Gefahr. Und weil es sehr schwül und dumpf war, öffnete sie das Fenster ein wenig und wollte in die flimmernden Sterne schauen. Aber es spritzte zu ihr von den Dirnen, welche an der Ecke den Schwärmern auflauerten, der Kot schmutziger Späße, und ein trunkener Sergeant mit unzüchtigen Gebärden lallte herauf, sie sollte ihm nur den Schlüssel hinunter werfen, sie würde es nicht bereuen.
Da schüttelte sie ein Schauer von Ekel und Grauen vor dieser Welt, in welcher ringsum nur Laster und nur Feindschaft und nur Hohn waren, und zitternd kroch sie unter die Kissen, nichts mehr zu sehen von ihr, und verstopfte sich die Ohren, nichts mehr von ihr zu hören, und wagte kaum zu atmen und betete inbrünstig, es möchte nur Morgen werden. Und es kam in Fieber und in Thränen, während der Schlaf sich verweigerte, eine namenlose Sehnsucht über sie nach dem einzigen, den sie liebte und der ihr gut war und dem sie sich vertrauen konnte, daß sie am liebsten gleich hinausgelaufen wäre an seine Brust, [] mitten in der Nacht. Sie hatte es ja früher nimmermehr gewußt, wie mächtig und gebieterisch diese Liebe war, unwiderstehlich in Befehlen.
Wie es nur graute, kleidete sie sich an, ging hin. Aber sie vermochte es nicht, anzuklopfen, einzutreten, fand nicht die Kraft, so oft sie sich auch ihren Vorsatz wiederholte und daß es ja doch einmal entschieden war. Sondern sie strich vier Stunden auf dem Boulevard herum in großen Schmerzen, immer um seine Thüre, ob sie ihm nicht zufällig begegne; denn den Mut, ihn aufzusuchen, würde sie ja niemals, niemals gewinnen.
Endlich, als sie sich kaum mehr aufrecht hielt vor Müde und vor Hunger, versetzte sie bei einem Vermittler ihr Ohrgehänge und den Ring, um frühstücken zu können. Es ward ihr darauf etwas leichter, und wie sie dann im Luxemburger Garten die Musik anhörte, faßte sie wieder frischen Mut, während sie neugierig die steinernen Königinnen betrachtete und sich wunderte, daß sie so häßlich gekleidet waren, ganz ohne Chic, besonders die Luise von Savoyen. Und nachdem sie das dritte Mal um den medicäischen Brunnen herumgekommen, war es beschlossene Sache, erst wenn sie einen neuen Platz gefunden hätte, zu ihm zu gehen; sie konnte dann ganz anders vor ihn treten.
Aber nach der dritten Nacht ertrug sie es nicht länger. Lieber wollte sie sterben. Was er auch denken mochte – aber liebte er sie denn nicht? und [] liebte sie ihn denn nicht? Also nahm sie die Kraft zusammen und überwand das Zaudern. Und sie sagte es ihm, wie sie die Cousine verlassen hatte, um ihm zu folgen, weil sie ja nicht leben konnte ohne ihn, und gab sich ihm hin.
[] VII.
»Denn es ist ja doch wirklich eine Schande!«
Und zugleich mit einem behenden Ruck, auf den der Träumende nicht gefaßt war, tauchte sie aus seiner Umarmung. Es läutete Mittag.
Aber er wollte sie nicht lassen, sondern haschte und umschlang sie von hinten und bog ihren entfliehenden Rücken auf seine Lippen zurück, daß ihre Locken über ihn rollten. Da glitt sie listig ganz sachte in die Kniee hinab und war ihm unter dem Griffe, ehe er es merkte, mit glatter Windung entschlüpft. Und nun wälzte sie sich, von dem fransigen Vließe des Teppichs schmeichlerisch gestreichelt, und lachte und klatschte und jauchzte und verspottete ihn.
Dann bekleidete sie mit seinen weichen, weiten Filzpantoffeln, in denen sie versanken, ihre Füßchen, welche von Küssen verwundet waren, und stampfte gravitätisch mit einer sehr würdigen und kaiserlichen Miene und sang, indem sie mit dem Kopfe den Takt dazu pendelte, ein altes feierliches Kirchenlied. Aber plötzlich, aufrecht auf einem Beine, schnellte sie mit dem Schwunge des andern den Schuh hoch, um ihn[] durch eine flinke und zuversichtliche Gebärde wieder aufzufangen. In dieser anmutigen Pose verweilte sie.
Sie stieß den Laden nach dem Garten auf, aus welchem der Flieder süße Grüße schickte.
Er rührte sich nicht, sondern schlürfte nur mit lauschend ausgestreckten Sinnen diesen Duft von Blumen und Fleisch. Das war ihm so unsäglich gut, nichts Besseres wußte er zu, wünschen. Nur immer noch mehr hätte er trinken mögen, je mehr er davon trank.
Er hielt sich ganz stille. Nur manchmal, als ob er einem Gedanken ausweichen wollte, der heraufsteigen könnte, neigte er leise, langsam das Haupt nach der Seite, wie der Gekreuzigte gemalt wird. Nur manchmal, als ob er eine Erinnerung ersticken wollte, vergrub er sich tiefer in die zerknüllten Kissen, welche von dem Atem ihrer Säfte in allen Poren geschwängert waren.
Er hatte in reichen Gefühlen keinen Gedanken als diesen einen, in welchem er verweilte: daß es ihm vorkam, wenn er das Auge öffnete, nichts als mit schwarzem Strich sein eigenes Lid auf einem sehr weißen Grunde zu sehen. Er dachte sich, daß das doch merkwürdig war, wenn das Auge sich selber erblickte, und spielte damit, es durch Wiederholungen auszuproben. Und es fiel ihm ein, ob es einem nicht gelingen könnte, einmal den ganzen Körper auf diese Weise anzuschauen, so von innen heraus, die Seelenseite, welche nach dem Geiste hin liegt – wenn man sich nur die gehörige Mühe gäbe.
[] Da schreckte sie sein Träumen durch einen rieselnden Guß, kalt über das ganze Gesicht, daß es plätscherte. Und er im ersten Schauer gleich heraus und auf sie los, welche im Becken Busen und Nacken badete, und von hinten über sie her, zu rächen, und schleifte sie, wie sie auch mit Seifenschaum um sich schlug. Und sie rangen und stießen und würgten und zwickten und kitzelten und bissen sich, unter Jauchzen und Knirschen und Gellen ...
Lange blieben sie ohne Wort. Sie staunte hinaus ins Leere, weit, weit um Hilfe, mit grauem, ratlosem Blick, der vergeblich suchte. Jedesmal wieder erschreckte sie die Liebe, welche sie immer begehrte, und nimmermehr vermochte sie's zu begreifen, das alles, das ewige Geheimnis.
Dann drückte er sie mit sanfter Zärtlichkeit und hatte Mitleid und Reue. Gern hätte er geweint, recht lange und recht laut geschluchzt, wußte nicht, warum. Aber es war ihm, als könnte wohl nach solcher Seligkeit nur noch in Thränen eine neue, eine größere sein.
Und er strich ihr die verwirrten Locken aus der blassen Stirne, und sein warmer Kuß trocknete ihr die versunkenen Augen, und mit kosendem Finger schaukelte er leise ihre Nerven. Ihr wurde, als sprühte in Funken aus seinem Nagel ihr der glühende Flieder ins Fleisch, der in der Sonne schwamm, und als schäumte der Sommer, der in den Gärten sang, ihr ins Blut in brennenden Bächen ...
Sie begriffen sich nicht. Sie waren sich so fremd[] und waren doch eins in dem anderen. Sie konnten nicht verwachsen und hingen doch zusammen. Sie wollten jedes in das andere hinüber, bis von dem eigenen nichts mehr übrig wäre, aber sie fanden nur immer wieder sich selbst. Das andere konnten sie nicht gewinnen, weil sie sich nicht verlieren konnten, und blieben entfernt, wenn sie sich berührten.
Und dann wieder unter jauchzenden Gesängen lud er sie auf seine kräftige Schulter und, wie Sieger rühmliche Beute, schleppte er sie durch die helle Werkstatt in tollen Tänzen, und ganz zu höchst auf dem besonnten Sockel der Modelle richtete er ihre nackte Schönheit auf. Im wogenden Silberstaube des Lichtes erglühte von ihrem Rosenfleisch ein holder, bebender Schein, aus schwarzblauen und hellgrünen Dämpfen gewoben, welche ihr Flaum ausatmete. Und er kniete nieder und barg sein Haupt in ihrem Schoß und verehrte sie mit allen Sinnen.
Bis mit Gewalt und Stoß, den Fuß gegen seine Wange, sie seiner rauhen Drossel sich plötzlich entrang, schräg über die Staffelei in jähem Sprung, welche stürzte, und es dröhnte und stäubte. Und sich wiegend und schüttelnd, unter Gesängen, vor dem Spiegel in aufrechter Würde, glättete sie ihre goldigen Schlangen, flocht sie, begann feierlichen Schmuck. Er aber, schlaff, lahm, hinkte wie ein verhetzter Jagdhund in die Linnen zurück und kauerte sich ein und in gurgelnden Seufzern röchelte er nach Atem, während in rüttelnden Wogen Krämpfe über seine Knochen rieselten.
Und sie machte sich schön, und sie schaute ihre[] Schönheit und vermochte es gar nicht zu begreifen, wie namenlos schön sie war, und berauschte sich und ward nicht satt. In den hastigen Tänzen des wirbelnden Lichtes rings, das neben ihrem Fleische Schatten wurde, vor dem glückstrahlenden Glase, faltete und wendete sie ihre stolze Nacktheit, wie wenn eine Priesterin ein gebenedeites Sakrament ins lauschende Volk trägt, und zeigte sich sich selber, allen flimmernden Reichtum, und durchsuchte mit prüfender Neugierde die üppige Schatzkammer ihres Leibes nach allen köstlichen Kleinoden.
In den Knieen, auf die Ellenbogen gestützt und unter der Last des Hauptes auf die Fäuste die Wangen hinaufgeschoben, daß sie die Furchen an der Nase vertieften, stumpf vor sich hin, sah er ihr zu. Ihm wurde, als wären seine Sohlen von sanften Sammetnadeln leise gepinselt, immer feiner, immer zärtlicher, immer hastiger. Und er dachte nur immer, jetzt, jetzt gleich würde es über ihn kommen, das große Glück, aus der Wolke, die vor seinem starren Blicke wuchs, jeden Augenblick konnte es sein; aber er würde es nicht mehr erleben, weil es über die Kraft des Menschen ist, und schon wankte ihm das Gefühl, strauchelte ihm das Bewußtsein.
Und er erwartete den Streich wie ein geducktes Opfer und rüstete seine Nerven auf das schöne Sterben, die ganze Wollust dieses Todes auszukosten.
Dann aber plötzlich, bei ihrem bachantischen Rucke, da rieselte alles in ihm, und Wirbel rauschten, als ob aus tausend Brunnen brandige Ströme durch seine[] Adern loderten, und es war ihm um die Seele von Hoffnungen und Freuden ein taumelnder Cancan.
Es bäumte sich in ihm und warf ihn und er hatte an der Brust ein Ticken, atemräuberisch, eilig, kaum mehr erträglich; er fühlte seine Knochen und sie wurden ihm zu schwer und sie zogen ihn hinab. Es wankten und brachen Riegel und Wehren seiner Seele, und aus dem Schutte flatterte in Licht Blüte an Blüte, Bild für Bild, die große neue Kunst. Es wichen und schwanden die Schleier und befreiten das Reine, und er brauchte nur noch diese dünne Stirnhaut wegzukratzen – und er würde sie endlich, endlich die Herrliche greifen und halten für alle Ewigkeit.
Sie war schon ganz deutlich in immer gewisseren Gestalten. Nur sie durch unsanften Griff nicht wieder zu verscheuchen, ängstigte ihn. Und er hielt an sich und wagte keine Bewegung, bis sie sich befestigt hätte und gewachsen wäre.
Plötzlich stand in seinem Gehirne die Erinnerung auf, daß es diese ganzen vier Wochen her alle Tage so her das Nämliche gewesen. Alle Tage kam der Schauer, kam die Wonne, kam der Taumel! Sie vergingen, nichts geschah. Es war nur wieder ein neuer Betrug.
Aber er wollte nicht daran denken, weil es doch nichts half, nein, sondern nur erbitterte und quälte. Er wollte es vergessen, alles, selbst die Kunst, ja selbst die Kunst, die auch bloß äffte. Und nichts als die Wollust, ewig die Wollust, in welcher allein die Wahrheit ist!
[] Und wieder über sie, wie der Trinker nach der Flasche, das Gedächtnis auszuwischen.
Aber sie hatte einstweilen den Schmuck ihrer Flechten begonnen, welche sie spitz aufgesteckt trug nach der spanischen Weise, und drehte die Stirnlocken mit gewärmtem Eisen. Darum wollte sie von der Erneuerung der zärtlichen Spiele nichts wissen und verwehrte standhaft seine Liebkosung. Mit dem Kamme, mit der Bürste, mit dem glühenden Stifte trieb sie ihn zurück.
Dann nahm sie die Zeitung, welche der Austräger des Morgens durch die Thürritze schob, von der Schwelle, deckte ihn damit zu und wickelte ihn darein, daß er endlich Ruhe gäbe.
Lesen. Was draußen inzwischen geschehen, ob Krieg und welche Händel unter den zänkischen Völkern – nichts wußte er mehr seit diesen vier Wochen, ohne jede Kunde und allen Geschehnissen entfremdet. Lesen ... lesen ... festhacken in den Buchstaben und die Stelle ankern, müde vom ewigen Schweifen.
Aber da, kaum daß er es recht aufgefaltet hatte, gleich auf den ersten Blick – es war auf der ersten Seite, gerade über dem Buge, ganz vorn und in großem Druck – dieses schlug ihn wie Blitz.
Nein, nein, es konnte ja nicht sein, nimmermehr konnte es wahr sein.
Und er tastete die Finger über die Zeile und vergrub die Nägel, wenn schon die Augen trogen.
Und nur heraus, mit eiligen Sprüngen, in etliche Kleider, fort, fort, um die Wahrheit!
[] Eine rasche Lüge an sie, zum Vorwand, in abgerissenen Brüchen halbsilbig gestammelt, abends, abends würde er ihr es schon erklären, und nur fort, mitten durch ihre Verwunderung, fort in Sturm.
Und wie Geier über die Beute, stieß er in dem nächsten Café auf alle Zeitungen, raffte sie zusammen, wühlte durch, eine nach der anderen, welche er nur fand, zerknitterte in Wut und konnte es nimmermehr glauben, was alle bestätigten, weil es ja nicht möglich war.
Liebermann hatte den großen Preis.
Sie brachten es alle – mit den nämlichen Worten die gleiche Notiz. Officiell offenbar, von der Jury der Ausstellung. Nein, es war kein Reporterwitz.
Er las es in jedem Blatte und las es wieder und dann mit fester, langsamer, eindringlicher Stimme las er es laut, daß jeder einzelne Buchstabe herauskollerte und mit Summen in die Wölbung hinaufschwirrte, tönend in der weiten Halle und sich lagernd in den langen Tönen, und es wurde am Ende aus den wachsenden Schwüngen, wie sie sich verschlangen, wie sie sich gesellten, aneinander ereiferten, ein brausender Chor wie von grausamen letzten Gerichten, in verdammenden Posaunen.
Liebermann hatte den großen Preis. Und er beugte sich und lauschte und erwartete das Ende, den tödlichen Streich, der es vollenden würde, von oben herab, wenn sich der Himmel öffnete.
Bis er dann plötzlich alle Blätter in einem Griff zusammenraffte und in steilem Bogen wegschleuderte[] über das Billard, daß ihre Rahmen sich an dem Lampengehänge überschlugen und verfingen, weit von sich. Zahlte und fort in Hast. Ins Wandern, Wandern – es war wie ein sausendes Räderwerk in ihm, das ihn trieb.
Er wollte ihm entlaufen, dem Schrecklichen, wohin es nicht nach könnte.
Aber es blieben in grimmigen Tänzen um sein Auge jene boshaften Lettern und in knirschenden Gesängen um sein Ohr jene höhnische Botschaft, ein unerbittliches Geleit.
Bis er dann auf einer Bank unter duftender Linde in Schwindel und Nebel fiel, lange.
Als er erwachte, verwundert und schwierig, sich zurecht zu finden – aber es war ein anderer, der erwachte, ein Fremder, ein Neuer, und der den Früheren, den Alten nicht begreifen konnte, der entschlafen war.
Es war ihm gut unter den warmen, sanften Blättern, aus welchen Wollust tropfte, und er schnupperte gierig nach den Küssen ihres Atems, während sein Auge die Sonne trank, und war ganz ins Glück verwandelt, nur daß er sich ein wenig matt und abgeschlagen empfand, mit leisen Stichen im Gehirn, wie nach einem bösen Traum im Rausche.
Da hatte er eine Anwandlung von Logik.
Er stopfte sorgsam mit erlernter Kenntnis seine Pipe, versuchte dann erst noch einmal mit gründlicher Prüfung, ob die Verteilung auch richtig gediehen war, daß die Kräuter Luft und doch auch die gehörige [] Fühlung hatten, was den Stolz seines Verstandes bekräftigte, und dann entzündete er sie, beharrlich um den ganzen Rand herum. Er rückte die Mütze in den Nacken zurück, daß der Sommer frei über seine Stirne wandeln konnte, und schlug die Beine übereinander wie weiland von der Vogelweide. Dann löste er noch die Bänder seiner Unterhose, weil sie ihm die Waden schnürten, und es sieht auch viel malerischer aus, wenn es flattert; und nachdem er so alle Vorkehrungen zur Beförderung der Vernunft eingerichtet hatte, unternahm er wieder einmal Erforschung und Beratung seines Gewissens, um mit starkem Geiste Ordnung und Richtung zu schaffen.
Er verfuhr systematisch, von einer Frage zu der anderen, nach der Reihe, daß es ja gewiß gelingen mußte. Und alle Träume, welche ihn von der Hauptstraße verlocken wollten, schüttelte er weg wie Fliegen. Er war auf einmal ganz fanatisch auf das strenge Denken.
Erstens, sagte er, die Thatsache feststellen, das äußere Ereignis und die innere Wirkung. Was ist denn eigentlich geschehen? Wenn einmal die Prämissen gereinigt sind, die Schlüsse wachsen aus der flachen Hand, von selber.
Was ist geschehen?
Liebermann hat die Ehrenmedaille, mein alter Freund Liebermann. Das heißt, Freund – was sich halt so nennt, vom Café und Wirtshaus her, wenn man einem Du sagt, um ihn bequemer schimpfen zu können. In vielen fröhlichen Fehden – weil er vom[] Malen wie ein Schuster denkt – war ich seinem kurzen Verstande stets überlegen, weshalb ich ihn aufrichtig lieb gewann und seine Gesellschaft suchte, und immer haben wir uns gut vertragen, und fleißig soffen wir auch zusammen an der Isar, oft, in allen Spelunken, was Menschen aneinander bringt. Und Meister Conrad, der reisige Recke der neuen Litteratur, so gewaltig hünisch im Zechen wie im Dichten, schüttelte die blonde Mähne dazu und schenkte uns vergangene und zukünftige Märchen. Das bleibt eine schöne Erinnerung, ganz gewiß.
Die andere Freundschaft freilich, die echte, die nur in den Wünschen ist, wäre mit ihm nicht möglich gewesen, weil er doch nur unter die Kleinen und Gewöhnlichen gehört, in den niedrigen Durchschnitt der gemeinen Rasse.
Aber item: mein Freund. Und wir waren ja auch von der nämlichen Gemeinde, die in der Kunst das Neue will. Schule Liebermann, sagen die Leute, natürlich, weil von uns allen Liebermann am wenigsten Talent hat.
Auszeichnung des Freundes – angenehm und erfreulich.
Aber zudem: Auszeichnung der Schule – sehr nützlich. Die dummen Kritikaster hinter den Vogesen werden sich nicht wenig giften. Und alle miteinander können wir die Preise steigern, ohne daß ein Händler mucken darf. Lauter Gewinn. Überall Vorteil.
Freue Dich also, sagte er sich, weil es bewiesen war. Freue Dich dreifach, durch alle Abteilungen der[] Seele, weil jede Ursache hat. Und er stellte es sich noch einmal von Anfang an deutlich vors Gemüt, daß er als Freund, als Künstler und als Geschäftsmann zugleich gewann und darum ohne Zweifel nachweisbar sehr vergnügt war, wenn er es auch nicht gleich gewahrt und erst unrichtig ausgelegt hatte – bis wirklich die gehorsamen Lippen sich ins Lachen kräuselten, daß sie ihren Beruf nicht länger versäumen möchten.
Und dann, zudem, um die Heiterkeit zu befestigen, machte er sich darauf aufmerksam, was nicht zu unterschätzen war: welche üppige Hoffnung dadurch seinem eigenen Erfolge erschlossen wurde. Denn offenbar, wenn sie an dieses stammelnde Gesudel schon die goldenen Preise hingen, dann würde es wohl nicht anders gehen, als daß sie ihm einen neuen Eiffelturm aufbauen müßten, seiner Ehre zur Gebühr, sobald er nur einmal sein Großes offenbaren würde, das Werk, in welchem alles erfüllt und bewährt war, so daß die ewige Sehnsucht vor ihm verstummte. Hei, wie sie da gucken und taumeln und jauchzen würden, und über die ganze Erde würde ein großes Fest sein und nur Wimpel und Triller und Blüten ohne Ende, ohne Ende, niemals, nirgends kein Winterliches mehr!
Nachdem er sich so entschlossen hatte, daß er vergnügt war, unternahm er zweitens die Untersuchung des Schreckens, welchen es ihm versetzt hatte. Dieses mußte noch gelöst werden, wie er hatte entstehen können. Dann war das ganze Problem erledigt und er konnte feststellen, woran er sich zu halten hatte.
[] Und er rauchte ein neues an, immer unter der braunen Linde, auf welcher sich die Sonne schaukelte.
Offenbar, es war eine Verirrung seines Gefühles gewesen in eine ganz falsche Richtung.
Thatsache, daß er statt der notwendigen Freude, welche geboten, einen unmöglichen Schmerz, welcher verwehrt war, gespürt hatte, im ersten Anfalle. Aber wie denn konnte das sein? Woher nur hatte das über ihn kommen dürfen, so einfältig und trügerisch?
Dieses war die Frage.
Er hatte es sich bewiesen, unwiderleglich, rechnungsmäßig, daß keine Ursache dafür war, durchaus nicht die geringste, wie man auch suchen mochte, sondern Ursache bloß, umgekehrt, reichlich fürs Gegenteil. Aber irgend einen Anlaß, aus welchem es angefangen hatte, mußte es irgendwo haben. Den galt es.
Neid?
Aber da mußte er wirklich lachen, von Herzen, wie ihm dieser Argwohn über's Gehirn huschte, weil es wahrhaftig gar zu drollig war, sich dieses vorzustellen. Er neidisch auf Liebermann? Dazu hätte er ihn doch vor allem erst für was Ebenbürtiges und Gleichwertiges anerkennen müssen, um ihn durch solche Ehre auszuzeichnen, den traurigen Tapper in der Finsternis, der die abgelegten Schnörkel der Pariser für die Erneuerung der deutschen Kunst verhandeln wollte. Er neidisch auf Liebermann! Warum denn nicht gleich auf Anton von Werner und Thuman?
Oder etwa vielleicht, weil er selber nicht – aber nein, auch dieses konnte kein Grund sein. Die Österreicher hatten ja noch gar nicht entschieden, und nicht [] einmal äußerlich, da sie in verschiedenen Gruppen ausstellten, waren sie Nebenbuhler. Er selber konnte immer noch – möglich war es – die nämliche Ehre abkriegen.
Wenn nämlich solcher Geiz ihn je besessen hätte – aber er müßte sich ja schämen. Als ob man nicht wüßte, wie es gemacht wird! Wenn man so that, als ob das vielleicht doch französisch sein könnte, was die Frau Munkacsy zusammenwelschte mit ihren Talmi-Parisismen, und die fesche Frau Jettel durch ein paar harbe »Weaner Tanz« walkte, dann brauchte man nur noch dem Brozik vorzulügen, daß man ihn unter die Maler rechne, und hatte die Medaille auch schon bombenfest in der Tasche.
Um die Ohren hauen würde er ihnen den Wisch – voilà!
Nein, aber daß dieser ganze gelbe Spuk von ausgeronnenem Schatten und krätzigen Gespenstern, so geblichen und verwischt, so fahl und ohne Saft und morsch, so ausgekohlter und verzerrter Nebelabhub, überhaupt noch da war mit dem Schein des Wirklichen, immer noch, unverscheucht durch keinen atemstarken Morgen, und in knochigen Grimassen lügnerischer Todestänze die lebendige Gebärde freier Wahrheit äffen durfte, immer noch, dieser breite, sumpfige Betrug, daß er wucherte und wuchs, unaufhalsam –
Weil –
Ja, weil er die Wahrheit verschlossen hielt, feige und träge, der einzige, der sie gewähren konnte, weil er es ihnen nicht gab, den Durst zu löschen, das [] heilende und erlösende Werk aus seiner Brust, und weil es wieder umsonst gewesen, wieder alles umsonst, wie allemal, und wieder nur eitler und höhnischer Wahn, auch dieser letzte Stoß, wie die anderen, auch dieses Ereignis der Sehnsucht, wie immer, selbst die Liebe, die große Liebe, und es wieder nur in Dunst und Dampf verraucht war, unnütz und stumpf, wie immer, wie immer!
Es kam ein großer Ekel über ihn vor dem ganzen Leben, und am liebsten wäre er tot gewesen, wenn nur die Vögel nicht sängen und nicht die Lindenblätter so goldig bräunten mit Geruch von Hoffnungen!
Er brauchte ja nur aufzustehen, ein einziges Mal, mit dem geringsten seiner Werke, ein einziges Wort bloß brauchte er zu sagen aus den unendlichen Verkündigungen seiner Seele, nur einen einzigen Strahl aus der Sonnenfülle seiner lodernden Gesichte zu versenden – und gleich über die ganze Erde mußte es tagen.
Und er blieb starr. Und er blieb stumm. Und er blieb finster. Und die höhnische Lüge lachte stolzer und hochmütiger und siegerischer, alle Tage, sichere Königin der Welt. Und in seinem bangen Herzen knirschte an Ketten die gefangene Wahrheit.
Einen Riesenbohrer mit sengender Schraube hätte er sich ins Fleisch wälzen mögen, mit ächzenden Furchen durch die knarrenden Rippen, tief, ganz tief, bis ein großes Loch würde, in die Abgründe der Seele hinein, ein ungeheures Triumphthor seiner Kunst, durch welches die Eingeweide sie herausspeien könnten.
[] Es war alles nur Wahn. Immer hoffte er wieder, und alles hatte er versucht, mit immer erneutem Vertrauen, und alles war immer wieder nichts, und jedes versagte und nichts half, nicht einmal die Liebe. Nicht einmal die Liebe.
Ja, damals, die ersten acht Tage!
