1807, 18. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Der Philister negirt nicht nur andere Zustände, als der seinige ist, er will auch, daß alle übrigen Menschen auf seine Weise existiren sollen. Er geht zu Fuß und ist sein Lebenlang zu Fuß gegangen. Nun sieht er jemand in einem Wagen fahren. Was das für eine Narrheit ist, ruft er aus, zu fahren, sich dahin schleppen lassen von Pferden! Hat der Kerl nicht Beine! wozu sind denn die Beine anders als zum Gehen? Wenn wir fahren sollten, würde uns Gott keine Beine gegeben haben! – Was ist es denn aber auch weiter! Wenn ich mich auf einen Stuhl setze und Räder unten anbringe und Pferde vorspanne, so kann [185] ich auch fahren so gut wie jener. Das ist keine Kunst!

Man wird in philisterhaften Äußerungen immer finden, daß der Kerl immer zugleich seinen eignen Zustand ausspricht, indem er den fremden negirt, und daß er also den seinigen als allgemein sein sollend verlangt. Es ist der blindeste Egoismus, der von sich selbst nichts weiß, und nicht weiß, daß der der andern ebensoviel Recht hätte, den seinigen auszuschließen, als der seinige hat, den der andern.«

[186]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1807. 1807, 18. August. Mit Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A5CC-8