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Bertram ..... wußte auch sonst wohl gar manches lustige Geschichtlein von Goethe ... zu erzählen, das dem Gedächtniß erhalten zu werden verdient ..... Jeden Abend, erzählte Bertram, ließ Goethe seinen Bedienten zu sich auf die Stube kommen, um Rechnung mit ihm abzuhalten über alle Ausgaben des Tags, die größten wie die kleinsten, und für den folgenden Tag [151] den vorläufigen Etat im Ausgabebuch festzustellen. Als Bertram über diese haushälterische, dem Materiellen zugewendete Sorgfalt des Dichters seine Verwunderung äußerte, sagte Goethe: »Wenn die Prosa abgethan ist, kann die Poesie um so lustiger gedeihen. Man muß sich das Unangenehme vom Halse schaffen, um angenehm leben zu können, und der Schlaf bekommt nur um so besser.«

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Aus den früheren Mittheilungen wissen wir, daß Goethe in Heidelberg allmorgendlich die Schloßruine besuchte. Dorthin wünschte er gleich am andern Tage nach seiner Ankunft [25. September] geführt zu werden, doch so, daß es kein Aufsehen errege, da man ihm, wie er vernommen, schon überall auflaure. Die Boisserées versprachen ihn durch den Thibaut'schen Garten dorthin zu bringen, was auch geschah. Sie begleiteten ihn ein Stück Weges hinauf und ließen ihn dann allein, wie es sein Wunsch war. Inzwischen hatte oben auf der Bank schon ein anderer Gast platzgenommen; dies war Schwarz, der Geheime Kirchenrath und Verfasser des bekannten Werkes über die Erziehungslehre, der zufälligerweise erfahren hatte, daß Goethe in Heidelberg sei und früh die Schloßruine besuchen wolle. Er war ihm auf diese Weise zuvorgekommen, und als Goethe erschien, redete er denselben auch sogleich an und pries sich glücklich, ihn endlich zu sehen und fragen zu können, was er denn eigentlich mit dem »Wilhelm Meister« [152] beabsichtigt habe; er habe ihn gewiß für ein Erziehungsinstitut geschrieben. Goethe, der dem unzeitigen Frager nicht ausweichen konnte, fügte sich in das Unvermeidliche, indem er erwiderte: »Das habe ich bisher selbst nicht gewußt, doch nun leuchtet es mir vollkommen ein; ja, ja! ich habe den ›Wilhelm Meister‹ für ein Erziehungsinstitut geschrieben, und ich bitte Sie, dies ja überall in der Welt bekannt zu machen.« – Schwarz war entzückt über die neue Entdeckung und lief sogleich in ganz Heidelberg umher, um seinen Bekannten mitzutheilen, daß Goethe nun wisse, warum er den »Wilhelm Meister« geschrieben habe.

Goethe pflegte in Heidelberg die Sonnenuntergänge von der Höhe einer Pfarrei herab zu beobachten und bei dieser Gelegenheit seinen Gefühlen im Anblick des erhabenen Naturschauspiels dem ihn begleitenden Freunde Sulpiz Boisserée gegenüber in der ergreifendsten Weise Ausdruck zu geben. Man wußte das in der Stadt. Als nun eines Abends Goethe wieder einmal mit seinem Freunde die Höhe hinanstieg, um die Sonne untergehen zu sehen, hatten ein paar Frauenzimmer, die ihn dabei zu belauschen wünschten, sich hinter das Gebüsch versteckt. Goethe bemerkte sie, that aber nicht, als ob dies der Fall sei, und als er oben angekommen war, begann er einen so abschreckenden Sermon über das Altwerden der Sonne, die anfange, fahl und bleich auszusehen, daß es nicht lange dauerte, und die Gestalten hinter dem Busch waren verschwunden. Nie [153] war, erzählte Sulpiz später seinen Bekannten, Goethe größer, seelenvoller in seinen Betrachtungen, als an diesem herrlichen Abende, nachdem die unberufenen Lauscherinnen sich entfernt hatten.