Da war aus dem Glück ein Singen von Märchen und ein Blühen von Wundern in seiner grünenden Seele aufgesprossen, wenn er nur in ihre feuchten Augen tauchte, und seine Adern rauschten von flüssigem Golde und von gewälztem Feuer und von dampfenden Weinen, wenn er, mit geblähten Nüstern, nur den Balsam ihrer braunen Brüste schlürfte, und über seine Nerven, jedesmal, daß sie sich bogen, war ein großer Wirbelwind gebraust aus glühenden Wonnen, jedesmal, unter prasselnden Stößen, wenn seine hungrige Zunge die heißen Rosen ihres Fleisches leckte. Da hatte er geschrieen, vor grimmiger, schriller Wollust, weil es zu viel war, daß sein armer Kopf es nimmermehr ertragen könnte, zu viel von Glück, von tödlichem Glück, und sich gefürchtet, in lodernden Fiebern und vereisenden Schauern, die sich jagten und haschten und scheuchten und einfingen und zerhackten, sich gefürchtet, daß es ihn zersprengen, wie Hammerwucht, und zereißen würde, wie Pulverstoß. Da waren unter den krachenden Taumeln die Schleier gewichen von seiner verhüllten Kunst, während Posaunen jauchzten, und da, aufrecht in nackter Würde, die wie diamantene Sonne blendete, hatte er sie geschaut mit gespreizten Blicken und [] hatte sie gegriffen mit zuckenden Tasten, und den Jasmin geschlürft, der in Gießbächen aus ihrem Adel sprühte, und wahnsinnige Gebete auf blutenden Knieen nach ihr geröchelt, in schäumenden Brünsten der Andacht – aber nur halten, halten hatten sie seine verkrampften Nägel, stumpf aus Ohnmacht, nimmermehr können und nimmermehr seinem Gesetze, mit aller zerwühlenden Gier nicht, zwingen, daß sie diente und gehorchte, die Herrliche, die Große!
Und da war diese ungeheure Angst, wie er es über die Kraft fühlte, in seine wunde Hoffnung gekommen, mit rissigen Dornenstichen, die ins Mark folterten und striemten, daß es am Ende, wie er auch rang, wieder vergehen möchte, noch einmal ohne Spur und Mal auseinanderflatterte und zerränne und ihn wieder im Einsamen verließe, mit Verzweiflung, im Verschmachten. Da zischelte es ihm mit gischend rieselnden Giften in die Ohren, daß es die Rast verjagte, er möchte das Glück am Ende wieder versäumen, aus Schuld, auch dieses Mal wieder, durch Fehl und Thorheit. Und da klammerte er sich an sie und hackte sich auf sie und vergrub sich in sie und verbiß sich mit ihr und verkroch sich durch sie und tauchte sich unter sie, daß er nur in ihr und mit dem Glücke bliebe, ewig, ohne Laß.
Dann wieder schlaflose Nächte, hatte er sich das Gehirn zerknittert um Hilfe, weil es noch immer nicht das rechte war, noch immer nicht völlig.
Er versammelte allen Verstand, wie viel er nur an scharfem und klugem Sinnen vermochte, und [] entbot alle Erfahrung, was er je an sich selber beobachtet und fremden Rates erholt hatte, wie Glück befestigt werden muß. Er brütete, mit Fragen und aus Büchern, über Plänen und Einrichtungen, wie es wohnlich und seßhaft wird, und gab nicht nach in wechselnden Versuchen. Denn es ist, sagte er gern, mit dem Glück wie mit den Krebsen: Haben thut's nicht, man muß es auch verstehen, wie sie zu essen sind.
Dieses galt es, daß er erst heimisch würde in dem neuen Glück. Dann, mit Gewohnheit, gewänne sich Vertrauen, und was jäh jetzt schreckte, das ergebe sich dann in williger Freundschaft.
Sich eingewöhnen ins Glück. Er sagte es sich alle Stunden.
Angelegenheit der Übung – Fleiß, Geduld.
Man durfte nur nicht nachgeben. Man mußte es verdienen. Prüfungen bestehen.
Brünstig gelauscht und demütig geharrt, bis es sich neige.
Gläubige Werbung, unverzagt, über alles Hindernis. Bis es, gerührt, sich schenke, Treue zu belohnen. Es konnte ja nicht fehlen, wenn er nur den Ungestüm bezwang.
Aber nur glauben an das Glück und keine Zweifel. Sonst war es gleich verscheucht, wenn man es kränkte. Nur verharren im festen Glauben und weg vom Denken, von dem feindseligen und verderblichen Denken, das neidisch lauert.
Dann konnte sich der Friede verbreiten. Es war schon Glück, was in seinen Nerven wühlte. Wenn [] er dazu den Frieden noch gewann, daß es langsam und still und sanft ward, dann, sicher, brachte es die scheue Kunst.
Und so, als den Beruf zur Kunst, durch welchen sie zugänglich wurde, befolgte er die Liebe, und an Leib und Seele, was nur in ihm von Kraft und Absicht war, verwandelte er sich ganz, mit Eifer, in Werkzeug und Dienst der Liebe, daß jeder Rest geschieden ward, und mit ängstlicher Hut, die nicht rastete und mit Eifersucht das Fremde wegtrieb, liebte er die Liebe, weil sie Hoffnung und das ewige Leben war. Er fürchtete mit Grimm das Denken, das verseucht, und wagte keine Einsamkeit, daß nur nicht das andere erwache, was nicht Liebe war. Sondern umschlungen in langen Krämpfen, lechzende Lippe auf Lippe, suchend durch Fleisch die Hostie ihres Glaubens, während sich die Augen schlossen, daß die Welt versänke, wollten sie sich nimmermehr, keinen Augenblick, verlassen und erstickten sich in der Gier des anderen und entfleischten und ertöteten sich, und Tage lang, lange Nächte, verstoßen aus der anderen Welt, röchelten sie nur immer die ewige Frage, die bange, mißtrauische, hoffende, jauchzende, drohende Frage: »Liebst Du mich, sag' – kannst Du denn wirklich, kannst Du mich denn lieben, sag', wie ich Dich liebe?«
Es war so gut, zu vergehen, sich und die Welt zu vergessen in Ermattungen und wie das Eigene neu sich regte, nur eine leise Spur und Mahnung, es zu erdrosseln in neuem Taumel, zu betäuben in neuem Schwindel, zu entkräften, zu erschlaffen, zu [] verbluten, immer, immer aufs neue, in Wonnen ohne Ende, ohne Ende!
Da fühlte er sich oft in plötzlichem Erwachen, und es ward vor seiner frohen Seele ganz rosenhelle von lichten Dämpfen, die in Schimmern stiegen – da fühlte er sich dann der Kunst verbunden und vermählt, in nimmer endlichen Hochzeiten, und sie war da, mit ihm, in ihm, ewig und konnte nicht mehr weichen, und nun mußten sie mitsammen durch das Leben, untrennlich verkettet, und er hielt sie in seligem Besitz mit jauchzenden Beweisen, und oft, wenn er aus der schwülen Decke nach Atem tauchte, und die bleiche Werkstaat ergrünte rings unter den vollen Nebeln des Mondes draußen, da lauschte er lange, wie es in ihm brauste und schwoll und sich gestaltete in mächtigen und ungestümen Drängen, die wuchsen, und dann wußte er es, daß er glücklich war, wirklich einmal glücklich. So schöpferisch, in leichten Trieben, war ihm nie gewesen und niemals in so greifbar sicheren Scheinen, die sich befestigten, hatte er es geschaut, das Wunder, wie unter einer hellseherischen Gnade, niemals zuvor, wie lange er sich forschend erinnerte, über die ganze Jugend. Da, in bereiten Erfüllungen, die quollen, rieselte es ihm schon aus saftigen Knospen, bis in die letzte Haut der Fingerspitzen, daß sie prickelten, knarrten, brannten, und ein geringes nur noch, wie es kam, ein leiser Ruck sanfter Kraft vom nächsten Zufall, leicht erwerblich und reif, endlich sprang es auf.
Und sie wanderten viele Tage durch die große[] Stadt, in den Abschieden des Frühlings, überall, unter dem Reichtum, wo das Üppige schwelgt, und hinaus nach den dürftigen und scheuen Heiterkeiten der Armen, und zeigten sich mit wachsenden Wonnen die Fülle der bunten Märchen, und konnten es gar nicht fassen, woher so namenloser Zauber ausgegossen war, und ermüdeten nicht in langen Wegen, als glitten sie auf holden Wolken aus Schwanenflaum, und priesen alles Herrliche, das nicht endete, mit unersättlichen Loben, die um neue Worte kämpften, für das Unausdrückliche. Sie suchten die Gärten, wo an Brunnen, welche murmelten, neben grauen Büsten grelle Dolden träumten, unter schwerem Duft versponnen, und in dem heiligen Geruche alter, kalter Kathedralen beten sie zu ihren heißen, jungen Begierden. Und sie stiegen unter girrendem Kichern mit schlimmen Scherzen in den krummen, schmalen, schauerschwarzen Treppen auf alle Türme und schlürften das Leuchten der Wunder, die rings aus Silbermeeren loderten, und immer zu höchst mit gewissenhaftem Fleiße, jedesmal küßten sie sich brünstig unter der freudigen Sonne.
Ihm geschah es wundersam, wie Traum, in holden Zeichen, wenn sie so wandelten, und ward ihm ein köstliches Fieber. Er hatte, während über seine Nerven Wechsel von Schauern und Gluten strichen und an allen Strängen zum Gehirn in wilden Rissen ein heftiges Läuten war, unter Schwindeln und Wirbeln das jauchzende Gefühl, als sei für alle Zeit das Böse jetzt durch Gnade überwunden, alles Böse, [] Zweifel, Grillen, Unglaube an sich selbst, und dieser hohe Sonnensommer seines Herzens könne nimmermehr daraus vergehen. Es schaukelten um ihn auf erwachsenen Hoffnungen gewaltige und selige Symphonien von steilen, felsigen und kobaltenen Gesichten. Angst und Hast, daß es schwände, wie er's hielte, versanken. In Früchten winkte Frieden.
Es war da, in vollendeten Gestalten, sichelreife Ernte, hochgeschossen in geneigten Ähren. Er hatte nur die Hand auszustrecken, daß er's bräche, und brauchte sich nur zu schütteln, ganz leise und ganz sanft, und es flatterte hinaus, unter alle beglückte und erlöste Menschheit. Und so heftig, in ungestümen Zwängen und vermessenen Stößen drängte es ihn manchmal, daß er es auf das nächste Brett schleudern wollte, über den Boden des Kahns, an die Mauer des Gartens, auf das Pflaster, daß er es nur los würde, das Überwachsene, welches ihn sprengte.
Aber es hatte Zeit. Es war so selig, zu schwelgen in diesem Bewußtsein seiner Ankunft und seinen Verheißungen zu horchen. Und jetzt konnte es ja nimmermehr vergehen.
Und endlich unternahm er es. Endlich stellte er sich an die Leinwand. Er brauchte es ja nur hinüberrinnen zu lassen, wie es in Sprudeln sprühte.
Aber merkwürdig: da wollte es auf einmal nicht!
Er fühlte es wallen und sieden und in Gießbächen nach dem Pinsel gleiten, ganz bereit und zugethan; aber dann mit jähem Stocken, im letzten Augenblick durch steiles Hindernis gehemmt, gerade wenn es sich [] entschied, da, plötzlich, wie um ihn scherzhaft zu necken und zu äffen, da widersetzte und versagte es sich und machte Kehrt.
Er war halt ein bißchen aus der Übung der Arbeit. Er mußte sich erst wieder hineinfinden. Mit etwas Zwang und Vorsatz ging's schon, sicher.
Er hatte es ja ganz deutlich und fertig und wußte, daß er es besaß, nur an den richtigen Ansatz geriet er nicht gleich. Dann wickelte es sich von selber herunter.
Und er war auch gerade an einem schlechten Tag gekommen. Frage der Stimmung. Launen der Kunst.
Und diese zwei Wochen hatten ihn doch tüchtig hergenommen. Jetzt fühlte er es erst.
Sich ein wenig sammeln und beruhigen und erholen.
Und das zweite Mal, wie er es wieder versuchte, um etliches später, siehe! da war er wie gewandelt, und es gedieh in leichter Lust, und er raschelte nur so über die Leinwand, in vergnügten Sprüngen. Aber wie es getrocknet war, und er es den nächsten Tag betrachtete, da konnte er's nicht wieder erkennen, und es war was ganz Anderes geworden und ganz fremd und wieder völlig verfehlt.
Es kam ihm vor, als wäre zu viel in ihm und eines mische sich in das andere und bedränge und entstelle und verwirre es, und weil er alles auf einmal sagen mußte, so tausendfältig verschiedenes, fremdes, unvereinliches, feindseliges, nimmer verträgliches, welches alles gleich wichtig und bereit und [] eindringlich war, darum gerade konnte ihm keines geraten.
Es war zu viel, ja, dieses bloß machte es, daß es zu viel war, eines durch das andere und eifersüchtig mit ihm entzweit, und darum, in den Wirren des Haders, vermochte es sich nicht zu klären oder vielleicht, das kam noch dazu, vielleicht hatte es noch nicht die nötige Ruhe, daß es erst abstehen mußte, bis das Trübe sank, oder auch, es fehlte ihm der Schwung oder die Kraft oder die Freude oder auch – oder auch –
Und er grübelte und brütete und sann und rang und konnte keine Wahrheit als diese entsetzliche und höhnische und in Greueln verwüstete finden, daß es nichts war, daß es mit allen Hoffnungen und Wünschen nichts war, daß es wieder nichts war.
Und Tage lang irrte er nur und konnte nichts denken und konnte nichts begreifen und sah nur rot um sich, überall rot, ein grelles, grinsendes, satanisches Rot und wiederholte es mit fahlem Stammeln, wiederholte es ewig, wie einen bösen Fluch, mit dem er sich ermorden könnte, daß es wieder nichts war.
Und dann wieder warf er sich über sie um Betäubung und spritzte die Wollust in sich wie Morphium und verwundete sich den Leib und zerstampfte sich die Kräfte und wollte nur vergessen.
Und wieder regte sich der Mut, und wieder schlich er sich ans Bild, und er versuchte es wieder und zermarterte sich wieder und verzweifelte wieder.
Ah, wenn er sich erinnerte! Welche Folter, welche[] Hölle! Er wunderte sich nur und bewunderte sich, daß solches sich ertrug ohne Wahnsinn.
Endlich raffte er sich auf mit dem Rest des Lebens und floh in seine letzte Vernunft, um Rat.
Er rettete sich zur Logik, gerade wie eben jetzt, gerade wie heute.
Und das fiel ihm auf, wie er zurückdachte, daß er sich jedesmal ans Denken wendete, und es half niemals.
Er vertraute sich dem Denken, den Schlüssen. Das Gefühl hatte ihn betrogen. Nun wollte er Sicheres. Er rechnete alles nach. Da mußte sich der Fehler finden.
Es war sicher, daß er die Kunst besaß. An diesem einzigen war kein Zweifel. Denn er fühlte es.
Er war sicher, daß er nur die Liebe brauchte, um die Kunst zu heben. Das ließ sich beweisen, weil alles andere durch vergebliche Versuche schon erschöpft war. Es blieb kein anderes im Kreise der Mittel.
Und es war sicher, daß es auch mit der Liebe wieder mißlungen war, auch dieses Mal wieder mit dieser Liebe.
Es mußte also nicht die rechte Liebe sein.
Das that ihm recht wehe, wie ihm dieses das erste Mal einfiel. Es wäre doch gar zu traurig.
Und es war ja auch nicht möglich, nimmermehr.
Aber der Zweifel ließ nicht vom Nagen.
Und wenn es am Ende wirklich nicht die rechte Liebe war?
Aber es ließ sich ja beweisen, sicher ließ es sich beweisen, daß es die rechte Liebe war.
[] Er brauchte es nur zu glauben. Darauf kam es an. Daran hing das Wunder. Der Glaube bloß entschied und aus der Neigung seines Gefühles allein war seine Echtheit zu beweisen. Freilich, wenn er die Kraft und das Vertrauen zum Glauben nicht fand, dann war es nichts und eitel.
Aber das war echt Marius, der die Einbildungen liebte und sich selber zu betrügen, weil er an keine Wahrheit mehr glaubte und an keinen eigenen Grund der Dinge, außer den Menschen. Er hätte es im voraus wissen können, daß von diesem kein anderer Rat zu erwarten war. Der machte aus der ganzen Welt ein Theater, wie er es gerade nötig hatte, und alle Erscheinung behandelte er als Puppen seiner Willkür.
Und das war feige, und vorgelogenes Glück konnte ihm nicht helfen, weil sein Stolz lieber ganz verzichtete. Wenn es die rechte Liebe war, dann trug es auch den Zweifel und hatte nichts zu fürchten. Ja, vielleicht gerade im Zweifel bewährte es sich erst, reinigte sich unter den Flammen und ward wunderkräftig und wirksam.
Und seit dieser Stunde prüfte er die Liebe.
Er lauerte und lauschte und merkte jedes Zeichen. Er nahm sein Gefühl alle Tage, so viel es nur an Ausdrücken darbot, und durchforschte es emsig nach allen Spuren und wendete es hin und her und trennte die Nähte auf und stöberte in alle Winkel. Er suchte es ab von oben nach unten mit unnachgiebiger Neugierde und zerschnitt es in ganz schmale, dünne [] Streifen, und diese ausgezogenen Proben setzte er unter die Lupe.
Er sammelte alle Ereignisse und verglich sie und forschte bei Freunden und horchte aus Büchern und fragte immer wieder, mit Mißtrauen bald und bald mit Hoffnung: »Ist es die Liebe?«
Es galt zunächst Deutlichkeit über die Eigenschaften seines Gefühls. Seine Beschaffenheit beschreiben.
Ähnliches je empfunden zu haben, konnte er sich nicht erinnern, irgendwie Vergleichbares, von dem nämlichen Schlage, an dem er es hätte messen können. Nein, niemals. Das war immer schon etwas, weil es nicht alle Tage begegnet und nicht jedem.
Aber vielleicht, daß es neu und ungewohnt und seltsam war, vielleicht war dieses Befremdende sein einziger Reiz, sein einziger Wert.
Oder bedeutete es auch sonst? War es angenehm und freudig, war es Qual und Leiden?
Danach konnte man es dann in eine Kategorie bringen. Das hilft.
Und sonderbar: das ließ sich nicht sagen, gerade das nicht.
Nein, wenn er ehrlich und aufrichtig sein wollte, das konnte er nicht sagen.
Wirklich nicht. Keine Mühe wirkte. Weder ja noch nein. Es war ganz anders, daß es sich nicht schildern ließ, ein anderes, zwischen ja und nein, und doch entschiedenes, über ja und nein, keines und beides. Ein gesalzener Honig oder ein vertrockneter Regen oder ein erfrorener Wüstensand – um lauter [] solche thörichte und irre Vergleiche schweifte er herum und konnte es nicht finden, konnte es nicht fassen.
Manchmal freilich, mit einem Ruck auf die eine Seite – aber dann gleich wieder das andere drüben.
Und nicht etwa, daß es schwankte und pendelte. Es war fest und eingeankert an einem Platz, immer an dem nämlichen, aber er war drüben und herüben zugleich, oben und unten.
Nein, es gab darauf keine Antwort.
Es war ganz außerhalb der Sprache. Wie man es auszudrücken versuchte, war es gleich verwandelt und entstellt. Die Worte konnten nicht hinüber.
Und es wehrte und schlug gegen die Worte, weil sie ihm wehe thaten. Was man von ihm aussagte, war Lüge, wie man es verglich. Und dann das winkende Gegenteil, wenn man es aussagte, wurde dadurch die nämliche Lüge. Und nur das andere, jedesmal, was nicht gesagt war – bei diesem immer lag die Wahrheit, niemals faßlich.
Nur von den einzelnen, aus denen es sich zusammensetzt, von denen konnte man sprechen.
Die waren deutlich, die ließen sich nennen. Manchmal selig, manchmal Fluch. Aber wie sie sich zum Ganzen fügten, da wurde das schaurige Rätsel.
Es wurde ihm wohl manchmal unsäglich gut, und er hörte lichte Geigen und sah hellgrünen Staub um matte Malven und tastete Sammet und hätte weinen mögen und pries die Liebe.
Oft, wenn sie unter den Grüßen des Morgens, der golden die Hyacinthe ihres Fleisches überschuppte,[] sich aufrecht vor dem Spiegel flocht, von seinen Begierden umringelt, und langsam mit zupfenden Fingern, die wie rasche Schlangen schimmerten, ganz sachte und beharrlich die verwirrten Wimpern, die gesträubten Brauen auszog, netzte, bog, während die Lippen sich in stumme Pfiffe rundeten, zwischen welchen eilig die unruhige Zunge hervorzischelte, ausschnellte, einschmatzte, und dann mit verschlossenen Lidern, wie unter betender Demut vorgeneigt, leise, behutsam, innig die Puderquaste, während das Näschen in der Furcht des Staubes sich wegspreizte, über die gesenkten Wangen wischte, eifrig, oft und mit einer sehr ernsten, feierlichen, heiligen Miene wie Gottesdienstliches verrichtet wird; oder dann, wenn sie, auf Besorgung auswärts, ihn im Bette einsam zurückließ, unter den Spuren ihres Geruches in den schwülen Gruben, aus welchen ihm wonnige Gebilde dampften, zur Trunkenheit, verzückte Formen; oder im Frieden des Abends, wenn sie die Nacht erwarteten, während langsam die sanfte Erinnerung des Lichts verlosch, und schon schlief die Rede, und von ihren träumenden Lippen huschte nur noch ein scheues Lied, aus kindlichen Spielen herüber – da manchmal, hätte er in die Sterne hinauf jauchzen mögen vor unbändiger Wonne, weil ihm so namenlos gut war.
Anderes Mal wieder, gleich darauf, ohne Vermittlung, wandelte es ihn an, sie zu würgen, zu peitschen, zu zerfleischen, mit wühlenden Griffen durch ihr verhaßtes Fleisch, bis sie weg wäre, ausgetilgt, vor Wut, Grimm und Ekel; und er hätte den Grund [] nicht sagen können, gar keinen Grund, sondern es kam nur so, wußte nicht, woher, es kam nur so in Aufruhr über ihn und bestürzte ihn unwiderstehlich, wenn er sie bloß ansah, unversehens, manchmal, in das beste Glück hinein.
So kannte er sich gar nicht mehr aus, weil es wie eine Krankheit war, die in immer anderen Schrecken sich erneut, und wußte nicht, woran er war, und konnte sich nicht einrichten auf ein bestimmtes und verläßliches Gefühl und war immer in Sorge und Kummer, was denn wohl jetzt wieder geschehen würde, den nächsten Augenblick, und nimmermehr durch allen Eifer der Neugier entschied es sich, ob es Segen, ob es Fluch war.
Ärgerlich, dieses Wackeln zwischen den Gegensätzen, herüber, hinüber, mit ewig zweifelnder Seele. Ein entschiedenes Leid hätte er vorgezogen. Aber das Springen von einer Stimmung in die andere, rastlos, bis man zuletzt überhaupt gar nichts mehr wußte, in welcher man war, das konnte er nicht leiden.
Und es wechselte und wechselte, wie er auch ums Festhalten bemüht war, wechselte tausendfach, unaufhörlich, und ein einziges nur, wenn er recht gründlich forschte und alle Stimmungen zerlegte, Glied um Glied, wie sie sich zusammensetzten, ein einziges fand sich, das in dem ewzigen Wechsel blieb und verharrte.
Es blieb ein Herbes und Bitteres immer, das den Mund zusammenzog, ein kalter Saft am Grunde der vielen Gefühle, das nimmermehr vergehen wollte, nicht in den süßesten Wonnen.
Schwer zu beschreiben. Es war nur ein ganz [] leichter Zusatz, der nichts verdarb, aber überall herauszuschmecken in seinem seltsamen, traurigen Geruch; und oft hatte er schon daran gedacht, ob es nicht an der Zunge der Seele selber wäre, die es aussonderte, wie sie nur über ein Gefühl tastete, welches es auch war.
Manchmal, wenn er es ganz sicher festgestellt hatte, in vollem Glück zu sein diesen Augenblick gerade, da wurde es recht deutlich. Wenn er da nach der Seele lauschte, da wich aus allem Jauchzen niemals ein ganz sanfter Seufzer, und in allen Wallungen der Freude hatte er immer ein leises, feines Stechen an der Brust. Es war deswegen immer noch dasselbe Jauchzen; aber er mußte sich doch wundern, daß einem bei allem dem so traurig werden konnte.
Dieses Bittere – einen anderen hätte es verdrossen – tröstete ihn ein bißchen in der Unzufriedenheit mit dem Glücke, weil es doch wenigstens treu und beständig war, in den flüchtigen und verräterischen Wirbeln; man konnte sich darauf verlassen. Aber das Gefühl selbst, das schwankende und wendische, verbesserte es nicht, in keiner Weise, weil es nur von außen hineingemischt wurde, von seiner Unverträglichkeit mit dem Wirklichen, das immer sich von der Vorstellung weg absonderte und entfremdete: manchmal schöner, immer anders und immer darum schmerzlich. So war das einzige am Ende, welches er in der Fülle der Gefühle freundlich und vertraulich fand, nur immer seine eigene Spur.
Konnte es, konnte es denn sein, daß dieses die Liebe war, wirklich die Liebe, dieses veränderliche, unschlüssige und verdrossene?
[] Er hatte es sich so ganz, aber ganz anders gedacht, in ungestümen Hoffnungen!
Daß es mit Gewalt und Sieg ihm das Zersplitterte der Seele zusammenzwänge und aus den Zweifeln in sichere Pflicht risse, jäh und gebieterisch – und nun wußte es selber keinen Weg und war selber so schwank und ungewiß, ohne Richtung und Rat, so lau und grau wie schleichender, gebückter Herbst, der zwischen Reben und Schnee sich nicht entscheiden kann!
Es war ja zu unsäglich traurig, nimmermehr erträglich, wenn es auch mit der Liebe wieder nur auf hämischen Betrug herauskam, wie immer, überall, im ganzen Leben! Es wäre ja tödlich.
Und dann wieder, um sich zu retten, weil es ja nicht möglich war, mit neuem Mut, mit letzter Hoffnung, mit gieriger Zuversicht bohrte er die Frage von der anderen Seite an: »Verdiente sie denn die Liebe?«
Wenn es schon aus dem Gefühle selber nicht zu entscheiden war, ob es die Liebe, vielleicht ließ es sich aus seinen Umständen entscheiden, ob es wenigstens möglich, vielleicht wahrscheinlich sein konnte, daß es am Ende doch die Liebe wäre.
Verdiente sie denn die Liebe? Durch Güte, durch Schönheit, durch irgend eine Tugend vor den anderen – oder auch bloß, weil sie seinem besonderen Geschmacke gerade zusagte und seinen besonderen Wünschen gerade paßte? Das mußte man doch feststellen können.
Und da, auf einmal, wie er es von dieser Seite durchnahm, da wußte er zuletzt gar nichts mehr, und es zerrann ihm alles.
[] Er wußte nicht mehr zu antworten, weder so noch anders, auf gar keine Frage, nicht ob sie gut, nicht ob sie schön, nicht ob sie angenehm war – gar nichts mehr, gar nichts konnte er aussagen, alle Auskunft war versunken.
Es gab nichts Sicheres und Entschiedenes. Es war alles, wie man wollte. Man konnte es nehmen, wie einen die Lust anfiel, heute so und morgen so und jeden Tag von neuem anders, gerade wie's einem Spaß machte; nur der Spaß entschied – selber, wenn man es nicht formte, war es gar nichts.
Er ließ sich alles wunderschön beweisen, wie man es gerade nötig hatte, unwiderleglich jedesmal, durch die heilige Logik. Und natürlich gleich darauf, gleich unwiderleglich, durch dieselbe Heiligkeit der gleichen Logik, ebenso das Gegenteil, noch wunderschöner. Nichts hatte Farbe an sich selbst, sondern alles war geliehener Schein, und bloß das eigene Auge schickte seinen Schimmer darüber, der blendete und trog.
Wahrheit! Wahrheit! Aber Wahrheit war bloß, sich irgend etwas einzubilden, was es sein mochte, nach zufälliger Laune; Wahrheit war bloß, sich gründlich anzulügen.
