[164] c.

Auf dem nächsten Morgenspaziergang gefiel es dem Weimar'schen Heros von mir die Geschichte der Hanauer Privatbühne zu verlangen, von ihrem ersten Entstehen an bis zu den glanzvollen Tagen, wo Iffland mit uns auftrat. Gerechten Anstand nahm ich, meinen verehrten Gast mit solchen Kleinigkeiten zu unterhalten, aber es half nichts! Er wiederholte seinen Wunsch, ich mußte erzählen; mit Theilnahme achtete Goethe auf alles, was ich vorbrachte.

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Leseproben ließ ich mir sehr angelegen sein, obwohl Spielproben meinen Leutchen für weit ergötzticher galten.

»Recht!« unterbrach mich Goethe; »damit muß man's ernst nehmen, findet die Sache auch oft nichts weniger, als ungetheilten Beifall. Ich, der ich veranlaßt wurde, mit tieferem Blick in's Innere des Theaterwesens zu dringen, lasse mich nie irren. Mir gelten Leseproben für unerläßlich, damit Ausschweifungen vermieden, die Rollen nicht verfehlt, nicht ohne Leben, mit ächter Laune vorgetragen werden, mit Bewußtsein und Besonnenheit, nicht allzu feurig und ungestüm, auch das Stoßende, Harte und Verrenkte in der Sprache vermieden werde; ebenso der Schwulst, zu dem sich junge Schauspieler so gern verlocken lassen, obwohl er dem ganzen Wesen theatralischer Darstellungen durchaus [165] fremd ist und ungeziemend. Leseproben sind für die meisten unerläßlich, um vom Geist ihrer Rollen durchdrungen zu werden, um die Herzenssprache hören zu lassen, nicht das Auswendiggelernte; um mit Kraft und Nachdruck reden zu können, ohne den Mund voll zu nehmen, ohne jene fürchterliche Deutlichkeit in der Aussprache, die durch Mark und Bein geht. Bei Leseproben kann man auf solche Fehler aufmerksam machen und Unarten verbannen.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1814. 1814, zwischen 20. und 25. October.: Mit Carl Cäsar Ritter von Leonhard. c.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A7A2-0