1821, 18. Mai.
Mit Friedrich von Müller
und Friedrich Wilhelm Riemer
Abends von 7-9 Uhr. – Ich traf Riemern bei Goethe an, im vordern Gemach Kupferstich-Mappen aufgeschlagen.
Die neue weimarische Pinakothek gab zuerst Unterhaltungsstoff. Der Maler Caspar von Crayer, gemalt von van Dyck, wie er die Laute mit höchster Anmuth, und doch mit Würde und Ernst im Blicke spielt, ist [82] eins der schönsten Steinbilder. 1 Wir kamen auf des Raths Kraus Harzgegenden. »Er that alles mit Liebe, was er that,« sagte Goethe, »war anschmiegsam, feinsinnig wie keiner. Damals bei jenem Streifzug in die Harzgebirge holte ich einst, auf von Trebra's Schultern gestiegen, ein merkwürdig Mineral mit vieler Gefahr von seiner Bildungsstätte, vom Felsen, herab; ›wir müssen erst noch berühmt werden, ehe wir den Hals brechen, darum hat es jetzt keine Gefahr,‹ sagte ich scherzend zu Trebra. Ich besitze noch eine kleine polirte Marmorplatte aus jenen Gegenden mit der von Trebra aufgesetzten Inschrift jener Worte. Ja, wenn man in der Jugend nicht tolle Streiche machte, und mitunter einen Buckel voll Schläge mit wegnähme, was wollte man denn im Alter für Betrachtungsstoff haben?«
Die Sammlung von Caricaturen auf Napoleon zu sehen, lehnte er ab, »ich darf mir dergleichen, mir widrige Eindrücke, nicht erlauben, denn in meinem Alter stellt sich das Gemüth, wenn es angegriffen wird, nicht so schnell wieder her, wie bei Euch Jüngern. Ich muß daher mich nur mit ruhigen, gründlichen Eindrücken umgeben.«
[83] Darauf kamen wir auf seinen Berliner Prolog, den er mir jedoch wegen Mangels an reinlicher Abschrift nicht zeigen wollte, und auf die Unart eines Prager Naturforschers Purkinje, der Goethes Farbenlehre predigt, ohne ihn nur zu citiren, so daß Goethe sich jetzt in der Morphologie den Spaß macht, sich selbst bei Kritik jenes Werks zu allegiren. »Man muß gar nicht leben, sich nicht mittheilen wollen, wenn man sich solche Plagiate nicht ruhig gefallen lassen will. Der größte Virtuos im Aneignen fremder Federn war Bertuch, der sogar den armen Batsch, als dieser ein neues System der Naturgeschichte schrieb, zwang sich gefallen zu lassen, daß Bertuch ankündigte: da er selbst nicht Zeit habe, werde Batsch seine (Bertuch's) Ideen dem Publicum vorlegen. Dafür aber hat die Nemesis ihn auch gestraft, daß jenes Unternehmen, wegen Mangels aller Methode mißlungen, und ihm ein baarer Schade von mehreren tausend Thalern geworden ist.«
1 Steinbilder, weil H. Müller dieses u. a. Stücke der weimarischen Sammlung litographirte; das van Dyck'sche Original ist eine Ölskizze auf Papier; s. Katalog des Gr. Museums, Weimar 1869 S 54.