Ja, sie war gut, wenn er es so wollte – aber ja! Gütigeres, reineres, innigeres Gemüt – dachte er oft bewegt – konnte man sich nicht vorstellen. Viele Zeichen nannten sich dafür, und manchmal für ein geringes, dürftiges Geschenk, an welchem nur der Wille wert war, eine Rose, eine Schleife, wenn dann wie an zartem Glasglöckchen der Dank an ihrem kleinen [] und verschämten Stimmchen läutete, so hold und zärtlich wie ein junger Knospentrieb, da wurde es ihm gleich zum Weinen vor Seligkeit und Wonne, daß solche Elfenanmut unter den rauhen Menschen war.
Und auch andere Male, wenn sie durch besonnte Wälder am leuchtenden Strome, unter Lerchengesang – aber es hing ihre Güte zu sehr vom Wetter, von der Landschaft ab, wie es regnete, oder regelmäßig auf der Heimkehr durch die staubigen, öden und verschmutzten Viertel der Armut, da auf einmal konnte sie ganz unausstehlich werden, launisch und boshaft, ins Häßliche verwandelt.
Ebenso im Bette, nichts Entschiedenes – aus dem einen in das andere, jäh, daß man nie heimisch ward, in keiner Stimmung. Manchmal vor dem Knirschenden, wenn ihn die Liebeswut anstürmte, da hatte sie oft, daß ihn erbarmte, aus aufgeschreckter und entsetzter Jungfräulichkeit einen schutzflehenden, hellvioletten Gazellenblick, wie eine kleine Heilige, wie die Johanna des Bastien-Lepage. Aber wenn sie dann mitten aus der seligen Ermattung, während ihm ganz feine Geigen über das Gehirn schaurige Gebete sangen, hastig sich in der Furcht emporriß und nachher fröstelnd unter Schelmereien sich an seinen heißen Fingern wärmte, da am liebsten hätte er sie erdrosseln mögen, weil sie auch nur eine Dirne war, wie die anderen, wie alle, wie alles, was Weib heißt.
Nein, sie war nicht ordentlich gut, und sie war auch nicht ordentlich schlecht, sie war allerhand durcheinander, wie's gerade kam, ein liederliches Gemisch aus [] Kot und Honig, wie die anderen, wie alle, wie alles, was Weib heißt.
Und man konnte nicht sagen, daß sie für ihn paßte und mit ihm stimmte, und konnte auch nicht sagen, daß sie gegen seine Wünsche und ihm verdrießlich war – nein, gar nichts, überhaupt, konnte man sagen, gar nichts, weil sie wechselte, ohne Halt, und rastlos sich verwandelte und nimmer festzuhalten war, wie überhaupt das ganze Leben, bei dem sich nie etwas empfinden ließ und wie ein Gefühl sich regte, ward bereits ein anderes wieder eingeläutet, und die Seele wurde ganz verwirrt und stumpf, und es kam über ihn eine große Müdigkeit und ein großer Ekel und er hätte nur schlafen mögen, traumlos schlafen, lange sich ausschlafen von dem rohen Durcheinander und Lärm, mit verschlossenen Lidern, weil es doch die Mühe niemals lohnte, irgend etwas anzuschauen.
Ja, er wußte eine lange Liste von Tugenden an ihr, die ihm gefielen. Aber dann wußte er eine ebenso lange von verächtlichen Lastern. Also, was war denn das für ein Leben? Wozu gehörten denn die Dinge rings herum, als einem einzuheizen, wenn man fror? Aber das sollte man alles immer nur aus der eigenen Seele besorgen und nur immer geben, nie, niemals empfangen!
In ihre Augen blickte er gern, da wurde ihm so friedlich und so still. Das hatte er am liebsten, wortlos vor ihr zu knieen mit gefalteten Händen und in ihren sanften Segen zu schauen, recht lange. Es war um sie aus schmerzlich Violett und hellem Golde ein feuchter [] Schimmer, wie Murillo die Wolken malt; und oft dachte er, jetzt gleich müßten sie auseinandergehen und dann, mit Sternen und Engeln würde sich der Himmel aufthun.
Und dann – das auch – hatte sie eine sehr feine Haut, die gut zu streicheln war. Das verträumte ihn mit schmachtenden Hoffnungen, wenn er darüber spielte wie über eine Katze. Da rieselte es durch sein beschleunigtes Blut, wie Geruch von weißem Heliotrop.
Und es ward Licht, wo sie wandelte, und sie strahlte Leben aus, daß er sich noch einmal so kräftig fühlte, wenn er nur ihren Schein trank, und immer mußte er an die Diana des Baudelaire denken: s'enivrant de tapage. Da sog er sich dann fest an ihr, wie an einem Schwamm, der von Freude, Mut und Hoffnung troff.
Ja, das alles war wohl sehr gut und köstlich.
Aber dann auf der anderen Seite.
Warum sprang sie so grausam aus einer Stimmung in die andere, daß man in keiner seßhaft und nur ganz schwindlig wurde, vom Himmlischen in das Gemeine, daß alle Ordnung sich verlor?
Und sie hatte, das war noch ärger, sie hatte keine Manieren. Sie konnte – keine Lehre half, wie viel er ihr auch vorschrieb – das Magazin nicht vergessen.
Oft saßen sie im Café zum Absynth, und er betrachtete sie, wie sie träumte, und da auf einmal, wenn ein neuer Gast kam, da knixte sie plötzlich zusammen und sagte mechanisch: »Mein Herr,« mit dienstbereiten Grüßen auf den wackelnden Lippen, wie sie es aus [] dem Magazin gewohnt war, so oft die Thüre ging – und er mußte ihr erst einen Puff versetzen, und am liebsten vor Zorn hätte er sie windelweich geprügelt.
Und so tausendmal, jeden Tag was anderes – ah, er durfte ja gar nicht dran denken!
Es fehlte ihr das Künstlerische, die Würde, die Haltung, die Hoheit, der große Stil – gerade was er brauchte, das fehlte ihr alles. Sie war und blieb, wie Marius es gesagt hatte am ersten Tag: ein herziges Radaumädel. Und seine schwelgerische Hoffnung!
Und gleich zuthunlich und vertraulich gegen alle Welt und erzählte der Hausmeisterin ihr ganzes Leben, jedes Geheimnis, und der Bäckerjunge, welcher des Morgens die Kipfel brachte, wurde bald ihr bester Freund, weil er den Paulus so vortrefflich kopierte, aber schon ganz famos. Und sein vermessener Wahn, so oft in üppigen Gesichten stolzwüchsiger Träume, daß vor dem sengenden Sonnenadel seiner Geliebten dereinst betende Völker die Kniee bögen unter Schauern der Ehrfurcht und in irren, stammelnden Seligkeiten, wie vor gesalbter Majestät!
Und alle Tage verbummelte und verlotterte sie sich nur immer mehr. Sie war nicht wieder zu erkennen, wenn er vier Wochen zurück dachte. Anfangs, die ersten Tage, hatte sie sich noch ein bißchen zusammengenommen und die natürliche Gemeinheit des Weibes hinter Scham, Zärtlichkeit und Leidenschaft verkleistert. Aber natürlich, jetzt hatte sie längst die überflüssige Mühe nicht nötig, als höchstens wenn einmal fremder Besuch kam. Da, freilich, spielte sie allerliebst die [] Dame oder das gute Kind und that sehr nett und wurde wieder ganz erträglich. Aber sie entschädigte sich schon für den lästigen Zwang, nachher, sobald sie nur wieder allein waren.
Selbst zur Toilette – und das konnte er gar nicht vertragen – war sie oft zu faul, sondern schlampte ungewaschen ganze Tage in dem verschlissenen und ausgefransten Schlafrock herum, brütete über blöden Launen, verdrossen, weil sie sich keine Beschäftigung wußte, zänkisch, um sich die Zeit zu vertreiben, geil durch das lange Wälzen in den schwülen Kissen, und in schmutzigem Tratsch, über alle Geheimnisse der Wollust, mit den Mätressen der anderen Maler, deren Sitten und Gebräuche und Redensarten sie begierig äffte, um nicht verlacht zu werden, verkokottete sie mit jedem Tage mehr.
Und das Ganze nennt man Liebe, höhnte er sich dann selber und spuckte vor Ingrimm, als hätte er den Schlund voll Schlamm.
Das Glück hatte er sie genannt, damals in der Eselei des ersten Rausches.
Und er behandelte sie wie die nächste Dirne von der Straße.
Was war denn auch für ein Unterschied von den anderen, wie er sie sonst auf Maskeraden, in Spelunken, hinter dem Zaune aufgefischt hatte, eilig, eine halbe Stunde? Daß er es damals nach dem Stücke bezahlte ... immer noch billiger ... Und daß das Hinausschmeißen jetzt umständlicher war!
Und wenn sie wenigstens schön gewesen wäre, [] wenigstens schön – sonst begehrte er ja gar nichts, aber doch wenigstens schön! Aber er glaubte es nicht mehr, nein, auch dieses nicht mehr. Es war sicher auch nur wieder ein dummer Betrug seiner schwindeligen Sinne, wie alles Schöne, alles Gute!
Es verhielt sich mit ihrem Gesicht, wie mit seinem Gefühl: alles durcheinander geschmiert und verwischt und jede deutliche Gewißheit ausgelöscht. Ja, er konnte sie so ansehen, daß sie schön war, wie ein frommes Kindermärchen. Aber dazu brauchte sie ihn, immer ihn, seinen Blick, der erst die Schönheit in sie hinein trug: selber war sie gar nichts.
Und er dürstete, ausgetrocknet zum Verschmachten, nach einer sicheren und entschiedenen und unabhängigen Schönheit und Güte, die, lebendig außer ihm in eigener Herrlichkeit, seine spröden Zweifel überwältigt hätte!
Aber man konnte immer so und auch anders, und nichts bändigte die Willkür. Es war nichts Ordentliches, überhaupt niemals im Leben, nirgends.
Und drum, natürlich, konnte man keine Kunst machen.
Und er führte sie herum und verglich sie. Wenn sie schon nicht schön war, vielleicht war sie doch wenigstens schöner als die anderen. Wenigstens die Eitelkeit konnte dann schwelgen.
Und sein Schmerz wuchs, wenn er manchmal einer edleren Nase, kühneren Lippen, dralleren Waden begegnete. Tadellos war keine. Man hätte ein Dutzend nehmen und tranchieren müssen, und dann aus diesen Armen, jenem Busen könnte man das Normalweib zusammenleimen, das der Menschheit fehlte.
[] Und so lange, bis er das Normalweib fand, irgendwo, irgendwie, so lange konnte er nimmermehr lieben.
Nein, es war nicht die Liebe, sicher nicht.
Es war nicht die Liebe, es war nur –! Ja, da, jedesmal stolperte und stockte seine Erwägung, und die Logik war am Ende. Was denn, was anders konnte es denn sonst sein?
Und Tage lang strich er um dieses Rätsel und betastete es und schnupperte in alle Winkel.
Wenn er dachte, sie könnte ihn vielleicht wieder verlassen – nein, nein, nur der bloße Gedanke war schon Wahnsinn! Nimmermehr ertrüge er es. Ohne sie zu leben, nur einen Tag, eine einzige Nacht – nein, das konnte er sich nimmermehr vorstellen.
Aber warum liebte er sie dann nicht?
Entweder – oder!
Rechtschaffen sich lieben und rechtschaffen glück lich sein, wenn man schon zusammen lebte.
Oder, da die Begierde befriedigt war, in Freundschaft auseinandergehen, wenn man sich nicht liebte.
Aber er wollte nicht das eine und konnte nicht das andere und wußte nicht, was daraus werden sollte.
Er hätte sich in die ganze Geschichte überhaupt nicht einlassen sollen von vornherein.
Das Einfachste und Bequemste wäre es eben doch gewesen – darauf kam er immer am Ende zurück – da er sie nun einmal hatte und Trennung nur erst Leid und eine Menge Umstände machte, das Einfachste und Bequemste war es ohne Zweifel, wenn er sich entschloß, sie zu lieben.
[] Dieses löste alle Schwierigkeiten, wenn er sich entschloß, sie zu lieben.
Wie die Dinge nun doch einmal lagen.
Es kam nur auf ihn au. Dann war sie gut, dann war sie schön, dann kehrte das Glück der ersten Woche wieder. Er brauchte sie nur zu lieben.
Und er liebte sie ja auch, ohnedies.
Sonst war es ja nicht zu erklären. Woher denn sonst?
Er redete es sich nur ein, das andere.
Ganz gewiß liebte er sie. Sonst hätte er gar nicht so lange darüber geforscht, ob er sie liebe.
Er liebte sie ganz gewiß, nur an der Form fehlte ihm was.
Ja.
Es war ganz wie mit der Kunst. Er hatte sie alle beide, die Liebe und die Kunst. Aber er vermochte sie nicht zu gestalten.
Und da fand er eines Tages die Formel, die alles erklärte, ganz genau: es handelte sich um die neue Liebe.
Um die neue Liebe, wie es sich um die neue Kunst handelte. Genau dasselbe.
Nun war das Rätsel klar, auf einmal.
Das gefiel ihm ungemein. Ein ganzes System ließ sich daraus machen. Er führte es wunderschön durch, alle Paragraphen.
Merkwürdig, daß noch kein anderer darauf gekommen.
Der Aberglaube war doch zu einfältig, daß in [] dem ewigen Wechsel aller Dinge die Liebe allein unwandelbar bliebe, von der Steinzeit bis aufs Elektrische, in immer gleicher Form.
Es wechselten Götter und Rechte, die Hoffnungen und die Wünsche, das Leben und das Denken. Natürlich wechselte auch die Liebe.
Und die neue Zeit begehrte neue Liebe, wie sie neue Kunst begehrte. Es galt eine Liebe zu finden, welche diesem sinkenden Geschlecht gerecht war. Eine neue Erscheinung der Liebe, welche sich in die allgemeine Decadençe schickte. Mit der alten ließ sich nichts mehr anfangen. Man mußte sie auf den Stil »fin de siècle!« bringen.
Und wie er nun einmal so weit war, daß er diese Namen verwenden konnte, da wurde er schon sehr vergnügt.
Decadençe und fin de siècle, damit ging alles. In der Kunst handelte es sich ja auch um nichts anderes.
Und er sann und bekräftigte es sich durch viele Beweise.
Natürlich, die Dutzendmenschen, die immer träge hinter der Entwickelung haschten, die konnten noch glücklich werden in der alten Dutzendliebe. Sie vertrugen ja auch die alte Dutzendmalerei ganz gut.
Aber die Elitemenschen, die Pfadsucher, die Wegweiser der Entwickelung, welche vor den Jahrhunderten wandeln! In ihren Begierden jedesmal meldete sich jedes neue Bedürfnis der Menschheit zuerst. Sie litten, zum Sporn, um zu ringen, zu belagern, zu erobern, Märtyrer der Kultur, damit die anderen dann[] den erbeuteten Segen genössen, die glücklichen Schläfer hinten im Troß.
Er mußte die neue Liebe begründen.
Jetzt hatte er wieder einen Zweck, wofür zu leben.
Etwas ganz Nervöses, Raffiniertes, Kompliziertes mußte es werden, weil sie ja dieses nervöse, raffinierte, komplizierte Geschlecht ausdrücken sollte. Und er grübelte nach anderen Fremdworten: denn in der eigenen Sprache konnte man sich nicht nähern.
Und nur etwas ganz Neues, ganz neu, unerhört – das Große, was noch vor der Menschheit liegt.
Daher diese Geburtswehen.
Und nur keine halbe Neuerung, sondern ganz – ganz –
Er fand aber kein Wort. Er wußte es schon, wie. Aber er konnte es nur durch eine Geberde sagen, durch eine große Geberde in kühnem Bogen weit hinaus, und dazu immer wiederholen, mit mächtigem Atem tief herauf: ganz, ganz!
Wenn er nur einmal die Sache hatte, dann kam schon auch das Wort.
Im Stile der Elektrizität und des Dampfes, darum handelte es sich.
Eine Edison-Liebe.
Das würde dann auch die neue Religion sein.
Aber darin glich sie auch wieder der Kunst: daß das Alte unwiederbringlich dahin und nicht länger erträglich war – aber sonst, außer ihrer Unentbehrlichkeit, wußte man nichts von der neuen.
Er besaß von der neuen Kunst und von der [] neuen Liebe gerade genug, daß es ihm die Zufriedenheit in den alten verdarb. Aber nicht mehr.
Nicht mehr als die Forderung des neuen, den sehnsüchtigen Trieb darauf.
Man mußte ihn kräftigen, bis er unwiderstehlich wurde, alle Hemmnisse zu sprengen.
Nur nicht nachgeben, sich nicht abschrecken lassen.
Die Hauptsache war ja doch, auf der richtigen Fährte zu sein. Jetzt nur vorwärts mit der rüstigen Axt durchs Gestrüpp.
Wenn er ihr Stifter würde, der neuen Kunst und der neuen Liebe zugleich, Heiland aller Begierden!
Dann war dieses irre, lechzende, hungrige Gefühl erlöst, die seelenmörderische Krankheit der Zeit.
Ja, weil sie die Liebe brauchten und konnten sie nicht finden! Darum war ein solches Brausen überall, in blutigen Blitzen. Weil sie nicht lieben konnten.
Die Liebe mußte wieder unter die Menschen gebracht werden, die Möglichkeit der Liebe.
Nur nachdenken und forschen, prüfen und versuchen, die Wirkungen vergleichen.
Experimentieren.
Ungefähr einen Plan, einen Grundriß des Verfahrens konnte man ja aus dem Charakter der Zeit gewinnen.
Die neue Liebe müßte ungeheuer sein, gewaltsam, roh, jäh, furchtbar, maßlos – gotisch muß sie sein, wie die Zeit.
Und dabei etwas ganz Feines, Zartes, zierlich Gedrechseltes, wie ein japanisches Figürchen.
[] Ein Riese, aber der Chic hat.
Ja, das war der eigentliche Charakter der Zeit, diese Vereinigung von Gigantischem und Churriguereskem.
Wie eine schnaubende und tosende Maschine, an welcher doch jedes winzige Knöchelchen so knospenhaft zärtlich und mildwüchsig ist, wie ein junger Kuß.
Ja, eine maschinenmäßige Liebe.
Das war es.
Freilich, das Detail blieb noch geheim. Es konnte sein, daß man überhaupt ein neues Prinzip in die Liebe bringen mußte, etwas wie den Dampf, und das wurde eine Revolution bis in den letzten Grund, und nichts verweilte vom Alten als eine verwunderte, ungläubige Erinnerung. Nur der gleiche Name dauerte fort.
Oder es genügte, in der alten Überlieferung, eine technische Neuerung, ohne Wandel des Wesens. Man änderte bloß das Verfahren. Hilfreiche Handgriffe wurden erfunden.
Aber das alles lag noch schwarz im Übel.
Das alles mußte erst reifen und wachsen, unter der Sonne der Gewohnheit.
Wenn er nur die Spur nicht verlor.
Wenn er nur nicht ermüdete.
Wenn er nur nicht wankte im Glauben und Vertrauen, so oft es auch mißraten mochte.
Und dafür, vor allem, mußte er sich die Unerträglichkeit der alten Liebe recht lebendig machen, bis ihm Leib und Seele schrieen, unter Wunden, nach Erlösung.
[] Das war sehr wichtig.
Dann durfte er die neue hoffen, wenn er zuvor erst an der alten ganz verzweifelt war. Früher nicht.
Nun freute er sich, wenn er litt, und suchte das Leid. Nun suchte er den Ekel und das Grauen bei ihr, um die Empörung zu beschleunigen und den Sieg.
Und dann horchte er begierig, ob es noch immer sich nicht melden wollte.
Und alle Tage kroch sein Gehirn diesen nämlichen Weg, von der Trauer zum Zweifel und immer zuletzt an diese Hoffnung.
Anders konnte er ja auch nicht leben.
Wenn auch dieses wieder nur betrog –
Oft verlor er allen Mut. Dann beschloß er, nicht mehr daran zu denken.
Bis dann wieder von außen ein Stoß – wie heute mit dem Liebermann –
Und da wickelte sich die Spule wieder herunter. Und morgen wieder.
Nein, dieses konnte ja nicht betrügen. Es war so logisch.
Nur nicht irre werden. Nur beharren. Nur vertrauen.
Er hatte ja auch schon, wenngleich noch wüst und ungestalt, in verworrenen Drängen manchen führen den Instinkt.
Nur herausgearbeitet mußte es erst werden.
Stundenlang, oft, brütete er an den Abhängen seiner Triebe, ob die wilde Blume noch immer nicht [] aufkeimen wollte, und lauschte nach der Seele hin, wie die Launen und Wünsche strichen, und verzeichnete jede Spur.
Nur Geduld. Heute eine Vermutung, die morgen wieder zerflatterte, aber um in acht Tagen zurückzukehren und in neuen Anwandlungen zu erstarken. Und auf einmal – bisweilen fühlte er es schon ganz deutlich heraufsteigen – eines schönen Morgens würde es ihm aus dem Schädel springen, fertig und auf jeden Widerspruch gerüstet.
Ganz anders mußte sie sein.
Ganz, ganz anders.
Diese Losung sagte er sich alle Stunden vor und wiederholte sie hartnäckig, wie ein heilkräftiges Gebet. Sonst wußte er nichts, als nur: anders, ganz anders. Daran klammerte er sich.
Das Gegenteil, das Gegenteil von allem, von allem Gewesenen und Erfindlichen.
Wie die Zeit das Gegenteil war und ganz anders.
Darum konnte man mit der Vernunft nichts ausrichten, nein, die half gar nichts, sondern mußte warten, bis es einem das Gefühl eingäbe.
Es mußte einem geschenkt werden.
Das Unfaßliche im Gefühl, das war es. Der Ausdruck des Unausdrücklichen, wohin kein Gedanke reichte, würde es werden. Was bisher nur in der Musik gewesen ist.
Was manchmal in den hohen Schichten des Gehirns, wenn sie sich erweichen, von Sehnsucht singt, wie eine zersprungene Harfe, über die ein Seufzer weht.
[] Was manchmal den Schlund dolcht, daß man schlucken muß, wie vor Thränen, und kann es sich nicht deuten.
Ganz weißgekleidet würde es sein.
Immer mußte er an die Mönche des Zurbaran denken – so, irgendwie.
Und auch auf gelbem Grunde. Schmutzig Gelb, lechzend, verzückt, ermattet, ausröchelnd, verschmachtend und mit violetten Tönen, aber nur ganz leise.
Ja, keusch.
Er fühlte es mit Wollust, daß sie sehr keusch sein würde. Er bemerkte neuerdings an sich eine große Neigung, unbezwinglich, zur Keuschheit, ganz seltsam, wunderlich, unerklärlich, die ihm früher niemals aufgefallen war. Nein, er konnte sich nicht erinnern.
Das war schon ein Zeichen.
Seine Sehnsucht irrte nach einem mystischen Glück der Enthaltsamkeit, ohne ein wirkliches Weib, mit dem bloßen Traum, ganz allein, mit der bloßen Vorstellung, eine entfleischte Liebe, welche ohne den Schatten des Leides und ohne Ende sein könnte, niemals unterbrochen, keinen Augenblick, ein ewiger Rausch ohne Ernüchterung, ohne Erwachen.
So etwas.
Schön waren doch nur die Begierden. Man mußte sie verhindern, erfüllt zu werden.
Der wahre Genuß war doch immer allein in der Vorstellung vor dem Genuß. Der wirkliche brachte bloß Schmerz und Schmutz und Ekel. Er enttäuschte und verdroß und verdarb den Mut der schönen Einbildung.
[] Nur eine einsame Liebe konnte unendlich sein.
Er unternahm Versuche.
Einmal, als sie fort war, bereitete er feierlich alles zur Hochzeit und öffnete über sich den Flaçon ihres Parfüms, Corylopsis. Dann mit geschlossenen Lidern erweckte er ihr Bild und vollzog in sanften Tänzen mit ihm liebliche Gebärden, deren Leidenschaft wechselte und wuchs, unter holden und verschämten Spielen. Da, mit seligen Wallungen, fühlte er ihre Güte, ihre Schönheit ganz entkleidet vom Gemeinen, in lauteren Verkündigungen, ohne den Makel der rauhen Wirklichkeit, und konnte sie ganz in sich verwandeln, aufsaugen, ausschlürfen, ohne daß ein fremder Rest wie eine trübe Hefe blieb.
Das war die keusche Wollust. Da hatte er es perlgrau im Gehirn, in schmächtiges Violett hinüber.
Ja, auf diesem Wege mußte sie kommen, auf keinem anderen.
Er wiederholte sie oft, diese seraphischen Umarmungen.
Er liebte sie gar nicht mehr anders, als wenn sie fort war. Da wurde ihm köstlich. Das andere marterte ihn nur, wie wüster Traum mit schweren Alpen.
Ja, auf diesem Wege mußte sie kommen.
Und er harrte, demütig und treu. Nimmermehr wollte er verzagen. Er erneuerte sich das Gelöbnis, während er träumte, unter der schwülen Linde.
Da wurde ihm plötzlich sehr gut und es kam eine freudige Zuversicht über ihn, wie noch nie, daß er schon ganz nahe war. Und dann verdankte er es [] am Ende doch nur ihr allein, und sie war halt doch das Glück, trotz alledem. Und es wurde ihm zum Weinen und er schämte sich, wie er oft gegen sie war.
Da schlug er die Augen auf und gewahrte es, woher ihn solche Zärtlichkeit anwandelte.
Es war neben ihm eine Blumenhändlerin aufgefahren, Rosen und Nelken und Reseda, ein mächtiger Karren.
Ja, dachte er sich, während er heimwärts schritt; wenn man immer Rosen neben sich hätte, welche riechen, da könnte man freilich leicht gut sein.
[] VIII.
Auswärts dinieren. Mit diesem Entschluß kam er heim.
Damit sich ihm nicht erst wieder die Stimmung verdürbe, der Friede, das Behagen.
Er fürchtete sich. Immer, so oft ihm angenehm wurde, kam diese Furcht. In allen Genüssen, wenn er die Empfindung recht sondierte, hatte er eigentlich immer nur Angst vor ihrem Verluste; das herrschte.
Er verwendete viele Mühe, die guten Anwandlungen zu befestigen. Man mußte es nur erst lernen, glücklich zu sein, durch Fleiß, mit Überlegung, aus Erfahrungen. Die Technik des Glückes mußte man erst erwerben, anders ließ es sich nicht gestalten.
Dann hatte man wenigstens ein ruhiges Gewissen, das Seinige gethan zu haben, und ersparte sich die Reue.
Nur das Fremde von der Stimmung verscheuchen, daß sie heimisch werden könnte.
Das Blumenduftige in der Laune bewahren.
Aber er wußte, daß es nicht hielt, wenn sie allein waren.
[] Er kannte es schon. Nur nicht allein. Man mußte etwas zwischen sie stellen.
Blitzableiter nannte er es.
Sie liebten sich eigentlich nur noch, wenn sie durch andere Beschäftigung verhindert waren, sich zu lieben.
Auswärts dinieren. Boulevard St. Michel, Hotel de Suez – natürlich.
Seine Gewohnheit, immer die gleichen Orte aufzusuchen, sehr konservativ, die Freunde lachten. In einen neuen brachte man ihn schwer, weil alles Fremde ihn gleich verwirrte. Da wurde er, wenn seine Trägheit verstört war, ganz kopfscheu und hilflos, wie eine aufgeschreckte Henne, und lief erst lange draußen um alle Thüren, unentschlossen und dennoch begierig, und wußte sich keinen Rat, ganz verzweifelt.
Und dann war ihm dieses auch das Muster, schlechtweg, ohnegleichen. Er konnte es nicht begreifen, daß für die anderen sich überhaupt noch Gäste fanden. Er hieß es nur: das ideale Hotel – ein besseres war mit aller Einbildung nimmermehr auszudenken.
