1817, Mitte April.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Eine der größten Neuigkeiten unserer Stadt ist, daß Goethe, des leidigen Theaterwesens und Unwesens müde, die Direction des Theaters niedergelegt hat; er wird sich selbst, seinen Freunden und Verehrern, den Künsten und Wissenschaften in verjüngter Kraft leben, da jene theatralische Zwangherrschaft ihm nicht mehr seine besten Stunden raubt, indem er für all seine Müh doch nur Undank einernten konnte. Über seinen Entschluß fand ich unsern, sonst in hiesigen Dingen so an sich haltenden Goethe vor ein paar Tagen abends[279] ... sehr animirt. Er sagte im Verlaufe des Gesprächs: »Schauspieler und Publicum sind in gleicher Confusion und man macht sie immermehr zur Natur der Kunst. In die Fremde mußte man gehen, um des Guten froh zu werden, was man hier besaß und nun zerstört. Ein Bedürfniß für das Beste habe ich nie wahrgenommen, der Drang zum Schlechten bricht aber überall durch, und ich bin dieser Theatertournuren satt. Bei so viel Verdruß auch noch Schande, dazu verweigere ich mich, und die geringste Nachgiebigkeit hierin untergräbt alle Arbeit, bis das Ganze fällt. Habe ich das Publicum determinirt behandelt, als ich seinen Geschmack auf eine höhere Stufe bringen wollte, muß ich auch determinirt auftreten, wo man mich hemmt, das Gute zu realisiren. Ist's damit vorbei, hat sich kein anderer Sinn festgesetzt, als der, daß man nur das Neue will, wie niedrig es stehen möge – nun, wohl dem, der sich loslösen kann von einem Fuhrwerk, das bergab stürzt. Ich aber kann's und will wenigstens fort von einem Wege, auf welchem die rechte Höhe unerreichbar ist – bei dem Theater besonders deshalb, weil den jetzigen Schauspielern überhaupt für das Leben und die Kunst der Ernst und die tüchtige Auffassungsgabe mangeln. Es ist ein weibisch Volk und ein Weiberregiment ihnen das Zuträglichste.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1817. 1817, Mitte April. Mit Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A7CB-5