1829, 24. August.


Abend bei August von Goethe

Goethe, der nicht länger als eine Stunde blieb, stand fortwährend in der Mitte des Salons wie eine Bildsäule von Stein, und die Herren standen um ihn herum wie eine Gruppe von Stein. Auch die Damen saßen unbeweglich wie Galatheen im weiteren Kreise und sprachen nur stille untereinander. Und sie verloren durchaus nichts bei diesen verständigen Gesprächen über die Gesteine, welche von Büsten, Bildsäulen, Denkmälern zu Thürmen, Domen, Obelisken, Pyramiden und endlich bis zum Thurme Babel geriethen, über den Goethe sagte, daß, wenn man ihn hätte endigen können, er nach allen Natur- und Kunstgesetzen hätte spitzig, das heißt mit einem culminirenden Punkte abschließen müssen. Seine Hauptmitsprecher waren David und Adam; Herr Coudray, ein stilles und bescheidenes Männchen, beantwortete nur Anfragen. David, lebhaft und belebt, ergriff häufig die Initiative; Adam weckte wieder von neuem meine Verwunderung über die Menge [128] seiner Kenntnisse auch über diesen Gegenstand. Goethe schien dasselbe anzuerkennen; denn als Adam unter anderm über die in Amerika entdeckten Pyramiden und ihre Ähnlichkeit mit den ägyptischen sprach und daraus die Folgerung zog, daß die Bildhauerei als die am meisten plastische Kunst am deutlichsten die Geistesentwickelung eines Volkes kennzeichne, hörte ihm Goethe mit großem Interesse zu und bemerkte nur, daß außer der Geistesentwickelung auch noch die Beschaffenheit des Materials, das den Künstlern zu Gebote steht, einen wesentlichen Einfluß auf den Character ihrer Schöpfungen üben müsse, wie denn z.B. die übermäßige Härte des ägyptischen Granits ohne Zweifel mit Ursache sei, daß alle daraus verfertigten Bildsäulen stets die Hände am Leibe anliegen haben .....

Goethe kam mir nur einmal näher, und das, um David beim Lampenscheine das Modell irgend eines Monumentes aus den Römerzeiten zu zeigen, das noch heute irgendwo in Luxemburg zu sehen ist. Während des ganzen Abends sprach Goethe nur ein einziges Mal von etwas anderem, als von Steinen und zwar mit mir, indem er mich sehr freundlich fragte, wie ich mich in Weimar unterhalte, und ob ich schon das Vogelschießen gesehen habe. Dabei ließ er sich herab, mir zu erzählen, daß man anderwärts mit dem Bogen schieße (was ich auch ohne ihn gewußt hatte), und fügte hinzu: »Il faut que je vous fasse voir cela.« Ich bin neugierig, auf welche Art? aber zu fragen[129] wagte ich nicht. Herr August und Frau Ottilie meinen, er sei gegen mich überaus freundlich, und mir selber scheint es so; denn heute z.B. richtete er an Herrn Victor Pavie, der sich in einer ähnlichen Lage wie ich befindet, nicht ein einziges Mal das Wort, sondern beantwortete seine – freilich unbedeutenden und kecken – Anreden trocken und mit einer Art Widerwillen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1829. 1829, 24. August. Abend bei August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A564-E