Erstens, weil die Madame gar so lieb war. Nicht mehr ganz jung, aber mütterlich, schwesterlich, bräutlich, alles zusammen, betraute und pflegte und hätschelte sie einen – ungeheuer nett. Gerade was er brauchte. Es kam ihm weniger auf Liebe und auf Freundschaft an, als daß sie ihm lebhaft und deutlich immer neu versichert und beteuert wurden. Das wollte er: jemanden, der ihm recht schön that; warum und ob es aufrichtig war, das konnte einem zuletzt gleich sein. Aber ohne das war ihm kein Leben schmackhaft.
[] Und dann Maler, Studenten, vom Theater, leichtes und frohes Völkchen, nicht diese fade und steife Gasthof-Engländerei. Singen, Tanzen, gern Champagner, der reine Murger. Übermut, Ausgelassenheit oft, nie Langeweile.
Durch eine kleine Soubrette vom Cluny, zufällig, ein herziges Mauserl, mit der er einmal bei Bullier angebandelt hatte, lernte er es kennen. Immer kreuzfidel, unverfälschtes Quartier Latin von der alten Marke, wie es sonst bloß noch in Büchern ist, Gauloiserie im Schlafrock. Schade, daß es keine Ateliers gab.
Aber wenn er sich einen guten Tag anthun wollte, kam er dinieren. Das bürstete die Grillen weg. Und die hatten geschaut, wie er Fifi zum ersten Male brachte, im Triumph; Madame war gleich in sie völlig verliebt gewesen.
Nur die armen Löwen verdrossen ihn, daß sie auch heute wieder da waren, welche er nicht leiden konnte. Warum man sie nicht einfach hinausschmiß, begriff er nicht. Sie würden doch am Ende nur noch das ganze Hotel verschandeln, wenn man sie erst einnisten ließ.
Marius war's, der ihnen den Spitznamen aufgebracht hatte, frei nach Augier. Nämlich ein Wiener Commis, mit dem Größenwahn, daß er Pariser sei, in welchem er es durch Fleiß und Ausdauer richtig auch erreicht hatte, nur noch ein ganz jämmerliches Deutsch zu spucken; dann der Herr, der nach Jodoform roch; und der mit der schiefen Nase, links hinüber, welcher bei den Rennen wettete, alle Tage nach dem [] Gil Blas, gehorsam, fünf Franken auf jedes, was im Ausgleich wöchentlich einen geringen, aber zuverlässigen Gewinn gab, von welchem er Manschettenknöpfe kaufen und die Wäscherin schuldig bleiben konnte. Sie hatten zusammen ein Paar Lackschuhe, eine rote Krawatte und keinen Sou.
Sie karrikierten die Karrikaturen des Pschutt im Journal Amüsant, und jeder hielt im Jockey-Klub einen Schutzheiligen, dessen Wandel zu befolgen sein mutiger Ehrgeiz war. Einmal die Woche mieteten sie zusammen eine Horizontale, damit sie sich mit ihnen drei Stunden in eine geschenkte Loge setzte. Nouvelles à la main holten sie ihre Gespräche.
Schließlich und endlich brauchte er sich ja nicht um sie kümmern. Nur daß Fifi gleich wieder grüßen mußte mit Nicken und mit Knixen und mit Winken wie nach guten Freunden, das giftete ihn. Natürlich klemmte da der Herr, der nach Jodoform roch, sofort das Monocle auf.
»Weißt,« sagte sie, »die schiefe Nase muß ich etwas anblinzeln, anders kann ich mir nicht helfen, es ist zu fesch. Da fängt er dann zu blasen an, daß die Backen wackeln.«
Und sie machte wieder ein gar so liebes Gesichtel, wie sie es zeigte. Wenn nur die anderen Leute nicht gewesen wären, die es doch nicht wissen konnten, daß es bloß zum Spaß war! Und da ärgerte er sich wieder über sich selbst, daß er sich um die anderen Leute kümmerte – unwürdig des Künstlers.
Aber nein, er kümmerte sich nicht um die anderen[] Leute, gewiß nicht, sondern hatte bloß ein gewisses Gefühl für das Convenable. Worin gerade sich die wahre Bildung zeigt. An diesem Mangel merkte man ihre niedere Herkunft. Das war ihm wieder angenehm, diese Überlegenheit zu empfinden.
Man mußte sie halt erst erziehen. Das durfte er nicht so vernachlässigen. Seine Schuld. Man mußte ihren Geschmack auf das Ernste richten. Und er begann sofort von seinem neuen Bilde zu erzählen und ihr die Aufgabe der modernen Künste zu erklären mit einer feierlichen und sehr lehrhaften Miene.
»Was trinken wir denn?« sagte sie.
Und gleich, ganz empört:
»Nein, danke, den Wein kenne ich. Als ob Du Deine Pinsel ausgewaschen hättest. Eher sterben.«
Darüber stritten sie eine Weile, weil er sein Hotel nicht ungestraft beleidigen ließ, bis die Suppe kalt war. »Na also,« sagte sie dann vorwurfsvoll. »Da hast Du's.«
Aber er, als mit dem Bier die nämliche Geschichte war, weil es nur von den Preußen zur Vergiftung der Menschen erfunden ist – mit männlicher Entschiedenheit:
»Trinkst halt gar nichts – am einfachsten.«
»Natürlich, das wär' Dir das liebste.« Und sie nahm die Opfermiene an. Es offenbarte sich einmal mehr seine ganze Schlechtigkeit und Tücke.
Es ist immer noch besser, eine krumme Nase als ein krummes Herz zu haben. Wenigstens würde die schiefe Nase seine Mätresse nicht verdursten lassen, sicher [] nicht. Und was das Körperliche betrifft, oh, an das gewöhnt man sich rasch – an ihn hatte sie sich ja endlich auch gewöhnt, und er sollte nur erst einmal in den Spiegel schauen.
Wenn nur die anderen Leute nicht gewesen wären! Da hätte er ihr schon den Herrn gezeigt, und gehörig! Es blieb aber nichts anderes übrig, als sie mit Bitten und Beteuerungen zu beruhigen. Sie war sonst im stande, eine große Scene anzufangen, vor den Löwen ungeniert. Aber warte nur – daheim!
Und daß sie dann gerade am allerbesten gefiel, wenn sie die Rokoko-Lippen aufsteckte, schmollend und hoffärtig!
Sie einigten sich auf Eau de Vichy. Ihr war ja schon überhaupt alles gleich, weil ihr doch einmal alles Glück verwehrt blieb, und sie traute sich kein Wort mehr zu sagen, weil es doch niemals recht war, und eigenen Willen durften ja die unterdrückten Frauen keinen haben, und sie verzichtete schon auf alles und wollte geduldig jede Mißhandlung gern ertragen. Meinetwegen Seinewasser, wenn der Gebieter es befahl – nur Ruhe sollte er ihr endlich geben und nicht erst fragen, da doch das Gegenteil geschah, immer. Bloß Eau de Vichy gerade konnte sie gar nicht vertragen, weil ihr der Magen gleich zu klimpern anfing, und vertauschte es mit Saint Galmier. Und dann trank sie aus seinem Glase seinen ganzen Wein.
Er verbiß seinen Grimm in eine Omelette. Madame brachte sie ihm jetzt immer noch einmal so groß und rühmte sehr mit schlauem und vertraulich pfiffigem[] Lächeln ihre Wirksamkeit. Da ward Fifi gleich wieder lustig, von lächerlichen Gedanken, und schäkerte viel Übermut.
Jetzt verdroß ihn wieder der April ihrer Laune, daß sie so wendisch und wandelig war. Sie hatte keinen Charakter. Sie war eine moralische Impressionistin.
Erziehen, wiederholte er sich. Aber zuerst wollte er die Omelette verspeisen in Frieden.
Ja, moralische Impressionistin, sagte er noch einmal zu sich selber und kaute lange an dem Wort: das drückte sie vortrefflich aus, ihre ganze Weise, die immer nur von den äußeren Zufällen, nicht von der inneren Natur bestimmt ward, immer Echo, niemals selbstisch und darum niemals zuverlässig, unberechenbar. Sie war immer wie die Dinge um sie. Davon, welchem sie gerade begegnete, hing sie ab. Nur was man in sie hinein trug, konnte sie einem geben, nichts Eigenes. Und darum war es nichts. Das Umgekehrte gerade hätte er gebraucht.
Jede Natur wäre ihm recht gewesen, jede. In jede hätte er sich gefunden. Aber eine Natur mußte es sein, kein Papagei der Ereignisse.
Etwas Bestimmtes, Ausgemachtes und darum Gleichbleibendes. Das Herumspringen von einer Laune zur anderen, daß man in keiner warm und heimisch werden konnte, das vertrug er gar nicht. Es verdarb alle Gemütlichkeit.
Aber er gab sich einen Schups, von diesen Gedanken weg, weil es ihm schon wieder schwarz und kalt in der Seele aufstieg.
[] Und wenn sie nur wenigstens nicht immer mit dem Messer gegessen hätte! Und natürlich tief gekränkt beim ersten Wort, das er sagte. Es war schrecklich, wie sie den Fisch behandelte. Erst in den Gräten wüst herumgestochert, ohne jedes System, während sie mit der Gabel ungeduldig auf dem Tische trommelte, und plötzlich, schwups! alles auf die Messerspitze zusammengepackt, die Finger mußten nachhelfen, und hinein die ganze Ladung, als ob sie das Messer mit verschlucken wollte, daß einem angst und bange ward um das arme Zünglein. Und nachher natürlich – das war ja sein besonderes Pech, noch dazu, alles voraus zusehen und vor dem wirklichen Leide vorweg schon von der Vorstellung zu leiden – natürlich würde sie dann wieder die Bratensauce mit Brot austunken.
Gewiß, lächerlich, solches so tragisch zu nehmen. Aber wenn der Künstler einmal Aristokrat ist, notwendig, vom Scheitel zur Sohle –! Was ließ sich denn dagegen thun?
Es half nichts, er mußte es ihr doch wieder sagen. Mit Schonung natürlich.
Die Rosenfinger, diese süßen, unheimlich schmalen und, wie Marius sagte, anatomisch unmöglichen Finger in der gelben Sauce – ja, dekorativ wirkte es schon. Sehr. Aber es nützte nichts, er mußte es ihr doch wieder sagen.
Später einmal würde sie es ihm selber danken, die kleine Wilde.
Aber da lachte sie nur und zeigte die blanken[] Zähne hinter dem Salat, welche sehr schmal und spitz waren, und begann wieder nach der schiefen Nase hin zu äugeln, ganz absichtslos.
Wie er sich zufällig umdrehte, gewahrte er, daß die schiefe Nase die Hand aufs Herz legte und in sein absynthenes Gesicht eine Beteuerung von Liebe schnitt, mit gespitztem Munde.
Am liebsten hätte er den Gecken hinausgeprügelt.
Lächerlich werden?
Davor fürchtete er sich.
Ja, Marius, der so höflich saugrob wurde, famos, und auf einmal lag der andere draußen. Aber das verstand er nicht. Entweder als hätte er nichts bemerkt, oder aber hauen, gleich dreinhauen, ohne lange Einleitung.
Als hätte er nichts bemerkt – immer das Bequemste. Und sich in den Braten vertiefen.
Sie waren auch ganz unschuldig zuletzt. Fifi hatte angefangen.
Freilich, zum Spaß, aus Ubermut bloß, wie sie schon necksüchtig war.
Sie dachte nichts Schlechtes dabei. Dafür kannte er sie genug, um das ganz sicher zu wissen. Wenn es nur auch die anderen gewußt hätten.
Aber da beobachtete vielleicht ein Fremder in einer Ecke irgendwo bloß nach dem Schein, natürlich, und lächelte über ihn und hatte Mitleid.
Wie man es schon macht, leichtfertig, ohne zu prüfen. Und dann werden Geschichten erzählt.
Lächelte vielleicht und hatte Mitleid.
[] Es wurde ihm ganz kalt. Er aß mit großer Hast mächtige, unzerschnittene Brocken, eilig stopfend. Er schämte sich, daß es ihm jeder ansehen mußte.
Er wußte, daß er ihr vertrauen konnte.
Er wußte, daß er ihr vertrauen konnte.
Er wiederholte es sich immer wieder.
Nein, sie würde es ihm ruhig sagen. Sie würde ihm offen kündigen. Das wenigstens war das Gute bei ihrem Charakter, daß sie nicht log.
Er wußte, daß er ihr vertrauen konnte.
Aber darum handelte es sich gar nicht. Davon hatte man schließlich gar nichts.
Gar nichts, als erst recht Ärger und Verdruß. Denn auf ihre Tugend gerade sündigte sie. Sonst hätte sie sich ganz anders gehütet.
Er fing an die Betrogenen zu beneiden. Weil ihnen jeder Verdacht und Argwohn sorgfältig aus dem Wege geräumt wird. Mit ihnen bloß sind die Frauen wirklich nett.
Und ihr Unglück ist doch wirklich recht platonisch. Wenn sie es nicht wissen –!
Es that ihm leid, daß ihn Fifi nicht betrog. Dann hätte sie ihm alle Reizungen der Eifersucht ersparen müssen.
Freilich, sie hätte ihn dann nicht geliebt. Aber er hätte sie lieben können.
Und das war eigentlich wichtiger, da doch endlich alles Einbildung ist.
Wirklich, je gründlicher er es überlegte, desto angenehmer fand er es mit vielen Vorteilen, betrogen zu[] werden. Aber dieses Gefühl, für einen Betrogenen zu gelten oder wenigstens solchen Argwohn zu erwecken, war unerträglich.
Die reine Operetten-Figur.
Es ist ja ungerecht und dumm, aber einmal allgemeiner Brauch: man wird ausgelacht, und alles freut sich.
Und jetzt ging sie gar an den Löwentisch hinüber, sich den Senf zu holen.
Er wußte, daß es nichts zu bedeuten hatte.
Es wäre auch zu erbärmlich, mit solcher Spottgeburt. Obwohl man bei den Weibern nie weiß –
Nein, es hatte nichts zu bedeuten, er konnte ganz ruhig sein. Es war nur eine von ihren entsetzlichen Gewohnheiten – er kannte sie doch zur Genüge – daß sie keinen Augenblick still sitzen konnte, sondern jede Gelegenheit ergriff, welche sich bot, herumzuspringen, jetzt vor den Spiegel, wenn eine Masche aufgegangen war, oder um Wasser, Salz, Essig, oder nach der Zeitung, die Theater nachzulesen – und die Locken flogen und sie schwippte, schnalzte mit den Fingern. Wie sie auch auf der Straße niemals ruhig vor sich hin den graden Weg nahm, sondern, alle Schaufenster zu sehen, immer auf beiden Seiten zugleich spazierte, wie es Marius nannte; herüber, hinüber, unaufhörlich, Zick-Zack.
Und dann wollte sie ihn ein bißchen ärgern.
Wahrscheinlich.
Wegen der Vorlesung übers Essen, gegen das Messer.
[] Das war es.
Das verzieh sie ihm nicht. Sehr empfindlich.
Sie vertrug es nie, wenn er sie ihre geringe Herkunft merken ließ, daß ihr Erziehung fehlte.
Rächte sich.
Da that sie dann alles zu Fleiß.
Aber er würde sich hüten, ihr auf den Leim zu gehen. Da kannte sie ihn schlecht.
Im Gegenteil. Spaß machte sie ihm mit ihren vergeblichen Bemühungen, die er gleich durchschaute.
Fehlgeschossen.
Nur aushalten, ganz harmlos, nichts dergleichen thun. Die waren so schon beim Kaffee. Da wurde sie dann die Blamierte!
Und wie er sie dann auslachen konnte.
Aber nein, weil sie ihm ohnedies schon wieder leid that wegen der Messer-Geschichte, was am Ende doch ganz wurst war. Und sie war gar so lieb, wie sie die Artischocke schälte, bereitete, den Saft kostete, mit diesen spitzbübisch unschuldigen Augen.
Wozu denn quälen? Geduld, Erziehung – und Liebe, viel Liebe.
Man muß die Weiber wie die Kinder behandeln.
Mehr Zuckerbrot als Peitsche.
Für ihn war es ja auch besser, jetzt gerade in den Anfängen der Verdauung.
Die Löwen waren endlich fort, ins Rauchzimmer.
Also beschwichtigen. In ein schönes Theater, wo sie das Neueste spielten.
Und Rosen kaufen. Blumen widerstand sie nie. Alles gleich wieder gut.
[] Aber da mitten durch seine besten Vorsätze war sie auf einmal weg, mit einem Satz, Sessel überrannt, die Kleider flogen, und die drei Stufen nach dem Salon im Sprung.
Wie ein Vogel aus der Ruhe stößt.
Wie sich ein Stern schneuzt.
Und verschwunden. Nur ihr Kichern blieb, hallte nach.
Nämlich Musik. Und da kam sie aus dem Häuschen, und die Beine liefen ihr durch.
Es war schon ein bißchen unartig gegen ihn. Aber er war ja ihr Geliebter!
Und warum tanzte er nicht, durchaus nicht? Seine eigene Schuld. Solche Marotten.
Sie war nicht die Närrin, sich dadurch das Leben verhunzen zu lassen. Und es geht doch nichts über einen feschen Walzer.
Also hopste sie mit der schiefen Nase, während Jodoform spielte.
Da geriet er in solche Wut, daß er die Cognac-Flasche zertrümmerte.
Hinaus und riß sie dem Tänzer vom Arme weg, daß er taumelte. Wenn er nur etwas gesagt hätte, nur mit einer einzigen Silbe aufgemuckt!
Aber feige Bande, alle miteinander. Gafften nur ganz verblüfft. Und solches Gotterbarm gefällt den Weibern.
Sie wurde nur sehr bleich und biß sich auf die Lippen, nicht zu schreien, wie er sie zerrte, und verschluckte die Thränen, daß er ihr so wehe that.
[] Er ließ sie nicht los, den ganzen Weg nicht, sondern schleifte sie wie ein störrisches Kalb. Sie wagte kein Wort und nicht laut zu weinen. Sie hatte große Angst und empfand viele Liebe, weil er stark war.
Wie sie heimkamen, war er ganz erschöpft und zitterte und sagte nur: Du Luder!
Da trotzte sie noch einmal auf, ob sie ihn nicht doch erniedrigen könnte, und höhnte ihn: »Du kannst Dir ja auch eine andere suchen, wenn Du nämlich eine findest.«
Da schlug er sie mit der geballten Faust ins Gesicht. Weil sie sich nicht anders wehren konnte, spuckte sie auf ihn.
Die Kleider herunter in Fetzen, bog sie über und mit seiner Hundspeitsche. Er wollte sie ganz verwüsten und entfleischen, bis gar keine Spur mehr übrig und er befreit wäre. Sonst wußte er nichts, als nur diese unnachgiebige Begierde, daß er nicht früher aufhören könnte.
Nur Blut, Blut. Da wurde ihm erst gut, wie es herunter striemte.
Da zwang er sie dann zur Liebe und züchtigte sie mit Küssen, während sie stieß, speichelte und fletschte.
Bis ihnen die Sinne vergingen, wie in den Tod hinein.
Draußen, leise über das helle Dach, glitt ihre Katze, welche entflohen war, unter dem stillen, flimmernden Himmel.
[] IX.
Von diesem Tage an wandelte sich ihr Bund im Zeichen der Peitsche. Ihre Liebkosungen wurden Mißhandlungen, und jeder Kuß, wie Hieb von Dornen, grub heiße Wunden, von welchen sich ihr Leib vereiterte, wie durch einen Aussatz ihrer Schande. Es war eine grausame und ruchlose Folter von unersättlicher Gier, die wachsend wütiger brandete jedes neue Mal, erfinderisch in Gräueln, eine verirrte Wollust in den Wahnsinn hinein.
Er machte sich wieder eine Theorie darüber, daß dieses die Fährte nach der neuen Liebe sei: durch die Marter.
Und das würde dann auch die neue Kunst aus dem Schlupfe scheuchen.
Als ob sie erst ihre Leiber zertrümmern müßten, bis dann die Seelen zusammen könnten, befreit vom gemeinen Fleische und glücklich.
Ja, sich erwürgen zur Auferstehung der Seele.
So ungefähr – deutlich hatte er es noch nicht, in gewisser Formel, sondern nur daß sie sich erst das Fleisch töten mußten, welches sie eingekerkert hielt.
[] Dann könnten die Seelen fliegen. Sie näherten sich schon. Er fühlte es schon manchmal, in den schwülen Ermattungen, wann dem Leibe alle Regsamkeit er stickte, als ob ihm ans Hirn, das aufwärts trieb, hebende Schwingen wüchsen.
Es wurde ihm dann weihnachtlich, gleich mußte die Thüre aufgehen in die große, selige Bescherung hinein, mit den vielen riechenden Lichtern, und es sängen ewige Geigen, welche wie saftiger Flaum von Pfirsichen die Haut der Wünsche kitzelten; und dann würde es in ihm aus geweihten Trieben flattern, aufwärts, immer aufwärts, mit klingenden Hebungen, und ihn tragen, weit fort, durch sehr grüne und von Malven gefleckte Wolken empor, die sich teilten, immer sanft auf Liedern empor, während unten die stummen und schattigen Menschen entschwänden, immer empor in das wunderbare Land des starken Lichtes, in welches niemals ein Leib, sondern nur die entfleischte Sehnsucht darf, ganz kremserweiß und keusch.
Ja, das war die Fährte: durch die Marter.
Er mußte erst das alte Bewußtsein zerstören, daß die neue Liebe erwachen konnte.
Versinken, es mußte erst alles versinken, ausflackern, verlöschen.
Sie mußten sich erst erwürgen, damit sie auferstünden.
Er hatte eine mystische und religiöse Brunst dabei – sagen konnte er es nicht, weil es verworren und sprachlos war.
Nur ausharren, da sie schon so nahe waren.
[] Sie mußten sich zersprengen. Dann würden sie es greifen können, greifen und halten.
Und stündlich so aufs neue überfiel er sie aus metzgerischer Wut mit neuem Schimpf und verheerte sie durch neue Frevel und kreuzigte sie auf einer neuen Unzucht.
Und wenn er sie wieder zerknirscht und sich wieder ausgerüttet hatte, daß ihre fahlen Leichen nur noch in dumpfen Krämpfen zuckten, dann plötzlich, hinter dem Gehirne, ward es ihm helle, ganz helle, so märcheninnig helle.
Dann brüteten sie wieder stumme und hinkende Stunden und keines wagte dem anderen ins Auge zu schauen, weil sie so besudelt waren.
Einmal sagte sie mit Grauen: »Du wirst mich noch ganz verderben,« und war von Ekel und Scham gefröstelt.
Aber er konnte nicht nachgeben, weil es die letzte Hoffnung war. Es schauderte ihn kein Laster und kein Mord, weil es für die Kunst geschah, zur Erweckung.
Bis sich sein Leib empörte.
Sein Leib jagte ihn von ihr mit Ekel und Grauen. Sein Leib warf die Liebe wie eine giftige Seuche aus, welche die gefunden Säfte nicht vertrugen.
Es war ein Fieber um das Leben.
Krank, wochenlang, mit jähen, störrischen Gesichten. Es war ihm, daß er zerfließen und auseinander rinnen möchte; er könnte sich nicht mehr zusammenhalten. Er ängstigte sich sehr, daß sich ihm der Kopf teilte, mitten auseinander; und dann würde [] er zwei und gar keiner mehr sein. Es trieb ihn ein schrilles Brausen, das wuchs, unstet umher. Alles Gedachte strauchelte, taumelte, verkollerte sich wirr; und es wurde ein schiefes Tappen, wie in einer zähen Trunkenheit. Er stützte sich die Schläfe, welche wie in Blei verwandelt waren. Trübe, wolkige Träume hingen sich den Lidern an, zogen sie nieder; aber es fernte, wenn er sich legte, der Schlaf, sondern wurde nur, in Stößen und in Frösten, markzerfresserisch, ein gräßliches Walzen unter grausamen Scheinen, als ob, durch unaufhaltsamen Stift, sich ihm die Wände des Gehirns zusammenschöben, immer enger, immer näher, immer steiler, und jetzt gleich, sich vereinigend, würden sie ihm den ganzen Verstand zermalmen.
Manchmal, in den rauhen Wirbeln, klammerte er sich an ein Wort, und indem er die Augen verschloß, prüfte er sich mit vieler Angst, welche die Kehle klemmte, ob er denn noch denken könnte, überhaupt noch denken; und es versank ihm aller Trost, weil alles vor ihm grau lag, weithinaus, in ungestaltem Grau, und wie er sich auch aufspreizte, er konnte nichts mehr, nichts Deutliches gewahren.
Über seine Haut lief Eis und Glut und er fror in Schweißen. Es trieb ihn immer und er konnte sich nicht bewegen. Er war müde und niemals ließ es ihm Ruhe. Es prickelte ihn wie ein Panzer von Fichtennadeln. Er schabte sich und fühlte, als ob er sich häuten würde.
Und er badete sich den kranken Kopf in Absynth und betäubte sich in schwülen, lähmenden Gerüchen,[] daß er nur nichts mehr von sich wüßte. Er vernachlässigte sich wie eine verhaßte und unnütze Bürde und wurde sich ganz fremd und kümmerte sich nimmermehr um sich, weil er sich doch nicht mehr begriff und über sich nichts mehr vermochte. Und immer wieder fiel es ihm ein, daß er sich teilen würde. Sicher würde es geschehen, ganz sicher, und eines Tages würde er gespaltet erwachen. Und dann wollte er nur mehr der andere bleiben, der neue, der aus der linken Hälfte des Gehirns käme, und den alten wollte er gleich hinauswerfen, mit ihr zusammen.
Mit ihr zusammen. Sie war nur ein Wahn des beschädigten Verstandes.
Da wurde ihm sehr gut, wenn er sich dieses vorstellte, daß er dann neu und frei wäre. Von keinem Vergangenen könnte der Künftige wissen, nichts von ihr. Er würde sich befreien von ihr.
Sich befreien von ihr. Darum kroch seine hungrige Sehnsucht.
Hoffen, harren, bis sich das Wunder erfülle. Aus eigenem konnte er es nicht vollbringen, weil die Kraft erschöpft war. Er mußte damit begnadet werden.
Sich befreien von ihr und von allen Weibern überhaupt, und mit der Liebe wollte er sich dann nimmermehr einlassen, nimmermehr, weil nichts dabei herauskommt.
Sie zur Reinigung gebrauchen, aber nur wie ein bitteres und lästiges Medikament, und nachher gleich wieder hinaus. Nur nicht Liebe. Von diesem Aberglauben, daß Liebe sein könnte, hatte er genug, gründlich.
[] Nein, für dieses Geschlecht war keine Liebe. Die alte wußten sie nur aus den Büchern und konnten mit allen Bemühungen des Verstandes sie nimmermehr fühlen. Und die neue – ja vielleicht später einmal, aber sie war noch nicht erschienen; man foppte sich nur.
Er wurde sehr ärgerlich auf die Bücher, welche abgestorbene Gelüste in die arglosen Menschen tragen. An ihnen lag die ganze Schuld. Sonst hätte man vortrefflich gelebt, ohne die Gedichte, welche von Liebe erzählten. Aber da wurde man neugierig, natürlich, und weil es sich gut vorstellte, wollte man es im wirklichen versuchen. Und so äffte man die Gebärden aus den Büchern und meinte, es müßte etwas daran sein, und konnte doch zu keiner Empfindung gelangen, keinen Augenblick. Es war eine Verfälschung der Gemüter und ein liederlicher Betrug, welchen die Polizei verbieten sollte.
Aber wenn er die Pest nur einmal ausgestoßen haben würde. Dann war er für immer geheilt. Nur erst sich befreien von ihr.
Und dann würde er arbeiten können; er fühlte die frohen Thaten schon rieseln, in heiteren Strahlen, wie er nur erst von ihr befreit sein würde; dann kam auf den Reif der starren Seele das große Tauen. Er trug schon alles üppig ausgereift in sich und war mit geneigten Früchten schwer behangen, welche ihn bogen. Aber nur Friede und Einsamkeit brauchte er noch, welche sie verhinderte, und sie erstickte ihm den großen Atem.
