1821, 9. Februar.
Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Meyer
Nachdem im Stadthaus diesen Abend ein Tausendkünstler seinen Hocuspocus uns mit bewundernswürdiger Zierlichkeit und Geschicklichkeit vorgemacht, besuchte ich Goethen und traf den alten Meyer bei ihm an. Die Erzählung des eben Gesehenen machte ihm Freude.
»Um das Unmögliche bis auf einen gewissen Grab möglich zu machen,« sagte er, »muß sich der Mensch nur keck mit rastlosem Streben an das scheinbar Unmögliche machen. Sah ich doch voriges Jahr in Dornburg einen Indianer sich einen Ellen langen Degen in den Schlund hinein stecken, wozu mehrjähriges tägliches Fortprobiren ihn geführt hatte.«
[78] Er zeigte mir einen herrlichen Kupferstich von Martin Lunghi, eben aus Mailand gekommen, die Hochzeit der Maria von Rafael vorstellend. Das Bild hängt in der Brera zu Maitand, in Öl gemalt und ist aus Rafaels mittlerer Periode, schon in Verwandtschaft mit der Schule zu Athen. Darauf ward von den Tableaux aus Faust erzählt, die eine hiesige Gesellschaft unter Lieber's, Holdermann's und Schwerdgeburth's Direction dermalen von Zeit zu Zeit im Alexanderhof 1 darstelle.
Das Gespräch lenkte sich auf des preußischen Justizministers Kircheisen Jubelfest und auf die zu Ehren desselben geschlagene Medaille. Goethe erzählte, wie er Kircheisen vor mehr als 20 Jahren einst in Karlsbad als liebenswürdigen Gesellschafter kennen gelernt, und wie er ihm so klar als tüchtig, so wohlwollend als heiter, fast sanguinisch erschienen sei. »Eine schöne, muntere Polin,« setzte er hinzu, »zog mich damals gewaltig an, so daß meine Freunde, und darunter auch Kircheisen, um meiner froh zu werden, sich genöthigt sahen, sie auch in ihre Kreise zu ziehen. Bei ihrer Ankunft mit mehreren Landsmänninen blieb sie von der Menge ganz unbemerkt, fast wie ein Aschenbrödel; ich entdeckte sie und ihren vorzüglichen Werth gar bald, und suchte sie wie eine Kastanie aus der Asche hervor. Wir wurden uns lieber und lieber; es war ein allerliebster [79] sarmatischer Hanswurst, voll Verstand, Laune, Frohsinn. Als aber eine gewisse polnische Fürstin anlangte, sagte sie mir plötzlich: Nun muß ich mich der Verhältnisse wegen ganz zu dieser halten, und wir werden uns wohl nicht mehr allein sehen und sprechen dürfen. Das soll ganz von Ihnen abhängen, erwiederte ich. Darauf ist sie mir denn auch in der That nur noch in größern Cirkeln und zwar gegen ihre bisherige Art, immer höchst prächtig geschmückt, sichtbar worden, und wir haben nie mehr Worte gewechselt.«
Ich ging gegen 10 Uhr mit Meyer weg, obgleich Goethe mich durchaus halten wollte und dringend ein »Minimum von Jenaischem Zwieback« zu genießen anbot. Aber ich war müde und von katarrhalischem Zustand geplagt, dem die gewaltige Hitze in Goethes kleinem Zimmer schlecht zusagte.
»So werde ich mich denn einsam mit der Mitternacht befreunden müssen,« sagte er zum Abschied, und es that mir in der That weh, ihn zu verlassen.
1 Jetzt »Russischer Hof«.