b.

Die Hanauer Gesellschaftsbühne hatte sich ganz besonders durch Iffland's Theilnahme, durch sein wohlwollendes Urtheil einigen Ruf erworben. Zu meinem Erstaunen sprach Goethe in Wiesbaden sehr entschieden [161] den Wunsch aus: ich möge während seiner Anwesenheit auf einen dramatischen Abend bedacht sein. Vergebens meine besorglichen Mienen, meine bescheidenen Einreden; umsonst die Vorstellungen, den gegenwärtigen Verfall des Privattheaters betreffend. Offen und ehrlich gestand ich: die erste Liebhaberin sei längst vermählt und eine glückliche Mutter – zärtlicher Vater und naiver Bursche wären Hand in Hand mit den reitenden hessischen Jägern gen Frankreich gezogen – der Charakterspieler und Darsteller alter Gecken treulos und flüchtig ohne Urlaub auf unbestimmte Zeit verreist – unter den jetzt Wirkenden fehle gar manchem noch die nöthige Bretersicherheit – es dürfte schwer werden, das fast gescheiterte Wrack wieder zum Segeln zu bringen – alles vergebens! Goethe beharrte auf seinem Begehren.

..... Wir schritten zu Wiederholungen: »Die Brandschatzung« [von Kotzebue], Contessa's »Räthsel« und Theodor Körner's »Vetter aus Bremen«, das liebliche Spiel der Laune, kamen an die Reihe.

Der Tag erschien, an dessen Abend wir vor Goethe auftreten sollten ..... Gern sei's gestanden: ich fühlte kein großes Vertrauen zu mir,... und dennoch betrat ich die Breter mit freudigem Gefühl. Vorher, von mir gesprochen, ein Prolog, an den Patriarchen deutscher Literatur gerichtet, an unsern erhabenen Zuhörer. Folgende Stanze ist aus dieser Eröffnungsrede entnommen:

[162] Da tut's so wohl, inmitten uns zu schauen
Den Sänger, der der Fesseln uns entwöhnt
Und ein Prometheus sinnig, sonder Grauen,
Den deutschen Geist erleuchtet und verschönt.
Du selbst lustwandelnd auf der Griechen Auen,
Hast Braga mit Apollo ausgesöhnt
Und wirst zum Lohne für Dein hohes Streben
Willkommen stets in ihrem Kreise leben.

Ein glücklicher Zufall wollte, daß des heldenmüthigen Jünglings »Spiel in Versen« für Goethe neu war, und daß gerade in dieser Darstellung dem Dichter sein Recht widerfuhr. Bei der mit gebührendem Pathos vorgetragenen Rede des Pachters Veit:


Ich hab' schon mein Wort gegeben;
Der Vetter aus Bremen: trifft heute noch ein.
Es bleibt nun mein liebster Wunsch im Leben:
Mein Eidam muß ein Schulmeister sein.
Die Veite haben seit ewigen Zeiten
Das Scepter in der Schule geführt,
Nun kann ich's doch wirklich nicht dulden noch leiden,
Daß unsre Familie den Ruhm verliert. –

lachte Goethe so herzlich, wie ich ihn je lachen hörte; er erklärte die Posse für allerliebst, neckisch und komisch. Das Ganze wurde nicht verdorben, sondern leidlich zu Ende geführt.

Die Spielenden hatte ich mit meines Gastes Bewilligung zu einem Abendbrode eingeladen. Immer lebendiger und mittheilender wurde Goethe, immer bestimmter und schärfer die Rede. Seine Laune war unerschöpflich, er hinreißend und liebenswürdig. Mit[163] Lust ließ er sich gehen und warf zuletzt mit Witzworten und Scherzen um sich.

»Seht, liebe Kinder!« – so sagte er unter anderm – »Ihr befandet Euch dem Ziele ganz nahe; könnte ich acht Tage bleiben: noch eine Lese- und eine Spielprobe, und Ihr solltet sehen! – Dann müßte jede Scene so gegeben werden, als dürfte es eben nicht anders sein, und die Zuschauer glauben, sie selbst würden es gerade so und nicht anders gemacht haben.«

Wie dankbar, wie beglückt war der aufmerksame Hörerkreis für die so nachsichtsvolle Äußerung! Wie fühlten wir uns ergriffen von Goethes Liebenswürdigkeit! Die geistvolle Munterkeit durchströmte die ganze Gesellschaft; der heitere Genius des überragenden Meisters beherrschte die Gemüther seiner Jünger.

Mit Wärme wurde bei dieser Gelegenheit der Wunsch ausgesprochen: wir möchten daran denken, Schiller's Glocke über unsere kleine Bühne gehen zu lassen; die Darstellung in Weimar sei von bester Wirkung gewesen. Ohne die mindeste Änderung hatte man dem trefflichen Werke dramatisches Leben verliehen, indem nach Maßgabe der Persönlichkeiten die einzelnen Stellen unter die gesammte Gesellschaft vertheilt wurden; Meister und Gesellen erhielten so eine Art Individualität. – Später erfolgte die zugesagte Übersendung einer Abschrift der dramatisirten Glocke.

.... Mein Gast erstaunte, wie er nach seiner Taschenuhr sehend bemerkte, daß Mitternacht längst vorüber.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1814. 1814, zwischen 20. und 25. October.: Mit Carl Cäsar Ritter von Leonhard. b.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A4E3-9