Er sah endlich das Glück, ja, dieses wirklich mußte [] das echte Glück sein, nach so viel Wahn und schmerzlichem Betrug, das tausendfach verheißene Glück, wie er sich nur von ihr befreite. Es gingen mit erhabenen Gebärden mächtige Bilder um ihn herum, in feierlichen Reihen, wie an einer Gebetschnur, so oft er vor ihr in den Absynth floh, bis er nichts mehr sah, sie nicht und gar nichts mehr, als holde, grüne Dämpfe, welche leise an den Wimpern zupften, in sanften, köstlichen Verkündigungen; dann in der blinden Finsternis wurde ihm hellseherisch. Dann öffneten sich, wenn sie seinem Blicke entsank, reiche Himmel mit purpurnen und symphonischen Parfümen.
Da lagerten feuerrote Wiesen, in lieblichen Hängen verbreitet, wälzten sich mit herben, trunkenen Bächen und blaue Vampyre erschlafften, die Hoffnungen. Aber es wandelte in aufrechtem Stolze und mit kaiserlicher Trauer eine gewaltige graue Sonnenblume, stumm und fahl, am Arme einer plumpen, dick stinkenden Distel, welche mit breitem, rohem Golde schlepperte, weithin. Da tanzten, in begehrlichen Windungen unzüchtig vermischt, helle, rosenbehangene Frauen, mit langen weißen Falten, welche kirchlich flatterten; im Halse ragte ihnen, wie in einen Sumpf gekeilt, ein jähes Beil und gelbes Blut träufelte nieder. Jede trug einen winzigen runden Mond, die warfen und haschten sich in lachenden Spielen; aber wenn eine den Ball verfehlte, da fiel sie tot auf die Matte hin und regte sich nicht mehr. Gleich entdeckte ihr die andere sehr fröhlich den Busen und biß ihr die goldene Warze heraus und steckte sich's ins Haar als ein [] funkelndes Geschmeide. Welche aber die meisten hatte, ward Königin und alle dienten. Es war ein violetter Sumpf herum.
Dieses mußte er malen, weil es die ewige Wahrheit war und das Unaussprechliche, welches alle fühlten. Dann war das Leben da, nach welchem die langen Seufzer bangten, unter den Gekrönten und in den Hütten – das ganze Leben.
Es war nur schwer, alles zusammenzubringen auf ein einziges Bild. Und es durfte doch nichts fehlen von den heilandischen Symbolen, weil es sonst wieder umsonst gewesen wäre.
Er hatte es ganz deutlich, schon ganz vorn in den Fingerspitzen, und es brauchte nur noch hinüber zu gleiten, in die farbige Bürste, wie er bloß Friede und Einsamkeit wieder fand, welche sie verhinderte.
Dann geriet das kleine Bild der großen Welt. Ja, die ganze unendliche Welt sollte es enthalten, in der schlichten Parabel eines zufälligen Ereignisses; in flüchtigem Launenschaum alle eherne Notwendigkeit. Den Japanesen gelang es bisweilen.
Wie er sich nur von ihr befreite.
Darauf, woher er auch anfing, wohin er auch seine Erwägungen richtete, immer nur darauf kam er stets zurück, daß er sich von ihr befreien müßte.
Und das verdroß ihn besonders, daß es Marius merkte; das wußte er von dem verzogenen Winkelwerk am Munde, so oft er ihn mit seinem richterlichen Blicke prüfte. Aber um nichts in der Welt hätte er es ihm zugestanden, um keinen Preis. Eher biß er sich die Zunge ab.
[] Es ging niemanden was an. Das Dreinreden nützt doch nichts. Und er wollte überhaupt mit keinem mehr zu schaffen haben, mit keinem dieser fremden und darum feindseligen Welt. Allein wollte er sein, ganz einsam mit sich selber, in welchem einzigen Güte und Wahrheit war. Das andere hätte er am liebsten vertrümmert und zerschlagen, alles, in welchem sich nur Hohn und Trug fand. Man hat gar nichts davon; es verwirrt bloß und lähmt, und niemand weiß, wozu es da ist.
Er wollte sich ganz auf sich selber zurückziehen, vor dem Fremden versperren, in das Eigene verschließen.
Er empfand Furcht vor den Menschen, Ekel vor den Frauen.
Die Frauen beschmutzten. Von ihrem Umgang wurde die Seele kotig. Schleim stieg ihm in die Kehle auf, wenn er nur daran dachte.
Oft hatte er eine quälerische, entsetzliche Phantasie. Da vereinigten sich in einer weiten Halle, welche mit Galle und Geifer geschmückt war, alle Frauen, mit denen er geschlafen hatte. Er konnte sie nicht zählen: schöne mit Eglantinen und perlenem Lächeln, schmeichlerisch wie Sternennächte andalusischen Sommers und spröde, welche oben keusch thaten, mit versteckten Reizungen und bucklig verwachsene, aus welchen seltene und giftige Laster grinsten; neugierige Kinder und mannstolle Greisinnen, aus Geilheit und aus Hunger. Und alle, nackt, von wollüstigen Übungen zerknittert, mit vielen Malen der Unzucht, umdrängten ihn mit kundigen Gesten und erbieterischen Rufen, [] wetteiferisch, zum Aufruhr der Brunst, bis ihm in großer Furcht die Sinne schwanden. Dann erwachte er durch jähen Sturz und zitterte wie unter einem brausenden Föhn und war ganz naß von so viel Taumel und Schauer.
Nur sich von ihr befreien!
Aber freilich: erzwingen ließ es sich nicht. Man mußte der Hoffnung vertrauen. Aber helfen konnte er der Gunst des Schicksals.
Nachhelfen. Wachsam, die Gelegenheit nicht zu versäumen. Sie würde schon kommen.
Und so brüteten sie nebeneinander, in sich hinein, dem Gram der Seele zugewendet, bleierne, verankerte Tage, und wagten starr nicht Blick noch Wort und kauten an ihrem Haß. Und sie lauerten, daß das andere begänne und fürchteten und begehrten es. Und dann wieder, weil es unerträglich wurde, plötzlich, damit nur etwas geschähe, in der schauerlichen Wüste der Gefühle überfielen sie sich wieder mit Liebe unter schrillen Schimpfen mit einer hastigen, wilden, zähnefletschenden Liebe, die sich wider sich empörte aus Scham und Ekel und vergruben sich ineinander, bis sie nichts mehr wußten, nichts.
Einmal dachte er daran, es ihr einfach zu sagen und sie fortzuschicken. Eine freundschaftliche Verständigung.
Das macht ja gerade den Vorzug solcher Verhältnisse, daß man nicht gebunden ist, sondern seiner Willkür folgt. Geht's – gut; hat man's satt, scheidet man in Frieden. Ohne Zwang, es sind Ehen, welche die Freiheit lenkt.
[] Es war aber doch nicht so einfach. Die anderen, ja, die hatten es leicht. Mit ihm war es besonders, wie er schon immer Pech haben mußte.
Es war doch zu grausam. Sie würde es ja niemals verwinden, das ganze Leben nicht, und nimmermehr gefunden. Er verstieß sie in ewige Hölle. Ja, für die anderen – da konnte sich eine den nächsten Tag einen gleichwertigen eintauschen, in jeder Straße, mit dem sie es vergaß. Die anderen hatten das Glück, keine Leidenschaft einzuflößen, sondern bloß Vergnügen, weil sie gewöhnlich waren. Aber an ihr bedeutete es ja Mord.
Nein, welche einmal seine Küsse genossen hatte, die tröstete sich mit keinem anderen; aus diesem Adel konnte sie sich nicht wieder erniedrigen. Es gab keinen Ersatz, sie blieb erbarmungslos zur Einsamkeit verdammt. Er entzog ihr, was ihr kein anderer geben konnte.
Und da hatte er doch wieder Mitleid mit dem armen Kinde.
Das nämlich auch noch – so verschwor sich alles – daß er sehr großherzig und edelmütig war.
Immer ein Opfer seiner Tugenden. Wäre er gewöhnlich gewesen, einer aus dem Dutzend, ja, dann hätte sie es verschmerzen können. Und wenn er gewöhnlich gewesen wäre, vom gemeinen Schlage, ja, dann hätte er überhaupt nicht gefragt nach ihrem Schmerz. Aber weil er von besonderer Bildung war, anders als die anderen, groß und gut, darum gerade mußte es ihr so unerträglich wehe thun, und darum[] gerade konnte er den Gedanken nicht ertragen, ihr wehe zu thun.
Er beneidete die Gewöhnlichen, welche es viel besser haben. Freilich gelang ihnen keine Kunst. Aber ihm gelang ja auch nichts, außer im Wunsche.
Wenn er es sich vorstellte, wie sie davon leiden müßte, dann wurde er von Kummer und Wehmut so gerührt, daß aus Erbarmen seine Liebe sich erneute. Eigentlich war dieses Gefühl sehr unangenehm für seinen Entschluß, weil es ihn nur belästigte und hemmte, daß er nicht vorwärts konnte. Und er wunderte sich darum, daß es sich dennoch angenehm empfand, weil es ein Zeichen seiner Güte war.
Er hatte es schon oft gedacht nach manchen Erfahrungen, daß er überhaupt für diese rauhe und gemeine Welt zu gut, zu weich war. Darum verstand er sie nicht und ward von niemandem verstanden. Daher der irre Kummer ewig.
Aber natürlich – alles hat seine Grenzen. Das schuldete er seiner Kunst, daß er auch sich selber nicht vergaß. Er durfte nicht mit sich verschwenderisch sein auf Kosten der ganzen Menschheit.
Die Operation war unvermeidlich.
Es handelte sich nur darum, ein schmerzloses Verfahren zu entdecken.
Nämlich, vor allem schmerzlos für ihn selbst, daß er selber heil davon kam. Sonst hatte er wieder nichts davon.
Ein Verfahren, sie ins Leid zu verstoßen, ohne selbst davon zu leiden. An ihr, wenn es auch freilich[] schade war, lag am Ende nicht so viel, weil die Kunst nichts verlor.
Z.B., wenn er sich in eine andere verliebte, aber gründlich, so daß es jedes andere Gefühl verdrängte, alle Erinnerung ausfegte und die Rücksicht wegtrieb.
Es schmerzte ihn, Leid zu sehen, welches er zufügte. Aber es würde ihm gut thun, auf die Freude zu sehen, welche es der anderen gewähren mußte, wenn er der alten Leid zufügte. Aus seiner Weichheit heraus gerade hätte er sich dann verhärten können.
Das war eine ausgezeichnete Idee.
Ja, so konnte er die Unentschlossenheit ausmerzen. Er mußte eine bewegende Kraft suchen.
Er lief nach vielen Dirnen. Abends log er sich vom Hause und spürte durch alle Schlüpfe der Lüsternheit, nach Schöneren oder welche neues, besonderes versprächen, Reiz der Nerven, welche nicht mehr konnten. Aber wenn er sich nach Zaudern endlich überwand, mit einer zu schlafen, konnte er keine Wirkung auf die Sinne gewinnen, sondern bloß aus Angst und Scham um die erschöpfte Kraft lächerlichen Ärger und ein großes Heimweh, das ihn fort trieb. Er empfand es, daß sie für ihn die einzige war, und den anderen Tag aus Reue unter ernstlichen Vorsätzen zur Beruhigung seines Gewissens, wie um Gestohlenes wiederzuersetzen, häufte er um sie Geschenke mit wiedergeborener Zärtlichkeit bis zum nämlichen Preise, welchen er an die andere vergeudet, damit es nicht zu ihrem Schaden war. So kostete es bloß viel Geld und nützte gar nichts.
[] Nein, sie mußte ihn verlassen, so mußte er es einfädeln. Anders kam er nimmer von ihr los, weil er edel war. Das mußte veranstaltet werden, daß sie ihn verließ.
Dann war es gut, vortrefflich. Das ersparte ihm die Reue, die sonst wieder den ganzen Gewinn an Freude verdarb. Wenn sie dann unglücklich wurde, geschah es ohne seine Schuld, und er brauchte niemals daran zu denken.
Er durfte sie nicht fortschicken, sondern sie mußte ihm davonlaufen. So mußte es veranstaltet werden.
Dann erwarb er Freiheit und Ruhe auf einen Schlag.
Und nicht er war es, der sie bereitete, was ihm nachher vielleicht wieder einmal leid thäte, sondern sie drängten sich ihm auf; er konnte nichts dafür. Das verhinderte jeden Vorwurf.
Es galt nur noch einen geschickten Plan.
Das war nicht so schwer, wenn man den Verstand zusammennahm und Versuche nicht scheute.
Allerhand bot sich an.
Man durfte es nur nicht überstürzen. Langsam vorbereiten, unmerklich einleiten.
Zunächst behandelte er sie so schlecht als möglich. Er wurde mürrisch, zänkisch, roh, zeigte ihr seinen Ekel und berührte sie nicht mehr. Er that alles, daß er ihr widerwärtig werden mußte. Er begriff die unverhoffte Geduld nicht, welche sie antwortete, ganz gegen ihre Weise: sonst war sie streitbar und launensam gewesen und bei jeder Dummheit gleich jäh empor, [] außer Rand und Band; jetzt, da es ihm gepaßt und seinen Zweck gefördert hätte, wurde sie auf einmal demütig und zärtlich ohne Maß und war, wie er sich plagen mochte, durch keinen spitzen Sporn aus ihrem sanften Mut zu reizen, ganz Griseldis. Es verdroß ihn arg, daß sie keinen weiblichen Stolz besaß, und jetzt peinigte er sie erst recht, schon zur Probe, wie viel sie sich denn überhaupt wohl eigentlich gefallen lassen würde.
Also damit kam er nicht vorwärts. Das bewies sich bald. Statt zu entfremden, näherte er sie sich nur.
Da dachte er an Brömel. Der Brömel war ein deutscher Maler, der nicht malte, sondern durchging. Alle drei Monate mit einer andern Frau; er war dafür berühmt. Nicht als ob er leidenschaftlich und leicht verliebt gewesen wäre, sondern aus Gefallen am Geschäft, an der Technik der Entführung. Wenn er er es durchgesetzt hatte, dann ließ er das Weibchen wieder laufen.
Das Mittel wäre unfehlbar gewesen, man konnte sich verlassen. Und war leicht arrangiert. Eine Begegnung geschah unauffällig. Dann brauchte er bloß von seinem Glücke zu erzählen und allenfalls noch ein bißchen mit ihrer Treue prahlen. Und es war so gut als wie gemacht.
Nur, er mochte den Menschen nicht: mit dem glatten Scheitel und rückwärts durchgezogen, mit Pomade niedergepappt, und seine Rede war ebenso, überhaupt seine ganze Weise. Die Vorstellung, daß er sein Nachfolger werden sollte, erregte Unbehagen.
[] Enttäuschen würde sie freilich jeder nach ihm, weil es nicht anders möglich sein konnte, so daß es am Ende schon gleich blieb; aber – er wußte es nicht deutlich, warum – er wünschte einen anderen, der ihm besser zu Gesicht stünde; er hatte so was Spöttisches, Hochmütiges, Herzloses.
Endlich erwischte er einen vortrefflichen Plan. Zufällig schlug's ihm in den Sinn. Aber nimmermehr wollte er ihn loslassen.
Durch Suggestion. Nämlich er leitete ihr Gehirn ohne Beschwerde, weil die Frau schwach, nachgiebig im Denken und unselbständig ist. Da brauchte er ihr bloß leise, vorsichtig und behutsam, aber nachdrücklich und beharrlich den Entschluß zu suggerieren, daß sie, seiner überdrüssig, ihn verlassen wolle.
Daran arbeitete er mit Fleiß. Las die Bücher nach.
Oh, er war schlau. Die Suggestion, daß sie sich wirksam und unwiderstehlich über sie verbreite, mußte an die Wehrlose und Unachtsame schleichen, ohne Rüstung mit Argwohn und Verdacht. Wenn sie es am wenigsten vermutete, tückisch eingeträufelt. Er hielt ihr allgemeine Vorträge mit vielen Beispielen, die nicht spröde sind, über die Natur des Weibes, wie sie unveränderlich in allem Wechsel der Menschengeschichte verharrt. Wie die Weiber einmal sind, nicht die schlechten, was ein besinnungsloser Ausdruck ist, der wackelt, sondern alle, eine wie die andere, zwischen welchen kein Unterschied gedacht werden kann; nicht regelmäßig, sondern ohne Ausnahme; nicht aus zufälliger Verderbtheit, sondern durch ihre natürlichen, [] unwiderstehlichen Triebe, gegen welche sie nichts vermögen. Geilheit und Habsucht sind ihre Elemente, Unzucht und Betrug ihre Gesetze. Anderes ward noch an keiner Frau gefunden, weil es keine Frau mehr wäre, sondern, wenn sich irgend eine Redlichkeit dazu gesellte, ein weiblich gebauter Mann. Man darf sie darum nicht schelten und schimpfen; es kann bei ihnen keine Wahrheit und Güte sein, wie bei den Fischen kein Gesang und bei den Tulpen kein Geruch, weil es einmal, unbeugsam in der Laune, die Natur nicht will. Man kann dagegen, wenn es auch freilich schade ist und manchen armen Mann vergiftet, mit allen Wünschen und Gebeten nichts, nicht das geringste, sondern muß sich mit Verzichten still ins Unabänderliche fügen, wie in Schnee und Regen. Nur heucheln – sonst verlangt man ja schon nichts mehr, aber heucheln wenigstens sollten sie nicht immer, diese dumme, betrügerische Fabel, als ob am Ende vielleicht dennoch einmal eine vorgestellt werden konnte irgendwo, durch Wunder, wenn Einbildung hilft, welche keine Dirne wäre. Sondern lieber mutig ihrem unvermeidlichen Zug ins Laster, der das Blut zwingt, folgen, flott auf den Kitzel und Gewinn los – verantwort' es der liebe Gott, daß er's nicht besser einzurichten wußte!
Stundenlang konnte er davon predigen, in hallenden Beteuerungen, welche ihm die Brust weiteten, mit großen Schritten, welche es bekräftigten und die Gedanken schwangen, professorlich durch das Atelier, während sie im Schaukelstuhle, mit verhängten Augensternen, starr und stumm in bangen Träumen kaum [] einmal leise seufzte. Er selber war der erste, den seine Theorie hypnotisierte, weil sie so voll und mächtig in die Ohren schwoll. Anfangs hatte er es nur vorgebracht, ohne Glauben, damit sie ihn ohne Scheu verlassen möchte wie die anderen; aber bald wiederholte er es für sich selbst, zur eigenen Versicherung, um gleich Trost zu haben, wenn sie ihn wirklich ohne Scham verlassen sollte, wie die anderen.
Sie wehrte sich und wurde bös, weil es ungerecht war. Manchmal weinte sie, daß man so was glauben konnte, häßliche Verleumdung; und sie ereiferte sich, weil sie es nimmermehr zu fassen vermochte, wie es nur einem jemals hatte einfallen können, so was aufzubringen. Und natürlich müßten sie dann schlecht werden, wenn es ihnen immer vorgeredet wurde. Denn wozu auch noch brav sein, wenn es doch nur für Heuchelei gehalten wurde? Da wäre man ja dumm, aber lieber ginge sie schon gleich in die Seine, sie!
Aber er gab nicht nach, wie sie sich auch mit Entrüstungen verteidigte, sondern rechnete es ihr vor an verläßlichen Belägen, die ihr die Antwort verschlugen, daß sie sich gar nicht mehr zu helfen wußte, ganz verwirrt und fassungslos. Es wurde ihm ein neues Vergnügen, mit herbem Reiz, dessen er nicht genug kriegen wollte, weil es grausam und seinem Dünkel dienstbar war, sie mit wilden Sophismen in die Enge zu peitschen, über tückische Fallen und Fangeisen, bis ihr atemloser, wunder Widerspruch zuletzt kaum mehr ängstlich zu flattern wagte, wie ein bedrängtes, flügelmattes Küchlein. Und er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß er sie zwänge, ihm recht zu geben.
[] Er wußte viele Geschichten von gemeinen, nichtsnutzigen Dirnen, welche sich Freunden zum Leid ereignet hatten. Er erzählte sie als den natürlichen Verlauf, der nicht anders zu erwarten war. Und jedesmal sagte er dann am Ende ganz stolz, wie von persönlichem Verdienste: dieses sind die Weiber!
Er leitete sie in die Gärten und Bälle der Prostitution zu großen Festen schöner Mädchen, wenn alles mit Anmut und Glanz recht feierlich getüncht war. Da zeigte er ihr mit Schadenfreude, wie jede einzelne Liebkosung, besonders ausgemacht, in mißtrauischen Bedingungen, unter ängstlichen Bürgschaften, nach langem Feilschen erst verhandelt wird. Und er that ganz verwundert, wenn sie erschrak, als ob es was Ungewöhnliches und Seltsames wäre, während er es völlig in der Ordnung fand: denn dieses sind die Weiber!
Er schleppte Romane herbei, haufenweise, durcheinander, ohne Wahl, was der Zufall vorwarf. Wenn darin ein Weib einmal bei gelinder Anwandlung eines lobsamen Gefühls betroffen wird, das waren dann, unter schlimmen Schimpfen, die schändlichen und gemeinen Überreste der verlogenen und verseuchten alten Schule, welche von der Polizei für die millionären Backfische erfunden worden, zur Verbreitung der Hysterie. Aber jede Ausschweifung ins Sadische, nymphomanische Verzückung, alle wüstlingische Karrikatur deklamierte er mit jauchzender Begeisterung, daß die Wahrheit endlich sieghaft überwände: denn dieses sind die Weiber!
[] Er verliebte sich in diesen Sport, daß er alles andere darum vergaß. Er vergaß, warum es begonnen war. Er vergaß, daß er sich ihrer entledigen wollte. Nur die Weiber mit Eifer und Verstand recht schlecht zu machen, daß es ihnen einmal ordentlich herausgesagt würde, aus gesammelten Belegen und wirksamen Erfahrungen, zur Rache der vielen Opfer, zur Warnung, zur Züchtigung, dieses wurde sein einziger Sinn; sonst achtete er nichts mehr. Er schwelgte in grimmigen Verlästerungen, als ob er desto glorreicher erhöht werden sollte, je schändlicher er sie zuvor erniedrigt haben würde.
Durch sein eigenes Beispiel wollte er es einmal gründlich beweisen, über alle Einwürfe hinweg, daß sie, niedergetreten und zermalmt, verstummten. Er zweifelte nicht mehr, keinen Augenblick, daß sie ihn verraten und verlassen würde, weil er es klar bewiesen hatte, oft; in seiner Vorstellung war es schon vollzogen, unabänderlich. Da konnte er einmal – günstigere Gelegenheit bot sich nicht leicht – an seinem Falle, wie an einem Übungsmuster für den Schulgebrauch, den ganzen, ewigen Unterschied zwischen der Männlichkeit und der Weiblichkeit greifbar herausarbeiten, zwischen der Güte und der Tücke, wenn er sich nur recht adelherzig, ritterlich und treu betrug.
Ja, das gehörte dazu. Das war dafür notwendig, daß er an sich alle männliche Tugend entwickelte, in leuchtenden Panieren, so selig helle, um desto wirksamer daneben, zu Furcht und Ekel, das düstere Laster des Weibes herauszuheben. Darum schlug er plötzlich [] wieder – sie konnte sich's gar nicht erklären, was ihn mit einem so verwandelte – ins Zärtliche und Flitterliche um und ward mit kosigen Schnäbelungen und schmeichelnden Güten der minnigste Romanzen-Freier, bloß seiner Theorie zu Liebe.
Das machte ihm sehr viel Spaß, weil er, bereits der Gegenwart entrückt, nur noch im Künftigen lebte, als ob es schon vergangen wäre. Er freute sich riesig, wenn er es dann erzählen könnte, später einmal, als kräftiges Zeugnis, das jeden Einwand schlüge. Alles Gebahren richtete er auf diese Vorstellung ein, daß er nur gewiß den Charakter seiner Rolle nicht verfehle, wie sie vom Bedürfnis seines Beweises vorgezeichnet war.
Auch sollte das an ihr seine Rache werden, seine einzige Rache, aber im Namen des ganzen Geschlechtes, eine feierliche und ausgiebige Vergeltung, daß sie ihn nimmermehr, wie vieles zwischen sie auch, fremd und neu, das Schicksal dränge, ihn nimmermehr vergessen könnte, sondern ewig, zu welchem Troste sie auch flüchte, ewig ihn mit wachsenden Begierden hoffnungslos vermisse.
Durch unstete Sehnsucht sollte sie es büßen, friedlos das ganze Leben, immer nur, immer nur nach ihm zurück. Das that ihm sehr wohl.
Manchmal dachte er: vielleicht könnte er ihr auch zur moralischen Befestigung werden, vor dem Versinken ins Gemeine, ein Talisman gegen Anfechtung, wenn ihre Erinnerung nur stets in ungestilltem Schmachten nach seinem schimmernden Bilde sah. Da schaute er [] sie dann, rührig unter Kindern, als brave, kleine Hausfrau irgend eines dummen, dicken Krämers, immer mit der ganzen Seele nur bei ihm, bei dem holden Jugendtraum von schöner Sünde, in welchem sie das einzige Mal das warme Glück gestreift, das einzige Mal. So konnte sich wohl das Paradoxe ereignen, daß diese unsittliche Episode mit ihm gerade ihr zum Segen ihrer Sitte würde.
In diesen Vorstellungen verankerte er sich gern. Sie enthielten viel Behagen: erstens, daß sie nur ihm zu Liebe einmal von der Tugend abgewichen; zweitens, daß sie durch ihn geläutert und veredelt worden; drittens, daß sie außer ihm niemals ein Glück fand; viertens, daß ihr Geist sein Knecht blieb, wenn auch der Leib entfloh; und fünftens, daß er sie los sein würde, aber kein anderer hätte was davon, und sie auch nicht. Das alles war sehr angenehm.
So milderte sich sein Betragen alle Tage, immer gütiger und sanfter. Freilich dachte er daran, daß es seinem ersten Plan entgegen war. Aber er verwarf den entbehrlichen, seit er sich von der Natur des Weibes überzeugt und auf das Unvermeidliche besonnen hatte; auch fühlte er, daß es einem gut thut, gut zu sein.
Da, einmal kam sie nicht zum Essen, Ende August. Sie war aufs Land zu Freundinnen. Das erste Mal, daß sie sich verspätete.
Sie wird den letzten Zug versäumt haben, und da bleibt sie draußen, dachte er, als er sich schlafen legte mitternachts.
[] Er war gar nicht böse. Er streckte sich behaglich lang aus, und dann drehte er sich dreimal ganz langsam bis an die Wand und wieder zurück, über die ganze Breite, in den weichen, geschmeidigen Tüchern, die kühlten, und freute sich, den ganzen Platz für sich allein zu haben, ganz allein, endlich wieder einmal, während er gemächlich, unter Thränen aus den grünen Ringeln, die röchelnde Pfeife verglimmen ließ, in träge zögernden Zügen. Sonst, wenn er an die Schläfrige stieß, da konnte sie gleich sehr ungemütlich werden und es gab Zank, daß er noch einmal das Haus anzünden würde mit dem dummen Rauchen.
Man ist halt niemals frei mit den Weibern. Darum kann keine Kunst gedeihen. Und er erneute seine Entschlüsse.
Es war doch wirklich viel schöner, sie bloß vorzustellen, jetzt ihre Lippen, jetzt ihre Brust, was gerade die Begierde brauchte, und dann wischte er nur darüber, mit zwinkerndem Blick, und sie war weg, mit einer anderen vertauscht, zur Abwechslung. Das ist die wahre Form der Liebe, welche befriedigt. Und keine Mahnung, daß außer ihm noch etwas anderes sei, eine fremde Welt.
