b.
[An Boie machte H. Voß ähnliche Mittheilungen, welche die vorstehenden wie folgt ergänzen.]
Äußerst merkwürdig und angenehm ist es, Goethe in seinen Sonntagsgesellschaften als Präceptor im Vorlesen [262] und Declamiren zu sehen. Da sitzt die ganze Gesellschaft um einen langen Tisch (Goethe in der Mitte) und liest abwechselnd. Es traf sich, daß beidemal, als ich zugegen war, aus der »Luise« gelesen wurde. An Goethe kam die Stelle von der Trauung, die er mit dem tiefsten Gefühle las. Aber seine Stimme ward kleinlaut, er weinte und gab das Buch seinem Nachbar. »Eine heilige Stelle!« rief er aus mit einer Innigkeit, die uns alle erschütterte.
Nachher traf ihn die Stelle: »den Gesang, den unser Voß in Eutin uns dichtete.« Aus dem Pathos, mit welchem er diese Worte vortrug, hätte ich schon seine Liebe zu meinem Vater abnehmen können, wenn mir jenes Gefühl bei Goethe unbekannt gewesen wäre. So sah ich Goethe schon am ersten Tage meiner Ankunft, und von dem Augenblicke an hatte er auch mein ganzes Zutrauen.
Madame Stael-Holstein geht Montag aus Weimar. Drollig ist's, Goethe über sie reden zu hören. »Ich treibe sie in die Enge,« sagte er, »wenn sie raisonnirt. Erst vermaure ich sie auf dieser Seite, dann auf jener« (und dies zeigte er mit dem Finger auf der Serviette). »Dann will sie entfliehen und kann nicht vor- noch rückwärts. Sie giebt sich einen effort, schwingt sich in die Höhe und macht's wie der Flußgott Achelaus: Sie entflieht in einer fremden Gestalt.« Sie hat die »Luise« gelesen und ebenso stark dabei geweint, als bei Kotzebue's »Bayard« und den »Hussiten«. Die Tabakspfeife [263] war ihr anstößig; der Herzog erinnerte sie an die Schweine im Homer. »Auch die,« sagt sie, »dürfen nicht in honette Gesellschaft kommen.« Goethe will ihr nun den Bandwurm aus Delille's L'homme des champs zu Gemüthe führen, der sich durch zwei Alexandriner hindurchschlängelt; dann wird sie verdutzt und – entflieht in einer fremden Gestalt.
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