1803, Ende December (?).


Mit Karl Ferdinand Fröhlich

Man drang immer mehr in mich, daß ich mich für einen Stand erklären solle, indem es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen, besonders wenn ich mich dem Handelsstand widme, was wohl das Beste für mich sei, da fast alle meine nähern Verwandten mit geringer Ausnahme diesem angehörten und diese Carriere mit Glück betreten hätten. Von allen Seiten gedrängt, erklärte ich endlich rund heraus, ich würde nichts anders als Schauspieler werden, wozu ich den höchsten Beruf in mir fühlte. Jetzt aber war Feuer in allen Ecken ..... Es wurde mir nun unaufhörlich von allen Seiten so zugesetzt, daß ich beschloß, der ganzen Geschichte schnell durch einen Desperationscoup ein Ende zu machen. Erst kürzlich hatte ich »Wilhelm Meisters Lehrjahre« von Goethe gelesen und wieder gelesen, mich ganz in das Buch und den Charakter Wilhelm's vernarrt und faßte nun den Entschluß, den Schöpfer desselben, mit dessen [251] Familie wir ohnehin liirt waren, aufzusuchen, in dem festen Glauben, dieser, der selbst ein so großer Verehrer der dramatischen Kunst sei, würde und müsse mich als ihren Jünger mit offenen Armen aufnehmen. Ich steckte, was mir noch von meinen Konfirmationsgeldern übrig, zu mir, setzte mich auf den Postwagen und fuhr, ohne jemand ein Wort davon zu sagen, nach Weimar ..... Zum Tage meiner Abreise hatte ich wohl überlegt das Fest des Bornheimer Lerchenherbstes... gewählt, weil da meine Abwesenheit weniger und erst spät in der Nacht bemerkt wurde. Ich fuhr unaufhaltsam über Fulda, Eisenach, Gotha und Erfurt, kam den zweiten Tag gegen Abend wohlbehalten... in Weimar an, wo, kaum im Gasthof abgestiegen, ich noch denselben Abend meinen berühmten Landsmann aufsuchte, ihn jedoch nicht traf und auf den folgenden Morgen nach zehn Uhr beschieden wurde .....

Es schlug endlich zehn und ich eilte nun nach Goethes Wohnung, wo ich mich als einen Landsmann und guten Bekannten seiner Familie melden ließ. Ich war sofort vorgelassen, traf ihn jedoch nicht allein, sondern in Gesellschaft einer ziemlich martialisch aussehenden Dame. Ich hatte ihn nur ein paar mal und immer nur einige Augenblicke gesehen, wenn er auf Besuch in Frankfurt war ..... Bei seinem Anblick erstarrte mir das Blut fast in den Adern, und das Herz war mir, wie die Frankfurter sagen, so ziemlich in die Schuhe gefallen. Nur stotternd konnte ich [252] mein Anliegen vorbringen, bei dem sein sich verfinsternder Blick mir eiskalt durch die Adern schauerte. Ich stammelte, daß ich, seine Werke lesend, eine unwiderstehliche Neigung für die Bühne geschöpft, daß sein Wilhelm meine Liebe zur Schauspielkunst auf's höchste gesteigert habe, nannte ein Dutzend Rollen, die ich schon einstudirt, vergaß aber in der Bestürzung unglücklicherweise einige aus seinen Stücken zu nennen, obgleich ich auch den »Egmont« auswendig gelernt. Als mich der finstere Mann endlich fragte, ob ich seine Briefe an ihn mitgebracht, und ich ihm hierauf den Geniestreich, den ich gemacht, und zu dem mich hauptsächlich sein Wilhelm veranlaßt, eingestand, da legte sich seine Stirn noch mehr in Falten, nur ein kurzes »So! so!« entwischte noch seinen Lippen, und nachdem er gefragt, wo ich wohne, verabschiedete er mich, mit der Bedeutung, er würde mich das Weitere wissen lassen, ich solle mich indessen ruhig in meinem Gasthof verhalten.

Wie mißmuthig mich der gegen alle Erwartungen glaciale Empfang und die unfreundliche Aufnahme gestimmt, kann man sich denken. Mehr Antheil, so schien es, habe noch die neben meinem steifen Landsmann stehende heroische Dame an mir genommen, wenigstens schienen dies ihre Blicke zu verrathen; denn sie war während der ganzen Scene stumm ..... Als ich mit einer stummen Verbeugung aus dem Zimmer war, ward es mir wieder leichter ums Herz, und ich erkundigte mich bei einem dienstbaren Geist, wer die Dame [253] sei, die ich gesehen, worauf mir der Bescheid wurde: eine Französin, die sich Madame von Stael nenne.

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Schon war ich sechs Tage daselbst, ohne daß ich weiter etwas von Goethe und Schiller gehört hätte und fing an zu glauben, daß mich ersterer ganz vergessen habe, als sich am Morgen des siebenten plötzlich meine Thür öffnete und hereintrat – mein Großoheim, der Oberpfarrer von Homburg. Er grüßte mich mit den Worten: »Du heilloser Galgenstrick, was machst Du für Streiche?« worauf noch eine lange Strafpredigt und die Erklärung folgte, ich habe mich sofort reisefertig zu machen .....

Ich sah mich verrathen und verkauft, hatte weder von Goethe noch von Schiller, noch von allen Musensöhnen Weimars und Jenas mehr etwas zu hoffen, und trat... die Heimreise.. mit meinem Oheim an... Goethe habe ich auch nie wieder gesehen, aber später erfahren, daß er mich gewissermaßen unter polizeiliche Aufsicht in meinem Gasthof hatte stellen lassen. Gleich nachdem ich ihn verlassen, hatte er an seine Mutter nach Frankfurt geschrieben und dieser meine Anwesenheit in Weimar und mein Begehren an ihn gemeldet. Frau Rath Goethe aber war nach Empfang dieses Briefs zu meinen Eltern geeilt, ihnen dessen In halt mitzutheilen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1803. 1803, Ende December (?). Mit Karl Ferdinand Fröhlich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A5EB-2