Morgens weckte ihn der Bote mit einem Brief.
Er war von ihr.
»Warte nicht. Ich bin mit dem Mohren. In Eile. Fifi.«
Er verstand es nicht.
Es kam aber gleich die Hausmeisterin, mitleidig, und wußte es mit vielen Worten zu erzählen, haarklein, weil es ihr ein paar Tage schon – er sollte [] nur ihren Mann fragen – von Anfang an nicht recht in Ordnung schien, warum der immerfort herumschnüffelte, alle Augenblicke, und nachher wieder der verschmitzte Galgenstrick von Diener, mit unnützen Fragen und Erkundigungen, hin und her, auf und ab, um nichts herum und auf irgend etwas anderes los, fein sachte und behutsam, als ob man den Leim nicht selber kännte, und immer auf die Seite geschielt, mit verdächtigen Trinkgeldern, seit jenem Besuche drüben, vorige Woche, bei dem verrückten Schweden, als er ihm den großen weißen See abkaufte, wo vorn die nassen, runden Kiesel so schön glänzen und es scheint der Mond; aber man kann ja den Herren nichts sagen, weil sie es nicht hören wollen, wie die Mädchen heute sind. Und einen häßlicheren Neger, man kann einen Preis ausschreiben, hat niemand gesehen: wie man die Kinder schreckt, in Bilderbüchern, und an den wulstigen Lippen, vorn, grauslich, als ob ihm die Haut zu kurz geworden wäre; und dann muß man nur noch wissen, wie sie stinken, alle Schwarzen, da hilft nichts. Aber natürlich – das stehlen sie sich so zusammen, wo es keine Polizei giebt, überm Meer – natürlich Geld in Haufen und nur auf die Weiber damit, weil er ja sonst nichts thut den ganzen Tag. Aber es sind zum Glück nicht alle gleich, weil es an der Erziehung hängt; es giebt noch andere, Gott sei Dank, wenn sie auch freilich immer seltener werden. Z.B., wenn er ihre Nichte kennen lernte, die kleine Felicie, die zu ihr nähen kam, ein herzensgutes Ding, spricht sogar ein bißchen Englisch, auch zum Malen,[] wenn er wollte, weil sie sehr fürs Künstlerische ist – keinem anderen würde sie's erlauben, mit ihm jedoch –
Aber er schob sie mit einem Thaler hinaus.
Dann stand er auf, ärgerlich, weil der andere Pantoffel nicht zu finden war, als ob er taste, horchte er. Er wollte sein Gefühl erforschen, was er eigentlich empfände. Das reizte seine Neugierde, weil es besonders sein mußte, sicherlich.
Aber er konnte, so redlich er sich auch durch alle Falten und Schlüpfe der Seele untersuchte, mit aller gierigen Sorge nichts gewahren, als einen großen Abscheu vor der Alten, weil sie schnupfte. Sonst verkündete sich keine deutliche Empfindung; der Rest schlich in stummen Nebeln. Bloß, daß sie dazu schnupfte, nach jedem Satz, mit lüsternem Rülpsen, beleidigte ihn an ihrer Botschaft, weil es schmutzig und gemein war; die Botschaft selbst, wie er sich auch verwundert immer wieder erkundigen mochte, ließ keine Wirkung, gar nichts. Das kam ihm seltsam vor, als er es überlegte. Aber keine Prüfung half, er fand nichts anderes.
Und dann – ja, das auch noch – daß er gleich zu Marius hinüber mußte, auf der Stelle, unbedingt, sofort. Freilich war er gerade wieder einmal mit ihm böse, weil er sich nicht immer dreinreden ließ, und wußte nicht, was er bei ihm zu schaffen hätte. Aber diese heftige Sehnsucht wurde er nicht los, daß er nicht widerstehen konnte.
Und noch dazu, anch eine mürrische Furcht fand er in sich vor, daß man ihm sicher den Kummer anmerken müßte, den er gar nicht hatte. Nein, ganz [] gewiß, er hatte keinen Kummer, als nur diesen, daß einer das glauben könnte, der aus falschem Scheine schloß. Und er fühlte es mit Verdruß, daß seine Miene solche Vermutung noch bekräftigen mußte, dieses klägliche Gesicht, welches sich nicht gerade richten ließ.
Darum sagte er auch lieber gar nichts zu Marius, weil er seiner Stimme nicht sicher war, ob sie nicht auch verdächtig klänge; er hatte es so trocken in der Kehle. Sondern einen munteren Gassenhauer in bequemen Pfiffen zwischen den Zähnen, daß es lustig zischelte, schlenderte er durch die Werkstatt hin und betrachtete sehr eifrig, hier und dort, was es Neues gab, und spielte sich, ein persisch Tuch in stolzen Faltenwurf zu ordnen, makartisch.
Marius huschte kaum einmal mit Schielen und mit Blinzeln scheu hinüber; dann hieb er wieder in die Büste ein mit grimmen Streichen, in Wut, wie zur Züchtigung. Und er ward ganz puterrot und schnaubte und fluchte unwirsch vor sich hin auf seine Arbeit los, indem er sich in den Knieen schaukelte und wiegte, auf und ab, hin und her, vorwärts und zurück, mit watenden Gebärden, wie ein alter Kapitän. Aber plötzlich, weil er immer nur sich selber sah, ausgeklungenes Leid der eigenen Seele, hielt er es nicht länger aus, sondern schrill und jäh, vor Zorn, daß er nicht helfen konnte, weil man da nichts helfen kann, niemals, gellte er heraus, mit steilem Schwung des Meißels, weit weg, wie eines Dolches, indem er sich die Hose hinauf schupfte: »Mußt den Schlampen halt vergessen, Himmelsakrament!«
[] Aber der lächelte bloß wehmütig, wie leicht die anderen sich das vorstellen, und wollte ihn abfertigen, daß er sich nicht weiter mit unnützen Räten vergeude: »Ich kann sie doch nicht vergessen, ich habe zu viel für sie gethan.«
Und dann konnte er nicht mehr und gab es auf und weinte.
Da nahm ihn Marius in den Arm wie ein kleines Kind und streichelte ihn mit Liebkosungen und schüttelte ihn unter Späßen und sprang in Lärm mit ihm herum, damit er sich nicht länger anhören könne, und sprudelte manchen Übermut aus der Erinnerung, über den sie sonst zusammen oft gelacht.
Aber er konnte seinen Kummer nicht verlassen und schluchzte bloß immer in die vorgehaltenen Hände: »Die Weiber ... oh, die Weiber!«
Und Marius, weil er gar keinen anderen Trost mehr wußte: »Mein Gott, es giebt ja auch schlechte Männer. Es kommt auch unter Männern genug Gemeinheit vor. Es sind alle gleich.«
»Aber warum sind sie denn dann so schön, so schön? Die Männer sind doch wenigstens nicht schön! Da macht es einem nicht so viel!«
Er mußte es sich erst weg weinen.
[] X.
Sie hatte es sich verbessern wollen.
Darum war sie weg von der Cousine, weil es nicht genug Vergnügen gab. Um es vor sich zu rechtfertigen, liebte sie ihn. Und anfangs war es auch so schön gewesen.
Bis sie es merkte, daß es wieder nichts hieß.
Das kam so langsam über sie. Sie wehrte sich und wollte es nicht glauben.
Es war doch merkwürdig.
Erst hatte ihr zum Glück nichts als ein klein wenig Vergnügen gefehlt; und jetzt, in dem vielen Vergnügen, fehlte ihr wieder das Glück. Es ging ihr niemals recht zusammen.
Zeit hatte sie genug, darüber nachzudenken.
Ja, sie liebte ihn. Daran hätte sie niemals gezweifelt. Und niemals würde sie einen anderen lieben. Sie hatte alles zur Zufriedenheit, was man sich nur wünschen kann. Bloß die Zufriedenheit selber hatte sie nicht, das Gefühl, für welches man wünscht.
Ihre Träume bewährten sich; aber sie verlor die Empfindung, mit welcher sie geträumt waren. Sie[] hatte von der Erfüllung ihrer Hoffnungen nichts, als daß sie keine Hoffnungen mehr hatte.
Weil sie vom Leben nichts verstand – damals.
Mit der Liebe allein ist's eben nicht gethan, sondern man muß auch Geld haben.
Geld – jetzt merkte sie es erst.
Wenn sie ihn weniger geliebt und er mehr Geld gehabt hätte –
Aber dann schämte sie sich wieder und ward ärgerlich über sich selbst, daß sie so Abscheuliches denken konnte, immer wieder, wie sie sich auch sträuben mochte.
Weil er stundenlang nichts redete manchmal. Da kroch einem dann alles im Gehirne durcheinander. Was soll man denn auch thun?
Und wahr ist's. Da kann man dann ausreiten, lustig ins Bois, alle schauen neidisch, und der Schleier fliegt im Winde, unter Offizieren; und alle Tage ins Theater, Loge, um auf dem roten Sammet der Brüstung Ring und Armband auszulegen; oder man überlegt ein neues Kleid, weil keine Schneiderin Geschmack hat: es vergeht die Zeit. Man mopst sich nicht in einem fort.
Wenn man Geld hat.
Natürlich wird man deshalb keinen lieben, bloß weil er Geld hat; das ist schlecht und geht auch gar nicht. Aber warum mußte denn gerade der kein Geld haben, den sie liebte?
Sie hätte ihn ja nicht ums Geld geliebt, aber es gehört doch dazu.
Nicht viel, aber wenigstens mehr.
Es war alles immer schlecht eingerichtet im Leben. Immer haperte es irgendwo.
[] Andere gab es, die erwischten es viel besser. Und verdienten es gar nicht. Warum?
Warum? Das hätte sie gern gewußt. Warum glückte es bloß ihr gerade nie?
Es ist keine gerechte Vertretung.
Ihm machte sie ja keinen Vorwurf. Er konnte nichts dafür. Aber schöner wäre es gewesen.
Später, ja, wenn er einmal berühmt geworden – aber dann wären sie längst alte Leute, alle beide, und hätten nichts mehr davon.
So kam niemals etwas zur rechten Zeit.
Es tröstete sie nur, daß es für ihn war. Für ihn wollte sie gern leiden. Wenigstens dürfte er dann nichts mehr über die Weiber sagen, sondern mußte es abbitten; darauf freute sie sich, welches verzwickte Gesicht er dazu machen würde.
Andere Male dachte sie wieder: wenn man sich schon einmal aushalten läßt, soll man auch etwas davon haben. Es ist dumm, wenn man sich nicht den Reichsten aussucht. Nachgesagt wird's einem ja so wie so.
Er redete es ihr ja selber alle Tage vor, als das Naturgesetz der Frauen, welchem keine widersteht.
Und auch noch schlecht behandelt werden, oben drein, mit Launen und Grimassen, jeden Tag was anderes; man kriegt es endlich satt. Manchmal war er ganz verrückt. Das kommt vom Malen.
Und die schönste Zeit vertrödeln, sagte die Hausmeisterin; der war es auch so gegangen, da konnte sie reden. Wenn man die Jugend nicht benützt – nachher ist es aus, unwiederbringlich. Sie mußte sich [] tummeln, sonst war es versäumt. Nur freilich, wer weiß, mit einem anderen –?
Vorstellen konnte sie sich schon welche, daß es ein Vergnügen sein müßte. Aber sie traute ihren Wünschen nicht mehr: das Wirkliche machte dann auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Sie hatte es ja an ihm erfahren.
Wer weiß, was es da wieder gäbe, mit einem anderen!
Man durfte nie was wünschen, weil jedes wieder einen Haken hatte. Man sollte sich nie auf etwas freuen, weil alles immer wieder nur enttäuschte. Sie glaubte schon an gar nichts mehr, an gar keine Hoffnung; sie hatte einmal – nichts halfen alle Räte – sie hatte einmal, wie immer sie sich auch anstellen mochte, sie hatte keine glückliche Hand.
Und dann liebte sie ihn ja. Es ließ sich nichts dagegen machen. Sie mußte schon bei ihm bleiben.
Sonst hätte die Cousine recht gehabt, wie sie es überall herum tratschte, daß sie ein gemeines Mädchen sei, schlecht und verächtlich, wenn sie einem ums Geld nachgelaufen wäre, von der Liebe weg, diesem schmierigen Mohren noch dazu mit den fetten Thränensäcken. Nein, diesen Triumph wollte sie ihr nicht bereiten, nimmermehr.
Zwar, wenn man es überlegte: wer war denn schuld, was immer etwa noch geschah, wer anders als die Cousine war denn daran schuld, weil die Cousine sie hinein gehetzt hatte in diese sämtlichen Geschichten, die Cousine ganz allein? Man sollte nur die Folgen [] einmal sehen, die Folgen einer boshaften Cousine. Als abschreckendes Beispiel für die anderen.
Nur um ihn that es ihr wieder leid. Er konnte ja nichts für die Cousine. Er liebte sie.
Obwohl – eigentlich –
Nein, Dank schuldete sie ihm keinen. Das war übertrieben. Wofür denn?
Wenn sie das neue Leben maß, welches sie sich eingewechselt hatte, Vorteil und Verlust –
Gar nichts gewann sie, aber gar nichts; langweilig war es und die trägen Stunden krochen gar nicht fort. Er hatte ihr nicht gehalten, was sie sich von ihm versprochen hatte. Es stand gar nicht dafür, daß sie davon gelaufen war.
Und die Jungfernschaft war auch futsch, die immer als eine schöne Mitgift angerechnet wird, selbst wenn eine sonst gar nichts hat.
Sie hatte sich soviel erwartet, so unendlich, unaussprechlich viel, mit geschwollenen Gefühlen, als sie damals das scheue Zaudern endlich überwand, an seine Thüre zu pochen, in die Seligkeit hinein, in die ewige Seligkeit. Wie es eigentlich hätte sein sollen, genau konnte sie ja das nicht sagen, aber halt was ganz besonderes, neues und recht angenehmes. Und alles böse auf einmal wäre weg, auf Nimmerwiedersehen vertrieben.
Wie es die Romane beschreiben. Und man spürt es, wann man das erste Mal von Liebe hört, aber nur ganz von fern, weit weg, aus schwanken Ahnungen, wie in tiefem Thale eine leise Glocke, abends, die der[] Wind herüberträgt, und man lauscht, hinaus gebeugt, und schlürft das Flatternde und möchte mehr. Das hätte sie gern einmal aus der Nähe empfunden, den vollen Klang, recht deutlich.
Oder, mein Gott, bescheidener konnte man schon nicht mehr sein, aber dieses Gefühl doch wenigstens, diese schaurige und herbe Wollust, die beklemmte Brust herauf, in Stößen, daß oben alles Denken taumelte, während die Wangen brannten, und über dem Rücken zerrinnt Eis, rastlos auf und ab, und sie mußte schreien, in zerhackten Rufen schrill und grell hinaus, nach Hilfe, und springen, in verzückten Tänzen, wie von einer Feder drin geschnellt, und mit den Fingern, welche bebten, von sich weg fächeln, zur Wehre, um Luft, sonst in Brausen und Zischen, wie bedrängter Dampf, hätte es sie zerrissen, und es empfand sich dennoch köstlich, als wenn das Herz gekitzelt würde – dieses Gefühl von früher, wenigstens, so oft sie auch nur an ihn dachte, noch so eilig, das war wahrhaftig doch das Wenigste, was sie verlangen konnte, daß es sich bei ihm bewähre, wenn er ihr schon das andere versagte, jenes eigentliche, von welchem dieses bloß erst die Verheißung und, zur Bekräftigung, eine verbindliche Angabe war.
Aber gar nichts, gar nichts, sie empfand jetzt gar nichts, kein Gutes und kein Schlimmes. Es wollte sich in ihrer Seele nichts mehr ereignen. Sie blieb stumm und leer.
Langeweile hatte sie, fürchterlich. Sonst gewahrte sie in sich keinen Besitz.
[] Wohin nur war es mit einem denn verrauscht, das große Singen der Gefühle?
Sie konnte es sich nicht erklären.
Stundenlang dachte sie darüber und verglich und gab nicht nach. Was anders sollte sie auch thun? Es vertrieb die Zeit.
Es half aber gar nichts.
Sie brachte es nicht weiter. Sie fand sich nimmermehr zurecht. Sie wußte sich keinen Rat, weil sie sich keinen Wunsch mehr wußte.
Und immer wieder raffte sich ihre Hoffnung noch einmal auf, und noch einmal, und von einem Tag auf den anderen erwartete sie es, in Krämpfen und in Fiebern, daß es endlich käme: denn dieses war ja doch kein Leben, weil es nicht die Mühe lohnte, es mußte noch was anderes geben, sonst hätte man es nicht gefühlt.
Manchmal fand sie keine Ruhe, sondern es trieb sie herum. Sie mußte, was er auch begann, alles wieder lassen und lauschte bloß und bereitete sich vor. Sie erwartete, und wenn es kopfte, dann erschrak sie, weil es jetzt ganz gewiß angekommen war, draußen vor der Thüre.
So äffte sie sich durch die faulen Wochen.
Er wurde ihr zuwider. Was ließ er sie auch zu solchen Gedanken? Er hätte es verhindern müssen.
Das Malen, das hatte sie sich auch ganz anders vorgestellt. Lustiger, weil es gar so fidel klingt, ins Herz hinein: ein Maler; und man kriegt gleich fröhliche Gedanken von Sammet und langen Haaren und[] tollen und verwegenen Streichen, allerhand zum Lachen immerfort. In der Wirklichkeit: alle Röcke waren fleckig, rettungslos, und er putzte sich die Fingernägel niemals, weil er genial war, freilich; aber was hatte man davon?
Und dazu das ewige Pinselwaschen auch noch, obendrein, abends, wenn man schon endlich Ruhe haben möchte und ins Bett, eine ganze Stunde, schauderhaft, es verdirbt die beste Stimmung.
Da waren doch ins Magazin schon ganz andere gekommen, Adelige, welchen man es ansah, an der seinen blauen Haut, die schimmerte wie ein frisch gestärktes Hemd, und drei schwarze Streifen auf die weißen Handschuhe gesteppt, riesig Chic, und waren ganz verliebt gewesen mit besseren Versprechungen, einer wie der andere – wenn sie nur gewollt hätte. Nicht einmal reiten konnte er.
Es war ein Elend.
Mit der Hausmeisterin, tagelang. Mein Gott, sie war ja wirklich recht gescheit; viel hatte sie erfahren und konnte raten. Aber –
Und dann wieder allein, allein.
Oder mit seinen Schrullen.
Oder er prügelte sie. Das hatte sie noch am liebsten. Es geschah wenigstens etwas auf den Sinnen und sie merkte, daß sie ihn noch immer liebte; das war doch komisch.
Dulden und verzichten. Es war ihr einmal so bestimmt. Da konnte man nichts machen.
Und wenn sie es mit den anderen verglich, wie [] die es hatten! Es stand ja täglich im Gil Blas, ganz genau. Sie lernte es auswendig und wußte alle Namen und wer sie aushielt.
Villen, Pferde, jeden Schmuck, täglich Feste, eine badete in Manzanilla, und noch obendrein berühmt, Dichter widmen ihnen. Und was da für häßliche Krampen darunter sind, verdunsen und verklappert, wenn man sich sie zeigen läßt.
Dieses verdroß sie am meisten, das sollte doch nicht so eingerichtet sein, daß es keine Gerechtigkeit giebt, gar keine sondern bloß der Zufall thut, der dumme Zufall, was er will, rein nur, was er gerade will – man kann dagegen gar nichts machen. Häßlichen und ganz Gemeinen, manchmal, daß es ein wahrer Graus ist, glückte alles, wie blind sie es begannen, und sie brauchten sich gar nicht erst darum zu kümmern, und zuletzt heiratete sie noch ein Graf. Wie aber eine brav und schön war, da wurde sicher nichts aus ihr, man konnte darauf schwören, wieviel gescheite und wohl beratene Mühe sie auch verwenden mochte.
Und sie konnte sich ja doch nicht austrommeln lassen! Das gehört sich doch nicht für ein Mädchen, aufs Suchen auszugehen. Man muß warten, daß einer kommt, von selber; anders ist's einmal nicht möglich.
Ja, wenn einer gekommen wäre!
Ein Reicher, und dabei doch so, daß man ihn auch lieben könnte: denn bloß ums Geld – nein, das wollte sie nimmermehr.
[] Aber nichts als dieser blöde Mohr! Das konnte man doch nicht von ihr verlangen.
Das fehlte ihr gerade noch.
Ausgelacht werden auch noch.
Obwohl es keinen Sinn hat, gar keinen. Schließlich kann einer am Ende nichts dafür, wenn er schwarz ist. Aber jeder glaubt: da darf er sich lustig machen.
Sie hätte sich damit nur noch verschlechtert für die Zukunft.
Denn sie färben ab, sagte Marius. Das bringt ein Mädel nicht leicht wieder weg.
Freilich war es allerliebst, das konnte man nicht leugnen, das kleine japanesische Hotel, protzig zwischen Tulpen, welches er ihr antrug, mit eitel angeschwollenen, lüstern ausgebogenen, frech gespitzten Türmchen ringsumher, welche bunt hinter zugestutzten Hecken kicherten – Quartier Monbeau, in der allerchicsten Gegend; günstiger konnte man nicht beginnen. Anschauen mochte sie's ja immerhin, bloß um es doch einmal zu sehen, wie denn eigentlich das ist, damit man wenigstens einen Begriff davon hat. Und er war auch, daß es sie schüttelte vor Lachen, ungeheuer komisch, wenn er von seiner Liebe vorzufletschen anfing, mit wilden, lärmigen Gebärden, welche jäh in steifen Ecken abbrachen, wie sich Caran d'Ache gern belustigt; und es schäumten ihm die Lippen und die Augen.
Sie brachte es nimmermehr weg, das rote japanesische Hotel, mit den buhlerisch gleißenden Schirmen; zwei Schimmel stampften im Stalle. Es wich ihr [] nicht aus dem Sinn, wie sie sich auch flüchten wollte. Sie blieb von ihm besessen.
Es ging ihr garstig im Kopfe herum. Sie ängstigte sich. Wenn er es ihr doch ausgetrieben hätte!
Ja, seine Schuld. Er durfte sie den Anfechtungen nicht überlassen. Er hätte sie beschäftigen müssen, daß sie auf so etwas gar nicht kommen konnte.
Und am meisten verdroß es sie, daß sie halt doch noch immer zu anständig war. Das verpatzte ihr das Glück, weil sie sich auf ganz unnötige Skrupel einließ. Ungeniert drauf los, wie die anderen; anders geht es heute einmal nicht.
Aber sie konnte sich nicht entschließen. Sie wollte wohl, aber dann fehlten ihr doch wieder Kraft und Mut.
Wenn sie einer genommen hätte! Sie war bereit, alles mit sich machen zu lassen.
Aber selber!
Selber anfangen, selber fortlaufen, selber entscheiden –
Immer selber, alles selber, ganz allein.
Da hatte man dann die ganze Verantwortung und konnte sich auf gar niemanden ausreden.
Und überhaupt das Denken, das ewige Denken immerfort, dieses beladene und verhetzte Denken, in blinden Zweifeln, rastlos hin und her, zwischen tausend Plänen – es wurde ihr ordentlich seekrank, wie es den Willen schwankte, auf und ab, in brausenden Wirbeln, so oder so; und nachher merkt man dann [] jedesmal, daß man's schon wieder verfehlt hat, und das andere, immer das andere, wär' es gewesen.
Das Leben ist so mühsam.
Es hätte sie einer vergewaltigen müssen. Das brauchte sie.
Einfach, wie über ein störrisches Vieh, mit Zwang, mit Marter, mit Geißel über sie her, nach seiner Willkür, nach seiner Laune, unter seinem Befehle, ohne Bitte, ohne Frage, in Züchtigungen, roh und grausam, herrisch, unerbittlich, daß sie sich fürchtete, daß es sie unterjochte, daß ihr der Widerspruch vergangen wäre, unter Hieben, ein für allemal. Ah, das stellte sie sich schön vor – Wollust und Qual zugleich! Ja, das fehlte.
Selber konnte sie es nicht richten, allein nicht.
Das ist das Allerschlimmste, wenn man thun darf, was man will; denn erst, wenn man es nicht darf, daran bloß läßt es sich erst merken. Nur das nicht, daß es einem überlassen wird, die Freiheit – da kennt man sich denn gar nicht mehr aus, am Ende möchte alles zusammen und kann keines, und es stottert das verworrene Gehirn. Ah, und das ewige Hin und Her, immer in den nämlichen Spiralen, kein Rat, kein Entschluß – alles wankt, taumelt, morscht!
Und immer wieder zuletzt, in den vielen Wirbeln, die ihre Wünsche verbogen, zerrütteten, entstümmelten – an diesen einzigen Halt, der sicher war, klammerte sie sich, in Krämpfen:
[] Nein, den Neger nicht, nein, nein, den Neger nicht, weil es zu abscheulich ist, man würde lachen –
Aber irgend einen, so konnte es nicht bleiben, irgend einen anderen, es gab doch wahrhaftig genug, warum, warum denn sollte es bloß gerade für sie keinen geben?
Mit Geld.
Sie mußte nur – ja darauf kam es an – sie mußte eben mehr für sich thun, damit man sie bemerken könnte.
Freilich – gleichgültig, ohne Sorge, immer lustig in den Tag hinein und drauf los, Hände im Sack, den gebratenen Tauben entgegen – da konnte es natürlich nicht gehen.
Sie mußte mehr Mühe verwenden, sich zu verschönern.
Auffallen – dann ist alles gewonnen.
Und stundenlang, seitdem, alle Tage, in fieberischen Hitzen, unnachgiebig, daß von der rauhen Gier die Nägel schwollen, mit zernagten Lippen und verkrampften Fingern, wie vor der letzten Karte des Glückes ein falscher Spieler kauerte sie, ängstlich um Rat, vor dem Glase, vor dem kalten, starren Glase, brütend über ihren Reizen und nach Behelfen spähend, unter Wallungen und Taumeln und Schauern, welche rieselten, dampften, brausten, und prüfte, zwischen Jubel und Verzweiflung, wie der bange Bauer den stummen Acker, der ihn nähren soll, ihr Fleisch und düngte sich die Haut mit üppigen Parfümen und wusch, sie zu runden und zu härten, die Brüste mit[] circassischen Wassern und übte Blicke, Mienen, Gebärden und zermarterte sich um buhlerische Künste.
Es mußte ja doch einer bemerken. Zu den Malern kamen viele Besuche.
Wenn sie nur ausharrte und sich nicht abschrecken ließ.
Man darf nur nicht gleich verzagen. Es ist niemals zu spät. Man hat Beispiele.
Vielleicht sogar heiraten, wenn ihr das Glück half. Alles kommt vor.
Dann konnte noch alles gut werden. Sie wollte ja anständig sein, es war ihr lieber. Davon hatte sie sich jetzt schon überzeugt, daß mit dem anderen nichts herausschaut. Nur mußte man einem dazu behilflich sein. Sonst ist es nicht möglich.
Sie träumte gern Ehe, wenn ihre Wünsche rollten: eine muntere und helle Wirtschaft, still vergnügt und überaus honett, niemals Ärger und Verdruß, weil der sehr verliebte Mann gehorchte; Dienerschaft, und mit köstlichem Tafelgeschirr Hausball jeden Winter, Sommers am Meere, und alle, weil sie recht ehrbar sein wollte, alle Freunde, schnell verdrehten Kopfes, machten ihr immerfort respektvollst den Hof, Jahr aus, Jahr ein, aber es traute sich keiner. Das war ein lieblich blühendes Gesicht. Und hinten im Gehirne, jenseits des Grames und des Ekels, dämmerte es ihr licht.