Wir wissen aus Goethes eignen Bekenntnissen, daß er jede Maske, auch die des liberalistischen Indifferentismus annehmen konnte, um sich dahinter gegen Pedantismus und Dünkel zu schützen. »Es kommt nur auf mich an,« sagte er eines Tags bei den Boisserées, »mit jeder Gesellschaft, wie sie auch sei, in guter Art fertig zu werden. Vermuthe ich in ihr einfältige und dumme Leute, so stelle ich mir vor, daß es lauter geistreiche seien, dann erhebe ich sie zu mir und zwinge sie, auch ihren Geist leuchten zu lassen; und umgekehrt, wenn ich zu jemandem komme, der sich einbildet, mehr zu sein und zu wissen, als die andern Menschenkinder, dann denke ich mir das Gegentheil und behandle ihn auch so, indem ich ihn beschäme und nöthige, seine Nase nicht mehr so hoch zu tragen.«

Goethe suchte alles, was in Leben und Dichtung ihm entgegentrat, möglichst unter dem ästhetischen Gesichtspunkt zu fassen. »Wenn etwas auch nicht schön ist,« pflegte er zu sagen, »so müssen wir doch soviel Phantasie haben, es schön zu finden.«

Zudringlichkeit und Hochmuth waren ihm so verhaßt, als Gespreiztheit und Ziererei. Als Frau v. Humboldt in geselligem Kreise ihn fragte, ob sie ihm nicht ihr Töchterlein vorführen dürfe, die gerade etwas [154] declamiren wollte, brummte er ein verdrießliches »Ja!« Die Kleine trat auf und declamirte mit vieler Selbstgefälligkeit Stücke aus der »Jungfrau von Orleans« und »Maria Stuart«. Goethe saß dabei, mürrischen Gesichts vor sich hinsehend, ohne ein Wort zu sagen. Als sie fort waren, rief er: »Welche Unverschämtheit! wäre dieser kleine Balg nicht werth, daß man ihm die Ruthe applicirte? Stellt sie sich so keck vor mich hin und declamirt mir diese Geschichten vor!«

Einst war Goethe zu Voß eingeladen. Als sie bei Tisch saßen, wird Voß herausgerufen, und führt verabredetermaßen einen jungen Dichter, Kunz mit Namen, der für Almanachs gearbeitet hatte, herein, stellt ihn vor und setzt ihn neben Goethe. Dieser Kunz war, ich weiß nicht mehr aus welchem kleinen Staate. Goethe ergriff das Wort und sagte: »Nun, Ihr Fürst ist ein strenger Herr: es soll schwer halten, dort einen Paß zu bekommen. Könnten Sie mir wohl einen solchen zeigen?« »O ja wohl! Sehr gern!« Und damit holte Kunz aus der Seitentasche seines Rockes den Paß. »Bitte, leihen Sie mir ihn bis morgen!« sprach Goethe; »es ist doch ein merkwürdiges Stück; das muß ich ein wenig sorgfältiger mir anschauen.« Wer war glücklicher, als der junge Dichter? Er sah sich schon bei Goethe, eingeladen von ihm und seines Schutzes theilhaftig. »Wissen Sie,« sagte Goethe später zu einigen seiner Gäste, die sich über diese Paßliebhaberei wunderten, »warum ich mir das Papier geben ließ? [155] Ich sah aus Kunz's andrer Rocktasche ein Packet Gedichte gucken, und lieber wollte ich den Paß lesen, als die.«

Goethe las sehr gut, aber selten vor; es war daher großer Jubel im Hause bei den Boisserées, als er ihnen ankündigte, daß er in der nächsten Abendgesellschaft etwas von sich vorlesen wolle. Melchior meldete dies Bertram mit dem Bedeuten, daß er dabei erscheinen müsse. Bertram antwortete: »Laßt mich nur machen!« und begab sich zu Goethe, indem er sagte: »Muß ich heut Abend erscheinen?« »Muß ich heut Abend erscheinen – was heißt das?« fragte dieser. »Ich muß Ihnen gestehen, Herr Geheimrath,« erwiderte Bertram, »daß Sie mir keinen größeren Possen spielen können, als wenn Sie etwas vorlesen: ich habe keine Ruhe dazu, es mit anzuhören.« »Gehen Sie ohne Gewissensbisse in pace!« antwortete Goethe, indem er die Arme zu einem Kreuze übereinander legte.

Der Professor des Civil- und Criminalrechts Christoph Reinhard Martin in Heidelberg hatte einen schönen Garten, wohin Goethe öfter kam, als er sich in jener Stadt aufhielt. Sie saßen beide im Gartenhause; Martin klagte, daß man die schönen hohen Waldbäume in der Nähe seines ländlichen Sitzes auf Befehl der Regierung habe abschlagen lassen und hielt letzterer gerade keine Lobrede. »Wie lange dauert es denn,« fragte Goethe, »bis die Bäume wieder herangewachsen sind?« »Ja, eben das ist's! Mindestens zwanzig [156] bis fünfundzwanzig Jahre,« antwortete Martin. »Nun!« sagte Goethe, »dann haben Sie ja noch lange Zeit, um sich wieder zu ärgern.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1814. 1814, zwischen 24. September und 9. October.: In Heidelberg. c.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A607-9