Und dabei könnte sie immer noch, einmal, zweimal die Woche auf den Arago hinaus, ganz heimlich, zum Küssen und Kosen mit ihrem lieben, närrischen Maler, [] da sie nun doch einmal von ihm nimmermehr lassen konnte. Das weiß man sich schon einzurichten in der großen Stadt. Und dann hatte sie Geld und wollte ihm alle Bilder abkaufen, die verrückten großen, fleckigen, schrecklich rot und grün, wo sich kein Mensch auskennt, auf die er so stolz war.
Aber dann wieder, wenn die hohen Dämmerungen zerrissen, entwichen, versanken, welches Erwachen aus lauen, rosigen Schimmern, die linde winkten, ins Graue, ins Starre, ins Kalte – welches tödliche Erwachen!
Das schmierige und verschlissene Kleid, von dem die Fetzen schleiften, gemeine Musseline; und die dicken bunten Ringe brachte sie nimmermehr von den Waden, lächerliche Tätowage, weil diese billigen Strümpfe abfärben. Nämlich, er war eben faul, im Grunde. Nie wurde was fertig; ja, versprechen – alles!
Da natürlich war es umsonst. So konnte sie keinen einfangen, zerzaust und schluderig. Ohnedies, wie die Männer schon Schafsköpfe sind, daß sie sich immer nur in die Schneiderinnen verlieben, wenn eine nur recht exotisch hergerichtet ist.
Geld, Geld – alles dreht sich immerfort in dem nämlichen Kreise: man konnte schon einen finden mit Geld, aber dazu, vor allem, brauchte man wiederum Geld, Geld, Geld.
Das verfluchte Geld.
Ah, wenn sie eine Roulette gewußt hätte, irgendwo! Aber, natürlich, das machen sie geheim, in verschwiegenen Zirkeln, bloß für die reichen Leute, die es gar nicht [] nötig haben, und lassen niemanden hinzu. Alles ist verdreht aus dieser Welt, aber schon komplett.
Sie wettete bei den Rennen; Leute giebt's, die davon leben. Aber die Zeitungen heißen auch nichts und sagen falsch voraus, selbst der Figaro. Es ist kein Verlaß.
Sparen – das bleibt am Ende noch das gescheiteste, und man riskiert wenigstens nichts. Paroxysmen des Geizes. Bis vier, fünf Uhr blieb sie manchmal im Bette, um sich über das Dejeuner hinwegzuschlafen. Ohne Zucker fand sie den Thee plötzlich viel besser. Auf die Blumen, freilich, kaum daß sie sich ein lumpiges Dutzend magerer Franken mühselig zusammengeschleppert, besonders auf die Tubereusen, weil sie am besten riechen, ging es immer gleich wieder hilflos hinaus – aber irgend ein Vergnügen muß man schließlich doch haben, mein Gott!
Da ward ihr manchmal so müde von dem irren Tappen und Hasten in den steilen Hoffnungen, immer, immer vergeblich! Sie wagte es nicht mehr, in die Zukunft zu schauen, weil sie es verlernt hatte, sich zu betrügen. Sie fühlte sich zum Sterben, so öde und so schlaff, verwüsteten Vertrauens, und alles, aus moderigen, leichigen Gestänken, ekelte sie an.
Nur betäuben. Das Denken ersticken. Nichts mehr von sich wissen. Blind und taub dahintaumeln, in Schwindeln, Wirbeln, Dünsten. Sie wusch sich gar nicht mehr ordentlich, damit sie nicht durch den Alarm der jähen Güsse das Brütende des Schlafes von den klebrigen Lidern scheuche.
[] Und dann, von Angst gespornt, rannte sie oft, rannte, ungekämmt, Schlafrock, ein Tuch über dem wirren Kopf, nur hinaus, atemlos, mit schrillen, schnaubenden Gebärden, mistralisch, rannte mitten ins Getümmel, wo die große Stadt heult, rast, schäumt, damit es ihr das Nachdenken zerquetsche und das Bewußtsein ersäufe und die Erinnerung wegfege.
Zu Freundinnen, nach Abenteuern, in Lärm und Tollheit – nur aus sich heraus, von sich selber weg.
Da mußte dieses Mal gerade auf dem nämlichen Schiffe die Cousine sein, welche nach der Ausstellung wollte. Das hatte ihr eben noch gefehlt. Natürlich aufgedonnert und herausstaffiert wie ein prämiiertes Mastschwein.
Aber sie sollte es nur probieren, ein einziges Wort – nur mit den Wimpern sollte sie mucksen! Da wollte sie die Rechnung aber einmal gründlich abthun. Sie war gerade in der rechten Stimmung, ihr den Chignon gehörig herzurichten, klik-klak.
Jedoch, die Cousine sagte nichts, kein einziges Wort.
Sondern, unbeweglich in der Sonne, welche über ihren glitzernden Plüsch raschelte, schaute sie nur starr auf ihre Mousseline, auf die bleiche und verfärbte Mousseline. Dieser Blick verglich Tugend und Laster. Die Tugend triumphierte.
Da stieg sie, Place de la Concorde, vom Schiffe, nahm eine Droschke und fuhr zu dem Mohren.
Sie wollte es ihr schon austreiben, die Schadenfreude.
Und sie hatte ein angenehmes Gefühl, daß es jetzt wenigstens entschieden war.
[] XI.
Marius sah es; man mußte ihn allein lassen.
Er war in Frösten und in Fiebern, ohne Besinnung. Wie einen herben und giftigen Schnaps hatte er es in der Kehle, der versengte. Davon krochen ihm Dämpfe durch den Schlund, daß er immerfort schluckte.
Und wenn er nachdachte, sich betrachtete und sein Elend gewahrte, dann mußte er weinen vor Mitleid mit sich selber, stundenlang weinen, nichts als immer nur weinen.
An den Stimmbändern zog es schwer.
Wenn er wanderte, weit, weit wollte er's verbergen. Was sonst wohl die Leute dächten auf der Straße: ein weinender Mann! Aber es war gewaltiger, und es war ihm alles gleich.
Und es blieb immer bloß Schmerz. Anfangs hatte er gehofft, es würde sich in Kunst umsetzen und ihm einen Ruck auf ein neues Bild geben. Aber es gestaltete sich nichts: es blieb gemeines Weh.
Hundertmal sagte er sich, über die hundert Mal jeden Morgen, jeden Abend: es ist ja nicht möglich! Hundertmal lauschte er, bei jedem Tritte, stürzte ans[] Fenster, rannte nach dem Hofe. Es war sicher nur ein wüster, lächerlicher Traum, der ihn äffte, wie sie aus falschen Tränken kommen.
Nein, nein, es konnte ja nicht, es konnte ja nimmermehr sein! Wie sollte er denn sonst noch leben?
Und dann wieder hielt er inne und klammerte sich an das Denken.
Er stellte es sich deutlich vor und formte Schlüsse, um sich das richtige Gefühl zu beweisen, welches den Ereignissen entsprach. Das wollte er dann annehmen. Nicht blind und urteilslos das nächstbeste, welches sich gerade zufällig ins Bewußtsein verirrte.
Nun hatte er ja, was er begehrte.
Aber ganz genau, buchstäblich, wie er es sich ausgedacht hatte, mit so zuverlässiger Logik – den ganzen Wunschzettel, Punkt für Punkt.
Seine Sehnsucht war eingetroffen, jede Forderung erfüllte sich, kein Jota fehlte. Und ohne daß es ihm nötig war, irgend was dazu zu thun; alles machte sich wunderschön von selber. Mehr kann man vom Glücke doch wirklich nicht verlangen.
Er war sie endlich los und definitiv. Er war wieder frei. Die Beklemmung wich, das Joch barst, er konnte aufatmen. Er gehörte wieder sich selber. Er konnte wieder der Kunst gehören.
Und durch sie, ohne seine Schuld, ohne seine Hilfe, ohne seine Mitwissenschaft, bloß durch sie allein geschah der Bruch, ihn streifte kein Schein. Niemand durfte ihn anklagen, daß er sie verstoßen hätte; er[] hatte nichts zu verantworten, nichts zu bereuen. Sie war es, die ihn verließ, mit Vorsatz und in Freiheit.
Das alles war sehr angenehm.
Ganz wie er es in kühnen Hoffnungen ausgedacht. Er konnte die geschenkte Freiheit ruhigen Gewissens genießen. Es war nicht möglich, sie zu bedauern, weil es nicht möglich war, sie zu vermeiden.
Und – das auch mußte man beachten, daß sie ihm nicht einen Schöneren oder Jüngeren oder Witzigeren vorzog, sondern ein gemeines Scheusal, weil es reich war, reich. Das hätte ihn gekränkt, wenn sie ihre Liebe gewechselt hätte, so etwas erniedrigt. Aber sie verließ ihn ums Geld, bloß ums Geld; das brauchte ihn nicht zu verletzen.
So sammelte er die Beläge, daß es für ihn eine große Freude war.
Aber das widerspenstige und verstockte Gefühl wollte nicht gehorchen.
Und wenn er eine Weile nachgedacht hatte, dann mußte er wieder weinen, nur immer weinen. Er konnte sich nicht helfen. Er überwand alle Beweise.
Ah, nein – er war sie ja nicht los! Ihre Augen verließen ihn nicht, zwischen den bleichen, müden Lidern diese großen, verwunderten Augen mit dem weit hinausgestreckten, suchenden Blicke, so still und freudig wie ein heller Wintertag, und der krause Tanz der wirr verschlungenen Löckchen, von geschämigem Blond, in tollen Wirbeln über die schmale Stirn her unter, und das freche, ausgelassene Näschen, das mit dem Gesicht nicht gleichen Schritt halten [] wollte, sondern eigensinnig, launisch, trotzig seine eigenen Pfade seitwärts trabte – er sah sie ja immerfort vor sich, überall, was immer er auch begann, in starren, unausweichlichen, unvertreiblichen Scheinen! Und immerfort, in lockenden, seligen Gesängen, die schwollen, immerfort, neben sich, rings um sich, überall hörte er ohne Laß ihre sanfte, blasse Stimme, als ob über dünnes Silber in langsam träufelnden Tropfen ein klingender Perlenguß rieselte. Ah, er hatte es ja, blinder und tauber Tölpel, er hatte es ja niemals zuvor gewußt, wie er sie liebte, wie wahnsinnig er sie liebte!
Vernunft nützte gar nichts. Die wilde Beredsamkeit des Fleisches, in heulenden Tumulten, fegte sie weg. Und er schrie, aus den Hieben der grinsenden Gier, schrie steil, heiser und schrill nach ihr auf, wie um Beute ein hungriger Wolf ...
Umständlich mit philisterlicher Weisheit, Schluß für Schluß, bewies er es sich dann, daß er sie ja gar nicht lieben konnte, denn es wäre thöricht, ohne Grund. Nein, es war, wie er auch emsig suchte, es war durchaus kein Vorwand zu entdecken, weshalb es möglich sein sollte, daß er sie liebte. Es fehlte jede Ursache, die Liebe allenfalls erklären möchte.
Sie war nicht schön. Im Anfang, ja, unter dem Trug der ersten Begierde, da hatte er es sich wohl einbilden mögen. Aber es bewährte sich nicht. Es war keine standhafte Schönheit. Wie einmal Zweifel daran tastete, zerflatterte sie gleich.
Damals, als er ihr Bildnis unternahm, wurde [] es gewiß. Es konnte nimmermehr geraten, weil sie keinen besonderen Charakter besaß, sondern nur die gemeine Schablone. Es wurde immer nur, je treuer er ihr folgte, das Gerippe der Pariserin, Jules Cheret, Henri Boutet, in das man erst noch eine andere dazu versetzen mußte, aus eigener Schöpfung, wenn es lebendig werden sollte. Sie hatte nur, was ihr das Milieu bot. Sie war bloß Form und Rahmen; gerade wo sie ihre Schönheit erst beginnen konnte, da hörte sie überhaupt ganz auf.
Er schämte sich, wenn er sie mit den Früheren verglich. In der Schule hatte er die Lewinsky-Precheisen geliebt, auf der Akademie die Hohenfels. Das waren wenigstens Profile, und auch – schon das Gefühl, so oft er im Gedränge der steilen Galerien lahmte, daß er es ihnen nur einmal zu sagen brauchte und dann noch ihre Erwiderung zu erlangen, wie ihn da alle Welt beneiden würde, dieses allein schon war was wert, viel.
Und Geist hatte sie auch keinen – das schon gar nicht. So für den Hausgebrauch allenfalls, was der gemeine Laie nötig hat, um zur Verdauung die stockenden Gespräche einzuölen – und mit zierlichen Neckereien, die nicht rasteten, blinzelte sie einem oft betrügerische Scheine vor. Aber auf die Dauer konnte sie es nicht verbergen: die »Câlinerie« des Bouguerreau – da hatte er sie aber ordentlich verhauen – fand sie sehr nett, und sie lachte über Besnard: sie war stupid.
Und so in allem: in ihren Launen, ihren Begierden, ihren Neigungen – niemals begegnete sie [] seinem Wunsche. Dieser unter allen Träumen vom Glücke, war ihm immer der Liebling gewesen, mit seinem Weibe einmal so intensiv die Liebe zu besprechen, daß es für alles genüge. Davon hielt sie gar nichts, er konnte sie nicht bewegen, sich in die Idee der Liebe ernsthaft und tief zu versenken, sondern sie behandelte es als Vergnügen und reiste nicht zum Mystischen.
Nein, nein – ganz anders hätte sie sein müssen, daß es ihm möglich wäre, sie zu lieben; in allen Punkten völlig das Gegenteil. Wie denn nur, also gegen jeden Begriff hatte es geschehen können, dieses Unfaßliche, Vernunftlose, Widernatürliche, daß er liebte, die ihm doch verhaßt sein mußte?
Er erschrak vor sich, wie er diese Entfernung vom Denken gewahrte. Er fürchtete sich vor dem Schaurigen und Verhohlenen da unten, tief in den Grüften und Schlünden der Seele, von welchem er nichts wußte und welches doch sein Herr war. Es kauerte ein anderer in ihm und wuchs zum Riesen.
Es war wie der Absynth. Ja, es glich die Liebe dem grünen Absynth. Sie verbogen die Begierden, ins Blöde und Widermenschliche hinüber, kochten den Willen aus mit zehrenden Wallungen, und der geängstigte Verstand entwich.
Ganz wie der Absynth – ja. Er verweilte gern bei diesem Vergleiche, wenn er die schwülen Dämpfe schlürfte, welche verwandelten. Es waren böse, reißende Gifte und kehrten die Seele um, und man verlor sich an ein starkes Tier.
[] Es empörte sich der Geschmack. Der Ekel wollte verscheuchen. Kein Genuß, niemals. Aber Erfahrung und Rat und Vorsatz und Widerstand und Gelöbnis halfen nicht. Es war gewaltiger und hatte im Schmutze des Gemütes verborgene Genossen.
Und plötzlich, in hageren und gelben Wahrzeichen, welche züngelten, reckte sie sich vor seiner Furcht empor, die ganze Liebe, wie nach mörderischen Gesetzen ihr unabänderlicher Verlauf ist, und an seinem gekauerten Geiste vorüber glitt in den steilen Bögen der ewige Fluch aller Menschen, der das Glück würgt. Wie sie in tückischen Masken hinter Duft erst argloses Vertrauen überschleicht, als heiteres Nervenspiel verkleidet, und frohe Wünsche gaukeln; dann, wie aus Orgeln, Heiliges in die erschauernden Sinne gießt und durch Andacht das Böse jätet, den sprießenden Keim der Kraft; aber den Wehrlosen endlich, wenn er entmarkt und ausgesäftet, den zehrenden Taumeln der Güte erliegt und in irren Schlummern des Wahnes er starrt, mit Haß und Grimm, in wühlerischen Streichen plötzlich rauh überfällt, ohne die Larve des Schönen jetzt und nacktknochiges Scheusal, bis zum grausen Wagnis der Wahrheit entmenscht und höhnisch wider die Schminke, durch schimpfliche Knechtungen über grinsende Laster schleift, vor welchen die Sprache versagt, und in Geifer und in Fäulnis stinkender Sümpfe den zerfolterten Leichnam erstickt, gnadenloser und wollusttoller Henker, immer mit dem nämlichen kalten Lächeln ewig, unwandelbar, mit dem sanften und traulichen Lächeln [] aus Neugier grausamen Kindes vor dem zuckenden Falter, der auf dem Spieße verendete. Bis sie zuletzt nur noch Fleisch ist, das eigene Fleisch, das sich selber kreuzigt, alle giftigen Säfte aus allen verpesteten Kanälen in Aufruhr gegen das Leben; es bildeten die Alten die Liebe gern am Arme des Todes, denn sie ist der Mord.
Dann schrie er: »M. de Montègre va vous faire du mal, puisqu' il vous aime.«
Immer, immer wiederholte er dieses, flüsterte es zärtlich, gellte es mit Grimm, stammelte es wie ein holdes Geständnis, das beglückt, schmetterte es wie das Gericht der Menschheit, das verdammt. Zufällig, in diesen Tagen gerade, wie er einmal durch Dumas blätterte, zum Gedankenvertreib, zur Betäubung, um nur Fremdes über die wunden Nerven zu schleiern, zur Linderung, da war es ihm zufällig begegnet; aber es verließ ihn nimmer. Es ward sein Glaube und sein Trost.
»M. de Montègre va vous faire du mal, puisqu' il vous aime.«
Darin war er ganz ausgedrückt, mit aller Erfahrung, allem Gefühl, allem Bewußtsein. Darin war sein Schicksal, was er erlebt hatte und was er noch erleben konnte. Darin war die Welt, alles vom Anbeginn bis ans Ende Mögliche. Nein, außerhalb gab es nichts. Es enthielt in sich, wie eine göttliche Stiftungskapsel, alle Menschheit, alle Schöpfung, alles Denkliche.
Man müßte diesen Satz malen, dann wäre die Kunst erfüllt und die Welt wäre vorbei.
[] Und er murmelte es, in brünstigen Fleißen, nur immerfort, stundenlang, während er wanderte, murmelte es mit unermüdlichen Lippen, welche eilten, vor sich hin, in seligen Verklärungen wie ein heilkräftiges, wunderwirksames Gebet, mit welchem er, weil es das Geheimnis des Lebens verriet, sich seien könnte zum Glücke. Alles andere vertilgte sich in seinem Gehirn, und er wußte es nicht mehr. Es baumelte nur diese Weisheit an allen Fasern.
»M. de Montègre va vous faire du mal, puisqu' il vous aime.«
So glitschte er auf dem Abhange des Blödsinns. Er gewahrte es und schrie in großen Ängsten. Es kam aber von nirgends Antwort und nirgends war kein Anker.
Da klammerte er sich an die Arbeit und begann wieder das wilde, atemlose Ringen mit dem Pinsel.
Er hämmerte sich mit Ehrgeiz und Habsucht und allen Reizungen. Er kochte die Nerven in Gedichten, in Musik. Er stachelte sich an den Gespenstern seiner toten Hoffnungen.
Es half alles nichts.
Da sank er dann wieder zusammen und verzweifelte auch an der Kunst.
Es war auch nur ein Schwindel. Er würde es niemals vermögen, das Große und das Wahre. Und wenn er es auch vermöchte, dann würde es erst recht niemand verstehen.
Wozu also?
Wenn er ein Gemeiner und Niedriger war wie [] die anderen, dann konnte er keine Kunst. Wenn er aber nicht gemein und niedrig war, dann wurde es für die anderen eine unbegreifliche und vernunftwidrige Kunst. Wozu also?
Diejenigen, ja, welchen die Arbeit selber Genuß ist, welche im Schaffen schwelgen – nur sollen sie dann auch so schlau sein, es eifersüchtig gleich zu zerstören, sonst wird's ihnen durch das Urteil wieder vergällt.
Ach ja, das Große, das Eherne, die neue Kunst, welche das neue Schicksal wäre, die Erlösung, welche zwänge, indem sie die Menschen ins Göttliche wandelte, die Geister erhöhte, die Herzen reinigte – wenn es dennoch, dennoch möglich wäre, daß sich der ewige Traum bewähre?
Etwas wie die »Olympia«, welches in zwei rohen, auf die tägliche Gemeinheit ausgedrückten Farben den ganzen Menschen enthielte und die ganze Menschheit, alles, was gewesen ist und sein kann!
Aber was hatte er denn gewirkt? Daß sie sich die Rippen kniffen vor Hohn und Spott, und sie lebten das gemeine Leben weiter! Er konnte es nimmermehr begreifen: die Gnade war niedergestiegen, aber niemand kümmerte sich um sie, weil sie das Elend und das Laster liebten.
Nichts, nichts – nur immer der große Kot überall.
Und manchmal dachte er, vielleicht hätten die anderen recht und er wäre wirklich nur ein Narr, ein kranker Narr, daß er das Gute und das Schöne suchte, welches unmenschlich ist.
[] Gemein sein wie die anderen, Geld haben und Baccara spielen, zur Verdauung – da!
Und sich betrinken, gründlich, das Gehirn ersäufen, bis es Ruhe giebt, die Nerven erdrosseln, daß sie nicht mehr können.
Und nach acht Tagen kannte ihn aus stürmischen Nächten das ganze Quartier, in allen Spelunken, wo nur ein wildes Zechen mit frechen Dirnen zu finden war. Sie nannten ihn bloß »den tollen Maler«, weil er »gar so lustig war« in unermüdlichen und unerschöpflichen Fumisterien; alle beneideten seine prasselnde, zischelnde Laune und dieses »glückliche Temperament«. Besonders, wenn er von seiner »kleinen Hure« erzählte, welche ihm mit einer »schwarzen Wurzen« durchgegangen war, riesig fin de siècle; das versäumte er nie, weil es ihn erleichterte.
So wollte er sie aus sich vertreiben. Aber es half nichts wieder ihre hartnäckigen Augen, welche an seinem Bewußtsein klebten. Und immer wieder, hinter dem gelben Übel der Wirklichkeit, welche Schleim ausspinnt, sah er in weißen Dämpfen ihren großen, leuchtenden Blick, wie einen bleichen, aus stillen Märchen gewobenen Mond, und hörte über dem rauhen Lärmen der gemeinen Ereignisse, in sickernden Klängen, die schwüle Wollust ihrer sanften, gläsernen Sprache, wie eine Harfe, durch welche der laue Atem des Mai streicht.
Aber ringsherum war Blut, immer nur Blut, ein greller Streif, daß er nicht hinüber konnte, und [] wenn er sie küssen wollte, dann umarmte er bloß das grinsende Gespenst seines gemordeten Glückes.
Seine Schuld, seine eigene Schuld! heulte dann der grausame Kläger in ihm. Seine eigene Schuld! Es folterte die Reue.
Das Glück war herangekommen; aber anstatt es zu halten, hatte er es verscheucht. Seine Schuld, seine eigene Schuld!
Und er schaute sich unter milden, lieblichen Gaukelungen weit weg, da unten irgendwo, in enger, leiser Stadt, fern von den Menschen, ganz allein, ganz allein mit ihrer ewigen Lust – und sie waren verheiratet wie die gemeinen Leute, und wurden glücklich wie die gemeinen Leute.
Seine Schuld, seine Schuld – seines Dünkels und seiner Vermessenheit! Sie war so gut, so hold gewesen – und er hatte ihr alles genommen und beide hatte er verdorben.
Weil er Trotz und Stolz und Wahn hatte, und keine Einfalt, keine Demut, kein Vertrauen. Weil er sich nicht beschränken, nicht erniedrigen konnte, sondern an sich selber glaubte. Weil er alles wollte, darum geriet ihm nichts.
Weil er nicht dumm, nicht schlicht und nicht gemein sein konnte, das war der Fluch, der ihn verdarb. Weil sein Hochmut nur die große Kunst wußte, immer nur in den fernen Wolken die große Kunst, das lähmte ihm die Faust, daß in aller knirschenden Marter röchelnden Fleißes kein niedriger Strich mehr gedieh, keine stammelnde Silbe des [] Schönen. Und weil seine ausgelassene Sehnsucht nur die reine Liebe schaute, immer nur in unfaßlichen Idolen die reine Liebe, darum, so jämmerlich und verächtlich, erstickte sein versunkenes Gefühl in Schlamm und Laster.
Er haßte den Geist und beneidete die Einfalt. Aus dem Unverstande allein kommt Segen. Es peinigte ihn die Nostalgie der frohen Thorheit. Kind hätte er wieder sein mögen, das von nichts wußte, Falter haschend durch den sonnigen Frühling. Das viele Denken that ihm wehe.
Aber dann bäumte sich wieder der Trotz. Lieber wollte er ein besonderes, einsames Leid, das Los der Titanen, als das gemeine, verbreitete Glück der dumpfen Schläfer. Wenigstens versicherte es ihn seines Wertes, seiner Größe, seines Adels, deshalb liebte er den Schmerz und hätte ihn schmerzlich vermißt.
Nein, ihn sollte das Leben nicht beugen, ihn nicht!
Das nagelte allmählich in sein Gehirn den Grundsatz, diese Formel des Glückes, daß einer einäugig sein müßte, zum Ausgleich mit dem Schicksal – einäugig, an diesen Ausdruck klammerte sich sein Gedanke.
Ja, das war es offenbar. Dieses enthielt das ganze Geheimnis des Lebens, daß einer dem doppelten Blick fliehen mußte. Darin gründete seine Qual, daß er beides schaute, beides zugleich. Jetzt schaute er den Traum in der Seele, aber gleich darauf schaute [] er wieder die Wahrheit in der Welt, und immer ward dieses Unverträgliche, Fremde, Feindliche verglichen. Da mußte natürlich der Traum mit Wünschen, die Wahrheit und die Wahrheit, mit Enttäuschungen, mußte das Träumen quälen.
Welche sich für eine der beiden Blindheiten entscheiden, die werden glücklich. Welche im Traume wandeln, ohne das eigene Gehirn zu verlassen, die werden glücklich. Welche in der Gemeinheit bleiben, ohne sich an die Fabeln des Wunsches zu verirren, die werden glücklich. Nur wer in sich und außer sich sein will, der verdirbt. Denn nimmermehr kann sich die Wahrheit mit dem Schönen, mit dem Guten gesellen.
Ja, das war der Schluß des Lebens: man mußte das Denken aus sich vertreiben oder man mußte sich aus dem Sein vertreiben.
Er wollte sich aus dem Sein vertreiben, in ein anderes hinüber, von dem Denken zu schaffendes, in Träumen wallendes, durch Wünsche gelenktes. Ganz im Geist wollte er sich verwandeln, sich entwirklichen, entkörpern, entschmutzen. Darum floh er im Parfüme.
Das wurde für ihn jetzt, aus dem Schmerze geboren, die wahre Kunst, die einzige erlösende und beglückende: die Kunst der Gerüche. Die anderen konnten sich nicht erfüllen, weil sie am Wirklichen hafteten, wie sie auch flattern mochten mit geringem Flügeldrang. Aber die Kunst der Gerüche, indem sie die Scheine des Seienden betäubte, entrückte aus der Wahrheit in das freie Reich des Wunsches, in welchem nur die frohe Willkür der Begierde Gesetz ist.
[] Er machte sich eine lange Theorie darüber, ein ganzes System. Alle anderen, welche nur Vorboten gewesen, trübe Verkündigungen, sollte die Kunst der Gerüche entsetzen. Die bisherige Welt würde entbehrlich. Es galt bloß, die Sinne und die Nerven zu erziehen, daß sie die Gebote der Parfüme willig begriffen und gehorsam vollstreckten. Dann konnte in Symphonien des Duftes alles Denkliche und Empfindliche ausgedrückt und nach dem Bewußtsein geleitet werden: es wurde eine neue Sprache, das Unsagbare zu sagen.
Er goß sich aus den schwülen Phiolen jeden Geist und jedes Gefühl, jede Zeit und jeden Ort in das lernbegierig taumelnde Gehirn, um es in fieberischen Extasen, während der erstickte Geist sank, über das Leben hinweg zu treiben nach wolkigen Unmöglichkeiten, welche licht und müde grünten unter rosigen Schleiern, die langsam schwanden. Aus den blassen, stöhnenden Dämpfen des White Rose, in welchen der Selbstmord singt, erweckte er die ewige Lehre des Buddha, die Farbe des Chavanne, das Sterbelied des jungen Siegfried, am Feuer, vor dem rauschenden Rhein, während ringsherum viele, sehr lange, schmale, gelbe, wunderliche Blumen auf gebeugten Stengeln welkten. Aus den sanften und tröstlich traurigen Rhythmen des Tilia, als ob nächtig fern ein einsames Licht in stillem Walde winkte, beschwor er die friedliche Tugend der Entsagenden, während ihm der große Weise des Verzichtes die göttliche Wollust verkündete die Nachfolge des Christ. Aber aus den chyprischen [] Brünsten der Peau d'Espagne ringelten sich zu mänadigen Grimassen mit schrillen Allarmen der Gier nackte, braune Gitanen, rabenblau gelockt, brennende Opale in den schweren, schattigen Lidern, und es wuchs zwischen den winkenden Fingern der Palmen über gedrängtem, geducktem Weiß die grün geschlankte Giralda. So wandelte er auf Gerüchen durch alle Welten und umfaßte die Ewigkeit.
Er versäumte nicht, fleißig Antipyrrhine zu schlingen zur Förderung der Träume. Das höhlte tiefe Löcher im Bewußtsein. Es kamen große Pausen über das Ich, in welchen es lange stummte ... lange ... nichts, nichts mehr ... das Versinken ... es wurde ganz stille, abendlich stille, wenn alle Feuer verlöschen, und auf den grauen Weiden träumt der Mond ... kaum daß noch leise die Instinkte des Leibes raschelten.
Das Schicksal der heiligen Karma erwiderte die wilde Leidenschaft mit der tiefen Ohnmacht.
Die Krisen entfernten sich. Höchstens noch, wenn er vier Treppen irgendwo zu steigen hatte, oder im Café, wenn Zug den Schädel peitschte, oder am Schalter, wenn Gedränge ihn nicht vorlassen wollte. Sonst regte sich das Leid nicht mehr.
Plötzlich, zufällig, im Hippodrom eines Abends, fand er sich ihr gegenüber, vor dem Löwen. Marius mußte ihn halten. Mit Gewalt wollte er sie anfallen im ersten Taumel: öffentlich züchtigen, den schwarzen Hund erwürgen und dann fort mit ihr, fort im Sturm, weit hinaus in die Seligkeit.
[] Er sollte wenigstens den Zwischenakt abwarten, meinte Marius. Das wäre doch schicklicher.
Er wartete. Aber während er wartete, sah er starr auf sie mit schwellender Verwunderung, weil es unbegreiflich wurde. Und plötzlich flimmerte in seinem Gehirn die Deutlichkeit auf wie ein schlagender Blitz, daß er sie gar nicht mehr liebte; sondern sie war ihm jetzt ganz gleich, wie irgend eine andere hübsche Schlumpe, und die messerwerfende, da unten, in dem rosigen Trikot auf dem hellen Sande, wenn sie sich so zielend zurückbog, gefiel ihm viel besser.
Er prüfte sie neugierig mit dem Gucker. War sie denn verwandelt? Eine damische Eleganz, ja, hatte sie sich zugelegt, das schon.
Sie trug ein hechtfarben Kleid, ganz einfach, platt, unten am Rande geziert; es wedelte mit krausen Bauschen in eine kurze Schleppe aus. Der Leib blühte üppig in Tressen und Borden und Troddeln, aber die Ärmel, sehr enge und straff, waren leer; um den Schnitt hatte sie ein schmales Band geschlungen, ockergelb, in welchem eine Tulpe stak. Die englische Toke schlappte nach dem Nacken hinab, von breiten Zügeln in lorbeergrünem Sammet gehalten, welche, wo sie sich unter dem Kinn auf dem hohen, steifen Kragen kreuzten, eine Perlennadel verband.
Also, was wollte er denn eigentlich noch? Damit konnte er doch ganz zufrieden sein!
Aber – dieses – ja, so ließ es sich noch am besten erklären: die Ärmel waren sehr geschultert, in aufgeblasenen Puffen ausgetrieben, bis in die Höhe [] des Mundes. Das verzerrte sie lächerlich, weil sie immer schon den Hals zu kurz und einen gewölbigen Nacken hatte, und sie sah davon ganz höckerig aus, wie ein Marabu. Ja, das war es, offenbar: drum konnte er sie nicht mehr lieben.
Und überhaupt – auch sonst – es zeigte sich eben jetzt, seit sie chic geworden war, daß sie keinen Chic hatte, gar keinen.
Oder – auch ... merkwürdig, Gründe fand er eigentlich keine ... aber aus war es.
Aus war es.
Er sagte es Marius, schilderte es ihm deutlich mit umständlicher Beschreibung, damit er es ihm erklären könnte; denn selber vermochte er es nicht zu fassen.
Aus war es – anders ließ es sich nicht sagen: weg, abgewischt, verlöscht, ohne Rest, ohne Spur, ohne Mal. Er fühlte nichts mehr davon, gar nichts mehr, kein Gutes und kein Böses, nicht angenehm, noch schmerzlich – nimmermehr vermocht' er's sich vorzustellen, wie er es damals wohl empfunden haben könnte. Nimmermehr vermochte er sich zu erinnern, es blieb verschollen. Er mußte es wohl glauben, weil er es erlebt hatte. Aber heimlich war es ihm, daß das ein anderer gewesen sein müßte.
Er fühlte sich verwandelt, gewechselt, ausgetauscht. Es war nur der Geist, der ihn noch mit dem früheren zusammen hielt. An Gefühlen waren es zwei verschiedene, fremde, einander andere, die sich nimmermehr verstehen konnten.
[] Aber da lachte Marius: »Weil die Krankheit fort ist – Narr, sei froh. Darfst Dir aber gar nicht einbilden, daran etwas Besonderes zu haben. Jeder erlebt's: denn gegen die Liebe haben sie noch keine Impfung erfunden.«
»Aber schau nur, wie willst es denn erklären –«
»Erklären läßt's sich freilich nicht, sondern es kommt daher, daß überhaupt das Menschenherz wie eine besoffene Fliege ist.«
Sie kümmerten sich nicht weiter, weil, mit bewegten Brüsten, drallen Schenkeln und gespannten Waden, das russische Ballett viel lustiger war.
Nur nachher, unter der gelben Laterne, als sie vor dem Wagengewirre hielten, über dem schluchzenden Strome drüben glänzte die Eiffel – da sagte er kleinlaut: »So hab' ich am Ende jetzt gar nichts mehr, nicht einmal das Leid.«
Und er dachte an Rahel, die nicht getröstet sein wollte ... daß sie Recht hatte, weil der Schmerz doch immerhin etwas ist, besser als gar nichts. Beinahe hatte er Heimweh um seine Thränen.
Aber Marius, indem er mit dem Schirme fuchtelte:
»Die richtige Stimmung zum Dominospielen. Nur im Domino ist Weisheit, Tugend und Heil.«
Also Domino, tief in die Nacht. Auch den anderen Tag wieder und alle nächsten, oft, immer, stumm, während sie tranken. Weil ihm doch alles gleich war, alles ganz gleich ... und wenigstens entfernte es das Denken.
Nein, er litt nicht mehr. Er konnte sich jetzt wirklich nicht beklagen. Er fand, wie oft er sich mit [] Neugier auch die Seele abklopfte, emsig, überall, horchend, nein, er fand in sich kein schmerzliches Gefühl. Nur, daß ein bitterer Nachgeschmack nicht von der Zunge wollte, wie von was Schmutzigem und Herbem, der ätzte. Es that ja weiter kein Weh, nur war es immer da, mischte sich in alles, und das fühlte er wohl deutlich, daß es jedes Glück verderben würde mit seinem häßlichen Safte, wenn er noch einmal eins fände.
Aber er suchte keins mehr, hoffte keines, wünschte es nicht einmal, weil es doch alles eins ist ... und nichts heißt etwas, man äfft sich bloß ... am besten läßt man's laufen, wie's will, grad', krumm, auf und ab, rollen, rollen, blind, närrisch, wie der Zufall treibt, rollen, vorwärts und zurück, ewig rollen, rollen ...
Die Lust hatte ein paar Stunden gewährt und das Leid hielt auch nicht an und nur diese dumpfe Verdrossenheit war treu, daß es eine eklige und schmierige Sache um das Leben ist.
Nichts wünschen, weil alles enttäuscht, nichts schaffen, weil alles gereut, nichts hoffen, weil alles verhöhnt, nichts denken, weil alles betrügt, nichts lieben, weil alles verrät.
Sondern warten, blöde gelassen warten, wie weit das denn so gehen kann, ob es nicht dem tückischen Dämon selber einmal zu dumm wird, der die Schicksale schafft.
Nicht streben, nicht widerstreben, sondern wie die Blumen ... die beneidete er, daß sie so sanft verwelken und küssen noch einmal in die rote Sonne empor.
Fakirisch, anachoretisch, gymnosophistisch – nach[] der Wüste gelüstete ihn, weil sie heiß ist ... versengen und verbrennen, im weißen Staube, nach dem großen Schlafe hinüber, nach dem großen Schlaf der heiligen Maja.
Domino, Marius hatte immer recht.
Domino, wo die Begierde ringt, daß es aus werde, um, wenn es aus ist, von vorne anzufangen, bis es noch einmal aus werde, für einen neuen Anfang und noch einmal und immer so fort. Kein Zweck, kein Ziel als eben das Zwecklose, Ziellose selber, aber gestreckt und gedehnt als wie nach einem Ziel, während es nur um das Strecken und Dehnen selber ist. Hinkommen will man, um hinzukommen, nicht um dort zu sein – dem Beispiele des Domino müßte man folgen.
Immer spielen, nichts ernst nehmen, über alles sich lustig machen, ohne Glauben, ohne Liebe, ohne Hoffnung – so eine Art von Van-Beerserei des Lebens in ausgelassenen Jonglerieen.
Wenn er sich erst eingewöhnt haben würde, konnte es noch ganz behaglich werden.
Wenigstens die Jugendeseleien war er los, definitiv, das Empfindsame, den Dusel der Gefühle, den ganzen romantischen Gemüsegarten. Er hatte was erlebt. Er konnte was erzählen. Sein Pessimismus war nicht wie bei den anderen litterarische Intoxikation. Er konnte ihn »belegen«.
Das freute ihn. Er kam sich so erfahren und gereift vor, Weltmann, Salomo.
Aber Schulden hatte er, und niemand kaufte seine Bilder.
[] XII.
Zwei Briefe an diesem Morgen unter der Thüre, als er in die Spalte tastete. Der erste groß, grau, weich – er kannte diese eckige Insulte von Schrift schon: von seinem Schneider; der Flegel wurde neuestens frech – ah, überhaupt die ewige Geschichte mit dem Gelde! Hastig riß er den anderen.
»Mein liebes Kaninchen! Ich schreibe nur höchst geschwind, weil ich mich nämlich erst noch anziehen muß, und der Schimpanse kauft mir jetzt auch Bilder, seit sie mit dem klecksigen Monet von der Soledad Fougère so viel Spektakel machen, natürlich lasse ich mir das nicht gefallen, und da fällt mir ein, mir ist es ja gleich, aber es macht vielleicht Dein Glück; er hat es schon fest versprochen und zahlt, was Du willst, nur nicht genieren, sondern ordentlich abfedern, schick' halt drei, vier, was Du gerade hast, aber gleich und ziemlich nackt womöglich. Es küßt Dich überall von Herzen Deine treue Fifi, in Eile, welche Dich ewig liebt.«
Ja, als ob wir alle Alphonse sein müßten, weil sie alle ... Und er zerstückelte es in Fetzen und Fasern!
[] Fort, hinaus.
Dieses allein fand er deutlich in seinem Gehirne daß er nicht da bleiben konnte in Gesellschaft dieses Briefes. Hinaus, ganz hinaus, aus allem weg – wenn er nur wenigstens erst auf der Straße war, im Lärm, im Gewühl, in der Fremde. Und indem er sein ganzes Leid und ihre ganze Gemeinheit noch einmal erlebte, erkannte er das ewige Leid des Mannes und die ewige Gemeinheit der Frau.
An diese Verallgemeinerung des besonderen Erlebnisses klammerte er sich, weil sie eine angenehme Nuance in den Schmerz fügte.
Hinaus. Und laufen, daß die Beine alle Kraft wegnähmen; dann mußte sich das Gehirn stille geben, weil ihm keine blieb.
Aber auf dem Boulevard, unter dem matten, feuchten, schleimigen Herbste, der weiße Ringe um das rote Laub spann, da, nachdem ihn die Eile ein wenig beruhigt hatte, überlegte er wieder, und es wurde ihm zunächst sehr behaglich, in aufsteigenden Wärmen, in sich die Fähigkeit zu solchen Entrüstungen zu entdecken. Das sprach doch sehr für ihn und war ein schönes Zeichen. Verse über die Manneswürde fielen ihm ein.
Es lag lau und gütig in der Luft, die sich mit silbernen Fäden verschleierte. Der Sommer stieß an den Winter, und das gab, wie Mädchenstimme und Harfe, einen freudig schmerzlichen Klang. Er hatte ganz deutlich ein wunderliches Gesicht, das aus Kaminfeuer und Erdbeeren zusammengemischt war.
[] Nach der Ausstellung, ein letztes Mal, zum Abschiede von allen köstlichen Wundern, welche er liebte. Ja, das würde ihm gut thun. Das wirkte ihm immer wie Opium, Befreiung ins Phantastische hinüber, während der niedrige Verstand verstummte.
In die Ausstellung – das exotische Bunt aus peitschenden, knallenden Farben, und die jähen Schriller der rasenden Derwische, während der weiße Mantel wirbelt, und die unzüchtige Brunst mit im Taumel ausbrechenden Brüsten der schwülen Gitanen – ja, in die Ausstellung!
Omnibus – aber das war nicht so einfach. Alles wollte noch einmal in das große Völkerfest hinaus, bevor der laute Traum erlosch. Er bekam die Nummer 457; warten, lange warten, geduldig – warum das Bureau nur gerade gelb sein mußte, von diesem giftigen, hämischen, böswilligen Gelb, welches alle Sonne in Neid verwandelt zurückspie!
Aber er hatte ja Zeit, und von der Allee her, welche sich in leisen Winden neigte, die blaue Tusche des goldverbräunten Laubes strich ihm angenehm, lau über die Sinne, aufthuend: es ward ihm ausgespannt, nachlassend, erweitet zu Mut, alles löste sich und wich.
Nur daß er sich, in der Belagerung der Bänke, nicht setzen und doch auch nicht bewegen konnte – dieser steife Stand, der ihm die Beine verbleite, verdroß ihn. Und es war immer noch, heillos, immer noch bloß das erste Hundert an der Reihe, unüberwindlich, das kein Ende nehmen wollte, als könnten [] die zähen und verleimten Nummern sich von der fetten, klebrigen Stimme des schnaufenden Schaffners nimmermehr lösen. Und der ganze Boulevard, hinauf, wenn er mit angespanntem, aderschwülstigem Halse, daß der Apfel erschien, lugte, das war weithin, endlos, ein weißes Band, von einem höhnischen, grausamen, tobenden Weiß, das alles verschlingen und den schwarzen Punkt seiner Hoffnung, der nicht vorwärts wagte, nimmermehr herunter lassen würde.
Da fiel ihn, als das Drängen seine Ellbogen klemmte, ein großer Zorn an: dreinhauen hätte er mögen unter das Gesindel. Eine Bluse geriet neben ihn, schmutzig und schweißig. Es wurde ihm unbegreiflich, wie er sich früher für die Arbeiter interessieren konnte, um ihr Recht und ihre Wohlfahrt besorgt, während sie doch feineren Nerven nicht entsprechen können; und indem er sich zudem die Vorstellung darlegte, wie draußen wieder alles überfüllt sein würde, kein Platz und elende Bedienung, Hader und Zank immerfort, empfand er noch dazu einen jähen und gebieterischen Hunger, ungestüm.
Es war nicht länger erträglich; die Ungeduld zupfte ihn an der Iris, mit Stichen, welche graue Fäden in das Weiße hinüber lösten, und jeder einzelne Laut aus dem großen Heulen rings, das schwoll, nagelte sich ihm in die wankenden Schläfe. Und dicke und dumme Menschen, zweifache Uhrketten über den ganzen Bauch und mit baumelnden Beinen, während seine starrten, fuhren in Karossen und sandten wohlwollende Neugier und spöttisches Mitleid nach dem [] Gewühle zurück. Weil sie Geld hatten ... einfach, weil sie Geld hatten.
Und da schlug ihn plötzlich die Einsicht, wie albern es war, den Hidalgo zu spielen, keinen Sou in der Tasche; daß zuletzt halt doch im Gelde allein die einzige Vernunft und die einzige Tugend und die einzige Freiheit ist, welche nur die Hungerleider verleugnen; und daß er ihr darum die vier Bilder schicken würde für einen gesalzenen Preis, um mit dem ewigen Dalles endlich zu brechen und auch einmal ein anständiger Mensch, wie man so sagt, zu werden.
Dieses ward mit einem Schlag ungestüm in seiner Seele aufgerufen; er wußte nicht, woher es einbrach.
Dann konnte er auch im Fiaker fahren und brauchte solche blöde Warterei nicht mehr.
Er erschrak heftig, weil er es gleich gewahrte, daß er an diese Versuchung verloren wäre, wie er sie noch einmal dächte: darum mußte er sie sich immerfort wiederholen und dachte sie durch Zwang nur immer wieder und wieder.
Es war gewiß, daß er erliegen mußte, weil seine Natur sich sträubte, empörte, widersetzte. Auflehnung konnte nichts helfen: es war in seinem Schicksal. Er wollte sich auch gleich fügen, weil es doch nichts nützen würde; bloß daß er noch einen Zwang von außen hoffte, auf den er es hinüberschieben und die Verantwortung abwälzen könnte.
Wenn im nächsten Wagen Platz ist, dann nicht.
[] Wenn aber im nächsten Wagen kein Platz ist, das ist dann ein Zeichen. Und es läßt sich doch nichts dagegen machen. Wozu sich erst lange aufregen.
Da kam der nächste Wagen, komplet.
Also, dachte er, ist es wenigstens nicht meine Schuld.
Er freute sich, daß es jetzt entschieden war und seinen Willen nichts mehr anging. Und er stellte sich lieber das viele Geld vor, das viele Geld in schimmernden Haufen, wie sie glitzern und klingen würden, helle, froh ... Geld, Geld ... er lutschte an dem schleimigen und glitschrigen Worte, das den Speichel zusammensog, und züngelte wollüstig darum mit allen Gedanken.
Er wandte sich heim, um es gleich zu erledigen, damit es einmal vorüber, unabänderlich würde, packte die vier zusammen und verschickte sie noch den nämlichen Tag. Den, anderen, morgens, pünktlich mit der ersten Post, hatte er seinen Preis in reinlichen Billetten, die sich gut angriffen und leise Suggestionen knisterten, wie er sie zärtlich strich. Er fand ihr mildes Blau wohlthätig wirksam, und jetzt konnte er wenigstens mit dem Schneider gehörig grob werden.
Zunächst vergnügte es ihn, sich in einen anständigen Menschen zu verwandeln. Er hatte das Zigeunerleben satt: die Schulden und die Ideale. Er spürte plötzlich – wunderlich, woher es kommen mochte – kräftige Triebe aus den »Unregelmäßigkeiten« heraus nach dem »Korrekten« hin, die sich gut empfanden, weil sie neu waren; an den anderen [] Gerichten der Empfindung hatte er sich schon ein wenig überessen. So vernünftig, reif, fertig kam er sich auf einmal vor, alle Eseleien abgestreift, weit weg, und besonnen; er wollte sich jetzt bloß mehr auf das Wirkliche verlegen, auf erweisbaren Genuß, der Nerven und Sinne bereichern konnte, auf das Positive, wie die anderen – mit dem großen Streben in die Wolken war es doch nichts.
Es wirkten die neuen Kleider. Er verbrachte seine Tage, den neuen homme chic einzuüben. Da gewahrte er es erst, daß man in Lack und Glacé doch ganz anders denkt, das Gehirn wird verschoben; das waren offenbar nur die Brünner Wollstoffe gewesen, welche früher die idealistische Verwirrung stifteten, jetzt empfand er englisch Kammgarn, mit Atlas ausgeschlagen.
Wenn er um vierzehn Tage zurückdachte, manch mal, konnte er es doch nicht recht begreifen, wie er so ganz sich weggenommen und vertauscht war. Es wäre ihm ganz natürlich gewesen, sich eines Tages mit einem neuen Leibe zu finden. Es fehlte jede Verbindung mit dem früheren, er vermochte sich nicht zurückzudenken ...
Kein Gedächtnis, kein Wunsch, keine Reue – freilich, er hätte sie gut weggeschüttelt: das Leben war einmal so, er war bei der Schöpfung nicht befragt worden, er änderte es doch nicht, er hatte es satt, den ewigen Don Quixote zu mimen, besser immer noch verächtlich als lächerlich – ach ja, abgeschüttelt hätte[] er die Reue mit tausend Stübern, aber sie hätte sich doch wenigstens regen müssen, das ärgerte ihn eigentlich.
Der war weg, der alte Seltsame, der immer Geschichten machte und sich jedes Vergnügen verdarb; er war jetzt auch einer von den anderen, ganz wie die anderen, ruhig in den Tag hinein wie die anderen, wunschlos, zuversichtlich wie die anderen, heiter wie die anderen –
Mittelmäßig – auch? Dutzendware, Maschinenfabrikat, gewöhnlich und gemein wie die anderen? Auch?
Warum denn zaudern?
Ja, mittelmäßig auch wie die anderen und mit mutiger Wollust noch dazu, trotzig ins Gemeine hinein und aus dem Besonderen weg, welches das Behagen frißt – der Welt nachgeben, wie sie modelt, auf den Eigensinn verzichten, alles gehen lassen, gerade oder krumm, wie's kommt, sich und das andere, weil an dem Narrenturm doch einmal nichts zu ändern ist. Wenn man bloß Geld hat, bloß das nötige Geld, sonst macht sich alles ganz von selbst; selbst das »andere« wird erträglich: man kann es von sich wegkaufen in manierliche Distanzen – wozu denn ringen und kämpfen? L'infinita vanita del tutto des Leopardi klang ihm durchs Ohr; nur braucht man dazu, um ihrer behaglich zu werden, gehörige Mittel.
Das alles war jetzt in ihm entschieden, ausgemacht und fest. Das Schwanken und Suchen hatte ihn verlassen: er zweifelte nicht mehr. In das Vergangene [] vermochte er nicht mehr zurück, wie in einen fernen und absurden Traum, in verrauschte Wallungen, in die zerstobenen Hallucinationen der ersten Pubertät – das alles war entflattert, ohne Spur.
Das ewige Stochern und Bohren und Pflügen, grüblerisch und aufwühlerisch, im Gehirne – nein, merkwürdig, jetzt brauchte er gar nicht mehr zu denken, weil er wußte, und statt der Fragen hatte er die Antworten.
Nur dieses eine hätte er noch gerne erfahren, welches Rätsel blieb – damit vertrieb er sich noch manchmal die Zeit: warum, warum es denn nur einem nicht gleich gesagt wird, was er in so vielen Leiden erst erworben; warum umgekehrt erzogen werden kann, als gelebt werden muß; warum man die romantische und zu Qual, Haß und allem Laster verführerische Duselei, als ob Gutes oder Schönes vollbracht werden könnte und außer den Reizen auf Sinne und Nerven noch andere Wirklichkeiten erdenklich wären, nicht von Anfang an, als unnütze, verderbliche Atavismen, verhinderte und erdrückte. Da werden solche Wähne durch priesterliche und künstlerische Suggestionen noch gekräftigt und ernährt, da sie doch ausgemerzt werden müßten, und die Moral bleibt verhüllt: Sei reich und allein. Natürlich geht es dann bei den meisten schief, und die Begabten selbst kommen erst spät dazu.
Aber andererseits: Die Tugend hätte sonst keinen Wert, und man wüßte sie nicht zu schätzen, wenn sie[] geschenkt und nicht eine in Gefahren, Enttäuschungen und Entsagungen mit Opfern errungene wäre.
Ja, Tugend – das war das richtige Wort. Er fühlte sich jetzt tugendhaft, weil alle Auflehnung wider die Natur in Idealen und die Ueberhebung des Wunsches aus der Gemeinheit zu eigenen Gesetzen überwunden war; er fühlte sich nicht mehr anders, er fühlte sich gleich mit dem anderen; und was als Eintracht mit der Umwelt wäre sonst Tugend? Er hatte sich geläutert und geklärt; er wollte jetzt wie die anderen keine Phantastereien und Schrullen mehr, sondern das Erreichbare und Erlaubte: Von wissentlich gewürzten Speisen gut essen, aus nervenfreundlichen Weinen gut trinken und mit anregenden Mädchen manchmal gut schlafen, ohne Uebertreibung, nicht zu oft, nicht zu eifrig.
Nein, er wollte nicht mehr mit dem Schädel durch die Wand nach unfaßlichen Idolen. Er wollte sich im Gegebenen bescheiden. Er war jetzt definitiv vernünftig, vernünftiger sogar als selbst Marius; denn wie groß der auch that, er wollte doch immer noch was und glaubte noch an was.
Es war schon so ganz gut, wie es war: daß man es mühselig erst erwerben mußte nach vielen Irrungen. Wenn es einem auch gesagt würde, man glaubte es ja doch nicht, und es wäre unverläßliche Weisheit. Es giebt darin kein Mittel der Verständigung als nur durch ein Erlebnis; man muß es selber durchmachen, dann hält es – anders läßt es sich nicht wirksam erfahren.
[] Und dafür, um das Wesen der Welt zu erleben, ist halt doch immer noch die Liebe das sicherste Verfahren, weil nirgends der Schwung erst so stolz ausschweift in phantastische Güte und nirgends nachher der Sturz so tief verstößt in bestialische Gemeine.
Ja, die Liebe ist die gute Schule er wirklichen Weisheit. Man wird etwas stark gepufft, aber dafür sind auch am Ende die Eseleien gründlich ausgetrieben. Man kann ihre Lehre das ganze Leben nicht wieder vergessen.
Darum, wenn er das alles wog, brauchte es ihn nicht zu gereuen, das Verhältnis mit Fifi. Die sechs Monate waren doch eigentlich nicht unnütz vertrödelt, sondern er hatte Besinnung und Vernunft davon gewonnen. Das alte Romantische war weggeputzt und sie hatte ihn zum natürlichen Menschen dieser Zeit erzogen.
Und jetzt konnte er sich selber leben. Er spielte fleißig Baccara und lernte, nachdem er sich eine gelbe Hofe gekauft, reiten. Um den Künstler nicht zu vernachlässigen, komponierte er manchmal Toiletten.
Er war fest entschlossen, außer sich nichts mehr ernst zu nehmen.
Er gewann eine vornehme und zufriedene Weltanschauung, daß das meiste doch ganz ordentlich eingerichtet ist; man muß nur der richtige Mensch dafür sein, daran liegt's.
Er blickte mit Vertrauen in die Zukunft, selbstbewußt, daß er es so weit gebracht hatte; es konnte [] ihm nicht fehlen, daß er bald die allgemeine Achtung gewänne.
So, oft, wenn er in den alternden Herbst hinaus sah, dachte er, es würde ein recht behaglicher und angenehmer Winter werden, von verdienter Freude.
[]- Holder of rights
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- TextGrid Repository (2021). ELTeC. deu. Die gute Schule : ELTeC ausgabe. Die gute Schule : ELTeC ausgabe. Distant Reading – 2022-11-22. ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001B-8B43-B